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Genauso stellen sich viele ja Glaube, Gott, Kirche vor

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Predigt zu Markus 9, 17-27<br />

17. Sonntag nach Trinitatis 2011<br />

Liebe Gemeinde<br />

und liebe frisch von Kerzen erleuchtete Konfirmanden,<br />

am vergangenen Freitag habe ich versucht, den Kindern in der 6. Klasse<br />

in der Drais-Realschule etwas von der Schöpfung zu erzählen.<br />

Genesis 1, am Anfang schuf <strong>Gott</strong> Himmel und Erde…<br />

Und einer von den Knirpsen hat etwas provozierend halblaut <strong>vor</strong> <strong>sich</strong> hingebrummelt:<br />

„Die Wissenschaft hat doch längst festgestellt, dass es <strong>Gott</strong> überhaupt nicht gibt!“<br />

Die Wissenschaft hat festgestellt.<br />

Wissen Sie, was mir dazu gleich eingefallen ist?<br />

Das alte Lied aus der Mundorgel, das wir früher gesungen haben am Lagerfeuer:<br />

„Die Wissenschaft hat festgestellt, festgestellt, festgestellt,<br />

dass Marmelade Fett enthält…“<br />

Sie wissen vielleicht, wie es weitergeht:<br />

„Drum essen wir auf jeder Reise Marmelade eimerweise.“<br />

Augenzwinkernd wird hier gesagt: wir glauben alles, was die Wissenschaft sagt.<br />

Die Wissenschaft kann aber nur fest<strong>stellen</strong>, was wir für möglich halten,<br />

was wir sozusagen vermuten, annehmen, denken können.<br />

Zum <strong>Glaube</strong>n an <strong>Gott</strong> kann die Wissenschaft nichts fest<strong>stellen</strong>.<br />

Wo ich war, be<strong>vor</strong> ich auf die Welt kam,<br />

wo ich sein werde, wenn ich gestorben bin,<br />

wieso ich einen Menschen lieben kann<br />

- das sind Fragen, zu denen die Wissenschaft nichts fest<strong>stellen</strong> kann.<br />

Es sind grad die Fragen, die besonders interessant sind.<br />

Der <strong>Glaube</strong> fängt da an, wo wir mit unserem Latein zu Ende sind.<br />

In der <strong>Kirche</strong> erzählen wir uns Geschichten,<br />

wenn wir etwas von <strong>Gott</strong> verstehen wollen -----<br />

zum Beispiel heute Morgen die Geschichte von jenem Vater und seinem kranken Sohn,<br />

die ich grad in Auszügen <strong>vor</strong>gelesen habe.<br />

„Von Kind auf“ sagt der Vater, ist er krank.<br />

Und der Vater ist vielleicht schon von Pontius bis Pilatus gelaufen, wie man sagt,<br />

also er hat überall Hilfe gesucht – und keiner konnte ihm helfen.<br />

Der Sohn hat einen sprachlosen Geist, heißt es,<br />

ein Geist, der ihn hin und her reißt, so dass der arme Sohn mit den Zähnen knirscht<br />

und Schaum <strong>vor</strong> dem Mund hat.


Heut würden wir sagen, das ist ein Fall von Epilepsie,<br />

er hat Anfälle, rollt die Augen, fällt auf den Boden, unkontrolliert.<br />

Er ist nicht mehr Herr seiner selbst. Und die Menschen damals haben deshalb<br />

gesagt: da sitzt einer in ihm drin, er ist besessen – von einem bösen Geist eben,<br />

einem Dämon, der den Menschen zugrunde richten kann.<br />

Krankheit in ihren <strong>viele</strong>n Formen ist etwas Rätselhaftes.<br />

Warum gibt es Krankheit überhaupt?<br />

Ich fahre im Augenblick oft nach Waldbronn in die Rehaklinik, wo meine Frau<br />

gegenwärtig ist. Und da sieht man sie ständig, die Leute mit den Krücken und<br />

Rollatoren und Rollstühlen, wie sie langsam hin und her laufen, <strong>vor</strong> den Fahrstühlen<br />

<strong>sich</strong> stauen und im Speisesaal ihre Krücken in Ständer <strong>stellen</strong> wie Regenschirme.<br />

Einer hat zu mir <strong>vor</strong> dem Fahrstuhl gesagt: „Ich krieg noch einen Koller von all den<br />

<strong>viele</strong>n Krücken, Geh-hilfen und diesen <strong>viele</strong>n Leuten mit den schlurfenden Schritten!“<br />

Es ist <strong>ja</strong> wunderbar, dass es Hilfen gibt für kranke Menschen. Aber warum muss das<br />

überhaupt sein – die Krankheit in ihren <strong>viele</strong>n Erscheinungsformen?<br />

Warum können wir nicht alle gesund sein, heiter und unbeschwert,<br />

immer jung und frisch, schmerzfrei?<br />

Wie kann der liebe <strong>Gott</strong> das zulassen?<br />

Ob es ihn am Ende gar nicht gibt?<br />

Die Wissenschaft hat festgestellt …. nein, die Wissenschaft hat hier nichts festgestellt.<br />

Sie ist eine große Hilfe, aber die großen Fragen bleiben ungelöst im Raum stehen.<br />

Wer hilft in den schlimmen Krankheiten des Lebens?<br />

Der Vater kommt zu den Jüngern Jesu – aber auch sie können nicht helfen!<br />

Was für eine blamable Angelegenheit!<br />

„Ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie den bösen Geist austreiben sollen,<br />

und sie konnten’s nicht!“<br />

Nicht nur der Vater ist hilflos, die Jünger sind es auch.<br />

Das sind <strong>ja</strong> schöne Jünger. Ohnmächtige <strong>Kirche</strong>.<br />

Stellen Sie <strong>sich</strong> <strong>vor</strong>, wenn hier Sonntagsmorgens die Kranken gesund würden,<br />

wie es hier so knallvoll wäre in der <strong>Kirche</strong>! Was meinen Sie, was es hier für ein Gedränge<br />

gäbe… Aber so – wegen der Predigt und den paar Liedern machen <strong>sich</strong> <strong>viele</strong> gar nicht erst<br />

auf den Weg. Und das gemeinsame Beten, das hilft <strong>ja</strong> anscheinend auch nichts, sonst hätten<br />

die Rollstuhlfabriken und die Rollatorenhersteller längst Konkurs angemeldet.<br />

<strong>Genauso</strong> <strong>stellen</strong> <strong>sich</strong> <strong>viele</strong> <strong>ja</strong> <strong>Glaube</strong>, <strong>Gott</strong>, <strong>Kirche</strong> <strong>vor</strong>:<br />

als eine Art Service-station, die man schon in Anspruch nehmen würde,<br />

wenn es was helfen würde… aber so??<br />

Auch der Vater in unserer Geschichte hat so eine Vorstellung vom <strong>Glaube</strong>n:<br />

„Wenn du etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“<br />

Wenn du etwas kannst, sagt er zu Jesus.<br />

Viel scheint er nicht zu erwarten.<br />

Wenn du etwas kannst – aber wahrscheinlich kannst du <strong>ja</strong> auch nichts!


Und jetzt gibt Jesus eine interessante Antwort.<br />

Er sagt: „Du sagst: Wenn du kannst --- alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“<br />

Das wäre gewaltig, wenn wir heute Morgen verstehen würden über diesem Text:<br />

nicht <strong>Gott</strong> tut etwas – sondern WIR sind es, die gefragt sind.<br />

In der <strong>Kirche</strong> werden nicht unsere Fragen gelöst, wer Schmerzen im Kreuz hat,<br />

der hat sie auch nach dem <strong>Gott</strong>esdienst. Es gibt hier nichts zu bekommen<br />

--- nein, man muss selber etwas hierher mitbringen und einbringen.<br />

Man muss <strong>sich</strong> selber einbringen, das ist das ganze Geheimnis.<br />

Es hat lange gedauert, bis ich das selber begriffen hatte im Leben…<br />

„Wenn es einen <strong>Gott</strong> gäbe, dann müsste er…“<br />

So fangen Sätze an, die zu kurz greifen.<br />

Wir wissen nicht, warum es die Krankheit gibt, den Kummer, die Schmerzen,<br />

das Leid, den Tod, wir wissen nicht, warum unser Leben so ist wie es ist<br />

---- es wird aber alles anders, wenn ich mein Herz über die Mauer werfe,<br />

wenn ich, wie der Mann auf dem Predigtzettel, den Anker in die Wolken werfe….<br />

„Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“<br />

Sogleich schrie der Vater des Kindes: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“<br />

Dieser Satz bringt es auf den Punkt.<br />

Ein Zwiespalt, in dem wir stehen:<br />

wir glauben und sind doch irgendwie überfordert.<br />

Wir können unseren <strong>Glaube</strong>n nicht „verantworten“.<br />

Das fängt schon beim <strong>Glaube</strong>nsbekenntnis an, das wir hier Sonntag für Sonntag<br />

beten. Wer kann denn das alles glauben: die Geschichte vom Sohn <strong>Gott</strong>es, die<br />

Auferstehung von den Toten und das ewige Leben?<br />

Wir können für diese Wirklichkeiten nicht einstehen mit unseren bescheidenen<br />

Lebenserfahrungen. Die Wissenschaft hat festgestellt …. schön wär’s!<br />

Wir reden wie die Blinden von der Farbe,<br />

wie die Lahmen vom Tanzen, wie die Totgeweihten vom ewigen Leben.<br />

Aber wir werfen unser Herz über die Mauer.<br />

Ich glaube, hilf meinem Unglauben, sagen wir mit jenem Vater.<br />

Wir glauben mehr als wir selber verantworten können.<br />

„Ich liebe dich!“<br />

Das ist auch so ein Satz, in dem wir alles versprechen.<br />

Bei der Hochzeit wird gefragt: Willst du ihn oder sie lieben, bis dass der Tod euch scheidet?<br />

Ich muss an jene Frau denken, die zu mir nach einer Hochzeit gesagt hat:<br />

„Wie können Sie heutzutage so eine Frage <strong>stellen</strong> in der <strong>Kirche</strong>?<br />

Wissen Sie nicht, dass jede dritte Ehe geschieden wird?“<br />

Natürlich weiß ich das. Und natürlich kann keiner seine Hand ins Feuer legen dafür,<br />

dass seine eigene Ehe hält. Aber es gibt Situationen, da gehen wir aufs Ganze.


„Ich liebe dich – vielleicht jedenfalls.“ Nein, das kann man nicht sagen.<br />

„Auf mich kannst du dich hundertprozentig verlassen, wenn nichts dazwischenkommt!“<br />

Auf so eine Verlässlichkeit würden wir verzichten.<br />

Liebe und <strong>Glaube</strong> vertragen keine Halbheiten.<br />

Man kann nicht vielleicht an <strong>Gott</strong> glauben.<br />

Man kann nicht auf Probe lieben, auch nicht auf Probe leben.<br />

„Ich bin gewiss“, schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief im achten Kapitel.<br />

„Nichts kann mich von Christus scheiden – weder Tod noch Leben.“<br />

Aber diese <strong>Glaube</strong>nsgewissheit kann man nicht mit <strong>sich</strong> herumtragen wie einen<br />

Regenschirm, den man aufspannt, wenn’s regnet.<br />

<strong>Glaube</strong>nsgewissheit „hat“ man nicht<br />

- so wie man ein Auto hat oder ein Fahrrad oder einen Hut zum Aufsetzen.<br />

<strong>Glaube</strong> ist kein Besitz.<br />

Und Leute, die mit ihrem <strong>Glaube</strong>n angeben<br />

oder noch schlimmer: die anderen den <strong>Glaube</strong>n absprechen,<br />

das sind eher die unangenehmen Zeitgenossen.<br />

<strong>Glaube</strong> und Liebe sind kein Besitz………………… beides ist ein Wunder.<br />

<strong>Glaube</strong> hat man nicht, man wagt ihn höchstens.<br />

Und dazu sind wir aufgefordert und eingeladen.<br />

Das fängt schon mit euch Konfis an.<br />

Da sitzt ihr nun in der ersten Reihe mit euren brennenden Kerzen<br />

und wisst vielleicht selber gar nicht genau, warum und wieso.<br />

Was wissen wir denn vom lieben <strong>Gott</strong>?<br />

„Die Wissenschaft hat festgestellt….“ lasst euch das nicht einreden.<br />

Niemand kann euch beweisen oder <strong>vor</strong>machen, dass es <strong>Gott</strong> gibt.<br />

Keiner von uns war dabei, als Jesus den epileptischen Knaben gesund gemacht hat.<br />

Er war wie tot, wird uns erzählt, und Jesus ergreift seine Hand – und er stand auf.<br />

Ob an diesen Geschichten was dran ist,<br />

erfahrt ihr nur, wenn ihr euch selber auf den Weg macht.<br />

Wenn ihr hier die <strong>Gott</strong>esdienste absitzt bis zur Konfirmation<br />

und den Pfarrer einen lieben guten Mann sein lasst, dann erfahrt ihr nichts.<br />

Wer hierher in die <strong>Kirche</strong> kommt und denkt, hier wird man bedient wie in einer<br />

Service-station, der geht auch wieder hinaus, als wäre nichts geschehen.<br />

Es geschieht nur etwas, wenn wir uns selber auch mitbringen in die <strong>Kirche</strong>,<br />

wenn wir wie der Mann auf dem Predigtzettel uns verankern in den Wolken,<br />

wenn wir mit Jesus rechnen, daran glauben, dass er uns begegnet, uns liebt,<br />

unserem Leben Sinn gibt, uns tröstet im Leid, uns begleitet durch den Tod.<br />

Ich glaube, hilf meinem Unglauben.<br />

Unsere Last wird leicht.<br />

Und wir fürchten uns nicht <strong>vor</strong> dem morgigen Tag. Amen.

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