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Vortragstext - Arbeitskreis Geschichte der Geographie

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Neben <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> sollte vor allem <strong>der</strong> <strong>Geographie</strong>unterricht zu einer<br />

vaterländischen, deutschnationalen Bildung beitragen und so zur Stabilisierung des<br />

jungen Nationalstaats beitragen. Bei <strong>der</strong> Berufung von Professoren auf die neu<br />

eingerichteten Lehrstühle achtete <strong>der</strong> Staat daher mehr auf die pädagogische Eignung<br />

als auf wissenschaftliche Reputation. Insofern war Richthofen als auslandserfahrener<br />

Forscher eher die Ausnahme als die Regel. Sein Einfluss auf die Fachentwicklung war<br />

dann wohl auch ein an<strong>der</strong>er, als sich dies die Bildungsplaner im Ministerium erwartet<br />

hatten, wie er sich überhaupt aus konkreten schulischen und unterrichtsmethodischen<br />

Diskussionen heraushielt. Anstatt auf einer geistes- und kulturwissenschaftlichen Basis<br />

das für den län<strong>der</strong>kundlichen Unterricht in <strong>der</strong> Schule benötigte Wissen bereitzustellen,<br />

wurde Richthofen zu einem <strong>der</strong> Vorkämpfer für eine am Methodenideal <strong>der</strong><br />

Naturwissenschaften orientierte <strong>Geographie</strong>.<br />

Schon im ersten Band seines Chinawerkes von 1877 hatte er im Schlusskapitel aus<br />

seiner Sicht die Aufgaben <strong>der</strong> neuen wissenschaftlichen <strong>Geographie</strong> umrissen und sie als<br />

eine von <strong>der</strong> Geologie ausgehende wissenschaftliche Beobachtung <strong>der</strong><br />

Wechselbeziehungen von Erdoberfläche, Klima und organischer Welt bestimmt. Fortan<br />

wurde die Erdoberfläche zum zentralen Gegenstand, an dem sich jegliche geographische<br />

Forschung orientieren sollte. 29 Auch <strong>der</strong> Mensch sollte nur dort zum geographischen<br />

Untersuchungsobjekt werden, wo er in seinen Wechselwirkungen – ein weiteres<br />

Schlagwort geographischer Identität – zu den Naturreichen eine Rolle spielte.<br />

Richthofen setzte auf ein von kritischer Beobachtung getragenes Forschungsprogramm.<br />

Es sollte mit Hilfe <strong>der</strong> Analyse von kausalen Wechselbeziehungen aus <strong>der</strong> <strong>Geographie</strong><br />

ein Fach machen, dem es auf die Erkenntnis von Regelhaftigkeiten und<br />

Gesetzmäßigkeiten ankam und dessen Kardinalfrage darin bestand, möglichst exakt<br />

erklären zu können, wie das am konkreten Ort vorhandene Zusammenspiel von innerem<br />

Bau, Oberflächenformen, Böden, Klima sowie Vegetation funktionierte und dies<br />

zusammengenommen dann zur Voraussetzung für menschliche Handlungen im Umgang<br />

mit <strong>der</strong> Natur wurde.<br />

Diesem hier nur in Umrissen angedeuteten Programm ist die deutsche<br />

Hochschulgeographie bis in die 1920er-Jahre gefolgt. Für viele <strong>der</strong> jungen Männer, die<br />

bei Richthofen studierten, war seine auf naturwissenschaftliche Analysen ausgelegte<br />

Fachvision wie eine Offenbarung. Sein 1886 veröffentlichter „Führer für<br />

Forschungsreisende“ gehörte mit seinen exakten Beobachtungsanleitungen und seinen<br />

zahllosen Warnungen vor allzu raschen deduktiven Schlüssen schon bald zur<br />

Grundausstattung eines jeden, nach Richthofens Vorbild im Feld forschenden jungen<br />

Geographen. 30 Zweifellos ist es Richthofen zu verdanken, dass mit <strong>der</strong> Verschmelzung<br />

von Naturwissenschaft und <strong>Geographie</strong> das Fundament geschaffen wurde, auf <strong>der</strong> das<br />

neue Hochschulfach seine Identität herausbilden und sich zu einer Wissenschaft<br />

entwickeln konnte.<br />

Die entscheidenden wissenschaftlichen Impulse setzte Richthofen, wie bereits<br />

hervorgehoben, vor seiner Berufung nach Berlin. In den letzten beiden Jahrzehnten<br />

seines Lebens fand er für eigene Forschungen kaum mehr die nötige Muße. Zu sehr war<br />

er mit politischen und gesellschaftlichen Aufgaben und Funktionen beschäftigt. Neben<br />

29 Vgl. Schultz, Hans-Dietrich: „Geben Sie uns eine scharfe Definition <strong>der</strong> <strong>Geographie</strong>.“ Ferdinand von<br />

Richthofens Anstrengungen zur Lösung eines brennenden Problems. In: Nitz, Bernhard / Schultz, Hans-Dietrich<br />

/ Schulz, Marlies (Hrsg.): 200 Jahre <strong>Geographie</strong> in Berlin, 1810–2010. (Berliner geographische Arbeiten; 115),<br />

2., verb. u. erw. Aufl. Berlin 2011, S. 59–97.<br />

30 Vgl. Richthofen, Ferdinand v. 1886: Führer für Forschungsreisende. Anleitung zu Beobachtungen über<br />

Gegenstände <strong>der</strong> physischen <strong>Geographie</strong> und Geologie. Berlin.<br />

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