Mein Kind ist das Beste was mir je passiert ist! - Queerformat
Mein Kind ist das Beste was mir je passiert ist! - Queerformat
Mein Kind ist das Beste was mir je passiert ist! - Queerformat
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Anne Zündorf –<br />
Bildungsinitiative QUEERFORMAT<br />
Einige einleitende Worte<br />
Wer träumt nicht gerne von der Zukunft?<br />
Sehnt sich schöne Momente<br />
zusammen mit geliebten Menschen herbei?<br />
Spinnt Träume über die Zukunft der<br />
<strong>Kind</strong>er oder Geschw<strong>ist</strong>er – die Beziehungen,<br />
die sie führen werden, die Aufgaben,<br />
die sie übernehmen werden, die Familien,<br />
die sie vielleicht eines Tages selbst<br />
gründen? Was aber, wenn <strong>das</strong> Leben des<br />
Sohns, der Schwester, des Enkelkindes<br />
eine Wendung nimmt, die wir uns bisher<br />
nicht vorstellen konnten?<br />
Der Moment, in dem die Tochter sagt:<br />
„Ich habe eine Freundin“ oder <strong>das</strong> <strong>Kind</strong><br />
erklärt: „Ihr sollt ‚er‘ zu <strong>mir</strong> sagen“,<br />
kommt zume<strong>ist</strong> ganz unerwartet. Sich<br />
anderen als lesbisch, schwul, bisexuell<br />
oder trans* (lgbt* 1 ) zu erkennen geben,<br />
wird als „Coming-Out“ („Rauskommen“)<br />
bezeichnet. Dem Vorangegangen <strong>ist</strong> in<br />
der Regel ein mehrjähriger Prozess des<br />
inneren Coming-Out, in dem anfängliche<br />
Vermutungen über die eigene Sexualität<br />
oder <strong>das</strong> eigene Geschlecht zur<br />
Gewissheit heranreifen. Ein Coming-Out<br />
<strong>ist</strong> überhaupt nur nötig, weil die me<strong>ist</strong>en<br />
Menschen davon ausgehen, <strong>das</strong>s andere<br />
selbstverständlich in ihrem Geburtsgeschlecht<br />
leben möchten und heterosexuell<br />
sind. Die<strong>je</strong>nigen, auf die dies nicht<br />
zutrifft, sind also gezwungen, es immer<br />
„dazuzusagen“ – obwohl sie keineswegs<br />
eine kleine Minderheit sind: ungefähr<br />
10% aller Menschen in Deutschland leben<br />
nicht-heterosexuell oder trans*. Und<br />
auch viele andere haben in ihrem Leben<br />
schon gleichgeschlechtliche romantische<br />
oder sexuelle Erfahrungen gemacht. Jedoch<br />
wird es lgbt* Menschen oft schwer<br />
gemacht, offen mit ihren Empfindungen<br />
umzugehen: Wissenschaftliche Studien<br />
zeigen, <strong>das</strong>s die eigene Familie und die<br />
Schule die Bereiche sind, in denen lgbt*<br />
Jugendliche die me<strong>ist</strong>en Schwierigkeiten<br />
haben.<br />
Diese Broschüre trägt 19 ganz unterschiedliche<br />
Berichte zusammen, in denen<br />
Eltern, Großeltern und Geschw<strong>ist</strong>er<br />
vom Coming-Out ihrer <strong>Kind</strong>er und Familienmitglieder<br />
erzählen. Keine Geschichte<br />
<strong>ist</strong> wie die andere, weil auch keine Familie<br />
wie die andere <strong>ist</strong>. Die Autor_innen 2 ,<br />
die sich zu Wort melden, schildern ihren<br />
eigenen Prozess in der Beziehung zu ihrem<br />
<strong>Kind</strong> und in ihrem Verhältnis zu den<br />
Themen sexuelle und geschlechtliche<br />
Vielfalt. Sie sprechen für sich selbst und<br />
aus ihrer eigenen Lebenssituation heraus.<br />
Sie alle haben den Wunsch, andere<br />
an ihrer Geschichte teilhaben zu lassen,<br />
sich auf diese Weise mit anderen Eltern<br />
und Verwandten auszutauschen. So können<br />
Leser_innen in den Berichten Gemeinsamkeiten<br />
zu ihrer eigenen Situation<br />
finden, die Umgangsweisen anderer<br />
mit dem Thema kennen lernen, sich aber<br />
auch davon abgrenzen und vielleicht auf<br />
diesem Weg neue Anregungen finden.<br />
Unterschiedliche Lebenssituationen und<br />
eigene Lebenserfahrungen beeinflussen,<br />
wie Menschen mit der Neuigkeit eines<br />
Coming-Outs umgehen. Manche Eltern<br />
und Verwandte, die in dieser Broschüre<br />
zu Wort kommen, waren sehr überrascht,<br />
andere weniger – einige wiederum hatten<br />
von vornherein nicht die Erwartung,<br />
<strong>das</strong>s ihr <strong>Kind</strong> heterosexuell lieben würde<br />
oder sich ausschließlich mit dem Geburtsgeschlecht<br />
identifiziert. Viele <strong>Kind</strong>er<br />
setzen sich, bevor sie Verwandten von<br />
ihrer Identität erzählen, selbst lange mit<br />
dem Thema auseinander oder reden mit<br />
Freund_innen darüber – bei anderen sind<br />
Familienmitglieder die ersten, mit denen<br />
sie sich austauschen. Viele Eltern suchen<br />
nach Gründen dafür, warum ihr <strong>Kind</strong><br />
trans* <strong>ist</strong> oder sich (auch) in Menschen<br />
des eigenen Geschlechts verliebt. Andere<br />
Eltern, die sich diese Frage früher gestellt<br />
haben, finden sie im Nachhinein absurd.<br />
Fest steht, <strong>das</strong>s sich die Geschlechtsidentität<br />
oder die sexuelle Orientierung von<br />
Menschen nicht an ihrem Verhalten erkennen<br />
lassen. Wer sucht, der findet<br />
zwar auch: Hat nicht <strong>je</strong>des <strong>Kind</strong> einmal<br />
ein Hobby, eine Lieblingsfarbe oder ein<br />
Lieblings-Kleidungsstück gehabt, <strong>das</strong> aus<br />
der traditionellen Vorstellung „Mädchen<br />
mögen rosa und Puppen, Jungs blau und<br />
Fußball“ herausfällt? Das bedeutet <strong>je</strong>doch<br />
noch lange nicht, <strong>das</strong>s alle <strong>Kind</strong>er mit geschlechtsrollenuntypischen<br />
Verhalten sich<br />
später als lgbt* identifizieren werden.<br />
Denn von Charakterzügen oder Verhaltensweisen<br />
lassen sich keine Rückschlüsse<br />
auf die sexuelle Orientierung oder<br />
die Geschlechtsidentität von <strong>je</strong>mandem<br />
ziehen. Wie unendlich verschieden <strong>das</strong><br />
Leben von lgbt Personen aussehen kann,<br />
zeigen die unterschiedlichen Berichte<br />
in dieser Broschüre. Homosexuelle und<br />
transgeschlechtliche Menschen sind so<br />
vielfältig wie heterosexuelle – <strong>je</strong>de Person<br />
<strong>ist</strong> anders. Auf der Straße nehmen<br />
wir aber nur die Personen, die Stereotypen<br />
entsprechen, als schwul, lesbisch,<br />
bisexuell oder transgeschlechtlich wahr.<br />
Über all die<strong>je</strong>nigen, die den Stereotypen<br />
nicht entsprechen, sehen wir hinweg.<br />
Menschen über 60 sind nicht per se vergesslich,<br />
schwule Männer reden nicht unbedingt<br />
den ganzen Tag vom Shopping,<br />
nicht <strong>je</strong>de Person mit ausländischem<br />
Namen hat prinzipiell et<strong>was</strong> gegen lgbt*<br />
Menschen, genauso wie nicht <strong>je</strong>de Transfrau<br />
eine Diva auf Stöckelschuhen <strong>ist</strong>.<br />
Sprache <strong>ist</strong> eine Form Respekt für Menschen<br />
auszudrücken. Die Begriffe, die<br />
wir in diesem Vorwort verwenden, sind<br />
Selbstbezeichnungen und wir haben<br />
Begriffe verwendet, die uns möglichst<br />
inklusiv erscheinen. So schreiben wir<br />
trans* mit einem Sternchen, um auf die<br />
Vielfalt von transgeschlechtlichen Menschen<br />
und ihrer geschlechtlichen Identität<br />
hinzuweisen, die oft übersehen wird.<br />
Trans* wird hier als Überbegriff für Personen<br />
verstanden, für die ihr gelebtes<br />
Geschlecht keine zwingende Folge des<br />
bei Geburt zugewiesenen Geschlechtes<br />
<strong>ist</strong>. Es gibt einerseits Transmänner und<br />
Transfrauen. Diese Begriffe (und die<br />
entsprechenden Personalpronomina)<br />
benennen <strong>das</strong> Geschlecht, mit dem sich<br />
die Person identifiziert, und nicht <strong>das</strong><br />
Geschlecht, <strong>das</strong> bei Geburt zugeschriebenen<br />
wurde. Unter Umständen, aber<br />
nicht in allen Fällen, nehmen manche<br />
8 9