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von ANNEKATRIN FIsChER RoBERT K. hUBER - Maxim Gorki ...

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- 4 -<br />

Ich nahm in den letzten Monaten Kontakt zu<br />

verschiedenen Journalisten auf, die über das<br />

Thema geschrieben hatten, zu Organisationen,<br />

die in Ruanda arbeiten, las die Zeitzeugenberichte,<br />

sah unzählige Dokumentationen. Mit<br />

der Zeit vermischten sich in mir die Geschichten,<br />

all die Bilder überlagerten einander und<br />

ergaben ein seltsames Geflecht, bei dem ich<br />

die Informationen den Quellen nicht mehr<br />

zuordnen konnte. ein Gefühl der Ohnmacht<br />

und des Unverständnisses angesichts der absolutheit<br />

der Grausamkeiten stellte sich ein. eine<br />

Zeitlang litt ich unter dem, was man wohl<br />

Überidentifikation nennt. nachts erschrak<br />

ich plötzlich vor der Präsenz des Bösen. Ich<br />

hörte das Geräusch des <strong>von</strong> den Macheten auf<br />

den Boden tröpfelnden Bluts und die rauen<br />

stimmen der marodierenden Interahamwe,<br />

die gut gelaunt und angetrunken Lieder über<br />

das Zerquetschen <strong>von</strong> Kakerlaken singen.<br />

Die Phantasmagorien verfolgten mich auch<br />

tagsüber. Im august saß ich im zur Festspielzeit<br />

noch dekadenter als sonst wirkenden salzburg<br />

auf der Terrasse des cafés Bazar. Zwischen den<br />

Touristen schlenderten auf der Promenade die<br />

Damen in türkis- und pinkfarbenen satinkleidern,<br />

die herren im Frack vorbei. hinten an der<br />

salzach vor einer Pappel attackierte ein sohn<br />

seinen Vater mit einem kleinen Plastikschwert.<br />

Der Vater wehrte sich, Verzweiflung spielend,<br />

mit einer dicken, zusammengerollten Zeitung.<br />

Im hintergrund kesselten die Berge das Tal ein,<br />

und die Gegenwart überlagerte sich mit Filmbildern.<br />

Die Kulisse der sanften tausend hügel<br />

Ruandas schob sich vor die schroffen alpen.<br />

Mein Blick <strong>von</strong> der caféterrasse unten auf den<br />

Fluss herab wurde mit einer anderen szene<br />

überblendet: Man sieht eine staubige straße<br />

<strong>von</strong> oben, ein Zweig ragt ins Bild hinein. Links<br />

am straßenrand liegen vielleicht fünf Leichen zu<br />

einem haufen aufeinander geschichtet. einige<br />

14<br />

Männer patrouillieren lustlos. sie tragen lässig<br />

sitzende, kurze hosen, bunte Banderas. ein<br />

Mann kniet zwischen den Leichen. einer der<br />

herumschlendernden geht auf ihn zu, hebt<br />

seine Machete, holt routiniert aus und schlägt<br />

zwei Mal auf den Kopf des Knienden, der nach<br />

hinten fällt. ein zweiter Mann kommt hinzu.<br />

er hält in jeder hand eine Machete und schlägt<br />

lethargisch und ein wenig erschöpft weiter<br />

auf den wohl inzwischen fast Toten ein. Der<br />

andere hat sich schon wieder abgewandt, rückt<br />

sich sein Kopftuch zurecht, zieht die hose ein<br />

wenig hoch.<br />

- 5 -<br />

Vor zwei Jahren hatte ich in hamburg mit einigen<br />

Freunden Lanzmanns »shoah« geschaut.<br />

anschließend sprachen wir darüber, was die<br />

Berichte in uns ausgelöst hatten. ein Interview<br />

hatte mir den Boden unter den Füßen weggezogen:<br />

Lanzmann spricht mit abraham Bomba,<br />

einem holocaust-Überlebenden, in einem<br />

Friseurgeschäft in Tel aviv. Bomba erzählt,<br />

während er Kunden die haare schneidet, wie er<br />

ebenfalls in Treblinka den Menschen, die kurz<br />

darauf umgebracht wurden, die haare schnitt,<br />

was den Opfern Vertrauen einflößen sollte,<br />

damit sie ohne größeres Misstrauen in die Gaskammern<br />

gingen. als Bomba da<strong>von</strong> berichtet,<br />

wie er seiner Mutter und seiner schwester die<br />

haare schnitt, bricht er zusammen und weint.<br />

Die Kamera weicht nicht <strong>von</strong> ihm, und wir<br />

nehmen Teil an seiner verstörenden erinnerung.<br />

Die Trauer schien sich verselbständigt<br />

zu haben, das Gefühl der Ohnmacht übertrug<br />

sich auf mich, sagte ich. B., der apathisch in<br />

seinem sessel versunken war, stand unvermittelt<br />

auf, lief im Zimmer hin und her und<br />

brüllte, niemanden direkt anschauend, vor sich<br />

hin: was denn unser selbstmitleidiges Gewinsel<br />

bewirken solle? außer dass wir, ohne einen<br />

blassen schimmer vom schrecken zu haben,

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