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von ANNEKATRIN FIsChER RoBERT K. hUBER - Maxim Gorki ...

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durch die Internalisierung der Opferrolle die<br />

schuldgefühle des Tätervolks überwinden<br />

wollten. Das Gefühlsgequatsche sei abstoßend<br />

und diene vor allem der moralischen erhebung<br />

der sich im emotionsschlamm suhlenden.<br />

auch als er sich danach entschuldigte und<br />

sagte, sein Großvater habe in den mittleren<br />

30er Jahren einen hohen Ministerposten inne<br />

gehabt, weswegen er in seiner Familie viele<br />

Diskussionen über sich ergehen lassen musste<br />

und in dieser hinsicht emotional instabil sei,<br />

haftete mir das Gefühl des ertappt-werdens<br />

doch noch eine weile an. welcher tiefer liegende<br />

Grund ist es, dass es uns fasziniert in den<br />

abgrund des banalen Bösen zu schauen? welche<br />

anziehung fesselt uns? woher das Bedürfnis,<br />

die Zusammenhänge eines sinnlosen,<br />

absurd anmutenden Genozids zu verstehen?<br />

- 6 -<br />

Traumatische ereignisse finden immer in der<br />

Gegenwart statt, sie sind zeitlos. Zu groß sind<br />

die schrecken, ungenügend das Vokabular, das<br />

Geschehen <strong>von</strong> innen her zu beschreiben. Die<br />

Darstellung bleibt äußerlich, und der Kern des<br />

Völkermords lässt sich nicht abbilden. Roméo<br />

Dallaire, der während des Völkermords diensthabender<br />

General der in Ruanda stationierten<br />

Un-einheiten war, beschreibt den Prozess der<br />

Transformation zu einem Génocidaire als eine<br />

Gewöhnung an das Töten und eine Manie,<br />

die eines immer stärkeren Impulses, also<br />

immer größerer Grausamkeiten bedürfe. Der<br />

Völkermord in Ruanda erschien ausländischen<br />

Beobachtern 1994 wie ein unerwarteter Zivilisationsbruch.<br />

wie der holocaust ein halbes<br />

Jahrhundert zuvor erschütterte diese eruption<br />

des Bösen das Vertrauen in die Menschheit<br />

und in den Fortschritt der Geschichte überhaupt.<br />

Die scheinbare Übergangslosigkeit<br />

zwischen prosperierender normalität und<br />

barbarischem ausnahmezustand ließ die welt<br />

15<br />

fassungslos zurück. Die handlungen der Täter<br />

bleiben angesichts ihrer absolutheit unverständlich,<br />

weil sie ihrer eigenen, rauschhaften<br />

Logik folgen. Dennoch hat der Völkermord<br />

eine konkrete Vorgeschichte, er ist monatelang<br />

und mithilfe der Propaganda des Radios<br />

vorbereitet worden. Die Taten selbst entziehen<br />

sich unserem Zugang. wie es dazu kommen<br />

konnte, lässt sich nachvollziehen. Bei unserer<br />

ersten Reise nach Ruanda wird es in erster<br />

Linie darum gehen, den Menschen und ihren<br />

Geschichten zuzuhören und zu verstehen, auf<br />

welche weise der Genozid in jenen Monaten<br />

zur zweiten natur der Menschen, zu ihrem<br />

alltag – und somit zur schrecklichen Tatsache<br />

werden konnte.<br />

Jens Dietrich ist Dramaturg und Kernmitglied des <strong>von</strong><br />

dem autor und Regisseur Milo Rau gegründeten<br />

International Institute of Political Murder (IIPM).<br />

Zusammen mit Rau fährt er im Dezember 2010 zu einer<br />

ersten Recherchereise nach Ruanda für das IIPM-Projekt<br />

»hate Radio«.<br />

www.international-institute.de

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