Michael Kleim Eröffnung der Ausstellung "Drogenkultur
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<strong>Michael</strong> <strong>Kleim</strong>, Gera<br />
HBS & Schildower Kreis<br />
Hamburg, 24. November 2014<br />
Ohne Legalisierung geht es nicht<br />
Palette-Jubiläum<br />
„Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich,<br />
was mit Danksagung empfangen wird“ – 1.Tim. 4<br />
Als evangelischer Pfarrer beginne ich hier in einer Kirche gern mit einem<br />
passenden Bibelzitat. Gleichzeitig möchte ich den äußeren Rahmen<br />
nutzen, um einen historischen Bezug herzustellen.<br />
Es gab eine Zeit, als die Obrigkeit im Auftrag <strong>der</strong> Kirchen meinte, sie<br />
müsse durchsetzen, was Menschen glauben dürften und was nicht.<br />
An<strong>der</strong>sgläubigkeit o<strong>der</strong> gar Nichtgläubigkeit wurde kriminalisiert und<br />
verfolgt. Es gab Son<strong>der</strong>gesetze, Son<strong>der</strong>ermittlungsbehörden und<br />
Son<strong>der</strong>gerichte. Die Gewalt des Staates in Sachen Religion nahm<br />
Formen des Terrors an. Dann weichte die Sache schrittweise auf und es<br />
galt: „Cuius regio, eius religio“ – wobei <strong>der</strong> jeweilige Landesherr<br />
bestimmte, welche Religion zugestanden wurde. So gab es eben<br />
protestantische, katholische, sunnitische und schiitische Gebiete.<br />
Dagegen entstand eine zivile Oppositionsbewegung, die sich für eine<br />
umfassende Gewissensentscheidung jedes Einzelnen und je<strong>der</strong><br />
Einzelnen einsetzte. Die Nie<strong>der</strong>lande unter Willem von Oranje waren<br />
übrigens eines <strong>der</strong> ersten Län<strong>der</strong>, in denen sich einstige Ketzer, Täufer<br />
als auch Juden ohne Angst vor Verfolgung nie<strong>der</strong>lassen konnten.<br />
Die Religionsfreiheit wurde unter großen Anstrengungen den<br />
Herrschenden abgerungen und sie stellt eine bedeutende zivilisatorische<br />
Errungenschaft dar. Je<strong>der</strong>/Jede entscheidet frei und selbst, welchen<br />
Glauben sie wählen o<strong>der</strong> ob sie keiner Religion angehören wollen. Die<br />
Religionsfreiheit wurde in den Kanon <strong>der</strong> Menschenrechte aufgenommen<br />
und ist in je<strong>der</strong> demokratischen Verfassung verankert.<br />
Drogenpolitisch befinden wir uns noch in dem voraufklärerischen<br />
Zustand eines Cuius regio, eius pharmaca“ . Der bevormundende Staat<br />
will entscheiden, welche Drogen seine Untertanen nutzen dürfen und<br />
welche nicht. Dabei regeln dies Landesregierungen je nach Lust und
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Laune. Sie ist in den meisten muslimischen Län<strong>der</strong>n Alkohol<br />
kriminalisiert. In Bolivien wurde Koka relegalisiert, während ansonsten<br />
weltweit sogar <strong>der</strong> harmlose Mate de Coca strafbewehrt ist.<br />
Psychoaktiver Hanfgebrauch ist ohne Verfolgung unter an<strong>der</strong>em in<br />
Uruguay, Colorado und in den Nie<strong>der</strong>landen möglich, doch in Saudi-<br />
Arabien, Vietnam o<strong>der</strong> Iran können Menschen wegen Besitz größerer<br />
Mengen hingerichtet werden.<br />
Die Drogenverbote sollen in inquisitatorischer Tradition mit<br />
Son<strong>der</strong>gesetzen, Son<strong>der</strong>ermittlungsbehörden und Son<strong>der</strong>gerichten<br />
durchgesetzt werden. Die Gewalt des Staates in Sachen „Prohibition“<br />
nimmt global Formen von Krieg und Terrors an. Systematische<br />
Menschenrechtsverletzungen und eine Destabilisierung <strong>der</strong> Demokratie<br />
sind die Folge.<br />
Um nur kurz ein paar Beispiele dafür anzureißen:<br />
• in Südostasien betreiben mehrere Staaten Arbeitslager, in denen<br />
Drogengebrauchende Menschen zum Teil ohne Urteil unter<br />
unwürdigen Bedingungen interniert werden<br />
• Vertreter von Polizei, Justiz und Politik sind zunehmend im<br />
illegalen Drogengeschäften verwickelt<br />
• in Frankreich wurde <strong>der</strong> Einsatz von Militär im Kampf gegen<br />
Drogenhandel ernsthaft diskutiert<br />
• in Deutschland nimmt die Telefonüberwachung – ein für ein<br />
demokratisches Land gravieren<strong>der</strong> Eingriff in geschützte<br />
Grundrechte – in Zusammenhang mit <strong>der</strong> sog.<br />
Betäubungsmittelkriminalität stetig zu<br />
• in unserem Land wurde für längere Zeit trotz deutlicher Kritik von<br />
Menschenrechtsverbänden an <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Brechmittelvergabe,<br />
einer grausamen Form von Folter, festgehalten und erst nach zwei<br />
Todesfällen und <strong>der</strong> Verurteilung durch den Europäischen<br />
Gerichtshof für Menschenrechte aufgegeben<br />
Ich möchte es durchaus so formulieren:<br />
Wenn Menschen allein aus dem einen Grund, weil sie sich für eine<br />
bestimmte psychoaktive Substanz entschieden haben, ausgegrenzt und<br />
kriminalisiert werden, wenn Menschen allein aus dem einen Grund., weil<br />
Drogengebrauch zu ihrer Lebenskultur dazugehört, künstlich erzeugten
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Gesundheitsrisiken ausgesetzt o<strong>der</strong> gar in den Tod getrieben werden,<br />
dann haben wir es m.E. mit einer Form gruppenbezogener<br />
Menschenfeindlichkeit zu tun. Dies sollten wir in <strong>der</strong> Diskussion vielleicht<br />
noch klarer herausstellen: Prohibition stellt eine Spielart<br />
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit dar.<br />
Die zwei großen Argumente zur Verteidigung <strong>der</strong> Prohibition möchte ich<br />
dabei nicht ausblenden:<br />
1. Das Verbot riskanter psychoaktiver Stoffe bedeute<br />
Gesundheitsschutz. Doch Gesundheitsschutz ist keine<br />
theoretische Formel, son<strong>der</strong>n muss sich an konkreten Problemen<br />
und Maßnahmen messen lassen. Wäre die aktuelle Drogenpolitik<br />
tatsächlich auf Gesundheitsschutz ausgerichtet, dann hätten wir<br />
die rechtlich geschützte Möglichkeit zum drug checking. Mit dieser<br />
Methode könnten reale Gefahren von Konsumenten abgewehrt<br />
werden. Zum an<strong>der</strong>en gäbe es flächendeckend<br />
Drogengebrauchsräume, in <strong>der</strong> Gebraucher nicht nur risikoärmere<br />
Rahmenbedingungen für ihren Drogengebrauch, son<strong>der</strong>n auch<br />
Beratungsangebote und im Notfall umgehend erste Hilfe finden<br />
könnten.<br />
2. Das Drogenverbot bedeute Jugendaschutz. Doch offensichtlich ist<br />
Jugendschutz im Schatten <strong>der</strong> Illegalität überhaupt nicht<br />
durchsetzbar. Jugendschutz hat in tatsächlich nur in einem Modell<br />
kontrollierter Regulierung eine Chance.<br />
Das Drogenverbot verteidigt we<strong>der</strong> Gesundheits- noch Jugendschutz,<br />
son<strong>der</strong>n vertritt eine prinzipiell abwertende Ideologie gegenüber<br />
bestimmten, willkürlich festgelegten Formen des Drogengebrauchs.<br />
Die Prohibition, ich wie<strong>der</strong>hole es, steht nicht in <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong><br />
Aufklärung, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Inquisition. Ihr liegen keine rationalen<br />
Entscheidungen, son<strong>der</strong>n vielmehr Irrationalität, Anmaßung und Angst<br />
zugrunde. Ich möchte hier, in Entsprechung an<strong>der</strong>er gesellschaftlicher<br />
Phänomene, von Drogenphobie sprechen.<br />
Systematische Menschenrechtsverletzungen und eine Destabilisierung<br />
<strong>der</strong> Demokratie sind wesentliche Folge einer Politik <strong>der</strong> Prohibition. Aus
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diesem Grund stellt die Frage nach <strong>der</strong> Überwindung <strong>der</strong> Prohibition<br />
keinen Nebenaspekt <strong>der</strong> Politik dar, son<strong>der</strong>n berührt wesentliche,<br />
existentielle Aspekte unserer Gesellschaft. Auch Menschen, denen die<br />
Frage nach Drogengebrauch nebensächlich erscheint, sollten anfangen,<br />
sich mit Drogenpolitik zu beschäftigen.<br />
Deshalb ist die For<strong>der</strong>ung nach Drogenfreiheit eine existentielle<br />
For<strong>der</strong>ung unserer Zeit. Drogenfreiheit verstehe ich dabei im<br />
Bedeutungssinn analog zur Religionsfreiheit; das bedeutet, dass <strong>der</strong><br />
Staat nicht zu entscheiden hat, welche Drogen seine Bürger nutzen. Die<br />
Menschen müssen als mündige Bürger diese Entscheidung selbst fällen<br />
dürfen. Die Dauerrepression des Staates in Richtung selektiver<br />
Abstinenz muss durch ein System geregelter, kontrollierter Abgabe unter<br />
Maßgabe von Jugend- und Konsumentenschutz ersetzt werden.<br />
In <strong>der</strong> Wahrnehmung von Drogengebrauch beherrschen juristische,<br />
politische, medizinische und problemfixierte Sichtweisen die öffentliche<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung. Eine entscheidende Möglichkeit, offener und<br />
kompetenter an die Sache heranzugehen, sehe ich darin,<br />
Drogengebrauch wie<strong>der</strong> als ein kulturelles Phänomen ernst zu nehmen.<br />
Und damit sind wir bei <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> <strong>der</strong> Heinrich-Böll-Stiftung<br />
Thüringen „<strong>Drogenkultur</strong> – Kulturdrogen“.<br />
Der Gebrauch psychoaktiver Drogen durchzieht die gesamte Geschichte<br />
<strong>der</strong> Menschheit. Anwendung fanden sie vor allem innerhalb <strong>der</strong> Medizin,<br />
im religiösen Kontext und als Genussmittel. Welche Stellung und Rolle<br />
haben Drogen in Alltag, Religion und Ritus? Dabei war es geschichtlich<br />
und territorial unterschiedlich, wie <strong>der</strong> Umgang mit Rausch und<br />
Rauschmitteln konkret gestaltet wurde. Es wurden sehr differenzierte<br />
Verhaltensweisen, Regeln und Rituale entwickelt, um Drogen kulturell<br />
einbinden und somit potentielle Risiken und Gefahren reduzieren zu<br />
können. Eine solche kulturelle Integration führte dann zu einer<br />
Wechselwirkung zwischen Drogengebrauch und Kultur.<br />
Genau diesen kulturellen Aspekt, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> aktuellen Diskussion oft<br />
übersehen wird, wie<strong>der</strong> mehr in den Blick zu bringen und damit einen<br />
Beitrag zum besseren Verständnis für das Phänomen Drogen zu leisten,<br />
fühlt sich die <strong>Ausstellung</strong> verpflichtet.
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Die Wahrnehmung von Drogengebrauch als einen Faktor menschlicher<br />
Kultur hilft dabei auf 4 Ebenen:<br />
1. Wir können lernen, Drogengebrauch als Realität anzuerkennen<br />
und die Wirklichkeit so zu akzeptieren, wie sie ist. Das kann helfen,<br />
uns von <strong>der</strong> Illusion bzw. Ideologie einer rein abstinent orientierten<br />
Gesellschaft zu verabschieden. Das wie<strong>der</strong>um macht frei, unsere<br />
Energie darauf zu konzentrieren, vernünftige Formen<br />
schadensminimierenden Regulierung zu entwickeln.<br />
2. Wir können lernen, Drogengebrauch besser zu verstehen. Weshalb<br />
nehmen Menschen Drogen? Was erwarten sie davon, was nicht?<br />
Welche Funktion nehmen Drogen ein? Welche Rolle spielen<br />
Drogen im Leben Einzelner o<strong>der</strong> Gruppen? Entscheidend wird<br />
auch sein, dass wir in <strong>der</strong> Gesellschaft nicht über, son<strong>der</strong>n vor<br />
allem mit Drogengebraucher reden. Ein solcher Dialog kann nur<br />
dann gelingen, wenn die Kriminalisierung beendet wird.<br />
3. Ein besseres Verständnis für Drogengebrauch hilft, sachgerechter<br />
und gezielter mit dieser Wirklichkeit in unserer Gesellschaft<br />
umzugehen. Dann können wir auch neue Modelle finden, bei<br />
denen Drogengebrauch und Drogengebraucher sozial als auch<br />
kulturell integriert werden. Es können sich offen Formen des<br />
Gebrauchs entwickeln, die vorhandene Risiken minimieren. Und<br />
wenn Menschen mit sich und ihrem Drogengebrauch Probleme<br />
bekommen, dann erwartet sie keine Strafe, son<strong>der</strong>n Hilfe im<br />
geschützten Rahmen.<br />
4. Ohne Kenntnis <strong>der</strong> kulturellen Bedeutung von Drogengebrauch ist<br />
auch keine qualifizierte Prävention möglich. Wenn wir<br />
nachvollziehen können, was hinter Drogengebrauch steckt, was<br />
Menschen damit verbinden, was er ihnen bedeutet, erst dann<br />
können wir auch professionell und gezielt notwendige, sinnvolle<br />
Prävention gestalten.<br />
Die <strong>Ausstellung</strong> "DrogenKultur" bietet sachorientierte, anschauliche und<br />
differenzierte Informationen und öffnet die Möglichkeit, sich auf eine<br />
Weise diesem Thema zu nähern, die auch neue und kritische<br />
Sichtweisen zulässt.<br />
Das Begleitprojekt zur <strong>Ausstellung</strong> ist die CD-ROM „<strong>Drogenkultur</strong> –<br />
Kulturdrogen“. Sie ist durch verschiedene multimediale Elemente
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beson<strong>der</strong>s anschaulich gestaltet. Darauf zu finden sind Informationen<br />
u.a. zu den Themenbereichen Geschichte, Medizin, Religion, Literatur,<br />
Film, Musik, Kunst, Geographie o<strong>der</strong> Politik. <strong>Ausstellung</strong> und CD-rom<br />
sind über die Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen e.V. zu erhalten.<br />
Ich wünsche ihnen spannende Entdeckungen bei Besuch <strong>der</strong><br />
<strong>Ausstellung</strong> und gute Begegnung auf <strong>der</strong> heutigen Fachtagung, <strong>der</strong>en<br />
Motto ich vorbehaltlos unterstütze „Ohne Legalisierung geht es nicht“.<br />
Der Palette wünsche ich ein schönes Fest und noch viele aktive Jahre<br />
hier in Hamburg.<br />
Vielen Dank