Vollständiger Brief Reinhold Löfflers an seine ... - neheims-netz.de

auf den Boden zu flüchten, um zu hoffen, daß das Wasser nicht über das Dach
hinausstieg und das Haus nicht wegriß. Alles dieses geschah etwa in der Zeit von 1
Uhr nachts an. Als es heller wurden, sahen wir, daß eine ganze Menge Häuser
weggerissen waren. Gegen 5 Uhr hörte das Steigen des Wassers auf und da unser
Haus immer noch stand, hatten wir, die auf dem Boden waren, die Hoffnung,
davonzukommen. Das unser Haus nicht eingestürzt ist, haben wir dem Zustand zu
verdanken, dass vor dem Hause flußaufwärts das Schlachthofgebäude stand und die
anschwemmenden Barackenteile da festgehalten wurden und so den reißenden
Strom etwas abhielten. Ich selbst habe dann morgens gegen 9 Uhr schwimmend das
Haus verlassen, um mich erst einmal im Rathaus einzufinden und mich in die
Sofortmaßnahmen einzuschalten. Oma und die 4 Kinder, die am Leben geblieben
sind, wurden dann gegen Mittag herausgeholt.
Gegen 8 Uhr morgens war es möglich, wieder in die unteren Räume
einzudringen und ich habe dann zusammen mit einem Schlosser vom Schlachthof
Inge und Uwe geborgen.
Unsere Wohnungseinrichtung im Wert von etwa RM 20.000 ist restlos zerstört.
Wir haben kein Bett, keinen Stuhl, keinen Tisch mehr. Das Einzige, war wir zum Teil
gerettet haben, ist Kleidung.
Zur Zeit wohnen wir in 3 kleinen Zimmerchen in einer Gastwirtschaft. Ich hoffe,
in Kürze eine Notwohnung mit 4 Räumen zu beziehen, in der wir behelfsmäßig
wieder einen eigenen Haushalt aufstellen können. Das Schlimme ist, daß die Kinder
noch klein sind, der Säugling ja vollkommen hilflos ist und Oma gar nicht in der Lage
ist, einen mutterlosen Haushalt mit 4 Kindern vorzustehen. Ich selbst kann mich um
meine eigenen Sachen gar nicht kümmern, da ich mich hier für die Stadt einsetzen
muß. Ich weiß auch nicht, wie das alles werden wird. Wenn Maria dort wäre, hätte ich
sie gebeten, hierher zu kommen und das Heft in die Hand zu nehmen. Bisher hat mir
eine N.S. Schwester geholfen, aber auf die Dauer geht das natürlich nicht.
Bis jetzt sind geborgen allein aus Neheim-Hüsten 122 deutsche Tote und 566
Ausländer. 34 sind noch vermißt. Eine Reihe von Häusern sind völlig zerstört. Die
Fabrikbetriebe fallen in ihrer Produktion zur Zeit völlig aus. Wir hoffen diese aber bald
wieder, wenigstens teilweise in Gang zu bringen. 1000 Menschen sind vollkommen
obdachlos geworden. Rund 5000 Menschen sind infolge leichter oder schwerer
Beschädigung ihrer Wohnung beraubt. Die übelsten Folgen des Auslaufs des
Wassers der Talsperre ist, daß das Ruhrgebiet im Laufe des Sommers infolge der
eintretenden Wassernot zu einem erheblichen teil lahm gelegt wird.
Ich habe Dir eine ausführliche Schilderung gegeben. In der nächsten Zeit
werde ich nicht schreiben können, da ich bis über die Ohren in der Arbeit stecke.
Dir und Adolf beste Grüße