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Vollständiger Brief Reinhold Löfflers an seine ... - neheims-netz.de

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Abschrift<br />

Betr.: Erster privater Bericht <strong>de</strong>s Bürgermeisters <strong>Reinhold</strong> Löffler über die Möhne-<br />

Katastrophe am 17.05.1943 <strong>an</strong> <strong>seine</strong> Schwester Martha<br />

Neheim-Hüsten, <strong>de</strong>n 24. Mai 1943<br />

Liebe Martha!<br />

Lei<strong>de</strong>r ist es mir bisher nicht möglich gewesen, in Ergänzung meines<br />

Telegramms nähere Nachricht zu geben. Die Verwüstungen, die hier in <strong>de</strong>r Stadt<br />

<strong>an</strong>gerichtet sind, überhaupt die g<strong>an</strong>zen Umstän<strong>de</strong>, haben meine Anwesenheit im<br />

Rathaus in <strong>de</strong>r letzten Woche Tag und Nacht notwendig gemacht.<br />

Ich will heute g<strong>an</strong>z kurz eine Schil<strong>de</strong>rung davon geben.<br />

Neheim-Hüsten liegt <strong>an</strong> <strong>de</strong>r Ruhr und zwar <strong>an</strong> <strong>de</strong>r Stelle, wo die Abflüsse <strong>de</strong>r<br />

Möhnetalsperre und <strong>de</strong>r Sorpetalsperre in die Ruhr fließen. In <strong>de</strong>r Nacht zum 17. ds.<br />

Mts. erfolgte ein Angriff <strong>de</strong>r Englän<strong>de</strong>r auf diese Sperren mit <strong>de</strong>m Ziel, die<br />

Sperrmauern zu vernichten und dadurch<br />

1.) eine Überflutung zu verursachen,<br />

2.) die Wasserversorgung <strong>de</strong>s Ruhrgebietes lahm zu legen.<br />

Während dies bei <strong>de</strong>r Sorpetalsperre nicht geglückt ist, ist es <strong>de</strong>n feindlichen<br />

Fliegern gelungen, in die Sperrmauer <strong>de</strong>r Möhnetalsperre, die 140 Millionen Kbm.<br />

Wasser faßte, ein Loch einzubringen. Unser Wohnhaus liegt im Möhnetal, also <strong>an</strong><br />

<strong>de</strong>m Abfluß aus <strong>de</strong>r Möhne, und zwar in 15 km Entfernung etwa von <strong>de</strong>r Sperrmauer.<br />

Als mich als örtlicher Luftschutzleiter die Nachricht erreichte, dass die Sperrmauer<br />

getroffen ist, war es schon nicht mehr möglich, das Wohnhaus zu verlassen, da das<br />

Wasser bereits schon vor <strong>de</strong>r Tür st<strong>an</strong>d. Es gel<strong>an</strong>g uns noch, zusammen die Kin<strong>de</strong>r<br />

aus <strong>de</strong>m Keller zu bringen. Uwe wur<strong>de</strong> dabei zunächst in ein Zimmer in <strong>de</strong>r Parterre<br />

gelegt, in <strong>de</strong>m er sonst gewöhnlich schlief. Das Wasser stieg sehr schnell. Wir<br />

mussten die Kin<strong>de</strong>r weiter nach oben bringen und schließlich auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n. Bei<br />

<strong>de</strong>m Versuch, Uwe aus <strong>seine</strong>m Zimmer zu holen, ist Inge und Uwe umgekommen.<br />

Ich selbst ging mit Inge, nach<strong>de</strong>m die Kin<strong>de</strong>r nach oben geschafft waren, die Treppe<br />

hinunter. Inge wollte <strong>de</strong>n Jungen und ich <strong>de</strong>n Koffer mit Wertsachen holen. Im<br />

Augenblick als wir in <strong>de</strong>r Tür st<strong>an</strong><strong>de</strong>n, kam eine etwa 3 Meter hohe Wasserwelle<br />

<strong>an</strong>gestürzt, die die g<strong>an</strong>zen unteren Räume bis zur Decke überflutete. Ich versuchte<br />

Inge noch zu fassen. In <strong>de</strong>r Dunkelheit ist mir das nicht mehr gelungen. Auf meine<br />

Rufe hatte Inge auch nicht reagiert. Ich vermute, daß sie bei ihrem durch die Geburt<br />

geschwächten Zust<strong>an</strong>d durch die hereinstürzen<strong>de</strong>n kalten Wassermassen einem<br />

Herzschlag erlegen ist. Ich selbst wur<strong>de</strong> im Flur nach oben getrieben und konnte<br />

mich am Treppengelän<strong>de</strong>r rausarbeiten. Es blieb uns gar nichts <strong>an</strong><strong>de</strong>res übrig, als


auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n zu flüchten, um zu hoffen, daß das Wasser nicht über das Dach<br />

hinausstieg und das Haus nicht wegriß. Alles dieses geschah etwa in <strong>de</strong>r Zeit von 1<br />

Uhr nachts <strong>an</strong>. Als es heller wur<strong>de</strong>n, sahen wir, daß eine g<strong>an</strong>ze Menge Häuser<br />

weggerissen waren. Gegen 5 Uhr hörte das Steigen <strong>de</strong>s Wassers auf und da unser<br />

Haus immer noch st<strong>an</strong>d, hatten wir, die auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n waren, die Hoffnung,<br />

davonzukommen. Das unser Haus nicht eingestürzt ist, haben wir <strong>de</strong>m Zust<strong>an</strong>d zu<br />

verd<strong>an</strong>ken, dass vor <strong>de</strong>m Hause flußaufwärts das Schlachthofgebäu<strong>de</strong> st<strong>an</strong>d und die<br />

<strong>an</strong>schwemmen<strong>de</strong>n Barackenteile da festgehalten wur<strong>de</strong>n und so <strong>de</strong>n reißen<strong>de</strong>n<br />

Strom etwas abhielten. Ich selbst habe d<strong>an</strong>n morgens gegen 9 Uhr schwimmend das<br />

Haus verlassen, um mich erst einmal im Rathaus einzufin<strong>de</strong>n und mich in die<br />

Sofortmaßnahmen einzuschalten. Oma und die 4 Kin<strong>de</strong>r, die am Leben geblieben<br />

sind, wur<strong>de</strong>n d<strong>an</strong>n gegen Mittag herausgeholt.<br />

Gegen 8 Uhr morgens war es möglich, wie<strong>de</strong>r in die unteren Räume<br />

einzudringen und ich habe d<strong>an</strong>n zusammen mit einem Schlosser vom Schlachthof<br />

Inge und Uwe geborgen.<br />

Unsere Wohnungseinrichtung im Wert von etwa RM 20.000 ist restlos zerstört.<br />

Wir haben kein Bett, keinen Stuhl, keinen Tisch mehr. Das Einzige, war wir zum Teil<br />

gerettet haben, ist Kleidung.<br />

Zur Zeit wohnen wir in 3 kleinen Zimmerchen in einer Gastwirtschaft. Ich hoffe,<br />

in Kürze eine Notwohnung mit 4 Räumen zu beziehen, in <strong>de</strong>r wir behelfsmäßig<br />

wie<strong>de</strong>r einen eigenen Haushalt aufstellen können. Das Schlimme ist, daß die Kin<strong>de</strong>r<br />

noch klein sind, <strong>de</strong>r Säugling ja vollkommen hilflos ist und Oma gar nicht in <strong>de</strong>r Lage<br />

ist, einen mutterlosen Haushalt mit 4 Kin<strong>de</strong>rn vorzustehen. Ich selbst k<strong>an</strong>n mich um<br />

meine eigenen Sachen gar nicht kümmern, da ich mich hier für die Stadt einsetzen<br />

muß. Ich weiß auch nicht, wie das alles wer<strong>de</strong>n wird. Wenn Maria dort wäre, hätte ich<br />

sie gebeten, hierher zu kommen und das Heft in die H<strong>an</strong>d zu nehmen. Bisher hat mir<br />

eine N.S. Schwester geholfen, aber auf die Dauer geht das natürlich nicht.<br />

Bis jetzt sind geborgen allein aus Neheim-Hüsten 122 <strong>de</strong>utsche Tote und 566<br />

Auslän<strong>de</strong>r. 34 sind noch vermißt. Eine Reihe von Häusern sind völlig zerstört. Die<br />

Fabrikbetriebe fallen in ihrer Produktion zur Zeit völlig aus. Wir hoffen diese aber bald<br />

wie<strong>de</strong>r, wenigstens teilweise in G<strong>an</strong>g zu bringen. 1000 Menschen sind vollkommen<br />

obdachlos gewor<strong>de</strong>n. Rund 5000 Menschen sind infolge leichter o<strong>de</strong>r schwerer<br />

Beschädigung ihrer Wohnung beraubt. Die übelsten Folgen <strong>de</strong>s Auslaufs <strong>de</strong>s<br />

Wassers <strong>de</strong>r Talsperre ist, daß das Ruhrgebiet im Laufe <strong>de</strong>s Sommers infolge <strong>de</strong>r<br />

eintreten<strong>de</strong>n Wassernot zu einem erheblichen teil lahm gelegt wird.<br />

Ich habe Dir eine ausführliche Schil<strong>de</strong>rung gegeben. In <strong>de</strong>r nächsten Zeit<br />

wer<strong>de</strong> ich nicht schreiben können, da ich bis über die Ohren in <strong>de</strong>r Arbeit stecke.<br />

Dir und Adolf beste Grüße

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