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Rede von Botschafter McDonald im PDF-Format - neheims-netz.de

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Es gilt das gesprochene WortGe<strong>de</strong>nkre<strong>de</strong> zum 70. Jahrestag <strong>de</strong>r Möhnekatastrophe, 17.05.2013S.E. S<strong>im</strong>on <strong>McDonald</strong>Britischer <strong>Botschafter</strong> in DeutschlandSehr geehrter Herr Vogel,liebe Zeitzeugen, meine sehr geehrten Damen und Herren,Es ist nicht selbstverständlich, dass Sie <strong>de</strong>n britischen <strong>Botschafter</strong> einla<strong>de</strong>n, am Ort<strong>de</strong>r Möhnekatastrophe die zentrale Ge<strong>de</strong>nkre<strong>de</strong> zu sprechen. Ich möchte mich dafürbedanken. Es ist eine Ehre, hier zu sein.Wir erinnern an die schl<strong>im</strong>men Ereignisse vor genau siebzig Jahren. Wir ge<strong>de</strong>nken<strong>de</strong>r vielen Opfer <strong>de</strong>s Angriffs und <strong>de</strong>r Flutwelle. Dass wir das gemeinsam tun, zeigtdie Stärke <strong>de</strong>utsch-britischer Freundschaft und die Kraft <strong>de</strong>r Versöhnung.Die Möhnekatastrophe war das schl<strong>im</strong>mste Kriegsereignis <strong>im</strong> Sauerland.Ich kann mir nicht vorstellen, wie schl<strong>im</strong>m <strong>de</strong>r Anblick am 17. Mai 1943 gewesensein muss. Min<strong>de</strong>stens 1.500 Menschen starben in <strong>de</strong>r Flutwelle <strong>de</strong>r zerstörtenStaumauer. Unter <strong>de</strong>n Opfern waren mehrere Hun<strong>de</strong>rt Zwangsarbeiterinnen undKriegsgefangene in Nehe<strong>im</strong>; 53 britische Piloten kamen bei <strong>de</strong>m Einsatz ums Leben- mehr als ein Drittel <strong>de</strong>r gesamten britischen Fliegerstaffel.Die Überleben<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Sauerland und an<strong>de</strong>rswo hatten nicht nur Verwandte undFreun<strong>de</strong> verloren, son<strong>de</strong>rn auch ihre gewohnte Umgebung. Der Möhnedamm warschon nach fünf Monaten wie<strong>de</strong>r repariert – die Wun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Überleben<strong>de</strong>n gibt eswohl bis heute.Es ist klar, warum <strong>de</strong>r heutige Tag für Sie, liebe Zeitzeugen, ein beson<strong>de</strong>rer Tag ist.Die Nacht vor siebzig Jahren hat das Leben vieler verän<strong>de</strong>rt. Auch für alleNachkommen ist <strong>de</strong>r 17. Mai ein außergewöhnlicher Tag. Die Flutwelle hat dasSauerland verän<strong>de</strong>rt, nicht nur landschaftlich. Sie hat <strong>de</strong>shalb einen wichtigen Platz<strong>im</strong> Gedächtnis ihrer Region.Die Be<strong>de</strong>utung und die Erinnerung an die Ereignisse gehen aber weit über dasSauerland hinaus. In ganz Deutschland und Großbritannien ist dieMöhnekatastrophe Thema <strong>von</strong> Filmen, Dokumentationen, Museen undGe<strong>de</strong>nkfeiern.Beson<strong>de</strong>rs in meinem Land ist <strong>de</strong>r Angriff sehr berühmt. Die Piloten und ihreOperation sind unter <strong>de</strong>m Namen „Dambusters“ bekannt. 1955 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Angriffverfilmt: Bis heute ist „Dambusters“ einer <strong>de</strong>r bekanntesten Kriegsfilme inGroßbritannien.


Regelmäßig erinnern sowohl offizielle Stellen wie die Royal Air Force als auchprivate Initiativen an <strong>de</strong>n 16. und 17. Mai 1943. Während ich hier spreche, wird auchin Großbritannien <strong>de</strong>r 70. Jahrestag begangen. Die Grafschaft Lincolnshire <strong>im</strong> OstenEnglands ist die He<strong>im</strong>at <strong>de</strong>s Geschwa<strong>de</strong>rs 617, das damals <strong>de</strong>n Angriff flog. Dortgibt es – heute und je<strong>de</strong>s Jahr – Ge<strong>de</strong>nkveranstaltungen, Konzerte undGottesdienste.Auch dort wird an die Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Zivilbevölkerung und die Opfer <strong>de</strong>s Angriffserinnert. Auch dort wer<strong>de</strong>n Briten und <strong>de</strong>utsche Vertreter gemeinsam erinnern. Undin Deutschland gibt es heute nicht nur hier in Arnsberg <strong>de</strong>utsch-britisches Ge<strong>de</strong>nken:Der britische Luftwaffenattaché in Deutschland n<strong>im</strong>mt zum Beispiel an <strong>de</strong>rGe<strong>de</strong>nkveranstaltung am E<strong>de</strong>rsee teil.Meine Damen und Herren, warum spielt die Erinnerung an die Ereignisse nicht nur<strong>im</strong> Sauerland, son<strong>de</strong>rn auch in Großbritannien eine so große Rolle? Warum ziehtdieses Kriegsereignis so viele in <strong>de</strong>n Bann?Es gibt zwei Grün<strong>de</strong>.Der erste ist die hohe Zahl <strong>de</strong>r Opfer und die schl<strong>im</strong>me Verwüstung <strong>de</strong>r Region. DieZerstörungskraft <strong>de</strong>s Wassers ist für Menschen unhe<strong>im</strong>lich. Die Möhnestaumauerwar damals eine <strong>de</strong>r größten Staumauern Europas; sie war zum Zeitpunkt <strong>de</strong>sAngriffs voll gefüllt.Ihre Zerstörung und die Kraft <strong>de</strong>r Wassermassen erschien vielen unvorstellbar. Wieso vieles was während <strong>de</strong>r Nazi-Diktatur und <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg geschah! Derwestfälische Lan<strong>de</strong>shauptmann schrieb am 17. Mai in seinem offiziellen Bericht,dass die Zerstörung <strong>im</strong> Sauerland alle Vorstellungen übersteige.Die Flutwelle war bis zu fünfzehn Meter hoch. Innerhalb weniger Stun<strong>de</strong>nüberschwemmte sie das Tal <strong>de</strong>r Möhne und <strong>de</strong>ren Städte. Die Wassermassenzerstörten ganze Ortschaften, mehr als tausend Häuser, mehr als hun<strong>de</strong>rt Fabriken,einige Kraftwerke und sogar ein Kloster. Die Flut reichte bis Essen-Steele, fast 100Kilometer vom Damm entfernt.Viele Menschen wur<strong>de</strong>n in Luftschutzkellern <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Flut überrascht – sie hörten <strong>de</strong>nLuftalarm, erwarteten aber keine Flutwelle. Die osteuropäischenZwangsarbeiterinnen waren in ihrem Lager eingesperrt und konnten nicht fliehen.Obwohl Fachleute einen besseren Schutz gefor<strong>de</strong>rt hatten, gab es kein offiziellesWarnsystem; die Bevölkerung war auf eine Flutwelle unvorbereitet.Die Britischen Piloten, welche das überschwemmte Möhnetal sahen, waren vomAusmaß <strong>de</strong>r Zerstörung sehr ergriffen. Der Wie<strong>de</strong>raufbau <strong>de</strong>r Orte dauerte einelange Zeit. Bis in die 1950er Jahre waren einige Ackerflächen nicht nutzbar.2


Der zweite Grund für die große Beachtung <strong>de</strong>s Angriffs auch in Großbritannienbetrifft <strong>de</strong>ssen Bewertung. Ich will Ihnen <strong>de</strong>n damaligen britischen Standpunktschil<strong>de</strong>rn. Wir wissen, dass die Zerstörung furchtbar war. Heute ist dieBombardierung einer Staumauer aus gutem Grund verboten.Damals kämpfte mein Land aber gegen eine <strong>de</strong>r schl<strong>im</strong>msten Gewaltherrschaftenaller Zeiten. Für Großbritannien war es ein Kampf um Leben und Tod. Auch <strong>de</strong>shalbwar Großbritannien das einzige Land, das sich <strong>von</strong> Anfang bis En<strong>de</strong> Nazi-Deutschland entgegen gestellt hat. Deshalb hat Großbritannien alle möglichenRessourcen mobilisiert und alle <strong>de</strong>nkbaren Operationen durchgeführt – auch wennsie moralisch fragwürdig waren.Beson<strong>de</strong>rs <strong>im</strong> Jahr 1943 waren die Briten durch die <strong>de</strong>utschen Lufttangriffe schwer<strong>de</strong>moralisiert. Der Angriff auf die Staumauern sollte <strong>de</strong>r britischen Bevölkerungzeigen, dass Nazi-Deutschland besiegbar ist. In <strong>de</strong>r Tat machte die britischeRegierung und Armee <strong>de</strong>n Angriff zu einem großen Propagandaerfolg. Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rzerstörten Staumauer waren groß in britischen Tageszeitungen zu sehen. Flugblättermit Bil<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong>n über das besetzte Frankreich abgeworfen.Unabhängig <strong>von</strong> <strong>de</strong>r moralischen Bewertung sind in Großbritannien die technischenund militärischen Seiten <strong>de</strong>s Angriffs sehr berühmt. Britische Historiker <strong>de</strong>battieren<strong>de</strong>n strategischen Sinn <strong>de</strong>s Angriffs. Das eigentliche Ziel war die Rüstungsindustrie<strong>de</strong>s Ruhrgebiets. Die Royal Air Force wollte durch die Zerstörung <strong>de</strong>r Staumauern<strong>de</strong>ssen Infrastruktur und Wasser- und Energiezufuhr lahmlegen. Es gibtunterschiedliche Meinungen darüber, ob das letztlich gelungen ist. Der Möhnedammwar schon <strong>im</strong> Oktober 1943 wie<strong>de</strong>r aufgebaut; die <strong>de</strong>utsche Rüstungsindustrieerholte sich nach wenigen Monaten.Debatten über <strong>de</strong>n militärischen und taktischen Sinn <strong>de</strong>s Angriffs sind abernebensächlich. Wichtig ist das Ge<strong>de</strong>nken an die Opfer, an persönliche Schicksaleund Lebenswege – egal welcher Nationalität. Wir erinnern heute gemeinsam an dieEintausend-Fünfhun<strong>de</strong>rt Opfer vor siebzig Jahren: Deutsche, Briten, Polen, Ukrainerund Russen. Sie alle sind sinnlose Opfer eines furchtbaren Krieges. Wir erinnerngemeinsam an das zerstörte Leben aller Betroffener.Großbritannien und Deutschland erinnern heute gemeinsam - aber das heisst nicht,dass wir die gleichen Erinnerungen haben. Je<strong>de</strong>r Mensch und je<strong>de</strong> Gemeinschafthat natürlich an<strong>de</strong>re Erfahrungen gemacht. Wir haben <strong>de</strong>shalb heuteunterschiedliche Erinnerungskulturen und Erzählungen. Sie alle verdienen es,erzählt zu wer<strong>de</strong>n.Es ist einer <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>, warum ich heute nach Arnsberg kommen wollte: die an<strong>de</strong>reSeite zu sehen und Ihre Sichtweise und Erinnerungskultur kennen zu lernen.3


Für die Menschen <strong>im</strong> Sauerland war natürlich die Möhnekatastrophe das schl<strong>im</strong>msteKriegsereignis: Sie <strong>de</strong>nken an die vielen Opfer und an die Zerstörung Ihrer He<strong>im</strong>at.In Großbritannien <strong>de</strong>nken wir an die Opfer unter <strong>de</strong>n Piloten <strong>de</strong>r Royal Air Force. DieNachkommen <strong>de</strong>r Zwangsarbeiter <strong>de</strong>nken an das Leid ihrer Vorfahren. Wir alle tundies, ohne das Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren zu bestreiten.Wir können unsere unterschiedliche Erinnerungen akzeptieren, weil wir uns einigsind, dass dies <strong>de</strong>r furchtbarste Krieg aller Zeit war. Wir haben gemeinsam dierichtigen Lehren daraus gezogen und ein friedliches und freies Europa geschaffen.Wir haben die <strong>de</strong>utsch-britischen Beziehungen wie<strong>de</strong>rbelebt und leben die Kraft <strong>de</strong>rVersöhnung.Als britischer <strong>Botschafter</strong> erlebe ich heute je<strong>de</strong>n Tag, wie intensiv und hervorragenddie <strong>de</strong>utsch-britischen Beziehungen sind. Wie sie <strong>von</strong> Menschen in bei<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rngepflegt wer<strong>de</strong>n.Ich meine nicht nur die politische, son<strong>de</strong>rn gera<strong>de</strong> auch die gesellschaftliche Ebene.Denn es sind oft nicht die großen, son<strong>de</strong>rn die – scheinbar – kleinen Begegungen,die das ver<strong>de</strong>utlichen:Zum Beispiel Ihre He<strong>im</strong>atvereine in Arnsberg, Nehe<strong>im</strong> und H<strong>im</strong>melpforten. Es hatmich gefreut zu hören, wie Sie sich für die <strong>de</strong>utsch-britischen Verständigungeinsetzen und gute und regelmäßige Kontakte nach Großbritannien pflegen.Zum Beispiel die Ge<strong>de</strong>nktafel bei Sieveringen, die an einen abgestürzten britischenBomber erinnert. O<strong>de</strong>r das He<strong>im</strong>atmuseum in Nie<strong>de</strong>rense, das auch <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>rbritische Gruppen besuchen. Es hat mich auch begeistert zu hören, dass Sie inArnsberg vor einigen Jahren <strong>de</strong>n britischen Piloten Lawrence Goodman empfangenhaben, <strong>de</strong>r 1945 be<strong>im</strong> Angriff auf das Arnsberger Viadukt beteiligt war.O<strong>de</strong>r 2010, als sie eine britische Delegation empfangen und gemeinsam auf <strong>de</strong>mFriedhof in Nehe<strong>im</strong> Kränze nie<strong>de</strong>rgelegt haben. Teilgenommen hat damals auchJane <strong>de</strong> Gaynesdorf, die Cousine <strong>von</strong> Comman<strong>de</strong>r Guy Gibson, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Angriffdamals befehligt hat.Es sind solche Beispiele, die die <strong>de</strong>utsch-britische Freundschaft zeigen.Wir können unsere verschie<strong>de</strong>nen Erinnerungskulturen auch akzeptieren, weil wirzum gleichen Ergebnis kommen: Die Geschehnisse <strong>von</strong> vor siebzig Jahren dürfensich nicht wie<strong>de</strong>rholen. Deswegen müssen wir an sie erinnern – gemeinsam. So wieheute.Vielen Dank.4

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