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Prof. Dr. Einhard Schmidt-Kallert<br />

FLUGHÄFEN ZWISCHEN MYTHOS UND WIRKLICHKEIT<br />

überwältigenden Anblick startender und landender Maschinen,<br />

den ohrenbetäubenden Lärm ganz nah an unserem Tisch,<br />

die winkenden Fluggäste hinter den Scheiben. Und auf den<br />

Heckflossen der Propellermaschinen prangten die Namen<br />

ausländischer Gesellschaften, die heute fast vergessen sind:<br />

PanAm, Sabena, Swissair. Renate belehrte uns Jüngere<br />

fachmännisch, die PanAm-Maschine sei sicher auf dem Weg<br />

nach New York. Leider ein Irrtum, wie ich am nächsten Schultag<br />

feststellen musste. Andere Kinder waren längst vorher mit<br />

ihren Eltern im Flughafencafé gewesen. Mein Banknachbar<br />

Joachim Schulte zerstörte meine schönste Illusion, er wusste<br />

es besser. Ach, nur eine zweimotorige Maschine? Die fliegt<br />

doch nur nach Berlin. Er konnte auch gleich auftrumpfen,<br />

Wochen vorher hatte er schon eine richtige viermotorige Super<br />

Constallation in Lohhausen gesehen. Wahrscheinlich wirklich<br />

auf dem Weg nach Amerika!<br />

↙ Mythos Flughafen: Davon blieb nicht viel in meinem weiteren<br />

Leben. Mein Beruf brachte es mit sich, dass ich immer<br />

mehr Flugreisen unternahm, auf entfernte Kontinente und in<br />

entlegene Winkel der Welt. Dabei hätte ich mich so gerne an<br />

den Rat des Reiseschriftstellers Paul Theroux gehalten:<br />

„Wenn du etwas von einer Reise erzählen willst, stay on the<br />

ground, steig in kein Flugzeug!“ Flughäfen sind schon lange<br />

notwendige Durchgangsstationen für mich, Orte, die einem<br />

mit langwierigen Kontrollen und unnützen Warenangeboten<br />

die Zeit stehlen. In einer Zeit, in der an kaum einem Flughafen<br />

der Welt noch das fahrbare Treppchen ans soeben gelandete<br />

Flugzeug geschoben wird - immer ein Augenblick der Spannung,<br />

der letzte Moment vor dem Wiederbetreten der festen<br />

Erde unter den Füßen - in einer Zeit, in der die Flughafengebäude<br />

über Schläuche mit den Flugzeugen verbunden sind,<br />

durch die die Passagiere ins Innere drängen, was bleibt da<br />

noch vom Mythos?<br />

↙ Aber Theroux hat nicht unbedingt Recht. Ich war mit meinem<br />

ghanaischen Kollegen Richard Adimako auf dem Weg<br />

nach Accra. Kurz vor dem Ziel stand uns noch eine Zwischenlandung<br />

in Lagos mit zwei Stunden unnützem Aufenthalt in<br />

Lagos bevor. Die Lufthansa Stewardess lädt uns mit säuselnder<br />

Stimme in die Lufthansa-Lounge ein. Richard schüttelt<br />

den Kopf: Komm lass uns hier im Transitbereich bleiben, das<br />

ist viel interessanter. Wir setzen uns am Rand der Halle auf<br />

eine dieser unbequemen Bänke aus Drahtgitter und haben<br />

einen wunderbaren Überblick auf die Gruppen von Wartenden,<br />

die Menschen, die immer wieder auf die Monitore schauen, ob<br />

ihr Gate nun geöffnet sei, die Nervösen, die auf und ab gehen,<br />

die VIP-Delegationen, die eskortiert von Flughafenpersonal<br />

gemessenen Schrittes an allen vorbei zu ihrem Flieger geleitet<br />

werden. Da ist die Delegation eines nigerianischen Staatsekretärs,<br />

alle in dunkeln Anzügen mit Einstecktüchern. Im Abstand<br />

dahinter erkenne ich im offenen Polohemd den abgehalfterten<br />

Minister, der eben noch im Flugzeug neben mir<br />

gesessen hatte, die Delegation ist auf dem Weg zum World<br />

Economic Forum, er ist auf dem Weg zum World Social Forum,<br />

und hatte mir vorhin die Details der mafiösen Netzwerke<br />

zwischen korrupten Politikern seines Landes mit der Erdölindustrie<br />

auseinander gelegt. Afrikatouristen auf dem Heimweg,<br />

zwischengelandet wie wir, braungebrannt, einige haben meterhohe<br />

Holzschnitzereien, grob mit Zeitungspapier umwickelt,<br />

im Handgepäck. Und nahe dem Gate, an dem der Flug nach<br />

Hongkong angekündigt ist, sitzt eine Gruppe gutgenährter<br />

Frauen mittleren Alters. Sie tragen bunte Kleider aus Batikstoffen,<br />

die ihre Rundungen mehr betonen als verstecken. Als<br />

wären sie Händlerinnen auf einem der wuseligen Märkte<br />

irgendwo in Westafrika. „Sieh sie Dir genau an“, sagt Richard,<br />

und mir fällt der üppige Goldschmuck auf, den die Frauen an<br />

ihren Armen tragen: „Das sind die Market-Mummies, die Market<br />

Queens, die ganz erfolgreichen, die haben mehrere Lastwagen<br />

in Westafrika laufen.“ Jetzt sind sie unterwegs auf Einkaufstour<br />

nach Hongkong. Ich nähere mich der Gruppe, die<br />

Frauen halten Erster-Klasse-Bordpässe in der Hand. Wieder<br />

kommt die Lufthansa-Stewardess: Ob wir wirklich keinen<br />

Kaffe in der Lounge möchten? Nein wirklich nicht. Was sind<br />

schon die Polster in der Lounge gegen das abwechslungsreiche<br />

Schauspiel in der Transit-Halle als Bühne?<br />

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