Was ist der Mensch, dass Du, Gott, an ihn denkst ... - EMK Winterthur
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<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, <strong>dass</strong> <strong>Du</strong>, <strong>Gott</strong>, <strong>an</strong> <strong>ihn</strong> <strong>denkst</strong> – Psalm 8,4-10<br />
„Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet<br />
hast: was <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, <strong>dass</strong> du seiner ge<strong>denkst</strong>, und des <strong>Mensch</strong>en Kind, <strong>dass</strong> du dich<br />
seiner <strong>an</strong>nimmst“ – M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n die Frage: „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>“ g<strong>an</strong>z neutral stellen, g<strong>an</strong>z<br />
sachlich, so, als habe m<strong>an</strong> da eine Mikrobe unter dem Mikroskop vor sich. Klein genug <strong>ist</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Mensch</strong> ja, je nach dem, womit m<strong>an</strong> <strong>ihn</strong> vergleicht. Aber in Psalm 8 <strong>ist</strong> die Frage nicht neutral<br />
und sachlich gestellt, von einer Fachperson etwa im weissen Kittel, die sich ein Objekt<br />
<strong>an</strong>schaut, von dem sie sich d<strong>ist</strong><strong>an</strong>zieren könnte. Psalm 8 <strong>ist</strong> ein Gebet. Ein <strong>Mensch</strong> redet mit<br />
<strong>Gott</strong>, spricht zu <strong>Gott</strong>. Und das, worüber er spricht, <strong>ist</strong> er selbst, als ein Exemplar dieser<br />
beson<strong>der</strong>en Gattung „<strong>Mensch</strong>“. Als <strong>Mensch</strong> sieht er sich mitten in einem grösseren<br />
Zusammenh<strong>an</strong>g. Da oben <strong>ist</strong> <strong>der</strong> Himmel, auch dieser nicht durch ein Teleskop betrachtet,<br />
son<strong>der</strong>n vom tiefen Staunen des Gebets durchdrungen. „Wenn ich sehe die Himmel, deiner<br />
Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast“ – diese Räume und<br />
Himmelskörper, die so weit weg sind von dem Tagesgeschehen, in dem sich menschliches<br />
Leben aufreibt! Diese stummen Zeugen einer weitreichenden Schöpfertätigkeit, vor denen<br />
sich <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> so winzig vorkommen muss: sie machen es nur umso deutlicher, worüber ein<br />
<strong>Mensch</strong>, <strong>der</strong> zu <strong>Gott</strong> betet, ins Staunen gerät: „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> denn da <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, <strong>dass</strong> du, <strong>Gott</strong>, <strong>an</strong><br />
<strong>ihn</strong> <strong>denkst</strong> <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> denn da <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, <strong>dass</strong> du, <strong>Gott</strong>, gerade mit ihm etwas <strong>an</strong>fängst <strong>Was</strong><br />
<strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, dieser Winzling, <strong>dass</strong> du <strong>ihn</strong> dir so ähnlich gemacht hast, <strong>dass</strong> du <strong>ihn</strong> in deine<br />
Nähe hineingeholt hast, so sehr, <strong>dass</strong> er dieser Nähe nirgends wird entgehen können – ob er<br />
nun gläubig <strong>ist</strong> o<strong>der</strong> nicht, religiös o<strong>der</strong> athe<strong>ist</strong>isch – als <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong> er und bleibt er dein<br />
beson<strong>der</strong>es Geschöpf, eingebettet in die unermesslichen Räume und Zeiten <strong>der</strong> Schöpfung,<br />
und doch das einzige, was so sehr aus dem Rahmen fallen k<strong>an</strong>n, <strong>dass</strong> er deine g<strong>an</strong>ze kostbare<br />
Schöpfung in den Abgrund zu reissen vermag.<br />
In einem Naturkundemuseum, von dem später noch die Rede sein wird, las ich in englischer<br />
Sprache einen Satz, <strong>der</strong> auch in deutscher Übersetzung unter die Haut geht: „Unser Pl<strong>an</strong>et, die<br />
Erde, wurde fünfmal von einem Massensterben betroffen. Heute, so behaupten einige<br />
Wissenschaftler, befinden wir uns mitten im 6. Massensterben. Auslöser und Schlüsselfigur<br />
<strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>.“<br />
„<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, <strong>dass</strong> du, <strong>Gott</strong>, <strong>an</strong> <strong>ihn</strong> <strong>denkst</strong>“ Wie weit entfernt sind wir heute vom<br />
jubelnden Staunen des Psalmbeters Können wir uns diesen Anf<strong>an</strong>g überhaupt noch<br />
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vorstellen, diesen Anf<strong>an</strong>g, <strong>an</strong> dem das Staunen steht Vielleicht ja, in einer Nacht im August<br />
zum Beispiel, wenn wir zum Himmel aufsehen und uns in unserer nüchternen Aufgeklärtheit<br />
ein wenig verunsichern lassen. Weil es Sternschnuppen regnet und <strong>der</strong> Mond sein silbernes<br />
Licht eindringlich durch die Wolken sendet. Und weil wir diese Sprache immer noch<br />
verstehen als Hinweise auf die Ewigkeit, die den <strong>Mensch</strong>en umgibt. Auf die Zeit, die in <strong>Gott</strong><br />
ihren Ursprung hat und die so <strong>an</strong><strong>der</strong>s <strong>ist</strong>, als die rasch verfliegende Zeit eines<br />
<strong>Mensch</strong>enlebens. Vor 50 Jahren wurde die Mauer gebaut und sie schien unüberwindbar, und<br />
nun, was sind die 50 Jahre, was war die Mauer schon! Hier und da können auch wir noch<br />
staunen wie <strong>der</strong> Beter von Psalm 8. Nicht nur über die un<strong>an</strong>tastbare Schönheit einer dem<br />
<strong>Mensch</strong>en so fernen Natur. Vielmehr auch darüber, selbst etwas zu sein. Würden wir uns von<br />
himmlischer Höhe her betrachten, so wie wir von einer B<strong>an</strong>k im Wald nach oben zum Mond<br />
schauen, würden die sieben Millionen <strong>Mensch</strong>en unseres Pl<strong>an</strong>eten nicht die Grösse eines<br />
Ameisenhaufens erreichen. Und je<strong>der</strong> einzelne von uns, mit unseren Namen und unseren<br />
Lebensläufen, wäre im Nichts verschwunden. Niem<strong>an</strong>d von uns wäre aus <strong>der</strong> Höhe des<br />
Mondes gesehen, auch nur eine Notiz wert im kosmologischen Aktenordner, gebe es denn<br />
einen solchen. Aber nein – nicht Bedeutungslosigkeit <strong>ist</strong> es, was <strong>der</strong> Psalmbeter entdeckt. Im<br />
Gegenteil: von allen Geschöpfen, die es gibt, und je gegeben hat, <strong>ist</strong> es <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, den <strong>Gott</strong><br />
sich aussuchte. Mit dem <strong>Mensch</strong>en fängt <strong>Gott</strong> eine Geschichte <strong>an</strong>. Den <strong>Mensch</strong>en hat <strong>Gott</strong> im<br />
Auge. <strong>Du</strong>rch alle Zeiten und Räume hindurch gleitet <strong>Gott</strong>es Blick und bleibt ausgerechnet am<br />
<strong>Mensch</strong>en hängen. Ihn hat er in seine Ged<strong>an</strong>ken geschrieben und <strong>ihn</strong> sucht er heim. Von allen<br />
Geschöpfen des Himmels und <strong>der</strong> Erde nun wirklich und ausgerechnet <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>! Staunen<br />
und Schau<strong>der</strong>n liegen nahe beiein<strong>an</strong><strong>der</strong> – denn was soll das werden, diese Geschichte <strong>Gott</strong>es,<br />
des Schöpfers von allem, mit dem <strong>Mensch</strong>en, den er heimsucht<br />
In unseren Ferien in Südafrika haben wir in <strong>der</strong> Nähe von Joh<strong>an</strong>nesburg ein Museum besucht,<br />
das sich „Cradle of Hum<strong>an</strong>kind“ nennt. Die Wiege <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>heit. Dort wurde vor einigen<br />
Jahren ein fast vollständiges menschliches Skelett gefunden. Forscher behaupten, es h<strong>an</strong>dle<br />
sich um eines <strong>der</strong> ältesten Skelettfunde, die je gemacht wurden. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n sogar die Grotte<br />
besichtigen, in die es unseren frühmenschlichen Vorfahren verschlagen hatte und aus <strong>der</strong> er<br />
sich nicht mehr befreien konnte. Das Museum bietet Kin<strong>der</strong>n und Erwachsenen ausserdem<br />
eine eindrückliche Reise durch die Zeit, weit über die Anfänge <strong>der</strong> menschlichen Kultur<br />
hinaus. <strong>Was</strong> mich auf dieser Reise am me<strong>ist</strong>en beeindruckte – wie kurz die Zeitsp<strong>an</strong>ne <strong>der</strong><br />
menschlichen Geschichte <strong>ist</strong> im Vergleich mit <strong>der</strong> Naturgeschichte insgesamt. Wie l<strong>an</strong>ge es<br />
doch Sonne, Mond und Sterne bereits gegeben hat, bevor auch nur die ersten <strong>Mensch</strong>en<br />
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entst<strong>an</strong>den sind. Und wie viel Zeit sie brauchten, bis mit <strong>der</strong> Erfindung des Ackerbaus, <strong>der</strong><br />
Viehzucht und <strong>der</strong> Schrift das beg<strong>an</strong>n, was wir Geschichte nennen. Und da war es wie<strong>der</strong>,<br />
dieses biblische Staunen: denn wie kurz sei auch sein mag, diese Zeit <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>heit, es <strong>ist</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, dem sich <strong>Gott</strong> öffnet, es <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, dessen Wegbegleiter <strong>Gott</strong> wird, von<br />
Noahs Zeiten <strong>an</strong> in einer Weise, die immer wie<strong>der</strong> und trotz allem das Heil des <strong>Mensch</strong>en<br />
will. Das Heil, nicht seinen Unterg<strong>an</strong>g. Das Leben, nicht seinen Tod.<br />
Wir haben in Südafrika noch einige beson<strong>der</strong>e Orte besichtigt. Den Krüger-Nationalpark, wo<br />
wir Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten konnten, die m<strong>an</strong> sonst allenfalls im<br />
Zoo sieht. Ein Reptilienpark, wo uns ein junger M<strong>an</strong>n, <strong>der</strong> sich als Chr<strong>ist</strong> bek<strong>an</strong>nte, mit<br />
Leidenschaft die Angst vor Schl<strong>an</strong>gen auszureden versuchte. Denn auch Schl<strong>an</strong>gen seien ja<br />
<strong>Gott</strong>es Geschöpfe! In einem <strong>an</strong><strong>der</strong>en Park ging es um Schimp<strong>an</strong>sen, <strong>an</strong><strong>der</strong>swo um Elef<strong>an</strong>ten,<br />
und am indischen Oze<strong>an</strong> hatte m<strong>an</strong> eine Unterwasserwelt errichtet, wo wir Delphine, Haie,<br />
Pinguine und unzählige abson<strong>der</strong>liche Meeresbewohner bestaunen konnten. Aber eines hatten<br />
sie alle gemeinsam, diese naturkundlichen Einrichtungen. Eindringlich richteten sie ihre<br />
Botschaft <strong>an</strong> die menschlichen Besucher: Diese Welt <strong>ist</strong> so wun<strong>der</strong>bar, so einzigartig, so<br />
vielfältig. Und doch geht sie kaputt. So vieles <strong>ist</strong> bereits durch menschliche Übergriffe<br />
beschädigt worden und gar unwie<strong>der</strong>bringlich verschwunden. Sorgt euch darum! Lasst es<br />
euch etwas kosten! Ihr habt es in <strong>der</strong> H<strong>an</strong>d!<br />
„<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, <strong>dass</strong> du <strong>an</strong> <strong>ihn</strong> <strong>denkst</strong>, und des <strong>Mensch</strong>en Kind, <strong>dass</strong> du dich seiner<br />
<strong>an</strong>nimmst <strong>Du</strong> hast <strong>ihn</strong> ein wenig niedriger gemacht als die himmlischen Wesen, mit Ehre<br />
und Herrlichkeit hast du <strong>ihn</strong> gekrönt. <strong>Du</strong> hast <strong>ihn</strong> zum Herrn gemacht über deiner Hände<br />
Werk, alles hast du unter seine Füsse get<strong>an</strong>: Schafe und Rin<strong>der</strong> allzumal, dazu auch die<br />
wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere<br />
durchzieht. Herr, unser Herrscher, wie herrlich <strong>ist</strong> dein Name in allen L<strong>an</strong>den!“<br />
Es gehört zu unserer Herrlichkeit, vieles in <strong>der</strong> H<strong>an</strong>d zu haben. <strong>Gott</strong>, <strong>der</strong> Schöpfer des<br />
Himmels und <strong>der</strong> Erde, lässt uns teilhaben <strong>an</strong> seinem Werk, indem er es uns in die Hände legt.<br />
Über Tod und Leben, über Zukunft und Unterg<strong>an</strong>g haben wir mehr Wahl und Freiheit, als wir<br />
oft glauben. Nicht nur über den eigenen Tod und das eigene Leben, auch über Tod und Leben<br />
unserer Mitgeschöpfe. Wir sind nicht bloss Rädchen im Getriebe einer Weltmaschinerie, über<br />
die wir längst den Überblick verloren haben. Es geht nicht bloss um Wirtschaftskrisen und<br />
Währungen, <strong>der</strong>en Verfall uns Angst macht, uns engstirnig und engherzig werden lässt. Es<br />
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gibt einen Himmel, <strong>der</strong> heute nicht <strong>an</strong><strong>der</strong>s <strong>ist</strong> als vor tausend Jahren, und es gibt eine Erde, die<br />
<strong>Gott</strong> den <strong>Mensch</strong>en unter die Füsse get<strong>an</strong> hat, wie es im Psalm 8 heisst. Nicht damit wir sie<br />
zertrampeln mit ökologischen Fussabdrücken, um <strong>der</strong>en Grösse wir uns nicht scheren.<br />
Son<strong>der</strong>n damit wir für uns selbst und für die Mitgeschöpfe um uns herum das Blatt noch<br />
einmal wenden können.<br />
<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, <strong>dass</strong> du <strong>Gott</strong>, ausgerechnet <strong>ihn</strong> meinst Mit dem <strong>Mensch</strong>en hat <strong>Gott</strong> eine<br />
Bresche <strong>der</strong> Freiheit in den schicksalhaften Zusammenh<strong>an</strong>g <strong>der</strong> Natur geschlagen. Der<br />
<strong>Mensch</strong> muss nicht das sein, worauf <strong>ihn</strong> Markt<strong>an</strong>alysen und düstere Zukunftsprognosen<br />
festlegen wollen. Und <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong> auch nicht das, was die Hirnforschung aus seiner Seele<br />
gemacht hat. <strong>Gott</strong> wohnt nicht in einem bestimmten Areal unseres Gehirns und wer <strong>der</strong><br />
<strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong> und einmal sein wird, hängt nicht von seinen Genen ab. Der <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong> eine<br />
offene Frage, auf die allein <strong>Gott</strong> eine Antwort geben k<strong>an</strong>n. <strong>Gott</strong> hat seine Antwort gegeben. In<br />
Jesus Chr<strong>ist</strong>us. In ihm <strong>ist</strong> <strong>Gott</strong> <strong>Mensch</strong> geworden. So hoch, so tief, so weit reicht die<br />
Herrlichkeit des <strong>Mensch</strong>en.<br />
<strong>Was</strong> soll ich jetzt damit <strong>an</strong>stellen, meine liebe Gemeinde Werden wir Psalm 8 <strong>an</strong><strong>der</strong>s beten,<br />
<strong>an</strong><strong>der</strong>s mitsprechen, wenn wir Jesus Chr<strong>ist</strong>us als den bekennen, in dem <strong>Gott</strong> <strong>Mensch</strong><br />
geworden <strong>ist</strong> „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, <strong>dass</strong> du, <strong>Gott</strong>, <strong>an</strong> <strong>ihn</strong> <strong>denkst</strong>, und was <strong>ist</strong> des <strong>Mensch</strong>en<br />
Kind, das du dich seiner <strong>an</strong>nimmst“ Wenn wir von Jesus her kommen, von diesem<br />
<strong>Mensch</strong>en, wenn wir von ihm her kommen und in die Welt blicken, muss sich nicht das<br />
Gesicht eines jeden <strong>Mensch</strong>en in unseren Augen verän<strong>der</strong>n K<strong>an</strong>n <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> d<strong>an</strong>n je <strong>an</strong><br />
einer <strong>an</strong><strong>der</strong>en Herrlichkeit teilhaben als <strong>an</strong> <strong>der</strong>, die in Chr<strong>ist</strong>us aufgeschienen <strong>ist</strong> und immer<br />
noch aufscheint wie das Licht des Mondes, das die Wolkenw<strong>an</strong>d durchdringt<br />
Wir können heute viel über den <strong>Mensch</strong>en wissen. Viele Wissenslücken haben sich bereits<br />
geschlossen. An<strong>der</strong>e werden sich schliessen. So offen scheint die Frage, „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Mensch</strong>“, gar nicht mehr zu sein. Wir wissen, wie abhängig <strong>Mensch</strong>en sind: von ihrem<br />
Genmaterial und ihrer sozialen Umwelt. Wir wissen, wie m<strong>an</strong>ipulierbar <strong>Mensch</strong>en sind, von<br />
Jugend auf dem Rhythmus ideologischer Schlagwörter ausgesetzt. Wir wissen, was wo in<br />
unserem Gehirn geschieht, wenn wir etwas erleben, wenn wir denken, wenn wir fühlen, wenn<br />
wir unter Stress stehen, wenn wir träumen, ja, sogar wenn wir beten. Wir wissen auch, wie<br />
kurzsichtig <strong>Mensch</strong>en sind, wie wenig sie in ihren Entscheidungen vorausschauen und wie<br />
wenig sie sich von Problemen berühren lassen, die nicht ihre eigenen sind. <strong>Was</strong> wir über den<br />
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<strong>Mensch</strong>en wissen, wirft nicht immer ein günstiges Licht auf den <strong>Mensch</strong>en. <strong>Was</strong> wir über den<br />
<strong>Mensch</strong>en wissen, könnte uns einreden, <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> sei in Wirklichkeit unfrei. Eine beson<strong>der</strong>s<br />
pik<strong>an</strong>te Zusammensetzung in einem Cocktail, das die Natur hervorgebracht hat. Mit vielen<br />
Möglichkeiten begabt, aber letztlich – wenn m<strong>an</strong> über genügend Daten verfügt – restlos<br />
berechenbar und darin dem Unterg<strong>an</strong>g geweiht.<br />
Hätte <strong>der</strong> Psalmbeter im Blick, was wir heute wissen, würde ihm das Staunen vielleicht im<br />
Halse stecken bleiben. Vielleicht würde er noch mit einem Kopfschütteln sagen, bevor er g<strong>an</strong>z<br />
verstummt: „<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, <strong>dass</strong> du, <strong>Gott</strong>, noch <strong>an</strong> <strong>ihn</strong> <strong>denkst</strong>, und des <strong>Mensch</strong>enkind,<br />
<strong>dass</strong> du dich überhaupt noch darum kümmerst“<br />
Doch das <strong>ist</strong> es ja nicht, was <strong>der</strong> Psalmbeter vor Augen hat. Er spricht nicht von irgendeinem<br />
beson<strong>der</strong>en Vorzug des <strong>Mensch</strong>en, von dem wir heute nicht mehr so recht zu reden wagen,<br />
weil wir zu viel <strong>an</strong><strong>der</strong>es wissen. Weil Seele, Vernunft und Willensfreiheit unsere<br />
<strong>Mensch</strong>lichkeit nicht mehr gar<strong>an</strong>tieren können. Den Psalmbeter kümmern Seele, Vernunft<br />
und Willensfreiheit nicht. Der einzige Vorzug des <strong>Mensch</strong>en, von dem er ausdrücklich<br />
spricht, <strong>ist</strong> verblüffend. „Aus dem Munde <strong>der</strong> Säuglinge und Kin<strong>der</strong> hast du eine Festung<br />
gegen deine Feinde aufgerichtet.“ Das Beste am <strong>Mensch</strong>en <strong>ist</strong> noch das Jubelgeschrei <strong>der</strong><br />
g<strong>an</strong>z Kleinen. Die gestammelten Worte <strong>der</strong> Schutzlosen haben etwas Unverwundbares. Keine<br />
Macht <strong>der</strong> Welt kommt <strong>an</strong> sie her<strong>an</strong>. Aber ausserhalb dieses kindlichen Gestammels lässt sich<br />
die Herrlichkeit, die <strong>Gott</strong> mit dem <strong>Mensch</strong>en teilt, nirgends verorten. <strong>Was</strong> für eine Kränkung<br />
all jener, die erst den erwachsenen, denkenden, mündigen <strong>Mensch</strong>en für etwas Beson<strong>der</strong>es<br />
halten! Wie wenig kümmert sich <strong>der</strong> Psalmbeter um die Vorzüge, die dem <strong>Mensch</strong>en im<br />
Unterschied zu allen <strong>an</strong><strong>der</strong>en Geschöpfen zugeschrieben wurden. Es <strong>ist</strong> nicht die Seele, die<br />
m<strong>an</strong> dem verachteten Körper entgegensetzte und für die heutige Wissenschaft keinen Ort<br />
mehr findet. Es <strong>ist</strong> nicht <strong>der</strong> Verst<strong>an</strong>d, den m<strong>an</strong> früher den Gefühlen überordnete, wie m<strong>an</strong> das<br />
Männliche dem Weiblichen vor<strong>an</strong>stellte. Es <strong>ist</strong> nicht mehr <strong>der</strong> grosse Abst<strong>an</strong>d zu allem<br />
Animalischen, wor<strong>an</strong> sich die Würde des <strong>Mensch</strong>en ablesen lässt. Und ob es noch l<strong>an</strong>ge die<br />
Sprache sein wird, worin <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> seine <strong>Gott</strong>ebenbildlichkeit findet, <strong>ist</strong> auch fraglich. <strong>Was</strong><br />
<strong>ist</strong> es aber d<strong>an</strong>n, was uns <strong>Mensch</strong>en <strong>Gott</strong> so wertvoll macht<br />
Dass es für den <strong>Mensch</strong>en ein Oben gibt und ein Unten. Etwas, das <strong>ihn</strong> übersteigt, weil es<br />
<strong>Gott</strong>es eigener Raum <strong>ist</strong>. Und etwas, was ihm unterliegt, weil er sich nicht davon unterkriegen<br />
lassen muss, so sehr es auch den Boden seiner Wirklichkeit bildet. Der <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong> die<br />
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Bresche <strong>der</strong> Freiheit, die <strong>Gott</strong> in den schicksalhaften Zusammenh<strong>an</strong>g <strong>der</strong> Natur geschlagen<br />
hat. Nicht <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> <strong>an</strong> und für sich <strong>ist</strong> es, nicht <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> von Natur aus und unter<br />
Absehung von <strong>Gott</strong>es Geschichte mit dem <strong>Mensch</strong>en. Über den <strong>Mensch</strong>en <strong>an</strong> und für sich und<br />
über den <strong>Mensch</strong>en von Natur aus brauchen wir gar nicht reden, jedenfalls nicht von <strong>der</strong><br />
K<strong>an</strong>zel und in <strong>der</strong> Kirche. Es <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, mit dem <strong>Gott</strong> im Zwiegespräch steht, <strong>der</strong><br />
<strong>Mensch</strong>, <strong>der</strong> von <strong>Gott</strong> <strong>an</strong>gesprochen <strong>ist</strong> und also von <strong>Gott</strong> in Anspruch genommen. In aller<br />
Deutlichkeit: Jesus Chr<strong>ist</strong>us.<br />
Wenn es eine Bresche <strong>der</strong> Freiheit gibt, die <strong>Gott</strong> in den schicksalhaften Zusammenh<strong>an</strong>g <strong>der</strong><br />
Natur geschlagen hat, d<strong>an</strong>n <strong>ist</strong> er es. Jesus Chr<strong>ist</strong>us. In ihm <strong>ist</strong> Psalm 8 immer noch eine<br />
Verheissung, die sich hören lässt, gerade in Zeiten wie diesen, in denen die grösste Gefahr für<br />
<strong>Gott</strong>es Schöpfung <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> selbst <strong>ist</strong>.<br />
„Herr unser Herrscher, wie herrlich <strong>ist</strong> dein Name in allen L<strong>an</strong>den, <strong>der</strong> du zeigst deine Hoheit<br />
am Himmel! Aus dem Munde <strong>der</strong> jungen Kin<strong>der</strong> und Säuglinge hast du eine Macht<br />
zugerichtet um deiner Feinde willen, <strong>dass</strong> du vertilgst den Feind und den Rachgierigen. Wenn<br />
ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: <strong>Was</strong><br />
<strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, <strong>dass</strong> du, <strong>Gott</strong>, <strong>an</strong> <strong>ihn</strong> <strong>denkst</strong>, und des <strong>Mensch</strong>en Kind, <strong>dass</strong> du dich seiner<br />
<strong>an</strong>nimmst <strong>Du</strong> hast <strong>ihn</strong> wenig niedriger gemacht als <strong>Gott</strong>, mit Ehre und Herrlichkeit hast du<br />
<strong>ihn</strong> gekrönt. <strong>Du</strong> hast <strong>ihn</strong> zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter<br />
seine Füsse get<strong>an</strong>: Schafe und Rin<strong>der</strong> allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter<br />
dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht. Herr, unser<br />
Herrscher, wie herrlich <strong>ist</strong> dein Name in allen L<strong>an</strong>den!“<br />
Musik<br />
<strong>Gott</strong>, herrlich <strong>ist</strong> dein Name überall auf <strong>der</strong> Erde,<br />
überall, wo <strong>Mensch</strong>en leben, lässt du deine Herrlichkeit durchblicken<br />
durch die Wolkendecke unserer Sorgen und Nöte.<br />
D<strong>an</strong>k und Lob sei dir dafür in Jesus Chr<strong>ist</strong>us,<br />
in dem du deine Herrlichkeit am deutlichsten aufscheinen lässt,<br />
in Wun<strong>der</strong>n und Worten,<br />
im Leben und im Leiden,<br />
von <strong>der</strong> Krippe bis zum Kreuz.<br />
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<strong>Du</strong>rch <strong>ihn</strong> und in ihm sind wir hier zusammen,<br />
eine Gemeinde vor dir,<br />
ein Zweig am Baume deiner weit verzweigten Kirche,<br />
<strong>Mensch</strong>en, zwischen denen du stehst wie eine Brücke,<br />
die verbindet und zugänglich macht,<br />
was sonst vielleicht nicht zuein<strong>an</strong><strong>der</strong> kommen würde.<br />
<strong>Du</strong>rch <strong>ihn</strong> und in ihm treten wir ein im Gebet<br />
für alle, die auf unsere Fürbitte hoffen.<br />
Sei du bei all den <strong>Mensch</strong>en in unserer Gemeinde und aus unserem persönlichen Umfeld, die<br />
noch in den Ferien sind. Schenke <strong>ihn</strong>en gute Erholung, m<strong>an</strong>che frohe Entdeckung, Bewahrung<br />
in <strong>der</strong> Ferne, auf <strong>der</strong> Reise nach Hause und d<strong>an</strong>n auch einen gesegneten Wie<strong>der</strong>einstieg in den<br />
Alltag.<br />
Wache über den <strong>Mensch</strong>en, <strong>der</strong>en Leben aus dem Tritt geraten <strong>ist</strong>, durch Not o<strong>der</strong> Gewalt,<br />
durch Kr<strong>an</strong>kheit o<strong>der</strong> Krise, wirtschaftlich o<strong>der</strong> psychisch, durch Verlust und Leiden, durch<br />
Ursachen, die uns verborgen sind. Lass <strong>ihn</strong>en Kräfte zuwachsen, das Leben wie<strong>der</strong> neu zu<br />
finden, das Gute wie<strong>der</strong> neu zu entdecken und deinen Segen wie<strong>der</strong> neu zu ergreifen.<br />
Lass uns erschrecken vor den Nachrichten, die wir in den Zeitungen lesen, aber nicht so sehr,<br />
<strong>dass</strong> wir erstarren. Hilf uns, dir <strong>an</strong>vertrauen, was immer uns davon am me<strong>ist</strong>en und tiefsten<br />
berührt und betrifft. Lass uns aber froh sein, wenn uns ab und zu einmal eine gute Nachricht<br />
erreicht, und lehre uns hoffen für eine Welt und Schöpfung, die du selbst bewahren willst und<br />
für die du deinen Frieden bereithältst.<br />
Amen.<br />
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