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Neue Funde - M. Pressler - Anne-Frank-Gesamtschule Havixbeck

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Die Familie der <strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong>: Mit Empathie und Sachkenntnis | <strong>Frank</strong>furter Rundschau -<br />

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25.10.2009<br />

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Die Familie der <strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong><br />

Mit Empathie und Sachkenntnis<br />

VON RENATE WIGGERSHAUS<br />

Edith <strong>Frank</strong> (Bild:<br />

Fischer Verlag)<br />

<strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong>, die 1929 in <strong>Frank</strong>furt am Main zur Welt kam, gilt als eine<br />

Symbolgestalt jüdischen Schicksals. Das könnte erstaunen. Endet doch ihr im<br />

Versteck eines Amsterdamer Hinterhauses ab Juli 1942 verfasstes<br />

weltberühmtes Tagebuch drei Tage vor ihrer Deportation am 4. August 1944.<br />

Auschwitz, wohin sie mit ihrer Familie verbracht wurde, und Bergen-Belsen,<br />

wo sie und ihre Schwester Margot, seelisch und körperlich zugrunde gerichtet,<br />

einer Typhus-Epidemie erlagen, kommen darin nicht vor. Die grauenhafte<br />

Realität der Vernichtung der europäischen Juden taucht nur als Bericht von<br />

Helfern im Tagebuch auf - wie die Schatten in Platons Höhlengleichnis.<br />

Dies im Verein mit <strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong>s wacher Beobachtungsgabe, ihrer moralischen Kraft und ihrem Glauben<br />

an das Gute im Menschen mag erklären, warum dieses Mädchen unter eineinhalb Millionen ermordeter<br />

Kinder zu einer Ikone des 20. Jahrhunderts wurde und ihr Tagebuch zu einem der meistgelesenen<br />

Bücher der Weltliteratur.<br />

Mirjam <strong>Pressler</strong>, als Biographin <strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong>s, als Übersetzerin der textkritischen Edition der Tagebücher<br />

aus dem Niederländischen und als Herausgeberin einer neuen, nicht geglätteten Tagebuch-Fassung mit<br />

<strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong>s kurzem Leben und ihrem schmalen Werk bestens vertraut, hat nun eine<br />

generationenübergreifende Geschichte der Familie <strong>Frank</strong> geschrieben. Die Möglichkeit dazu ergab sich<br />

durch eine überraschende Entdeckung. Beim Aufräumen des Speichers ihres Hauses in der Baseler<br />

Herbstgasse fand Gerti Elias, die Frau von <strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong>s 1925 geborenem Cousin Buddy Elias, Kisten und<br />

Koffer mit etwa 10000 Briefen, Dokumenten und Fotos.<br />

Nach dem Sichten und Ordnen dieses Familienschatzes beschlossen<br />

das Ehepaar, der von ihnen geleitete Stiftungsrat des Baseler <strong>Anne</strong>-<br />

<strong>Frank</strong>-Fonds und die Amsterdamer <strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong>-Stiftung, alles digital<br />

bzw. mikroverfilmt zu archivieren. 500 Dokumente, die sie für<br />

öffentlich relevant hielt, übergab die Finderin Mirjam <strong>Pressler</strong> für die<br />

Darstellung der Familiengeschichte.<br />

Mehr zum Thema<br />

Fotostrecke: Die große<br />

Familie von <strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong><br />

<strong>Pressler</strong> nutzte das Material nicht nur für ausführliche, Authentizität stiftende Zitate, sondern auch als<br />

Inspirationsquelle. Die Wiedergabe eines vielseitigen Briefs beispielsweise, den <strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong>s Großmutter<br />

Alice im Jahre 1935 im Baseler Exil anlässlich ihres 70. Geburtstags für ihre vier Kinder verfasste, ist<br />

eingebettet in eine ausgiebige literarische Vergegenwärtigung seines Zustandekommens. <strong>Pressler</strong> lässt<br />

Alice <strong>Frank</strong> beim Niederschreiben der wiedergegebenen Briefpassagen immer wieder ans Fenster oder<br />

vor ein Porträt ihrer Ahnen treten, lässt Erinnerungen an die Kindheit, die Jugend, die Ehe in ihr<br />

aufsteigen, bzw. an all das, was sie vom Hörensagen weiß oder wissen könnte.<br />

Auf diese Weise entsteht im Verlauf des Buchs ein anschauliches Bild vom Leben mehrerer Generationen<br />

einer weit verzweigten deutsch-jüdischen Familie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollkommen<br />

assimiliert war.<br />

In imaginierten Gesprächen zwischen Alice und ihrem Großvater Elkan Juda Cahn lässt <strong>Pressler</strong> die<br />

Geschichte der <strong>Frank</strong>furter Judengasse lebendig werden, in der der Großvater aufwuchs. Damit<br />

verbunden sind auch Erinnerungen an die Familie Rothschild. Denn Mayer Amschel Rothschild, der<br />

Gründer des legendären Bankhauses, wohnte zunächst in der Judengasse genau gegenüber.<br />

Die erste längere Reise, die Alice mit 16 Jahren unternahm, ging nach Bern zu ihrer mit dem Historiker


Die Familie der <strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong>: Mit Empathie und Sachkenntnis | <strong>Frank</strong>furter Rundschau -<br />

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Alfred Stern verheirateten Kusine. In dieser hochgebildeten Familie - Sterns Vater war der erste<br />

ungetaufte Jude, der ordentlicher Professor an einer deutschen Universität wurde - lernte sie ungemein<br />

viel.<br />

1886 heiratete Alice Michael <strong>Frank</strong>. Die Kindheit der vier aus dieser Ehe hervorgegangenen Geschwister -<br />

darunter <strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong>s Vater Otto - war zunächst überaus glücklich. Michael <strong>Frank</strong>s Bankgeschäft<br />

prosperierte. 1901 kaufte er ein geräumiges Haus im <strong>Frank</strong>furter Dichterviertel. Zum Haus gehörten ein<br />

großer Garten, Dienstpersonal, Privatlehrer.<br />

Als Michael 1909 plötzlich starb, musste sich die Familie einschränken. Zwar existierte das Bankgeschäft<br />

unter Alices sachkundiger Führung weiter, es erlitt aber vor dem Ersten Weltkrieg starke Einbrüche. Als<br />

Deutschnationale waren alle Familienmitglieder im Krieg involviert, die Söhne Robert, Otto und Herbert<br />

als Soldaten an der Front, Alice und ihre Tochter Leni als Lazaretthelferinnen. Wie vielen Juden nutzte<br />

ihnen dieser Dienst am deutschen Vaterland später wenig.<br />

Der enge Familienzusammenhalt, der sich in schwierigen Zeiten wie der Weltwirtschaftskrise 1929<br />

bewährt hatte, half in den 30er Jahren nur noch bedingt. Robert ging als Kunsthändler nach London;<br />

Otto als Kaufmann mit seiner Frau Edith und den beiden Töchtern Margot und <strong>Anne</strong> nach Amsterdam;<br />

Herbert nach Paris; Leni mit ihrem Mann Erich Elias und den beiden Söhnen Robert und Buddy nach<br />

Basel. Die Brüder von Edith <strong>Frank</strong> emigrierten in die USA.<br />

Ediths Mutter holten <strong>Anne</strong> <strong>Frank</strong>s Eltern zu sich nach Amsterdam. Lenis Familie in Basel nahm Lenis<br />

Mutter Alice und die Mutter ihres Mannes Erich bei sich auf. Im Juli 1942 erhielt Leni Elias einen<br />

Geburtstagsgruß von Otto <strong>Frank</strong> mit Grüßen von seiner Frau und seinen Töchtern Margot und <strong>Anne</strong> - ein<br />

Vierteljahr vor ihrem Geburtstag, weil, wie Otto <strong>Frank</strong> wenige Tage vor dem Untertauchen der Familie im<br />

Versteck schrieb, "wir später keine Gelegenheit haben".<br />

Otto überlebte als einziger von denen, die sich im Hinterhaus der Prinzengracht versteckten. Aus<br />

Auschwitz kam er über Odessa, Czernowitz, Marseille nach Holland zurück. Erschüttert und traurig<br />

schrieb ihm seine Schwester Leni: "Armer, lieber, guter Ottel, mit was haben wir es verdient, verschont<br />

geblieben zu sein" Diese quälende Frage stellte sich die ganze Familie, insbesondere auch <strong>Anne</strong>s Cousin<br />

Buddy, mit dem sie die Liebe zum Schlittschuhlaufen geteilt hatte und der als großer Eiskunstläufer<br />

vierzehn Jahre auf Welttournee war.<br />

Durch <strong>Pressler</strong>s mit viel Empathie und Sachkenntnis geschriebene vielschichtige Familiengeschichte ist<br />

aus einem privaten Fund mit gutem Grund ein öffentlicher geworden. Lernen und intensiv Anteil nehmen<br />

können wir immer nur am Schicksal Einzelner. Denn - so Primo Levi - "müssten oder könnten wir die<br />

Leiden aller erleiden, könnten wir nicht leben".<br />

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Copyright © FR-online.de 2009<br />

Dokument erstellt am 16.10.2009 um 16:27:02 Uhr<br />

Letzte Änderung am 16.10.2009 um 17:13:41 Uhr<br />

Erscheinungsdatum 16.10.2009 | Ausgabe: d<br />

URL: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/em_cnt=2018949&em_loc=89

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