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Der Ball ist rund

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<strong>Der</strong> <strong>Ball</strong> <strong>ist</strong> <strong>rund</strong><br />

Über die österreichische Literatur und ihre Beziehung zum<br />

Fußball<br />

Von Alfred Stohl


"Cordoba 1978" <strong>ist</strong> ein österreichischer Mythos - nahezu ein Wunder, das sich tief ins<br />

Bewusstsein der Österreicher eingebrannt hat. So kam es, dass beim Donauinselfest 2003 das<br />

mittlerweile mythisch gewordene Geschehen bei der Fupball-WM 1978 in Argentinien erneut<br />

vor tausenden Fans gezeigt wurde. Ein seltsames Phänomen, denn es entstand wahrhaftig<br />

eine Atmosphäre, die sich vom Original in Stimmung und Spannung überhaupt nicht<br />

unterschied. Gleichsam wie bei der Beschwörung eines Ge<strong>ist</strong>es, moderierte nun auch noch<br />

Edi Finger Junior, der Sohn des damaligen Kommentators Edi Finger, das Rahmenprogramm.<br />

Dies h<strong>ist</strong>orische Fußballereignis hat für Österreich identitätsstiftende Qualität. Die Frankfurter<br />

Allgemeine Zeitung schrieb anno 1978 dazu: "1866: Preußen schlägt unter Moltke Österreich<br />

bei Königgrätz ... – jetzt haben Krankl & Co die Scharten ausgewetzt.“.<br />

Hans Krankl, Goleador, behauptete nach dem Triumph, damals in Argentinien deftig: "Wenn<br />

ich einen Deutschen seh', werd` ich zum Rasenmäher.“, was man durchaus als einen<br />

markanten Satz typisch österreichischer Situationspoesie ansehen kann – wenn auch in einer<br />

etwas schrägen Manier.<br />

Übrigens rührt der eher drastische Vergleich des Matches zu Cordoba mit der Schlacht bei<br />

Königgrätz von einem Fußballfan her, dessen literarische Begabung ihm zu Weltruhm verhalf:<br />

Friedrich Torberg. Er verglich das 1:6 gegen die deutsche Nationalelf bei der WM 1954: ".....als<br />

die vernichtendste Niederlage seit Königgrätz....".<br />

<strong>Der</strong> feinsinnige Literat Torberg - kundig in der oft schmerzliche Vergangenheit Österreichs,<br />

wusste wovon er sprach, schließlich war er aktiver Spieler im jüdischen Sportverein Hakoah,<br />

Sektion Fuß- und Wasserball(!). Seiner Bege<strong>ist</strong>erung für beide <strong>Ball</strong>spiele verlieh er in dem<br />

1935 erschienen Roman „die Mannschaft“ gebührenden Ausdruck. In "Auf den Tod eines<br />

Fußballspielers" gedachte er auf einfühlsame Weise des mysteriösen Todes eines der größten<br />

österreichischen <strong>Ball</strong>ästheten, des legendären Papierenen: Matthias Sindelar:<br />

Es jubelte die Hohe Warte,<br />

der Prater und das Stadion,<br />

wenn er den Gegner lächelnd narrte<br />

und zog ihm flinken Laufs davon.<br />

Bis eines Tags ein andrer Gegner<br />

ihm jählings in die Quere trat,<br />

ein fremd' und furchtbar überlegener,<br />

vor dem's nicht Regel gab noch Rat.<br />

Österreich <strong>ist</strong> ein Land der Literatur und des Sportes. Diese spezifische Ausprägung nationaler<br />

Kultur wäre nur halb so bedeutend, würde sie sich nicht durch Charme, Witz und Ironie<br />

auszeichnen. Außer Friedrich Torberg haben sich noch viele weitere Literaten und Poeten mit<br />

dem Phänomen Fußball auseinandergesetzt. So <strong>ist</strong> an maßgeblicher Stelle sicherlich Andre'<br />

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Heller zu nennen, der, obwohl über keine wie immer geartete Fußballerfahrung verfügend,<br />

dennoch das künstlerische Programm der WM 2006 in Deutschland gestaltete. Auf seine<br />

Initiative hin verfassten auch österreichische Schriftsteller kurze, prägnante Statements zum<br />

Thema Fußball.<br />

Die ansonsten dem Sport kritisch gegenüberstehende Nobelpre<strong>ist</strong>rägerin Elfriede Jelinek<br />

(Sportstück), dachte intensiv über die Wahrheit nach, die auf dem Platze liege. Franzobel,<br />

ausgewiesener Fußball-Experte, sang seinen: "Toni Polster Song" und Ilse Aichinger sann<br />

poetisch über die magische Zeitspanne der obligaten "90 Minuten" nach.<br />

Es <strong>ist</strong> heute durchaus nicht unüblich, dass Schriftsteller sich schreibend - selbstverständlich<br />

auch in der Praxis, mit dem Fußball befassen. Kommentare in den Zeitungen von Robert<br />

Menasse, Franzobel oder dem German<strong>ist</strong>en Wendelin Schmidt-Dengler (treuer Rapid-<br />

Anhänger) gehören mittlerweile zum Alltag.<br />

Interessant <strong>ist</strong> auch Altme<strong>ist</strong>er Peter Handkes Peter geheimnisumwitterte Beziehung zum<br />

Leder. Weltbekannt <strong>ist</strong> sein Roman : "Die Angst des Tormanns vorm Elfmeter" - ein Werk, das<br />

absolut nichts mit Fußball zu tun hat. Wegen dieses Romans könnte man darauf schließen,<br />

dass Handke keine Ahnung vom Fußball hat: nicht der Tormann hat Angst, sondern der<br />

Schütze - es gibt aber sehr intensive literarische Kleinodien aus der Hand des Dichters, die<br />

Gegenteiliges verraten. So verblüfft Handke mit seinem Gedicht: "Die Aufstellung des 1. FC<br />

Nürnberg vom 27. 1. 1968", souverän mit detaillierter Sachkenntnis:<br />

Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27. 1. 1968<br />

WABRA<br />

LEUPOLD POPP<br />

LUDWIG MÜLLER WENAUER BLANKENBURG<br />

STAREK STREHL BRUNGS HEINZ MÜLLER VOLKERT<br />

Spielbeginn:<br />

15 Uhr<br />

Und wer könnte bei der folgenden symbol<strong>ist</strong>ischen Sequenz, die überaus tiefgründig sich über<br />

den Fußball äußert, dem Dichter widersprechen?<br />

- "Wie alles, was <strong>rund</strong> <strong>ist</strong>, <strong>ist</strong> auch der Fußball ein Sinnbild für das Ungewisse, für das Glück<br />

und die Zukunft."<br />

Überrascht stellt man ebenso fest, dass ein unverrückbarer Markstein österreichischer<br />

Ge<strong>ist</strong>esgeschichte, das Hauptwerk des Nobelpre<strong>ist</strong>rägers Elias Canetti: "Masse und Macht" -<br />

von der tatsächlichen, manchmal auch dämonischen Kraft des Fußballs inspiriert wurde.<br />

Unweit der damaligen Wiener Wohnung des Denkers Canetti lag der Spielplatz des SK Rapids.<br />

Canetti, hellhörig dem Zeitge<strong>ist</strong> gegenüber, nahm das Siegesgeschrei der Rapid-Fans zum<br />

Anlass, ausführlich über die Zusammenhänge von Masse und Macht nachzudenken.<br />

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Zur Hochzeit des österreichischen Fußballs in Cordoba war ein Mann, der kurioserweise<br />

Heimito von Doderer zu einer literarischen Tagebucheintragung anregte, nämlich die Fußball-<br />

Legende Ernst Happel, Trainer der niederländischen Mannschaft! Am 15. April 1954 notierte<br />

Doderer elegant und mit leisem Wehmut in sein Tagebuch: "Die Österreicher haben kürzlich<br />

ein Länderwettspiel im Fußball abgeführt ...(...)... Aber schließlich schossen die Österreicher<br />

durch das Pech eines ihrer prominentesten Sportleute [Happel] sich selbst ein - Tor, ein<br />

Eigen-Goal, ...(...)... Das <strong>ist</strong> österreichisches Schicksal. Und gewiss bin ich in diesem Sinne<br />

ein giltiger Repraesentant meines schönen und liebenswürdigen Vaterlandes. Denn das<br />

entscheidende Tor hab`ich mir immer selbst geschossen: nie die Anderen."<br />

Nicht immer also erlebte der österreichische Fußball Glanzzeiten. Vom einstigen Glanz<br />

vergangener Wunterteam-Zeiten, blieb allein eine wehmütig-charmante Erinnerung.<br />

Über Niederlagen im Fußball schrieb Wendelin Schmidt-Dengler - Literaturprofessor und<br />

beredter Fachkolumn<strong>ist</strong> der Zeitung der Standard, einen seiner Kommentare zur WM 2006.<br />

Folgende Worte, die nachdenklich stimmen und die deutlicher den Konnex zwischen Literatur<br />

und Fußball nicht zeigen könnten, illustrieren sehr schön das Thema: "Die beste Lehre, die wir<br />

aus dem Fußball ziehen können, <strong>ist</strong> die Befähigung zum Umgang mit Niederlagen. Und die<br />

österreichische Literatur und der österreichische Fußball bieten dafür ein reiches<br />

Anschauungsmaterial."<br />

Charmantes Furioso: "Tor, Tor ....I wer` narrisch!" - Edi Finger, Cordoba 78:<br />

Was nun Charme wirklich <strong>ist</strong> – ein Charakterzug, über den insbesondere in seiner<br />

österreichischen Ausprägung bereits allerhand reflektiert wurde – und wie er sich mit Fußball<br />

verträgt demonstrierte der eingangs erwähnte legendäre Sportreporter Edi Finger anlässlich<br />

seiner Kommentare bei der WM 1978: Österreich wurde damals bekanntlich siebenter –<br />

einerseits dank der Le<strong>ist</strong>ungen des österreichischen Teams, andererseits mithilfe der<br />

enthusiastischen, suggestiven Sprache des Reporters, der seine Zuhörer und –seher in<br />

Österreich mitriss. Sein Bericht vom Match Österreich gegen Deutschland in Cordoba, <strong>ist</strong> ein<br />

Stück lebendiger Alltagspoesie.<br />

Als Monument eines nationalen Triumphes <strong>ist</strong> der Kommentar Edi Fingers <strong>ist</strong> jedoch in keiner<br />

Weise verletzend, sondern voller Ironie, Herz und Bege<strong>ist</strong>erung – eben charmant. Voller<br />

Respekt vor dem Gegner und mit ironischem – und selbstironischem – Augenzwinkern.<br />

Alfred Stohl für die Österreich Werbung<br />

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