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c - Staatliches Institut für Musikforschung

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Bach und die Idee musikalischer Vollkommenheit<br />

Unter Variationsgedanken und Elaborationsprinzip läßt sich auch Bachs Bearbeitungstechnik<br />

fassen (unabhängig davon, ob die Vorlage eigenen oder fremden<br />

Ursprungs ist), vor allem aber die Parodiepraxis. Der Bearbeitungs- und<br />

Parodievorgang setzt voraus, daß verändernde – und damit zugleich bereichernde<br />

– Elaboration möglich und (aus welchem Grunde auch immer) notwendig<br />

erscheint. Parodie als Variation verstanden, das heißt als Elaboration<br />

der unausgeschöpften immanenten musikalischen Potenz, dürfte dem Bachschen<br />

Ansatz nahekommen.<br />

In dieses Elaborationsprinzip einbeziehen läßt sich auch die wiederholte<br />

Bearbeitung bzw. Harmonisierung eines Cantus firmus (vom Choralsatz im<br />

Stylus simplex über das Choralpräludium bis hin zum komplexen Choralsatz).<br />

Beeinflußt wird von ihm auch Bachs Denken in Serien und Werkgruppen, das<br />

heißt die Erprobung einer Idee in mehrfacher und verschiedener Ausführung<br />

(vergleiche u.a. Orgelbüchlein, Violin- und Violoncello-Soli, Choralkantaten-<br />

Jahrgang, Clavier-Übungen). Schließlich erfaßt es Revision und beständiges<br />

Korrigieren fertiggestellter Werke, ein <strong>für</strong> Bach besonders typisches Vorkommnis:<br />

All dies ist letztlich nichts anderes als ein Zeichen da<strong>für</strong>, daß Bach<br />

immer wieder Grund <strong>für</strong> die Suche nach besseren Alternativen hat. Dieser<br />

Grund wiederum kann nur in seinem Vollkommenheitsstreben gefunden werden,<br />

das den Impetus <strong>für</strong> fortwährende Elaboration abgibt.<br />

Beispiel 4: Anfang des Eingangssatzes der Choralkantate „Es ist das Heil uns kommen<br />

her“ BWV 9 mit zwei aufeinander bezogenen Elaborationen eines instrumentalen Concertato-Komplexes:<br />

Orchester-Ritornell ohne Cantus firmus, T. 1 ff., gefolgt von einer nahezu<br />

wörtlichen Wiederholung desselben Satzes mit Cantus firmus und „Choreinbau“, T. 24 ff.<br />

Nun kann es nicht darum gehen, Bachs Kompositionsverhalten auf eine simple<br />

Formel reduzieren zu wollen. Doch es bietet sich an, das mit dem Variationsgedanken<br />

verknüpfte Elaborationsprinzip als einen jener entscheidenden<br />

Parameter anzusehen, der Bachs Musik ihr charakteristisches Profil verleiht.<br />

Selbst dieses aber ist nur ein Schritt auf dem Wege zur Erklärung ihrer individuellen<br />

Eigenart.<br />

Es ist müßig zu fragen, ob Bach selbst seinen Werken Vollkommenheit bescheinigt<br />

hätte. Doch daß ihm Vollkommenheit – im Sinne von durch größte<br />

Kunst der Natur abgewonnene Schönheit – als musikalisches Ziel vor Augen<br />

schwebte, steht außer Zweifel. Der Begriff der Vollkommenheit kann von<br />

Birnbaum nicht grundlos zum Tenor der Diskussion erhoben worden sein.<br />

Wie steht es aber mit dem Prädikat „sonderbar“, das heißt einzigartig? Daß<br />

sich Bach der Einzigartigkeit und des unverwechselbaren Charakters seiner<br />

Musik bewußt gewesen wäre, läßt sich kaum belegen, muß aber dennoch quasi<br />

stillschweigend vorausgesetzt werden. Da<strong>für</strong> spricht nicht nur die offensichtliche,<br />

im Kontext des damaligen sozialgeschichtlichen Umfeldes frappierende<br />

Selbstsicherheit, wie sie aus Bachs Lebensweg und seinen Verhaltens-<br />

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