c - Staatliches Institut für Musikforschung
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Christoph Wolff<br />
zarts nach 1782 (zum Beispiel im Finale des Quartetts KV 387) oder auf<br />
Beethoven, der bereits mit Bachs Wohltemperiertem Clavier aufwuchs. Im 19.<br />
Jahrhundert griff die Bach-Rezeption auf praktisch sämtliche musikalische<br />
Gattungen einschließlich Oper über (man denke hier an Richard Wagners<br />
Charakterisierung des Meistersinger-Vorspiels als „angewandter Bach“) 29 .<br />
Bachs Musik wurde zum Orientierungsmaß, zum Muster <strong>für</strong> die Lösung des<br />
Problems, selbst bei Bindung an altüberlieferte Traditionen der Kompositions-<br />
Technik zu individuellen Lösungen vorzustoßen. Auch scheint es <strong>für</strong> die Auswirkungen<br />
der Bachschen Musik charakteristisch zu sein, daß sie nicht nur<br />
grenzüberschreitend, sondern auch „überparteilich“ war. Man denke nur an<br />
die Bedeutung von Bachs Kunst <strong>für</strong> so unterschiedliche, ja gegensätzliche<br />
Geister unseres Jahrhunderts wie Schönberg, Strawinsky, Bartók oder Hindemith.<br />
Der wissenschaftliche Charakter von Bachs Kunst – nicht umsonst nannte<br />
Bach sein Handwerk „musikalische Wissenschaft“ – gründet sich auf die Prinzipien<br />
der forschenden Auslotung von Harmonie und Kontrapunkt und machte<br />
sie damit zum entscheidenden Ausgangspunkt <strong>für</strong> theoretische Reflexion bis<br />
zum heutigen Tag. Doch ist die theoretische Dimension schließlich nur eine,<br />
wenngleich wesentliche Komponente der vielschichtigen Qualitäten Bachscher<br />
Musik, deren logisch-komplexe Struktur und Ausdruckskraft unmittelbar<br />
jeden Hörer erreichen. Insbesondere läßt sich die exemplarische Kraft<br />
Bachscher Musik kaum allein ableiten vom schöpferischen Drang eines Originalgenies,<br />
sondern eben auch von der Bindung an ein Denken, in dem musikalische<br />
Komposition der Vollkommenheit einer naturgegebenen Ordnung<br />
nacheifert.<br />
Die Dialektik von göttlicher Vollkommenheit und menschlicher Originalität,<br />
wie sie sich in Bachs Werk manifestiert, hat kaum jemand treffender,<br />
wenngleich in romantischer Diktion, formuliert als Johann Nicolaus Forkel<br />
am Schluß seiner Biographie von 1802:<br />
Dem wahren Kunstgeist muß es verdankt werden, daß Bach mit seinem großen und erhabenen<br />
Kunststyl auch die feinste Zierlichkeit und höchste Genauigkeit der einzelnen Theile,<br />
woraus die große Masse zusammengesetzt ist, verband, die man sonst hier nicht <strong>für</strong> notwendig<br />
hält, als in Werken, bey welchen es bloß auf Schönheit abgesehen ist; daß er glaubte,<br />
das große Ganze könne nicht vollkommen werden, wenn den einzelnen Theilen desselben<br />
irgendetwas an der höchsten Genauigkeit fehle; und daß endlich, wenn er, ungeachtet<br />
der Hauptrichtung seines Genies zum Großen und Erhabenen, dennoch bisweilen munter<br />
und sogar scherzend setzte und spielte, seine Fröhlichkeit der Scherz des Weisen war.<br />
29 C. Dahlhaus, Wagner und Bach, in: Programmhefte der Bayreuther Festspiele 1985,<br />
S. 1–18.