Jugendweihe 2009 - Freireligiöse Gemeinde Idar-Oberstein
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<strong>Jugendweihe</strong> <strong>2009</strong><br />
Unsere Jugendweihlinge am 19. April <strong>2009</strong><br />
nach ihrer schönen und engagierten Feier unter<br />
dem Motto „Mit Ehrfurcht und Mut in die<br />
Zukunft“. Von links: Martin Raber, Mike Horlacher,<br />
Lana Löh, Anika Brosch, Ann Cathrin Di<br />
Cato. Stehend: <strong>Gemeinde</strong>vorsitzender Gerhard<br />
Schneider (rechts) und Pfarrer Martin Buchner.<br />
Fotos : Ralf Horbach<br />
Wir haben eine ältere Offenbarung<br />
als jede geschriebene,<br />
die Natur.<br />
Friedrich Schelling,<br />
deutscher Naturphilosoph<br />
1775-1854
Zur <strong>Jugendweihe</strong> im Bilde sein: Religion und Kunst<br />
Wenn man unser Bild betrachtet, sieht man in der Mitte eine Uhr,<br />
die für die Zukunft steht: Sie hat zwei Zeiger, eben standen sie<br />
noch auf 14 Uhr und deuteten damit auf den Beginn der <strong>Jugendweihe</strong>.<br />
Die Uhr ist umgeben von einer Brücke, wobei wir nicht<br />
irgendeine Brücke gewählt haben, sondern einen Regenbogen,<br />
weil seine Farben bunt und fröhlich sind - genauso wie unser<br />
Leben sein sollte. Auf der linken Seite des Regenbogens sind<br />
Bilder von Babys, die für die Geburt eines neuen Lebens stehen.<br />
Auf der rechten Seite sind Bilder von alten Menschen, und in der<br />
Mitte stehen wir. Wir sind im Übergang vom Kind zum Erwachsenenalter.<br />
Unten links auf unserem Bild ist ein rotes Feld mit hürdenüberspringenden<br />
Reiterfiguren zu sehen, die für Mut stehen, denn<br />
auch im Leben gibt es Hürden, und wir sollten den Mut haben, sie<br />
zu meistern und ihnen nicht auszuweichen.<br />
Rechts unten auf unserem Bild ist ein blaues Feld mit einer Hand,<br />
die auf ihrem Finger einen Marienkäfer sitzen hat. Sie steht für<br />
Ehrfurcht auch vor kleinen „Dingen“. Daneben ist ein Bild mit<br />
einem davonschwimmenden Nilpferd. Es steht für Ehrfurcht vor<br />
großen „Dingen“.<br />
Des Weiteren ist dort ein Herz, in dem ein Mann Kopf an Kopf mit<br />
einem Eisbär am Boden kniet. Das umrahmende Herz bedeutet<br />
Liebe zwischen Mensch und Tier. Denn wenn das Herz aus dem<br />
Takt kommt, gibt es keine Liebe zu den Lebensformen der Natur.<br />
(Anika Brosch und Mike Horlacher)<br />
Humanistische Religion<br />
Überarbeiteter Auszug der Festrede von Pfarrer Buchner<br />
Eine humanistische Religion braucht das Göttliche, nicht Gott.<br />
Das Göttliche ist das, was der Mensch der Verehrung für würdig<br />
hält. Wie bei jeder <strong>Jugendweihe</strong> bringe ich auch heute ein Beispiel<br />
aus der freireligiösen Tradition: Diesmal den englischen<br />
Naturwissenschaftler Julian Huxley (1887-1975), Anhänger Darwins,<br />
Generaldirektor der UNESCO bei den Vereinten Nationen in<br />
New York und Erfinder des ersten Kinderzoos in London.<br />
Göttlichkeit, sagt Huxley, ist das religiöse Rohmaterial, aus dem<br />
die Götter entstanden sind. An uns ist es nun, die Götter daraus<br />
zu entfernen und das Rohmaterial zu erneuern. Es zu einem<br />
neuen wirksamen Material unseres Denkens zu machen.<br />
Julian Huxley sieht nun für eine humanistische Religion zwei<br />
wichtige und herausragende Aufgaben. Die eine Aufgabe ist die,<br />
den Fortschritt zu fördern, und zwar auf sehr lange Sicht, denn<br />
das müssen wir tun, weil aller Fortschritt nicht automatisch läuft.<br />
Fortschritt in der Welt aber ist nur dann wirklich und begrüßenswert,<br />
wenn damit der einzelne Mensch und die Gesellschaft humaner,<br />
also menschlicher werden.<br />
Die zweite Aufgabe ist noch viel wichtiger. Denn die humanistische<br />
Religion hat die Entwicklung individueller ausgeprägter<br />
Persönlichkeiten zum Ziel. Das ist eine hohe Aufgabe, denn in<br />
unserem freireligiösen Verständnis sollen sich junge Menschen<br />
entwickeln zu reichen Persönlichkeiten, reich im Sinne von geistreich.<br />
Sie sollen ausgeprägte Persönlichkeiten werden, keine<br />
Ziffern oder Rädchen im großen Getriebe der Welt. Jugendliche<br />
sollen mithelfen, ihren Beitrag zur Vervollkommnung und Entwicklung<br />
zu leisten, denn wir Menschen sind nicht nur Produkte von<br />
Entwicklung, sondern auch ihre Träger.<br />
Eine freie Religion ist Entwicklungsreligion, denn sie steht nicht<br />
abseits von weltlichen Angelegenheiten oder glaubt sich irgendwo<br />
in einem übernatürlichen Reich eingeschlossen. Wir Menschen<br />
entwickeln und vollenden uns in Raum und Zeit, wir sind darin<br />
begrenzt. In unserer humanistischen Religion gibt es daher keine<br />
Bittgebete an ein Wesen von Ewigkeit, dem die Welt gehört. Wohl<br />
aber gibt es die Selbsterforschung und die Selbstbesinnung des<br />
Menschen.<br />
In unserer humanistischen Religion, sagt Julian Huxley, gibt es<br />
aber noch etwas Weiteres: Das Wunschgebet in der Stille und<br />
manchmal auch unbewusst. Wir müssen es gar nicht mal so<br />
benennen. Wir feiern die <strong>Jugendweihe</strong>, bei der es nicht nur um<br />
Geschenke geht oder um das Stillsitzen, sondern auch ganz<br />
besonders um das Ausloten der inneren Persönlichkeit, um Höhen<br />
und Tiefen der inneren Welt, von der die lieben Jugendweihlinge<br />
uns ein kleines Stück in der Feier offenbaren.<br />
Auch in Eurem Bild, einem Gemeinschaftswerk mit vielen einzelnen<br />
Feldern, entdecke ich vieles, was mich überrascht hat. Ein<br />
Werk mit Zeichen, Sinnbildern. Ein unbewusstes Wunschgebet für<br />
eine harmonische schöne Zukunft in der Welt im schwungvollen<br />
Bogen von der Kindheit ins Alter.<br />
Als religiöses Motiv erscheint der Regenbogen schon im Judentum<br />
im 1. Buch Mose. Da ist der Regenbogen ein Zeichen des<br />
Bundes, den Gott mit Noah und den Menschen schloss, ein Zeichen<br />
des Friedens nach der alles vernichtenden Sintflut, die er in<br />
der religiösen Legende geschickt hatte. Das Zeichen des Regen-
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sr<br />
bogens ist ja in der altorientalischen Tradition ein abgesenkter<br />
Bogen, der Bogen Gottes, der von oben nach unten weist wie ein<br />
Flitzebogen, der nicht schussbereit ist.<br />
Im Zeichen der Regenbogenfahne marschierten einst die 30.000<br />
Bauern unter der Führung des Pfarrers Thomas Müntzer (1489-<br />
1525) gegen die Ungläubigen, die Fürsten, Klöster und Mönche<br />
für eine neue Erde ohne Kirche. Münzer fühlte sich von Gott direkt<br />
inspiriert, eine Welt der sozialen Gerechtigkeit zu erkämpfen, in<br />
einer Zeit, als oben auf dem Schloss noch die Herren von O-<br />
berstein lebten.<br />
Es war in der Zeit Martin Luthers (1483-1546), der heute noch in<br />
den <strong>Idar</strong>-<strong>Oberstein</strong>er Kirchen und den schulischen Geschichtsund<br />
Religionsbüchern hochgelobt wird. Es war in einer Zeit, in der<br />
Thomas Müntzer das evangelische Kirchenchristentum bereits als<br />
Religion auch der herrschenden Bürger betrachtete mit der Bibel<br />
in der Hand, diesem Papst aus Papier. Müntzer wollte das Volk in<br />
der deutschen Sprache bilden und es mit deutschen Liedern<br />
stärken und führen. Sein Glaube war bewegende Kraft für eine<br />
neue Zeit, aber auch noch befangen.<br />
Heute kennen wir den Regenbogen auch als Zeichen der Naturschutzbewegung<br />
Greenpeace in Anlehnung eine alte indianische<br />
Voraussage der Zukunft, dass nach der Verwüstung der Erde die<br />
Krieger des Regenbogens die Welt bevölkern.<br />
Der Regenbogen als optische Erscheinung, als Spektrum der<br />
bunten Farben, ist uns Freireligiösen heute ein Sinnbild für Einheit<br />
und Vielfalt. Auch unsere humanistische Religion ist Religion der<br />
Einheit in der Vielfalt. In ihr gibt es Menschen, die die Vorstellung<br />
eines Gottes und das Wort Gott ablehnen, in ihr gibt es Menschen,<br />
die sagen, alle Dinge und Erscheinungen haben rein stofflichen<br />
Charakter, in ihr gibt es Menschen, die sich nur daran<br />
halten, was den Sinnen, der Wahrnehmung und der Vernunft<br />
zugänglich ist, und in ihr gibt es Menschen, die sagen, dass jeder<br />
Mensch etwas Göttliches in sich trägt.<br />
Der Regenbogen auf dem Bild der Jugendweihlinge zeigt uns<br />
noch etwas anderes: Die Unbefangenheit im Umgang mit Symbolen.<br />
Ihr, die Jugendweihlinge, habt einfach Eure Köpfe zurechtgeschnitten<br />
und oben in den Regenbogen hineingesetzt, wo sie<br />
fröhlich und versetzt herumtanzen. Einheit und Vielfalt von einzelnen<br />
Köpfen in einem Bogen, einer Brücke höchst irdischer Natur<br />
in harmonischen Farben. Ein unbewusstes Wunschgebet für eine<br />
liegt in diesem Bild. Aber wir wissen: Ein Regenbogen in der Na-<br />
tur hält nicht sehr lange an. Plötzlich ist er verschwunden. Er<br />
erscheint oft nach einem Unwetter. Und Unwetter sind viele, auch<br />
in der Zukunft Eures Lebens, in dem nicht alles schön und harmonisch<br />
sein wird. Bei vielen Naturvölkern übrigens ist die <strong>Jugendweihe</strong><br />
viel wichtiger als die Geburt. Sie ist ein Ritual, das<br />
junge Menschen verwandelt, in einen anderen Zustand einführt<br />
und versetzt. Entwicklung als Übergang im Dreischritt: Loslösen<br />
von alten Zustand – Übergangszeit – Aufnahme in eine neue<br />
Rolle.<br />
Dabei mussten besonders die Knaben Mutproben bestehen,<br />
Schmerzen erleiden und erdulden: Bei westafrikanischen Völkern<br />
ist das Hautritzen die Voraussetzung zur feierlichen Aufnahme in<br />
die Gesellschaft der erwachsenen Männer. Die frisch Geritzten<br />
kehren dann aus dem Buschlager zurück in ihr Dorf, aber ohne<br />
ihre Kleider, die jetzt den Toten gehören! Dafür tragen die Jungen<br />
neue Namen und gelten als neue Menschen. Deshalb müssen sie<br />
nach der Rückkehr ins Dorf zunächst vorgeben, ihre eigenen<br />
Eltern und Verwandten nicht mehr wiederzuerkennen.<br />
Das Loslösen vom alten Status und eine Übergangszeit – ein<br />
ritueller Tod. Und das Einnehmen der neuen Rolle - eine Wiedergeburt.<br />
Tod und Wiedergeburt sind ganz zentrale Themen solcher<br />
Reifeweihen. Bei uns ist das ganz anders. Wir können nur darauf<br />
verweisen, dass mit dieser Lebenstufe Kindheit, die ihr Jugendweihlinge<br />
durch einen symbolischen Schritt verlasst, etwas stirbt.<br />
Ihr lasst etwas zurück, aber ihr vergesst es nicht ganz trotz der<br />
neuen Rolle, in die ihr noch hineinwachsen werdet durch eine<br />
Entwicklung, die auch ihre Schmerzen mit sich bringt.<br />
Eine Entwicklung, die heute länger dauert als früher, als an dem<br />
Tag der <strong>Jugendweihe</strong> der Tag der Schulentlassung war. Das<br />
Einnehmen einer neuen Rolle für Euch Jugendweihlinge ist verbunden<br />
mit vielen Fragen der Sinnfindung und Orientierung: Was<br />
genau soll später werden Wofür soll man sich aufmachen und<br />
einsetzen Wie kann das Leben achtsam gestaltet werden, für<br />
einen selbst und im Hinblick auf andere<br />
Es sind gerade die Entwicklungsaufgaben, denen ihr jungen<br />
Menschen Euch in dieser Zeit stellen müsst: Die Auseinandersetzung<br />
mit dem eigenen Körper und das Erlernen der Geschlechterrollen,<br />
auch die eigenverantwortliche Nutzung dessen, was Euch<br />
die lockenden Götter des Konsums und der Freizeitindustrie<br />
anbieten. Entwickelt Euch zur eigenen Verantwortung hin. Erwartet<br />
dabei nicht zu viel von anderen Menschen: Lasst sie uns darum<br />
nehmen wie sie sind, nicht wie wir sie uns wünschten, dass<br />
sie sein sollen. Lasst uns das Gute, das sie uns darbieten und<br />
erweisen, dankbar annehmen, aber nicht im voraus darauf anrechnen.<br />
(Heribert Rau, Evangelium der Natur)<br />
mb