War das schon alles? Männer in der Lebensmitte - Ehe-, Familien ...
War das schon alles? Männer in der Lebensmitte - Ehe-, Familien ...
War das schon alles? Männer in der Lebensmitte - Ehe-, Familien ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>War</strong> <strong>das</strong> <strong>schon</strong> <strong>alles</strong><br />
<strong>Männer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Lebensmitte</strong><br />
Die Wechseljahre des Mannes s<strong>in</strong>d die Jahre, <strong>in</strong> denen die <strong>Männer</strong> ihre Frauen<br />
wechseln! O<strong>der</strong><br />
FOTO: Re<strong>in</strong>hold Horz<br />
Wechseljahre – nur e<strong>in</strong> Problem<br />
von Frauen<br />
Befragt man <strong>Männer</strong> mittleren<br />
Alters, was sie mit Wechseljahren zu<br />
tun haben, antworten die meisten von<br />
ihnen: „Was für e<strong>in</strong> Uns<strong>in</strong>n. So etwas<br />
gibt es doch gar nicht. Es genügt<br />
<strong>schon</strong>, wenn Frauen so was haben.<br />
Wir <strong>Männer</strong> haben <strong>das</strong> nicht“. Die<br />
Wechseljahre werden immer noch<br />
als e<strong>in</strong> Frauenproblem angesehen<br />
und als e<strong>in</strong>e typische `Frauensache`<br />
betrachtet. Dabei ist seit vielen Jahren<br />
bekannt – jedoch mit dem Gefühl<br />
von viel Scham besetzt, <strong>das</strong>s auch<br />
<strong>der</strong> Mann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en `besten Jahren`<br />
beg<strong>in</strong>nt, unter typischen Symptomen<br />
des Älterwerdens zu leiden.<br />
So f<strong>in</strong>den wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur und<br />
Forschung nur wenige Veröffentlichungen<br />
zu diesem Thema. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
die seelischen Aspekte hierzu<br />
f<strong>in</strong>den zu wenig Berücksichtigung.<br />
Grundsätzlich betrachtet, ist diese<br />
<strong>Lebensmitte</strong>krise als e<strong>in</strong>e Entwicklungsstufe<br />
seelischen Lebens und<br />
damit als e<strong>in</strong> natürlicher entwicklungspsychologischer<br />
Vorgang zu<br />
sehen, den man(n) mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
gut bewältigen kann und <strong>der</strong> zur<br />
weiteren psychischen und physischen<br />
Reifung <strong>der</strong> Persönlichkeit notwendig<br />
ist.<br />
Kennzeichen e<strong>in</strong>er Midlife Crisis<br />
Die Wechseljahre des Mannes treten<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel zwischen dem 40. und<br />
dem 55. Lebensjahr auf. Alle <strong>Männer</strong><br />
s<strong>in</strong>d davon betroffen, allerd<strong>in</strong>gs ist<br />
<strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n und vor allem <strong>der</strong> Verlauf<br />
<strong>der</strong> Wechseljahre bei jedem Mann<br />
unterschiedlich. Nicht für jeden Mann<br />
bedeutet diese Entwicklungsphase<br />
e<strong>in</strong>e turbulente Zeit voller Selbstzweifel<br />
und Selbstunsicherheit. Wer bei-<br />
© Katholische Beratungsstelle für <strong>Ehe</strong>-, <strong>Familien</strong>- und Lebensfragen • Ste<strong>in</strong>weg 12 • 50667 Köln • www.elf-koeln.de
spielsweise e<strong>in</strong>e zufriedene <strong>Ehe</strong> o<strong>der</strong><br />
Partnerschaft führt und sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Berufsleben wohl fühlt, <strong>der</strong> erlebt<br />
diese Phase weniger dramatisch, son<strong>der</strong>n<br />
vielmehr als e<strong>in</strong>en Prozess <strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>neren Reifung. Nicht zuletzt spielen<br />
Persönlichkeitsmerkmale e<strong>in</strong>e Rolle,<br />
ob diese Verän<strong>der</strong>ungen als Krise<br />
o<strong>der</strong> als Chance und Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
wahrgenommen werden.<br />
Vielen <strong>Männer</strong>n <strong>in</strong> diesem Lebensalter<br />
ist geme<strong>in</strong>sam, <strong>das</strong>s sie e<strong>in</strong>e für<br />
sie häufig als krisenhaft empfundene<br />
Verän<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> ihrem Lebensgefühl<br />
feststellen, was sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel erst<br />
e<strong>in</strong>mal an körperlichen Beschwerden<br />
festzumachen suchen. Sie fühlen<br />
sich schlapp, depressiv verstimmt<br />
und ohne Antrieb. Viele <strong>Männer</strong><br />
suchen ihren Arzt auf und klagen<br />
über psychosomatische Probleme<br />
wie Schlafstörungen, Müdigkeit,<br />
Erschöpfungszustände und Lustlosigkeit.<br />
An<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um leiden unter<br />
<strong>in</strong>nerer Unruhe, Nervosität, Zittern<br />
und Schweißausbrüchen. Erschrocken<br />
stellen sie fest, <strong>das</strong>s ihr Bedürfnis nach<br />
Sexualität nachlässt und die Erektionsfähigkeit<br />
sowie die Muskelkraft abnehmen.<br />
Rücken- und Kopfschmerzen<br />
treten dagegen vermehrt auf. E<strong>in</strong>e sich<br />
steigernde Sorge um ihre Männlichkeit<br />
und Unversehrtheit treibt sie um;<br />
dabei s<strong>in</strong>d sie von heftigen Schamund<br />
M<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigkeitsgefühlen<br />
geplagt.<br />
Ätiologische Faktoren <strong>der</strong> Midlife<br />
Crisis<br />
Die Ursachen e<strong>in</strong>er Midlife crisis s<strong>in</strong>d<br />
vielfältig. Mit zunehmenden Alter lässt<br />
die körperliche und geistige Kapazität<br />
und somit auch die berufliche Leistungsfähigkeit<br />
nach, die für viele <strong>Männer</strong><br />
<strong>der</strong> entscheidende Faktor ihrer<br />
Selbstwertregulation ist. E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er<br />
Auslöser <strong>der</strong> Midlife crisis kann <strong>der</strong><br />
Verlust des Arbeitsplatzes se<strong>in</strong>. Er<br />
erzeugt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bei <strong>Männer</strong>n<br />
e<strong>in</strong>en starken psychischen Druck und<br />
geht häufig <strong>in</strong> diesem Alter mit Symptomen<br />
e<strong>in</strong>her, die auch bei an<strong>der</strong>en<br />
psychischen Störungen vorkommen.<br />
In diesem Zusammenhang auftretende<br />
Somatisierungsstörungen und<br />
auch Suchtverhalten dienen dabei,<br />
depressive Gefühle abzuwehren. E<strong>in</strong><br />
Zusammenbruch ihres Selbstwertgefühls<br />
för<strong>der</strong>t bei <strong>Männer</strong>n depressive<br />
Verstimmungen und lässt sie, sich<br />
hilflos fühlend, den Rückzug <strong>in</strong> die<br />
Isolation antreten.<br />
Beim Mann hängt - viel mehr als<br />
bei <strong>der</strong> Frau - se<strong>in</strong> Selbstwertgefühl<br />
noch immer vom Erfolg und <strong>der</strong><br />
Anerkennung im Beruf ab. Die eigene<br />
Leistungskraft und <strong>das</strong> Selbstbewusstse<strong>in</strong><br />
werden nach dem beruflichen<br />
Erfolg bemessen. Die Arbeitslosigkeit<br />
empf<strong>in</strong>det er als e<strong>in</strong>en Statusverlust<br />
und verrechnet sie als persönliche<br />
Nie<strong>der</strong>lage. Se<strong>in</strong>e soziale und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
se<strong>in</strong>e persönliche Identität<br />
als Mann ist durch die Arbeitslosigkeit<br />
beschädigt und se<strong>in</strong> Selbstwert stark<br />
herabgesetzt.<br />
Vielfacher Auslöser für <strong>das</strong> plötzliche<br />
Erleben von Unsicherheit und<br />
Zweifel <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Lebensmitte</strong> s<strong>in</strong>d<br />
zudem Trennungs- und Ablösungsprozesse,<br />
d.h. grundsätzlich belastende<br />
Lebenserfahrungen, die <strong>in</strong> diesem<br />
Alter zunehmend erlebt werden und<br />
Midlife Crisis (engl.: Mittlebenskrise):<br />
Mit dem Begriff<br />
Midlife Crisis ist e<strong>in</strong> psychischer<br />
Zustand <strong>der</strong> Unsicherheit im<br />
Lebensabschnitt von Mitte 30<br />
bis Mitte 50 Jahren geme<strong>in</strong>t.<br />
Im Unterschied zu seelischen<br />
Erkrankungen im engeren S<strong>in</strong>ne<br />
besteht ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Abgrenzung<br />
zum natürlichen, gesunden<br />
Seelenleben auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und<br />
zu spezifischen psychischen<br />
Störungen des Erwachsenenalters<br />
auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite.<br />
zu e<strong>in</strong>em Umdenken auffor<strong>der</strong>n. Diese<br />
psychischen Belastungen können<br />
beispielsweise die Ablösung von den<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n (leere Nest-Situation), die<br />
Weiterentwicklungsbestrebungen<br />
<strong>der</strong> Partner<strong>in</strong> o<strong>der</strong> gar die Trennung<br />
von <strong>der</strong> <strong>Ehe</strong>frau se<strong>in</strong>. Auch <strong>der</strong> Tod<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e schwere Krankheit <strong>der</strong><br />
Eltern sowie e<strong>in</strong>e eigene körperliche<br />
Erkrankung rücken die Endlichkeit<br />
des Lebens mehr <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> und<br />
können e<strong>in</strong>e Krise auslösen. Bildlich<br />
gesprochen: <strong>Männer</strong> stehen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Lebensmitte</strong> auf dem Gipfel e<strong>in</strong>es<br />
Berges und sehen von da aus <strong>das</strong> Tal,<br />
<strong>das</strong> Alter heißt.<br />
Mit dem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> den zweiten<br />
Lebensabschnitt werden erste<br />
Bilanzierungsfragen aufgeworfen, die<br />
– positiv gewendet - häufig zu e<strong>in</strong>er<br />
Werteverschiebung führen: Es s<strong>in</strong>d<br />
Fragen nach dem Wesentlichen vor<br />
dem H<strong>in</strong>tergrund des Gewahrwerdens<br />
<strong>der</strong> noch verbleibenden Zeit, die im<br />
Extrem zu e<strong>in</strong>er Identitätskrise führen<br />
können: Wie sah me<strong>in</strong> Leben bisher<br />
aus, was habe ich erreicht, was nicht<br />
Wollte ich eigentlich so leben Wie<br />
möchte ich <strong>in</strong> Zukunft leben Was<br />
bleibt mir noch vom Leben<br />
Der E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> psychischen Struktur<br />
und damit auch die Anpassungsfähigkeit<br />
und die Beweglichkeit des<br />
E<strong>in</strong>zelnen spielen e<strong>in</strong>e wichtige Rolle.<br />
Dazu kommt die persönliche E<strong>in</strong>schätzung,<br />
ob man genügend effektive<br />
Fähigkeiten und Kompetenzen zur<br />
Verfügung hat, mit denen die Probleme<br />
gut bewältigt werden können.<br />
„Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Erfüller“<br />
– e<strong>in</strong> Beispiel aus <strong>der</strong><br />
Beratungsstelle<br />
Der 50-jährige Herr K. kommt <strong>in</strong><br />
die Beratungsstelle und klagt über<br />
Langeweile und Perspektivlosigkeit<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er <strong>Ehe</strong> sowie Stagnation im<br />
Beruf. Er habe den E<strong>in</strong>druck, <strong>das</strong> Leben<br />
ziehe an ihm vorüber. Der Verlust e<strong>in</strong>es<br />
zufriedenen Lebensgefühls sei für ihn<br />
überraschend gekommen. Se<strong>in</strong> wichtigster,<br />
langjähriger Kunde habe ihn<br />
vor etwa 2 Jahren unerwartet verlassen,<br />
ihm „den Rücken zu gekehrt und<br />
sich <strong>in</strong> Luft aufgelöst“. Das habe ihn<br />
hart getroffen. Rückblickend habe er<br />
heute <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s „bereits <strong>schon</strong><br />
früher tief im Inneren etwas ganz<br />
schleichend passiert ist“.<br />
Parallel dazu berichtet <strong>der</strong> Klient<br />
von se<strong>in</strong>en körperlichen und psychischen<br />
Schwierigkeiten, die nach<br />
se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung ihren Beg<strong>in</strong>n <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Beziehungskrise gehabt hätten.<br />
Se<strong>in</strong>e <strong>Ehe</strong>frau sei mit <strong>der</strong> <strong>Ehe</strong> mehr<br />
und mehr unzufrieden, nörgele immer<br />
wie<strong>der</strong> an ihm herum und stelle<br />
immer neue Anfor<strong>der</strong>ungen an ihn.<br />
Sexuell liefe zwischen ihnen beiden<br />
seit Monaten nichts mehr. Wegen <strong>der</strong><br />
fortgesetzten Konflikte mit se<strong>in</strong>er<br />
<strong>Ehe</strong>frau, aber auch wegen anhalten<strong>der</strong><br />
Gefühle von Schlappheit und Durchschlafstörungen<br />
habe er gelegentlich<br />
zu Schlafmitteln und zuletzt auch<br />
großen Mengen Alkohol gegriffen. Er<br />
habe sich körperlich immer so stark<br />
gefühlt und se<strong>in</strong>e nachlassende Kraft<br />
lange Zeit nicht wahrnehmen wollen.<br />
Für <strong>das</strong> Verhalten se<strong>in</strong>er Frau habe<br />
er ke<strong>in</strong> Verständnis, da er doch „im<br />
Pr<strong>in</strong>zip <strong>alles</strong> für sie und die Familie<br />
© Katholische Beratungsstelle für <strong>Ehe</strong>-, <strong>Familien</strong>- und Lebensfragen • Ste<strong>in</strong>weg 12 • 50667 Köln • www.elf-koeln.de
getan hätte“. Nach vielen Streits<br />
mit se<strong>in</strong>er <strong>Ehe</strong>frau g<strong>in</strong>ge man sich<br />
mittlerweile aus dem Weg. Sie sei ihm<br />
mittlerweile häufig gleichgültig. Zur<br />
Zeit halte er an <strong>der</strong> <strong>Ehe</strong> nur <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
wegen fest. In Gegenwart se<strong>in</strong>er Frau<br />
fühle er sich „wie e<strong>in</strong> großer Junge“,<br />
letztlich e<strong>in</strong>sam und deprimiert.<br />
Außerdem verspüre er seit etwa<br />
e<strong>in</strong>em Jahr ke<strong>in</strong>e Motivation mehr,<br />
sich beruflich weiter zu engagieren, so<br />
wie er <strong>das</strong> all die Jahre zuvor gemacht<br />
habe. In se<strong>in</strong>em Beruf als Geschäftsführer<br />
habe er „fast <strong>alles</strong> erreicht“ und<br />
viel Geld verdient. Dennoch plage<br />
ihn oft <strong>der</strong> unerträgliche Gedanke,<br />
<strong>in</strong>sgesamt betrachtet wenig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Leben erreicht zu haben. Nur noch<br />
rituell se<strong>in</strong>e Pflicht erfüllend, fühle er<br />
sich ausgebrannt und empf<strong>in</strong>de Zweifel<br />
und Orientierungslosigkeit. Das<br />
starke Abfallen se<strong>in</strong>er Leistungskraft<br />
und die Zunahme von Gefühlen <strong>der</strong><br />
M<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigkeit und Überfor<strong>der</strong>ung<br />
bereite ihm Angst. Er fühle sich völlig<br />
unvorbereitet auf diese neue Situation<br />
und spüre e<strong>in</strong>e Leere <strong>in</strong> sich. Im<br />
„grauen Alltag“ erlebe er Phasen von<br />
Hilf- und Machtlosigkeit, was ihn sehr<br />
erschrecken würde und ihn phlegmatisch<br />
mache.<br />
Obwohl die Midlife Crisis nicht als psychische Störung def<strong>in</strong>iert ist, sollte<br />
man die Schwere und <strong>das</strong> Symptombild <strong>der</strong> Midlife Crisis nicht unterschätzen.<br />
Es kann sich nämlich bei länger anhalten<strong>der</strong> Symptomatik e<strong>in</strong>e psychische<br />
Störung manifestieren – meist handelt es sich dann um e<strong>in</strong>e Depression. Hier<br />
ist die Suizidgefahr beson<strong>der</strong>s zu beachten, da die Suizidrate <strong>in</strong> Deutschland<br />
bei <strong>Männer</strong>n höheren Lebensalters (über 45 J.) am höchsten ist. Nicht je<strong>der</strong>,<br />
<strong>der</strong> sich <strong>das</strong> Leben nimmt, ist zuvor <strong>in</strong> psychiatrischer o<strong>der</strong> psychotherapeutischer<br />
Behandlung gewesen.<br />
Im Verlauf des Beratungsprozesses<br />
wurde immer deutlicher, <strong>das</strong>s <strong>der</strong><br />
Selbstwert von Hr. K. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em entscheidenden<br />
Maße von äußerer Anerkennung<br />
und Erfolg abhängig war. In<br />
dem Moment, als e<strong>in</strong> wichtiger Kunde<br />
absprang, reagierte Hr. K. mit übergroßem<br />
Zweifel und Unsicherheiten. In<br />
ihm verstärkte sich die Wahrnehmung,<br />
<strong>der</strong> Verlust des Kunden sei nie wie<strong>der</strong><br />
gut zu machen. Auch verstrickte er<br />
sich <strong>in</strong> die Idee, er selbst habe diesen<br />
Verlust durch eigene Fehler bewirkt<br />
und sei damit schuldig an <strong>der</strong> Misere.<br />
Außerdem wurde <strong>in</strong> den Beratungsgesprächen<br />
offensichtlich, <strong>das</strong>s Hr. K.<br />
sich den Wünschen se<strong>in</strong>er Frau über<br />
viele Jahre h<strong>in</strong>weg ohne Reflexion und<br />
Klage anpasste, um von se<strong>in</strong>er Frau<br />
gemocht und anerkannt zu werden.<br />
Um sich se<strong>in</strong>er Bezugspersonen (u.a.<br />
se<strong>in</strong>e Kunden, se<strong>in</strong>e <strong>Ehe</strong>frau) sicher zu<br />
se<strong>in</strong>, musste er die eigenen Bedürfnisse<br />
verleugnen, die durch se<strong>in</strong> angepasstes<br />
Verhalten überdeckt wurden.<br />
Für ihn stand an erster und wichtigster<br />
Stelle „gebraucht zu werden“. Se<strong>in</strong>e<br />
Rolle als „Erfüller“ gab ihm se<strong>in</strong>en<br />
Lebenss<strong>in</strong>n. Der Preis hierfür war, <strong>das</strong>s<br />
Hr. K. den Zugang zu se<strong>in</strong>en eigenen<br />
Bedürfnissen und Gefühlen verlor. Erst<br />
im Beratungsprozess wurde Herrn K.<br />
bewusst, wie sehr er sich selbst überschätzte,<br />
und welch` hohe Ansprüche<br />
er an sich im Beruf und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie<br />
stellte. Dies allmählich wahrnehmend,<br />
konnte <strong>der</strong> Klient se<strong>in</strong>e Neigung<br />
zu depressiven Selbstzweifeln und<br />
Selbstverurteilungen, aber auch se<strong>in</strong>e<br />
leichte Kränkbarkeit besser verstehen.<br />
Hr. K. sah es als notwendig an, für<br />
sich neue Perspektiven e<strong>in</strong>es s<strong>in</strong>nvollen<br />
Lebens zu entwickeln. Beispielsweise<br />
wurde es für Hr. K. wichtig, se<strong>in</strong>e<br />
beruflichen Ziele neu zu def<strong>in</strong>ieren<br />
und e<strong>in</strong>e Neubewertung se<strong>in</strong>er beruflichen<br />
Arbeit vorzunehmen. Am Ende<br />
<strong>der</strong> Beratung hatte sich die Lebenssituation<br />
von Hr. K. deutlich gebessert.<br />
In se<strong>in</strong>em Beruf hatte er nun schneller<br />
<strong>das</strong> sichere und befriedigen<strong>der</strong>e<br />
Gefühl, genügend Arbeit geleistet zu<br />
haben. In <strong>der</strong> Partnerschaft g<strong>in</strong>g er<br />
dazu über, sich von den Ansprüchen<br />
se<strong>in</strong>er Frau zu distanzieren und se<strong>in</strong>e<br />
Kraft mehr auf die eigene Freizeitgestaltung<br />
zu lenken.<br />
Hr. K. formulierte <strong>das</strong> so: „Ich<br />
glaubte, ich hätte die D<strong>in</strong>ge irgendwie<br />
immer im Griff. Das war e<strong>in</strong> Irrglaube,<br />
genauso wie <strong>der</strong> Mythos vom starken<br />
Mann. Ich will mich weniger darstellen<br />
müssen, son<strong>der</strong>n mich mehr spüren,<br />
auch körperlich. Indem ich mich auf<br />
mich selbst konzentriere, kann ich<br />
auch me<strong>in</strong>e Frau besser so akzeptieren<br />
wie sie ist. Mal sehen, wie weit <strong>das</strong><br />
mich und uns beide tragen wird“.<br />
Worum geht es <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Beratung<br />
Akzeptanz <strong>der</strong> Unvollkommenheit<br />
In <strong>der</strong> Beratung geht es zunächst<br />
e<strong>in</strong>mal darum, e<strong>in</strong>e Beziehung zwischen<br />
Berater und Klient zu erarbeiten,<br />
die es dem Klienten gestattet, „sich<br />
<strong>alles</strong> von <strong>der</strong> Seele reden zu können“<br />
ohne Angst vor e<strong>in</strong>er negativen<br />
Bewertung und weiterer Beschämung.<br />
Die Empathie „als e<strong>in</strong>e Beobachtungsmethode,<br />
die auf <strong>das</strong> <strong>in</strong>nere<br />
© Katholische Beratungsstelle für <strong>Ehe</strong>-, <strong>Familien</strong>- und Lebensfragen • Ste<strong>in</strong>weg 12 • 50667 Köln • www.elf-koeln.de
Nicht nur die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
mit dieser Unvollkommenheit ist e<strong>in</strong><br />
wichtiger Schritt, son<strong>der</strong>n auch die<br />
Beschäftigung mit <strong>der</strong> Begrenztheit<br />
eigener Entwicklungsmöglichkeiten<br />
und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e des Lebens. Im<br />
Zuge <strong>der</strong> Bearbeitung dieser Erkenntnis,<br />
aber auch des Gefühls, immer<br />
nur gearbeitet und <strong>das</strong> Leben auf<br />
Erfolg h<strong>in</strong> ausgerichtet zu haben,<br />
lassen Wut und Aggressionen an die<br />
Oberfläche treten, die vom Berater<br />
angenommen, ausgehalten und von<br />
ihm portionsweise dem Klienten<br />
wie<strong>der</strong> zur weiteren Verarbeitung<br />
zur Verfügung gestellt werden. In <strong>der</strong><br />
offenen Lebensbilanzierung geht es<br />
um die emotionale Annahme aller<br />
damit verbundenen Gefühle und um<br />
die Akzeptanz des eigenen bisherigen<br />
Lebens.<br />
FOTOS: Ursula Dannhäuser<br />
Leben des Menschen e<strong>in</strong>gestimmt ist“<br />
(Kohut 1982), und die Wertschätzung<br />
gegenüber dem Klienten s<strong>in</strong>d wichtige<br />
Bauste<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratungsarbeit.<br />
Sie bewirken, <strong>das</strong>s er sich verstanden<br />
fühlt und Vertrauen sowie Hoffnung<br />
schöpft. Empathie me<strong>in</strong>t dabei nicht<br />
Gefühle wie etwa E<strong>in</strong>fühlung, Zuneigung<br />
o<strong>der</strong> Mitleid, son<strong>der</strong>n bedeutet<br />
„die Fähigkeit, <strong>das</strong> <strong>in</strong>nere Leben e<strong>in</strong>es<br />
an<strong>der</strong>en Menschen zu erfassen, <strong>in</strong>dem<br />
man mit se<strong>in</strong>em Gefühlszustand mitschw<strong>in</strong>gt“<br />
(ebd.).<br />
Um e<strong>in</strong>e solche Krise zu bewältigen,<br />
ist zunächst <strong>der</strong> Wille zur Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
mit psychischen Problemen<br />
von entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung. Für<br />
die meisten <strong>Männer</strong> bedeutet dies<br />
e<strong>in</strong>e sehr schwierige Aufgabe, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
deshalb, weil dieses Thema<br />
immer noch sehr schambesetzt ist.<br />
Gerade <strong>Männer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Lebensmitte</strong><br />
wie Hr. K. empf<strong>in</strong>den sich als Versager,<br />
chronisch hilflos, <strong>der</strong>en Selbstbild es ja<br />
gerade ist, an<strong>der</strong>e nicht zu brauchen.<br />
Sie s<strong>in</strong>d jedoch <strong>in</strong> Wirklichkeit große<br />
Kämpfer, die zunächst noch nicht<br />
wissen, wo mittlerweile ihre wirklichen<br />
Gegner stehen. F<strong>in</strong>den jedoch die<br />
<strong>Männer</strong> den Weg <strong>in</strong> die Beratungsstelle<br />
o<strong>der</strong> holen sich gegebenenfalls<br />
über e<strong>in</strong>e Psychotherapie professionelle<br />
Hilfe, ist die Chance <strong>der</strong> Krisenbewältigung<br />
sehr gut. Der Berater<br />
hat dabei die Aufgabe, e<strong>in</strong>e Brücke zu<br />
bauen, die es dem Klienten ermöglicht,<br />
bisher kaum e<strong>in</strong>gestandene<br />
Gefühle wie Trauer, Wut und E<strong>in</strong>samkeit<br />
zuzulassen.<br />
Bewusstmachen und Annehmen<br />
aller Gefühle<br />
Der Erfolg <strong>der</strong> Beratung hängt von<br />
<strong>der</strong> Bereitschaft des Klienten ab, sich<br />
<strong>in</strong> den Raum se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren E<strong>in</strong>samkeit<br />
zu begeben, ihn zu durchschreiten<br />
und sich <strong>der</strong> Enttäuschung zu stellen.<br />
Der Berater steht eng an se<strong>in</strong>er Seite<br />
und begleitet ihn auf diesem Weg. Erst<br />
dieses Mitgehen ermöglicht dem Klienten<br />
Zugang zu se<strong>in</strong>er (verdrängten)<br />
Traurigkeit, wenn er feststellen muss,<br />
<strong>das</strong>s se<strong>in</strong> Leben unvollkommen ist.<br />
Literaturangaben:<br />
Aufbrechen zu neuen Ufern<br />
Am Ende <strong>der</strong> Beratung hat <strong>der</strong><br />
Berater e<strong>in</strong> Bild von <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Welt<br />
des Klienten erhalten. Auf dieser<br />
Basis kann nun geme<strong>in</strong>sam mit dem<br />
Klienten Ideen, aber auch konkrete<br />
Entwürfe für e<strong>in</strong>e Neuorientierung<br />
entwickelt und zusammen an neuen<br />
Lebenszielen und <strong>der</strong>en Umsetzung<br />
gearbeitet werden. Insgesamt ist<br />
es Ziel des geme<strong>in</strong>samen Werkes,<br />
den Klienten aus se<strong>in</strong>er depressiven<br />
Stimmung und Passivität heraus <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
s<strong>in</strong>nvolleres und aktives Leben zu führen.<br />
Begreifen die <strong>Männer</strong> die Midlife<br />
crisis als notwendige Entwicklungsund<br />
als Reifungsphase, dann können<br />
sie aus diesem Lebensabschnitt<br />
mit dem Gefühl <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Stärke,<br />
mit neuer Energie und Zuversicht<br />
hervortreten.<br />
Bernd van Buggenum<br />
Kohut, H. (1982). Introspection, empathy, and the semicircle of mental health.<br />
International Journal of Psycho-Analysis 63:395-408.<br />
Jaenicke, C. (2006). Das Risiko <strong>der</strong> Verbundenheit – Intersubjektivitätstheorie<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis. Klett-Cotta.<br />
Turmes, L. (2008). Sem<strong>in</strong>ar IPR-Köln zum Thema: DieWechseljahre des<br />
Mannes.<br />
http://www.sgipt.org/gipt/entw/midlc0.htm (2004): Internet Publikation für<br />
Allgeme<strong>in</strong>e und Integrative Psychotherapie.<br />
© Katholische Beratungsstelle für <strong>Ehe</strong>-, <strong>Familien</strong>- und Lebensfragen • Ste<strong>in</strong>weg 12 • 50667 Köln • www.elf-koeln.de