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Bindungsmuster und ihre Auswirkung auf die Partnerschaft

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BINDUNGSMUSTER UND IHRE AUSWIRKUNGENAUF DIE PARTNERSCHAFTBINDUNGSERFAHRUNGEN UND IHREBEDEUTUNG FÜR PARTNERSCHAFTUND PAARBERATUNGBindungsforscher – unter ihnen besonders derenglische Psychiater <strong>und</strong> Psychoanalytiker JohnBowlby <strong>und</strong> seine Mitarbeiterin Mary Ainsworth –haben bereits in den 50ziger Jahren <strong>und</strong> später<strong>auf</strong> Gr<strong>und</strong> von Verhaltensstu<strong>die</strong>n bei Kleinkindernherausgef<strong>und</strong>en, dass Säuglinge im L<strong>auf</strong>des ersten Lebensjahres <strong>auf</strong> der Gr<strong>und</strong>lageeines biologisch angelegten Verhaltenssystemseine starke emotionale Bindung zu einerHauptperson entwickeln.Welche Rolle <strong>die</strong>se Bindungserfahrungen für<strong>die</strong> <strong>Partnerschaft</strong> spielen können <strong>und</strong> was daswiederum für <strong>die</strong> Paarberatung heißt, will derfolgende Artikel <strong>auf</strong>zeigen. Ich beziehe michinsbesondere <strong>auf</strong> Ausführungen dazu von Dr.med. Karl-Heinz Brisch. Ich gebrauche in demArtikel überwiegend den Begriff Mutter, wennich von der Hauptbezugsperson spreche. Dieskann in dem Leben des Kindes auch der Vateroder eine andere Bezugsperson sein.BEIDE – DIE MUTTER WIE DASKIND – STELLEN DIE SICHEREBINDUNG GEMEINSAM HER.Das Kind bindet sich sicher an <strong>die</strong> Person <strong>die</strong>ihm ein sicherer Hort <strong>und</strong> Hafen ist. Man kannwirklich von Überleben sprechen. Denn für dasunselbständige menschliche Neugeborene <strong>und</strong>Kleinkind ist <strong>die</strong> schützende Bindungspersonvon absolut lebenserhaltender Bedeutung.Ohne <strong>die</strong>se Schutzfunktion wäre der Säuglingverloren. Die Qualität der Bindung hängt vonder Bindungsbereitschaft <strong>und</strong> dem Bindungsvermögender Mutter ab. Denn auch <strong>die</strong>Mutter hat wiederum sichere oder unsichereBindungserfahrungen gemacht, <strong>die</strong> in derBindungshaltung zum Kind wirksam werden.Kinder jedoch verfügen über eine enormeAnpassungsleistung. Um ein Mindestmaß ansicherer Bindung zu bekommen, entwickelnsie <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Bindungshaltung der Mutter angepasste<strong>Bindungsmuster</strong>, <strong>die</strong> ich später nochbeschreiben werde.Birgit BritzLiebe ist das schönste,was es gibt.Aber Liebe kann auchunendlich wehtun!WIE UND WARUM ENTSTEHTBINDUNG? BINDUNG SICHERTÜBERLEBENJedes Kind ist bei der Geburt mit einem Bindungssystemausgestattet. Erlebt der SäuglingAngst, etwa bei Trennung von der Mutter, beiSchmerz oder äußerer oder innerer Bedrohungwird sein Bindungssystem aktiviert. Das Kindsucht den Kontakt zur Mutter durch Blicke <strong>und</strong>Anklammern. Durch Weinen <strong>und</strong> ärgerlichenProtest bringt es zum Ausdruck, dass es <strong>die</strong>Trennung von der Bindungsperson verhindernmöchte, oder dass es <strong>ihre</strong> Nähe benötigt. Damitruft das Kind so zu sagen aus eigenemAntrieb <strong>und</strong> zu seinem körperlichen <strong>und</strong> seelischen„Überleben“ <strong>die</strong> Schutz- <strong>und</strong> Haltefunktionender Mutter hervor. Die Mutter wiederumstellt <strong>ihre</strong> Bindungs- <strong>und</strong> Schutzbereitschaftintuitiv zur Verfügung. Sie sorgt bei äußerer<strong>und</strong> innerer Bedrohung für den Schutz desKindes, in dem sie <strong>die</strong> Gefährdung <strong>und</strong> Angstwahrnimmt <strong>und</strong> erkennt, Nähe herstellt, dasKind tröstet <strong>und</strong> schützend <strong>auf</strong> den Arm nimmt.WIE ENTSTEHT EINE SICHEREBINDUNG?Ein Kind bindet sich an <strong>die</strong> Person sicher, <strong>die</strong>seine Bedürfnisse in einer feinfühligen Art <strong>und</strong>Weise beantwortet. Man könnte den von derBindungsforscherin Mary Ainsworth geprägtenBegriff der „Feinfühligkeit“ auch mit Empathieübersetzen.Die Feinfühligkeit beinhaltet, dass <strong>die</strong> Mutter<strong>die</strong> Signale des Kindes richtig wahrnimmt <strong>und</strong>sie ohne Verzerrungen durch eigene Bedürfnisse<strong>und</strong> Wünsche auch richtig interpretiert.Weiterhin muss <strong>die</strong> Pflegeperson <strong>die</strong> Bedürfnisseangemessen <strong>und</strong> prompt – dem entsprechendenAlter des Babys oder Kleinkindes –beantworten. Je älter der Säugling wird, umsolänger dürfen auch <strong>die</strong> Zeiten sein, <strong>die</strong> ihm biszur Bedürfnisbefriedigung zugemutet werden.Durch <strong>die</strong> folgende Beispielszene möchte ich<strong>die</strong> oben beschriebene Theorie praktisch verdeutlichen.Erste Gehversuche in der Wohnung:Das Kind fällt hin <strong>und</strong> tut sich weh. Schreck<strong>und</strong> Schmerz aktivieren das Bindungssystemdes Kindes; es weint. Es braucht <strong>die</strong> Mutter.Durch das Weinen wird das Bindungssystemder Mutter aktiviert. Sie schaut in <strong>die</strong> Richtungdes Kindes, geht oder läuft gegebenenfalls zuihm. Sie nimmt es <strong>auf</strong> den Arm, geht <strong>auf</strong> denSchreck <strong>und</strong> den Schmerz ein, spricht beruhigend<strong>und</strong> trocknet <strong>die</strong> Tränen. Danach lenktsie das Kind ab <strong>und</strong> ermuntert es, sich wiederzu lösen <strong>und</strong> sich mit einem Spielzeug zu© Katholische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- <strong>und</strong> Lebensfragen • Steinweg 12 • 50667 Köln • www.elf-koeln.de


... + = – ? ♥BINDUNGSMUSTER UND IHRE AUSWIRKUNGENAUF DIE PARTNERSCHAFT (FORTSETZUNG)Die Liebe ist da,wo das Leben anfängt.Es beginntmit der Mutterliebe.Die Liebe hörtniemals <strong>auf</strong>.beschäftigen. Ein beruhigtes Kind wird sichdann lösen. Ein Kind nimmt nicht nur durch<strong>die</strong> Art des Wickelns, Fütterns <strong>und</strong> Tragens <strong>die</strong>Feinfühligkeit der Mutter wahr <strong>und</strong> bindet sichdeshalb sicher an sie, sondern auch durchMimik, Gestik <strong>und</strong> Sprache der Mutter. DieMutter spiegelt <strong>die</strong> Gefühle des Kindes durcheine besonders „übertriebene“ – man könntesagen markierende – Mimik <strong>und</strong> Sprache. MitSprache sind neben dem Tonfall auch <strong>die</strong>Sprachmelo<strong>die</strong>, der Sprachrhythmus <strong>und</strong> <strong>die</strong>Lautstärke gemeint. Nicht <strong>die</strong> völlig synchrone<strong>und</strong> fortl<strong>auf</strong>ende Spiegelung ist bindungs- <strong>und</strong>beziehungsförderlich. Man kann nämlich beobachten,dass sich Kinder besonders beruhigenlassen, wenn <strong>die</strong> Mütter <strong>die</strong> negativen Gefühledes Kindes – wie Unlust, Ärger oder Angstnicht fortl<strong>auf</strong>end spiegeln. Vielmehr schließensich <strong>die</strong>se Mütter jeweils für kurze Augenblickemit <strong>ihre</strong>r Mimik, der Gestik <strong>und</strong> dem Tonfalldes Kindes an, lassen dann Pausen entstehen,bevor sie erneut <strong>auf</strong> das Kind eingehen. DiePausen dürfen allerdings nicht so ausgeprägtsein, dass der Kontakt zwischen Mutter <strong>und</strong>Kind vollständig abbricht oder auseinanderdriftet.Die Erfahrung des Kindes, dass es tatsächlichdas gefühlsspiegelnde Verhalten der Mutterbewirken <strong>und</strong> kontrollieren kann, führt zur Gefühlsregulation.Interessant ist, dass <strong>die</strong> Kinderden erklärenden Inhalt von Worten oft nochgar nicht verstehen können, sie sich jedochdurch <strong>die</strong> Art der Ansprache innerlich <strong>und</strong>äußerlich erfasst fühlen.Auch hier soll ein Beispiel <strong>die</strong> wissenschaftlichenBeobachtungen verständlich machen.Mutter <strong>und</strong> Kind sind im Bus unterwegs. DasBaby – ca. 3-4 Monate alt – macht durch einkurzes <strong>auf</strong>begehrendes Aufschreien im Kinderwagen<strong>auf</strong> sich <strong>auf</strong>merksam. Es klingt unlustig,ärgerlich <strong>und</strong> ungeduldig, aber auch einwenig kläglich. Die Mutter steht <strong>auf</strong>, schaukeltden Wagen, beugt sich zu dem Kind mit den<strong>auf</strong>munternden Worten: “Ja, ja, ein bisschenmüssen wir aber noch.“ Die Mutter markiert<strong>die</strong> Worte „Ja, Ja“ <strong>und</strong> „müssen“ in besondererWeise, sie übertreibt so zu sagen. So würdeman nie mit einem Erwachsenen reden.bringenden Wartezeit. Das Kind hat noch einigeMale gegrummelt. Die Mutter reagiertenicht sofort, sondern nach zweimaligem Aufschreien,reagierte mit „Ja, ja“ schaukeltekurz den Wagen. Das Kind war beruhigt. DasKind erlebt so nicht nur, dass es <strong>auf</strong> seineMutter einwirken kann, sondern darüber hinausführt <strong>die</strong> stimmige Gefühlsanpassungvon Mutter <strong>und</strong> Kind dazu, dass <strong>die</strong> eigenenGefühle als berechtigt <strong>und</strong> sinnstiftend bestätigtwerden. Das Kind erlebt Gemeinsamkeit<strong>und</strong> kann sie herbeiführen. Damit wird eineinnere Sicherheit etabliert. Durch das Verstehender Mutter nimmt das Kind eigene Bedürfnisse,Gefühle <strong>und</strong> Ängste als berechtigt wahr.Werden <strong>die</strong> Bedürfnisse des Säuglings in <strong>die</strong>serfeinfühligen Art <strong>und</strong> Weise von einer Pflegepersonbeantwortet, so besteht eine relativgroße Wahrscheinlichkeit, dass der Säuglingzu <strong>die</strong>ser Person im L<strong>auf</strong>e des ersten Lebensjahreseine sichere Bindung entwickelt. Sowird aus einer Pflegeperson eine Bindungsperson,<strong>die</strong> das Kind bei Bedrohung <strong>und</strong> Gefahrals „sicheren Hort“ mit der Erwartungvon Schutz <strong>auf</strong>suchen wird.WELCHE BINDUNGSMUSTER GIBTES DARÜBER HINAUS UND WIEENTSTEHEN SIE?Schon weiter oben war davon <strong>die</strong> Rede, dass<strong>die</strong> „Qualität“ der Bindung von der Bindungsbereitschaft<strong>und</strong> dem Bindungsvermögen derMutter abhängt. Leider gelingt nicht immereine feinfühlige Umgehensweise zwischen Mutter<strong>und</strong> Kind. Denn auch <strong>die</strong> Mutter ist vonunsicheren Bindungserfahrungen beeinflusst.Die Feinfühligkeit <strong>und</strong> das Verhalten derBezugsperson kann bereichert oder behindertwerden durch <strong>die</strong> Übertragung angenehmeroder emotional belastender Gefühle <strong>und</strong> Bilderaus Bindungserfahrungen mit den eigenenEltern.Bindungsforscher sprechen von verschiedenen<strong>Bindungsmuster</strong>n oder -typen.Mit <strong>ihre</strong>m Gesichtsausdruck spiegelt sie <strong>die</strong>Unlust <strong>und</strong> den Ärger des Kindes, wird aberselbst nicht ärgerlich. Gleichzeitig tröstet <strong>und</strong>beruhigt sie das Kind, aber nicht überbesorgttröstend. Sie signalisiert dem Kind: Ich habedich gehört <strong>und</strong> ich bin da. Ich kann DeineUnlust verstehen <strong>und</strong> nachvollziehen. Wirmeistern <strong>die</strong> Situation gemeinsam. Ich mussdir jedoch etwas zumuten. Das Ziel ist aberin Sicht <strong>und</strong> damit auch das Ende der UnlustEin Kind wird eher eine unsicher vermeidendeBindungshaltung entwickeln, wenn <strong>die</strong> Muttermit Zurückweisung <strong>auf</strong> das Bindungsbedürfnisdes Kindes reagiert. Dieses unsicher vermeidendeKind wird etwa nach einer Trennungserfahrung<strong>die</strong> Mutter eher meiden oder nur wenigvon seinen Bindungsbedürfnissen äußern.Wünsche nach Nähe <strong>und</strong> Körperkontakt werdenerst gar nicht so intensiv geäußert, dadas Kind weiß, dass <strong>die</strong> Bindungsperson sie© Katholische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- <strong>und</strong> Lebensfragen • Steinweg 12 • 50667 Köln • www.elf-koeln.de


BINDUNGSMUSTER UND IHRE AUSWIRKUNGENAUF DIE PARTNERSCHAFT (FORTSETZUNG)auch nicht so intensiv durch Gewähren vonNähe, Schutz <strong>und</strong> Geborgenheit beantwortet.Diese Bindungssituation führt zu einer erhöhteninneren Stressbelastung. Bei extremer Aktivierung<strong>ihre</strong>s Bindungssystems – etwa durcheinen schweren Unfall – geben <strong>die</strong>se Kinder<strong>und</strong> Mütter jedoch <strong>ihre</strong> Bindungsvermeidung<strong>auf</strong> <strong>und</strong> wenden sich einander zu.Eine regelrechte Bindungsstörung entstehtdann, wenn ein Kind davon ausgeht oder <strong>die</strong>Erfahrung gemacht hat, dass es nur noch durchdas Produzieren von Unfällen <strong>die</strong> Bindungsbereitschaftder Mutter aktivieren kann.Ein Kind wird eher eine unsicher – ambivalente(zwiespältige) Bindungshaltung entwickeln,wenn seine Signale manchmal zuverlässig <strong>und</strong>feinfühlig, ein anderes Mal aber eher mit Zurückweisung<strong>und</strong> Ablehnung beantwortetwerden. Kinder <strong>die</strong> <strong>auf</strong> Gr<strong>und</strong> <strong>die</strong>ses Bindungsstilsnicht wirklich wissen, woran sie sind,reagieren beispielsweise <strong>auf</strong> eine Trennung mitlautstarkem Weinen <strong>und</strong> Klammern. Nach einerkurzen Trennung <strong>und</strong> der baldigen Rückkehrder Mutter sind sie für längere Zeit kaum zuberuhigen <strong>und</strong> können nicht mehr zum Spielin einer ausgeglichenen emotionalen Verfassungzurückkehren. Während sie sich einerseitsan <strong>die</strong> Mutter klammern, zeigen sieandererseits aber auch aggressives Verhalten.Wenn sie etwa bei der Mutter <strong>auf</strong> dem Armsind, strampeln sie <strong>und</strong> treten nach der Muttermit den Füßchen, während sie gleichzeitig mit<strong>ihre</strong>n Ärmchen klammern <strong>und</strong> Nähe suchen.Dieses Verhalten wird als Ausdruck <strong>ihre</strong>r Bindungsambivalenzinterpretiert.Ein Kind wird eher einen desorganisierten/destruktiven Bindungsstil entwickeln, wennsich <strong>die</strong> Mutter in Bindungssituationen aggressiv<strong>und</strong> damit ängstigend oder auch selbst sehrängstlich gegenüber <strong>ihre</strong>m Kind verhält. DieMutter wird für <strong>die</strong>ses Kind durch <strong>ihre</strong> Erregung<strong>und</strong> Anspannung nicht nur zu einem unsicherenemotionalen Hafen, sondern manchmal zueiner Quelle der Angst <strong>und</strong> Bedrohung. Bei derMutter wechseln Erregung <strong>und</strong> Anspannung abmit Desinteresse <strong>und</strong> Vernachlässigung. Nacheiner Trennung von der Mutter l<strong>auf</strong>en manchedesorganisierten Kinder bei der Wiederbegegnungmit der Mutter <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se zu, halten <strong>auf</strong>halbem Wege inne, drehen sich plötzlich um,l<strong>auf</strong>en von der Mutter weg <strong>und</strong> wiederholenden Vorgang. Die Kinder halten im Abl<strong>auf</strong> <strong>ihre</strong>rBewegungen inne <strong>und</strong> erstarren für <strong>die</strong> Dauervon einigen Sek<strong>und</strong>en, was auch als Einfrierenbezeichnet wird. Diese tranceartigen Zuständeerinnern an dissoziative Phänomene. Wiederandere bringen vorwiegend nonverbal deutlicheZeichen von Angst <strong>und</strong> Erregung zum Ausdruck,wenn sie mit <strong>ihre</strong>r Bindungsperson wiederzusammen kommen. Diese Kinder wirken ofttäuschend ruhig. Ihre eher schematischen <strong>und</strong>leeren Verhaltensweisen – wie beispielsweisedas Streicheln eines Kuscheltiers – <strong>die</strong>nenjedoch dazu, sich von <strong>ihre</strong>r Angst abzulenken.Zur Entlastung aller Eltern sei gesagt, dass esimmer eine höchst anspruchsvolle Aufgabe ist,bei <strong>ihre</strong>n Kindern herauszufinden, wann ihrHungergefühl, ihr Bedürfnis nach Körperkontakt,Anregung oder nach Ruhe ausreichendbefriedigt ist. Jedes Kind hat ein anderes Temperament,nimmt Reize anders <strong>auf</strong> <strong>und</strong> äußertseine Bedürfnisse <strong>auf</strong> ganz individuelle Weise.Zu betonen ist auch, dass Begriffe wie Zurückweisungoder Inkonsistenz „relative“ Begriffesind. Wenn gesagt wird, dass Eltern <strong>die</strong> Bindungsbedürfnisse<strong>ihre</strong>r Kinder eher zurückweisen,so bedeutet das nicht, dass sie sie vernachlässigenoder grob traumatisieren, sondernnur, dass sie dafür weniger ansprechbarsind als Eltern sicher geb<strong>und</strong>ener Kinder.Entsprechend sind vermeidende oder ambivalenteKinder keine psychopathologischen Fälle,sondern stellen einen Teilbereich aus dembreiten Spektrum der Normalität dar.Aus Bindungserfahrungen entwickeln sich imL<strong>auf</strong> des Erwachsenwerdens Bindungsstile <strong>und</strong>Bindungshaltungen. Menschen mit einem eherunsicher vermeidenden Bindungsstil weisenzwischenmenschlichen Beziehungen <strong>und</strong> emotionalenBindungen eher weniger Bedeutungzu. Menschen mit einer unsicher-ambivalentenBindungshaltung fühlen sich in Beziehungen –insbesondere zur Ursprungsfamilie – eher sehrverstrickt.WIE WIRKEN SICH DIE BINDUNGS-ERFAHRUNGEN AUF DIE ZUFRIEDEN-HEIT IN DER ERWACHSENENPAARBEZIEHUNG AUS?Partner mit einem sicheren Bindungsstil berichtenüber <strong>die</strong> höchste Zufriedenheit in <strong>ihre</strong>rBeziehung. Sie können Nähe <strong>und</strong> Intimität wahrnehmen.Sie erleben eine Balance zwischenAutonomie <strong>und</strong> Intimität. Sie verfügen über eigeneMöglichkeiten zu einer flexibleren Konfliktlösung.Sie äußern weniger Angst vor Verlust.Sie sind anpassungsfähig mit wechselseitigerUnterstützung für den Partner, wenn <strong>die</strong>serHilfe benötigt.© Katholische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- <strong>und</strong> Lebensfragen • Steinweg 12 • 50667 Köln • www.elf-koeln.de


BINDUNGSMUSTER UND IHRE AUSWIRKUNGENAUF DIE PARTNERSCHAFT (FORTSETZUNG)Liebe istEs hat nichtseine reine Illusion.von Geben <strong>und</strong> Nehmen.Liebe ist lediglichder Name dafür, dass derMensch bestrebt ist,nichtallein zu sein.Aber es geht nichtum das „Du“ sondern umdas „Ich“.Paare mit einem gemischten Bindungsstil(sicher <strong>und</strong> ambivalent oder sicher <strong>und</strong> vermeidend)geben eine große Zufriedenheit an<strong>und</strong> haben eine hohe Funktionalität. Die gemeinsamenAufgaben sind gut verteilt. DiePaare erleben sich als gute Teams.Paare mit unterschiedlich unsicheren Bindungsstilen(zum Beispiel Männer mit vermeidendemBindungsstil <strong>und</strong> Frauen mit ambivalentemBindungsstil) klagen über größte Unzufriedenheit<strong>und</strong> deutlichstes Unglücklichsein sowieüber wechselseitig negative Beziehungseinschätzungen.Obwohl <strong>die</strong>se Partnerpaarungensehr unglücklich erlebt werden, zeichnen siesich durch eine gewisse Stabilität aus.Paare mit einem desorganisierten Bindungsstilhaben allergrößte Probleme. Sie äußern eineabwertende Beziehungseinschätzung <strong>und</strong> erlebenmaximale Unzufriedenheit <strong>und</strong> Unglücklichsein.Hier passiert oft eine Wiederholung vonGewalt, Misshandlung <strong>und</strong> Missbrauch. DiePartner haben wechselnde sexuelle Beziehungenmit Risikoverhalten <strong>und</strong> Beziehungsabbrüchen.Es handelt sich hierbei um sehr instabilePaarkonstellationen.BINDUNGSMUSTERUND SEXUALITÄTDie unterschiedlichen Bindungsstile könnenauch <strong>Auswirkung</strong>en <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Sexualität haben.Erwachsene mit einer sicheren Bindungshaltungzeichnen sich dadurch aus, dass siekaum sexuelle Kontakte außerhalb einer festen<strong>Partnerschaft</strong> eingehen, sparsam körperlichenKontakt <strong>und</strong> Zärtlichkeit äußern <strong>und</strong> häufigerSex mit wechselseitiger Initiative pflegen. Erwachsenemit einem vermeidenden Bindungsstilgehen häufiger sexuelle Kontakte ohneemotionales Engagement ein, zeigen wenigerFreude an körperlicher Nähe <strong>und</strong> haben häufigerkurzfristige sexuelle Beziehungen. Männer<strong>und</strong> Frauen mit einem unsicher–ambivalentenBindungsstil äußerten eine Bevorzugung vonZärtlichkeit, wollten aber weniger direktesexuelle Aktivitäten.DIE BEDEUTUNG VONBINDUNGSERFAHRUNGEN FÜR DIEPAARBERATUNGFür Partner bedeutet eine Paarkrise eine Gefahrensituation.Das Paar versteht sich nichtmehr. Es entsteht Angst vor Entfremdung, vorTrennung <strong>und</strong> Verlust. Partner erleben Streit,Rückzug <strong>und</strong> Verstrickung. In Gefahrensituationensuchen Partner alleine oder als Paar<strong>die</strong> Nähe zu anderen Personen, von denen siesich Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung erwarten. Siesuchen unter anderem Unterstützung <strong>und</strong> Hilfein einer Paarberatung.Dabei ist es von Bedeutung, dass in der Paarberatungbeide Partner eine große Erwartungan den Berater haben, dass <strong>die</strong>ser für sie beiemotionaler Angst <strong>und</strong> Verunsicherung der<strong>Partnerschaft</strong> eine neue sichere Bindungserfahrungim Sinne einer sicheren Bindungspersonherstellen möge. Es ist <strong>die</strong> Aufgabe des Beraterseine vertrauensvolle emotional tragendesichere Bindungsbasis <strong>auf</strong>zubauen. Durch feinfühligesInteraktions- <strong>und</strong> Interventionsverhaltenkönnen sich <strong>die</strong> Partner mit <strong>ihre</strong>n jeweiligen<strong>Bindungsmuster</strong>n <strong>und</strong> daraus resultierendenBindungsschwierigkeiten verstanden fühlen.In <strong>die</strong> Paarberatung kommen Menschen mitunterschiedlichen Bindungserfahrungen <strong>und</strong>Bindungshaltungen: Menschen <strong>die</strong> sich sichergeb<strong>und</strong>en fühlen, haben <strong>die</strong> Zuversicht <strong>und</strong> dasVertrauen in sich <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Fähigkeiten, dass <strong>die</strong>Krise vorübergehend ist <strong>und</strong> bewältigt werdenkann. Auch wenn <strong>die</strong> Krise zur Trennung führt.Die Trennung von einem Partner führt nicht zueiner dauerhaften Bedrohung der körperlichen<strong>und</strong> psychischen Existenz. Sie sind nicht <strong>auf</strong><strong>die</strong>se Person als sicheren Hafen angewiesen.Unsichervermeidende Partner, <strong>die</strong> in <strong>ihre</strong>mKummer eher zu Rückzug <strong>und</strong> Schweigen neigen,lenken sich eher ab durch Arbeit <strong>und</strong> Sport.Sie signalisieren in Krisensituationen, eigentlichniemanden zu brauchen. Sie kommen jedochin <strong>die</strong> Paarberatung, weil aus <strong>ihre</strong>r Sichteine objektive Person besser helfen kann alsFre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Verwandte.Für <strong>die</strong> unsicher-ambivalenten Partner sindLoslassen <strong>und</strong> Trennung schwer möglich. Siesind oft unglücklich <strong>und</strong> wütend hin- <strong>und</strong>hergerissen zwischen bleiben <strong>und</strong> gehen. InKenntnis der jeweiligen <strong>Bindungsmuster</strong> wirdes möglich, <strong>die</strong>se sowohl mit dem einzelnenPartner zu besprechen als auch deren <strong>Auswirkung</strong>endem jeweiligen anderen Partner zuvermitteln. Oft wird den Partnern erst dadurchverständlich, dass sie in <strong>ihre</strong>m Verhaltenwechselseitig versteckte Bindungsbedürfnisseaneinander gerichtet hatten, <strong>die</strong> nicht beantwortetworden waren. Der Berater ist bestrebt,beide Partner zu verstehen. In einem strukturierten<strong>und</strong> geleiteten Beratungsprozesskönnen <strong>die</strong> Partner über <strong>ihre</strong> Sorgen sprechenmit dem Ziel, <strong>die</strong> gemeinsame Kommunikationzu verändern.Birgit Britz© Katholische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- <strong>und</strong> Lebensfragen • Steinweg 12 • 50667 Köln • www.elf-koeln.de

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