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Mythos Genie - Wdr.de

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Ein Feuerwerk an Signalen<br />

Eine weitere Versuchsreihe an Jänckes Institut misst die elektrischen<br />

Signale, die im Musiker-Gehirn hin- und hergehen.<br />

Dabei müssen Pianisten 30 Sekun<strong>de</strong>n ein Stück einer<br />

Mozart-Sonate zunächst nur hören, anschließend selbst<br />

spielen. In bei<strong>de</strong>n Fällen funktioniert, so zeigte sich, das<br />

Das EEG misst die elek- Musiker-Gehirn gleich – nämlich schon beim bloßen Hören<br />

trischen Signale im Gehirn so wie beim Spielen. Ein wahres Feuerwerk <strong>de</strong>r Aktivität,<br />

<strong>de</strong>s Pianisten – welche „man könnte sogar sagen, das Musikergehirn glüht auf“,<br />

Nervenzellen feuern beim schwärmt Jäncke. Das vielfältig funken<strong>de</strong> Gehirn ist für ihn<br />

Hören und Spielen? Resultat <strong>de</strong>r vielen Tausend Übungsstun<strong>de</strong>n: Gera<strong>de</strong> weil <strong>de</strong>r<br />

Pianist so viel geübt hat, verbin<strong>de</strong>t sein Gehirn je<strong>de</strong>n gehörten<br />

Ton sofort mit allen an<strong>de</strong>ren Ereignissen, die es vom Spielen kennt – wie man <strong>de</strong>n<br />

Ton auf <strong>de</strong>m Instrument erzeugt, wie sich die Taste o<strong>de</strong>r die Saite anfühlt, welchen<br />

Ausdruck man einer bestimmten Passage verleihen kann, ob das Tempo stimmt und<br />

auch gleich, wie man es vielleicht besser machen könnte.<br />

Lutz Jäncke von <strong>de</strong>r ETH<br />

Zürich ist auf Musiker-<br />

Gehirne spezialisiert<br />

Kreative Gehirne sind gut vernetzt<br />

Für <strong>de</strong>n Hirnforscher ist diese Aktivität <strong>de</strong>s Musiker-Gehirns<br />

vor allem ein Zeichen für die Formbarkeit <strong>de</strong>s Gehirns, und<br />

sie ist angelernt und nicht etwa angeboren: „Das Gehirn reagiert<br />

nur auf Training – alles, was wir im Hirn eines erwachsenen<br />

Menschen messen und sehen können, ist erworben,<br />

bei <strong>de</strong>r Musik durch das langjährige Üben.“ An so etwas wie<br />

„<strong>Genie</strong>“ glaubt Lutz Jäncke nicht: „Vernetzung ist ein Zeichen<br />

gut funktionieren<strong>de</strong>r Gehirne. Und gut funktionieren<strong>de</strong><br />

Gehirne sind Gehirne, die lange auf vielen Ebenen gelernt<br />

haben. Dann können sie viele Informationen simultan abrufen,<br />

o<strong>de</strong>r sie haben zumin<strong>de</strong>st die Möglichkeit, das zu tun.<br />

Und das schafft natürlich <strong>de</strong>n Weg zur Kreativität.“<br />

Phänomen Mozart: auf Musik gera<strong>de</strong>zu abgerichtet?<br />

Auch das Wun<strong>de</strong>rkind Mozart könnte laut Jäncke seinen Genius vornehmlich aus vielen<br />

tausend Übungsstun<strong>de</strong>n bezogen haben. Obwohl <strong>de</strong>r Hirnforscher nicht gerne<br />

über Phänomene <strong>de</strong>r Vergangenheit spekuliert, merkt er doch an, dass <strong>de</strong>r junge<br />

Salzburger gera<strong>de</strong>zu gut wer<strong>de</strong>n musste: „Dahinter steckte <strong>de</strong>r ehrgeizige Vater<br />

Leopold, <strong>de</strong>r das Kind vom frühesten Alter an regelrecht dressiert hat. Der wollte ein<br />

20<br />

Wun<strong>de</strong>rkind, mit <strong>de</strong>m er Geld verdienen kann. Heute könnte<br />

man so etwas pädagogisch gar nicht mehr vertreten“,<br />

fin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Neuropsychologe. Den Begriff „<strong>Genie</strong>“ mag<br />

Jäncke gar nicht, er setzt seiner Meinung nach <strong>de</strong>m<br />

Wun<strong>de</strong>rwerk Gehirn zu enge Grenzen. Denn für ihn steht<br />

die enorme Formbarkeit und Leistungsfähigkeit <strong>de</strong>r grauen<br />

Masse vor je<strong>de</strong>r Art von Begabung ominösen Ursprungs.<br />

Mehr Transpiration als Inspiration...<br />

Wie Lutz Jäncke glauben auch an<strong>de</strong>re Hirnforscher wie Dr. Stefan Kölsch vom Max-<br />

Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften nicht an eine enge Fixierung<br />

von Begabung, gleich welcher Art, durch Gene. Und letztlich tragen so viele Faktoren<br />

zum Erfolg bei, dass eine vorhan<strong>de</strong>ne Begabung – etwa Musikalität, Intelligenz o<strong>de</strong>r<br />

Zeichentalent – ohnehin nur etwa 20 Prozent ausmacht. Viele Wissenschaftler, die<br />

sich mit <strong>de</strong>m Lebenslauf Hochbegabter beschäftigen, glauben, dass 80 Prozent <strong>de</strong>s<br />

Erfolgs aus an<strong>de</strong>ren Quellen kommt: neben extrem viel Arbeit reichen die von<br />

Temperament und Persönlichkeit über Eltern und Lehrer bis zum guten Timing.<br />

Doch biologische Einflüsse auf Kreativität?<br />

Biologische Einflüsse gera<strong>de</strong> auf Musikalität und Kreativität<br />

sind nach Meinung an<strong>de</strong>rer aber keineswegs ausgeschlossen.<br />

Allerdings sind es im Moment weniger die Gene, son<strong>de</strong>rn<br />

Hormone, die in <strong>de</strong>r Diskussion sind. Vor allem Sexualhormone<br />

und das Schlafhormon Melatonin stehen im<br />

Verdacht, Einfluss auf das Gehirn <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s im Mutterleib Vielleicht wer<strong>de</strong>n die<br />

zu nehmen. Der individuelle Hormoncocktail gibt nach einer Weichen für die musika-<br />

Unterschung <strong>de</strong>r Tübinger Musikpsychologin Marianne lische Begabung schon vor<br />

Hassler möglicherweise <strong>de</strong>n Ausschlag dafür, wer als <strong>de</strong>r Geburt gestellt – viel<br />

Musiker später auch komponiert, also kreativ tätig wird. Der weiß man noch nicht<br />

Clou dabei: wirksam sind auch beson<strong>de</strong>rs Hormone <strong>de</strong>r darüber<br />

Mutter, die über die Nabelschnur in <strong>de</strong>n Körper <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />

gelangen, zum Beispiel, wenn sie Stress hat. Welche Be<strong>de</strong>utung die Untersuchung an<br />

<strong>de</strong>r Universität Tübingen hat, ist noch nicht geklärt, <strong>de</strong>nn die Erforschung <strong>de</strong>r Zeit vor<br />

<strong>de</strong>r Geburt steckt noch in <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rschuhen. Daher weiß man noch nicht sicher, welche<br />

Einflüsse wirklich eine Rolle spielen. Nur was nach <strong>de</strong>r Geburt kommt, ist<br />

bekannt: Üben, üben, üben – eben wie <strong>de</strong>r kleine Mozart.<br />

21<br />

Das Musikgenie Mozart –<br />

ein typischer Lernerfolg?

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