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Mythos Genie - Wdr.de

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Am 16. Januar 1913 schrieb<br />

Ramanujan einen Brief an <strong>de</strong>n<br />

berühmtesten Mathematiker <strong>de</strong>r<br />

Zeit, G.H. Hardy in Cambridge<br />

„Darf ich mich vorstellen…“<br />

Zehn Jahre später. Ramanujan, jetzt 26 Jahre alt, schrieb<br />

1913 aus Madras einen Brief an <strong>de</strong>n berühmten<br />

Zahlentheoretiker Godfrey Harold Hardy in Cambridge,<br />

selbst nur zehn Jahre älter als Ramanujan. „Darf ich mich<br />

vorstellen...“ so begann <strong>de</strong>r Brief. Ein Studium <strong>de</strong>r<br />

Mathematik hätte er nicht. Statt <strong>de</strong>ssen arbeite er im<br />

Hafenamt für einen Lohn von zwanzig Pfund, behielte aber<br />

als Hobby seine Mathematik bei. Dem Brief fügte er eine<br />

neun Seiten lange Liste von Gleichungen und Formeln bei<br />

– alle ohne Beweis. Hardy sah sie, und begriff intuitiv<br />

sofort: „Sie müssen wahr sein, <strong>de</strong>nn wären sie es nicht,<br />

hätte niemand die Vorstellungskraft, sie sich auszu<strong>de</strong>nken.“<br />

Doch er selbst, eine Koryphäe in seinem Fach, hatte<br />

nicht das Zeug, sie zu beweisen. Aufgeregt schickte er am<br />

8. Februar 1913 die Antwort nach Madras: „Ich wünsche<br />

mehr… und Beweise, so schnell wie möglich!“ Doch<br />

Ramanujan wollte auf keinen Fall nach Europa kommen –<br />

als gläubiger Hindu wür<strong>de</strong> ihn Europa verunreinigen.<br />

Eine Vision <strong>de</strong>r Göttin<br />

Im Herbst hielt sich Ramanujan drei Tage und Nächte im<br />

Tempel <strong>de</strong>r Hausgöttin Namagiri auf. Er bat sie um Hilfe<br />

bei seiner Entscheidung – sollte er nach Europa gehen?<br />

Am dritten Tag erschien ihm die Göttin schließlich im<br />

Traum. Von einem gleißen<strong>de</strong>n Lichtblitz wachte er auf – die<br />

Botschaft von Namagiri lautete: „Fahre nach Europa, brich<br />

mit <strong>de</strong>r Tradition.“ Zur gleichen Zeit hatte Hardy einen Boten<br />

nach Indien entsandt: Eric Harold Neville. Der kam am Neujahrstag<br />

<strong>de</strong>s Jahres 1914 in Madras an, fand Ramanujan<br />

und überbrachte die Einladung nach Cambridge. Zu seinem<br />

Erstaunen nahm <strong>de</strong>r In<strong>de</strong>r jetzt an – von <strong>de</strong>r Vision<br />

hatte das Mathematikgenie nichts erzählt, verstan<strong>de</strong>n hätten<br />

Neville und <strong>de</strong>r eingefleischte Atheist Hardy sowieso<br />

nichts. Am 17. März ging Ramanujan dann tatsächlich an<br />

Bord eines Übersee-Dampfers, und am 18. April 1914 kam<br />

er im frühlingshaft-österlichen Cambridge an.<br />

12<br />

Eine Blüte von sechs Jahren<br />

Was dann auf <strong>de</strong>m Trinity College in Cambridge begann,<br />

hat Mathematikgeschichte geschrieben. Auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n<br />

seines Zimmers lagen überall Blätter übersät mit Formeln,<br />

Kettenbrüchen und Integralen. Immer hatte er ein kleines<br />

schwarzes Notizbuch dabei, eines von vielen, die später<br />

Berühmtheit erlangen sollten. Dort kritzelte er seine Formeln<br />

und Zahlenkolonnen hinein. Zusammen mit seinem<br />

Mentor Hardy, <strong>de</strong>n er schnell überflügelte, veröffentlichte<br />

er ein Theorem, das auch ihren Namen trägt: Das Hardy-<br />

Ramanujan-Theorem. Es ist die genaueste Schätzung über<br />

die Zahl <strong>de</strong>r Primzahlen, die es gibt. Ein weiterer wichtiger<br />

Beitrag ist seine Kettenbruchentwicklung <strong>de</strong>r Kreiszahl pi,<br />

3,1415926… aus <strong>de</strong>m Jahr 1914. Nach dieser Formel<br />

berechneten 1985 Mathematiker die Kreiszahl auf 17 Millionen<br />

Stellen hinter <strong>de</strong>m Komma genau, so genau, wie noch<br />

nie zuvor. Diese Formel ist eine Entwicklung, die schon<br />

nach zehn Summationen pi auf 88 Stellen genau liefert.<br />

Heute hüten die Mathematiker seine Bücher wie ihren<br />

Schatz und versuchen, auf die Beweise hinter <strong>de</strong>n Formeln<br />

zu kommen. Ramanujan und die Mathematik sollten nur<br />

noch sechs kurze Jahre haben, dann starb er an Tuberkulose.<br />

Sein Werk, sein Glauben und die Eingebungen <strong>de</strong>r<br />

Göttin Namagiri machten ihn nach seinem frühen Tod 1920<br />

zur Mathematiklegen<strong>de</strong>, zu einem Stern am Himmel <strong>de</strong>r<br />

Zahlen und Formeln... „Eine Gleichung hat für mich keinen<br />

Sinn, es sei <strong>de</strong>nn, sie drückt einen Gedanken Gottes aus“,<br />

das war die Botschaft <strong>de</strong>s intuitiven <strong>Genie</strong>s an die Welt.<br />

13<br />

Schon nach zwei Jahren schreibt<br />

Ramanujan in Cambridge Mathematikgeschichte.<br />

Aus <strong>de</strong>m Schüler<br />

ist ein Lehrer gewor<strong>de</strong>n – aus <strong>de</strong>m<br />

Lehrer Hardy ein Schüler

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