Naturwissenschaft und Glaube - Vandenhoeck & Ruprecht
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M 4 Ṛg Veda X,129:<br />
Weltentstehung im Hinduismus<br />
5<br />
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20<br />
Im Ṛgveda 1 <strong>und</strong> dann zunehmend beliebt ist die Vorstellung,<br />
daß sich das ursprüngliche Eine aus einer<br />
anfangslosen, eigenschaftslosen Urmaterie entfaltet,<br />
daß etwa Prajāpati 2 denkt, er möchte ein Zweites sein.<br />
Dadurch ist Gott in allem, <strong>und</strong> es gibt nicht ein Zweites<br />
außer dem Einen, das sich selbst entfaltet hat. […]<br />
Wie es scheint, gibt es nicht ein Nichts neben dem<br />
absoluten Einen, keinen Bereich, der nicht von dem<br />
Einen (Göttlichen) durchdrungen ist. Gott ist dadurch<br />
nicht der ganz andere, sondern eine Identität zwischen<br />
Einzelnem <strong>und</strong> Absolutem, die nur durch Illusion<br />
nicht erkannt wird.<br />
Wie tastend solche Fragen gestellt werden, verdeutlicht<br />
ein berühmter Hymnus vom Ursprung der Welt<br />
im Ṛgveda:<br />
Damals war weder Nichtsein noch Sein. Nicht gab<br />
es den Raum, noch auch den Himmel jenseits davon.<br />
Was wehte hin <strong>und</strong> her Wo Unter wessen Schutz<br />
Was war das unergründlich tiefe (Süß-)Wasser Weder<br />
gab es damals Tod noch Unsterblichkeit, nicht<br />
auch die Erscheinung von Tag <strong>und</strong> Nacht. Es atmete,<br />
ohne Wind zu machen, das Eine aus Vergnügen.<br />
Außer diesem gab es nicht ein anderes. Finsternis<br />
war am Anfang durch Finsternis versteckt. Diese ganze<br />
Welt war eine einzige (Salz-)Flut. Doch der (Lebens-)Keim,<br />
der von Leere eingeschlossen war, das<br />
Eine (also), kam zur Geburt durch (seine) Hitze. Über<br />
dieses kam am Anfang ein Begehren, der erste Same<br />
des Denkens. So fanden die Dichter-Seher durch<br />
Versenkung, in ihrem Herzen forschend die Nabelschnur<br />
des Seienden im Nichtseienden. Quer hindurch<br />
war ihre Meßschnur gespannt. Gab es unten,<br />
gab es oben Es waren Besamer, es war Entfaltung.<br />
Unten war Trieb, oben Gewährung. Wer weiß gewiß,<br />
wer kann es hier erklären, wann sie entstanden<br />
ist, woher die Emanation 3 (der Welt) ist Die Götter<br />
sind später als die Emanation dieser Welt. Wer weiß<br />
also, woher sie gekommen ist Woher diese Emanation<br />
ist, ob er sie gemacht hat oder nicht Der Aufseher<br />
im höchsten Himmel, der allein weiß es, oder<br />
weiß er es nicht<br />
1<br />
Ṛgveda/Ṛg Veda: ca. 3000 Jahre alter hinduistischer Text<br />
2<br />
Prajāpati: göttliches Wesen im Hinduismus, das mit dem Ursprung<br />
in Verbindung gebracht wird<br />
3<br />
Emanation: das Hervorgehen aus dem Einen<br />
Michaels, Axel: Der Hinduismus. Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart.<br />
München 1998. S. 326 f.<br />
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40<br />
Aufgaben:<br />
1. Machen Sie sich zu zweit Notizen über Ihre ersten Eindrücke vom Text. Markieren Sie Fragen mit einem<br />
»«, Zustimmung oder Erkenntnisgewinn mit einem »!« <strong>und</strong> Widerspruch mit einem »Blitz«. Klären Sie ihre<br />
Eindrücke in der Gruppe oder im Plenum.<br />
2. Vergleichen Sie diese hinduistische Vorstellung von der Entstehung der Welt mit dem Schöpfungsbericht<br />
aus Genesis 1.<br />
3. Kann die hinduistische Vorstellung der Weltentstehung in Ṛg Veda X,129 etwas zum Dialog zwischen Religion<br />
<strong>und</strong> <strong>Naturwissenschaft</strong> beitragen<br />
INFO-BOX<br />
Die Silbe OM<br />
Heilige meditative Ursilbe im Hinduismus; Symbol für den Ursprung<br />
<strong>und</strong> die Einheit allen Seins, für das göttliche All-Eine (Brahman) ebenso<br />
wie für das individuelle Selbst (Atman). Im hinduistischen Bhagavad<br />
Gita stellt sich der Gott Krishna als Quelle allen Seins <strong>und</strong> so zugleich<br />
als das heilige OM vor (Kap. 9,17).<br />
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