und Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht
und Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht
und Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Jacob L. Talmon, Die Geschichte der totalitären Demokratie, Band III<br />
Die Entfaltung der Dichotomie 21<br />
die Furcht der Dynastien vor revolutionärer Ansteckung standen einander bald<br />
in direkter <strong>und</strong> tödlicher Konfrontation gegenüber. Die revolutionäre Proselyten<br />
ma che rei erhielt wei te ren Auf trieb durch den Wunsch der ver schie de nen<br />
fran zö si schen Split ter grup pen, die in erbit ter ter Zer ris sen heit anei nan der<br />
geb<strong>und</strong>en waren, aus der Sackgasse herauszukommen <strong>und</strong> die Aufmerksamkeit<br />
von den inter na tio na len Schwie rig kei ten abzu len ken. Im radi ka len wie<br />
auch im konservativen Lager entwickelte sich eine weit verbreitete verzweifelte<br />
Entschlossenheit zur Polarisierung der Nation <strong>und</strong> dazu, die Menschen zu<br />
zwingen, Stellung zu nehmen <strong>und</strong> sich zur einen oder anderen Seite zählen zu<br />
lassen, unwiderruflich zwischen König <strong>und</strong> Revolution zu wählen. Beide Seiten<br />
appellierten an den Vorrang von nationalem Interesse <strong>und</strong> Freiheit. Die<br />
Lin ke war darauf aus, die neu gewon ne nen Frei hei ten der wie der her ge stell ten<br />
französischen Nation zu verteidigen. Die Rechte sprach von den althergebrachten<br />
Traditionen des ewigen Frankreichs.<br />
Durch die Offenbarung <strong>und</strong> Betonung der sozialen Spannungen in einer von<br />
der Revolution zerrissenen Gesellschaft <strong>und</strong> die große Belastung eines totalen<br />
Krieges ums Überleben polarisierte diese Feuerprobe die sozialen Kräfte unter<br />
denjenigen, die durch die Revolution verlieren würden oder sich durch Instabilität<br />
<strong>und</strong> Radikalisierung bedroht fühlten, <strong>und</strong> jenen, die inbrünstig auf das neue<br />
Regime schauten, das mit seinen Heilsansprüchen hier <strong>und</strong> jetzt perfekte soziale<br />
Gerechtigkeit herstellen, das ihre formelle Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit wahr<br />
machen wollte, indem es Wohlergehen, Arbeit, soziale Absicherung <strong>und</strong> ökonomische<br />
Gleichheit für sie sicherstellte. Die Verzweiflung der Letzteren war umso<br />
größer, als Hoffnungen dieser Art durch die Härten des Krieges <strong>und</strong> Mangel,<br />
Spekulation, Inflation <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit, die dessen unvermeidbare Begleiter<br />
sind, zerstört wurden. Aus dieser Konvergenz eines externen ideologischen Krieges<br />
mit internem Klassenkampf <strong>und</strong> Bürgerkrieg ging eine terroristische Diktatur<br />
hervor. Sie sah sich getrieben, Strukturen forcierter Einmütigkeit durchzuset<br />
zen, eine rudi men tä re, inef fi zi en te <strong>und</strong> belas ten de Wirt schafts dik ta tur <strong>und</strong><br />
eine Klas sen po li tik, die dazu neig te, das Kon zept des Fran zo sen auf die Anhän -<br />
ger des radikalen Zweigs der revolutionären Ideologie zu beschränken. Diese Poli -<br />
tik war dazu ausersehen, die armen Patrioten auf Kosten der Reichen leben <strong>und</strong><br />
den Krieg führen zu lassen. Letztere wurden der Illoyalität gegenüber der national<br />
- sozialen Sache der Revolution verdächtigt. Manch einer – besonders Saint -<br />
Just mit seinen Ventôse - Gesetzen – fasste sogar ins Auge, ganze soziale Schichten<br />
zu ächten, zu enteignen <strong>und</strong> auszuweisen, um Frankreich von Verrätern zu<br />
befreien <strong>und</strong> einen sozialen Umsturz durch die Verteilung ihres Eigentums an<br />
die bedürftigen Anhänger der Revolution vorzunehmen. 5<br />
5 Vgl. Soboul, Die Pariser Sansculotten; ders., La Ière République, S. 35 ff., 124 ff.; Jaurès,<br />
L’Histoire socialiste, Band 5; Mathiez, La Vie chère; ders., La Révolution française,<br />
Band 2, S. 130 ff.; Band 3, S. 65–77; 147 ff.<br />
© 2013, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, Göttingen<br />
ISBN Print: 9783525310106 — ISBN E-Book: 9783647310107