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Flexion, Derivation, Komposition - Universität Bielefeld

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

<strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

Morphologische Grundtermini<br />

• Wörter können einfach oder komplex aufgebaut sein.<br />

• Einfache Wörter (Simplizia, Sg.: Simplex) lassen sich nicht mehr in kleinere Einheiten mit<br />

bestimmter Lautung und Bedeutung zerlegen, z.B. Tür, schön, bei, ging.<br />

• Komplexe Wörter weisen hingegen eine interne Struktur auf und lassen sich in kleinere,<br />

sinnvolle Einheiten segmentieren, z.B. unbrauchbar (un+brauch+bar), Kinder (Kind+er),<br />

lernt (lern+t), schöner (schön+er), Gartenmöbel (Garten+Möbel).<br />

Morpheme und Morphemtypen<br />

• Die kleineren, sinnvollen Einheiten, in die sich komplexe Wörter zerlegen lassen, nennt<br />

man Morpheme.<br />

o<br />

So besteht das Wort unbrauchbar aus den drei Morphemen un, brauch und bar,<br />

das Wort lernt aus den zwei Morphemen lern und t.<br />

• Die einfachen Wörter, die Simplizia, bestehen aus einem einzigen Morphem: Tür, schön,<br />

bei.... Diese nennt man auch Wurzeln oder Wurzelmorpheme.<br />

• Grundsätzlich wird zwischen zwei Morphemtypen unterschieden: den freien und den<br />

gebundenen Morphemen:<br />

o<br />

o<br />

Freie Morpheme: Morpheme, die isoliert vorkommen können. Wurzeln sind in<br />

der Regel freie Morpheme. Freie Morpheme bilden die Basis, an die gebundene<br />

Morpheme angehängt werden können, z.B. brauch, Kind, lern, schön.<br />

Gebundene Morpheme: sind in ihrem Vorkommen nicht frei. Sie können nicht<br />

isoliert auftreten, sondern müssen immer an ein freies Morphem angehängt<br />

werden. Affixe bilden den größten Teil gebundener Morpheme, z.B. ‐bar in<br />

brauchbar, ‐er in Kinder, ‐t in lernt, ‐er in schöner.<br />

• Neben den freien (Wurzeln) und den gebundenen Morphemen (Affixen) gibt es zwei<br />

weitere Sondertypen von Morphemen: die unikalen Morpheme und die Konfixe.<br />

Universität <strong>Bielefeld</strong> * LiLi Said Sahel Seite 1


Morphologie & Syntax<br />

Sommersemester 2012<br />

<strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

o<br />

o<br />

Unikale Morpheme: sind Morpheme, die in einem einzigen Wort auftreten, z.B.<br />

Brom<br />

in Brombeere, Heidel in Heidelbeere, Schorn in Schornstein, (i)gall in<br />

Nachtigall.<br />

Konfixe: sind Morpheme,<br />

die nicht frei vorkommen können. Sie unterscheiden<br />

sich aber von den unikalen Morphemen<br />

darin, dass sie in mehreren<br />

Wortkontextenn auftreten können und eine isolierbare Bedeutung haben. Bei den<br />

Konfixen handelt es sich vorwiegend um aus dem Lateinischen oder Griechischen<br />

entlehnte Einheiten. Beispiele für<br />

Konfixe sind: bio‐<br />

phil(o)‐ in Philosemit, ‐phil<br />

in Bibliophil. Es gibt auch einige nativ deutsche Konfixe, z.B. schwieger‐ in<br />

Schwiegervater, stief‐in Stiefsohn.<br />

in Biomüll, geo‐ in<br />

geostrategisch,<br />

, fanat‐ in fanatisch, ‐thek in Videothek, • Zusätzlich zur Eigenschaft, dass Affixe nur gebunden vorkommen, sind sie in<br />

Bezug auf<br />

die Basis positionsfest. Je nach ihrer Stellung zur Basis werden Affixe in Präfixe und<br />

Suffixe eingeteilt: Präfixe gehen der Basis voraus: un‐ in<br />

unschön, ver‐ in verkauf(en), ab‐<br />

in Absturz, vor‐ in vorgestern.<br />

o<br />

Präfixe gehen der Basis voraus: un‐ in<br />

unschön, ver‐ in verkauf(en), ab‐‐ in Absturz,<br />

vor‐‐ in vorgestern.<br />

o<br />

Morphem‐Definition: Das Morphem ist die kleinste lautliche oder graphische<br />

Einheit, die<br />

typischerweise aber nicht notwendigerweise eine Bedeutung oder eine grammatische Funktionn<br />

hat.<br />

Weiteree Termini<br />

Suffixe folgen der Basis<br />

Buchung, ‐st in steigst.<br />

nach: ‐ lich in königlich, ‐heit in Schönheit, ‐ung in<br />

• Stamm: bezeichnet die<br />

sprachliche Einheit, an die <strong>Flexion</strong>smorpheme treten können. Ein<br />

einmorphemischer Stamm ist gleichzeitig eine Wurzel, da er morphologisch nicht weiter<br />

segmentierbar ist:<br />

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Said Sahel<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

König: Stamm = Wurzel<br />

königlich: Stamm mit der Wurzel König<br />

Königspalast: Stamm mit den Wurzeln König und Palast<br />

• Lexem: abstrakte Basiseinheit des Lexikons, die in verschiedenen grammatischen<br />

Formen realisiert werden kann. Ein Lexem ist hinsichtlich grammatikalischer Merkmale<br />

neutral. Ein Lexem wird in Großbuchstaben notiert, z.B. TISCH.<br />

• Wortform: konkrete Realisierung eines Lexems. Eine Wortform ist grammatisch<br />

spezifiziert. So ist z.B. die Wortform Tisches hinsichtlich Numerus (Singular) und Kasus<br />

(Genitiv) spezifiziert. Somit ist die Wortform Tisches die konkrete Realisierung des<br />

abstrakten Lexems TISCH in Genitiv Singular.<br />

Morph vs. Morphem<br />

• Als Morph bezeichnet man die rein graphische oder lautliche Einheit. Ein Morph ist<br />

hinsichtlich seiner Funktion nicht spezifiziert.<br />

• Ein Morphem ist hinsichtlich seiner Funktion spezifiziert. So ist das Suffix ‐er ein Morph<br />

des Deutschen<br />

o<br />

o<br />

o<br />

Im Wort Kinder hat das Suffix ‐er die Funktion des Plurals: Es ist ein Plural‐<br />

Morphem;<br />

im Wort schöner hat es die Funktion der Komparation und<br />

im Wort Taucher ist es ein <strong>Derivation</strong>ssuffix, mit Hilfe dessen Substantive aus<br />

Verben abgeleitet werden können.<br />

Allomorphie<br />

• Ein Morphem kann im Deutschen durch mehrere Morphe realisiert werden. Man spricht<br />

hier von Allomorphie. Realisierungsvarianten eines Morphems, nennt man Allomorphe.<br />

• Stämme mit derselben lexikalischen Bedeutung können durch verschiedene Morphe<br />

realisiert werden: [haʊs] in Haus vs. [haʊz] in Hauses oder [haʊs] in Haus vs. [hɔɪs.lɪç] in<br />

häuslich.<br />

• Affixe mit derselben grammatischen Funktion können durch verschiedene Morphe<br />

realisiert werden. So wird das Pluralmorphem im Deutschen durch vier verschiedene<br />

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Morphologie & Syntax<br />

Sommersemester 2012<br />

<strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

Morphe realisiert: ‐e wie in Tische, ‐er wie<br />

in Kinder,<br />

Schwestern<br />

bzw. Frauen.<br />

‐s wie in Autos und ‐(e)n wie in<br />

Das Nullmorphem<br />

• Typisch für<br />

das Deutsche als flektierendee Sprache ist, dass es kein 1:11 Verhältnis<br />

zwischen einem Morphem, also einer Funktion, und seiner formalen Realisierung gibt.<br />

• So wird oft<br />

ein Morphem, also eine Funktion bzw. eine <strong>Flexion</strong>skategorisierung, formal<br />

gar nicht realisiert. In diesen Fällen nehmenn einige Linguisten "ein Null‐Morphem (Ø)""<br />

an.<br />

Singular<br />

Plural<br />

aber:<br />

Singular<br />

Plural<br />

Tisch<br />

Tisch‐e<br />

Wagen<br />

Wagen‐Ø<br />

Frau<br />

Frau‐en<br />

Zettel<br />

Zettel‐Ø<br />

Kind<br />

Kind‐er<br />

Muster<br />

Muster‐Ø<br />

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Morphologie & Syntax<br />

Sommersemester 2012<br />

<strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

<strong>Flexion</strong><br />

Wortbildung<br />

vs. <strong>Flexion</strong><br />

• Die Morphologie lässt sich in zwei Großbereiche einteilen: Wortbildung und <strong>Flexion</strong>.<br />

•<br />

• Durch die Wortbildung<br />

entstehenn neue Lexeme.<br />

• Durch die <strong>Flexion</strong> entstehen verschiedene Wortformen eines Lexems.<br />

• Durch die Affigierung von Präfixen oder Suffixen an Wurzeln oder Stämme entstehen, je<br />

nachdem ob es sich um<br />

<strong>Derivation</strong>s‐ oder <strong>Flexion</strong>saffixee handelt, entweder<br />

o<br />

o<br />

neue Lexeme (Wortbildung) oder<br />

verschiedene Wortformen<br />

eines Lexems (<strong>Flexion</strong>).<br />

<strong>Flexion</strong>skategorisierungen<br />

• Die Wortformen eines Lexems unterscheidenn sich in ihren grammatischen Merkmalen.<br />

• Diese Merkmale nennt<br />

man <strong>Flexion</strong>skategorisierungen.<br />

• Eine <strong>Flexion</strong>skategorisierung ist eine Menge (mindestens zwei)<br />

von Kategorien, von<br />

denen in einer Wortform nur jeweils eine realisiert werden kann.<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

<strong>Flexion</strong>skategorisierung<br />

KASUS:<br />

NUMERUS:<br />

GENUS:<br />

<strong>Flexion</strong>skategorien<br />

Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ<br />

Singular, Plural<br />

Maskulinum, Femininum, Neutrum<br />

PERSON:: 1., 2., 3.<br />

TEMPUS:<br />

Präsens, Präteritum, (Perfekt),<br />

(Plusquamperfekt), (Futur)<br />

MODUS:<br />

GENUS VERBI:<br />

Indikativ, Konjunktiv, Imperativ<br />

Aktiv, Passiv<br />

• Die Wortformen oder <strong>Flexion</strong>sformen eines Lexems werden in 'Listen'<br />

zusammengestellt; diese werden <strong>Flexion</strong>sparadigmen genannt.<br />

Das <strong>Flexion</strong>sparadigma des Substantivs Tisch:<br />

Singular<br />

Plural<br />

Nominativ Tisch Tische<br />

Genitiv Tisches Tische<br />

Dativ Tisch Tischen<br />

Akkusativ Tisch Tische<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

Das <strong>Flexion</strong>sparadigma des Verbs halten (Präsens):<br />

Singular<br />

Plural<br />

1. Person halte halten<br />

2. Person hälst haltet<br />

3. Person hält halten<br />

Synkretismus<br />

• <strong>Flexion</strong>sparadigmen des Deutschen sind durch Synkretismus gekennzeichnet; mit<br />

Synkretismus bezeichnet man den Zusammenfall von <strong>Flexion</strong>sformen mit verschiedenen<br />

<strong>Flexion</strong>skategorisierungen in eine Form.<br />

Wortarten<br />

• Die Zuordnung von Wörtern zu einer bestimmten Wortart beruht auf der Annahme, dass<br />

diese Wörter bestimmte Eigenschaften teilen. Dabei können diese Eigenschaften<br />

morphologischer, syntaktischer oder semantischer Natur sein.<br />

Klassifikation von Wortarten<br />

• Es gibt für das Deutsche keine einheitliche Klassifikation der Wortarten. Dies zeigt sich<br />

darin, dass in den Standardgrammatiken die Zahl der angenommen Wortarten z.T.<br />

erheblich variiert.<br />

o<br />

o<br />

o<br />

Glinz (1970 3 ): fünf Wortarten (Verb, Substantiv, Pronomen, Adjektiv und Partikel)<br />

Admoni (1982 4 ): dreizehn Wortarten (Verb, Substantiv, Artikel, Adjektiv,<br />

Pronomen, Numerale, Adverb, Konjunktion, Präposition, Interjektion, Negation,<br />

Modalverb, Partikel).<br />

Helbig/Buscha (1999 19 ): zwölf Wortarten (Verb, Substantiv, Adjektiv, Adverb,<br />

Artikel, Pronomen, Präposition, Konjunktion, Partikel, Modalwort, Negation,<br />

Satzäquivalent)<br />

• Diese Unterschiede hängen u.a. mit den unterschiedlichen (morphologischen,<br />

syntaktischen, semantischen) Kriterien zusammen, die den verschiedenen<br />

Klassifikationen der Wortarten zugrunde liegen sowie mit den Abgrenzungsproblemen<br />

der einzelnen Wortarten.<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

Morphologische Kriterien<br />

• Die morphologische Klassifikation beruht auf dem Kriterium der Flektierbarkeit. Wörter<br />

werden eingeteilt in solche, die flektierbar (deklinierbar, konjugierbar, komparierbar)<br />

sind, und solche, die nicht flektierbar sind.<br />

•<br />

(Nach Duden 2005: 133)<br />

• Innerhalb der flektierbaren Wortarten kann wiederum durch die Heranziehung von<br />

<strong>Flexion</strong>skategorisierungen zwischen den einzelnen Wortarten unterschieden werden.<br />

Demnach wäre z.B. das Substantiv die Wortart mit festem Genus, das Adjektiv hingegen<br />

die Wortart mit dem variablen Genus.<br />

Syntaktische Kriterien<br />

• Hier spielen vor allem die Kriterien: syntaktische Eigenschaft und Distribution eine<br />

wichtige Rolle. Diese Kriterien werden vor allem bei der Einteilung der nichtflektierbaren<br />

Wortarten herangezogen.<br />

o<br />

o<br />

Syntaktische Eigenschaft: Auf der Basis dieses Kriteriums lassen sich z.B.<br />

Präpositionen von Junktionen (Konjunktionen und Subjunktionen) unterscheiden:<br />

Erstere regieren einen festen Kasus, letztere haben keine Kasusrektion.<br />

Distribution: Auf der Basis dieses Kriteriums lassen sich z.B. Adverbien von<br />

Partikeln unterscheiden: Adverbien sind vorfeldfähig, Partikeln nicht.<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

Wortbildung<br />

• Durch die Wortbildung entstehen neue Lexeme, die das Lexikon erweitern.<br />

• Diese Lexeme können dann Gegenstand der <strong>Flexion</strong> sein, d.h. sie können flektiert<br />

werden.<br />

• Die Wortbildung ist also ein morphologischer Prozess, mit Hilfe dessen neue Lexeme<br />

(Wurzeln oder Stämme) aus anderen (bereits existierenden) Lexemen (Wurzeln oder<br />

Stämmen) abgeleitet werden.<br />

• Es wird zwischen mehreren Wortbildungsarten unterschieden:<br />

<strong>Derivation</strong><br />

• <strong>Derivation</strong> ist die Ableitung eines Lexems aus einer (bereits vorhandenen) Wurzel bzw.<br />

einem (bereits vorhandenen) Stamm mit Hilfe eines <strong>Derivation</strong>saffixes.<br />

• Das resultierende Lexem nennt man Derivatum (Pl. Derivata).<br />

• Die Basis für die <strong>Derivation</strong> kann ein Substantiv, ein Adjektiv ein Verb oder ein Adverb<br />

sein:<br />

König ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> königlich<br />

dunkel ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Dunkelheit<br />

ess‐ ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> essbar<br />

jetzt ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> jetzig<br />

• Das Darivatum kann seinerseits ein Substantiv, ein Adjektiv oder ein Verb sein:<br />

trocken ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Trockenheit<br />

Kind ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> kindisch<br />

Angst ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> ängstig(en)<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

<strong>Derivation</strong>saffixe<br />

• <strong>Derivation</strong>saffixe werden, abhängig von der Wortart, die sie bilden, in Nominal‐,<br />

Adjektiv‐ und Verbalaffixe unterschieden. Dabei überwiegen:<br />

o<br />

o<br />

o<br />

bei den Nominalaffixen (den <strong>Derivation</strong>saffixen, mit Hilfe derer Substantive<br />

gebildet werden) die Suffixe, z.B. ‐ung, ‐keit, ‐heit, ‐nis,<br />

bei en Adjektivaffixen (den <strong>Derivation</strong>saffixen, mit Hilfe derer Adjektive gebildet<br />

werden) die Suffixe, z.B ‐ig, ‐lich, ‐isch, ‐bar, und<br />

bei den Verbalaffixen (den <strong>Derivation</strong>saffixen, mit Hilfe derer Verben gebildet<br />

werden) die Präfixe, z.B. be‐, ent‐, ver‐, zer‐.<br />

• Abhängig von der Wortart der Basis, mit der sich ein <strong>Derivation</strong>saffix verbindet, wird<br />

zwischen deverbalen, denominalen und deadjektiven Präfixen bzw. Suffixen<br />

unterschieden.<br />

• Deverbale <strong>Derivation</strong>sffixe verbinden sich mit Verben, denomimale <strong>Derivation</strong>sffixe mit<br />

Substantiven und deadjektive <strong>Derivation</strong>sffixe mit Adjektiven.<br />

V‐‐‐>N deverbale Nominalsuffixe, z.B. ‐<br />

ung, ‐er<br />

trau‐<br />

lehr‐<br />

‐‐‐><br />

‐‐‐><br />

Trauung<br />

Lehrer<br />

A‐‐‐>N<br />

deadjektive Nominalsuffixe, z.B.<br />

‐keit, ‐heit<br />

übel<br />

trocken<br />

‐‐‐><br />

‐‐‐><br />

Übelkeit<br />

Trockenheit<br />

N‐‐‐>N<br />

denominale Nominalsuffixe, z.B.<br />

–schaft<br />

Mann ‐‐‐> Mannschaft<br />

N‐‐‐>V denominale Verbalsuffixe, z.B. ‐<br />

ig, ‐ier<br />

Angst<br />

Telefon<br />

‐‐‐><br />

‐‐‐><br />

ängstig(en)<br />

telefonier(en)<br />

A‐‐‐>V deadjektivische Verbalsuffixe –<br />

er<br />

schmal ‐‐‐> schmäler(n)<br />

N‐‐‐>A<br />

denominale Adjektivsuffixe, z.B.<br />

‐lich, ‐isch<br />

König ‐‐> königlich<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

V‐‐‐>N deverbale Nominalsuffixe, z.B. ‐<br />

ung, ‐er<br />

trau‐<br />

lehr‐<br />

‐‐‐><br />

‐‐‐><br />

Trauung<br />

Lehrer<br />

Kind ‐‐> kindisch<br />

V‐‐‐>A deverbale Adjektivsuffixe, z.B. –<br />

bar<br />

hör‐ ‐‐> hörbar<br />

V‐‐‐>V deverbale Verbalpräfixe, z.B.<br />

be‐, ent‐<br />

arbeit‐<br />

nehm‐<br />

‐‐‐><br />

‐‐‐><br />

bearbeit(en)<br />

entnehm(en)<br />

Konversion<br />

• Neben der <strong>Derivation</strong> und <strong>Komposition</strong> ist die Konversion eine der produktivsten<br />

Wortbildungsarten des Deutschen. Konversion ist eine Ableitung ohne <strong>Derivation</strong>saffixe:<br />

V ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> N<br />

V ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> N<br />

N ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> V<br />

N ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> V<br />

A ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> N<br />

A ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> N<br />

N ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> A<br />

N ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> A<br />

V ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> A<br />

V ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> A<br />

A ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> V<br />

A ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> V<br />

lauf ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Lauf<br />

fang ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Fang<br />

Fisch ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> fisch(en)<br />

Schulter ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> schulter(n)<br />

tief ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Tief<br />

gut ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Gut<br />

Ernst ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> ernst<br />

Klasse ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> klasse<br />

starr ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> starr<br />

wach ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> wach<br />

reif ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> reif(en)<br />

schnell ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> schnell(en)<br />

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Ableitungsrichtung<br />

• Eine eindeutige Bestimmung der Ableitungsrichtung ist nicht immer möglich, da klare<br />

Kriterien dafür fehlen.<br />

Kauf (N) ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> kauf(en) (V)<br />

kauf(en) (V) ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Kauf (N)<br />

• Einige Kriterien sind (Fleischer/Barz 1995):<br />

• Das morphologische Kriterium: Beim Vorhandensein von Präfixen (be‐ Befehl, ent‐<br />

Entzug, er‐ Erhalt, ver‐ Verzehr, zer‐ Zerfall) muss er sich um V ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> N ‐Konversion<br />

handelt, da es sich bei diesen Präfixe um Affixe für Verb‐<strong>Derivation</strong> handelt.<br />

• Das Produktivitätskriterium: Bei problematischen Fällen bestimmt das produktivere<br />

Muster die Ableitungsrichtung. Beim Wortpaar Ruf und rufen handelt es sich um eine N ‐<br />

‐‐‐‐‐‐‐‐> V‐Konversion, da N ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> V hochproduktiv, V ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> N nur schwachproduktiv<br />

ist.<br />

• Unter Konversion fallen auch solche Ableitungen ohne <strong>Derivation</strong>saffixe, die eine<br />

Vokaländerung gegenüber der Basis aufweisen:<br />

zieh(en) ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Zug<br />

werf(en) ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Wurf<br />

• Derartige Wortbildungen werden gelegentlich als implizite <strong>Derivation</strong> bezeichnet<br />

(Fleischer/Barz 1995).<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

<strong>Komposition</strong><br />

• <strong>Komposition</strong> ist die Bildung eines neues Lexems durch die Verkettung zweier oder<br />

mehrerer Wurzeln bzw. Stämme.<br />

Haus+Tür ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Haustür<br />

Literatur+Nobel+Preis ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Literaturnobelpreis<br />

Verwandtschaft+Verhältnis ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Verwandtschaftsverhältnis<br />

Typen von Komposita<br />

• Je nach der Art der Beziehung zwischen den einzelnen Komponenten eines Kompositums<br />

wird zwischen Determinativ‐ und Kopulativkomposita unterschieden:<br />

o<br />

o<br />

Determinativkomposita: Bei Determinativkomposita ist das Zweitglied nicht nur<br />

der Kopf, d.h. es bestimmt nicht nur die Wortart, das Genus und die<br />

<strong>Flexion</strong>sklasse des gesamten Kompositums, sondern es ist gleichzeitig der<br />

semantische Kern des gesamten Kompositums. So ist z.B. Haus im<br />

Determinativkompositums Holzhaus eine Art Haus, nämlich ein Haus, das aus<br />

Holz gebaut ist; rot im Determinativkompostium dunkelrot ist eine Art rot u.s.w.<br />

Kopulativkomposita: Bei Kopulativkomposita sind die einzelnen Glieder des<br />

Kompositums einander kopulativ zugeordnet: Die Bedeutung des gesamten<br />

Kompositums ergibt sich additiv aus der Bedeutung seiner einzelnen Glieder, d.h.<br />

kein Glied bildet den semantischen Kern des gesamten Kompositums, z.B.<br />

Hosenrock, taubstumm, schwarzrotgold.<br />

Kategoriale Typen von Determinativkomposita<br />

• Der Kopf eines Determinativkompositums kann ein Substantiv, ein Adjektiv oder ein<br />

Verb sein.<br />

• Dementsprechend wird zwischen Nominal‐, Adjektiv‐ und Verbalkomposita<br />

unterschieden. Dabei kann das Erstglied dieser drei kategorialen Typen von<br />

Determinativkomposita ein Substantiv, ein Adjektiv, ein Verb oder eine Präposition sein:<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

N+N ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Holzhaus, Kampfhund<br />

Nominalkomposita:<br />

A+N ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Dunkelkammer, Rotlicht<br />

V+N ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Mischehe, Malbuch<br />

P+N ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> Hinterhof, Mitgefühl<br />

N+A ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> nachtblind, tierlieb<br />

Adjektivkomposita:<br />

A+A ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> zartrosa, halbstark<br />

V+A ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> trinkfest, tragfähig<br />

P+A ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> übermächtig, vorlaut<br />

N+V ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> staubsaugen, standhalten<br />

Verbalkomposita:<br />

A+V ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> liebäugeln, frohlocken<br />

V+V ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> kennenlernen, stehenbleiben<br />

P+V ‐‐‐‐‐‐‐‐‐> vorstellen, mitteilen<br />

Fugenelemente<br />

• Fugenelemente sind Verbindungselemente, die an der Nahtstelle zwischen<br />

unmittelbaren Konstituenten eines Kompositums oder eines Derivatums auftreten, z.B.<br />

Universitätsabschluss, arbeitslos. Neben dem ‐s‐ gibt es im Deutschen die folgenden<br />

Fugenelemente:<br />

‐e‐ Haltestelle ‐en‐ Christentum<br />

‐n‐ Bauernhof ‐ens‐ Herzenswunsch<br />

‐er‐ Kinderwagen ‐es‐ Tagesreise<br />

• Fugenelemente gehören zur ersten unmittelbaren Konstituente eines Kompositums bzw.<br />

eines Derivatums, d.h. das Fugenelement wird von der ersten unmittelbaren<br />

Konstituente bestimmt. Im Großen und Ganzen sind Fugenelemente auf Substantivoder<br />

Verbstämme als Erstglieder beschränkt.<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

• Fugenelemente sind, diachron gesehen, aus <strong>Flexion</strong>smorphemen hervorgegangen: So<br />

kann z.B. das Fugenelement ‐es‐ in Gotteszorn auf das <strong>Flexion</strong>smorphem für Genitiv<br />

Singular, das Fugenelement ‐er‐ in Kindergarten auf das <strong>Flexion</strong>smorphem für den Plural<br />

zurückgeführt werden.<br />

• Für die synchrone Beschreibung werden sie aber nicht als <strong>Flexion</strong>smorpheme, sondern<br />

als funktionslose Verbindungselemente analysiert.<br />

• Für diese Analyse spricht vor allem die Tatsache, dass zahlreiche Komposita und Derivata<br />

Fugenelemente enthalten, die nicht auf <strong>Flexion</strong>smorpheme zurückgeführt werden<br />

können. So kann das Fugenelement ‐s‐ in Liebesbrief nicht als <strong>Flexion</strong>smorphem für<br />

Genitiv Singular angesehen werden, da die erste unmittelbare Konstituente Liebe<br />

Femininum ist und Feminina ihren Genitiv nicht auf ‐s bilden.<br />

Das Prinzip der Rechtsköpfigkeit<br />

• Komposita und Derivata haben einen morphologischen Kopf, der die grammatischen<br />

Kategorien des gesamten Wortes bestimmt:<br />

Komposita:<br />

• die Wortart: In Hochhaus ist hoch ein Adjektiv und Haus ein Substantiv, also ist das<br />

gesamte Wort ein Substantiv.<br />

• das Genus: In Haustür ist Haus Neutrum und Tür Femininum, also ist das gesamte Wort<br />

feminin.<br />

• die <strong>Flexion</strong>sklasse: Haustür flektiert wie Tür.<br />

Derivata:<br />

• die Wortart: In haltbar ist halt ein Verb und ‐bar ein Adjektivsuffix, also ist das gesamte<br />

Wort ein Adjektiv.<br />

• das Genus: In Kritiker ist Kritik Femininum und ‐er Maskulinum, also ist das gesamte<br />

Wort maskulin.<br />

• die <strong>Flexion</strong>sklasse: Die <strong>Flexion</strong>sklasse für Kritiker wird durch das <strong>Derivation</strong>ssuffix ‐er und<br />

nicht durch die Basis Kritik bestimmt.<br />

Universität <strong>Bielefeld</strong> * LiLi Said Sahel Seite 15


Morphologie & Syntax<br />

Sommersemester 2012<br />

<strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

• Es fällt auf,<br />

dass der morphologische Kopf das am weitesten rechts stehendee Morphem<br />

ist. Man spricht in diesem Zusammenhang<br />

vom Prinzip der Rechtsköpfigkeit: In einer<br />

Wortbildung ist das am weitesten rechts stehende Morphem der Kopf der gesamten<br />

Bildung.<br />

• Es gibt aber Derivata, bei denen der morphologische Kopf das am weitesten links<br />

stehende Morphem ist. Es handelt sich dabei um:<br />

• mit Hilfe<br />

des <strong>Derivation</strong>spräfixes Ge‐ abgeleitete Substantive: Gefühl, Geschwätz...Bei<br />

diesen Bildungen wird die Wortart (Substantiv) und das Gensus (Neutrum) durch das<br />

Präfix Ge‐, also durch das am weitesten links stehende Morphem, bestimmt.<br />

• mit Hilfe von Verbalpräfixen<br />

abgeleitete<br />

Verben:<br />

erröt(en),<br />

anfreund(en)<br />

),<br />

beruhig( (en)...Bei diesen Bildungen wird die Wortartt (Verb) durch die Präfixe er‐, an‐<br />

bzw. be‐, also durch<br />

das am weitesten links stehendee Morphem, bestimmt.<br />

• Das Prinzip der Rechtsköpfigkeit<br />

scheint für<br />

die <strong>Derivation</strong> nur eingeschränkt zu gelten.<br />

Es gilt für die Suffigierung, nicht aber für die Präfigierung.<br />

Unmittelbare Konstituenten<br />

• Unmittelbare<br />

Konstituenten<br />

sind die beiden Konstituenten, aus denen einee<br />

Konstruktion unmittelbar gebildet ist und in die sie sich<br />

auf der nächstniedrigeren Ebenee<br />

zerlegen lässt (Fleischer/Barz 1995²).<br />

• Parallel zu Sätzen und<br />

Phrasen können Komposita und Derivata<br />

Konstituenten zerlegt werden:<br />

in ihre unmittelbaren<br />

o<br />

Literatur und Nobelpreis sind die<br />

zwei unmittelbaren Konstituenten des<br />

Kompositums Literaturnobelpreis, Nobel und Preis sind die zwei unmittelbaren<br />

Konstituenten<br />

des Kompositums Nobelpreis.<br />

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Said Sahel<br />

Seite 16


Morphologie & Syntax<br />

Sommersemester 2012<br />

<strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

• freundlich und keit sind die zwei zwei unmittelbaren Konstituenten des Derivatums<br />

Freundlichkeit, Freund und lich<br />

sind die<br />

zwei unmittelbaren Konstituenten des<br />

Derivatums<br />

freundlich.<br />

• Es ist üblich, dass man<br />

bei der Ermittlung von unmittelbaren Konstituenten bei Derivataa<br />

und Komposita 'von unten' anfängt und einee Baumstruktur mit binären Verzweigungenn<br />

aufbaut. Das komplexe Wort wird in seine einzelnen Morpheme zerlegt und<br />

es werden<br />

je zwei unmittelbare Konstituenten zu einer höheren Konstituente<br />

zusammengefügt:<br />

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Said Sahel<br />

Seite 17


Morphologie & Syntax<br />

Sommersemester 2012<br />

<strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

Lexikoneintrag für freie Morphemee<br />

• Im Lexikon ist jedes<br />

Lexem<br />

(Wort) u.a. hinsichtlich<br />

seiner<br />

phonologischen,<br />

morphologischen, syntaktischenn und semantischenn Merkmale spezifiziert. Diesee<br />

spezifischen<br />

Informationen werden Lexikoneintrag genannt. So kann der Lexikoneintrag<br />

für das Verb<br />

schließ‐ wie folgt dargestellt werden:<br />

Lexikoneintrag für Affixe<br />

• Die Hauptmotivation<br />

für die Annahme, dass <strong>Derivation</strong>saffixe<br />

auch Lexikoneinträgee<br />

haben, ist die Tatsache, dass auch <strong>Derivation</strong>saffixe<br />

(zumindest<br />

<strong>Derivation</strong>ssuffixe) in<br />

einer komplexen Wortbildung ihre grammatischen Eigenschaftenn (Wortart, Genus und<br />

<strong>Flexion</strong>sklasse) auf die<br />

gesamte Bildung übertragen können. Der Lexikoneintrag für das<br />

Nominalsuffix ‐ung könnte wie folgt aussehen:<br />

• Die Tatsache, dass <strong>Derivation</strong>s<br />

ssuffixe u.a. die Wortart des gesamten Derivatums<br />

bestimmen können, führt zu der Annahme, dass <strong>Derivation</strong>ssuffixe hinsichtlich ihrer<br />

Wortart spezifiziert sind.<br />

• Diesem wird in der Lexikalistischen Morphologie dadurch Rechnung getragen, indem die<br />

Notation für <strong>Derivation</strong>ssuffixe die Wortart enthält. Um<br />

freie Morpheme von<br />

Affixen bei<br />

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Said Sahel<br />

Seite 18


Morphologie & Syntax<br />

Sommersemester 2012<br />

<strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

der Wortartkennzeichnung zu unterscheiden, erfolgt<br />

die Wortartkennzeichnung bei<br />

Affixen durch ein zusätzliches, hochgestelltes af, z.B. N af für das Nominalsuffix ‐ung, A af<br />

für das Adjektivsuffix ‐bar....<br />

• Affixe, die<br />

keine Kopfmeisten<br />

Präfixen der Fall ist,<br />

Funktion haben, wie dies<br />

bei den<br />

werden wie folgt notiert: X af<br />

Fugenelemente<br />

im Baumdiagrammm<br />

• Fugenelemente (Fu) gehören näher zur ersten Konstituente eines Kompositums oder<br />

Derivatums<br />

und bilden daher zusammen mit dieser<br />

(der ersten Konstituente) zwei<br />

unmittelbare Konstituenten.<br />

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Seite 19


Morphologie & Syntax<br />

Sommersemester 2012<br />

<strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

Zusammenbildung<br />

• Zusammenbildungen<br />

sind ein besonderer Typ von Komposita. Bei Zusammenbildungenn<br />

kommt das<br />

Zweitglied nicht frei vor: zweitürig, blauäugig, einfenstrig, Ehebrecher<br />

r,<br />

zielstrebig. ..<br />

• Zusammenbildungen<br />

analysiert werden:<br />

können daher nicht<br />

in ihre zwei unmittelbaren Konstituentenn<br />

Bei Zusammenbildungen muss eine ternäre und<br />

keine binäre Verzweigung angenommenn<br />

werden.<br />

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Seite 20


Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

Der dichotomische Ansatz zur Abgrenzung von <strong>Flexion</strong> und <strong>Derivation</strong><br />

• Im Rahmen des sogenannten dichotomischen Ansatzes wird die <strong>Flexion</strong> mit<br />

Regelmäßigkeit, die <strong>Derivation</strong> mit Unregelmäßigkeit gleichgesetzt.<br />

• Diese Eigenschaften (Regelmäßigkeit von <strong>Flexion</strong> bzw. Unregelmäßigkeit von <strong>Derivation</strong>)<br />

hängen eng mit der Funktion dieser zwei morphologischen Verfahren zusammen:<br />

– <strong>Flexion</strong> dient zur Bildung von Wortformen (Grammatik),<br />

– <strong>Derivation</strong> dient zur Bildung neuer Wörter (Lexikon).<br />

• Während die Grammatik zu einem großen Teil durch Regeln erfasst werden kann, die z.B.<br />

auch im Fremdsprachenunterricht vermittelt werden können,…<br />

• … stellt das Lexikon einen idiosynkratischen Bereich dar, in dem Wörter mit ihren diversen<br />

Eigenschaften abgespeichert sind und als solche abgerufen werden müssen.<br />

<strong>Flexion</strong><br />

• Inwiefern <strong>Flexion</strong> regelmäßig, <strong>Derivation</strong> hingegen unregelmäßig ist, wird durch mehrere<br />

Merkmale erfasst, die alle zusammen „Regelmäßigkeit“ bzw. „Unregelmäßigkeit“ ergeben<br />

und sich gegenseitig bedingen.<br />

Die <strong>Flexion</strong> gilt als regelmäßig , wenn<br />

folgende Merkmale auftreten<br />

Bildung gemäß flexionsmorphologischer<br />

Regeln (keine oder wenig Beschränkungen)<br />

Bildung morphosemantisch transparent<br />

Generalität der Anwendung der Regeln<br />

(hohe Produktivität, hohe Frequenz)<br />

Die <strong>Flexion</strong> gilt als unregelmäßig , wenn<br />

folgende Merkmale auftreten<br />

Bildung nicht gemäß flexionsmorphologischer<br />

Regeln (starke Beschränkungen)<br />

Bildung morphosemantisch intransparent (z.B.<br />

Suppletion)<br />

Keine Generalität der Anwendung der Regeln<br />

(Blockierung, keine Produktivität; niedrige<br />

Frequenz)<br />

Existenz eines Paradigmas (ohne Lücken) Es existiert kein Paradigma bzw. ein<br />

lückenhaftes Paradigma (z.B. defektive Verben)<br />

Einheitlichkeit der Bildung (Bedeutungs‐<br />

Form‐Konstanz)<br />

Keine Einheitlichkeit der Bildung (keine<br />

Bedeutungs‐Form‐Konstanz)<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

Bildung gemäß flexionsmorphologischer Regeln (keine oder wenig Beschränkungen)<br />

• <strong>Flexion</strong>sformen werden durch die Anwendung flexionsmorphologischer Regeln erzeugt.<br />

• So wird im Deutschen die 2. Person Singular dadurch erzeugt, dass als äußerstes Flexiv ‐st an<br />

das Verb suffigiert wird.<br />

• Wie regelmäßig diese Bildung ist, zeigt sich daran, dass sie sowohl für den Indikativ als auch<br />

für den Konjunktiv und für alle Tempora gilt. Darüber hinaus erfasst sie alle Verbklassen<br />

(schwache, starke und unregelmäßige Verben.)<br />

• Beschränkung: Im Imperativ erfolgt die Bildung der 2. Person Singular nicht durch die<br />

Suffigierung von –st!<br />

Bildung morphosemantisch transparent<br />

• Die morphosemantische Transparenz ist bei <strong>Flexion</strong> typischerweise gegeben;<br />

morphosemantische Transparenz bedeutet, dass „einer bestimmten formalen Modifizierung<br />

der Ausgangsform eine bestimmte semantische Modifizierung der Ausgangsbedeutung<br />

[entspricht]“ (Wurzel 1998: 188)<br />

• Als Beispiel für morphosemantische Transparenz kann hier die Komparationsbildung bei<br />

Adjektiven angeführt werden. Durch die Suffigierung von ‐er an den Adjektivstamm entsteht<br />

eine Steigungsform im Sinne von ‚mehr‘ relativ zum Positiv: groß – größer.<br />

• Einschränkung: Suppletivformen: viel – mehr, gut – besser, gern – lieber<br />

Generalität der Anwendung von Regeln<br />

• Generalität der Anwendung von Regeln bedeutet, dass z.B. alle Vertreter einer<br />

Wortkategorie, etwa Verben, von der jeweiligen Regel betroffen sind.<br />

• Obwohl bei der <strong>Flexion</strong> die Generalität der Anwendung von Regeln im Allgemeinen gegeben<br />

ist, ist sie nicht immer absolut.<br />

• Einschränkung: Die Regel zur Bildung von präteritalen Formen durch die Suffigierung von ‐te<br />

betrifft nicht alle Verbklassen, sondern nur die schwachen Verben; hier liegt also eine<br />

eingeschränkte Generalität vor.<br />

Existenz eines Paradigmas (Paradigmatizität)<br />

• Paradigmatizität ist ein wesentliches Merkmal von <strong>Flexion</strong>. Sowohl in der Nominal‐ als auch<br />

in der Verbflexion sind in der Regel alle Positionen im Paradigma besetzt.<br />

• So verfügen (fast) alle Substantive über zwei Numeri und vier Kasus, und (fast) alle Verben<br />

können in allen relevanten grammatischen Kategorien (Person, Numerus, Tempus, Modus,<br />

Genus Verbi) gebildet werden.<br />

Universität <strong>Bielefeld</strong> * LiLi Said Sahel Seite 22


Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

Einschränkung:<br />

• Defektive Substantive: Pluraliatantum (z.B. Ferien, Spesen); Singulariatantum (z.B. Hunger,<br />

Gold, Obst)<br />

• Defektive Verben: Witterungsverben (z.B. regnen, schneien, blitzen)<br />

<strong>Derivation</strong><br />

• Im Unterschied zur <strong>Flexion</strong> gelten in der <strong>Derivation</strong> die ‚unregelmäßigen‘ Merkmale als viel<br />

ausgeprägter als die ‚regelmäßigen‘ Merkmale.<br />

Die <strong>Derivation</strong> gilt als unregelmäßig , wenn<br />

folgende Merkmale auftreten<br />

Bildung nicht gemäß<br />

wortbildungsmorphologischer Regeln<br />

Bildung morphosemantisch intransparent<br />

Die <strong>Flexion</strong> gilt als regelmäßig , wenn<br />

folgende Merkmale auftreten<br />

Bildung<br />

gemäß<br />

wortbildungsmorphologischer Regeln<br />

Bildung morphosemantisch transparent<br />

Keine Generalität der Anwendung der<br />

Regeln<br />

Keine Paradigmatizität<br />

Generalität der Anwendung der Regeln<br />

(extrem hohe Produktivität, hohe Frequenz)<br />

Paradigmatizität<br />

Keine Einheitlichkeit (keine Bedeutungs‐<br />

Form‐Konstanz)<br />

Einheitlichkeit (Bedeutungs‐Form‐Konstanz)<br />

Bildung nicht gemäß wortbildungsmorphologischer Regeln, Bildung morphosemantisch<br />

intransparent<br />

• In der Wortbildung besteht eine Diskrepanz zwischen regelmäßiger<br />

Wortbildungsbedeutung und lexikalisierter Wortschatzbedeutung.<br />

Unmut, Rundfunk<br />

• Die Bedeutung von Unmut bzw. Rundfunk ergibt sich nicht aus der Bedeutung der<br />

beteiligten Komponenten Un‐ und Mut bzw. rund und Funk. Vielmehr muss für diese beiden<br />

komplexen Wörter je eine gesonderte Bedeutung abgespeichert sein.<br />

• Darüber hinaus gibt es eine Reihe bereits lexikalisierter Bildungen, die synchron nicht mehr<br />

als durch Wortbildungsregeln generiert erkennbar, im Sinne von morphosemantisch<br />

transparent, sind:<br />

Mädchen<br />

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Morphologie & Syntax Sommersemester 2012 <strong>Flexion</strong>, <strong>Derivation</strong>, <strong>Komposition</strong><br />

• Die Diminutivbildung Mädchen geht auf das Lexem Magd und das Diminutivsuffix ‐chen<br />

zurück. Durch die Tilgung von /g/ ist es synchron nicht möglich, die Wortbildung<br />

nachzuvollziehen. Weder in der Produktion noch in der Rezeption wird Mädchen aus seine<br />

zwei Wortbildungskomponenten zurückgeführt, vielmehr wird die Bildung als ein<br />

einmorphemisches Wort analysiert.<br />

Keine Generalität der Anwendung der Regeln<br />

• Die generelle Anwendung von Regeln ist in der Wortbildung stark eingeschränkt.<br />

• Diese Einschränkung entsteht u.a. dadurch, dass alternativ zu einem Wortbildungskonstrukt<br />

weitere Wortbildungsprodukte im Lexikon stehen, die die Anwendung der Regel blockieren:<br />

*Stehler vs. Dieb, *Listigkeit vs. List, *Freuung vs. Freude<br />

• Obwohl das Nominalsuffix ‐er eines der produktivsten <strong>Derivation</strong>ssuffixe im Deutschen ist,<br />

unterliegen ‐er‐Bildungen oft Einschränkungen, die <strong>Derivation</strong>sprodukte auf ‐er verhindern.<br />

Bildungen wie Stehler oder Studierer sind potentielle Wörter des Deutschen, werden aber<br />

durch bereits vorhandene Lexeme mit derselben Bedeutung Dieb bzw. Student verhindert.<br />

Man spricht hier von lexikalischer Blockierung.<br />

Keine Einheitlichkeit (keine Bedeutungs‐Form‐Konstanz)<br />

• Ein und dasselbe <strong>Derivation</strong>saffix kann mehrere Bedeutungen bzw. Funktionen haben.<br />

• Das Nominalsuffix ‐er kann z.B. drei Konzepte ausdrücken:<br />

Nomina agentis (Person): Maler<br />

Nomina instrumenti (Objekt): Bohrer<br />

Nomina acti (Vorgang): Seufzer<br />

Universität <strong>Bielefeld</strong> * LiLi Said Sahel Seite 24

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