12.01.2015 Aufrufe

Der Text zum downloaden - Stift Wilten

Der Text zum downloaden - Stift Wilten

Der Text zum downloaden - Stift Wilten

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Abtei, März 2012<br />

Liebe Schülerinnen und Schüler in Innsbruck,<br />

ich wurde gebeten, Euch etwas über mich und meine Skulpturengruppe „Ecce<br />

homo“ zu schreiben, damit ihr verstehen könnt, wieso ich sie gemacht habe.<br />

Ich wurde in Abtei, das ist ein Ort in Südtirol, auf einem Bauernhof geboren.<br />

Schon als Kind durfte ich für meinen Onkel, der Maler ist, Model stehen. Das<br />

heißt, er hat Bilder von mir, meinem Bruder und meinen Freunden gezeichnet.<br />

Bald schon wechselte ich auf die andere Seite des Zeichenblocks, ich<br />

zeichnete meinen jüngeren Bruder.<br />

Mit acht Jahren erhielt ich zu Weihnachten einen Satz „Stubaier-<br />

Schnitzmesser“. Sofort begann ich die Christusdarstellung in der<br />

elterlichen Stube abzuzeichnen und auf ein Stück Holz zu übertragen. Die<br />

ersten – geheimen – Schnitzversuche fanden in der Christnacht in meinem<br />

Bett statt, eigentlich hatten mich meine Eltern <strong>zum</strong> Schlafen geschickt, aber<br />

ich war so begeistert von meinen neuen Schnitzmessern das ich einfach nicht<br />

aufhören konnte.<br />

Ein paar Jahre später durfte ich in einer bekannten Staatlichen Kunstschule in<br />

St. Ulrich im Grödnertal mein Schnitzhandwerk weiterentwickeln.<br />

An der Akademie der Bildenden Künste in Wien hatte ich das große Glück,<br />

dass mir mein ausgezeichneter, toller Lehrer Professor Joannis Avramidis viel<br />

über das Zeichnen und Bildhauen lehren konnte. Für mich war immer schon<br />

der menschliche Körper das, was ich als Künstler am Besten darstellen wollte<br />

und konnte.<br />

Nach dem Studienabschluss in Wien bin ich wieder in meine Heimat<br />

zurückgekehrt.<br />

Dort lebe und arbeite ich jetzt, auf dem ererbten Bauernhof meiner Eltern,<br />

gemeinsam mit meiner Frau und unseren beiden Töchtern. Ich fühle mich<br />

sehr verwurzelt mit der Heimat, und sie bedeutet mir heute sehr viel. Auch die<br />

Kraft für meine Arbeit als Künstler finde ich in unserer direkten Umgebung.<br />

Die Skulpturen die ich mache entstehen aus einem inneren Bedürfnis, also:<br />

Ich muss sie machen. Ich arbeite dann sehr lange bis eine Skulptur fertig ist.<br />

Ich glaube, dass Kunstwerke, die mit vollem Gewissen – mit ehrlicher<br />

Überzeugung - gemacht sind, <strong>zum</strong> Leben gehören, und so soll man sie<br />

auch vor Euch Kindern nicht verstecken. Sie versuchen ein Stück<br />

Wahrheit zu verkünden.


Jetzt zur Frage warum ich die Skulpturengruppe „Ecce homo“ gestaltet habe.<br />

Dazu möchte ich Euch zuerst zwei Erlebnisse aus meiner eigenen Kindheit<br />

erzählen.<br />

Mein Großvater ist daheim am Bauernhof auf die Welt gekommen. Als Kind<br />

musste ich erleben, wie der Großvater dort auch gestorben ist. Wie das<br />

in unserem Dorf damals noch üblich war (heute ist das auch bei uns schon<br />

eher die Ausnahme), ist mein Großvater in der Stube unseres Hofes<br />

aufgebahrt worden. Als Kind war das Sterben des Großvaters – vor meinen<br />

Augen - natürlich ein Schock für mich. Erst später ist mir bewusst geworden,<br />

wie wertvoll es für meinen Opa war, eine Heimat zu haben, ohne dadurch<br />

engstirnig und eigenbrötlerisch zu werden. Zu wissen woher man kommt und<br />

wohin man – am Ende des Lebens - geht. Umgeben von Menschen die ihn<br />

lieben, begleiten, achten und zusammenhalten.<br />

Auf unserem Bauernhof wurden und werden Tiere gehalten, die neben Milch<br />

und Eiern auch Fleisch für uns und unsere Mitmenschen liefern. Damit hat<br />

meine zweite Geschichte zu tun. Um Fleisch essen oder verkaufen zu<br />

können, mussten unsere Tiere von einem Metzger geschlachtet werden. Für<br />

mich als Bub war es schmerzhaft einen „Freund“ zu verlieren, den ich oft<br />

selber gefüttert und „aufgezogen“ hatte. In dieser Situation haben mir meine<br />

Eltern geholfen. Sie haben mir erklärt, dass sie dem Tier auch ihre Liebe und<br />

Zuneigung geschenkt haben, und ihm jetzt - mit großer Achtung – dankbar<br />

sind, weil sie mit dem Fleisch wertvolle Nahrung für die Familie erhalten.<br />

Ich habe Euch diese beiden Erlebnisse erzählt, weil sie mein Leben geprägt<br />

haben. Damals habe ich es nicht sofort verstanden, aber heute weiß ich, dass<br />

für unser Zusammenleben (auch mit den Tieren) auf der Welt Liebe, Respekt<br />

und Achtung am Wichtigsten sind.<br />

Heute schauen wir – auch ich - viel zu oft weg oder vorbei, wenn direkt vor<br />

uns, oder in der Welt, schlimme Dinge passieren.<br />

Mit den Figuren möchte ich Euch nicht erschrecken, ich möchte Euch<br />

aufmerksam machen dafür, dass ihr nicht wegschaut, wenn eure<br />

Geschwister und Freunde in Not sind. Ich möchte euch bitten mutig zu sein,<br />

wenn ihr seht, dass jemand ungerecht behandelt wird, und sich dabei<br />

vielleicht so schutzlos und nackt fühlt wie meine Figuren. Nicht nur Schläge<br />

tun weh, nie mit den Klassenkolleginnen mitspielen zu dürfen kann genauso<br />

schmerzen.<br />

Ihr könnt jeden Tag in der Familie und in der Schule SELBER mithelfen,<br />

froh, selbstbewusst FÜR- und MITEINANDER zu leben!<br />

Es würde mich sehr freuen, wenn ihr daran denken könntet, wenn Ihr das<br />

nächste Mal an den drei Männern vorbeigeht.<br />

Herzliche Grüße<br />

Lois

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!