Borussia Dortmund (29.03.2008) - VfL Bochum
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GOOSENS SPIELZEIT<br />
Von Frank Goosen<br />
Gemischte Gefühle<br />
Selten bin ich mit derartig gemischten<br />
Gefühlen zu einem Fußballspiel<br />
gefahren. Der Nürnberger Zweig unserer<br />
Familie steckt mitten im Abstiegskampf,<br />
und jetzt kommen wir<br />
daher und wollen ihnen noch mal<br />
drei Punkte abknöpfen. Meine pubertierende<br />
Nichte hat die Fesseln<br />
ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation<br />
noch nicht abgestreift, will<br />
heißen: Sie interessiert sich für Fußballer<br />
nicht zuletzt unter romantischerotischen<br />
Gesichtspunkten. Schon<br />
seit längerem ist sie in den Nürnberger<br />
Abwehrspieler Javier Pinola<br />
verknallt. Ein Blick ins Panini-Sammelalbum<br />
beweist uns, dass Äußer-<br />
lichkeiten für sie keine große Rolle<br />
spielen. An ihrer Zimmertür hängt<br />
außerdem ein Hochzeitsbild des von<br />
ihr Verehrten. Das aber ist kein Masochismus,<br />
sondern eher Voodoo:<br />
Das Gesicht von Pinolas Angetrauter<br />
ist durchgestrichen, und daneben<br />
steht das Wort „Böse“!<br />
Na gut, das Mädchen hat es nicht<br />
leicht: Zwei ältere und ein jüngerer<br />
Brüder nähren in ihr den Verdacht,<br />
als einzige in ihrer Familie über<br />
mehr als drei Gramm Hirngewicht zu<br />
verfügen. Einer der Älteren gibt auch<br />
gleich unaufgefordert zu Protokoll, in<br />
ihrem „Federmäppchen“ habe sie<br />
ein weiteres Exemplar dieses Hochzeitsbildes,<br />
nur sei da der Kopf der<br />
Spielerfrau durch ihren eigenen<br />
ersetzt. Petze! Selbstverständlich<br />
werde ich das nicht in meiner<br />
Kolumne verwenden!<br />
Am Spieltag schneit es morgens<br />
Flocken so groß wie Eisbären-Babys.<br />
Ich bin auf Deeskalation bedacht<br />
und vermeide Schmähreden auf den<br />
heutigen Gegner. Diese Zurückhaltung<br />
wird mir nicht gedankt. Im<br />
Gegenteil, man sieht mich als leichtes<br />
Opfer. „Fünf Stügg krrriegd ihr<br />
heude!“, heißt der vorläufige Höhepunkt,<br />
und irgendwann ist eben<br />
Schluss. Ich instruiere meine eigenen<br />
Kinder, wir bauen uns im Esszimmer<br />
auf und singen mehrstimmig,<br />
auf die Titelmelodie von<br />
„Flipper“: „Wir singen Nürnberg,<br />
Nürnberg, zwa-heite Liga / Oh ist<br />
das schön, euch nie mehr zu seh'n.“<br />
Ich gebe zu, Deeskalation sieht anders<br />
aus.<br />
Im Stadion wird eigens etwas härtere<br />
Musik gespielt, damit die Mannschaft<br />
aggressiver zu Werke geht.<br />
Härter als „Thunderstruck“ wird es<br />
dann aber nicht. Einen frühen Höhepunkt<br />
erleben wir eine halbe Stunde<br />
vor dem Spiel. Zwei etwa zehnjährige<br />
Bengel werden auf der Trainerbank<br />
interviewt. Beide spielen natürlich<br />
auch Fußball. Der Stadionsprecher<br />
fragt den einen, ob er mit<br />
seinem Verein auch schon mal<br />
schwere Zeiten erlebt habe, was der<br />
Junge bejaht. Die nächste Frage lautet:<br />
„Und was machst du, wenn es<br />
mal nicht so läuft?“ Darauf der Bengel<br />
ganz selbstverständlich: „Den<br />
Verein wechseln!“ Das ist eindeutig<br />
nicht die Antwort, die der Stadionsprecher<br />
hören möchte.<br />
Über das Spiel muss man nicht viel<br />
sagen. Das mit der härteren Musik<br />
hat nichts gebracht. Vor Anstrengung<br />
gekotzt hat hier keiner.<br />
Beim Post-Spiel-Bierchen, das für sie<br />
aus einer schaumigen Apfelschorle<br />
besteht, konstatiert meine liebeskranke<br />
Nichte mit finsterem Blick:<br />
„Wir haben zu wenig Drecksäcke in<br />
der Mannschaft.“ Mir liegt auf der<br />
Zunge: „Na immerhin habt ihr den<br />
siebzehnten Platz verteidigt“, aber<br />
das verkneife ich mir aus Familiensolidarität.<br />
Nachts höre ich vier Kinder leise<br />
weinen. Ach nein, das ist nur Wind,<br />
der durch die Metall-Rolläden pfeift.<br />
Selten bin ich mit derartig gemischten<br />
Gefühlen von einem Spiel zurückgekommen.<br />
www.frankgoosen.de