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Borussia Dortmund (29.03.2008) - VfL Bochum

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58<br />

GOOSENS SPIELZEIT<br />

Von Frank Goosen<br />

Gemischte Gefühle<br />

Selten bin ich mit derartig gemischten<br />

Gefühlen zu einem Fußballspiel<br />

gefahren. Der Nürnberger Zweig unserer<br />

Familie steckt mitten im Abstiegskampf,<br />

und jetzt kommen wir<br />

daher und wollen ihnen noch mal<br />

drei Punkte abknöpfen. Meine pubertierende<br />

Nichte hat die Fesseln<br />

ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation<br />

noch nicht abgestreift, will<br />

heißen: Sie interessiert sich für Fußballer<br />

nicht zuletzt unter romantischerotischen<br />

Gesichtspunkten. Schon<br />

seit längerem ist sie in den Nürnberger<br />

Abwehrspieler Javier Pinola<br />

verknallt. Ein Blick ins Panini-Sammelalbum<br />

beweist uns, dass Äußer-<br />

lichkeiten für sie keine große Rolle<br />

spielen. An ihrer Zimmertür hängt<br />

außerdem ein Hochzeitsbild des von<br />

ihr Verehrten. Das aber ist kein Masochismus,<br />

sondern eher Voodoo:<br />

Das Gesicht von Pinolas Angetrauter<br />

ist durchgestrichen, und daneben<br />

steht das Wort „Böse“!<br />

Na gut, das Mädchen hat es nicht<br />

leicht: Zwei ältere und ein jüngerer<br />

Brüder nähren in ihr den Verdacht,<br />

als einzige in ihrer Familie über<br />

mehr als drei Gramm Hirngewicht zu<br />

verfügen. Einer der Älteren gibt auch<br />

gleich unaufgefordert zu Protokoll, in<br />

ihrem „Federmäppchen“ habe sie<br />

ein weiteres Exemplar dieses Hochzeitsbildes,<br />

nur sei da der Kopf der<br />

Spielerfrau durch ihren eigenen<br />

ersetzt. Petze! Selbstverständlich<br />

werde ich das nicht in meiner<br />

Kolumne verwenden!<br />

Am Spieltag schneit es morgens<br />

Flocken so groß wie Eisbären-Babys.<br />

Ich bin auf Deeskalation bedacht<br />

und vermeide Schmähreden auf den<br />

heutigen Gegner. Diese Zurückhaltung<br />

wird mir nicht gedankt. Im<br />

Gegenteil, man sieht mich als leichtes<br />

Opfer. „Fünf Stügg krrriegd ihr<br />

heude!“, heißt der vorläufige Höhepunkt,<br />

und irgendwann ist eben<br />

Schluss. Ich instruiere meine eigenen<br />

Kinder, wir bauen uns im Esszimmer<br />

auf und singen mehrstimmig,<br />

auf die Titelmelodie von<br />

„Flipper“: „Wir singen Nürnberg,<br />

Nürnberg, zwa-heite Liga / Oh ist<br />

das schön, euch nie mehr zu seh'n.“<br />

Ich gebe zu, Deeskalation sieht anders<br />

aus.<br />

Im Stadion wird eigens etwas härtere<br />

Musik gespielt, damit die Mannschaft<br />

aggressiver zu Werke geht.<br />

Härter als „Thunderstruck“ wird es<br />

dann aber nicht. Einen frühen Höhepunkt<br />

erleben wir eine halbe Stunde<br />

vor dem Spiel. Zwei etwa zehnjährige<br />

Bengel werden auf der Trainerbank<br />

interviewt. Beide spielen natürlich<br />

auch Fußball. Der Stadionsprecher<br />

fragt den einen, ob er mit<br />

seinem Verein auch schon mal<br />

schwere Zeiten erlebt habe, was der<br />

Junge bejaht. Die nächste Frage lautet:<br />

„Und was machst du, wenn es<br />

mal nicht so läuft?“ Darauf der Bengel<br />

ganz selbstverständlich: „Den<br />

Verein wechseln!“ Das ist eindeutig<br />

nicht die Antwort, die der Stadionsprecher<br />

hören möchte.<br />

Über das Spiel muss man nicht viel<br />

sagen. Das mit der härteren Musik<br />

hat nichts gebracht. Vor Anstrengung<br />

gekotzt hat hier keiner.<br />

Beim Post-Spiel-Bierchen, das für sie<br />

aus einer schaumigen Apfelschorle<br />

besteht, konstatiert meine liebeskranke<br />

Nichte mit finsterem Blick:<br />

„Wir haben zu wenig Drecksäcke in<br />

der Mannschaft.“ Mir liegt auf der<br />

Zunge: „Na immerhin habt ihr den<br />

siebzehnten Platz verteidigt“, aber<br />

das verkneife ich mir aus Familiensolidarität.<br />

Nachts höre ich vier Kinder leise<br />

weinen. Ach nein, das ist nur Wind,<br />

der durch die Metall-Rolläden pfeift.<br />

Selten bin ich mit derartig gemischten<br />

Gefühlen von einem Spiel zurückgekommen.<br />

www.frankgoosen.de

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