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Weiterbildungspass mit Zertifizierung informellen Lernens

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Machbarkeitsstudie im Rahmen des BLK-Verbundprojektes, 2004<br />

3 Die Entdeckung <strong>informellen</strong> <strong>Lernens</strong> - Begriffliche Grundlagen ...<br />

3.3 Identifizierung, Bewertung und Anerkennung von Lernergebnissen undLernprozessen<br />

...<br />

3.3.3 Anerkennung informell erworbener Kompetenzen<br />

3.3.3.2 Wege der Anerkennung<br />

Die Aneignung von Kompetenzen auf <strong>informellen</strong> Wegen geschieht – anders als im<br />

formalen Bildungssystem – häufig en passant, veranlasst durch situative Anforderungen<br />

und praktische Arbeits- und Lebensprobleme. Während sich das Lehren und Lernen<br />

im formalen System auf das konzentriert, „was geprüft wird – und geprüft werden<br />

kann“ (Dohmen 2001a, S. 93), sind informelle Lernwege zumeist unsystematisch und<br />

nur selten auf eine Prüfung <strong>mit</strong> einem entsprechenden Nachweis ausgerichtet. Da sich<br />

Individuen auf informellem Wege in der Regel nicht die in Curricula festgelegten Wissensbestände<br />

und Fertigkeiten aneignen und sich folglich nicht den formal anerkannten<br />

Prüfungs- und Bewertungsverfahren unterziehen können, trotzdem aber über wesentliche<br />

und möglicherweise auch vergleichbare Fähigkeiten verfügen, sind neue Wege<br />

der Anerkennung erforderlich.<br />

Nachfolgend werden einige mögliche Anerkennungsverfahren vorgestellt – formale und<br />

solche ohne allgemein verbindlichen Wert – und ihre Bedingungen sowie Vor- und<br />

Nachteile erörtert. Voraussetzungen für die Akzeptanz eines Anerkennungsverfahrens<br />

sind seine Transparenz, Praktikabilität, Finanzierbarkeit und eine hohe Vertrauenswürdigkeit<br />

der beteiligten Institutionen.<br />

Mit ihrer formalen Anerkennung sollen informell erworbene Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt<br />

oder zur Höherqualifizierung innerhalb des Bildungssystems geltend gemacht<br />

werden. In diesem Zusammenhang immer wieder betont wird die notwendige<br />

Beteiligung von Staat und Sozialpartnern, die in Deutschland aufgrund des stark geregelten<br />

Bildungssystems als wesentliche Akteure Voraussetzungen für einen derartigen<br />

Prozess schaffen, ihn maßgeblich auch gestalten und Änderungen der gegenwärtig<br />

bestehenden rechtlichen Regelungen vornehmen müssten (vgl. Füssel 2003; Laur-<br />

Ernst 2001; Yrjölä 2003).<br />

Drei denkbare Modelle für die Anerkennung informell erworbener Kompetenzen, bei<br />

denen jeweils eine Beziehung zum formalen Qualifikationssystem hergestellt wird,<br />

bietet Laur-Ernst <strong>mit</strong> dem Hinweis, dass nach wie vor methodologische Probleme und<br />

Unsicherheit bei der Erfassung bestehen (vgl. Laur-Ernst 2001, S. 123 ff.):<br />

S Konvergenz<br />

In vielen europäischen Ländern (vgl. Kapitel 7) wird in dem „Konvergenzmodell“ das<br />

außerhalb des formalen Bildungssystems Erlernte „an staatlich anerkannten Qualifikationsstandards<br />

gemessen und in diesem Sinne als gleichwertig eingestuft“ (Laur-<br />

Ernst 2001, S. 123). Die festgelegten Anforderungen können sich auf eine definierte<br />

Tätigkeit, einen Beruf oder einen allgemeinbildenden Abschluss beziehen. Bei bestandener<br />

Prüfung oder einem entsprechenden (Assessment-)Verfahren erhalten<br />

die Teilnehmenden ein Zertifikat.<br />

Der Vorteil dieses Ansatzes liegt in der Anwendung von Referenzstandards und<br />

da<strong>mit</strong> in der Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Die Zertifikate erhalten einen gesicherten<br />

Wert und durch die Entsprechung <strong>mit</strong> dem formalen Bildungssystem eine<br />

hohe Gültigkeit auf dem Arbeitsmarkt und im formalen Bildungssystem.<br />

52


Die Grenzen dieses Modells liegen wie bei allen standardisierten Verfahren darin,<br />

dass nur die Kompetenzen erfasst und anerkannt werden, die im formalen allgemeinen<br />

oder beruflichen Bildungssystem vorgesehen sind. Darüber hinausgehende, innovative<br />

Kompetenzen aber und die besondere Qualität informell erworbener Kompetenzen<br />

können nicht ausreichend berücksichtigt werden. „Der subjektive Charakter<br />

dieser Kompetenzen kann sich gar nicht oder nur unzulänglich im formalen<br />

Standard niederschlagen“ (ebd., S. 124). Dabei besteht allerdings die Gefahr, durch<br />

den Rückgriff auf Standardisierung das wieder zu verlieren, was <strong>mit</strong> dem Blick auf<br />

die Kompetenzen gewonnen wird.<br />

S Komplementarität<br />

Nach diesem Modell werden einerseits Übereinstimmungen <strong>mit</strong> formalen Qualifikationsstandards<br />

festgestellt und andererseits zusätzliche Informationen über spezielle<br />

Arbeits- und Lebenszusammenhänge gegeben. Bei diesem Verfahren finden neben<br />

vergleichbaren formalen Standards individuell entwickelte Kompetenzen, ihr subjektiver<br />

Charakter und ihre Andersartigkeit Berücksichtigung.<br />

Diese Differenzierung verdeutlicht Laur-Ernst an einem heute schon zu Teilen im<br />

Erwerbsleben funktionierenden Beispiel: Ein langjährig Beschäftigter verfügt – obwohl<br />

er nie eine Berufsausbildung abgeschlossen hat – über eine „weitaus umfassendere<br />

Expertise auf diesem Gebiet als der frische Absolvent einer entsprechenden<br />

dualen oder schulbasierten Berufsausbildung. Er kann und weiß mehr“ (ebd., S.<br />

125 f.). Würde er nur an den formalen Standards des Ausbildungssystems und an<br />

vorliegenden Zertifikaten gemessen, wäre er auf das „Niveau eines ‚Novizen‘ gestellt,<br />

obwohl er bereits deutlich darüber hinaus kompetent ist“ (ebd., S. 125).<br />

S Parallelität<br />

Im Gegensatz zu den vorherigen Ansätzen bezieht sich dieses Modell nicht auf formulierte<br />

Qualifikationsstandards, sondern geht von der eigenständigen Qualität der<br />

auf <strong>informellen</strong> Wegen erworbenen Kompetenzen aus und setzt auf spezielle Verfahren<br />

zu ihrer Identifizierung und Bewertung. Laur-Ernst schlägt dafür einen „eigenständigen,<br />

auf Berufserfahrung und konkretes Handeln ausdrücklich abgestellten<br />

Anerkennungsmodus“ vor, <strong>mit</strong> dem „sich die in der Praxis tatsächlich angewandten<br />

bzw. entwickelten Kompetenzen wahrscheinlich am besten erfassen (lassen)“<br />

(ebd., S. 125).<br />

Laur-Ernst sieht in diesen eigenständigen Verfahren zur Identifizierung und <strong>Zertifizierung</strong><br />

informell erworbener Kompetenzen aber auch die Schwierigkeit vielseitiger<br />

Anforderungen: Sie müssen „hinlänglich dauerhaft und zugleich adaptiv, zuverlässig<br />

und transparent, praktikabel und vor allem sozial anerkannt und glaubwürdig sein,<br />

(...) da<strong>mit</strong> auf diesem Wege erworbene Zertifikate oder Nachweisdokumente zu einer<br />

‚harten Währung‘ werden“ (ebd., S. 125). Um die Gültigkeit dieses Verfahrens<br />

zu gewährleisten und Beliebigkeit auszuschließen, bedarf es einer Verständigung,<br />

eines Konsenses hinsichtlich neuer Referenzstandards „zumindest in der jeweiligen<br />

‚community of practice‘, also den wesentlichen Akteuren, z.B. in einer Branche, einer<br />

Region oder einem Berufsfeld“ (ebd., S. 125).<br />

Auch für Winkler stellt die Bewertung informell erworbener Kompetenzen einen „offiziellen<br />

Akt“ dar, der der Zuerkennung von Zertifikaten und da<strong>mit</strong> einer formalen Anerkennung<br />

dieser Kompetenzen dient (Winkler 2002, S. 26). Über diesen Akt wird<br />

der Zusammenhang zwischen den individuell erworbenen Kompetenzen und den<br />

Anforderungen als Voraussetzung für eine bestimmte <strong>Zertifizierung</strong> hergestellt. Die<br />

<strong>Zertifizierung</strong> wird unter der Kontrolle und der direkten Verantwortung einer Instanz<br />

durchgeführt, die auf einer gesetzlichen Grundlage agiert. Die Vorteile dieses Ver-<br />

53


fahrens liegen in der größeren Aktualität und Praxisnähe, der Vermeidung von am<br />

Bildungssystem orientierten Referenzstandards und da<strong>mit</strong> einhergehender qualitativer<br />

Begrenzungen.<br />

Ein Beispiel bietet hier der <strong>mit</strong> der Neuordnung der IT-Weiterbildungsberufe beschrittene<br />

Weg, den Gegensatz von formalem und informellem Lernen zu überwinden,<br />

indem nicht mehr ein definiertes Curriculum, sondern aus der Praxis abgeleitete<br />

Referenzprozesse für den Qualifikationsgang als maßgeblich angesehen werden.<br />

An diesen drei Ansätzen für eine formale Anerkennung informell erworbener Kompetenzen<br />

zeigen sich die Möglichkeiten und Grenzen derartiger Verfahren. Weiterhin<br />

werden bisher ungelöste methodische Fragen deutlich und Hinweise auf ihre (Weiter-)<br />

Entwicklung erkennbar.<br />

Während einerseits – gerade in Zeiten unsicherer Beschäftigungschancen – die ökonomische<br />

Verwertbarkeit und da<strong>mit</strong> die formale Anerkennung für unverzichtbar gehalten<br />

werden (vgl. Laur-Ernst 2001), wird andererseits auch einer Anerkennung ohne<br />

allgemein verbindlichen Wert eine Bedeutung für die Individuen und die Gesellschaft<br />

beigemessen, sei es als individuelles Diagnose- und Feedbackinstrument für die Berufs-<br />

und Lebensplanung oder auch zur Förderung des <strong>informellen</strong> lebenslangen <strong>Lernens</strong><br />

und auf dem Weg zu einer lernenden Gesellschaft (vgl. Schaaf-Derichs 2000;<br />

Weiß 2001; Winkler 2002). Zu den Nachweisen ohne allgemein verbindlichen Wert<br />

zählen u.a. Arbeitszeugnisse, Tätigkeits- oder Teilnahmebescheinigungen und Tätigkeits-<br />

oder Kompetenzbeschreibungen. Grundsätzlich lassen sich drei Verfahren der<br />

Anerkennung informell erworbener Kompetenzen unterscheiden, die eine eingeschränkte<br />

Geltungsbreite haben und nur ausnahmsweise zu Berechtigungen führen:<br />

S Individuelle Anerkennung<br />

Die individuelle Anerkennung informell erworbener Kompetenzen geschieht durch<br />

den Prozess der Bewusstwerdung eigenen Handelns und der Identifizierung eigener<br />

Kompetenzen und stellt in der Regel den ersten, wesentlichen Schritt auch für weitere<br />

Anerkennungsverfahren dar. Er basiert auf einer Selbsteinschätzung und<br />

Selbstreflexion, dient im Sinne einer Bestandsaufnahme der Klärung eigener Kompetenzen<br />

und erleichtert die Neuorientierung und Weiterentwicklung. Unterstützend<br />

können in diesem Prozess die Erstellung eines Portfolios oder <strong>Weiterbildungspass</strong>es<br />

und eine beratende Instanz wirken.<br />

S Institutionelle Anerkennung<br />

Die institutionelle Anerkennung informell erworbener Kompetenzen basiert auf einer<br />

Bescheinigung oder Beurteilung durch eine Institution oder Organisation, die dem<br />

Individuum die Erfüllung bestimmter Tätigkeiten oder Kompetenzen attestiert und<br />

möglicherweise diese auch bewertet.<br />

S Gesellschaftliche Anerkennung<br />

Die gesellschaftliche Anerkennung informell erworbener Kompetenzen erfolgt durch<br />

einen breiten Konsens über die Bedeutung und die Chancen, die in den auf diese<br />

Weise erworbenen Kompetenzen stecken, sowie ein für entsprechende Veränderungen<br />

offenes Klima. Ihre Grundlagen sind Verständigung und Vertrauen. Sie bezieht<br />

sich nicht auf konkrete Kompetenzen einzelner Individuen, trägt aber dazu bei,<br />

den Blick auf sie zu richten, und unterstützt ihre Identifizierung.<br />

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Abbildung 3: Von der Bewertung zur Anerkennung von Kompetenzen<br />

Verfahren zur<br />

Bewertung<br />

Wege der<br />

Anerkennung<br />

<strong>Zertifizierung</strong><br />

Formale<br />

Anerkennung<br />

Beurteilung<br />

Institutionelle<br />

Anerkennung<br />

Selbsteinschätzung<br />

Individuelle<br />

Anerkennung<br />

Bescheinigung<br />

Gesellschaftliche<br />

Anerkennung<br />

Die Notwendigkeit der Sichtbarmachung und Anerkennung informell erworbener Kompetenzen<br />

wird auch in Deutschland zunehmend erkannt. Kriterien wie Vertrauenswürdigkeit,<br />

Transparenz und Praktikabilität sind dabei von besonderer Bedeutung, da sie<br />

zu einer Erhöhung der Akzeptanz beitragen. Die Vielfalt und Komplexität informell erworbener<br />

Kompetenzen und auch die Tatsache, dass sie den Individuen häufig nicht<br />

bewusst sind, sondern erst aufwändig rekonstruiert werden müssen, erschweren zwar<br />

den gesamten Prozess bis hin zu einer Anerkennung, gleichzeitig liegt darin aber auch<br />

seine besondere Qualität.<br />

Insofern kommt gerade den nicht formalen Formen der Anerkennung eine herausragende<br />

und nicht zu ersetzende Funktion zu. Als offene Verfahren erschließen sie die<br />

Möglichkeit, bisher unbekannte Felder der Kompetenzentwicklung von Individuen zu<br />

entdecken, und bieten einen Rahmen dafür. Schaaf-Derichs geht so weit, zu sagen,<br />

dass „informell erworbene Fähigkeiten auch einen persönlichen, eher <strong>informellen</strong><br />

Rahmen brauchen, um in Art und Umfang und Qualität erkennbar dargestellt zu werden“<br />

(Schaaf-Derichs 2000, S. 32). Zudem kann besonders die individuelle Anerkennung<br />

in einem entsprechenden gesellschaftlichen Klima dazu beitragen, nicht nur das<br />

Selbstwertgefühl von Individuen, sondern auch ihre Bereitschaft zu gesellschaftlichem<br />

Engagement zu stärken und möglicherweise auch Wege hin zu einer formalen Anerkennung<br />

individuell erworbener Kompetenzen einzuschlagen, falls es sich für sie als<br />

sinnvoll erweist. Sie dient da<strong>mit</strong> gleichermaßen dem Aufspüren von Kompetenzen, der<br />

Ich-Stärkung und der Motivation.<br />

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