Antrag - Carola Veit
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BÜRGERSCHAFT<br />
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 18/6219<br />
18. Wahlperiode 08. 05. 07<br />
<strong>Antrag</strong><br />
der Abgeordneten Dr. Andrea Hilgers, Wilfried Buss, Sabine Boeddinghaus,<br />
Prof. Dr. Barbara Brüning, Britta Ernst, Luisa Fiedler, Dirk Kienscherf, Gerhard<br />
Lein, Aydan Özoguz, Karin Rogalski-Beeck, Rüdiger Schulz, <strong>Carola</strong> <strong>Veit</strong> (SPD)<br />
und Fraktion<br />
zu Drs. 18/6156<br />
Betr.: Frühe Bildungschancen für alle Kinder – Bildungsgärten für die Menschliche<br />
Metropole<br />
In keiner Lebensphase sind Menschen so lernfähig, wissbegierig und experimentierfreudig<br />
wie in der frühen Kindheit. Dieses Entwicklungspotenzial und die hohe Lernbereitschaft<br />
werden in der Praxis der frühen Bildung jedoch häufig nicht so beachtet<br />
und gefördert, wie wünschenswert, obwohl die Entwicklung in dieser Lebensphase<br />
von zentraler Bedeutung für die späteren Lernerfolge ist. Dies ist besonders augenfällig<br />
und daher allgemein anerkannt für den Spracherwerb, gilt aber auch für andere<br />
Bereiche wie zum Beispiel für den Bezug zu Grundwerten wie Toleranz und gegenseitiger<br />
Achtung sowie für das Verhältnis zu Kunst, Kultur und unserer Umwelt.<br />
Die Bildungsungerechtigkeit fängt früh an. Kinder, die nicht bereits vor der Grundschule<br />
richtig Deutsch sprechen, haben Probleme, „mitzukommen", Kinder aus bildungsfernen<br />
Elternhäusern erhalten oftmals nicht die Zuwendung und Förderung, die<br />
sie benötigen. Dieser Mangel hängt vielfach mit den Lebensbedingungen der Familien<br />
zusammen: frühe Bildungsbenachteiligung von Kindern ist oftmals eine Folge von<br />
materieller Armut und/oder Bildungsferne der Eltern, von mangelndem Interesse und<br />
ungenügender Sprachförderung, letzteres noch verstärkt bei Kindern aus Migrantenfamilien,<br />
in denen die deutsche Sprache nicht gesprochen und gepflegt wird.<br />
Sprachförderkonzepte, bei denen im Vorschul- und im ersten Schuljahr nur wenige<br />
Nachmittagsstunden erteilt werden, sind Flickwerk. Sprachliche Defizite bei Kindern<br />
müssen viel früher erkannt werden, Sprachförderung muss mit Beginn des Kita-<br />
Besuchs einsetzen und – mit entsprechender Elternberatung – auch schon vorher<br />
kostenlos möglich sein.<br />
Unter präventiven Gesichtspunkten sollten Bildungseinrichtungen daher immer auch<br />
Angebote für Eltern mit Erziehungsproblemen (zum Beispiel Überforderung), sprachlichen<br />
Defiziten oder Problemen bei der Alltagsbewältigung (zum Beispiel Schulden)<br />
bereithalten oder vermitteln.<br />
Kinder brauchen frühe und nachhaltige Förderung; Eltern brauchen qualitativ hochwertige<br />
und verlässliche Betreuung für ihre Kinder. Für diese zentrale gesellschaftliche<br />
Aufgabe benötigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen gute Rahmenbedingungen.<br />
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Kitas und Vorschulen sowie<br />
die Tagespflegepersonen fungieren hier grundsätzlich als wichtigste Ergänzung<br />
zur familiären Sozialisation.<br />
Es kommt darauf an, die elementaren Jahre vor der Grundschule und die Grundschuljahre<br />
als integrativ arbeitende, flexible Bildungsjahre zu verankern. Von entscheidender<br />
Bedeutung für jedes einzelne Kind ist dabei ein guter, fließender Übergang von<br />
der Kita und/oder Vorschule in die Schule. Dieser Übergang muss durch eine systematische<br />
konzeptionelle – wenn möglich auch räumliche – Kooperation und Verzah-
Drucksache 18/6219<br />
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 18. Wahlperiode<br />
nung zwischen Kitas und Schulen gestaltet werden. Gerade im Übergangsbereich –<br />
also der späten Kita- bzw. Vorschulphase und der frühen Schulphase – ist die Zusammenarbeit<br />
gemischter Teams aus Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und<br />
Lehrern sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen notwendig (vgl. hierzu zum Beispiel<br />
das Bund-Länder Modell zur Stärkung der Bildungs- und Erziehungsqualität in<br />
Kitas und Grundschulen und zur Gestaltung des Übergangs unter www.transkigs.de).<br />
Die frühe Förderung ist ein Angelpunkt von Chancengerechtigkeit in der Bildung. Kindergarten,<br />
Vorschule, Grundschule, Elternschule und Erziehungshilfe agieren hier<br />
oftmals noch als isolierte Systeme, manchmal sogar als Konkurrenten – das lässt<br />
wertvolle Zeit verstreichen und bindet Kräfte. Ein an den Bedürfnissen von Kindern<br />
und Jugendlichen und ihren Familien ausgerichtetes Gesamtsystem von Bildung,<br />
Betreuung und Erziehung erfordert eine systematische und verbindliche Partnerschaft<br />
auf gleicher Augenhöhe der unterschiedlichen Systeme von Jugendhilfe und Schule<br />
(vgl. hierzu Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ), Handlungsempfehlungen zur<br />
Kooperation von Jugendhilfe, Februar 2006).<br />
Für die Aus- und Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher in den vorschulischen<br />
Einrichtungen gilt vieles von dem, was auch für die Lehrerbildung gilt: Die Anforderungen<br />
an die Erzieherinnen und Erzieher als kompetente Lernbegleiter in den entscheidenden<br />
frühen Lernphasen eines Kindes stehen in ihrer Komplexität den Anforderungen<br />
an die Lehrerschaft in den Schulen in nichts nach. Dies muss sich auch in<br />
den Inhalten und Strukturen der Aus- und Fortbildung niederschlagen. Sukzessive<br />
sollte das Leitungspersonal in Kindertagesstätten eine Hochschulausbildung besitzen.<br />
Insgesamt muss der Anteil akademisch gebildeter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in<br />
Kindertagesstätten erhöht werden. Voraussichtlich gibt es an der Hochschule für Angewandte<br />
Wissenschaften (HAW) Hamburg zum Wintersemester einen Studiengang<br />
„Bachelor of Arts (BA) Bildung und Erziehung in der Kindheit“ – was sehr zu begrüßen<br />
wäre.<br />
Für eine verbesserte Kooperation ist es notwendig, dass allen Pädagoginnen und<br />
Pädagogen in Aus- und Fortbildung Kenntnisse der Strukturen beider Bereiche – Kita<br />
und Schule – vermittelt werden. Ziel ist es, das Institut für Lehrerfortbildung zu einem<br />
Institut für Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer auszubauen.<br />
Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:<br />
Der Senat wird aufgefordert, folgende Punkte umzusetzen:<br />
1. Die bisher getrennt arbeitenden Institutionen Kitas, Vorschulen und Grundschulen<br />
werden in sogenannten „Bildungsgärten" organisatorisch zusammengefasst. Die<br />
Bildungsinhalte der „Bildungsgärten" werden als gemeinsame Ziele erarbeitet und<br />
in gemeinsamer Verantwortung umgesetzt. „Bildungsgärten" bündeln die Kompetenzen<br />
von Sozial-, Elementar- und Grundschulpädagogik und sorgen dafür,<br />
dass, mit hoher pädagogischer Qualität und viel Zeit, Kinder unabhängig von ihrer<br />
Herkunft alle ihre Möglichkeiten nutzen können. Ziel ist es, diese neue erste Säule<br />
des Bildungssystems flächendeckend in Hamburg einzuführen.<br />
2. Die bisher getrennten Qualifikationen von Erzieherinnen und Erziehern einerseits<br />
sowie Lehrerinnen und Lehrern andererseits sind stärker zu integrieren. Auch die<br />
Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer für die Grundschulen muss aufgewertet<br />
und verbessert werden, unter anderem erweitert um Kompetenzen in Diagnostik<br />
und frühkindlicher Förderung. Dafür soll ein neu zu entwickelnder Studiengang für<br />
den Elementarbereich in Teilbereichen eine gemeinsame Ausbildung von Erzieherinnen<br />
und Erziehern sowie Lehrerinnen und Lehrern vorsehen und dabei ein<br />
Ausbildungsprofil „Frühpädagogik" anbieten. Diese Weiterentwicklung in der Lehre<br />
ist durch eine entsprechende Forschungsinfrastruktur zu ergänzen. Das Institut<br />
für Lehrerfortbildung (LI) wird zu einem gemeinsamen Institut für Lehrerinnen und<br />
Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher weiterentwickelt.<br />
3. Schule und Jugendhilfe sind aufgefordert, systematisch zu kooperieren. Durch die<br />
Bildung multiprofessioneller Teams können die Kompetenzen und Ressourcen<br />
verbunden werden, Übergänge zwischen Kita und Grundschule sowie Schule und<br />
Beruf besser gestaltet werden. Dazu sind verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit<br />
zu schaffen. Beispiele für solche Strukturen sind zum Beispiel „Bildungs-<br />
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Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 18. Wahlperiode Drucksache 18/6219<br />
gärten" in gemeinsamer Verantwortung für Bildung und Erziehung der Kinder, sozialraumbezogene<br />
Kooperationen oder die gemeinsame Gestaltung von Ganztagsschulen.<br />
4.<br />
a. Für die Bildungsgärten muss gelten: Alle Kinder erhalten unabhängig von der<br />
Lebenslage ihrer Eltern einen Anspruch auf Teilhabe an frühkindlicher Bildung<br />
nach ihrem individuellen Förderbedarf.<br />
b. Festgestellter Sprachförderbedarf und/oder sozialer und pädagogischer Bedarf<br />
eines Kindes führt wahlweise zur Bewilligung eines Ganztagsplatzes in<br />
der Kita oder in einem Bildungsgarten.<br />
c. Die Änderung der Lebenslage der Eltern darf nicht zu einem Verlust der Teilhabe<br />
an frühkindlicher Bildung führen. Entscheidend ist allein der individuelle<br />
Förderbedarf des Kindes.<br />
d. Das letzte Jahr vor Grundschulbeginn wird für Kinder in Kitas, Vorschule und<br />
Bildungsgärten beitragsfrei. Als zweiter Schritt wird frühkindliche Bildung für<br />
alle drei- bis vierjährigen Kinder beitragsfrei und der Rechtsanspruch auf<br />
Betreuung auf alle zweijährigen Kinder ausgeweitet. Perspektivisch muss<br />
Kinderbetreuung in Deutschland insgesamt beitragsfrei sein.<br />
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