Demokratie leben lernen - Prof. Dr. Christian Büttner
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zu vermitteln, daran, dass mit der fehlenden Stärke auch<br />
der Mut fehlt? Soziale Gemeinschaften mit ihren formellen<br />
Beziehungsregeln und ihren informellen Politiken,<br />
Interessen ohne die öffentliche Bühne durchzusetzen, gibt<br />
es bei Kindern wie Erwachsenen. Auch letztere stehen oft<br />
vor dem Problem, etwas „anprangern“ zu wollen, ohne<br />
dafür den Mut aufzubringen („Dann stehe ich ja vielleicht<br />
ganz allein da“).<br />
Dass in letzter Konsequenz die rettende Autorität gerufen<br />
wird, ist für den Augenblick vielleicht hilfreich, führt<br />
aber oft dazu, dass man nun weiß, wem man nicht vertrauen<br />
kann. In der schulischen Beziehungskultur, in der<br />
zu dem Problem des Machtmissbrauchs in der Gleichaltrigengruppe<br />
(Klasse) die Spannungen zwischen Lehrerautorität<br />
und Schülern hinzukommen, werden solche Versuche<br />
Einzelner schnell mit dem Etikett „Petzen“ belegt<br />
und der Petzer riskiert, vollständig isoliert zu werden –<br />
oder er muss mit einer waghalsigen Mutprobe seine Loyalität<br />
gegenüber der Gruppe erneut unter Beweis stellen.<br />
In demokratischen Verhältnissen wird Machtmissbrauch<br />
zwar durch zahlreiche Kontrollfunktionen und -instanzen<br />
weitestgehend verunmöglicht und die vierte Macht im<br />
Staat, der aufdeckende Journalismus, kann ebenfalls eine<br />
Kontrollfunktion haben. Aber auch in politischen Verhältnissen<br />
gehört zum Aufdecken von Machtmissbrauch Mut<br />
bzw. Zivilcourage. Sie ist „...ebenso wie Toleranz, eine der<br />
Grundtugenden gelebter <strong>Demokratie</strong>. Aber bei beiden Verhaltensweisen<br />
stellt sich in einer <strong>Demokratie</strong> die Frage<br />
nach der Grenze... Zivilcourage ist eine primär bürgerliche<br />
Tugend, sie setzt das autonome bürgerliche Individuum<br />
voraus, das Ich-Stärke und die moralische Instanz des<br />
Über-Ich besitzt“ (Ostermann 1998).<br />
Zivilcourage ist vor allem in Abhängigkeitsverhältnissen<br />
zwischen Kindern und Erwachsenen schwer zu <strong>leben</strong>.<br />
Sich gegen einen stärkeren Gleichaltrigen aufzulehnen ist<br />
schon schwierig genug. Eine erwachsene Autoritätsperson<br />
dagegen hat nicht nur von der Körpergröße her bessere<br />
Karten, sie ist in Einrichtungen zudem mit formeller<br />
Autorität ausgestattet. Möchte eine Erzieherin die Zivilcourage<br />
von Kindern stärken, dann steht sie vor der<br />
Schwierigkeit, den eigenen Machtmissbrauch erst einmal<br />
wahrzunehmen. Wenn Kinder, die normalerweise von<br />
Hause aus nicht gewohnt sind, gegen ungerechtfertigte<br />
Anwesenheitsliste in einer <strong>Demokratie</strong>werkstatt.<br />
Handlungen ihrer Eltern zu protestieren, diese Zivilcourage<br />
noch nicht besitzen und nicht gelernt haben, welche<br />
Bandbreite an (akzeptablen) Protestformen es gibt,<br />
dann bleibt ihnen nur die „Störung“ des Gruppengeschehens.<br />
Sie wird selten als ein solcher Protest verstanden<br />
und zumeist als Ungehörigkeit diszipliniert. Von einem<br />
stärkeren Gleichaltrigen kann man kaum erwarten, dass<br />
er sich gegenüber einem „schwachen“ Kind pädagogisch<br />
verhält. Demgegenüber hat die Erzieherin einen erheblichen<br />
Vorteil: Sie kann zunächst Widerstand und dann<br />
Aufdeckung und Verständnis des Vorganges zum Gegenstand<br />
eines pädagogischen Ziels machen.<br />
„Manchmal wäre mir das Undemokratische lieber“ formuliert<br />
eine Erzieherin in einer Teamsitzung, als sie am<br />
eigenen Leibe spürt, was es bedeutet, sich einer Mehrheitsentscheidung<br />
unterzuordnen, die von Kindern verursacht<br />
ist. Das Eingeständnis, dass sie die Macht hat, Entscheidungen<br />
zu fällen, die die Kinder nicht gefällt hätten,<br />
ist ein erster Schritt. Wenn dies in der Öffentlichkeit einer<br />
Einrichtung zustande kommen kann, kann es zum Modell<br />
dafür werden, dass Zivilcourage eine Art demokratischer<br />
Seismograph für die Gerechtigkeit, die Würde und die<br />
Ernsthaftigkeit ist, mit der die Kinder ihre ersten Schritte<br />
in demokratische Verhältnisse machen.<br />
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