Demokratie leben lernen - Prof. Dr. Christian Büttner
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Der Versuch, sich die Perspektive von Kindern als Erwachsener<br />
wieder neu anzueignen, scheint auch nicht besonders<br />
befriedigende Ergebnisse zu bringen. Bernhard Meyer<br />
(2006) spricht von drei typischen Fallen, in die man als<br />
Erwachsener dabei geraten kann: die Erinnerungsfalle<br />
(„Der Wissensbestand der Erwachsenen kollidiert mehrfach<br />
mit dem aktuellen Wissen der Kinder. Erwachsene<br />
müssen auf historisches Wissen zurückgreifen, das durch<br />
einen Perspektivenwechsel aktuell überlagert ist. Eltern<br />
und Erzieher können nicht mehr das Kind in sich repräsentieren,<br />
zumal sich die Lebensverhältnisse geändert<br />
haben. Politik und Verwaltung kann dies weder in Bezug<br />
auf das Kind noch auf die erziehenden Erwachsenen vollziehen...“),<br />
die Verkleinerungsfalle („Während Kinder die<br />
Erwachsenen-Übersichts-Perspektive nicht kennen, nehmen<br />
Erwachsene ihre Kenntnisse mit nach unten. Sich<br />
klein machen hilft nicht, da Fehlendes durch die Kenntnisse<br />
von oben die Lücken ersetzen...“) und die Wünsch-<br />
Dir-Was-Falle („Kinder können nur reproduzieren, was sie<br />
kennen. Deshalb hat es keinen Zweck, Kinder nach der<br />
Lösung von Problemen zu fragen, die sie ohne Erwachsene<br />
gar nicht hätten...“) Falsche Erinnerungen, falsche Perspektiven<br />
und falsche Erwartungen ließen Kinder – so<br />
Meyer – obwohl man sich ja mit ihnen direkt oder indirekt<br />
beschäftigt, verschwinden: „Es entsteht eine Illusion<br />
der Kinderbezogenheit, während die Realität sich verabschiedet<br />
hat.“<br />
Bleibt es also dabei, dass sich Kinder weiterhin einseitig<br />
an die Vorstellungen der Erwachsenen werden anpassen<br />
müssen, wenn sie keine Erwachsenen finden, die sie<br />
ihre Wege gehen lassen? Kinder müssen <strong>lernen</strong>, sich in<br />
der Lebenswelt adäquat zu bewegen, von der sie abhängig<br />
sind, genauer: in den Beziehungen zu den Menschen,<br />
die sie lieben oder fürchten. Vielleicht wäre die von Jean<br />
Liedloff getroffene Feststellung eine gute Ausgangsüberlegung:<br />
„Sowohl mehr als auch weniger Unterstützung<br />
als ein Kind fordert stehen seinem Fortschritt entgegen.<br />
Initiativen von außerhalb oder unerbetene Führung bieten<br />
ihm daher keinen positiven Nutzen. Es kann keinen<br />
größeren Fortschritt machen als den, welchen die eigenen<br />
Motivationen einschließen. Die Neugier des Kindes<br />
und sein Wunsch, selber Dinge zu tun, bestimmen seine<br />
Fähigkeit zu <strong>lernen</strong>, ohne irgendeinen Teil seiner Gesamtentwicklung<br />
aufzugeben“ (Liedloff, 1988, S. 113 f.). So<br />
gesehen gehen fremde Erwartungen, die das Kind zu erfüllen<br />
versucht, zu Lasten seiner Entwicklung. Und je widersprüchlicher<br />
die Vorstellungen der Erwachsenen sind –<br />
etwa in ihren Ansichten und ihrem tatsächlichen Verhalten<br />
– desto schwerwiegender wird ihnen diese Belastung.<br />
Die höchste pädagogische <strong>Prof</strong>essionalität bestünde darin,<br />
die Belastungen der Kinder durch die gesellschaftlichen<br />
Erwartungen sowie die persönlichen Vorstellungen des<br />
Pädagogen und die Energien der kindlichen Eigenaktivitäten<br />
in eine erträgliche Balance zu bringen.<br />
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