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Demokratie leben lernen - Prof. Dr. Christian Büttner

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gehen soll, stimmen die Kinder auf Aufforderung der Erzieherin<br />

über beide Vorschläge ab. Die erste Stimme geht an<br />

Chiaras Idee, dann stimmt Eva für Johanna. Alle anderen<br />

Kinder stimmen anschließend ebenfalls für Johanna. Die<br />

Erzieherin beendet die Sitzung: „Das machen wir solange,<br />

bis das euch dann nicht mehr passt.“ Daraufhin Dominik:<br />

„Dann machen wir Chiaras Idee.“ Die Erzieherin: „Die ist<br />

aber jetzt nicht gewählt worden, Chiaras Idee. Dann können<br />

wir ja vielleicht wieder von ganz neuem überlegen.“<br />

Was ist hier passiert? Die Kinder hatten eine eigene, in<br />

ihren Augen gute Idee, ließen sich aber von der Erzieherin<br />

dazu bringen, einen anderen Vorschlag zu wählen, der<br />

deren Vorstellung von Gerechtigkeit entsprach. Die beiden<br />

unterschiedlichen Wahrnehmungen des Konfliktthemas<br />

möchten wir im Folgenden nachzeichnen.<br />

! Die Sicht der Erwachsenen: Während der Sitzung haben<br />

die Erzieherinnen die manifeste Ebene des Konfliktes vor<br />

Augen: Wenn einer die Gruppenregeln nicht einhält, wird<br />

er bestraft, indem er vor die Tür gehen muss. Sie sind<br />

deshalb mit der spontanen Lösung der Kinder nicht einverstanden.<br />

Man kann nicht ein zweites Kind, das auf<br />

die Einhaltung der Regel aufpassen soll (eine positive<br />

Funktion), für das Übertreten durch ein anderes Kind<br />

bestrafen. Sie wollen den Vorschlag nicht so stehen lassen<br />

und regen die Kinder dazu an, weiter zu überlegen,<br />

um Argumente für einen ihrer Meinung nach gerechteren<br />

Gegenvorschlag zu finden.<br />

! Die Sicht der Kinder: Den Kindern geht es vermutlich um<br />

einen ganz anderen Konflikt (latente Ebene): „Wo ist<br />

mein Platz in der Gruppe?“ Diese Suche manifestiert sich<br />

räumlich schon am Anfang der Gruppenbesprechung:<br />

Zwei Kinder finden offenbar nicht sofort einen Platz und<br />

stehen lange in der Kreismitte, bis sie sich endlich setzen.<br />

Das Dazwischenplatzen (Dazwischenreden) kann<br />

als die metaphorische Manifestation der Platzsuche verstanden<br />

werden. Alle Kinder brauchen ihren Anteil am<br />

Dialog und einen bestimmten Raum für ihre Ideen. Der<br />

manifesten Ebene des Sich-Melden-Themas steht so die<br />

latente Bedeutung des Konflikts, die Platzsuche, gegenüber,<br />

die für die Erwachsenen nicht sichtbar war – sowohl<br />

in der Sitzanordnung bei der Besprechung als auch in<br />

der Gemeinschaft der Kita. Da alle Kinder früher oder<br />

später mit dem Problem der Platzfindung konfrontiert<br />

werden, erweist sich die Aufforderung zum Raumverlassen<br />

für den Regelbrecher daher als keine Strafe, sondern<br />

eher als ein Vorteil, weil er bei seinem Haken den<br />

festen, ihm eigenen Platz in der Einrichtung hat. Vor diesem<br />

Hintergrund wird deutlich, warum die Kinder diese<br />

Lösung vorziehen, und – obwohl sich der Gegenvorschlag<br />

durchgesetzt hat – bis zum Ende der zweiten Sitzung<br />

an der ursprünglichen Idee von Chiara festhalten. Dass<br />

der zweite Vorschlag von den Kindern gewählt wurde,<br />

ist wahrscheinlich der Energie der Erzieherin zuzuschreiben,<br />

die ihn nicht nur deutlich favorisiert und dadurch<br />

die Kinder in dieser Hinsicht mehr oder weniger beeinflusst<br />

hat, sondern hartnäckig – ebenfalls bis zum Schluss<br />

– die Botschaft der Kinder ignoriert.<br />

„Soll sich melden. Wenn man sich nicht meldet, soll<br />

man vielleicht bei seinem Haken gehen.”<br />

Die Erwachsenen haben sich eingemischt, obwohl die<br />

Kinder ihre eigenen Lösungen längst gefunden hatten. Gut<br />

gemeinte Vermittlungsversuche der Pädagoginnen wurden<br />

so zu quälerischem Zeitabsitzen für die Kinder, bei<br />

dem sie zu verstehen versuchten, was die Erwachsenen<br />

von ihnen erwarteten. Greift ein Erwachsener in der<br />

beschriebenen Weise in die Konfliktregelungsstrategien<br />

von Kindern ein, dann wird verhindert „…dass Kinder den<br />

Umgang mit Verlieren und Gewinnen, mit Sich-Durchsetzen<br />

und Nachgeben üben können“ (Kobelt-Neuhaus, 2005,<br />

S. 15). Kinder entwickeln in der Gruppe untereinander<br />

Regeln zur Konfliktlösung, die nicht unbedingt mit denen<br />

der Erwachsenen korrespondieren. Und wenn sich Erwachsene<br />

einmischen und dann weggehen, „…machen die Kinder<br />

in ihrem Konflikt da weiter, wo sie von Erwachsenen<br />

unterbrochen wurden“ (ebd. S. 15).<br />

Das Sandkastenbeispiel zur Einleitung des Beitrages gibt<br />

einen ersten Hinweis darauf, wieso die Tendenz des lenkenden<br />

Eingreifens bei den Erwachsenen so beliebt ist:<br />

Die Intervention der Erzieherin scheint – bezogen auf das<br />

Ergebnis eines nicht weiter bekannten Konfliktprozesses,<br />

der Zerstörung – absolut plausibel: Felix wird dafür bestraft,<br />

dass er die Sandburg von Lisa und ihrer Freundin zerstört<br />

hat, dies um so mehr, als er das wohl schon häufiger getan<br />

hat. Und es erscheint ebenso plausibel, dass man durch<br />

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