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Therapeutische Anwendbarkeit der textilen Technik Filzen bei dem ...

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<strong>Therapeutische</strong> <strong>Anwendbarkeit</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>textilen</strong> <strong>Technik</strong><br />

<strong>Filzen</strong><br />

<strong>bei</strong> <strong>dem</strong> Personenkreis <strong>der</strong><br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ten<br />

Schriftliche Hausar<strong>bei</strong>t<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Ersten Staatsprüfung<br />

für das Lehramt für Son<strong>der</strong>pädagogik<br />

<strong>dem</strong> Staatlichen Prüfungsamt Dortmund<br />

vorgelegt von<br />

Liesenhoff, Nicole Marcella<br />

Dortmund, Juni 1999<br />

Themensteller: Prof. Dr. Tönne<br />

Fachbereich: Kunsterziehung <strong>bei</strong> Behin<strong>der</strong>ten


- I -<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

A Theoretischer Teil 1<br />

1 Einleitung 1<br />

2 Der Personenkreis 4<br />

2.1 Begriffsklärung 5<br />

2.2 Entstehungsbedingungen schwerster Behin<strong>der</strong>ung 21<br />

3 Gedanken zu einem Leben mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 24<br />

4 Die kindliche Entwicklung und <strong>der</strong>en Zusammenhang zur<br />

Wahrnehmung, Motorik und Kommunikation 29<br />

4.1 Entwicklung kognitiver Fähigkeiten 29<br />

4.2 Perzeption - Wahrnehmung 34<br />

4.2.1 Begriffsklärung 34<br />

4.2.2 Wahrnehmungsentwicklung 38<br />

4.2.3 Ursachen und Erscheinungsformen von Wahrnehmungsstörungen 39<br />

4.2.3.1 Sensorische Beeinträchtigungen und Störungen <strong>der</strong> Wahrnehmung 40<br />

4.2.3.2 Zentrale Wahrnehmungsstörungen 41<br />

4.2.3.3 Sozial- bzw. erfahrungsbedingte Wahrnehmungseinschränkung 44<br />

4.3 Motorik 45<br />

4.3.1 Begriffsklärung 45<br />

4.3.2 Hand- und Fingermotorik 49<br />

4.3.3 Motorische Störungen 52<br />

4.4 Der Zusammenhang von Wahrnehmung und Bewegung 56<br />

4.5 Kommunikation 59<br />

4.5.1 Begriffsklärung 59<br />

4.5.2 Kommunikationsstörungen und <strong>der</strong>en Folgen 61<br />

4.5.3 Kommunikationsformen 63<br />

5 Das kombinierte Konzept als Beispiel zur För<strong>der</strong>ung von Menschen<br />

mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 65<br />

5.1 Isolationstraining nach KIPHARD und DELACATO 68


- II -<br />

5.2 Sensomotorische Entwicklungsför<strong>der</strong>ung nach KIPHARD und<br />

DELACATO 69<br />

5.3 Basale Aktivierung nach BREITINGER/FISCHER 69<br />

5.4 Integrierte För<strong>der</strong>ung nach HAUPT/FRÖHLICH 70<br />

5.5 Psychomotorische Übungsbehandlung 70<br />

5.6 Physiotherapie 72<br />

5.7 Entwicklungspsychologische Erkenntnisse nach PIAGET 74<br />

5.8 Basale Stimulation nach FRÖHLICH 75<br />

5.9 Ergotherapie 77<br />

6 Schnittstellen in <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen Son<strong>der</strong>pädagogen<br />

und Therapeuten 79<br />

7 Die textile <strong>Technik</strong> <strong>Filzen</strong> 81<br />

7.1 Ein Rückblick 81<br />

7.2 Begriffsklärung 82<br />

7.3 Die Entstehung von Filz 82<br />

8 <strong>Filzen</strong>, eine geeignete <strong>Technik</strong> zur För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n mit einer<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 85<br />

8.1 Richtlinien zur För<strong>der</strong>ung Geistigbehin<strong>der</strong>ter 85<br />

8.2 Richtlinien zur För<strong>der</strong>ung Schwerstbehin<strong>der</strong>ter 86<br />

8.3 Richtlinienorientierte Vorüberlegungen zum <strong>Filzen</strong> 89<br />

B Praktischer Teil 93<br />

9 Therapeutisch orientierte Anwendung <strong>der</strong> <strong>textilen</strong> <strong>Technik</strong> <strong>Filzen</strong><br />

<strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 93<br />

9.1 Rahmenbedingungen 93<br />

9.2 Die Klasse 94<br />

9.3 Vorbereitung zur Einzelför<strong>der</strong>ung 95<br />

9.3.1 Erste Unterrichtsstunde 96<br />

9.3.2 Zweite Unterrichtsstunde 97<br />

9.3.3 Dritte Unterrichtsstunde 98<br />

9.3.4 Vierte Unterrichtsstunde 99


- III -<br />

9.4 Schülerauswahl 100<br />

9.4.1 Anthrophologische Voraussetzungen des Schülers M. 101<br />

9.4.2 Anthrophologische Voraussetzungen des Schülers D. 104<br />

9.4.3 Anthrophologische Voraussetzungen <strong>der</strong> Schülerin P. 106<br />

9.5 Darstellung <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>stunden 108<br />

9.5.1 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung mit Schüler M. 110<br />

9.5.1.1 Therapieziele 110<br />

9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 110<br />

9.5.2 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung mit Schüler D. 121<br />

9.5.2.1 Therapieziele 121<br />

9.5.2.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 122<br />

9.5.3 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung mit Schülerin P. 131<br />

9.5.3.1 Therapieziele 131<br />

9.5.3.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 131<br />

9.6 <strong>Filzen</strong> als Thema in <strong>der</strong> Projektwoche 134<br />

9.6.1 Einführungsphase <strong>der</strong> Projektwoche 135<br />

9.6.2 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Gruppe - Ergebnisdarstellung und Interpretation 135<br />

10 Zusammenfassung <strong>der</strong> Gesamtergebnisse 141<br />

11 Schlußwort 143<br />

C Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter 146<br />

D Literaturverzeichnis 156


- IV -<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Abb. 1 Dimensionen und Manifestationen einer Behin<strong>der</strong>ung; nach ICIDH 1995<br />

(vgl. STADLER, 1998, S. 28) 6<br />

Abb. 2 Schema <strong>der</strong> Informationsverar<strong>bei</strong>tung nach KEIDEL [1975]<br />

(vgl. LEYENDECKER, 1988, S. 38) 37<br />

Abb. 3<br />

Dimensionen <strong>der</strong> Handgeschicklichkeit und ihre Störungen<br />

(vgl. KIPHARD, 1983, S. 191) 51<br />

Abb. 4<br />

Sensomotorischer Regelkreis mit zugeordneten Krankheitsbil<strong>der</strong>n.<br />

(vgl. HACHMEISTER, 1997, S. 47) 53<br />

Abb. 5 Funktionskreis von VON WEIZSÄCKER (LINN/HOLTZ, 1987, S. 11) 59<br />

Abb. 6<br />

Modell zur Ganzheitlichkeit <strong>der</strong> Entwicklung (vgl. FRÖHLICH,<br />

1996, S. 50) 65<br />

Abb. 7 Schüler M. <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> mit einem “Mundwerkzeug“ 112<br />

Abb. 8 Schüler M. <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> mit <strong>der</strong> Therapeutin vor einem Spiegel 113<br />

Abb. 9 Entspannte Handhaltung des Schülers M. <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> 115<br />

Abb. 10 Schüler M. mit <strong>dem</strong> von ihm gefilzten “Bart“ 120<br />

Abb. 11 Schüler D. <strong>bei</strong>m Zupfen (Greifen) <strong>der</strong> Schafwolle 123<br />

Abb. 12 Handhaltung des Schülers D. <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> 125<br />

Abb. 13 Schüler D. <strong>bei</strong>m eigenaktiven <strong>Filzen</strong> im Rollstuhl 126<br />

Abb. 14<br />

Schüler D. <strong>bei</strong>m eigenaktiven <strong>Filzen</strong> auf <strong>dem</strong> Liegekeil ohne<br />

Auge-Hand-Koordination 128


- V -<br />

Abb. 15<br />

Schüler D. <strong>bei</strong>m eigenaktiven <strong>Filzen</strong> auf <strong>dem</strong> Liegekeil mit<br />

Auge-Hand-Koordination 129<br />

Abb. 16 Filzobjekte des Schülers D. 130<br />

Abb. 17 Gemeinschaftliche Vorbereitungen zum <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Projektwoche 136<br />

Abb. 18 Schülerin P. <strong>bei</strong>m “Be-Fühlen“ <strong>der</strong> Schafwolle 139<br />

Abb. 19 Gemeinschaftsergebnis <strong>der</strong> Projektwoche - “Ein gefilzter Fühlteppich“ 140


1 Einleitung 1<br />

A<br />

Theoretischer Teil<br />

1 Einleitung<br />

Die vorliegende Ar<strong>bei</strong>t beschäftigt sich mit <strong>dem</strong> Anliegen, die therapeutische<br />

<strong>Anwendbarkeit</strong> <strong>der</strong> <strong>textilen</strong> <strong>Technik</strong> <strong>Filzen</strong> innerhalb <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung<br />

schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter Menschen zu überprüfen. Eine Untersuchung<br />

diesbezüglich scheint im Rahmen <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> von einer<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung betroffenen Menschen von großem Interesse,<br />

da es sich erwiesen hat, daß das <strong>Filzen</strong> in seiner praktischen<br />

Durchführung schwerpunktmäßig zur För<strong>der</strong>ung von Wahrnehmung,<br />

Motorik und auch Kommunikation seinen Beitrag leisten kann. Mittels<br />

einer Erprobungsphase wird im Verlauf <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t folgen<strong>der</strong><br />

zentraler Fragestellung nachgegangen:<br />

Inwieweit läßt sich das <strong>Filzen</strong> als therapeutische<br />

Maßnahme zur För<strong>der</strong>ung von Menschen mit einer<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung einsetzen<br />

Die praktische Erprobung des Vorhabens basiert auf <strong>der</strong> theoretischen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung, die im “Teil A“ <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t erörtert wird.<br />

Ihren konkreten Bezug findet die Theorie im “Teil B“, <strong>der</strong> die praktische<br />

Anwendung behandelt, auf Grundlage <strong>der</strong> überwiegend therapeutisch<br />

durchgeführten Einzelför<strong>der</strong>einheiten, die in einer För<strong>der</strong>klasse an <strong>der</strong><br />

Schule für Körperbehin<strong>der</strong>te in interdisziplinärer Zusammenar<strong>bei</strong>t von<br />

Son<strong>der</strong>pädagogen und Therapeuten durchgeführt werden konnten.<br />

Im Hinblick auf eine detaillierte Auseinan<strong>der</strong>setzung mit diesem Thema,<br />

wird zu Beginn dieser Ar<strong>bei</strong>t eine Erörterung zur Begriffsbestimmung des<br />

Personenkreises schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter Menschen vorgenommen.<br />

Diese soll in ihrer Komplexität betrachtet zur Darstellung kommen, um sich<br />

des Problems <strong>der</strong> Begriffsbestimmung und <strong>der</strong> differenzierten Betrachtungsweisen<br />

in <strong>der</strong> Gegenüberstellung mit Betroffenen bewußt zu werden,<br />

mit <strong>dem</strong> Ziel, den Begriff des/<strong>der</strong> “Behin<strong>der</strong>ten“ kritisch zu hinterfragen.<br />

Im Anschluß daran erfolgt überleitend eine kurze Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

über das Leben mit schwerster Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung, wonach in Anbe-


1 Einleitung 2<br />

tracht <strong>der</strong> Auswirkungen auf die Entwicklung <strong>der</strong> betroffenen Personen<br />

eine Abhandlung zu <strong>dem</strong> Thema <strong>der</strong> kognitiven Entwicklung eines Kindes<br />

(nach PIAGET) umrissen wird. Hier wird im Hinblick auf die Ergebnisse<br />

<strong>der</strong> praktischen Durchführung schwerpunktmäßig auf die Entwicklungsbereiche<br />

Wahrnehmung und Motorik, <strong>der</strong>en Störungsformen und<br />

Ursachen sowie die enge Verknüpfung untereinan<strong>der</strong>, eingegangen.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> entsprechenden Kapitel von Wahrnehmung und Motorik<br />

werden weitere praxisrelevante Schwerpunkte, wie <strong>bei</strong>spielsweise die<br />

taktile bzw. haptische Wahrnehmung, die taktil-kinästhetische Funktionsschwäche<br />

und die Hand- und Fingermotorik, thematisiert.<br />

Im Anschluß daran werden Teilbereiche aus <strong>dem</strong> Themengebiet <strong>der</strong><br />

Kommunikation erörtert. Die zum Verständnis <strong>der</strong> praktischen Durchführung<br />

notwendigen Erscheinungs- und Störungsformen werden theoretisch<br />

erar<strong>bei</strong>tet und finden in “Teil B“ <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t ihren praktischen<br />

Bezug.<br />

Die Bedeutung von Störungen in den Bereichen Wahrnehmung, Motorik<br />

und Kommunikation werden respektive in <strong>dem</strong> Kapitel zur konzeptionellen<br />

För<strong>der</strong>ung schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter Menschen aufgegriffen. Um ein<br />

Spektrum an Möglichkeiten zur För<strong>der</strong>ung betroffener Personen aufzuzeigen,<br />

wird das kombinierte Konzept zur För<strong>der</strong>ung schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter<br />

Menschen beschrieben, welches im Hinblick auf die praktische<br />

Durchführung <strong>der</strong> Beobachtungsreihe durch die Ergotherapie im<br />

Speziellen ergänzt wurde.<br />

Nach einer kurzen Beschreibung zu den interdisziplinären Schnittstellen in<br />

<strong>der</strong> therapeutisch/pädagogischen För<strong>der</strong>ung, die die an den Richtlinien<br />

orientierten Vorüberlegungen zum <strong>Filzen</strong> rechtfertigt, wird ein kurzer Abriß<br />

zum <strong>Filzen</strong> gegeben, um die <strong>Technik</strong> <strong>der</strong> Wollverar<strong>bei</strong>tung zu Filz zu<br />

erläutern.<br />

“Teil B“ <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t, <strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> Durchführung und den<br />

Ergebnissen <strong>der</strong> therapeutischen <strong>Anwendbarkeit</strong> des <strong>Filzen</strong>s <strong>bei</strong><br />

schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ten Kin<strong>der</strong>n befaßt, wird eingeleitet mit den<br />

Rahmenbedingungen, <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Klasse und den durchgeführten<br />

Unterrichtsstunden. Diese dienten <strong>der</strong> Vorbereitung für die therapeutische<br />

Einzelför<strong>der</strong>ung.


1 Einleitung 3<br />

Um sich als Leser <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t eine bessere Vorstellung von den Schülern<br />

machen zu können, werden im Folgenden die anthropologischen Voraussetzungen<br />

<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung beteiligten Schüler aufgeführt. Dies<br />

erweist sich bezüglich <strong>der</strong> Darstellungen zu den Einzelför<strong>der</strong>einheiten, in<br />

denen gefilzt wurde, als sinnvoll.<br />

Nach einer ausführlichen, mit Fotos unterstützten Dokumentation über die<br />

Ergebnisse, die auch eine Projektgruppenar<strong>bei</strong>t mit einschließt, findet die<br />

Ar<strong>bei</strong>t ihren Ausklang nach einer abschließenden Zusammenfassung <strong>der</strong><br />

Ergebnisse mit einer Schlußreflexion.<br />

Anmerkung:<br />

1) In dieser Ar<strong>bei</strong>t wird aus Gründen <strong>der</strong> flüssigeren Lesbarkeit in <strong>der</strong> Regel nur die<br />

männliche Nennform für <strong>bei</strong>de Geschlechter verwendet, ohne eine Diskriminierung<br />

des weiblichen Geschlechts zu beabsichtigen.<br />

2) Für den Begriff <strong>der</strong> “Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung“ werden überwiegend folgende<br />

Synonyme verwendet: “Schwerstbehin<strong>der</strong>ung“, “schwerste Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung“,<br />

“schwerste Form mehrfacher Behin<strong>der</strong>ung“ etc..<br />

3) Zur besseren Veranschaulichung <strong>der</strong> Ergebnisse ist ein bear<strong>bei</strong>teter Bildteil in den<br />

fortlaufenden Text <strong>der</strong> Therapiestunden eingear<strong>bei</strong>tet. Die Bildoriginale sind je<strong>der</strong>zeit<br />

einsehbar.


2 Der Personenkreis 4<br />

2 Der Personenkreis<br />

Ich berühre<br />

den Wi<strong>der</strong>stand,<br />

den die Welt mir entgegensetzt<br />

über Unterlage und Seite.<br />

Ich verän<strong>der</strong>e ihn,<br />

den Wi<strong>der</strong>stand<br />

zwischen meinem Körper<br />

und <strong>der</strong> Welt.<br />

Ich umfasse ihn,<br />

den Wi<strong>der</strong>stand auf <strong>der</strong> Unterlage<br />

mit Händen und Mund<br />

und nehme die Umwelt wahr.<br />

Ich verursache<br />

und erhalte Wirkungen<br />

und so wird die Umwelt<br />

langsam zur Wirklichkeit.<br />

Ob ich lerne,<br />

sie richtig verän<strong>der</strong>n zu können<br />

(AFFOLTER 1987; S. 16)


2.1 Begriffsklärung 5<br />

2.1 Begriffsklärung<br />

Um den Personenkreis schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter Menschen erfassen<br />

zu können, ist es zunächst notwendig, sich mit <strong>dem</strong> Begriff Behin<strong>der</strong>ung<br />

auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />

Durch die verschiedenen Standpunkte, aus denen heraus eine Definition<br />

über Behin<strong>der</strong>ung getroffen werden kann, ergeben sich unterschiedliche<br />

Beschreibungen, die diesen Begriff kennzeichnen, so daß eine allgemeingültige<br />

Definition des Begriffs schwer möglich ist. In diesem Zusammenhang<br />

soll es nicht unerwähnt bleiben, daß es sich <strong>bei</strong> <strong>dem</strong> Begriff <strong>der</strong><br />

Behin<strong>der</strong>ung nur um einen deskriptiven Oberbegriff handelt, den es weiter<br />

zu differenzieren gilt. So wird zunächst von <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung im allgemeinen<br />

gesprochen, die jedoch im Weiteren in Behin<strong>der</strong>ungsarten aufgeteilt<br />

werden muß.<br />

Während <strong>bei</strong>spielsweise im Gesundheits- und Sozialwesen hauptsächlich<br />

Definitionen gängig sind, die sich an <strong>der</strong> Schädigung selbst orientieren<br />

und es im Schulwesen vor allem darum geht, einen geeigneten För<strong>der</strong>ort<br />

zu finden, ist man in den Wissenschaftsdisziplinen darum bemüht, Erklärungen<br />

für die Folgen und Auswirkungen einer Behin<strong>der</strong>ung zu finden.<br />

Informationen zur Möglichkeit, Behin<strong>der</strong>ung als Phänomen in Folge von<br />

angeborenen Schädigungen, Unfällen o<strong>der</strong> Erkrankungen zu klassifizieren<br />

und beschreibbar zu machen, gibt die erstmals 1980 von <strong>der</strong> Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO -World Health Organisation-) herausgegebene<br />

Klassifikation ICIDH (International Classification of Impairments,<br />

Disabilities and Handicaps).<br />

Zur besseren Verdeutlichung des Behin<strong>der</strong>tenbegriffs ist es sinnvoll, die<br />

“Dimensionen und Manifestationen einer Behin<strong>der</strong>ung“ nach internationaler<br />

Klassifizierung <strong>der</strong> WHO von 1993 (1995 ins Deutsche übersetzt) in<br />

einer Grafik hinzuzuziehen (vgl. STADLER, 1998, S. 28).


2.1 Begriffsklärung 6<br />

ICD (International Classification of Diseases)<br />

Gesundheitsstörung<br />

Ätiologie Pathogenese Manifestation<br />

Folgeerscheinungen<br />

ICIDH (International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps)<br />

Gesundheitsstörung als<br />

Symptomenkomplex<br />

<strong>der</strong><br />

Gesundheitsstörung<br />

Schädigung<br />

Fähigkeitsstörung<br />

Auch: individuelle<br />

Funktionelle<br />

Einschränkung<br />

Beeinträchtigung<br />

Störung<br />

<strong>der</strong> biologischen<br />

und physischen<br />

Struktur und Funktion<br />

Störung<br />

<strong>der</strong> Fähigkeiten <strong>der</strong><br />

Person zur Ausführung<br />

zweckgerichteter<br />

Handlungen<br />

Störung<br />

<strong>der</strong> sozialen Stellung <strong>der</strong><br />

Person und ihre Fähigkeit<br />

zur Teilnahme am<br />

gesellschaftlichen Leben<br />

Reflexion <strong>der</strong> Störung auf<br />

folgenden Ebenen:<br />

• Erleben<br />

• Bewerten<br />

• Verhalten<br />

Bewußtsein<br />

und Handeln<br />

<strong>der</strong> Person<br />

Sozialisation<br />

Bewußtsein<br />

und Handeln<br />

<strong>der</strong> sozialen<br />

Umwelt<br />

<strong>der</strong> Person<br />

Gesundheitsstörung / Behin<strong>der</strong>ung<br />

als komplexer Prozeß im Menschen<br />

Bestätigung (Coping)<br />

<strong>der</strong> Gesundheitsstörung<br />

bzw. <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung<br />

Reaktion <strong>der</strong><br />

Gesellschaft<br />

Abb. 1 Dimensionen und Manifestationen einer Behin<strong>der</strong>ung; nach ICIDH 1995<br />

(vgl. STADLER, 1998, S. 28)<br />

Hier ist eine Erweiterung des von <strong>der</strong> ICD (International Classification of<br />

Diseases) formulierten Begriffs <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung, bzw. Gesundheits-


2.1 Begriffsklärung 7<br />

störung als Zusammenschluß gleicher Ätiologie, Pathogenese und<br />

Manifestation erkennbar.<br />

Während die Ätiologie (Lehre von den Krankheitsursachen) die Summe<br />

primärer Kausalfaktoren beschreibt, befaßt sich die Pathogenese<br />

(Gesamtheit <strong>der</strong> an Entstehung und Entwicklung einer Krankheit beteiligten<br />

Faktoren) mit <strong>der</strong> Kaskade sekundärer Ereignisse und Verän<strong>der</strong>ungen<br />

(vgl. KALBE, 1991, S. 421; DUPIUS/KERKHOFF, 1992, S. 46;<br />

DUDEN, 1982; S. 571).<br />

Mit <strong>dem</strong> Begriff <strong>der</strong> Manifestation werden die Folgeerscheinungen einer<br />

Gesundheitsstörung deskriptiv erfaßt (vgl. STADLER, 1998, S. 28).<br />

Von <strong>der</strong> Begriffsbestimmung <strong>der</strong> Weltgesundheitsorganisation ausgehend,<br />

werden die Folgen in drei Ebenen einer Behin<strong>der</strong>ung unterschieden (vgl.<br />

STADLER, 1998, S. 27-28):<br />

1. Schädigung<br />

2. Behin<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Fähigkeitsstörung, bzw. individuelle funktionelle<br />

Einschränkung<br />

3. Beeinträchtigung<br />

Bezug nehmend auf Abb. 1 ergeben sich die Folgeerscheinungen<br />

(Manifestationen) einer Gesundheitsstörung somit wie folgt, auf<br />

1. <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Störung <strong>der</strong> biologischen und/o<strong>der</strong> psychischen Struktur<br />

und Funktion, gemeint ist die Schädigung selbst (Impairment),<br />

2. <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Störung <strong>der</strong> Fähigkeiten (Disability), welches bedeutet,<br />

daß zielgerichtete und zweckgerichtete Handlungen von Seiten <strong>der</strong><br />

betroffenen Personen nicht störungsfrei ausführbar sind und<br />

3. <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Störung <strong>der</strong> sozialen Stellung o<strong>der</strong> Rolle (Handicap),<br />

also <strong>der</strong> sozialen Beeinträchtigung, d.h., inwieweit eine Person in <strong>der</strong><br />

Lage ist, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.


2.1 Begriffsklärung 8<br />

Auf den Ebenen <strong>der</strong> Schädigung und <strong>der</strong> Fähigkeitsstörungen findet von<br />

Seiten <strong>der</strong> betroffenen Person eine Reflexion <strong>der</strong> individuellen Situation in<br />

Form des eigenen Erlebens, Bewertens und Verhaltens statt. Dieser<br />

Sachverhalt macht die Gesundheitsstörung bzw. die Behin<strong>der</strong>ung zu<br />

einem komplexen Prozeß, <strong>der</strong> von Seiten des Sozialisationsbegriffs mit<br />

diesem in Wechselwirkung steht.<br />

Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> sozialen Integration eines behin<strong>der</strong>ten Menschen gibt<br />

es zwei Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen. Zum einen das<br />

Bewußtsein und das Handeln <strong>der</strong> geschädigten Person selbst, welches<br />

Ausdruck <strong>der</strong> Krankheitsbewältigung (Copingprozeß) ist, zum an<strong>der</strong>en das<br />

Bewußtsein und Handeln <strong>der</strong> sozialen Umwelt, die Reaktion <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

Diese wechselseitige Beziehung einer handelnden Person zu<br />

seiner handelnden Umwelt macht den Begriff <strong>der</strong> Sozialisation aus.<br />

Die von <strong>der</strong> WHO herausgegebene internationale Klassifikation <strong>der</strong><br />

Behin<strong>der</strong>ung, die im Rahmen des Gesamtgebiets <strong>der</strong> Rehabilitation eine<br />

große Bedeutung hat, dient als konzeptioneller Rahmen zur Beschreibung<br />

von Behin<strong>der</strong>ung und soll die kausalen Zusammenhänge des Behin<strong>der</strong>ungsprozesses<br />

aufzeigen (vgl. STADLER, 1998, S. 27-28).<br />

Es ist anzumerken, daß Behin<strong>der</strong>ung nicht als Eigenschaft o<strong>der</strong> Merkmal<br />

einer Person besteht. Nur wenn eine starke Diskrepanz zwischen einer<br />

Verhaltens- und Erlebensdisposition und einer bestimmten Erwartung o<strong>der</strong><br />

Anfor<strong>der</strong>ung in einer bestimmten Situation unter bestimmten Bedingungen<br />

besteht, kann man von einer Behin<strong>der</strong>ung sprechen (vgl. BACH in<br />

<strong>der</strong>selbe, 1991, S. 5).<br />

Behin<strong>der</strong>ung ist <strong>dem</strong>nach ein durch eine Schädigung hervorgerufenes<br />

interaktives Konstrukt aus den Erwartungen, Aufgaben und Ansprüchen,<br />

die von außen an den Behin<strong>der</strong>ten herangetragen werden. Somit ist die<br />

Behin<strong>der</strong>ung nicht nur eine individuelle Angelegenheit, son<strong>der</strong>n ist in <strong>der</strong><br />

Komplexität ihrer Verbindungen zu betrachten.<br />

Unter diesen Umständen ist Behin<strong>der</strong>ung, als eine von einer Regelhaftigkeit<br />

ausgehende Relation zu beschreiben, zwischen einer Anfor<strong>der</strong>ung in


2.1 Begriffsklärung 9<br />

einer bestimmten Situation und <strong>der</strong> psycho-physiologischen Disposition,<br />

zwischen den Komponenten<br />

• <strong>der</strong> Erlebens- und Verhaltensdisposition, die eine Schädigung aufweist,<br />

• einer von außen herangetragenen Erwartung, die nicht erfüllt werden<br />

kann und dadurch zu Belastungen führt und<br />

• Bedingungen, die unter Umständen Benachteiligungen mit sich bringen,<br />

so daß sich insgesamt die Diskrepanz zwischen <strong>der</strong> Regelhaftigkeit und<br />

<strong>der</strong> Schädigung, Benachteiligung und Belastung vergrößert.<br />

(vgl. BACH, 1991, S. 5)<br />

Ein wichtiges zu beachtendes Merkmal zur Erfassung <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung ist<br />

<strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> “Relativität“ einer Behin<strong>der</strong>ung.<br />

Damit ist gemeint, daß die Behin<strong>der</strong>ung ihren Ausgang von <strong>der</strong> Schädigung<br />

nimmt, <strong>der</strong> betroffene Mensch jedoch durch subjektive o<strong>der</strong> objektive<br />

Sichtweise mehr o<strong>der</strong> weniger von <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung betroffen sein kann.<br />

Demnach macht weniger die Schädigung die Behin<strong>der</strong>ung aus, son<strong>der</strong>n<br />

mehr die Folgewirkung auf den Behin<strong>der</strong>ten, unter an<strong>der</strong>em bedingt durch<br />

die Reaktion des Umfeldes. In diesem Zusammenhang unterscheidet man<br />

zwischen einem Ursachenkomplex und einem Folgekomplex. Mit <strong>der</strong> Verknüpfung,<br />

daß eine Schädigung zu einer Funktionsbeeinträchtigung führt,<br />

welche sich in sozialer, psychischer und physischer Beeinträchtigung und<br />

Benachteiligung äußert.<br />

Verbunden mit <strong>dem</strong> Phänomen des “Behin<strong>der</strong>tseins“ weist CLOERKES,<br />

(vgl. CLOERKES, 1997, S. 8) bezüglich <strong>der</strong> Relativität einer Behin<strong>der</strong>ung<br />

darauf hin, daß Behin<strong>der</strong>ung in folgenden Zusammenhängen relativ zu<br />

sehen ist:<br />

Man sollte die zeitliche Dimension betrachten, nach <strong>der</strong> z. B. ein Lernbehin<strong>der</strong>ter<br />

nur für die Dauer seines Schulbesuchs als lernbehin<strong>der</strong>t gilt,<br />

soweit er nach Einglie<strong>der</strong>ung in das Berufsleben unauffällig bleibt.<br />

Ein weiterer Aspekt ist <strong>der</strong> <strong>der</strong> “Subjektivität“ einer Behin<strong>der</strong>ung. Eine<br />

leichte Gesichtsversehrung kann z. B. als sehr belastend empfunden


2.1 Begriffsklärung 10<br />

werden, während die zusätzliche Körperbehin<strong>der</strong>ung, die einen Rollstuhl<br />

unerläßlich macht, in ihrer Relevanz in den Hintergrund tritt.<br />

Auch kann die Behin<strong>der</strong>ung in den verschiedenen Lebensbereichen und<br />

-situationen unterschiedliche Bedeutungen erlangen. Ein schwerstbehin<strong>der</strong>ter<br />

Mensch kann in <strong>der</strong> Familie seine Behin<strong>der</strong>ung weniger stark erleben,<br />

während er im Berufsleben häufiger an seine Grenzen stößt und<br />

auf mehr Rücksichtnahme von Außenstehenden angewiesen ist.<br />

Ein weiterer Zusammenhang ist in <strong>der</strong> Abhängigkeit <strong>der</strong> kulturspezifischen<br />

und sozialen Reaktionen zu erkennen. Beispielsweise in einem Land, in<br />

<strong>dem</strong> Lesen und Schreiben nicht selbstverständlich ist, werden von uns<br />

kulturell determiniert, gering bewertete Leistungen im Lesen und<br />

Schreiben hoch geschätzt.<br />

Festzuhalten ist, daß Behin<strong>der</strong>ung ein von äußeren Kriterien abhängiger<br />

Sachverhalt ist, <strong>der</strong> neben den Merkmalen des “Geschädigtseins“ immer<br />

auch noch an<strong>der</strong>e Gebiete mit einbezieht, auf denen <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>te von<br />

den Erwartungen, Gewohnheiten und Wertschätzungen <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

abweicht.<br />

Dieser Sachverhalt führt nach BLEIDICK (vgl. BLEIDICK, 1978, S. 74) zu<br />

verschiedenen Abweichungen in Form von<br />

• sozialen Behin<strong>der</strong>ungen, die zu Erschwernissen <strong>der</strong> sozialen Beziehungen<br />

in <strong>der</strong> Familie, <strong>dem</strong> Freundeskreis und <strong>der</strong> Öffentlichkeit,<br />

(z. B. im Verkehr usw.) führen,<br />

• körperlichen und psychischen “individuellen“ Behin<strong>der</strong>ungen. Als<br />

Beispiel sei <strong>der</strong> Körperbehin<strong>der</strong>te genannt, <strong>der</strong> in seinen Aktionen und<br />

Reaktionen und in seiner Unversehrtheit beeinträchtigt ist,<br />

• schulischen Behin<strong>der</strong>ungen, die eine individuelle Erziehung und<br />

Bildung erfor<strong>der</strong>lich machen, <strong>bei</strong>spielsweise <strong>bei</strong> einer geistigbehin<strong>der</strong>ten<br />

Person,


2.1 Begriffsklärung 11<br />

• beruflichen Behin<strong>der</strong>ungen, die eine Einglie<strong>der</strong>ung in die Berufswelt<br />

schwieriger gestalten.<br />

Um in <strong>der</strong> fortlaufenden Diskussion um den Begriff <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung eine<br />

zusammenfassende Definition zu finden, lehnt sich BLEIDICK an eine<br />

Aussage des Bildungsrates von 1973 an (vgl. BLEIDICK, 1978, S. 74) und<br />

trifft zu diesem Thema folgende Aussage:<br />

„Als behin<strong>der</strong>t gelten Personen, die infolge einer Schädigung<br />

ihrer körperlichen, geistigen o<strong>der</strong> seelischen Funktionen soweit<br />

beeinträchtigt sind, daß ihre unmittelbaren Lebensverrichtungen<br />

o<strong>der</strong> ihre Teilhabe am Leben <strong>der</strong> Gesellschaft erschwert<br />

werden.“<br />

BLEIDICK spricht hier ganz global von körperlicher, geistiger und seelischer<br />

Behin<strong>der</strong>ung und <strong>der</strong>en Auswirkungen auf das tägliche Leben, ohne<br />

näher auf die Komplexität des Sachverhaltes einzugehen.<br />

Nach <strong>der</strong> Auffassung des Mediziners KALBE umfaßt <strong>der</strong> Begriff “Behin<strong>der</strong>ung“<br />

eine individuelle und eine soziale Komponente. Er macht Behin<strong>der</strong>ung<br />

abhängig von einer sozialen Benachteiligung. Erst wenn eine<br />

soziale Benachteiligung das Resultat einer Schädigung ist, spricht KALBE<br />

von einer Behin<strong>der</strong>ung.<br />

„Zum einen liegt eine funktionale Einschränkung vor,...eine<br />

disability, zum an<strong>der</strong>en eine soziale Benachteiligung, ein<br />

handicap. Nur wenn <strong>bei</strong>des besteht, wenn eine Funktionseinschränkung<br />

also zu einer sozialen Benachteiligung führt, sollte<br />

man von einer Behin<strong>der</strong>ung sprechen.“<br />

(KALBE, 1993, S. 4)<br />

Nach den hier aufgeführten Aussagen ist abschließend zu <strong>dem</strong> Begriff <strong>der</strong><br />

Behin<strong>der</strong>ung zu sagen, daß diese nicht nur ein individuelles Symptom,


2.1 Begriffsklärung 12<br />

son<strong>der</strong>n immer in Beziehung zu den Folgen im gesellschaftlichen Leben<br />

zu setzen ist.<br />

Bevor nun auf die Problematik bezüglich <strong>der</strong> Definitionsbestimmung von<br />

“Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung“ eingegangen wird, ist es sinnvoll, sich<br />

einen Überblick über vorkommende Behin<strong>der</strong>ungsarten zu machen. Im<br />

Folgenden ist eine Auflistung nach <strong>der</strong>en geläufiger Bezeichnung aufgeführt.<br />

Medizinische Bezeichnungen und entsprechende Begriffe sind in<br />

Klammern angemerkt.<br />

• Sehgeschädigte,<br />

a) Blinde,<br />

b) Sehbehin<strong>der</strong>te,<br />

c) Taubblinde,<br />

• Sprachbehin<strong>der</strong>te,<br />

a) Hörstumme,<br />

b) Stotterer und Polterer,<br />

c) Stammler,<br />

d) Dysgrammatiker,<br />

e) Stimmstörungen,<br />

f) verzögerte Sprachentwicklung,<br />

g) Kehlkopflose,<br />

• Hörgeschädigte,<br />

a) Gehörlose (Taubstumme),<br />

b) Schwerhörige,<br />

• Körperbehin<strong>der</strong>te,<br />

a) Gliedmaßenfehlbildungen (Dysmelien) und Gliedmaßenverlust,<br />

b) Krampfgelähmte (zerebrale Bewegungsstörungen; Spastiker und<br />

Atheotiker),<br />

c) Querschnittgelähmte,<br />

d) Kin<strong>der</strong>gelähmte (Poliomyelitis),


2.1 Begriffsklärung 13<br />

e) Muskelerkrankte (z.B. Muskelschwund, progressive Muskeldystrophie),<br />

f) Wirbelsäulenerkrankte (Skoliosen),<br />

g) Erkrankungen des Zentralnervensystems (multiple Sklerose, Spina<br />

bifida, Hydrocephalus),<br />

h) Knochenerkrankungen (z.B. Knochenentzündungen, Knochentuberkulose,<br />

Glasknochenkrankheit),<br />

i) Bluter (Hämophile),<br />

j) Patienten mit künstlichen Darmausgängen (Anus-praeter-Träger,<br />

Ileostomie und Kolostomie = Dünn- und Dickdarmfistel),<br />

k) Rheumaerkrankte (Rheuma und Gelenkrheuma),<br />

• Langfristig Kranke,<br />

z.B. Zuckerkranke (Diabetiker) und Nierenkranke (Dialysepatienten),<br />

• Verhaltensgestörte,<br />

a) Neurotiker,<br />

b) sozial Vernachlässigte und Verwahrloste,<br />

c) Autisten,<br />

• Intelligenzgeschädigte,<br />

a) Geistigbehin<strong>der</strong>te (z.B. Menschen mit Down Syndrom),<br />

b) Lernbehin<strong>der</strong>te,<br />

• Geisteskranke (Psychotiker),<br />

a) Schizophrene,<br />

b) Manisch-Depressive,<br />

• Anfallskranke (Epileptiker),<br />

• Altersgebrechliche.<br />

(vgl. BLEIDICK, 1978, S. 76-77; DUDEN, 1982, S. 404)


2.1 Begriffsklärung 14<br />

Beachtenswert ist <strong>bei</strong> dieser Auflistung, daß <strong>bei</strong>spielsweise von <strong>dem</strong><br />

“Sehbehin<strong>der</strong>ten“ gesprochen wird und nicht von einem Menschen mit<br />

einer Sehbehin<strong>der</strong>ung. (Es erscheint fragwürdig, ob man den Menschen<br />

über seine Störung definieren sollte).<br />

Versucht man nun <strong>bei</strong> den Schwierigkeiten <strong>der</strong> Klärung des Behin<strong>der</strong>tenbegriffs<br />

eine allgemeingültige Definition von “Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung“<br />

zu finden, erscheint auch dies nicht ganz unproblematisch, da<br />

begriffliche Unschärfen auftauchen, die sich aus den verschiedenen<br />

Gesichtspunkten, aus denen heraus eine Definition entsteht, ergeben.<br />

FORNEFELD (vgl. FORNEFELD, 1995, S. 54) setzt die Schwierigkeiten,<br />

den Personenkreis <strong>der</strong> “Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ten“ begrifflich zu<br />

erörtern, in einen gesellschaftlichen Kontext und erklärt, daß dieser Begriff<br />

von den Normen und den Wertvorstellungen einer Gesellschaft abhängig<br />

ist und somit immer indifferent und unscharf bleiben wird.<br />

Betrachtet man zunächst den Begriff <strong>der</strong> Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung,<br />

so stellt man fest, daß sich dieser in Hinblick auf den Begriff <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung<br />

aus zwei Komponenten zusammensetzt: “schwerst“ und “mehrfach“.<br />

Das bedeutet also, daß eine schwerste Form mehrfacher Behin<strong>der</strong>ung<br />

vorliegt. Stellt sich nun die Frage, was unter einer “Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung“<br />

zu verstehen ist.<br />

Diesbezüglich ist zu klären, ob es in <strong>der</strong> Literatur Hinweise darauf gibt,<br />

inwieweit es <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Beschreibung dieses Begriffs Abweichungen o<strong>der</strong><br />

weitere, den selben Begriff umschreibende Aussagen, gibt.<br />

Nach BLEIDICK (BLEIDICK, 1978, S. 77) ist dann von einer Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

die Rede, wenn zwei o<strong>der</strong> mehrere Behin<strong>der</strong>ungen auftreten.<br />

Da<strong>bei</strong> handelt es sich (im Vergleich dazu STADLER, 1998, S. 123) um<br />

• Folgebehin<strong>der</strong>ungen, wenn primäre Behin<strong>der</strong>ungen zwangsläufig<br />

Sekundärbehin<strong>der</strong>ungen hervorrufen, z.B. Gehörlosigkeit die Stummheit<br />

(Taubstummheit),


2.1 Begriffsklärung 15<br />

• primäre gekoppelte Behin<strong>der</strong>ungen, wenn verschiedene originäre Ausfälle<br />

zusammen auftreten, z.B. Taubblindheit, geistige Behin<strong>der</strong>ung <strong>bei</strong><br />

Zerebralparesen,<br />

• überlagerte Mehrfachbehin<strong>der</strong>ungen, wenn verschiedene Störungen<br />

und Behin<strong>der</strong>ungsformen in wechselseitiger Bedingung zusammenwirken,<br />

ohne das die Kausalverhältnisse klar ersichtlich sind, z.B. Lernbehin<strong>der</strong>ungen<br />

in Verbindung mit Sprach- und Verhaltensstörungen.<br />

Um sich eine Vorstellung davon zu machen, welche Personen zu <strong>dem</strong><br />

Kreis <strong>der</strong> Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ten gezählt werden, umschreibt<br />

STADLER den Begriff <strong>der</strong> Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung, ohne da<strong>bei</strong><br />

weiter auf Definitionen <strong>der</strong> einzelnen Begriffe einzugehen, wie folgt:<br />

„Unterscheidet man von <strong>der</strong> Art, Umfang und <strong>der</strong> Schwere <strong>der</strong><br />

Behin<strong>der</strong>ung eines Menschen, läßt sich <strong>der</strong> Personenkreis<br />

<strong>der</strong>er, die sehr schwere und gleichzeitig mehrere Behin<strong>der</strong>ungen<br />

aufweisen, zu <strong>dem</strong> Kreis <strong>der</strong> Mehrfach- und Schwerstbehin<strong>der</strong>ten<br />

zusammenfassen...“.<br />

„In diesem Zusammenhang reicht die Kennzeichnung für den<br />

Personenkreis von schwermehrfachbehin<strong>der</strong>t, schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>t,<br />

schwergeistigbehin<strong>der</strong>t, intensivbehin<strong>der</strong>t bis hin<br />

zu schwerstkörperbehin<strong>der</strong>t. Teilweise wird auch von Kin<strong>der</strong>n<br />

mit extrem psychomotorischem Entwicklungsrückstand und<br />

schwerst wahrnehmungsgestörten Kin<strong>der</strong>n gesprochen“.<br />

(STADLER, 1998, S. 121)<br />

Bei einer Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung muß nicht immer eine Schwerstbehin<strong>der</strong>ung<br />

in Verbindung mit einer geistigen Behin<strong>der</strong>ung vorliegen. Es können<br />

durchaus hohe kognitive Leistungen vorhanden sein.<br />

An<strong>der</strong>erseits kann man <strong>bei</strong> einer Schwerstbehin<strong>der</strong>ung immer von einer<br />

Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung ausgehen (vgl. STADLER, 1998, S. 124).<br />

Die unklare Begrifflichkeit liegt nach STADLER sowohl in <strong>dem</strong> Vorkommen<br />

<strong>der</strong> unterschiedlichen Erscheinungsbil<strong>der</strong>, in <strong>der</strong> individuellen Ausprägung


2.1 Begriffsklärung 16<br />

<strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung, aber auch in <strong>der</strong> differenten Herangehensweise und<br />

Auffassungsgabe <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Rehabilitation tätigen Personen begründet<br />

(vgl. STADLER, 1998, S. 121).<br />

In <strong>der</strong> kritischen Auseinan<strong>der</strong>setzung, unter Betrachtung des sozialen und<br />

relativen Aspektes einer Behin<strong>der</strong>ung, versucht THEUNISSEN mit <strong>dem</strong><br />

Begriff <strong>der</strong> Schwerstbehin<strong>der</strong>ung auf sechs unterschiedliche<br />

(Ziel)Gruppen aufmerksam zu machen, die seiner Meinung nach in <strong>der</strong><br />

Regel zu <strong>dem</strong> Kollektiv <strong>der</strong> Schwerstbehin<strong>der</strong>ten zusammengefaßt<br />

werden (vgl. THEUNISSEN, 1991, S. 296-297):<br />

• Menschen mit <strong>dem</strong> Schwerpunkt in einer schweren geistigen Behin<strong>der</strong>ung,<br />

• Menschen mit <strong>dem</strong> Schwerpunkt in schweren Körperbehin<strong>der</strong>ungen<br />

und Sinnesschädigungen,<br />

• Geistigbehin<strong>der</strong>te mit <strong>dem</strong> typischen Erscheinungsbild eines Autisten<br />

o<strong>der</strong> extremen autistischen Verhaltensweisen,<br />

• Menschen, <strong>bei</strong> denen Verhaltensstörungen (Hospitalisierungssyndrome)<br />

dominierend zu <strong>der</strong> (schweren) geistigen Behin<strong>der</strong>ung auftreten,<br />

• Menschen, die neben schweren geistigen Behin<strong>der</strong>ungen extreme<br />

körperliche Beeinträchtigungen und/o<strong>der</strong> Sinnesschädigungen haben,<br />

• Menschen mit schweren geistigen Behin<strong>der</strong>ungen und dazu kommenden<br />

chronischen Erkrankungen, wie z.B. Epilepsie.<br />

THEUNISSEN macht hier darauf aufmerksam, daß zwischen (geistiger)<br />

Behin<strong>der</strong>ung, Schwerbehin<strong>der</strong>ung und Schwerstbehin<strong>der</strong>ung eine Differenzierung<br />

nicht ganz einfach ist und man daher mit Etikettierungen dieser<br />

Art möglichst vorsichtig und umsichtig umgehen sollte.<br />

Auffallend ist, daß <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Aufzählung nach THEUNISSEN <strong>der</strong><br />

Schwertstbehin<strong>der</strong>tenbegriff an <strong>der</strong> geistigen Behin<strong>der</strong>ung in allen seinen<br />

Erscheinungsformen ausgemacht wird und weitere mögliche Störungen<br />

additiv dazu betrachtet den Begriff <strong>der</strong> Schwerstbehin<strong>der</strong>ung ergeben.


2.1 Begriffsklärung 17<br />

Zieht man zu <strong>dem</strong> Versuch <strong>der</strong> Begriffsbestimmung die Ausführungen des<br />

KULTUSMINISTERS DES LANDES NRW hinzu, so wird hier eine Unterscheidung<br />

zwischen schwerster geistiger Behin<strong>der</strong>ung, schwerer Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

und schwerstbehin<strong>der</strong>ten Schülern getroffen.<br />

Unter einer schweren Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung wird hier verstanden ein<br />

„... komplexes Syndrom, dessen Teilaspekt geistige Behin<strong>der</strong>ung<br />

in Verbindung mit Blindheit, hochgradiger Erziehungsschwierigkeit,<br />

Gehörlosigkeit, Körperbehin<strong>der</strong>ung, chronischer<br />

Erkrankung auftritt.“<br />

(KULTUSMINISTER NRW, 1985, S. 5)<br />

Nach Angaben des KULTUSMINISTERS sind:<br />

„Die Grenzen zwischen behin<strong>der</strong>t und schwerstbehin<strong>der</strong>t<br />

fließend. Sie orientieren sich an den Bedingungen, die im<br />

beson<strong>der</strong>en Erziehungs- und Pflegebedarf des Behin<strong>der</strong>ten<br />

liegen. Schwerstbehin<strong>der</strong>ung ist in <strong>der</strong> Regel Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung,<br />

die stets die gesamte Person betrifft. Sie ist gekennzeichnet<br />

durch beson<strong>der</strong>e Merkmale des Lernverhaltens, durch<br />

Entwicklungsabweichungen im motorischen, sensorischen,<br />

emotional-sozialen Bereich und ist häufig mit Krankheitszuständen<br />

unterschiedlicher Art verbunden.“<br />

(KULTUSMINISTER, 1985, S. 6)<br />

Diese Aussage kann durch die Ausführung <strong>der</strong> ständigen Kultusministerkonferenz<br />

(KMK) von 1998 ergänzt werden, die davon ausgeht, daß mit<br />

einer schweren Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung insbeson<strong>der</strong>e umfängliche körperliche,<br />

motorische und zusätzliche Beeinträchtigungen verbunden sind (vgl.<br />

KMK, 1998, S. 5).<br />

Einen an<strong>der</strong>en, mehr anthropologischen Ansatz, verfolgt FRÖHLICH, ein<br />

Vertreter <strong>der</strong> ganzheitlichen Betrachtung des Menschen. Er sieht die


2.1 Begriffsklärung 18<br />

Person im Ganzen und definiert den Begriff <strong>der</strong> Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

wie folgt:<br />

„Schwerstbehin<strong>der</strong>t... ist immer eine komplexe Beeinträchtigung<br />

des ganzen Menschen in allen seinen Erlebnis- und Ausdrucksmöglichkeiten.<br />

Emotionale, kognitive und körperliche,<br />

aber auch soziale und kommunikative Fähigkeiten sind erheblich<br />

eingeschränkt o<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>t. Die Zuordnung zu einem<br />

sogenannten Leitsymptom im Sinne einer klassischen Behin<strong>der</strong>ung<br />

wie körperbehin<strong>der</strong>t, geistigbehin<strong>der</strong>t, sinnesgeschädigt<br />

wird nicht vorgenommen, weil dies den Charakter <strong>der</strong> Komplexität<br />

<strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung einerseits und die Ganzheitlichkeit des<br />

Individuums an<strong>der</strong>erseits ignoriert“.<br />

(FRÖHLICH, 1996, S. 11)<br />

Seiner Meinung nach handelt es sich um eine Beeinträchtigung des<br />

ganzen Menschen in allen seinen Lebensvollzügen, so daß <strong>der</strong><br />

zwischenmenschliche Umgang an Grenzen stößt und somit die elementare<br />

Begegnung zwischen den Menschen mit schwerster Behin<strong>der</strong>ung und<br />

Nicht-Betroffenen erschwert ist.<br />

FRÖHLICH spricht eher von Personen in gewissen Bedürfnislagen, die<br />

sich im Hinblick auf Dauer, Umfang und spezifischer Ausprägung unterscheiden.<br />

Danach hat sich in Deutschland folgende Auflistung bewährt.<br />

Menschen, die von einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung betroffen sind<br />

• benötigen körperliche Nähe, um an<strong>der</strong>e Menschen wahrnehmen zu<br />

können,<br />

• brauchen an<strong>der</strong>e Menschen, die ihnen die Umwelt auf einfachste Weise<br />

nahe bringen,<br />

• brauchen an<strong>der</strong>e Menschen, die sie auch ohne Sprache verstehen und<br />

ihnen kommunikative Angebote machen,<br />

• brauchen an<strong>der</strong>e Menschen, die sie zuverlässig versorgen und pflegen.


2.1 Begriffsklärung 19<br />

FRÖHLICH nimmt Abstand von den, wie er es nennt, “Negativdefinitionen“<br />

und weist hier auf die Bedürfnislage <strong>der</strong> verschiedenen Gruppen hin, die<br />

in unterschiedlicher Art ausgeprägt sein kann.<br />

So kann es sich <strong>bei</strong> den Gruppen um folgenden Personenkreis handeln:<br />

• extrem unreife, frühgeborene Kin<strong>der</strong> unter intensivmedizinischer<br />

Betreuung (zeitlich in <strong>der</strong> Regel begrenzt, wenn<br />

keine schwere Behin<strong>der</strong>ung droht),<br />

• Menschen mit schwerer geistiger Behin<strong>der</strong>ung zusammen<br />

mit Stereotypen und selbstverletzen<strong>dem</strong> Verhalten,<br />

• Menschen mit schwersten Haltungs- und Bewegungsbeeinträchtigungen,<br />

die auch die Kommunikationsfähigkeit<br />

betreffen,<br />

• Menschen mit massiver mehrfach Behin<strong>der</strong>ung,<br />

• schwer bewußtseinsgetrübte o<strong>der</strong> bewußtlose Menschen<br />

(Komapatienten),<br />

• verwirrte und desorientierte Menschen, meist alte Menschen.<br />

„Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie in Lebenssituationen sind,<br />

in denen scheinbar keine Entwicklung und Beziehung möglich<br />

ist. Sie alle laufen Gefahr, für nicht ansprechbar, für nicht<br />

bildungsfähig gehalten zu werden. Immer wie<strong>der</strong> droht <strong>der</strong><br />

Rückfall in Zeiten <strong>der</strong> ausschließlichen pflegerischen Versorgung<br />

und Betreuung.“<br />

(FRÖHLICH, 1998, S. 97)<br />

In <strong>dem</strong> Verständnis um den Begriff <strong>der</strong> Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

sieht SEIFERT die Schwere <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung definiert durch die, aus <strong>der</strong><br />

individuellen Behin<strong>der</strong>ung resultierenden, von Defiziten geprägten eigenen


2.1 Begriffsklärung 20<br />

Erfahrungen und den Reaktionen <strong>der</strong> Umwelt, die auf das Abweichen von<br />

<strong>der</strong> Norm reagiert.<br />

„Schwere Behin<strong>der</strong>ungen sind eben keine Seinszustände, die<br />

sich über diagnostische Maßnahmen zuverlässig beschreiben<br />

lassen, sie müssen vielmehr als Ausdruck relationaler Konstellationen<br />

intra- und interindividuell unterschiedlicher Erlebensund<br />

Verhaltensmerkmale gesehen werden, die unter <strong>dem</strong><br />

Einfluß schädigungsspezifischer und sozialer Wirkungsfaktoren<br />

die Individualität behin<strong>der</strong>ter Menschen erfahrbar machen.<br />

Da<strong>bei</strong> finden insbeson<strong>der</strong>e solche Merkmalsausprägungen<br />

Aufmerksamkeit und Beachtung, die sich aufgrund ihrer weiten<br />

Distanz zur >Normalität< und damit zu den üblichen Verhaltenserwartungen<br />

nachhaltig auf die Interaktionsform auswirken.“<br />

(SEIFERT, 1995, S. 294)<br />

Nach Betrachtung des Versuchs den Personenkreis <strong>der</strong> Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ten<br />

in einer Definition als homogene Gruppe zusammenzufassen,<br />

ist festzustellen, daß es sich hier lediglich um die Beschreibung<br />

eines Phänomens handelt, welches durch die Vielfalt <strong>der</strong> Aspekte nicht<br />

einheitlich zu erfassen ist. Schwerste Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung ist nicht an<br />

einer bestimmten Behin<strong>der</strong>ungsart, wie Körperbehin<strong>der</strong>ung, geistige<br />

Behin<strong>der</strong>ung etc. auszumachen, son<strong>der</strong>n ist in seiner Summe und Ausprägungsstärke<br />

im Zusammenhang mit unterschiedlichen Schädigungen<br />

wie <strong>bei</strong>spielsweise Gehörlosigkeit o<strong>der</strong> Autismus etc., zu sehen.<br />

Auch die Komplexität <strong>der</strong> Zusammenhänge bezüglich <strong>der</strong> Beziehungsgeflechte,<br />

sozialer Abhängigkeit, subjektiver und objektiver Sichtweisen,<br />

Selbstbefindlichkeit, Erziehungsbedarfs, usw., macht den Begriff dieser<br />

Behin<strong>der</strong>ungsform zu einem nicht präzise erfaßbaren Definitionsbegriff.<br />

Eine (schwerste mehrfache) Behin<strong>der</strong>ung besteht in ihrer Form immer<br />

solange, wie sich bestimmte Eigenschaften feststellen lassen. Diese<br />

können mal mehr und mal weniger, mal stärker und mal schwächer auftreten,<br />

je nach Entwicklung, speziellen Hilfen und Rahmenbedingungen.


2.1 Begriffsklärung 21<br />

Es ist weiterhin festzustellen, daß alle Personen, egal in welcher Form sie<br />

von einer Behin<strong>der</strong>ung betroffen sind, in <strong>der</strong> Verrichtung ihrer täglichen<br />

Grundbedürfnisse Erschwernisse hinnehmen müssen und aufgrund ihrer<br />

Schädigung ein in <strong>der</strong> Gesellschaft erschwertes Leben führen.<br />

Abschließend ist insgesamt zu bemängeln, daß die Behin<strong>der</strong>tenterminologie<br />

eher an Defekten ausgerichtet und daher negativ orientiert ist.<br />

Daraus ergibt sich, daß in <strong>der</strong> Deskription eines, mit einer schweren<br />

mehrfachen Behin<strong>der</strong>ung behafteten Menschen, nicht mehr <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong><br />

“Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>te“ verwendet werden sollte, son<strong>der</strong>n sich<br />

eine Formulierung wie “Mensch mit schwerster mehrfacher Behin<strong>der</strong>ung“<br />

durchsetzen müßte, denn <strong>der</strong> Mensch sollte Objekt unserer Sicht sein und<br />

nicht seine “subjektive“ Behin<strong>der</strong>ung.<br />

Werden in <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t dennoch Begriffe wie “Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter“<br />

o.ä. benutzt, so sind diese nicht mit einer Wertung verbunden,<br />

son<strong>der</strong>n werden in Anlehnung an die Originalquellen verwendet.<br />

Um sich einen besseren Überblick über den behandelten Personenkreis<br />

zu verschaffen, ist es hilfreich, sich mit den Entstehungsbedingungen<br />

schwerster Behin<strong>der</strong>ung auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />

2.2 Entstehungsbedingungen schwerster Behin<strong>der</strong>ung<br />

Nach<strong>dem</strong> im vorangegangenen Kapitel eine Beschreibung des Personenkreises,<br />

die von einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung betroffen sind, abgehandelt<br />

wurde, sollen nun mögliche Ursachen dieser Behin<strong>der</strong>ungsform<br />

angesprochen werden.<br />

Zunächst unterscheidet man drei temporäre Phasen, in denen eine<br />

Schädigung auftreten kann:<br />

• Praenatalzeit (vor <strong>der</strong> Geburt),<br />

• Perinatalzeit (unter <strong>der</strong> Geburt),<br />

• postnatale Zeit (nach <strong>der</strong> Geburt).


2.2 Entstehungsbedingungen schwerster Behin<strong>der</strong>ung 22<br />

Es gibt eine ganze Spannbreite an vermutlichen Ursachen für Behin<strong>der</strong>ungen.<br />

Zu diesen gehören genetische und chromosomale (das Erbgut<br />

betreffende), metabolische (den Stoffwechsel betreffende), neurologische<br />

(das zentrale Nervensystem betreffende) und traumatische (unfallbedingte)<br />

Ursachen, wie:<br />

1. fortschreitende neurodegenerative/-metabolische Erkrankungen,<br />

2. Chromosomenanomalien,<br />

3. Fehlbildungs- und Retadierungssyndrome mit genetischem Hintergrund,<br />

4. Fehlbildungs- und Retadierungs- (Entwicklungsverzögerungs-) syndrome<br />

durch exogene Noxen (von außerhalb bewirkte Schäden),<br />

5. Pränatale Mangelversorgung,<br />

6. Perinatale Komplikationen in Verbindungen mit Frühgeburt,<br />

7. Perinatale Komplikationen <strong>bei</strong> reifgeborenen Kin<strong>der</strong>n,<br />

8. Postnatal (nach <strong>dem</strong> 7. Tag) erworbene Schäden,<br />

9. Sonstige Ursachen,<br />

10. Keine erkennbaren Ursachen<br />

(vgl. KALBE, 1991, S. 412; DUDEN, 1982, S. 236, 530).<br />

Liegt eine schwere Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung vor, so hat diese oftmals nicht<br />

nur eine Ursache, son<strong>der</strong>n es wird eine Verkettung von Umständen zu<br />

dieser Form <strong>der</strong> Schädigung geführt haben. Gemeint ist, daß<br />

„...schwerste Behin<strong>der</strong>ung häufig das Ergebnis einer Summation<br />

von schädigenden Ereignissen ist. Das bedeutet, daß man<br />

von <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> monokausalen Verursachung Abstand<br />

nehmen muß.“<br />

(FRÖHLICH, 1996, S. 12; vgl. auch KREBS, 1991, S. 421)


2.2 Entstehungsbedingungen schwerster Behin<strong>der</strong>ung 23<br />

So kann ein Kind mit genetischer Vorbelastung in <strong>der</strong> Schwangerschaft<br />

<strong>bei</strong>spielsweise Stoffwechselstörungen entwickeln, die sich wie<strong>der</strong>um auf<br />

den Organismus <strong>der</strong> Mutter auswirken. Das kann zu einer Frühgeburt<br />

führen, die weiter eine intensivmedizinische Betreuung notwendig macht,<br />

was letztendlich wie<strong>der</strong> Probleme aufwirft, so daß als Resultat bleibende<br />

Schäden die Folge sind.<br />

Anhand dieser Verkettung von Umständen ist kein hauptsächlich verursachen<strong>der</strong><br />

Faktor für eine Schädigung des Organismus zu nennen.<br />

Eine große Anzahl schwer behin<strong>der</strong>ter Kin<strong>der</strong> ergibt sich aus den frühgeborenen,<br />

untergewichtigen Kin<strong>der</strong>n, die nur aufgrund intensivmedizinischer<br />

Versorgung am Leben gehalten werden können.<br />

An<strong>der</strong>s, aber nicht selten, sind auch Kin<strong>der</strong> zu nennen, die nach einem<br />

normalen Schwangerschafts- und Geburtsverlauf zur Welt kommen und<br />

einen Unfall, wie <strong>bei</strong>spielsweise Ertrinkungsunfälle o<strong>der</strong> Schädel-Hirn-<br />

Traumata, erleiden. Diese Kin<strong>der</strong> können durch die unfallbedingte Reanimation<br />

keine normale Entwicklung mehr durchlaufen.<br />

Um eine schwere Behin<strong>der</strong>ung zu diagnostizieren, werden folgende Kriterien,<br />

bezogen auf die Fähigkeiten eines 3-jährigen Kindes, überprüft:<br />

1. Freies Sitzen<br />

2. Aufrechte Fortbewegung mit o<strong>der</strong> ohne Hilfsmittel<br />

3. Greifen zwischen Daumen und Zeigefinger<br />

4. Selbständige Nahrungsaufnahme (mindestens ein zum-Mund-führen<br />

von Brotstücken)<br />

5. Sprechen von mindestens 2 sinnvollen Worten<br />

6. Verständnis für mindestens 2 einfache und vertraute Begriffe<br />

Eine schwerste Behin<strong>der</strong>ung ist dann gegeben, wenn keine dieser Kriterien<br />

erfüllt ist (vgl. KALBE, 1991, S. 411).<br />

Um eine schwere Behin<strong>der</strong>ung zu vermeiden, gibt es heutzutage mehrere<br />

Möglichkeiten. Zum einen existiert in <strong>dem</strong> Bereich <strong>der</strong> primären Prävention<br />

(Vorbeugung), <strong>der</strong> Bereich <strong>der</strong> genetischen Beratung, die recht häufig in


2.2 Entstehungsbedingungen schwerster Behin<strong>der</strong>ung 24<br />

Anspruch genommen wird. Hier geht es darum, die Geburt von schwerstbehin<strong>der</strong>ten<br />

Kin<strong>der</strong>n mit degenerativen bzw. neurometabolischen Erkrankungen<br />

o<strong>der</strong> erblichen Syndromen zu vermeiden.<br />

Desweiteren kann man versuchen, durch Früherkennung schwere Behin<strong>der</strong>ungen,<br />

die zum Beispiel durch Stoffwechselstörungen verursacht<br />

worden sind, zu vermeiden, in<strong>dem</strong> man <strong>bei</strong> medizinischer Indikation medikamentös<br />

eingreift.<br />

Willkürliche und unvorhersehbare Ursachen, wie Unfälle, Infektionen o<strong>der</strong><br />

gar Mißhandlungen, die zu schweren Behin<strong>der</strong>ungen führen, fallen<br />

zahlenmäßig ins Gewicht, können aber in diesem Zusammenhang<br />

meistens nicht präventiv vermieden werden.<br />

Wie man sich ein Leben mit einer schweren Behin<strong>der</strong>ung als Nicht-<br />

Betroffener ansatzweise vorzustellen hat, welche die Kindesentwicklung<br />

betreffenden Bereiche in Mitleidenschaft gezogen werden und wie sich<br />

Störungen diesbezüglich auf die Entwicklung und das Leben eines Kindes<br />

folgenschwer auswirken, soll im weiteren Verlauf <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t thematisiert<br />

werden.<br />

3 Gedanken zu einem Leben mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

Bevor die kindliche Entwicklung in Zusammenhang zur Wahrnehmung,<br />

Motorik und Kommunikation erörtert wird, erscheint es sinnvoll überleitend<br />

dazu, sich mit den Folgen einer schwersten Behin<strong>der</strong>ung auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />

Um sich eine Vorstellung davon machen zu können, welche Konsequenzen<br />

eine schwerste Form <strong>der</strong> Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung auf die Entwicklung<br />

eines Menschen hat, sollte man sich vergegenwärtigen, was das Leben in<br />

<strong>der</strong> Regel ausmacht.<br />

„Leben, Lebensenergie möchte sich entfalten, ausdifferenzieren,<br />

Form und Gestalt annehmen als Bewegung, Wahrnehmung,<br />

Berührung, Kontakt, Verbindung, Laut, Sinn, Wachstum,<br />

Ausdruck, Verstehen....


3 Gedanken zu einem Leben mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 25<br />

Lebendiges möchte spüren, erfahren, bewirken, versuchen,<br />

wagen, Spuren hinterlassen, lieben, singen, beginnen, geliebt<br />

werden, ergreifen, loslassen, beeindruckt werden, ar<strong>bei</strong>ten,<br />

innehalten....<br />

Die Lebensbewegung möchte sich ausdrücken in Grundgefühlen<br />

wie Freude, Liebe, Angst, Wut, Schmerz und ihren Verbindungen....<br />

Lebensenergie möchte tanzen, sich verbinden, sich vereinigen,<br />

bereichern und bereichert werden...<br />

Leben, menschliche Lebensenergie möchte sich zum Ich ausdifferenzieren<br />

und persönliche, unverwechselbare Züge annehmen.<br />

Gleichzeitig möchte sie die ihr eigene Verbindung, mit<br />

allem im Selbst erleben, <strong>dem</strong> Urgrund des Seins, aus <strong>dem</strong> alles<br />

entsteht und in den jede Lebensenergie wie<strong>der</strong> zurückkehrt,<br />

wenn Ausgestaltung individuellen und leibhaftigen Lebens zu<br />

Ende geht.“<br />

(HAUPT, 1991, S. 15)<br />

Zur Bewältigung des menschlichen Lebens ist die Entwicklung eines positiven<br />

Selbstkonzeptes notwendig. Um den Aufbau eines Selbstkonzeptes<br />

in positiver Form zu ermöglichen, muß ein Mensch in seiner Kindheit Erfahrungen<br />

mit sich selbst machen und sich in seiner leiblichen Existenz,<br />

mit all seinen eigenen Möglichkeiten, erfahren. Dies muß auch in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

und <strong>dem</strong> Erfahrungspotential mit seinen Mitmenschen<br />

geschehen.<br />

Die Entfaltung <strong>der</strong> grundlegenden Entwicklungsdynamik ist erst dann<br />

möglich, wenn <strong>der</strong> Mensch Zuneigung, Wertschätzung und Annahme<br />

durch An<strong>der</strong>e erlebt. Erst dieses komplexe Geschehen ermöglicht den<br />

Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes.<br />

„..., das menschliche Existenz kennzeichnet, ist die Angelegenheit<br />

vom Kern her, vom Selbst. Das Selbst ist gestaltendes<br />

Zentrum menschlichen Seins. Es repräsentiert die Ganzheit.“<br />

(vgl. NEUMANN nach HAUPT, 1991, S. 16)


3 Gedanken zu einem Leben mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 26<br />

Schwerste Behin<strong>der</strong>ungen führen zu Erschwernissen in eben diesen<br />

Prozessen <strong>der</strong> Entwicklung. Durch die Einschränkung in <strong>der</strong> Möglichkeit<br />

eigene Erfahrungen zu sammeln, ist je nach sozialer Einbindung in<br />

Familien o. ä., <strong>der</strong> Erfahrungsradius minimiert. Der von einer schweren<br />

Behin<strong>der</strong>ung betroffene Mensch ist auf ein Angebot von außen angewiesen.<br />

Die Entfaltung seiner Persönlichkeit, die Ausdrucks- und Gestaltungsweisen<br />

sind in allen Lebensvollzügen und Bereichen extrem eingeschränkt.<br />

Daraus resultiert eine starke Abhängigkeit <strong>der</strong> Betroffenen von<br />

Hinwendung und Verstehen <strong>der</strong> Umwelt.<br />

Die Kompetenzentwicklung in den Bereichen:<br />

• Erweiterung <strong>der</strong> Wahrnehmung auf den Fernraum,<br />

• eigene Fortbewegung im Raum,<br />

• Erwerb von Sprachverständnis und Lautsprache,<br />

• Ausbildung von Bewegungsabläufen, Handlungs- und Kommunikationsweisen<br />

für die Befriedigung emotionaler und sozialer Bedürfnisse,<br />

für Aufbau und Ausdifferenzierung zunehmen<strong>der</strong> kognitiver Kompetenz,<br />

• aktiver Gebrauch <strong>der</strong> Hände für alltägliche Lebensvollzüge, z. B. essen,<br />

sich pflegen, erkunden, bewirken, gestalten,<br />

• Beantwortung, Aufnahme und Mitgestaltung von Kontakt mit Kin<strong>der</strong>n<br />

und Erwachsenen über die unmittelbaren und leibhaftigen Bezugspersonen<br />

hinaus,<br />

ist Menschen mit einer schweren Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung nicht o<strong>der</strong> nur<br />

sehr bedingt möglich (vgl. HAUPT, 1991, S. 17-18).<br />

Welche Kompetenzen ein betroffener Mensch entwickeln kann, hängt<br />

stark von folgenden Voraussetzungen ab:<br />

• somatische Gegebenheiten; Art und Ausprägung <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong><br />

Erkrankung, Verlauf, Beeinträchtigung weiterer Organe,<br />

• den Möglichkeiten und <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> medizinischen Versorgung,<br />

• <strong>der</strong> Lebensqualität <strong>der</strong> Bezugsperson,


3 Gedanken zu einem Leben mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 27<br />

• erlebte Beziehungsqualität, Lebensqualität, Lernerfahrungen,<br />

• Qualität <strong>der</strong> möglichen Unterstützung und För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> vitalen Funktionen,<br />

<strong>der</strong> psychomotorischen, emotionalen, sozialen, kommunikativen<br />

und kognitiven Entwicklung über längere Zeit.<br />

(vgl. HAUPT, 1991, S.18)<br />

Mittels <strong>der</strong> aufgeführten Kompetenzbereiche in Abhängigkeit <strong>der</strong> Gegebenheiten<br />

ist erkennbar, daß die Lebensqualität eines, mit einer schweren<br />

mehrfachen Behin<strong>der</strong>ung behafteten Menschen, von den Reaktionen und<br />

<strong>der</strong> Akzeptanz <strong>der</strong> Gesellschaft und <strong>der</strong>en Strömungen bestimmt ist. Da<br />

von Seiten <strong>der</strong> Betroffenen eine Anpassung an die gesellschaftsbedingten<br />

Normen nicht möglich ist, muß das Umfeld des Betroffenen die notwendige<br />

Hilfe, die zur Organisation des täglichen Lebens benötigt wird,<br />

leisten. Dies sollte geschehen unter <strong>dem</strong> Vorsatz “soviel Hilfe wie nötig, so<br />

wenig wie möglich“. Denn ein möglichst alleiniges Zurechtkommen, unter<br />

individuell betrachteten Gesichtspunkten, ist verbunden mit einem besseren<br />

Selbstwertgefühl. Ein positives Selbstwertgefühl ist <strong>der</strong> Ausgang für<br />

ein positives Selbstkonzept. Daraus entwickelt sich das Verhalten in Bezug<br />

auf die Entfaltung einer eigenen Persönlichkeit, die Selbstverwirklichung<br />

und im Rahmen des Möglichen, <strong>der</strong> Eigenverantwortung.<br />

Je<strong>der</strong> Mensch hat seine eigene Lebenserfahrung, die er durch Verhalten<br />

o<strong>der</strong> Äußerungen den An<strong>der</strong>en mitteilen kann und möchte. Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>te<br />

Menschen haben es diesbezüglich schwerer. Sie<br />

machen zwar auch, im Rahmen ihrer individuellen eingeschränkten Möglichkeiten<br />

ihre Erfahrungen, besitzen aber häufig nicht die Fähigkeit, sich<br />

mittels Sprache o<strong>der</strong> Verhalten, geprägt durch motorische Handlungskompetenz,<br />

<strong>der</strong> Umwelt gegenüber zu äußern.<br />

Der Betroffene ist darauf angewiesen, inwieweit ihm nahestehende<br />

Bezugspersonen in <strong>der</strong> Lage sind, auf ihn einzugehen, sich mit ihm auseinan<strong>der</strong>zusetzen<br />

und ihn zu verstehen. So ist es keine Seltenheit, daß es<br />

im Umgang mit schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ten Menschen zu Fehleinschätzungen<br />

kommt, da man als Außenstehen<strong>der</strong> nur Annahmen zu <strong>der</strong><br />

Lebenswirklichkeit eines solchen Menschen treffen kann.


3 Gedanken zu einem Leben mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 28<br />

In diesem Zusammenhang erscheint es wichtig, darauf hinzuweisen, daß<br />

<strong>bei</strong> schwerster Behin<strong>der</strong>ung lediglich die Ausdrucksweise <strong>der</strong> Menschen<br />

betroffen ist, sie aber dennoch eine eigene Erfahrungswelt besitzen.<br />

Wahrnehmung, Erleben, Kommunikation, die Erfahrungsverar<strong>bei</strong>tung und<br />

<strong>der</strong> Austauschprozeß <strong>der</strong> Menschen sind nicht an ein hohes Maß <strong>der</strong> Ausreifung,<br />

Differenzierung und Funktionstüchtigkeit des Organismus gebunden,<br />

da sie zur vitalen Grundausstattung des menschliche Lebens gehören<br />

(vgl. HAUPT, 1991, S. 19).<br />

An dieser Stelle sei, ohne darauf näher einzugehen, auf Untersuchungen<br />

mit ungeborenen Kin<strong>der</strong>n und Koma-Patienten aufmerksam gemacht,<br />

denen auch eine eigene Form <strong>der</strong> Wahrnehmung und des Erlebens zugesprochen<br />

wird (vgl. ZIEGER, 1996, S. 75-76).<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß ein Mensch mit einer schwersten<br />

mehrfachen Behin<strong>der</strong>ung zwar erleben und wahrnehmen kann, jedoch<br />

meist auf ein Reizangebot von Außen angewiesen ist, was die Einbettung<br />

in ein soziales Gefüge zur Voraussetzung macht. Durch Wahrnehmungsund<br />

Bewegungsstörungen können Betroffene weniger Erfahrungen sammeln<br />

als normal entwickelte Menschen, welches sich in <strong>der</strong> geistigen und<br />

körperlichen Entwicklung nie<strong>der</strong>schlägt. Durch motorisches Unvermögen,<br />

Kommunikationsdefizite o<strong>der</strong> gar eine nonverbale Situation kann eine<br />

schwerst behin<strong>der</strong>te Person ihre Emotionen, ihre Wünsche, ihre Erfahrungen,<br />

ihr Erlebtes nicht o<strong>der</strong> nur mäßig zum Ausdruck bringen, da ihr die<br />

Möglichkeiten zur Äußerung nicht o<strong>der</strong> nur auf eigene Weise (und nicht<br />

je<strong>dem</strong> verständlich) gegeben sind.<br />

Anhand <strong>der</strong> bisherigen Ausführung ist erkennbar, wie wichtig für<br />

Menschen die Entwicklungsbereiche Wahrnehmung, Motorik und Kommunikation<br />

sind.<br />

Es liegt außerhalb <strong>der</strong> Vorstellungskraft eines Nicht-Behin<strong>der</strong>ten<br />

Menschen, welche Erschwernisse schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>te<br />

Menschen in Kauf nehmen müssen, um ihre Umwelt erfahren und erleben<br />

zu können, um möglicherweise eine nach individuellen Möglichkeiten<br />

eigenaktive Teilnahme am Leben zu haben.


3 Gedanken zu einem Leben mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 29<br />

Zur Annäherung an die Situation, welche Konsequenzen Störungen in den<br />

genannten Bereichen auf die Entwicklung eines Menschen haben, werden<br />

nun allgemeine Grundlagen zur kognitiven Entwicklung eines Menschen,<br />

zur Wahrnehmung, Motorik und Kommunikation und <strong>der</strong>en Störungsformen<br />

erörtert.<br />

4 Die kindliche Entwicklung und <strong>der</strong>en Zusammenhang zur<br />

Wahrnehmung, Motorik und Kommunikation<br />

4.1 Entwicklung kognitiver Fähigkeiten<br />

Welche Bedeutung die Kognition in <strong>der</strong> Entwicklung eines Kindes hat, soll<br />

zunächst anhand <strong>der</strong> entwicklungspsychologischen Theorie nach PIAGET<br />

verdeutlicht werden.<br />

Um einen Einstieg in dieses Gebiet zu finden, ist es sinnvoll, den Begriff<br />

<strong>der</strong> Kognition definitionsgemäß zu erklären.<br />

Definition von “Kognition“:<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Kognition kommt aus <strong>dem</strong> Lateinischen und bedeutet<br />

soviel wie:<br />

„die Erkenntnis betreffend; erkenntnismäßig.“<br />

(DUDEN, 1982, S. 399)<br />

Eine etwas weiterführende Definition <strong>bei</strong>nhaltet:<br />

„Kognition ist <strong>der</strong> Inbegriff aller <strong>dem</strong> Erkennen und <strong>der</strong> weiteren<br />

Verar<strong>bei</strong>tung von Sinneseindrücken dienenden Tätigkeiten:<br />

Wahrnehmung, Auffassen, Erkennen, Wie<strong>der</strong>erkennen, Erinnern,<br />

Vorstellen, Denken, Urteilen, Erwarten, Planen.


4.1 Entwicklung kognitiver Fähigkeiten 30<br />

Der Ordnungsbegriff Kognition, <strong>der</strong> sowohl den Vorgang des<br />

Erkennens wie auch dessen Ergebnis meint, dient meist <strong>der</strong><br />

Abgrenzung zu emotionalen (Gefühl, Stimmung) und voluntionalen<br />

Vorgängen (Trieb, Wille).“<br />

(DUPIUS/KERKHOFF, 1992, S. 354)<br />

Dieser Beschreibung nach umfaßt <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Kognition, bezogen auf<br />

die Kindesentwicklung, alle Funktionen eines Kindes, die zur Wahrnehmung<br />

eines Gegenstandes o<strong>der</strong> zum Wissen über diesen <strong>bei</strong>tragen.<br />

Um die dingliche Umwelt erfassen zu können, bedarf es eines Prozesses,<br />

den PIAGET in <strong>der</strong> entwicklungspsychologischen Theorie über die sensomotorische<br />

Intelligenz beschreibt (vgl. POHL, 1979, S. 248-253).<br />

Voraussetzung ist das natürliche Bestreben des Menschen nach Gleichgewicht,<br />

nach <strong>dem</strong> er sich selbst aktiv und wahrnehmend, als handelndes<br />

Individuum mit <strong>der</strong> Umwelt auseinan<strong>der</strong>setzt. Dadurch ist <strong>der</strong> Mensch in<br />

<strong>der</strong> Lage, ein für sich zutreffendes Schema zur Handlungsorganisation zu<br />

entwickeln.<br />

Um ein Gleichgewicht herstellen zu können, bedient sich <strong>der</strong> Mensch<br />

zweier Funktionen, <strong>der</strong> Adaptation und <strong>der</strong> Organisation.<br />

Die Adaptation ist für PIAGET <strong>der</strong> Prozeß <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung eines<br />

handelnden und denkenden Individuums mit seiner Umwelt. Innerhalb des<br />

Begriffs <strong>der</strong> Adaptation differenziert er zwei prozeßhafte Ereignisse, die<br />

Akkomodation und die Assimilation. PIAGET ist <strong>der</strong> Auffassung, daß sich<br />

das Verhalten eines Individuums, induziert durch vorhandene Denk- und<br />

Handlungsschemata, an die angetroffenen Umweltereignisse anpaßt<br />

(Akkomodation). Umgekehrt sich aber auch die Anpassung <strong>der</strong> Umwelt an<br />

die vorhandenen Denk- und Handlungsschemata vollzieht, welches<br />

PIAGET als Assimilation bezeichnet.<br />

Unter Organisation versteht PIAGET jene strukturbildenden Prozesse, die<br />

zu <strong>dem</strong> Aufbau <strong>der</strong> sensomotorischen Schemata führen und komplementär<br />

zur Adaptation stattfinden (vgl. POHL, 1979, S. 248-253).<br />

Nach Meinung PIAGET´s entsteht aus <strong>dem</strong> Komplex <strong>der</strong> Sinneswahrnehmung<br />

(Sensorik) und des Handelns (Motorik) die Intelligenz o<strong>der</strong> das


4.1 Entwicklung kognitiver Fähigkeiten 31<br />

Denken, die sich mit <strong>der</strong> Entwicklung eines Menschen immer weiter differenziert.<br />

Zur Erfassung <strong>der</strong> dinglichen Welt eines Kindes wird nach PIAGET ein<br />

temporärer Prozeß durchlaufen, <strong>der</strong> in vier Hauptstadien zusammengefaßt<br />

wird, welche er nach den Entwicklungsschwerpunkten <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Phase benennt:<br />

1) Sensomotorische Phase (von <strong>der</strong> Geburt bis etwa zum 2. Lebensjahr),<br />

2) Präoperationale Phase (2. bis etwa zum 6./7. Lebensjahr),<br />

3) Phase <strong>der</strong> konkreten Operation (7. bis etwa 11./12. Jahr),<br />

4) Phase <strong>der</strong> formalen Operationen (ab <strong>dem</strong> 11./12. Lebensjahr).<br />

(GUDJONS, 1997, S. 126)<br />

In <strong>der</strong> sensomotorischen Phase liegt <strong>der</strong> Schwerpunkt <strong>der</strong> kindlichen Entwicklung<br />

in <strong>der</strong> Ausbildung <strong>der</strong> Motorik, <strong>der</strong>en Grundbasis die Wahrnehmung<br />

darstellt.<br />

In <strong>der</strong> ergänzenden Auflistung von POHL und MONTADA kann man in<br />

Anlehnung an PIAGET´s “Stufen <strong>der</strong> Sensomotorik“ kennzeichnendes<br />

Verhalten wie folgt zuordnen:<br />

Erste Stufe (ca. 0. - 4. Woche)<br />

• Dominanz des Reflexverhaltens.<br />

Zweite Stufe: Primäre Kreisreaktionen (ca. 1. - 4. Monat)<br />

• Ausdehnung des Reflexschemas,<br />

• Entwicklung von einfachen Gewohnheiten,<br />

• Ausdifferenzierung <strong>der</strong> Reflexe,<br />

• erste Koordination von Wahrnehmung und Bewegung.<br />

Dritte Stufe: Sekundäre Kreisreaktionen (ca. 4. - 8. Monat)<br />

• Koordination visueller und motorischer Eigenschaften (sehen und<br />

danach greifen),


4.1 Entwicklung kognitiver Fähigkeiten 32<br />

• Aktive Wie<strong>der</strong>holungen,<br />

• Übung-Übertragung-Unterscheidung.<br />

Vierte Stufe: Koordinierung <strong>der</strong> erworbenen Handlungsschemata und ihre<br />

Anwendung auf neue Situationen (ca. 8. - 12. Monat)<br />

• Anwendung bekannter Schemata in unvorhergesehene neuen Situationen,<br />

• Mittel- und Zweckrelation (erste “wenn-dann-Beziehung“),<br />

• Erlernen eines sensomotorischen Begriffs von einem Gegenstand,<br />

• erste intelligente Handlungen.<br />

Fünfte Stufe: Tertiäre Kreisreaktionen. Die Entdeckung neuer Handlungsschemata<br />

durch aktives Experimentieren (ca. 12. - 18. Monat)<br />

• Aktives Experimentieren; die ersten Versuche, bestimmte Mittel für<br />

bestimmte Zwecke einzusetzen.<br />

Sechste Stufe: Erwerb <strong>der</strong> geistigen Kombinationsmöglichkeit. Diese führt<br />

zur Verinnerlichung von Handlungen, als Vorstufe des präoperationalen<br />

Denkens (18. - 24. Monat)<br />

• Volle Entwicklung <strong>der</strong> sensomotorischen Intelligenz,<br />

• Plötzliche Umstrukturierung,<br />

• Erfinden und Verstehen unbekannter Möglichkeiten,<br />

• Zügige Koordination.<br />

(vgl. PIAGET, 1971 nach POHL, 1979, S. 250-253; MONTADA, 1987,<br />

S. 414-416; BIGGER, 1991, S 360-361)<br />

Nach PIAGET´s Theorie zur kognitiven Entwicklung eines Kindes entwickelt<br />

ein Kind die sogenannte sensomotorische Intelligenz, über Wahrnehmung<br />

gemachte Erfahrungen, die verwendet werden, um motorisches<br />

Handeln zu implizieren und sich seine Umwelt erfahrbar zu machen.<br />

Durch Sammeln dieser Erfahrungen lernt das Kind Handlungen zu abstrahieren,<br />

zu organisieren und auf Dauer gezielt einzusetzen. In dieser


4.1 Entwicklung kognitiver Fähigkeiten 33<br />

Phase werden Handlungsmuster, also Bewegungs- und Lösungsmuster,<br />

zur Bewältigung von “Problemen“ erworben.<br />

Diese stufenweise Entwicklung ist ein Prozeß, <strong>der</strong> sich in Abhängigkeit<br />

vom Alter des Kindes vollzieht (vgl. FRÖHLICH, 1989, S. 42).<br />

POHL (vgl. POHL, 1979, S. 252) interpretiert den Entwicklungsprozeß <strong>der</strong><br />

sensomotorischen Intelligenz als einen Anfang des Denkens, mit <strong>dem</strong><br />

Hinweis darauf, daß Wahrnehmung das Denken auch in <strong>der</strong> weiteren<br />

Entwicklung beeinflußt.<br />

Auch LEYENDECKER ist <strong>der</strong> Auffassung, daß die Wahrnehmung, im<br />

Bezug auf die kognitive Entwicklung eines Menschen<br />

„...die Grundlage aller höheren kognitiven Prozesse des<br />

Erinnerns, des Lernens und des Denkens..." ist.<br />

(LEYENDECKER, 1988, S. 39)<br />

Auch Menschen mit einer schwersten Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung besitzen die<br />

Fähigkeit Wahrnehmungsreize aufnehmen zu können. Ihre Denkvollzüge<br />

könnten vom Prinzip genauso ablaufen, wie <strong>bei</strong> Menschen ohne Behin<strong>der</strong>ung,<br />

jedoch das Maß <strong>der</strong> Differenzierung, die Höhe <strong>der</strong> Abstraktion und<br />

die Fähigkeit zum Transfer <strong>der</strong> wahrgenommenen Reize, die zumeist als<br />

Angebot von außen an den Betroffenen herangetragen werden müssen,<br />

sind individuell geringer.<br />

Welche Auffälligkeiten sich in <strong>der</strong> Entwicklung eines Kindes aus individuellen<br />

behin<strong>der</strong>ungsbedingten “Abnormitäten“ ergeben, wird <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> anschließenden Kapitel über Wahrnehmung, Motorik und<br />

Kommunikation und <strong>der</strong>en Störungen deutlich und findet ihre Anwendung<br />

im “Teil B“ dieser Ar<strong>bei</strong>t.


4.2 Perzeption - Wahrnehmung - 4.2.1 Begriffsklärung 34<br />

4.2 Perzeption - Wahrnehmung<br />

4.2.1 Begriffsklärung<br />

Der aus <strong>dem</strong> Englischen übernommene Begriff “perception“ ist aus <strong>dem</strong><br />

Lateinischen abgeleitet von “percipere“ und bedeutet soviel wie erfassen,<br />

ergreifen, in sich aufnehmen, aber auch genießen (vgl. DOERING, 1996,<br />

S. 13).<br />

Wahrnehmung ist jedoch nicht einfach nur ein Begriff, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Anwendung<br />

auf den Menschen, ein prozeßhafter Vorgang im Sinne eines<br />

Kodierungs- und Dekodierungsvorganges.<br />

Unter Wahrnehmung versteht man die Fähigkeit, Reize im visuellen (Sehsinn),<br />

auditiven (Hörsinn), taktilen o<strong>der</strong> haptischen (Tastsinn), olfaktorischen<br />

(Geruchssinn) und gustatorischen (Geschmackssinn) Bereich aufzunehmen<br />

und zu verar<strong>bei</strong>ten.<br />

Um Reize aufnehmen zu können, ist je<strong>der</strong> Mensch mit Sinnesorganen<br />

ausgestattet, über die er Informationen aus <strong>der</strong> Umwelt, als sogenanntes<br />

Input, aufnehmen kann.<br />

Reize treffen in unterschiedlichen Energieformen auf den Körper, so wie<br />

die elektromagnetische Energie <strong>bei</strong>m Sehreiz, mechanische Energie <strong>bei</strong>m<br />

Tasten, usw.. Für sie gibt es verschiedene Rezeptoren (Sensoren), die<br />

entwe<strong>der</strong> zu Sinnesorganen (Auge, Ohr) zusammengefaßt werden o<strong>der</strong><br />

über die Körperoberfläche (Hautrezeptoren) o<strong>der</strong> im Körperinneren<br />

(Druckrezeptoren) verteilt sind.<br />

Bei <strong>der</strong> Reizaufnahme “wählt“ <strong>der</strong> Rezeptor sozusagen die für ihn geeigneten<br />

Informationen aus <strong>der</strong> Umwelt “aus“.<br />

Dies sei am Beispiel <strong>der</strong> Sinneswahrnehmung über die Haut, <strong>der</strong> taktilen<br />

Wahrnehmung, verdeutlicht. (Dieser Schwerpunkt ergibt sich im Hinblick<br />

auf die Ergebnisse, die im praktischen Teil dieser Ar<strong>bei</strong>t behandelt<br />

werden).


4.2 Perzeption - Wahrnehmung - 4.2.1 Begriffsklärung 35<br />

Die Haut, als größtes Sinnesorgan des menschliche Körpers, stellt<br />

„...die Grenze zwischen <strong>dem</strong> Ich und <strong>der</strong> Umwelt, zwischen<br />

<strong>dem</strong> Ich und <strong>dem</strong> Du dar.“<br />

(KIPHARD, 1983, S. 41)<br />

Über die Haut registriert ein Mensch Druck, Berührung und Vibration (zus.:<br />

Tastsinn), ferner Schmerzen und Temperatur. Diese werden zusammengenommen<br />

als Oberflächensensibilität bezeichnet.<br />

Durch sogenannte Mechanorezeptoren <strong>der</strong> Haut werden die drei Tastqualitäten<br />

Druck, Berührung und Vibration für den Menschen erfahrbar gemacht.<br />

Die aufgenommenen Informationen werden über spezifische Nervenbahnen,<br />

die Afferenzen, in das zentrale Nervensystem (ZNS, bestehend<br />

aus Rückenmark und Gehirn) weitergeleitet.<br />

Dort kommt es<br />

• zur Speicherung des Reizes,<br />

• zum Vergleich mit schon vorhandenen Reizen und Erfahrungen<br />

(Gedächtnis),<br />

• zum Wie<strong>der</strong>erkennen,<br />

• zur Koordination <strong>der</strong> einzelnen Sinnesbereiche,<br />

• zur Verar<strong>bei</strong>tung,<br />

• zur Reizbeantwortung, motorischer, mimischer o<strong>der</strong> sprachlicher Art<br />

(Efferenz) und<br />

• zur Kontrolle <strong>der</strong> Reaktion auf den Reiz.<br />

(vgl. SILBERNAGEL/DESPOPOULOS, 1991, S. 274-275; HOFFMANN,<br />

1991, S. 448)


4.2 Perzeption - Wahrnehmung - 4.2.1 Begriffsklärung 36<br />

Man beachte auch hier die enge Verknüpfung zwischen Wahrnehmung<br />

und Motorik (Verweis: “Kapitel 4.4 Der Zusammenhang von<br />

Wahrnehmung und Bewegung“, S. 56).<br />

„Wahrnehmung ist also nicht primär die Aufnahme von informativen<br />

Reizen, son<strong>der</strong>n vielmehr erst <strong>der</strong>en sinnstiftende Verar<strong>bei</strong>tung.<br />

Wahrnehmung ist somit auch kein `passives auf sich<br />

einwirken lassen` von Reizen, son<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong>um ein aktiver<br />

Austauschprozeß zwischen Informationssuche, Informationsaufnahme<br />

und <strong>der</strong>en Verar<strong>bei</strong>tung.“<br />

(FRÖHLICH, 1996, S. 39)<br />

Inwieweit Wahrgenommenes ins Bewußtsein gelangt, ist abhängig von <strong>der</strong><br />

individuellen Situation in <strong>der</strong> sich eine Person befindet und <strong>der</strong> Wichtigkeit,<br />

die einer Information zugesprochen wird. Festzustellen ist nach medizinischer<br />

Forschung, daß nur ein sehr geringer Teil des Wahrgenommenen<br />

ins Bewußtsein gelangt. Der verbleibende Rest wird entwe<strong>der</strong> unterbewußt<br />

verar<strong>bei</strong>tet o<strong>der</strong> gar nicht verwendet. Dieser Prozeß wird unter <strong>dem</strong><br />

Begriff <strong>der</strong> selektiven Zuwendung behandelt.<br />

Im umgekehrten Sinne resultiert das Verhalten des Menschen aus <strong>der</strong><br />

Interpretation des Wahrgenommenen, in <strong>dem</strong> eine Abgabe an Informationen<br />

über Sprache (Mimik) und Motorik im Austauschprozeß mit <strong>der</strong> Umwelt<br />

stattfindet (vgl. SILBERNAGEL/DESPOPOULOS, 1991, S. 274-275).


4.2 Perzeption - Wahrnehmung - 4.2.1 Begriffsklärung 37<br />

Wahrnehmung<br />

Handlung<br />

bewußt erlebte Perception<br />

maximal 10 9 bits/s<br />

maximal 10 7 bits/s<br />

U<br />

m<br />

w<br />

e<br />

l<br />

t<br />

Aufnahme<br />

Sinnesrezeption<br />

10 2<br />

bit/s<br />

Ausgabe<br />

motorische<br />

und<br />

sprachliche<br />

Reaktion<br />

U<br />

m<br />

w<br />

e<br />

l<br />

t<br />

input<br />

Informationsaufnahme<br />

Reizverar<strong>bei</strong>tung<br />

Vergleichen<br />

Unterscheiden<br />

Erkennen<br />

Gedächnis<br />

output<br />

Informationsausgabe<br />

sensumotorisches Feedback<br />

(Rückkoppelung<br />

Abb. 2<br />

Schema <strong>der</strong> Informationsverar<strong>bei</strong>tung nach KEIDEL [1975] (vgl. LEYEN-<br />

DECKER, 1988, S. 38)<br />

Diese komplexen Vorgänge sind in Abhängigkeit vom sogenannten Aktivierungsgrad<br />

des Individuums in <strong>der</strong> jeweiligen Situation zu betrachten<br />

und werden als sensomotorischer Regelkreis bezeichnet (vgl. HOFF-<br />

MANN, 1991, S. 448; LEYENDECKER, 1988, S. 37).<br />

Für die Wahrnehmung, die sich am stärksten im Alter von drei bis sieben<br />

Jahren entwickelt, sind Anregungen durch die Umwelt und die gegenseitige<br />

Beeinflussung benachbarter Lernbereiche, wie Sprache und Motorik,<br />

unerläßlich.


4.2 Perzeption - Wahrnehmung - 4.2.1 Begriffsklärung 38<br />

Auch soziale, emotionale und an<strong>der</strong>e Aspekte sollten <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Verar<strong>bei</strong>tung<br />

von Reizen und <strong>der</strong> Reizreaktion nicht unberücksichtigt sein (vgl. HOFF-<br />

MANN, 1991, S. 448).<br />

4.2.2 Wahrnehmungsentwicklung<br />

In Anlehnung an AFFOLTER (1975, vgl. LEYENDECKER, 1988, S. 39-40)<br />

besteht ein Schema zur Wahrnehmungsentwicklung, wonach sich die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Wahrnehmung einerseits im Sinne einer Differenzierung,<br />

an<strong>der</strong>erseits im Sinne einer komplexen Integration vollzieht. Das bedeutet,<br />

daß ein Kind im Verlaufe seiner Entwicklung spezifische Sinnesreize aufnehmen<br />

und auseinan<strong>der</strong>halten lernt (Intramodale Differenzierung), es im<br />

weiteren Verlauf <strong>der</strong> Entwicklung zu einer Verknüpfung und Koordination<br />

von Wahrnehmungen verschiedener Sinnesleistungen kommt (Intermodale<br />

Verknüpfung), die sich mit <strong>der</strong> Zeit auf je<strong>dem</strong> Sinnesgebiet mehr und<br />

mehr differenzieren. Ziel ist es schließlich, zeitlich aufeinan<strong>der</strong>folgende<br />

Reize zu einem Gesamteindruck integrieren zu können (seriale Integration)<br />

(vgl. LEYENDECKER, 1988, S. 39-40).<br />

Das Resultat aus gewonnenen Eindrücken und Wahrnehmung, <strong>der</strong> Information,<br />

ist unser Erleben (vgl. MOLCHO, 1983, S.30).<br />

Das Erleben macht im Sinne <strong>der</strong> Aufnahme und Verar<strong>bei</strong>tung von Umwelteindrücken<br />

die kindliche Lernerfahrung aus, denn<br />

„Reize verar<strong>bei</strong>ten heißt lernen!“<br />

(SINNHUBER, 1990, S. 9)<br />

Auf diese Weise wird die Welt für das Kind zu seiner Umwelt.<br />

Inwieweit sich Wahrnehmungsstörungen auf die Kindesentwicklung auswirken,<br />

ist davon abhängig, wie stark das Ausmaß <strong>der</strong> vorhandenen Form<br />

<strong>der</strong> Störung ist.


4.2.3 Ursachen und Erscheinungsformen von Wahrnehmungsstörungen 39<br />

4.2.3 Ursachen und Erscheinungsformen von Wahrnehmungsstörungen<br />

Einleitend ein Gedankengang von AFFOLTER über die Bedeutung einer<br />

Wahrnehmungsstörung:<br />

Ich bin frustriert - ich habe Angst.<br />

Warum<br />

Ich weiss wohl,<br />

daß die Umwelt wirkt -.<br />

Ich kann sie jedoch<br />

nicht richtig berühren -<br />

nicht richtig umfassen und bewegen.<br />

Ich weiss deshalb nicht,<br />

WIE DIE WIRKLICHKEIT IST.<br />

Wie soll ich sie da<br />

verän<strong>der</strong>n können<br />

(AFFOLTER, 1987, S. 99)<br />

In <strong>der</strong> Psychopathologie (Lehre <strong>der</strong> psychischen Krankheiten) wird <strong>der</strong><br />

Begriff Wahrnehmungsstörung als Oberbegriff für Störungen in <strong>der</strong> Realitätserfassung<br />

beschrieben. Es wird dort unterschieden in Wahrnehmungsanomalien,<br />

Illusionen und Halluzinationen, abgehoben von den<br />

Denkstörungen (vgl. DUPIUS/KERKHOFF, 1992, S. 713).<br />

Nach AFFOLTER sind allgemeine Verhaltensweisen wie das Erscheinungsbild<br />

und das Kontaktverhalten Grundlagen zur Erfassung von Wahrnehmungsstörungen.<br />

Da<strong>bei</strong> handelt es sich nicht um eine, son<strong>der</strong>n um<br />

verschiedene Arten von Wahrnehmungsstörungen (vgl. SONDEREGGER,<br />

1989, S. 88).<br />

Die Sinnesbehin<strong>der</strong>ung, die zentrale Wahrnehmungsstörung und die<br />

Wahrnehmungsstörungen, die auf erfahrungs- bzw. sozio-kulturell be-


4.2.3 Ursachen und Erscheinungsformen von Wahrnehmungsstörungen 40<br />

dingte Wahrnehmungseinschränkungen zurückzuführen sind (vgl. LEY-<br />

ENDECKER, 1988, S. 45).<br />

4.2.3.1 Sensorische Beeinträchtigungen und Störungen <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

Zurückzuführen auf vergleichende Aussagen von LEYENDECKER (vgl.<br />

LEYENDECKER, 1988, S. 45-61) handelt es sich <strong>bei</strong> einer Sinnesbehin<strong>der</strong>ung<br />

um eine Störung, Verän<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Einschränkung <strong>der</strong> Wahrnehmungsfunktion<br />

in <strong>der</strong> sensorischen Reizaufnahme, bedingt durch<br />

einen Defekt auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Sinnesorgane.<br />

Zu den sensorischen Beeinträchtigungen und Störungen <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

werden gezählt:<br />

1) Sehbeeinträchtigungen bzw.- behin<strong>der</strong>ungen,<br />

2) Hörbeeinträchtigungen bzw.- behin<strong>der</strong>ungen,<br />

3) Taktil-kinästhetische Funktionsschwächen und Störungen.<br />

Die taktil-kinästhetischen Funktionsschwächen bzw. -störungen finden<br />

beson<strong>der</strong>e Erwähnung, da sie in <strong>der</strong> praktischen Durchführung <strong>der</strong> vorliegenden<br />

Ar<strong>bei</strong>t einen Schwerpunkt bilden.<br />

Wie bereits beschrieben, wird <strong>der</strong> taktile Bereich <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong><br />

Oberflächensensibilität und <strong>der</strong> Haut als Sinnesorgan zugeordnet (Verweis:<br />

“Kapitel 4.2 Perzeption - Wahrnehmung“, S. 34).<br />

Um ein ausgeprägtes Körperempfinden zu entwickeln, bedarf es <strong>der</strong> Kinästhesie,<br />

die den Begriff <strong>der</strong> Bewegungsempfindung umschreibt.<br />

Die zum Registrieren von Bewegungs- und Körperlageempfindungen benötigten<br />

Rezeptoren (Propriozeptoren) liegen im Gleichgewichtsorgan des<br />

Gehörs, aber vor allem auch in den Muskeln, Sehnen und Gelenken. Sie<br />

werden unter <strong>dem</strong> Begriff <strong>der</strong> Tiefensensibilität zusammengefaßt.<br />

Im kinästhetischen Wahrnehmungsbereich soll die Körperhaltung, Körperbewegung<br />

und das Körpergleichgewicht registriert und kontrolliert werden.<br />

Als Voraussetzung hierfür gilt die Fähigkeit Eigenbewegung wahrzuneh-


4.2.3.1 Sensorische Beeinträchtigungen und Störungen <strong>der</strong> Wahrnehmung 41<br />

men und daraus ein eigenes Körperschema zu entwickeln (vgl. LEYEN-<br />

DECKER, 1988, S. 54; KIPHARD, 1983, S. 18; KUNZ, 1993, S. 52).<br />

Liegt eine Störung <strong>der</strong> Tast- und Bewegungsempfindung vor, kann diese<br />

durch neurologische Erkrankungen o<strong>der</strong> Hirnschädigungen frühkindlicher<br />

o<strong>der</strong> später erworbener Art sein.<br />

Bei taktil-kinästhetischen Funktionsschwächen und Störungen handelt es<br />

sich zusammengefaßt um:<br />

a) Beeinträchtigungen in <strong>der</strong> Berührungsempfindung, Tast- und Bewegungsempfindung<br />

und <strong>der</strong> Empfindung über Muskelspannung und Gelenkstellung,<br />

b) motorisch bedingte Funktionsschwächen <strong>bei</strong> spastischen Lähmungen<br />

und an<strong>der</strong>en Formen zerebraler Bewegungsstörungen (Athetose,<br />

Ataxie),<br />

c) Sensibilitätsausfälle <strong>bei</strong> schlaffen Lähmungen (Querschnittslähmung).<br />

Diese Art <strong>der</strong> Wahrnehmungsstörungen wirkt sich in <strong>der</strong> Bewegungskoordination,<br />

<strong>der</strong> Gleichgewichtsreaktion, <strong>der</strong> Feinabstufung <strong>der</strong> Bewegungen<br />

und in <strong>der</strong> Raumwahrnehmung eines Menschen aus (vgl. LEYEN-<br />

DECKER, 1988, S. 54).<br />

An dieser Stelle sei nochmals explizit auf den Zusammenhang von Wahrnehmung<br />

und Motorik hingewiesen, auf den in einem geson<strong>der</strong>ten Kapitel<br />

noch näher eingegangen wird.<br />

(Verweis: “Kapitel 4.4 Der Zusammenhang von Wahrnehmung und<br />

Bewegung“, S. 56)<br />

4.2.3.2 Zentrale Wahrnehmungsstörungen<br />

Unter einer zentralen Wahrnehmungsstörung versteht man eine Störung,<br />

Verän<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Einschränkung <strong>der</strong> Wahrnehmungsfunktion auf <strong>der</strong><br />

Ebene <strong>der</strong> zentralnervösen Informationsverar<strong>bei</strong>tung und Integration (vgl.<br />

LEYENDECKER, 1988, S. 55).


4.2.3.2 Zentrale Wahrnehmungsstörungen 42<br />

“Integration <strong>der</strong> Sinne“ bezeichnet nach AYRES das Ordnen <strong>der</strong> Empfindungen,<br />

um sie gebrauchen zu können (vgl. AYRES, 1992, S. 6).<br />

Als Beispiele für zentrale Wahrnehmungsstörungen sind Probleme in <strong>der</strong><br />

Reizselektion, <strong>der</strong> Figur-Hintergrund-Differenzierung, <strong>der</strong> intermodalen<br />

Verknüpfung, den Kodierungs- und Dekodierungsvorgängen und Rückkopplungsprozessen,<br />

basierend auf Fehlfunktionen des Gehirns, angeführt.<br />

Anzumerken ist hier, daß diese Störungen nicht auf eine organische<br />

Fehlfunktion <strong>der</strong> Sinnesorgane zurückzuführen sind.<br />

In diesem Zusammenhang ist die “Sensorische Integrations-Dysfunktion“<br />

nach AYRES zu nennen (vgl. ALBRECHT, 1989, S. 53).<br />

Hier<strong>bei</strong> handelt es sich um eine Fehlfunktion in <strong>der</strong> Verar<strong>bei</strong>tung sensorischer<br />

Stimuli, woraus eine Inkompetenz <strong>der</strong> motorischen Handlungsorganisation<br />

resultiert, welches sich in auffälligem Verhalten wi<strong>der</strong>spiegelt.<br />

Die Fähigkeit zu lernen und Handlungskonzepte zu entwickeln steht in<br />

Abhängigkeit zur normalen perzeptiv-motorischen Entwicklung, die für die<br />

Entwicklung eines normalen Körperschemas von großer Bedeutung ist.<br />

Die Basis einer perzeptiv-motorischen Entwicklung ist die Fähigkeit, die<br />

Reize aufzunehmen, diese in einen Zusammenhang mit gleichzeitigen<br />

o<strong>der</strong> bereits gemachten Stimuli und Erfahrungen zu bringen, um daraus<br />

letztendlich eine sinnvolle motorische Bewegung zu produzieren.<br />

Als Voraussetzung hierfür gilt die Entwicklung einer stabilen Muskulatur<br />

und die Fähigkeit zur Integration <strong>der</strong> frühen Reflex-Reaktionen.<br />

AYRES spricht davon, daß die Fähigkeit zur Integration <strong>der</strong> sensorischen<br />

Stimuli <strong>der</strong> Perzeption sensorischer Stimuli und motorischer Reaktionen<br />

vorangehen muß. Eine Fehlfunktion o<strong>der</strong> ein Mangel in <strong>der</strong> Fähigkeit zur<br />

Integration ist für eine perzeptiv-motorische Störung verantwortlich (vgl.<br />

ALBRECHT, 1989, S. 53).<br />

Was die Diagnose dieser Störung angeht, sei darauf hingewiesen, daß sie<br />

sich nicht als Störung direkt diagnostizieren läßt, son<strong>der</strong>n nur über das<br />

Verhalten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> bzw. <strong>der</strong>en Handlungsergebnisse zu erschließen ist.


4.2.3.2 Zentrale Wahrnehmungsstörungen 43<br />

Zentrale Wahrnehmungsstörungen äußern sich im Bereich <strong>der</strong><br />

1) vestibulären Wahrnehmung in<br />

a) Überempfindlichkeitsreaktionen (gesteigerte Wahrnehmung kann<br />

nicht vollständig verar<strong>bei</strong>tet werden), gekennzeichnet durch:<br />

• körperliche und soziale Distanz,<br />

• Ängstlichkeit und Zurückhaltung,<br />

• Panik <strong>bei</strong> Verlust <strong>der</strong> visuellen Kontrolle,<br />

• steife, verspannte Haltung durch erhöhten Grundtonus,<br />

• auf den ersten Blick wenig Bewegungsfreude,<br />

• Abwehr von vestibulären Herausfor<strong>der</strong>ungen,<br />

b) Unterempfindlichkeitsreaktionen (verringerte Wahrnehmung), gekennzeichnet<br />

durch:<br />

• einen schlaffen Grundtonus,<br />

• Hyperaktivität,<br />

• Suche nach vestibulären Herausfor<strong>der</strong>ungen,<br />

• Distanzlosigkeit,<br />

• Unterschätzen von Gefahren,<br />

2) taktilen Wahrnehmung in<br />

a) Überempfindlichkeitsreaktionen (eine gesteigerte Wahrnehmung bewirkt,<br />

daß Berührungsreize nicht adäquat verar<strong>bei</strong>tet werden<br />

können). Erscheinungsformen sind:<br />

• Verspanntheit,<br />

• Übervorsichtigkeit,<br />

• Berührungsängste, Abwehrhaltung,<br />

• Reizempfindung wird oft als unangenehm empfunden,<br />

b) Unterempfindlichkeitsreaktionen (unzureichende Wahrnehmung)<br />

gekennzeichnet durch:<br />

• einen schlaffen Grundtonus,<br />

• Distanzlosigkeit, Anklammern,


4.2.3.2 Zentrale Wahrnehmungsstörungen 44<br />

• ein großes Bedürfnis nach Matschen und ähnlichem,<br />

• die Suche nach stärkeren Reizen um sich zu spüren, da die Berührungsreize<br />

nicht ankommen, o<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

3) Propriozeptiven Wahrnehmung, gekennzeichnet durch<br />

a) Überempfindlichkeitsreaktionen (hier nicht zu beobachten) und<br />

b) Unterempfindlichkeitsreaktionen, wie<br />

• Die Suche nach mehr Reizen; Suche nach körperlicher Nähe, um<br />

sich selber zu spüren,<br />

• Hyperaktivität.<br />

(vgl. HACHMEISTER, 1997, S. 60-61)<br />

4.2.3.3 Sozial- bzw. erfahrungsbedingte Wahrnehmungseinschränkung<br />

Erfahrungs- und sozio-kulturell bedingte Wahrnehmungseinschränkungen<br />

sind auf den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Erfahrung zurückzuführen.<br />

Dies zeigt sich insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn in <strong>der</strong> Kindheit<br />

fehlende Anregung o<strong>der</strong> Einschränkung <strong>der</strong> erfahrbaren Welt die Entwicklung<br />

und Differenzierung <strong>der</strong> Wahrnehmungsfunktion verän<strong>der</strong>t bzw.<br />

beeinträchtigt hat. Eine reizarme Umwelt, durch mangelnde Anregungen<br />

<strong>der</strong> Sinne, unzureichende Kommunikationsanreize und einen fehlenden<br />

emotionalen Bezug, können unter Berücksichtigung <strong>der</strong> sozio-kulturellen<br />

Bedingungen zu Wahrnehmungseinschränkungen führen (vgl. LEYEN-<br />

DECKER, 1988, S. 59-60).<br />

Man spricht in diesem Fall auch von sensorischer Deprivation, das heißt,<br />

daß es zu einer länger anhaltenden Unterversorgung mit sensorischen<br />

Angeboten kommt, <strong>der</strong>en Konsequenz die Isolation <strong>der</strong> betroffenen Personen<br />

bedeutet (vgl. FRÖHLICH, 1996, S. 32).


4.3 Motorik - 4.3.1 Begriffsklärung 45<br />

Nach Abhandlung dieses theoretischen Teilgebietes schließen sich praxisrelevante<br />

Grundlagen zur Motorik an, um im Anschluß daran den Zusammenhang<br />

zwischen Wahrnehmung und Motorik zu erörtern.<br />

4.3 Motorik<br />

4.3.1 Begriffsklärung<br />

Der Begriff Motorik kommt aus <strong>dem</strong> Lateinischen und bedeutet soviel wie<br />

Bewegung. Er umschreibt die Gesamtheit <strong>der</strong> willkürlichen aktiven Muskelaktivitäten,<br />

die die Persönlichkeit eines Menschen zum Ausdruck<br />

bringen (vgl. LEYENDECKER/KALLENBACH, 1989, S. 2; DUDEN, 1982,<br />

S. 508).<br />

„Unter Motorik sind alle aufeinan<strong>der</strong> abgestimmten sensorischen,<br />

neurologischen und motorischen Prozesse zu verstehen,<br />

die das Bewegungsverhalten steuern, organisieren und<br />

beeinflussen.“<br />

(APEL/PETTER, 1987, S. 46)<br />

Motorik ist ein neurophysiologisch vorprogrammierter Prozeß, den sich <strong>der</strong><br />

Mensch in Form von willentlich gesteuerter und zielgerichteter Bewegungsar<strong>bei</strong>t,<br />

<strong>der</strong> sogenannten Zielmotorik, unter Einfluß verschiedener<br />

Sinnesorgane nutzbar macht, um sich seine Umwelt erfahrbar zu machen<br />

und sich ihr gegenüber zu äußern. Dieser Prozeß wird durch Übung perfektioniert<br />

und zum Teil automatisiert.<br />

In <strong>der</strong> funktionellen Gegenüberstellung ist die Stützmotorik zu nennen, die<br />

das Gleichgewicht und die Stellung bzw. Haltung des Körpers im Raum<br />

entgegen <strong>der</strong> Schwerkraft ermöglicht und kontrolliert (vgl. SILBERNA-<br />

GEL/DESPOPOULOS, 1991, S. 284; LEYENDECKER/-KALLENBACH,<br />

1989, S. 27).<br />

Bei motorischen Vorgängen handelt es sich um aktive o<strong>der</strong> reaktive Bewegungen,<br />

die in zeitlicher, räumlicher, dynamisch situationsadäquater,<br />

zweckmäßiger und ökonomischer Weise koordiniert werden müssen (vgl.<br />

LINN/HOLTZ, 1987, S. 17).


4.3 Motorik - 4.3.1 Begriffsklärung 46<br />

KIPHARD definiert die Koordinationsleistung wie folgt:<br />

„Unter einer altersgemäßen Bewegungskoordination verstehen<br />

wir das harmonische und möglichst ökonomische Zusammenwirken<br />

von Muskeln, Nerven und Sinnen zu zielgenauen,<br />

gleichgewichtssicheren Bewegungsaktionen (Willkürmotorik)<br />

und schnellen, situationsangepaßten Reaktionen (Reflexmotorik).“<br />

(KIPHARD, 1977, S. 11)<br />

Jede Koordinationsleistung ist abhängig von <strong>der</strong> Fähigkeit eines schnellen<br />

Wechsels von Anspannung und Entspannung <strong>der</strong> Agonisten und Antagonisten<br />

(Muskelgegenspieler) und <strong>der</strong> Dosierung von Kraft.<br />

In den Koordinationsleistungen unterscheidet man das grobmotorische<br />

von <strong>dem</strong> feinmotorischen Koordinationsvermögen.<br />

Bei grobmotorischen Leistungen, <strong>der</strong> sogenannten Gewandtheit, handelt<br />

es sich um ganzkörperliche und großräumige Flinkheit bzw. Wendigkeit,<br />

verbunden mit einer ausreichenden Kraft und Dehnbarkeit <strong>der</strong> Muskeln<br />

und Bän<strong>der</strong>. Als Voraussetzung gilt hier eine gute Gleichgewichts- und<br />

Balancereaktion.<br />

Von feinmotorischen Fähigkeiten, <strong>der</strong> sogenannten Geschicklichkeit, ist<br />

dann die Rede, wenn kleinräumige manuelle Tätigkeiten gemeint sind.<br />

Auch hier ist ein vorausgesetztes Merkmal <strong>der</strong> Gleichgewichtssinn, aber<br />

auch die Fähigkeit motorische Aktivität mit <strong>dem</strong> Auge, über visuelle Wahrnehmung,<br />

koordinieren zu können. Man spricht in diesem Zusammenhang<br />

von <strong>der</strong> Auge-Hand-Koordination (vgl. LINN/HOLTZ, 1987, S. 17-18).


4.3 Motorik - 4.3.1 Begriffsklärung 47<br />

Durch die Einflußnahme <strong>der</strong> Sinneswahrnehmung und Gefühlsregungen<br />

auf die Motorik werden vier Gebiete unterschieden:<br />

1) Neuromotorik<br />

befaßt sich mit den biomechanischen, hirnphysiologischen und neuromuskulären<br />

Funktionsabläufen von Bewegung,<br />

2) Sensomotorik<br />

stellt die Beziehung zwischen Sinneswahrnehmung und Motorik dar,<br />

3) Psychomotorik<br />

kennzeichnet die Verbindung zwischen Motorik und seelischen Vorgängen,<br />

4) Soziomotorik<br />

umschreibt den Aspekt von Bewegung im Bezug auf soziale Interaktionen<br />

und Kommunikation<br />

(vgl. LEYENDECKER/ KALLENBACH, 1989, S. 27-28).<br />

„Bewegung ist Grundlage und Ausdruck unseres Lebens<br />

schlechthin. Das Verhältnis Individuum - menschliche Bewegung<br />

- Umwelt ist wechselseitig....“<br />

(LEYENDECKER/KALLENBACH, 1989, S. 32)<br />

Um sich <strong>der</strong> Bedeutung von Bewegung, bezogen auf das Leben und die<br />

Entwicklung des Menschen im vollem Maße bewußt zu werden, ist es<br />

sinnvoll sich zu vergegenwärtigen, in welchem Maße Bewegung an maßgeblichen<br />

Dingen des Lebens beteiligt ist.


4.3 Motorik - 4.3.1 Begriffsklärung 48<br />

Bewegung ist Grundbedingung<br />

• zum Leben überhaupt (z. B. Atmung, Schlucken),<br />

• für Wahrnehmung (nach etwas greifen, nach<strong>dem</strong> man es gesehen hat),<br />

• zum Handeln (kognitive Vorgänge),<br />

• für Mimik (z. B. lachen, weinen),<br />

• für Gefühle (z. B. Gehemmtheit),<br />

• für Körperhaltung (Stützmotorik),<br />

• für Sozialverhalten (z. B. jemanden anfassen, schlagen).<br />

Die menschliche Wahrnehmung, das Handeln, die Körpersprache, die<br />

Mimik und das Sozialverhalten werden in motorischen Verhaltensweisen<br />

zum Ausdruck gebracht (vgl. LINN/HOLTZ, 1987, S. 16).<br />

LEYENDECKER/KALLENBACH differenzieren in Bezug auf die Bewegungshandlungen<br />

eines Menschen vier Bedeutungsdimensionen, die sich<br />

im täglichen Leben vermischt darstellen:<br />

1) Die instrumentelle Bedeutung, durch die <strong>der</strong> sich Bewegende etwas erreichen,<br />

ausdrücken o<strong>der</strong> darstellen möchte.<br />

2) Der explorierende erkennende Aspekt, durch den die sich bewegende<br />

Person etwas über ihren Körper und die materielle Beschaffenheit von<br />

Dingen und Personen erfährt.<br />

3) Die soziale bzw. interaktionale-kommunikative Dimension, durch die <strong>der</strong><br />

sich bewegende Mensch eine Beziehung zu seinen Mitmenschen herstellt.<br />

4) Der personale Aspekt, <strong>bei</strong> <strong>dem</strong> ein Mensch durch seine Bewegung sich<br />

selbst erlebt und feststellt, daß man sich durch Bewegung verän<strong>der</strong>n<br />

und verwirklichen kann.<br />

Demnach ist die menschliche Motorik mehr als nur Bewegung, nämlich<br />

eine Funktionseinheit von Wahrnehmen, Erleben und Handeln (vgl. LEY-<br />

ENDECKER/KALLENBACH, 1989, S. 2).


4.3 Motorik - 4.3.1 Begriffsklärung 49<br />

Da es sich <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Ausführung <strong>der</strong> <strong>textilen</strong> <strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s um eine<br />

manuelle Tätigkeit handelt, wird nun kurz auf die Hand- und Fingermotorik<br />

eingegangen.<br />

4.3.2 Hand- und Fingermotorik<br />

„Die Hand dient,..., <strong>dem</strong> Handeln...“<br />

(KIPHARD, 1983, S.188)<br />

Dem Hand- und Fingergeschick werden neben <strong>dem</strong> Sprechen die höchsten<br />

menschlichen Bewegungsleistungen zugesprochen. Die menschliche<br />

Hand und <strong>der</strong>en Finger sind in <strong>der</strong> Lage, äußerst komplexe und komplizierte<br />

feinmotorisch differenzierte Bewegungen auszuführen.<br />

Da<strong>bei</strong> ergänzen sich die über den Tastsinn gewonnenen Wahrnehmungen,<br />

zu den kinästhetischen Wahrnehmungen, welche über den bewegten<br />

Umgang mit Gegenständen Informationen liefern. In diesem Zusammenhang<br />

ein Zitat von KIPHARD:<br />

„Bewegungs- und Tastempfindungen sind in mannigfaltiger<br />

Weise miteinan<strong>der</strong> verkoppelt. Wenn ein Kind einen Gegenstand<br />

be-tastet, so heißt dieses `be` soviel wie Aktivität. Befühlen,<br />

be-rühren sind immer auch aktive Bewegungsvorgänge.<br />

Sie erhöhen und vervielfältigen die Qualität <strong>der</strong> Tasteindrücke.<br />

Man spricht hier auch von haptischer (befühlen<strong>der</strong> bzw. ergreifen<strong>der</strong>)<br />

Tätigkeit, und betont da<strong>bei</strong> den Handlungsanteil des<br />

Tastvorganges.“<br />

(KIPHARD, 1983, S. 32)<br />

Diese sogenannte “Haptokinetik“ bildet nach RADIGK die Grundlage <strong>der</strong><br />

menschlichen Intelligenz (vgl. RADIGK nach KIPHARD 1983, S. 188).<br />

Man beachte hier den engen Zusammenhang von Hand und Handlungsintelligenz,<br />

denn mit greifen<strong>der</strong> Tätigkeit, im Sinne von “be-greifen“, ist <strong>der</strong><br />

Mensch in <strong>der</strong> Lage zu verstehen und somit zu lernen.


4.3.2 Hand- und Fingermotorik 50<br />

Durch das Hantieren, also be-fühlen und be-greifen, mit Gegenständen<br />

bekommt ein Mensch schon im Säuglingsalter eine Vorstellung von<br />

diesen. Später wird diese Form <strong>der</strong> Wahrnehmung durch die visuellen<br />

Wahrnehmungsvorgänge ergänzt und die taktile Figur-Grund-Differenzierung<br />

wird durch die optische ersetzt, bzw. erweitert.<br />

Die Hände werden von uns Menschen nicht nur als Werkzeug zur Erkundung<br />

unserer Welt eingesetzt, son<strong>der</strong>n auch als Kommunikationsmittel<br />

o<strong>der</strong> Ausdrucksmöglichkeit genutzt. Betrachtet man die Gestikulation <strong>der</strong><br />

Hände einzelner Menschen, so kann z. B. über die veranschlagte Dynamik<br />

<strong>der</strong> Gestik, in Abhängigkeit zur Situation, ein Eindruck zur Persönlichkeit<br />

des betreffenden Menschen entstehen.<br />

In <strong>der</strong> Betrachtung dieser Zusammenhänge wird deutlich, wie wichtig die<br />

Hand- und Fingermotorik für die Erfahrungssammlung und Ausdrucksmöglichkeit,<br />

somit für die Entwicklung eines Menschen ist. Bei diesbezüglichen<br />

Beeinträchtigungen ist durch die eingeschränkte o<strong>der</strong> fehlende<br />

Handlungskompetenz mit Defiziten in weiteren Bereichen zu rechnen.<br />

Zum Beispiel im kommunikativen Bereich, wo die Hände, wie bereits erwähnt,<br />

einen Teil des persönlichen Ausdrucks darstellen. Ist jemand feinmotorisch<br />

stark benachteiligt, kann es, durch die daraus resultierende<br />

fehlenden Ausdrucksmöglichkeiten, zu einer Fehleinschätzung durch<br />

Außenstehende kommen.<br />

Welche Formen <strong>der</strong> Handgeschicklichkeitsstörungen es gibt, ist in einem<br />

Überblick <strong>der</strong> folgenden Abbildung zu entnehmen:<br />

Störung<br />

Hand- und Fingerkraft<br />

Fingerbeweglichkeit<br />

Handgelenkbeweglichkeit<br />

Schlaffheit, Kraftlosigkeit, z. B. <strong>bei</strong>m Zusammendrücken<br />

Steifheit <strong>der</strong> Fingergelenke, z. B. <strong>bei</strong>m Fingerzappeln<br />

Steifheit des Handgelenks, z. B. <strong>bei</strong>m Hämmern und<br />

Trommeln<br />

Handgelenk-Drehfähigkeit<br />

Dysdiadochokinese, Steifheit <strong>bei</strong>m Schrauben und<br />

Kurbeln


4.3.2 Hand- und Fingermotorik 51<br />

Störung<br />

Hand- und Fingerlockerheit<br />

Verkrampfung, Spastizität, auch psychische Verkrampfung<br />

Fingergeschwindigkeit<br />

Bewegungsverlangsamung, z. B. <strong>bei</strong>m Tapping<br />

Zielgenauigkeit<br />

Auge-Hand-Koordinationsstörung, z.B. <strong>bei</strong>m Greifen<br />

Einfädeln<br />

Kraftdosierung<br />

Zu großer/geringer Kraftimpuls, z. B. zu druckstarke<br />

Schrift<br />

Freisein von Störimpulsen<br />

Zucken, Drehen, Zittern, z. B. Ausfahrbewegung<br />

<strong>bei</strong>m Schreiben<br />

Berührungssensibilität<br />

ungenügende Tastempfindung, z. B. <strong>bei</strong>m blinden<br />

Zuknöpfen<br />

Ausprägung einer Händigkeit<br />

z. B. <strong>bei</strong> verzögerter Seitigkeitsentwicklung; Bewegungsstörung<br />

<strong>der</strong> Vorzugshand; <strong>bei</strong> Umerziehung<br />

von Linkshän<strong>der</strong>n<br />

Daumen-Finger-Kooperation<br />

Beidhand-Kooperation<br />

Feinmotorisches Ungeschick, z. B. <strong>bei</strong>m Knoten,<br />

Scherenschneiden<br />

z. B. <strong>bei</strong> Entwicklungsrückstand o<strong>der</strong> einseit. Bewegungsstörung<br />

Handmotorische Praxie<br />

(Fähigkeit zur Ausführung mehrteiliger<br />

Bewegungen)<br />

Dyspraxie bzw. Apraxie als manipulatorische<br />

Störung des Handlungsaufbaus<br />

Abb. 3<br />

Dimensionen <strong>der</strong> Handgeschicklichkeit und ihre Störungen (vgl. KIPHARD,<br />

1983, S. 191)<br />

Einige <strong>der</strong> hier aufgeführten Störungen <strong>der</strong> Handgeschicklichkeit finden<br />

ihren konkreten Bezug im praktischen Teil dieser Ar<strong>bei</strong>t und werden<br />

innerhalb <strong>der</strong> Therapiestunden nochmals aufgegriffen.


4.3.3 Motorische Störungen 52<br />

4.3.3 Motorische Störungen<br />

Ist das Bewegungsvermögen durch eine Behin<strong>der</strong>ung eingeschränkt, so<br />

bedeutet dies, ein Defizit in verschiedenen Erlebnisbereichen. Das Ergebnis<br />

ist, daß viele Erfahrungen nicht gemacht werden können und folglich<br />

eine verschlechternde Situation in <strong>der</strong> Entwicklung des Kindes zu erwarten<br />

ist.<br />

Um sich dieser Situation als Bezugsperson entsprechend annehmen zu<br />

können ist es zunächst notwendig, die Ursachen motorischer Störungen<br />

zu erkennen.<br />

Der Einschränkung <strong>der</strong> Bewegungsfähigkeit kann eine Vielzahl an Ursachen<br />

und Erscheinungsformen zu Grunde liegen.<br />

Störungen können <strong>bei</strong>spielsweise auf Schädigungen des Gehirns, <strong>der</strong><br />

Nervenbahnen, des Stoffwechselkreislaufs <strong>der</strong> Muskeln o<strong>der</strong> auf das<br />

Wachstum <strong>der</strong> Gliedmaßen zurückzuführen sein.<br />

Zur Visualisierung dieses Sachverhaltes sei auf den bereits bekannten<br />

sensomotorischen Regelkreis hier mit zugeordneten Krankheitsbil<strong>der</strong>n in<br />

Abb. 4 hingewiesen. Hier wird vorab <strong>der</strong> Zusammenhang zwischen Wahrnehmung<br />

und Motorik visualisiert, worauf im folgenden Kapitel noch näher<br />

eingegangen wird.


4.3.3 Motorische Störungen 53<br />

Abb. 4 Sensomotorischer Regelkreis mit zugeordneten<br />

Krankheitsbil<strong>der</strong>n. (vgl. HACHMEISTER, 1997, S. 47)<br />

Klassifiziert nach Ursachen, Symptomatik, Ausmaß und Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Schädigung werden verschiedene Gruppen von Behin<strong>der</strong>ungen bzw.<br />

Schädigungen unterschieden (vgl. HACHMEISTER, 1997, S. 44-45;<br />

SOWA/METZLER, 1989, S. 17-98).


4.3.3 Motorische Störungen 54<br />

1) Schädigungen des ZNS<br />

a) zerebrale Bewegungsstörungen (angeborene, prä- o<strong>der</strong> perinantal)<br />

• Spastik<br />

• Athetose<br />

• Ataxie<br />

• Hypotonie<br />

b) später erworbene zerebrale Bewegungsstörungen (z.B. Gehirnverletzungen)<br />

c) spina bifida (angeborene Rückenmarksschädigung)<br />

d) erworbene Querschnittslähmung<br />

2) Schädigungen ohne Beteiligung des ZNS<br />

a) Gliedmaßenmißbildung<br />

b) Gliedmaßenverlust durch Unfall<br />

c) Gelenkrheuma<br />

d) Glasknochenkrankheit<br />

e) Bluterkrankheit<br />

3) Später auftretende Behin<strong>der</strong>ungen<br />

a) progrediente Muskelerkrankung<br />

b) multiple Sklerose<br />

Ursache und Zeitpunkt <strong>der</strong> Schädigung sind eng miteinan<strong>der</strong> verbunden.<br />

Sowohl erbliche Schäden (wie <strong>bei</strong>spielsweise Chromosomenanomalien),<br />

vor und während <strong>der</strong> Geburt erworbene Schäden (wie Hirnschäden durch<br />

Sauerstoffmangel) o<strong>der</strong> nachträglich auftretende Schädigungen nach<br />

Erkrankungen o<strong>der</strong> Unfällen können die Ursache für motorische Störungen<br />

sein.<br />

Das phänotypische Bild produziert sich, je nach Ausmaß <strong>der</strong> Schädigung,<br />

von leichten Bewegungsstörungen bis hin zu schwersten Formen körperlicher<br />

Behin<strong>der</strong>ungen, <strong>bei</strong> denen wie<strong>der</strong>um mit weiteren (z. B. geistigen)<br />

Behin<strong>der</strong>ungen zu rechnen ist.


4.3.3 Motorische Störungen 55<br />

Die unmittelbaren Auswirkungen körperlicher und motorischer Beeinträchtigungen<br />

auf die Entwicklungsbereiche machen sich bemerkbar in <strong>der</strong><br />

• Reflexauslösung und ihrer Verknüpfung,<br />

• Verän<strong>der</strong>ung von Muskelkraft und Gelenkstellung,<br />

• Ausbildung von Bewegungswahrnehmung, <strong>der</strong> Bewegungsplanung,<br />

<strong>der</strong> Koordination von Bewegung,<br />

• Entwicklung des Körperschemas, z. B. in <strong>der</strong> Sicherheit bezüglich <strong>der</strong><br />

Körperkontrolle, <strong>der</strong> Körperwahrnehmung, <strong>der</strong> bewußten Körperkenntnis<br />

und Steuerung des Körpergefühls, <strong>der</strong> Körperorientierung, <strong>der</strong><br />

Raumvorstellung und -orientierung, sowie <strong>der</strong> Rechts-Links-Unterscheidung,<br />

• Beeinträchtigung hinsichtlich des Aufbaus von Bewegungsmustern,<br />

wie z. B. eine Abstimmung zwischen Bewegungen <strong>bei</strong>m Gehen,<br />

Sitzen, Hüpfen, Liegen, Springen, Laufen, Greifen, Werfen, Festhalten,<br />

Kriechen,<br />

• Integration <strong>der</strong> Sinne Riechen, Fühlen, Schmecken, Tasten, Sehen<br />

und Hören und <strong>der</strong> Verar<strong>bei</strong>tung <strong>der</strong> Wahrnehmungsprozesse,<br />

• Anregung des Bewegungs- und Lagesinns, sowie <strong>bei</strong>m Aufbau von<br />

Stell- und Gleichgewichtsreaktionen.<br />

(vgl. KMK, 1998, S. 3)<br />

Die im Kontext <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t für relevant befundenen Folgen<br />

und Begleiterscheinungen, die <strong>bei</strong> den verschiedenen Formen und Arten<br />

körperlicher und motorischer Beeinträchtigungen auftreten, faßt die ständige<br />

KONFERENZ DER KULTUSMINISTER DER LÄNDER (KMK) in<br />

einem Beschluß aus <strong>dem</strong> Jahre 1998 zusammen.<br />

Demnach ist <strong>bei</strong> körperlichen und motorischen Schäden zu rechnen mit<br />

• einem erschwerten Entwicklungsprozeß bezüglich eines eigenen Körperbildes<br />

und Körperbewußtseins,<br />

• bewegungsbedingten Einengungen <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Bewältigung lebenspraktischer<br />

und unterrichtlicher Aufgaben,


4.3.3 Motorische Störungen 56<br />

• einer nicht altersentsprechenden kognitiven Entwicklung und einem<br />

damit verän<strong>der</strong>ten Lernvermögens und einer "abnormen" Wahrnehmungsbefähigung,<br />

• Hemmnissen in alltäglichen Verrichtungen,<br />

• erschwerten Bedingungen zum Aufbau eines Selbstwertgefühls, <strong>der</strong><br />

Motivation und einer realistischen Einschätzung <strong>der</strong> eigenen Person,<br />

• nicht eindeutig zu interpretierenden Ausdrucksmöglichkeiten und Kommunikationsformen,<br />

• eingeschränkter körperlicher Belastbarkeit und Konzentrationsfähigkeit,<br />

• Erschwernissen im Bereich <strong>der</strong> emotionalen Entwicklung und <strong>der</strong><br />

sozialen Interaktionsmöglichkeiten.<br />

(vgl. KMK, 1998, S. 3)<br />

In welch wechselseitiger Beziehung die Bereiche Wahrnehmung und<br />

Motorik zueinan<strong>der</strong> stehen, wird anhand des folgenden Kapitels erörtert.<br />

4.4 Der Zusammenhang von Wahrnehmung und Bewegung<br />

In diesem Kapitel sollen die zuvor angesprochenen Zusammenhänge<br />

zwischen den Entwicklungsbereichen <strong>der</strong> Wahrnehmung und Motorik<br />

näher konkretisiert werden. Eingeleitet durch ein Zitat von SINNHUBER,<br />

welches die symbiotische Beziehung <strong>bei</strong><strong>der</strong> Gebiete zum Inhalt hat, wird<br />

diese Wechselbeziehung verdeutlicht:<br />

„Wahrnehmung und Bewegung gehören zusammen. Sie<br />

bedingen sich gegenseitig. Je vielfältiger einerseits das Kleinkind<br />

seine Bewegungsfunktionen übt, desto besser funktionieren<br />

seine Sinne. An<strong>der</strong>erseits verbessert ein vermehrtes<br />

Sinnesangebot die Bewegungskoordination und schafft so die<br />

Voraussetzung für eine effektive motorische Lernleistung.“<br />

(SINNHUBER, 1990, S. 10)


4.4 Der Zusammenhang von Wahrnehmung und Bewegung 57<br />

Wenn ein Kind z. B. etwas mit seinen Händen greift, betastet, sozusagen<br />

untersucht, so macht es in <strong>dem</strong> Moment Lernerfahrungen und bekommt<br />

Einsicht und Erkenntnis über Zusammenhänge. Mit <strong>dem</strong> Alter gebraucht<br />

ein Kind seine Hände und Finger immer mehr, bis im Zusammenwirken<br />

von visueller Wahrnehmung und motorischer Handlung (Auge-Hand-<br />

Koordination) eine praktische Intelligenz erkennbar ist (vgl. SINNHUBER,<br />

1990, S. 10).<br />

Um das Gelernte anwenden zu können, muß sich das Kind durch aktives<br />

Handeln mit seiner Umwelt auseinan<strong>der</strong>setzen. Dafür benötigt es motorische<br />

Organe. Um Bewegungen formulieren zu können, muß <strong>der</strong> Körper<br />

auf Gehirnebene über die momentane motorische Situation informiert<br />

werden.<br />

Das Motorik und Wahrnehmung in einem Beziehungsverhältnis stehen<br />

formuliert FRÖHLICH in einem Zitat:<br />

„So wie visuelle, akustische und haptische Reize und Geruchsreize<br />

am Lernprozeß <strong>der</strong> “Wahrnehmung" beteiligt sind, ist auch<br />

die Motorik beson<strong>der</strong>s beteiligt. Körperlage, Körperschema und<br />

propriozeptive Erfahrungen lösen Wahrnehmung aus."<br />

(FRÖHLICH, 1989. S. 43)<br />

Bei <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> Bedeutung von Wahrnehmungs- und Motorikstörungen<br />

für den schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ten Menschen läßt sich feststellen,<br />

daß eine gestörte und reduzierte Bewegungsfähigkeit sich unmittelbar<br />

auf die Ausdifferenzierung <strong>der</strong> Wahrnehmungsfähigkeiten auswirkt.<br />

Man geht zwar davon aus, daß auch <strong>bei</strong> schwerst behin<strong>der</strong>ten Menschen<br />

eine elementare Wahrnehmungsfähigkeit vorhanden ist, diese jedoch<br />

durch eingeschränkte motorische (koordinative) und kognitive Einschränkungen<br />

verursacht, nicht differenziert werden kann (vgl. FRÖHLICH, 1996,<br />

S. 43).<br />

Nur durch vielfältige Bewegungsaktivitäten erfährt das Kind in <strong>der</strong> nachgeburtlichen<br />

Zeit neue Reize und Reizkombinationen. Durch gezielte<br />

Bewegungen lernt ein Kind Wahrnehmung zu integrieren und dieses in ein<br />

konstantes Muster einzuglie<strong>der</strong>n. Ist ein Kind nicht in <strong>der</strong> Lage, Wahrneh-


4.4 Der Zusammenhang von Wahrnehmung und Bewegung 58<br />

mungserfahrungen in Sinnzusammenhänge zu bringen, wirken die erhaltenen<br />

Informationen zusammenhangslos, verunsichernd und ängstigend.<br />

Dies kann ein vermeidendes, inaktives Verhalten <strong>der</strong> behin<strong>der</strong>ten Person<br />

zur Folge haben.<br />

Diese wechselseitige negative Beeinflussung geschädigter Bereiche führt<br />

letztendlich zu einem vermin<strong>der</strong>ten Entwicklungsprozeß (vgl. FRÖHLICH,<br />

1996, S. 43).<br />

Anhand dieser Zusammenhänge ist ersichtlich, daß ein gegenseitiges<br />

aufeinan<strong>der</strong> einwirken von Wahrnehmung und Motorik die Entwicklung<br />

eines Kindes beeinflußt, wenn nicht sogar ausmacht. Um sich entwickeln<br />

zu können, muß es einem Menschen möglich sein, die Welt wahrzunehmen.<br />

Voraussetzung hierfür ist ein störungsfreies Funktionieren <strong>der</strong><br />

Sinneswahrnehmung. Der Mensch nimmt mit seinen Sinnen wahr und bezieht<br />

emotional Stellung dazu. Durch bereits gemachte Erfahrungen wird<br />

dieser Sinneseindruck bewertet und entsprechend gehandelt. Da<strong>bei</strong> entstehen<br />

vielfältige Handlungsmöglichkeiten. Handlungen, die an die Bedingungen<br />

<strong>der</strong> Umwelt angepaßt sind und Handlungen, die auf ein Verän<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Situation hinwirken. So lernt ein Kind aktiv verän<strong>der</strong>nd auf seinen<br />

Lebensbereich einzuwirken (vgl. LINN/HOLTZ, 1987, S. 11).


4.4 Der Zusammenhang von Wahrnehmung und Bewegung 59<br />

Einen Abschluß zum Thema <strong>der</strong> wechselseitigen Beeinflussung von Motorik<br />

und Wahrnehmung soll die Abbildung des Funktionskreises von VON<br />

WEIZSÄCKER zur visuellen Veranschaulichung bilden:<br />

Sinneswahrnehmung<br />

Umwelt<br />

Kind<br />

Bewegungshandlung<br />

Abb. 5<br />

Funktionskreis von VON WEIZSÄCKER<br />

(LINN/HOLTZ, 1987, S. 11)<br />

Reaktionen bzw. Handlungen können neben motorischer auch kommunikativer<br />

Art sein.<br />

Informationen zur Kommunikation werden im nächsten Kapitel zusammengefaßt<br />

erläutert.<br />

4.5 Kommunikation<br />

4.5.1 Begriffsklärung<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Kommunikation steht laut DUDEN ganz global unter an<strong>der</strong>em<br />

für die “Verständigung untereinan<strong>der</strong>“ (vgl. DUDEN, 1982, S. 407).<br />

Eine tiefergehende Definition besagt, daß Kommunikation den für<br />

menschliche Interaktionen und gesellschaftliche Verkehrsformen unerläßliche<br />

Prozeß <strong>der</strong> Informationsvermittlung bezeichnet.<br />

Der Austausch an Informationen vollzieht sich als Botschaft eines<br />

“Sen<strong>der</strong>s“ an einen “Empfänger“. Zu beachten sind hier <strong>der</strong> Inhaltsaspekt,<br />

<strong>der</strong> den Inhalt einer Botschaft betrifft und <strong>der</strong> Beziehungsaspekt, <strong>der</strong> die<br />

subjektive Stellungnahme des Sen<strong>der</strong>s zum Empfänger betrifft. Je<strong>der</strong><br />

Kommunikationsvorgang setzt sich aus einer Verschlüsselung (Encodierung),<br />

<strong>der</strong> Übermittlung (Signalisierung) und <strong>der</strong> Entschlüsselung


4.5 Kommunikation - 4.5.1 Begriffsklärung 60<br />

(Decodierung und Interpretation) zusammen. Soll eine Interaktion<br />

zwischen zwei o<strong>der</strong> mehreren Partnern stattfinden (Interaktionspartner),<br />

so gilt unter diesen als Voraussetzung ein gleiches Zeichensystem (vgl.<br />

DUPIUS/KERKHOFF, 1992, S. 355).<br />

In einem Interaktionsprozeß, <strong>der</strong> von Handlungen jedwe<strong>der</strong> Art abhängig<br />

ist, ist die Kommunikation ein unerläßlicher Bereich.<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Kommunikation läßt ein prozeßhaftes Ereignis in Form<br />

eines Kreislaufsystems erkennen, welches sich wie folgt darstellt:<br />

Ein Mensch handelt. Ein an<strong>der</strong>er bezieht sich und sein Tun darauf, worauf<br />

<strong>der</strong> zuerst Handelnde dessen Äußerung und Handeln wahrnimmt. Er antwortet<br />

wie<strong>der</strong>um mit einem passenden Tun, worauf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e die auf ihn<br />

bezogene Antwort wahrnimmt.<br />

Dieses kreislaufförmige Ereignis wird von MALL als “primäre Kommunikation“<br />

aufgefaßt (vgl. MALL, 1990, S. 35).<br />

Der Mensch ist ein überaus kommunikatives Wesen, welches auf einen<br />

aktiven Austausch mit An<strong>der</strong>en angewiesen ist. Nur so kann er seine<br />

Fähigkeiten entfalten und eine positive Entwicklung durchlaufen.<br />

Die Kommunikation ist lebenswichtiger Bestandteil des Seins. Durch<br />

Kommunikation werden (Grund-)Bedürfnisse, Emotionen, Wünsche, Mißfallen<br />

etc. geäußert und in eine Beziehungsstruktur zu <strong>dem</strong> bzw. den Mitmenschen<br />

gesetzt, um generell Beziehungen zu ermöglichen, aber auch<br />

persönliche Grenzen aufzuzeigen.<br />

Im Sinne <strong>der</strong> Interaktionsmöglichkeit erfährt <strong>der</strong> Mensch nach MALL eine<br />

positive Form <strong>der</strong> Kommunikation, unter <strong>der</strong> er das Schaffen von Verbindungen<br />

bzw. Beziehungen durch Verständigung versteht. Sie kann zur<br />

Unterstützung <strong>der</strong> verbalen Kommunikation sowohl in lautsprachlichen<br />

Äußerungsformen, als auch in nonverbaler Kommunikation z. B. durch<br />

Gestik, Mimik und Körperhaltung ihren Ausdruck finden.<br />

Aus diesem Sachverhalt heraus folgt, daß es eine negative Form <strong>der</strong><br />

Kommunikation gibt. Sie ist gekennzeichnet durch das Verhin<strong>der</strong>n einer<br />

Verbindung bzw. einem Abbrechen dieser (vgl. MALL, 1990, S. 32).


4.5 Kommunikation - 4.5.1 Begriffsklärung 61<br />

Kommt ein kommunikatives Ereignis gar nicht zustande o<strong>der</strong> wird unterbrochen,<br />

bedeutet dies noch lange nicht, daß keine Verständigung untereinan<strong>der</strong><br />

möglich ist. Dazu äußert sich THÜMMEL:<br />

„Es ist nicht möglich, nicht zu kommunizieren.“<br />

(THÜMMEL, 1999, o. S.)<br />

Im Falle <strong>der</strong> Menschen, die von einer Behin<strong>der</strong>ung, insbeson<strong>der</strong>e<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung betroffen sind, ist <strong>dem</strong>nach eine negative<br />

Kommunikation vorhanden. Welche Folgen Störungen des kommunikativen<br />

Bereichs auf Menschen mit schwersten Behin<strong>der</strong>ungen haben,<br />

wird im nächsten Kapitel beschrieben.<br />

4.5.2 Kommunikationsstörungen und <strong>der</strong>en Folgen<br />

Aufgrund <strong>der</strong> Komplexität <strong>der</strong> zu beobachtenden Phänomene werden hier<br />

schwerpunktmäßig Kommunikationsstörungen aufgeführt, die <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Personengruppe<br />

schwerst(körper)behin<strong>der</strong>ter Kin<strong>der</strong> zu beobachten sind.<br />

Sie sind repräsentativ für die Stichprobe <strong>der</strong> am <strong>Filzen</strong> beteiligten Kin<strong>der</strong><br />

ausgewählt.<br />

Im Anschluß an dieses Kapitel werden Kommunikationsformen beschrieben,<br />

die im Falle <strong>der</strong> fehlenden Lautsprache als Kommunikationsmöglichkeiten<br />

dienen können.<br />

Kin<strong>der</strong> mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung sind in ihrer verbalen<br />

und/o<strong>der</strong> nonverbalen Kommunikationsbefähigung sehr stark beeinträchtigt.<br />

In <strong>der</strong> Betrachtung schwerst zerebralbewegungsgestörter Kin<strong>der</strong> sind<br />

Sprachbehin<strong>der</strong>ungen in Form von schweren Anarthrien o<strong>der</strong> Dysarthrien<br />

zu beobachten.<br />

Anarthrien sind durch das Unvermögen Sprechäußerungen zu artikulieren<br />

gekennzeichnet. Häufig fehlt es an einem deutlich erkennbaren Sprachverständnis.<br />

Hervorgerufen ist die Anarthrie durch schwerste Schädigungen<br />

<strong>der</strong> für die Sprechmotorik verantwortlichen Bahnen und Zentren.


4.5.2 Kommunikationsstörungen und <strong>der</strong>en Folgen 62<br />

Dysarthrien hingegen sind Störungen, die den gesamten Sprechvorgang<br />

betreffen und zu einer für die Bezugsperson schwer verständlichen<br />

Sprache führen. In diesem Fall geht man von einem deutlichen Sprachverständnis<br />

aus. Die Ursache für diese Form <strong>der</strong> Störung liegt in einer Schädigung<br />

<strong>der</strong> am Sprechvorgang beteiligten Nerven, die zu einer Lähmung<br />

o<strong>der</strong> Koordinationsstörung <strong>der</strong> zum Sprechen benötigten Muskulatur führt<br />

(vgl. DUPIUS/KERKHOFF, 1992, S. 21, 144; HEDDERICH, 1995, S. 183).<br />

Schwerste Formen von Kommunikationsstörungen haben für die betroffene<br />

Person folgenschwere Auswirkungen.<br />

Die Kommunikation ist zu einem wesentlichen Teil an <strong>der</strong> menschlichen<br />

Selbstverwirklichung beteiligt. Ist die Kommunikation gestört, so treten<br />

Defizite auf, die sich auf verschiedenen Ebenen bewegen.<br />

Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich<br />

• <strong>der</strong> Kennzeichnung <strong>der</strong> Identität,<br />

• des Ausdrucks über den inneren Zustand,<br />

• <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ungen,<br />

• <strong>der</strong> Wissensvermittlung,<br />

• <strong>der</strong> Interaktionsherstellung,<br />

• <strong>der</strong> Regulation von Beziehungen<br />

sind zu erwarten.<br />

Nach FRÖHLICH entspricht nur ein Zusammenwirken dieser Funktionen<br />

<strong>dem</strong> tatsächlichen Kommunikationsbedürfnis von Menschen. Eine Herausson<strong>der</strong>ung<br />

von Einzelfunktionen würde eine Isolation und Verarmung<br />

zur Folge haben (vgl. FRÖHLICH, 1996, S. 49).<br />

Durch die gestörte Kommunikationsfähigkeit suchen sich Menschen mit<br />

schwerstmehrfachen Behin<strong>der</strong>ungen oft an<strong>der</strong>e Formen, um Verbindungen<br />

zur sozialen Umwelt aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Dies gelingt<br />

ihnen aber nur unter intensiver Mithilfe von Bezugspersonen.


4.5.2 Kommunikationsstörungen und <strong>der</strong>en Folgen 63<br />

Unter Berücksichtigung <strong>der</strong> ganzheitlichen Entwicklung und <strong>dem</strong> damit<br />

verbundenen Lernprozeß können im Falle einer vorhandenen Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

Lernprozesse nur in Gang kommen und fortgeführt<br />

werden, wenn es eine Bezugsperson gibt, die sich <strong>dem</strong> Kind individuell<br />

über einen längeren Zeitraum zuwenden kann (vgl. HAHN, 1998, S. 55).<br />

Ist eine Person <strong>der</strong> Lautsprache nicht mächtig, so ist zum Aufbau von<br />

kommunikativer Interaktion zum Beispiel <strong>der</strong> körpernahe Dialogaufbau ein<br />

Mittel zwischenmenschlichen Austausches.<br />

„Der unmittelbare leibliche Kontakt zwischen Erzieher und<br />

Erziehenden stellt <strong>bei</strong> schwerer geistiger Behin<strong>der</strong>ung eine<br />

grundlegende Weise des Austausches subjektiver Sinnstiftungen,<br />

also <strong>der</strong> Kommunikation, dar....die leibliche Kommunikation<br />

begründet die weitere Entwicklung...“.<br />

(PFEFFER zitiert nach FRAGNER, 1991, S. 45)<br />

Dies ist nur eine Möglichkeit mit einer schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ten<br />

Person in Kontakt zu treten.<br />

Aufschluß über nonverbale Formen <strong>der</strong> Kommunikation gibt das anschließende<br />

Kapitel.<br />

4.5.3 Kommunikationsformen<br />

Bei <strong>der</strong> Beschreibung und Beurteilung menschlicher Kommunikation<br />

unterscheidet man die Kommunikationsform von <strong>der</strong> Kommunikationsfunktion.<br />

Während die Kommunikationsformen alle sichtbaren und hörbaren<br />

Verhaltenselemente, die eine Person äußert zusammenfaßt, bezeichnet<br />

die Kommunikationsfunktion die dahinterstehende Absicht.<br />

Menschen ohne Lautsprache suchen sich an<strong>der</strong>e alternative Kommunikationsformen<br />

und versuchen über viele Kommunikationskanäle mit uns zu<br />

kommunizieren. Die wichtigsten sind im Folgenden aufgeführt:<br />

• Blickverhalten,<br />

• Gebärden,


4.5.3 Kommunikationsformen 64<br />

• Gestik,<br />

• Mimik,<br />

• Körperbewegung,<br />

• Tätigkeiten,<br />

• verbale und vokale Äußerungen,<br />

• Handbewegungen.<br />

Einen weiteren Hinweis auf die Befindlichkeit einer Person geben Muskelanspannung,<br />

Körpertemperatur, Körperhaltung und Atmung (vgl. KRI-<br />

STEN, 1994, S. 39).<br />

Um Beziehungen entstehen zu lassen, müssen Kontakte intensiv und bewußt<br />

gestaltet werden. Eine Bezugsperson muß lernen, kleinste Zeichen<br />

als Mitteilung zu entdecken und zu verstehen. Nur so ist eine Kommunikation<br />

und ein Austausch von Informationen im Sinne einer Encodierung,<br />

Signalisierung, Decodierung und Interpretation möglich.<br />

Über Bezugspersonen als Medium haben auch nichtsprechende<br />

Menschen die Möglichkeit, ihre Empfindungen und Emotionen verständlich<br />

und für An<strong>der</strong>e zugänglich zu machen, wo<strong>bei</strong> man anmerken sollte,<br />

daß es sich immer um eine subjektive Beurteilung von Außenstehenden<br />

handelt.<br />

Abschließend sei erwähnt, daß auch zwischen schweren kommunikativen<br />

Beeinträchtigungen und den benachbarten Entwicklungsbereichen <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung, Körpererfahrung, kognitiven Entwicklung, <strong>dem</strong> emotionalen<br />

Bereich und <strong>der</strong> Sozialerfahrung eine wechselseitige Beziehung<br />

besteht. Diese ist je nach Sichtweise, mal mehr o<strong>der</strong> mal weniger ausgeprägt<br />

und unterliegt <strong>der</strong> subjektiven Bewertung des Betrachters.


4.5.3 Kommunikationsformen 65<br />

Wahrnehmung<br />

Sozialerfahrung<br />

Kognition<br />

Kommunikation<br />

Gefühle<br />

Bewegung<br />

Körpererfahrung<br />

Abb. 6 Modell zur Ganzheitlichkeit <strong>der</strong> Entwicklung (vgl. FRÖHLICH, 1996, S. 50)<br />

Um die Folgen von Störungen in den menschlichen Entwicklungsbereichen<br />

entgegenzuwirken, bedarf es einem individuell angepaßten Konzept<br />

zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschen, die von einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

betroffen sind. Um sich einen Überblick über mögliche För<strong>der</strong>konzepte<br />

verschaffen zu können, wird im folgenden Kapitel eine Auswahl an<br />

För<strong>der</strong>maßnahmen beschrieben.<br />

5 Das kombinierte Konzept als Beispiel zur För<strong>der</strong>ung von Menschen<br />

mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

Die spezielle För<strong>der</strong>ung von Menschen mit schwerster mehrfacher Behin<strong>der</strong>ung<br />

steht im Mittelpunkt dieses Kapitels, um einem besseren Verständnis<br />

und <strong>der</strong> Vorbereitung auf “Teil B“ <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t zu dienen.<br />

Bei den För<strong>der</strong>konzepten für behin<strong>der</strong>te Menschen geht es primär darum,<br />

die Personen aus ihrer durch die Behin<strong>der</strong>ung bedingte Isolation ein Stück


5 Das kombinierte Konzept als Beispiel zur För<strong>der</strong>ung von Menschen mit einer<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 66<br />

heraus zu holen. Dafür ist es notwendig, die hierfür verwendeten Methoden<br />

individuell auf die Bedürfnisse und die Voraussetzungen <strong>der</strong> betroffenen<br />

Person abzustimmen.<br />

Um sich einen Überblick über Verfahren und Ansätze zur För<strong>der</strong>ung<br />

schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter Menschen zu verschaffen gibt FRÖHLICH<br />

(vgl. FRÖHLICH, 1998, S. 119-120), in Anlehnung an FISCHER (1978),<br />

ein stufenförmiges Schema zur son<strong>der</strong>pädagogischen För<strong>der</strong>ung mit<br />

<strong>der</strong>en Inhalten und Zielen wie folgt wie<strong>der</strong>:<br />

1. Stufe: Methode <strong>der</strong> basalen Stimulation (nach FRÖHLICH)<br />

Inhalt/Ziel: Körpernahes Angebot gezielter Reize aus <strong>dem</strong> Bereich <strong>der</strong><br />

Sensorik zur Aktivierung und Bereicherung <strong>der</strong><br />

Lebenssphäre eines Kindes.<br />

2. Stufe: Passives Lernangebot (nach FISCHER, EICHLER etc.)<br />

Inhalt/Ziel: Körpernahes Angebot von Reizen, um mit <strong>der</strong> Zeit bestimmte<br />

Reaktionen auszulösen;<br />

Bedingte und unbedingte Reflexe sollen geordnet werden.<br />

3. Stufe: Basale Aktivierung; Aktives Lernangebot (nach EICHLER,<br />

FISCHER, BAUER etc.)<br />

Inhalt/Ziel: Lernen im Signal-System;<br />

<strong>der</strong> Aktionsraum soll erweitert werden;<br />

vorhandene Reaktionen werden stabilisiert, aktiviert, gefestigt<br />

und an bestimmtes Material gebunden.<br />

4. Stufe: Elementarer Verhaltensaufbau (nach PIAGET etc.)<br />

Inhalt/Ziel: Vorhandenes Aktions- und Reaktionspotential wird an Objekte<br />

gebunden und zu einfachsten Tätigkeiten geformt und<br />

kanalisiert;<br />

Entwicklung eines sensomotorischen Schemas unter Gewinnung<br />

<strong>der</strong> Basisfähigkeiten.


5 Das kombinierte Konzept als Beispiel zur För<strong>der</strong>ung von Menschen mit einer<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 67<br />

5. Stufe: Gezielter Auf- und Ausbau von Grundfertigkeiten und lebenspraktischen<br />

Leistungen<br />

Inhalt/Ziel: Handlungsschemata wie z.B. spielen, werden aufgebaut;<br />

Erlernen lebenspraktischer Tätigkeiten, um <strong>bei</strong>spielsweise<br />

“selbst essen zu können“.<br />

6. Stufe: Situationsangewandtes bzw. -bezogenes Lernen<br />

Inhalt/Ziel: Erfahrungsgewinnung durch bestimmte Umweltsituationen,<br />

erwerben lebenspraktischer Tüchtigkeit und Verbesserung<br />

bereits vorhandener Tüchtigkeit.<br />

FRÖHLICH weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die basale<br />

Stimulation eine grundlegende Rolle spielt, die aber zugunsten pädagogischer<br />

Konzepte auch schnell wie<strong>der</strong> gewechselt werden sollte. Desweiteren<br />

macht er darauf aufmerksam, daß z. B. zerebralbewegungsgestörte<br />

Kin<strong>der</strong> möglicherweise an<strong>der</strong>e Basistherapien benötigen könnten (vgl.<br />

FRÖHLICH, 1998, S. 120).<br />

Je nach Art/Grad <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung und <strong>dem</strong> vorliegen einer Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

haben schwerstbehin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong> einen För<strong>der</strong>bedarf auf verschiedensten<br />

Gebieten.<br />

Daher hat sich in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter Menschen<br />

eine Kombination aus diversen son<strong>der</strong>pädagogischen und therapeutischen<br />

För<strong>der</strong>konzepten bewährt, die ihre Anlehnung an das eben angeführte<br />

stufenförmige Schema findet.<br />

Nach einem kurzen Überblick über die wichtigsten, zum kombinierten<br />

Konzept gehörenden För<strong>der</strong>ansätze, werden innerhalb <strong>der</strong> Ausführung<br />

Schwerpunkte gesetzt, die sich aus <strong>der</strong> praktischen Durchführung <strong>der</strong> vorliegenden<br />

Ar<strong>bei</strong>t ergeben haben.<br />

Unter Berücksichtigung <strong>der</strong> heterogenen Zusammensetzung <strong>der</strong> Personengruppe<br />

“Menschen mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung“, zielt das<br />

kombinierte Konzept darauf hin, <strong>dem</strong> Betroffenen aus verschiedenen För<strong>der</strong>konzepten<br />

ein passendes Angebot zur Verbesserung seiner persönlichen<br />

Situation zu verschaffen. Da<strong>bei</strong> ist die individuelle Ausgangssituation<br />

einer jeden Person zu beachten.


5 Das kombinierte Konzept als Beispiel zur För<strong>der</strong>ung von Menschen mit einer<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 68<br />

Das kombinierte Konzept <strong>bei</strong>nhaltet<br />

• das Isolationstraining und die sensomotorische Entwicklungsför<strong>der</strong>ung<br />

nach KIPHARD und DELACATO,<br />

• die basale Aktivierung nach BREITINGER/FISCHER,<br />

• das integrierte Lernen nach HAUPT/FRÖHLICH,<br />

• die psychomotorische Übungsbehandlung und krankengymnastische<br />

Therapie,<br />

• die entwicklungspsychologischen Erkenntnisse nach PIAGET<br />

• die basale Stimulation nach FRÖHLICH<br />

(vgl. DANK, 1988, S. 13).<br />

Um sich einen Überblick über die konzeptionellen Grundgedanken eines<br />

jeden einzelnen För<strong>der</strong>ansatzes zu verschaffen, werden diese nun im einzelnen<br />

kurz vorgestellt.<br />

Die Beschreibung wendet sich <strong>dem</strong> Gedanken des Gesamtkonzeptes und<br />

des Übungsangebotes zu, aus <strong>dem</strong> je nach individuellem Bedarf eine Auswahl<br />

an För<strong>der</strong>konzepten für die betreffende Person getroffen werden<br />

kann.<br />

5.1 Isolationstraining nach KIPHARD und DELACATO<br />

Das Isolationstraining versteht sich als Desensibilisierungsprogramm für<br />

autistische Kin<strong>der</strong>.<br />

Ziel <strong>der</strong> För<strong>der</strong>maßnahme ist das Training isolierter Sinne und <strong>der</strong>en spezifischer<br />

Wahrnehmung durch ein entsprechendes Reizangebot (z.B. nur<br />

Tasten, Sehen o<strong>der</strong> Hören). Zu einem späteren Zeitpunkt sollen die Anregungen<br />

soweit formuliert werden, daß es zu einer Koordination von<br />

Reizaufnahme, Verar<strong>bei</strong>tung und Reaktion kommt (vgl. DANK, 1988, S.<br />

36).


5.2 Sensomotorische Entwicklungsför<strong>der</strong>ung nach KIPHARD und DELACATO 69<br />

5.2 Sensomotorische Entwicklungsför<strong>der</strong>ung nach KIPHARD und<br />

DELACATO<br />

Das sensomotorische Entwicklungsprogramm sieht Übungen zur Therapie<br />

sensomotorischer Entwicklungsverzögerungen <strong>bei</strong> leichter zerebraler<br />

Schädigung vor.<br />

Die Übungsangebote beziehen sich auf die För<strong>der</strong>ung kinästhetischer<br />

(Bewegungsempfindungs-), olfaktorischer (Geruchs-) und gustatorischer<br />

(Geschmacks-)Wahrnehmung und die Bereiche <strong>der</strong> Fortbewegung, Augenfunktion,<br />

Sprechfunktion und Handgeschicklichkeit (vgl. DANK, 1988,<br />

S. 36-37).<br />

5.3 Basale Aktivierung nach BREITINGER/FISCHER<br />

Der konzeptionelle Grundgedanke <strong>der</strong> basalen Aktivierung beruht auf<br />

einem didaktisch-methodischen Ansatz, <strong>der</strong> vor allem <strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n mit<br />

einer schweren Form <strong>der</strong> geistigen Behin<strong>der</strong>ung in Betracht gezogen wird,<br />

<strong>der</strong>en Entwicklungsalter über das <strong>der</strong> ersten Lebensmonate hinausgeht<br />

(vgl. DANK, 1988, S. 37; JAKOBS, 1991, S. 21).<br />

Da<strong>bei</strong> spielen vier lebensbedeutende Aufgabenfel<strong>der</strong> eine Rolle:<br />

Der schwerbehin<strong>der</strong>te Mensch soll in <strong>der</strong> Verrichtung <strong>der</strong> existenziellen<br />

Grundbedürfnisse geför<strong>der</strong>t werden. Darüber hinaus gilt als Zielsetzung<br />

<strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> Grundfunktionen, die Anbahnung <strong>der</strong> Grundaktivitäten, die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Grundfertigkeiten und die Hemmung pathologischer Verhaltensmuster.<br />

Weitere Inhalte des Konzepts for<strong>der</strong>n die Möglichkeit <strong>der</strong> Orientierungshilfe<br />

in <strong>der</strong> Umwelt und die Ermittlung individueller Lebensaufgaben (vgl.<br />

DANK, 1988, S. 37).


5.4 Integrierte För<strong>der</strong>ung nach HAUPT/FRÖHLICH 70<br />

5.4 Integrierte För<strong>der</strong>ung nach HAUPT/FRÖHLICH<br />

Dieser ganzheitliche Ansatz, <strong>der</strong> als eine Erweiterung des Konzepts <strong>der</strong><br />

basalen Stimulation nach FRÖHLICH aufgefaßt wird, zielt auf die Personengruppe<br />

schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter Kin<strong>der</strong> hin, <strong>der</strong>en Entwicklungsalter<br />

um ca. sechs Lebensmonate liegt.<br />

In <strong>der</strong> integrierten För<strong>der</strong>ung geht es um die Einordnung <strong>der</strong> individuellen<br />

För<strong>der</strong>schwerpunkte in die jeweiligen Lebenssituationen, die von Seiten<br />

<strong>der</strong> Bezugsperson geleistet werden muß. Solche Schwerpunkte liegen in<br />

<strong>dem</strong> Aufbau von Beziehungen zu an<strong>der</strong>en Menschen, <strong>dem</strong> Umgang mit<br />

<strong>der</strong> dinglichen Umwelt, <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Interaktionsfähigkeit und <strong>der</strong><br />

Erfahrungssammlung von Handlungs- und Erlebnismomenten.<br />

Situationen, in die diese Schwerpunkte zur individuellen För<strong>der</strong>ung einzuglie<strong>der</strong>n<br />

sind, sind zum einen Alltagssituationen innerhalb <strong>der</strong> Familie,<br />

Freizeitsituationen, Ar<strong>bei</strong>tssituationen und Situationen, die sich im Umgang<br />

mit <strong>der</strong> dinglichen Umwelt (wie Pflanzen und Naturmaterialien)<br />

ergeben (vgl. DANK, 1988, S. 24, 37).<br />

5.5 Psychomotorische Übungsbehandlung<br />

Die psychomotorische Praxis bezieht sich grundlegend auf Kin<strong>der</strong> mit<br />

einer Körperbehin<strong>der</strong>ung (vgl. HACHMEISTER, 1997, S. 11, 88).<br />

Ausgangspunkt für diese Form <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung ist eine gestörte motorische<br />

Befähigung und die damit negative Auswirkung auf die Gesamtsituation<br />

<strong>der</strong> betroffenen Person.<br />

Die Psychomotorik beschreibt den Zusammenhang zwischen den geistigseelischen,<br />

also psychischen Komponenten und den willkürlichen Bewegungsanteilen<br />

(Motorik) eines Menschen:<br />

„Psychomotorik entsteht aus einer Wechselwirkung von Wahrnehmen,<br />

Erleben, Handeln (psychische Faktoren) und Sich-<br />

Bewegen (motorische Faktoren).“<br />

(LINN/HOLTZ, 1987, S. 11-12)


5.5 Psychomotorische Übungsbehandlung 71<br />

Unter <strong>dem</strong> Wirkungskreis <strong>der</strong> Sinnes- und Wahrnehmungsschulung soll<br />

eine Kompensation <strong>der</strong> Störung erzielt werden.<br />

Aus diesem Grund wird in <strong>der</strong> psychomotorischen Übungsbehandlung ein<br />

För<strong>der</strong>angebot für Störungen, die die Bereiche Wahrnehmung, Motorik<br />

und Verhalten betreffen, angewendet.<br />

Im sensorischen Teilgebiet werden optische und akustische Orientierungsstörungen,<br />

Tastsinn-, Körper- und Raumorientierungsschwächen<br />

geschult.<br />

Die motorische Komponente betreffend werden<br />

• Bewegungsverarmung,<br />

• Bewegungsverlangsamung,<br />

• Bewegungsunruhe,<br />

• Gleichgewichtsstörungen,<br />

• Schwerfälligkeit,<br />

• Vermin<strong>der</strong>ung des Kraftaufwandes,<br />

• sprachmotorische Störungen,<br />

• Auge-Hand-Koordination<br />

gezielt angegangen.<br />

Auftretende Verhaltensstörungen, wie Störungen des Selbstwertgefühls,<br />

Aggressionen, Kontaktarmut und Leistungsflucht sollen in <strong>der</strong> psychomotorischen<br />

Therapie entgegengewirkt werden (vgl. DANK, 1988, S. 25-28,<br />

37).<br />

Zusammengefaßt verfolgt die psychomotorische Übungsbehandlung zwei<br />

Schwerpunkte. Zum Einen versucht man durch frühe Feststellung motorischer<br />

Störungen diesen entgegen zu wirken. Zum An<strong>der</strong>en besteht die<br />

Aufgabe darin, angelegte Fähigkeiten zu erkunden und gezielt zu aktivieren.<br />

Hauptziel psychomotorischer För<strong>der</strong>ung ist die Erweiterung <strong>der</strong> Handlungsfähigkeit,<br />

wodurch ein größeres Repertoire an Handlungsmustern<br />

erlernt wird, welches sich positiv auf das Reaktionsverhalten des betref-


5.5 Psychomotorische Übungsbehandlung 72<br />

fenden Kindes gegenüber den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Umwelt auswirkt. Dem<br />

Kind sollen Hilfen geboten werden, seinen Körper mit all seinen motorischen<br />

Möglichkeiten besser kennenzulernen. Wichtig ist es, die Kin<strong>der</strong><br />

anzuleiten, ihren eigenen Körper mit seinen Einschränkungen zu akzeptieren,<br />

um damit über eine höhere Identifikation zur eigenen Persönlichkeit<br />

ein autonomeres Verhalten zu bewirken (vgl. HACHMEISTER, 1997,<br />

S. 88).<br />

5.6 Physiotherapie<br />

Die krankengymnastische Behandlung (Physiotherapie) ist erwiesenermaßen<br />

<strong>bei</strong> allen Körperbehin<strong>der</strong>ungen unerläßlich.<br />

Voraussetzung zur krankengymnastischen Therapie ist das Auftreten<br />

motorischer Störungen. Dazu zählen z. B. Haltungsschäden, Muskelerkrankungen,<br />

infantile Zerebralparesen (frühkindliche, durch Hirnschädigung<br />

verursachte Bewegungsstörungen), Kin<strong>der</strong>lähmung etc., sowie temporär<br />

eingeschränkte Bewegungsfähigkeiten, bedingt durch aufgetretene<br />

Verletzungen, wie <strong>bei</strong>spielsweise Knochenbrüche, usw.. Bei <strong>der</strong> krankengymnastischen<br />

Behandlung geht es darum, die Bewegungsfähigkeit<br />

wie<strong>der</strong> herzustellen, zu erhalten o<strong>der</strong> zu verbessern (vgl. LEYEN-<br />

DECKER/KALLENBACH, 1989, S. 104).<br />

Innerhalb <strong>der</strong> krankengymnastischen Anwendung versucht <strong>der</strong> Therapeut<br />

die motorischen Mißstände aufzuar<strong>bei</strong>ten bzw. zu minimieren. Die kausaltherapeutische<br />

Behandlungsmethode versucht kompensatorisch zu<br />

wirken und ein normales Gleichgewicht, eine normale Körperhaltung und<br />

ein normales Bewegungsmuster zu bewirken, in<strong>dem</strong> pathologische Verhaltensmuster<br />

z. B. Reflexe unterdrückt werden (vgl. DANK, 1988, S. 37).<br />

Zur Behandlung zerebralbewegungsgestörter Kin<strong>der</strong> werden Therapieansätze<br />

eingesetzt, die die neuromuskuläre bzw. neuromotorische Koordination<br />

durch neurophysiologische Anreize verbessern soll. In <strong>der</strong> Regel<br />

werden diesbezüglich die Therapien nach BOBATH und VOJTA angewendet<br />

(vgl. LEYENDECKER/KALLENBACH, 1989, S. 105).


5.6 Physiotherapie 73<br />

Bei <strong>der</strong> Therapie nach BOBATH handelt es sich nicht um ein festgelegtes<br />

Programm zur Bewegungsbehandlung, son<strong>der</strong>n mehr um eine Zusammenstellung<br />

von Behandlungsprinzipien zur Anregung <strong>der</strong> Entwicklung<br />

eines Kindes. Neben <strong>dem</strong> neuromuskulären bzw. neuromotorischen<br />

Bewegungstraining gilt es auch, die intellektuelle, emotionale, psychische<br />

und soziale Komponente zu för<strong>der</strong>n.<br />

Diese Behandlungsform stützt sich auf das Prinzip, pathologische Bewegungsmuster<br />

zu unterbinden, um normale Bewegungsmuster anzubahnen.<br />

Diese reflexhemmende Handhabung (handling) wird z. B. durch Beklopfen<br />

bestimmter Muskelgruppen, die dadurch entwe<strong>der</strong> eine Stimulation<br />

o<strong>der</strong> Hemmung erfahren, hervorgerufen. Ansatzpunkte hierfür sind<br />

Schlüsselpunkte im Bereich des Kopfes, <strong>der</strong> Schulter und <strong>der</strong> Hüfte (vgl.<br />

LEYENDECKER/KALLENBACH, 1989, S. 105).<br />

Die Therapie nach VOJTA, die nach genau festgelegten Behandlungstechniken<br />

vorgeht, verfolgt den Ansatz, durch Reflexe (Fort-)Bewegungen<br />

auszulösen.<br />

Durch Fixieren <strong>der</strong> Person und ausgeübten Druck auf bestimmte Körperzonen,<br />

wie z. B. Brust, Ellenbogen und Unterarm, werden die Muskel- und<br />

Sehnenrezeptoren <strong>der</strong>art gereizt, daß es zur Kontraktion <strong>der</strong> entsprechenden<br />

Muskulatur kommt. Kritisch sei an dieser Stelle angemerkt, daß<br />

<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Methode nach VOJTA den Kin<strong>der</strong>n Bewegungen aufgezwungen<br />

werden, welches sie häufig mit Weinen und Schreien kommentieren (vgl.<br />

LEYENDECKER/KALLENBACH, 1989, S. 105).<br />

Weitere behin<strong>der</strong>ungspezifisch angewendete krankengymnastische<br />

Methoden finden hier kurz, ohne nähere Ausführung, ihre Erwähnung.<br />

Zunächst wäre die DOMAN-DELACATO-Therapie zu nennen, die sich<br />

nicht nur auf bewegungsspezifische Reize, son<strong>der</strong>n auch auf Wahrnehmungsanreize<br />

bezieht. Zusammengefaßt werden Entwicklungsanreize in<br />

Bewegungsbereichen des Handgeschicks, des Sprechens, <strong>der</strong> Fortbewegung<br />

und den Bereichen <strong>der</strong> Tasterfahrung, des Sehens und des<br />

Hörens angeboten.


5.6 Physiotherapie 74<br />

Während nach <strong>der</strong> Methode von KNOTT und KABAT ein komplexe Bewegungsmuster<br />

durch neuromuskuläre Stimulierung erfolgen, zielt die<br />

Wasser- und Schwimmtherapie nach Mc MILLAN auf die Stabilisierung<br />

und Erweiterung <strong>der</strong> Bewegungsmuster hin. Sie versucht die Muskulatur<br />

zu kräftigen und das Koordinationsvermögen zu verbessern, in<strong>dem</strong> <strong>der</strong><br />

Tonus einer Spastik vermin<strong>der</strong>t werden soll.<br />

Die letztgenannte neuromotorische Entwicklungstherapie nach<br />

CASTILLO-MORALES zielt darauf ab, daß durch die Fingerkuppen, wie<br />

<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Akkupressur, Hautregionen gereizt werden. Dieses führt zu einer<br />

motorischen Reaktion wie z. B. Armbeugen o<strong>der</strong> einer Beinstreckung.<br />

Abschließend ist zu erwähnen, daß eine krankengymnastische (physiotherapeutische)<br />

Anwendung dann beson<strong>der</strong>s erfolgversprechend ist, wenn<br />

sie recht früh zur Anwendung kommt, da das Nervensystem eines jüngeren<br />

Kindes unreifer ist und sich Bewegungsanomalien besser beeinflussen<br />

lassen (vgl. LEYENDECKER/KALLENBACH, 1989, S. 105-106).<br />

5.7 Entwicklungspsychologische Erkenntnisse nach PIAGET<br />

Die entwicklungspsychologische Theorie nach PIAGET, die die Grundlage<br />

zur För<strong>der</strong>diagnostik <strong>bei</strong> <strong>dem</strong> Personenkreis <strong>der</strong> Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ten<br />

bildet, betrachtet die stufenförmige Entwicklung eines Kindes<br />

unter <strong>dem</strong> Aspekt <strong>der</strong> Anbahnung eines sensomotorischen Prozesses<br />

(Regelkreises), welcher die Entwicklung eines Kindes bestimmt (vgl.<br />

DANK, 1988, S. 37).<br />

An dieser Stelle sei nochmals in Erinnerung gerufen, daß die Entwicklung<br />

ein ganzheitlicher Prozeß ist, <strong>der</strong> nicht nur den ganzen Menschen in all<br />

seinen Einzelaspekten betrifft, son<strong>der</strong>n im Kontext zu seinem Umfeld zu<br />

sehen ist, aus <strong>dem</strong> er nicht zu lösen ist (vgl. MALL, 1990, S. 31).<br />

Unter Berücksichtigung einer von <strong>der</strong> Norm abweichenden Entwicklung<br />

eines Kindes, kann hier nur vergleichend gear<strong>bei</strong>tet werden. Das heißt,<br />

daß das betreffende Kind gemäß seines Entwicklungsstandes beurteilt<br />

und eingeschätzt werden muß, ohne eine altersentsprechende Zuweisung


5.7 Entwicklungspsychologische Erkenntnisse nach PIAGET 75<br />

nach PIAGET, <strong>der</strong> gewisse Entwicklungsstufen einem entsprechenden<br />

Alter zuordnet, machen zu können (vgl. DANK, 1988, S. 37).<br />

In diesem Zusammenhang sei auf die Ausführungen zur kindlichen Entwicklung<br />

PIAGET´s in “Kapitel 4.1 Entwicklung kognitiver Fähigkeiten“,<br />

S. 29 verwiesen.<br />

5.8 Basale Stimulation nach FRÖHLICH<br />

Unter <strong>der</strong> basalen Stimulation wird eine Methode verstanden, die sich an<br />

den Grundprinzipien eines Menschen orientiert und sich zur intensiven<br />

und ganzheitlichen För<strong>der</strong>ung für Menschen mit schweren o<strong>der</strong> schwersten<br />

Formen von Behin<strong>der</strong>ungen eignet.<br />

Da<strong>bei</strong> wird <strong>der</strong> Mensch in seiner “Leib- Seele- Geist- Einheit“ betrachtet<br />

und das Element des Körpers zum Gegenstand <strong>der</strong> praktischen Durchführung<br />

gemacht. Der Körper ist die Grundlage zur Kontaktaufnahme zwischen<br />

<strong>der</strong> von einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung betroffenen Person<br />

und <strong>der</strong> Umwelt. Der Körper wird hier als Raum, in <strong>dem</strong> alle Austauschprozesse<br />

stattfinden gesehen, sozusagen als Träger <strong>der</strong> Vorgänge<br />

(vgl. DREHER, 1991, S. 63).<br />

Methodisch betrachtet handelt es sich <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Praktizierung <strong>der</strong> basalen<br />

Stimulation nicht um eine Behandlungsmethode, die darauf hinzielt das<br />

Kind passiven Reizen auszusetzen und auf die Stufe des “zu Behandelnden“<br />

zu reduzieren. Vielmehr soll <strong>der</strong> Mensch mit schwerster Behin<strong>der</strong>ung<br />

in einen gemeinsam aktiven Vorgang eingebunden werden, um von dort<br />

aus möglicherweise minimalste, für die Bezugsperson manchmal nicht<br />

sofort ersichtliche, Verhaltensweisen auf- und ausbauen zu können. Da<strong>bei</strong><br />

kommt es zu einer intensiven Wechselbeziehung zwischen Therapeut,<br />

Pädagogen und <strong>dem</strong> betroffenen Menschen (vgl. FRÖHLICH, 1996, S.<br />

136).<br />

Die zentrale Aussage <strong>der</strong> basalen Stimulation zielt darauf hin,<br />

„..., daß wir versuchen wollen, einem schwerstbehin<strong>der</strong>ten<br />

Menschen da<strong>bei</strong> zu helfen, den eigenen Körper, d.h., sein Ich<br />

und dessen Möglichkeiten, neu zu entdecken. Vielfältige senso-


5.8 Basale Stimulation nach FRÖHLICH 76<br />

rische und motorische, emotionale und kognitive Einschränkungen<br />

haben es zusammen mit den Bedingungen <strong>der</strong> Umwelt<br />

oft unmöglich gemacht, primäre Erfahrungen zu sammeln.“<br />

(FRÖHLICH, 1996, S. 136)<br />

Um basale Stimulation realisieren zu können, soll von Seiten <strong>der</strong> Bezugspersonen<br />

ein Angebot an den Körper <strong>der</strong> betroffenen Person, mit all<br />

seinen Bewegungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten, <strong>der</strong> Informationsaufnahme<br />

aus <strong>der</strong> Umwelt, <strong>der</strong> Raumlageempfindung eines Menschen,<br />

<strong>der</strong> Haut als Wahrnehmungsorgan im Hinblick auf einen Kontaktaufbau<br />

zur Umgebung, erbracht werden. Als Voraussetzung dafür gilt die Beteiligung<br />

des Menschen mit schwerster Behin<strong>der</strong>ung.<br />

Bei <strong>der</strong> Durchführung ist vor allem darauf zu achten, daß das gemachte<br />

Angebot an die Bedürfnislage des betroffenen Menschen angepaßt ist<br />

(vgl. FRÖHLICH, 1996, S. 135-136).<br />

FRÖHLICH entwickelte den Ansatz <strong>der</strong> basalen Stimulation in Anlehnung<br />

an die Betrachtung eines ungeborenen Kindes im Austausch mit seiner<br />

mütterlichen Umgebung.<br />

Er räumt ein, daß bereits ungeborene Kin<strong>der</strong> Fähigkeiten besitzen Reize<br />

wahrzunehmen, darauf zu reagieren o<strong>der</strong> sich selber Wahrnehmung zu<br />

verschaffen.<br />

Bei <strong>dem</strong> Wahrnehmungspotential eines ungeborenen Kindes handelt es<br />

sich vor allem um somatische (den ganzen Körper betreffende), vestibuläre<br />

(das frühentwickelte Lage- und Gleichgewichtssystem betreffende)<br />

und vibratorische (Schwingungen betreffende) Anregungen. Diese drei<br />

Anregungsbereiche greift FRÖHLICH in seiner Methode <strong>der</strong> basalen Stimulation<br />

auf und macht sie zur Basis in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschen mit<br />

schwerster Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung, da sie seiner Meinung nach die<br />

Grundlage aller menschlichen Wahrnehmungsprozesse darstellen (vgl.<br />

FRÖHLICH, 1996, S. 137-138).


5.8 Basale Stimulation nach FRÖHLICH 77<br />

Denn:<br />

„Ihr Vorhandensein darf auch <strong>bei</strong> sehr schwer behin<strong>der</strong>ten<br />

Menschen vorausgesetzt werden.“<br />

(FRÖHLICH, 1996, S. 138)<br />

FRÖHLICH gibt den Hinweis darauf, daß es <strong>bei</strong> einem diesbezüglichen<br />

Angebot nicht unbedingt nur zu positiven Reaktionen kommen muß. Abwehrverhalten<br />

auf Berührungen kann auch als Indiz dafür gesehen<br />

werden, daß Wahrnehmung stattgefunden haben muß und das es inhaltlich<br />

mit einer Bedeutung in Form von Bedrohung bewertet worden ist (vgl.<br />

FRÖHLICH, 1996, S. 138).<br />

Zusammenfassend stellt sich die basale Stimulation als eine Möglichkeit<br />

dar, die in <strong>der</strong> Begegnung mit Menschen, die von einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

betroffen sind, ein Grundgerüst zur För<strong>der</strong>ung auf elementarstem<br />

Niveau genutzt werden kann. Die Kin<strong>der</strong> sollen zu diesem<br />

Zweck da abgeholt werden, wo sie stehen, das bedeutet, man sollte ihnen<br />

ihrer Persönlichkeitsentwicklung entsprechend, ein Angebot an Informationen<br />

bieten, welches für sie bedeutsam erfahren werden kann.<br />

Man kann von diesen Menschen nicht erwarten, daß sie in <strong>der</strong> Lage sind,<br />

sich aufgrund ihrer schweren Entwicklungsbeeinträchtigung an eine<br />

“normale“ Umwelt anzupassen. An dieser Stelle sind Therapeuten und<br />

Pädagogen gefragt, die das Reizangebot so strukturieren, daß es für die<br />

von einer Behin<strong>der</strong>ung betroffenen Person möglich ist, die Informationen<br />

zu identifizieren und zu integrieren.<br />

Eine Therapieform, in <strong>der</strong> die basale Stimulation Anwendung findet ist die<br />

Ergotherapie, auch Beschäftigungstherapie genannt.<br />

5.9 Ergotherapie<br />

Obwohl die Ergotherapie (Beschäftigungstherapie) nicht unter <strong>dem</strong> kombinierten<br />

Konzept zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschen mit schwerster Behin<strong>der</strong>ung<br />

aufgeführt ist, wird ihr hier dennoch Bedeutung <strong>bei</strong>gemessen, da in


5.9 Ergotherapie 78<br />

<strong>der</strong> Ergotherapie die krankengymnastische Anwendung fortgesetzt wird<br />

und in <strong>der</strong> praktischen Durchführung <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t zum Einsatz<br />

gebracht wurde.<br />

In <strong>der</strong> Beschäftigungstherapie werden die in <strong>der</strong> krankengymnastischen<br />

Behandlung angebahnten Bewegungsgrundformen zur Intensivierung und<br />

Vertiefung aufgegriffen.<br />

Ziel ist es, über funktionsorientiertes Spielen, als wichtiges Mittel in <strong>der</strong><br />

Ergotherapie, einzelne Bewegungsmuster zu trainieren und zu verbessern.<br />

Da<strong>bei</strong> werden insbeson<strong>der</strong>e Bewegungen aus <strong>dem</strong> täglichen Leben,<br />

wie greifen, essen, schneiden, schreiben, sich anziehen, usw. geför<strong>der</strong>t<br />

(vgl. LEYENDECKER/KALLENBACH, 1989, S. 106; HOFFMANN, 1991,<br />

S. 450).<br />

Ein För<strong>der</strong>bedarf besteht meist auch in den Bereichen, die durch motorische<br />

Störungen bedingt beeinträchtigt sind. In diesem Zusammenhang<br />

sind Funktionen wie Wahrnehmung und Kognition, aber auch Motivation,<br />

Ausdauer und Konzentration zu nennen.Bezogen auf den Schulalltag ist<br />

<strong>der</strong> Ergotherapeut gefragt, um für den Schulunterricht wichtige<br />

Ar<strong>bei</strong>tstechniken und Fertigkeiten zu vermitteln. In diesem Sinne<br />

bezeichnen LEYENDECKER/KALLENBACH die Ergotherapie als<br />

Möglichkeit <strong>der</strong><br />

„...Erziehung zur Handlungsfähigkeit des Schülers...“.<br />

(LEYENDECKER/KALLENBACH, 1989, S. 107)<br />

Durch Absprache zwischen Ergotherapeut und Pädagoge wird für einen<br />

bewegungsgestörten Schüler ein individuelles Konzept zur effektiven Gestaltung<br />

des Unterrichtes geschaffen.<br />

Bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Ausführung zum kombinierten Konzept wird<br />

deutlich, daß es sich in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter<br />

Kin<strong>der</strong> um ein Mischkonzept aus pädagogischen und therapeutischen Ansätzen<br />

handelt.<br />

Um diese Schnittstellen zu konkretisieren beschäftigt sich <strong>der</strong> nächste Abschnitt<br />

mit <strong>dem</strong> Thema <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen Son<strong>der</strong>pädagogen<br />

und Therapeuten.


6 Schnittstellen in <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen Son<strong>der</strong>pädagogen und Therapeuten 79<br />

6 Schnittstellen in <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen Son<strong>der</strong>pädagogen<br />

und Therapeuten<br />

Als Einstieg zu diesem Thema verschafft man sich am besten zunächst<br />

einen kurzen Überblick über die Bedeutung <strong>der</strong> Begriffe Son<strong>der</strong>pädagogik<br />

und Therapie.<br />

Während sich die Son<strong>der</strong>pädagogik mit <strong>der</strong> Theorie, Forschung und<br />

Praxis <strong>der</strong> Erziehung Behin<strong>der</strong>ter beschäftigt, hat die Therapie die Behandlung<br />

von Krankheiten (in diesem Falle Behin<strong>der</strong>ungen) zur Aufgabe,<br />

wonach die Krankheit die Vorbedingung für die Therapie darstellt (vgl.<br />

DUPIUS/KERKHOFF, 1992, S. 593, 665).<br />

Nach <strong>der</strong> Betrachtung über den unterschiedlichen Inhalt <strong>bei</strong><strong>der</strong> Begriffe<br />

stellt sich die Frage, ob man in <strong>der</strong> Realität, gerade im Bezug auf die För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Personen mit schwersten Behin<strong>der</strong>ungsformen, Son<strong>der</strong>pädagogik<br />

und Therapie unweigerlich voneinan<strong>der</strong> trennen kann.<br />

Tendenziell wird die Son<strong>der</strong>pädagogik als eine umfassende, übergeordnete<br />

Wissenschaft aufgefaßt, die sich die Therapie als “Praxis<strong>der</strong>ivat“<br />

unter funktionalem Aspekt, als Randwissenschaft <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>pädagogik<br />

heranzieht und sich <strong>der</strong>er bedient, um eine optimale För<strong>der</strong>ung des behin<strong>der</strong>ten<br />

Menschen zu ermöglichen (vgl. FEUSER, 1980, S. 58-60).<br />

Voraussetzung für eine möglichst optimale Versorgung eines Kindes mit<br />

einer Behin<strong>der</strong>ung, ist die Abstimmung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ziele und För<strong>der</strong>schwerpunkte<br />

innerhalb <strong>der</strong> einzelnen Teilgebiete <strong>der</strong> die Son<strong>der</strong>pädagogik<br />

betreffenden Disziplinen.<br />

Dies gilt nicht nur innerhalb <strong>der</strong> interdisziplinären Maßnahmen, son<strong>der</strong>n<br />

z. B. auch für die Absprache zwischen Pädagogen und Therapeuten.<br />

Da<strong>bei</strong> ist die Akzeptanz einer jeden Disziplin untereinan<strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Nur unter diesen Voraussetzungen ist eine kooperative und somit effektive<br />

Zusammenar<strong>bei</strong>t realisierbar. Notwendigerweise müssen formale Möglichkeiten<br />

in Form von Gesprächen, Teilnahme an Übungen <strong>der</strong> Nachbardisziplinen,<br />

usw. gegeben sein, um daraus dann ein gemeinsames Gesamtkonzept<br />

zu entwickeln.<br />

Eine <strong>der</strong> zentralen Bedeutungen in <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t liegt darin, die<br />

Grenzen zwischen den verschiedenen Berufssparten zu vermischen, um<br />

somit die Chance zu erhalten, aus je<strong>der</strong> Möglichkeit, die sich über das


6 Schnittstellen in <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen Son<strong>der</strong>pädagogen und Therapeuten 80<br />

Angebot erschließt, die effektivste För<strong>der</strong>möglichkeit für das Kind mit<br />

seiner Behin<strong>der</strong>ung zu ermitteln. Diese Situation ist erst dann geschaffen,<br />

wenn ein nahtloser Übergang zwischen den einzelnen Berufsdisziplinen<br />

geschaffen worden ist (vgl. PAREIK, 1993 ,S. 465-471).<br />

Demzufolge wäre es z. B wünschenswert, wenn in <strong>der</strong> krankengymnastischen<br />

Therapie die Haltung eines von einer schwersten Form <strong>der</strong> Körperbehin<strong>der</strong>ung<br />

betroffenen Kindes verbessert wird. Unter Einsatz <strong>der</strong> verbesserten<br />

Haltung ist auch eine bessere Situation für den Unterricht<br />

geschaffen. So kann <strong>bei</strong>spielsweise ein Kind, daß besser bzw. lockerer in<br />

seinem Rollstuhl sitzt, aufmerksamer <strong>dem</strong> Unterrichtsgeschehen folgen,<br />

weil es nicht durch ein unangenehmes Sitzgefühl geplagt wird.<br />

Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite können pädagogische Zielsetzungen in Therapien<br />

mit eingebunden werden, um auch dort erfolgversprechen<strong>der</strong> ar<strong>bei</strong>ten zu<br />

können.<br />

Im Bereich <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> die eine Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

haben, ist z. B. die Körpererfahrung ein För<strong>der</strong>schwerpunkt, <strong>der</strong> sich<br />

in Therapie und Pädagogik überschneidet.<br />

Um das Funktionieren einer gesamtkonzeptionellen För<strong>der</strong>ung zu<br />

gewährleisten, ist die Motivation <strong>der</strong> Pädagogen und Therapeuten signifikant<br />

ausschlaggebend. Desweiteren sind diesbezüglich Kooperationsbereitschaft,<br />

die Absprachen untereinan<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Stellenschlüssel an den<br />

Institutionen, die Zusammenar<strong>bei</strong>t mit den Eltern usw. zu nennen.<br />

Bevor nun im “Teil B“ <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t die theoretischen Grundlagen in die<br />

Praxis übertragen werden, erscheint es notwendig, einige Informationen<br />

über die therapeutisch angewandte <strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s <strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n mit<br />

schwerster mehrfacher Behin<strong>der</strong>ung darzulegen.<br />

Zu diesem Zweck wird vorweg ein Überblick über die <strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong><br />

gegeben, um von dort aus auf den Praxisteil einzugehen.


7 Die textile <strong>Technik</strong> <strong>Filzen</strong> - 7.1 Ein Rückblick 81<br />

7 Die textile <strong>Technik</strong> <strong>Filzen</strong><br />

7.1 Ein Rückblick<br />

Es gibt viele Geschichten, die erzählen, wie das verfilzen von Wolle entdeckt<br />

wurde.<br />

Eine dieser Geschichten geht auf die biblische Erzählung über die “Arche<br />

Noah“ zurück.<br />

Sie berichtet davon, daß die Schafe auf <strong>der</strong> Arche während ihrer langen<br />

Reise nichts zu fressen hatten, wodurch ihnen die Wolle verloren ging und<br />

zu Boden fiel. Aufgrund <strong>der</strong> enormen Enge auf <strong>dem</strong> Schiff standen die<br />

Tiere dicht gedrängt. Sie urinierten unter sich auf die Wolle und trampelten<br />

darauf herum. Als die Schafe die Arche verließen, hinterließen sie einen<br />

gefilzten Teppich.<br />

In dieser Erzählung werden die wichtigsten, zum <strong>Filzen</strong> benötigten Materialien<br />

genannt.<br />

• Wolle<br />

• Alkalische Flüssigkeit (hier <strong>der</strong> Urin)<br />

• Mechanische Bear<strong>bei</strong>tung (hier das Trampeln)<br />

Es gibt Vermutungen darüber, daß die Herkunft <strong>der</strong> <strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s<br />

im vor<strong>der</strong>- und zentralasiatischen Raum anzusiedeln ist und seinen Ursprung<br />

im nomadisierenden Hirtentum findet.<br />

Man kann die Filztradition dort weit in die Vergangenheit zurückverfolgen<br />

(um 600 v. Chr.) und weiß von einer großen Verbreitung und einer vielseitigen<br />

Verwendung (vgl. KÖDER-BUCK, 1999, S. 91; PAETAU SJÖBERG,<br />

1997, S. 11).<br />

Da eine weitere Ausführung über kultur- und kunsthistorischen Hintergrund<br />

des <strong>Filzen</strong>s im Rahmen dieser Ar<strong>bei</strong>t zu weit führen würde, wird auf<br />

die hier verwendete Literatur von PAETAU SJÖBERG und KÖDER-BUCK<br />

verwiesen.


7 Die textile <strong>Technik</strong> <strong>Filzen</strong> - 7.2 Begriffsklärung 82<br />

7.2 Begriffsklärung<br />

Das Wort Filz, mittelhochdeutsch “vilz“, im Englischen “felt“, ist westgermanischen<br />

Ursprungs und bedeutet soviel wie “gestampfte Masse“.<br />

<strong>Filzen</strong> ist die Bezeichnung eines Prozesses, <strong>bei</strong> <strong>dem</strong> aus Wolle Filz gemacht<br />

wird.<br />

Dazu benötigt man Wolle, Seifenlauge, Druck und Bewegung.<br />

Zunächst gilt es, die unbehandelte Schafwolle von den gröbsten Unreinheiten<br />

(z. B. Stroh, Kot) zu befreien. Dazu muß die Wolle gezupft werden,<br />

um die Fasern aufzulockern. Um dies zu bewerkstelligen nimmt man eine<br />

Handvoll Wolle und zieht sie mit den Fingern entgegen <strong>der</strong> Faserrichtung<br />

auseinan<strong>der</strong>.<br />

Ist die Wolle flockig gezupft, kann sie nochmals aufgelockert werden.<br />

Dafür benutzt man entwe<strong>der</strong> “Handkarden“, die aussehen wie zwei große<br />

Drahtbürsten o<strong>der</strong> eine “Kadiermaschine“. Die Kadiermaschine hat eine<br />

große und eine kleine Walze mit Drahtborsten. An <strong>dem</strong> Ende, an <strong>dem</strong> sich<br />

die kleinere Walze befindet, gibt man die gezupfte Wolle gleichmäßig<br />

verteilt hinein und dreht mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Hand an <strong>der</strong> außen angebrachten<br />

Kurbel, damit sich die Walzen drehen. Über die Walzen wird die Wolle<br />

mittels <strong>der</strong> Drahtborsten auseinan<strong>der</strong> gezogen und somit in eine Richtung<br />

gelockert und gekämmt, so daß die Fasern parallel zueinan<strong>der</strong> angeordnet<br />

sind. Ist die große Walze so mit Wolle bedeckt, daß man die Metallborsten<br />

nicht mehr sieht, trennt man an einer Stelle die Wolle vorsichtig<br />

mit den Fingern und zieht sie langsam in die entgegengesetzte Richtung<br />

des Borstenverlaufs ab. Was nun entstanden ist, ist ein Wollvlies, welches<br />

für den Prozeß des <strong>Filzen</strong>s verwendet wird (vgl. PAETAU SJÖBERG,<br />

1997, S. 84-85), wo<strong>bei</strong> jedoch auch mit unkadierter Wolle gefilzt werden<br />

kann.<br />

7.3 Die Entstehung von Filz<br />

Wolle hat als einzige unter den tierischen Fasern die Fähigkeit zu filzen.<br />

Bei <strong>der</strong> Betrachtung einer Wollfaser unter <strong>dem</strong> Mikroskop kann man er-


7.3 Die Entstehung von Filz 83<br />

kennen, daß die Faser eine schuppige Oberflächenstruktur aufweist, die<br />

man auch als Epi<strong>der</strong>misschuppen bezeichnet.<br />

Wie bereits erwähnt bewirken drei Faktoren eine Verar<strong>bei</strong>tung <strong>der</strong> Wolle<br />

zu Filz: Feuchtigkeit, Wärme und Bewegung.<br />

Werden die Fasern naß und warm, öffnen sich die Schuppen, wie die<br />

eines Tannenzapfens <strong>bei</strong> Luftfeuchtigkeit.<br />

Werden die Fasern in diesem geöffneten Zustand ineinan<strong>der</strong> geschoben,<br />

welches durch mechanische Tätigkeit und den ausgeübten Druck mit den<br />

Händen geschieht, ist es kaum mehr möglich die Fasern voneinan<strong>der</strong> zu<br />

trennen. Mit <strong>der</strong> schuppigen Oberfläche gleiten die Fasern im Vorgang <strong>der</strong><br />

Bear<strong>bei</strong>tung in eine Richtung, können jedoch nicht wie<strong>der</strong> zurückgleiten,<br />

da sie sich in entgegengesetzter Richtung ineinan<strong>der</strong> verhaken. Dieser<br />

Vorgang führt zum verfilzen <strong>der</strong> Wolle. In Abhängigkeit von <strong>der</strong> Wollsorte<br />

sind die Schuppen dicht o<strong>der</strong> weniger dicht an <strong>der</strong> Oberfläche angeordnet,<br />

welches sich in <strong>der</strong> Filzfähigkeit <strong>der</strong> Wolle ausdrückt.<br />

Der Sinn in <strong>der</strong> Anwendung von Seifenlauge besteht darin, daß sie die<br />

Wollfasern zusätzlich quellen läßt und diesen damit zu einer besseren<br />

Verbindung verhilft. Obendrein verleiht sie <strong>der</strong> Oberfläche eine fettige,<br />

schmierige Beschaffenheit, so daß die Hände besser über die Fläche<br />

gleiten können.<br />

Ist die Wolle zu Filz verar<strong>bei</strong>tet, kann man diesen über ein Brett mit Rillen<br />

reiben (z. B. ein Waschbrett), wo<strong>bei</strong> er sich zusammenzieht und somit<br />

eine dichtere Struktur erhält, was den Filz letztendlich haltbarer gestaltet.<br />

Diesen Vorgang bezeichnet man als walken (vgl. PAETAU SJÖBERG,<br />

1997, S. 9, 91-93; KÖDER-BUCK, 1999, S. 89-90).<br />

Die hier beschriebene <strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s ist nur eine Möglichkeit Wolle<br />

zu Filz zu verar<strong>bei</strong>ten. An<strong>der</strong>e Möglichkeiten bietet <strong>bei</strong>spielsweise das<br />

Formfilzen o<strong>der</strong> das Rundumfilzen.<br />

Im Hinblick auf die Anwendung <strong>der</strong> <strong>textilen</strong> <strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s und den<br />

erhofften Ergebnissen zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit schwerstmehrfachen<br />

Behin<strong>der</strong>ungen, fallen an<strong>der</strong>e Filztechniken aus <strong>dem</strong> Rahmen des Interesses.


7.3 Die Entstehung von Filz 84<br />

Bevor nun das textile Verfahren des <strong>Filzen</strong>s in <strong>der</strong> praktischen Durchführung<br />

zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> von einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung betroffenen<br />

Kin<strong>der</strong> beschrieben wird, um die therapeutische <strong>Anwendbarkeit</strong> zu<br />

überprüfen, sei aus einem aktuellen Aufsatz von KÖDER-BUCK (1999)<br />

zitiert:<br />

,,Eine zunehmend größer werdende Bedeutung bekommt das<br />

Thema ´Filz und Therapie´. Die Beson<strong>der</strong>heiten des <strong>Filzen</strong>s als<br />

eigenständiges therapeutisches Medium sind:<br />

• Die haptische Erfahrung des handgreiflichen Umgangs mit<br />

<strong>der</strong> lockeren, luftigen Wolle im Zupfen und Legen o<strong>der</strong> im<br />

<strong>Filzen</strong>...: Wolle, Wasser, Seife- im Verbund eine ganz<br />

eigene Erfahrung...<br />

• ...die körperliche Bewegung des Hin und Her, ein rhythmisches<br />

Ar<strong>bei</strong>ten,.... Man spürt die eigene Kraft- auch wie<br />

sie zusehend schwindet, und sieht die Auswirkungen in <strong>der</strong><br />

Verän<strong>der</strong>ung und Verfestigung des Filzes. Eine wun<strong>der</strong>schöne<br />

ganz eigene Erfahrung, die für mich untrennbar mit<br />

<strong>Filzen</strong> verbunden ist...<br />

• ... Wolle hat jedes mal neu, ein Eigenleben und einen eigenen<br />

Willen- zumindest ein bisschen."<br />

(KÖDER-BUCK, 1999, S. 92-93)<br />

In <strong>der</strong> Vermischung von therapeutischen und pädagogischen Ansätzen in<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschen mit schwerster Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung erscheint<br />

es sinnvoll, sich im Bezug auf die praktische Erprobung, einige<br />

relevante För<strong>der</strong>schwerpunkte zu vergegenwärtigen, in<strong>dem</strong> man die offiziellen<br />

Richtlinien hinzuzieht. In <strong>der</strong> therapeutischen Anwendung werden<br />

diese aufgegriffen und erweitert.


8 <strong>Filzen</strong>, eine geeignete <strong>Technik</strong> zur För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n mit einer<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 85<br />

8 <strong>Filzen</strong>, eine geeignete <strong>Technik</strong> zur För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n mit einer<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

Obwohl sich die Erprobungsphase <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t schwerpunktmäßig<br />

an einer therapeutischen Vorgehensweise orientiert, sollten die<br />

Richtlinien in die Vorüberlegungen einbezogen werden.<br />

Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich durch den pädagogischen Einstieg<br />

mittels <strong>der</strong> Unterrichtsstunden und <strong>der</strong>en Erweiterung zur therapeutischen<br />

Einzelför<strong>der</strong>ung, mit <strong>der</strong> Überlegung, daß sich die Zielsetzung von Therapie<br />

und Pädagogik <strong>bei</strong> <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

überschneiden bzw. ergänzen (Verweis: “Kapitel 6<br />

Schnittstellen in <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen Son<strong>der</strong>pädagogen und<br />

Therapeuten“, S. 79).<br />

Bedingt durch die heterogene Zusammensetzung <strong>der</strong> Schülerschaft an<br />

Körperbehin<strong>der</strong>tenschulen, von denen die Kin<strong>der</strong> mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

die Zielgruppe <strong>der</strong> zugrundeliegenden Ar<strong>bei</strong>t darstellt,<br />

werden Unterricht und För<strong>der</strong>maßnahmen nach verschiedenen<br />

Richtlinien durchgeführt.<br />

Die Klasse, in <strong>der</strong> die Erprobungsreihe zum <strong>Filzen</strong> vorgenommen wurde,<br />

wird schwerpunktmäßig nach den Richtlinien zur För<strong>der</strong>ung geistigbehin<strong>der</strong>ter<br />

und schwerstbehin<strong>der</strong>ter Kin<strong>der</strong> unterrichtet. Unter Bezugnahme<br />

dieser Quellen werden je nach individueller Lebenssituation die För<strong>der</strong>schwerpunkte<br />

auf kognitiver, motorischer, perzeptorischer, kommunikativer,<br />

emotionaler und sozialer Ebene festgelegt, um eine optimale Entwicklungsför<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> betroffenen Person zu ermöglichen.<br />

Ein Ausschnitt aus den Richtlinien für geistig- und schwerstbehin<strong>der</strong>te<br />

Schüler soll einen Eindruck über För<strong>der</strong>schwerpunkte hinsichtlich des<br />

Vorhabens <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t veranschaulichen.<br />

8.1 Richtlinien zur För<strong>der</strong>ung Geistigbehin<strong>der</strong>ter<br />

Die 1980 vom Kultusminister erlassenen Richtlinien und Lehrpläne für den<br />

Unterricht an Schulen für geistigbehin<strong>der</strong>te Schüler machen darauf auf-


8.1 Richtlinien zur För<strong>der</strong>ung Geistigbehin<strong>der</strong>ter 86<br />

merksam, daß die Entwicklung eines Kindes mit geistiger Behin<strong>der</strong>ung in<br />

mehrfacher Hinsicht beeinträchtigt ist.<br />

Geistige Behin<strong>der</strong>ung wirkt sich <strong>dem</strong>nach aus auf<br />

• die kognitiven und emotionalen Aufnahme-, Verar<strong>bei</strong>tungs- und Speicherprozesse,<br />

• das Ausdrucksverhalten,<br />

• die Motorik,<br />

• die sprachliche und nichtsprachliche Kommunikation.<br />

(vgl. RICHTLINIEN DER SCHULE FÜR GEISTIGBEHINDERTE, 1980,<br />

S. 8)<br />

Der geistigbehin<strong>der</strong>te Mensch soll das Recht bekommen, sich als erleben<strong>der</strong><br />

und handeln<strong>der</strong> Mensch zu erfahren (vgl. RICHTLINIEN DER<br />

SCHULE FÜR GEISTIGBEHINDERTE, 1980, S. 12).<br />

Durch entwicklungs- und lernprozeßbedingte Defizite haben viele Kin<strong>der</strong><br />

die Schwierigkeit, ihren Körper für sich in Bezug zur eigenen Person zu<br />

setzen. Daher soll eine För<strong>der</strong>ung auf <strong>der</strong> Basis erlebnis- und erfahrungsbetonter<br />

Reizangebote erfolgen, wo<strong>bei</strong> <strong>der</strong> eigene Körper als Erlebnisund<br />

Lernfeld betrachtet wird. Bedingt durch die körpernahen Lernangebote<br />

wird zu einer Verbesserung <strong>der</strong> Persönlichkeitsdifferenzierung <strong>bei</strong>getragen,<br />

welches als Voraussetzung zur Selbstverwirklichung des<br />

Menschen mit geistiger Behin<strong>der</strong>ung zu sehen ist (vgl. RICHTLINIEN DER<br />

SCHULE FÜR GEISTIGBEHINDERTE, 1980, S. 25-26).<br />

8.2 Richtlinien zur För<strong>der</strong>ung Schwerstbehin<strong>der</strong>ter<br />

Die Richtlinien zur För<strong>der</strong>ung schwerstbehin<strong>der</strong>ter Schüler gehen auf<br />

einen Erlaß des Kultusministers von 1985 zurück.<br />

In <strong>der</strong> son<strong>der</strong>pädagogischen Betreuung schwerstbehin<strong>der</strong>ter Schüler<br />

stellen pflegerische Maßnahmen und Maßnahmen zur individuellen För<strong>der</strong>ung<br />

eine zusätzliche Aufgabe dar. Alle getroffenen Maßnahmen sollen


8.2 Richtlinien zur För<strong>der</strong>ung Schwerstbehin<strong>der</strong>ter 87<br />

zu einer Entwicklungsverän<strong>der</strong>ung und zu einem fortschrittlichen Verhalten<br />

eines jeden betroffenen Schülers führen. Die Schule soll als Hilfestellung<br />

zur Selbstverwirklichung mit <strong>der</strong> Konsequenz <strong>der</strong> sozialen Integration<br />

dienen (vgl. RICHTLINIEN ZUR FÖRDERUNG SCHWERSTBEHINDER-<br />

TER SCHÜLER, 1985, S. 6).<br />

Bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Schüler sind unterschiedliche Abweichungen in<br />

<strong>der</strong> Entwicklung zu erkennen. Funktionsstörungen o<strong>der</strong> gar Fehlen oberer<br />

und/o<strong>der</strong> unterer Extremitäten, fehlende Kopf- o<strong>der</strong> Blickrichtungskontrolle,<br />

mangelnde Rumpf o<strong>der</strong> Extremitätenkontrolle führen zu Beeinträchtigungen<br />

in <strong>der</strong> Körperkontrolle o<strong>der</strong> Fortbewegung.<br />

Eine weitere Benachteiligung stellt <strong>der</strong> fehlende sprachliche Ausdruck<br />

bzw. eine nonverbale Situation dar, welche zu einer gestörten Interaktion<br />

führt.<br />

Hinzukommende organspezifische funktionelle Beeinträchtigungen, wie<br />

Kreislauf-, Atmungs- und Verdauungsprobleme, stellen eine zusätzliche<br />

Belastung für die betroffene Person dar.<br />

Bei <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung schwerstbehin<strong>der</strong>ter Schüler, die sowohl im Klassenverband,<br />

als auch als Einzelför<strong>der</strong>ung durchführbar ist, ist ein handlungsbezogenes<br />

Angebot, den Bedürfnissen <strong>der</strong> jeweiligen Person angebracht.<br />

Notwendigerweise sind zu diesem Zweck individuelle För<strong>der</strong>schwerpunkte<br />

zu ermitteln, mit <strong>dem</strong> Ziel geeignete För<strong>der</strong>maßnahmen in den Unterricht<br />

zu integrieren.<br />

Die Unterrichts- und Erziehungsziele, die kleinschrittig erar<strong>bei</strong>tet werden<br />

sollen, sind in Anlehnung an die RICHTLINIEN FÜR GEISTIGBEHIN-<br />

DERTE formuliert (vgl. RICHTLINIEN ZUR FÖRDERUNG SCHWERST-<br />

BEHINDERTER SCHÜLER, 1985, S. 11).<br />

Einige für das <strong>Filzen</strong> relevante För<strong>der</strong>schwerpunkte lauten im Auszug:<br />

Fähigkeit, die Haut als Wahrnehmungsorgan zu erleben<br />

• Hautstimulation erfahren, erleben, empfinden und wahrnehmen einzelner<br />

Körperteile<br />

• auf Hautstimulation Körperreaktionen zeigen


8.2 Richtlinien zur För<strong>der</strong>ung Schwerstbehin<strong>der</strong>ter 88<br />

Fähigkeit, Geruchs- und Geschmackseindrücke aufzunehmen<br />

• Geruchserfahrungen machen<br />

• Gerüche bestimmten Objekten, Situationen und Personen zuordnen<br />

Fähigkeit, über die Hand Tasteindrücke wahrzunehmen<br />

• durch das Bewegen <strong>der</strong> Hände in unterschiedlichen Materialien Eindrücke<br />

erhalten<br />

• durch Berühren <strong>der</strong> Handinnenflächen mit unterschiedlichen Materialien<br />

Eindrücke erfahren, empfinden und wahrnehmen<br />

• unterschiedliche Materialien ertasten<br />

Fähigkeit, die Hand als Greiforgan zu nutzen<br />

• Öffnen <strong>der</strong> Hand zulassen<br />

• Objekte mit Unterstützung greifen und loslassen<br />

• die Hand in Koordination mit Sinnesorganen benutzen<br />

• Objekte selbständig greifen und abgeben<br />

Fähigkeit, Kommunikationsbereitschaft auszudrücken<br />

• Schreie und Laute hervorbringen<br />

• sich mit bestimmten Lauten und Gesten ausdrücken<br />

Weitere Ziele, die im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Thematik <strong>der</strong> vorliegenden<br />

Ar<strong>bei</strong>t eine Rolle spielen, sind:<br />

Fähigkeit, verschiedene Materialien anzunehmen und sich mit diesen zu<br />

beschäftigen<br />

• mit Sinnen Eigenschaften von Materialien erfahren<br />

• mit Material hantieren<br />

• Material ausprobieren und Unterschiede kennenlernen<br />

• zufällig erfahrene Wirkungen wahrzunehmen und die Tätigkeit wie<strong>der</strong>holen<br />

• das Entstandene als eigenes Werk wie<strong>der</strong>erkennen


8.2 Richtlinien zur För<strong>der</strong>ung Schwerstbehin<strong>der</strong>ter 89<br />

Fähigkeit, über einen bestimmten Zeitraum eine Ar<strong>bei</strong>t auszuführen<br />

• Bereitschaft entwickeln eine Tätigkeit aufzunehmen<br />

• bereit sein, über einen längeren Zeitraum tätig zu sein<br />

(vgl. RICHTLINIEN ZUR FÖRDERUNG SCHWERSTBEHINDERTER<br />

SCHÜLER, 1985, S.12-35)<br />

Die detaillierte Auflistung <strong>der</strong> genannten För<strong>der</strong>ziele erscheint im Hinblick<br />

auf die Sinnhaftigkeit des Einsatzes <strong>der</strong> Filztechnik <strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n mit einer<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung notwendig. Um sich einen genaueren<br />

Überblick zu verschaffen, ob sich die <strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s zur För<strong>der</strong>ung<br />

des o. g. Personenkreises eignet, schließen sich nun richtlinienorientierte<br />

Vorüberlegungen an.<br />

8.3 Richtlinienorientierte Vorüberlegungen zum <strong>Filzen</strong><br />

Was kann das <strong>Filzen</strong> zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

leisten<br />

Die grundlegende Überlegung, warum sich die textilgestalterische <strong>Technik</strong><br />

des <strong>Filzen</strong>s zur För<strong>der</strong>ung schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong> eignet,<br />

besteht darin, daß Schafwolle in ihrem Ursprungszustand und ihrer Verar<strong>bei</strong>tung<br />

zu Filz ein großes Angebot an Informationen bzw. Reizen zur För<strong>der</strong>ung<br />

im Bereich <strong>der</strong> Wahrnehmung, Motorik und Kommunikation darstellen<br />

kann.<br />

Um sich diesbezüglich eine Vorstellung machen zu können, werden die in<br />

diesem Zusammenhang wesentlichen Aspekte, die als För<strong>der</strong>maßnahme<br />

für Kin<strong>der</strong> mit einer schwersten Form <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung genutzt werden<br />

können, aufgezeigt.


8.3 Richtlinienorientierte Vorüberlegungen zum <strong>Filzen</strong> 90<br />

Folgendes kann das <strong>Filzen</strong> in Anlehnung an die Zielformulierungen <strong>der</strong><br />

Richtlinien erbringen:<br />

1) Die Schafwolle und <strong>der</strong>en Verar<strong>bei</strong>tung zu Filz führt in den Bereichen<br />

Wahrnehmung und Motorik zu:<br />

• olfaktorischen Reizen, hervorgerufen durch den Geruch <strong>der</strong> Schafwolle<br />

vor, während und nach <strong>der</strong> Bear<strong>bei</strong>tung zu Filz,<br />

• taktil bzw. haptischen Reizen,<br />

a) durch das Befühlen <strong>der</strong> Wolle im unbear<strong>bei</strong>teten Zustand und<br />

b) durch das Fühlen, <strong>der</strong> zum <strong>Filzen</strong> notwendigen Materialien, wie<br />

Schmierseife und warmes Wasser,<br />

c) durch die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Beschaffenheit <strong>der</strong> Schafwolle im Filzprozeß<br />

von weich nach hart (Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Tastqualitäten),<br />

• optischen Eindrücken, die von <strong>dem</strong> Material und <strong>dem</strong> prozeßhaften<br />

Vorgang des <strong>Filzen</strong>s ausgehen,<br />

• gezielten motorischen Greifaktivitäten mit den Händen und Fingern,<br />

die zum auflockern <strong>der</strong> Schafwolle eingesetzt werden müssen,<br />

• gezielten feinmotorischen Tätigkeiten <strong>der</strong> Hände und Finger auf <strong>der</strong><br />

Oberfläche <strong>der</strong> mit warmer Seifenlauge getränkten Schafwolle,<br />

• einem Erkennen <strong>der</strong> Ursache- Wirkungszusammenhänge, welches<br />

sich auf die Motivation des <strong>Filzen</strong>den auswirken kann und somit eine<br />

ausdauern<strong>der</strong>e Ar<strong>bei</strong>tshaltung hervorruft,<br />

• einer Verknüpfung von Wahrnehmung und Motorik im Sinne <strong>der</strong><br />

Auge-Hand-Koordination.<br />

Ist eine eigenaktive Bewegung nicht möglich, so kann ein passives “bewegt<br />

werden“, durch Führung des Pädagogen bzw. Therapeuten, zu<br />

einem gemeinsamen Ergebnis von Kind und Pädagoge bzw. Therapeut<br />

führen. Das Erleben und Erfahren von Wahrnehmung über die Schafwolle<br />

und die motorische Tätigkeit des <strong>Filzen</strong>s kann sich unter kommunikativen<br />

Gesichtspunkten zum Ausdruck bringen.


8.3 Richtlinienorientierte Vorüberlegungen zum <strong>Filzen</strong> 91<br />

2) Auf kommunikativer Ebene könnte es zu Äußerungen<br />

• verbaler o<strong>der</strong><br />

• nonverbaler Art (Mimik, Gestik, Körperhaltung, usw.) kommen,<br />

die über die emotionale Verar<strong>bei</strong>tung <strong>der</strong> gemachten Wahrnehmungs- und<br />

Bewegungserfahrungen subjektiv Auskunft geben.<br />

Ist ein Kind in <strong>der</strong> Lage sich zu artikulieren, kann es direkt über Lautsprache<br />

Stellung zur Bewertung <strong>der</strong> Wahrnehmung und Bewegungserfahrungen<br />

beziehen.<br />

Ein weiterer Aspekt, <strong>der</strong> anhand <strong>der</strong> Ergebnisdarstellung innerhalb dieser<br />

Ar<strong>bei</strong>t nachvollzogen werden kann, ist <strong>der</strong> <strong>der</strong> Phantasieanregung.<br />

Die Kin<strong>der</strong> können möglicherweise aus den entstandenen Filzobjekten<br />

eine Form o<strong>der</strong> Figur assoziieren und diese in Worte gefaßt beschreiben.<br />

Es erscheint sinnvoll in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit <strong>der</strong><br />

lautsprachlichen Befähigung aufmerksam zu machen, denn ohne sie ist<br />

das offensichtliche Deuten <strong>der</strong> Filzobjekte nicht möglich. Auf diesen<br />

Gesichtspunkt wird in <strong>der</strong> Ergebnisdarstellung noch konkreter eingegangen.<br />

Abschließend nun ein wesentlicher Gedankengang über den sinnvollen<br />

Einsatz <strong>der</strong> textilgestalterischen <strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung des<br />

genannte Personenkreises.<br />

Wolle , warmes Wasser und Schmierseife ergibt unter Reibung immer Filz.<br />

Das bedeutet, egal wie lange, in welcher Form und wie man filzt, immer<br />

ein gefilztes Produkt entsteht. Diese Ursache- Wirkungs- Kette kann man<br />

sich <strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n mit einer schwersten Behin<strong>der</strong>ung zunutze machen. Es<br />

stellt für die betroffenen Kin<strong>der</strong> ein Erfolgserlebnis dar, zu spüren und zu<br />

erkennen, daß sie diejenigen waren, die etwas (selbständig) bewirkt<br />

haben. Dieses motivierende Ereignis kann sich positiv auf die För<strong>der</strong>ung,


8.3 Richtlinienorientierte Vorüberlegungen zum <strong>Filzen</strong> 92<br />

auch in Bezug auf Ausdauer und Konzentration im Ar<strong>bei</strong>tsverhalten eines<br />

Kindes mit Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung, auswirken.<br />

Die aufgeführten Aspekte lassen sich aus den Richtlinien für schwerstbehin<strong>der</strong>te<br />

und geistigbehin<strong>der</strong>te Schüler ableiten und mit den offiziell ermittelten<br />

För<strong>der</strong>schwerpunkte <strong>der</strong> Schüler in Beziehung setzen. Die Berücksichtigung<br />

einer gesamtkonzeptionellen Vorgehensweise zwischen<br />

den einzelnen Disziplinen <strong>der</strong> son<strong>der</strong>pädagogischen För<strong>der</strong>ung sollte <strong>bei</strong><br />

<strong>der</strong> Umsetzung Beachtung finden.<br />

Bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Richtlinien für geistig- und schwerstbehin<strong>der</strong>te<br />

Schüler stellt man fest, daß das <strong>Filzen</strong> als För<strong>der</strong>maßnahme das Gefor<strong>der</strong>te<br />

in vielen Punkten abdeckt.<br />

Inwieweit sich die Vorüberlegungen zur Eignung <strong>der</strong> Filztechnik in <strong>der</strong>, als<br />

Erweiterung zu sehenden therapeutischen Anwendung, in <strong>der</strong> Realität bestätigen,<br />

wird im späteren Verlauf <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t erörtert.<br />

Der sich nun anschließende Teil <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t bezieht sich auf die Umsetzung<br />

<strong>der</strong> theoretischen Grundlagen (“Teil A“) in die Praxis.


9 Therapeutisch orientierte Anwendung <strong>der</strong> <strong>textilen</strong> <strong>Technik</strong> <strong>Filzen</strong> <strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n mit einer<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung 93<br />

B<br />

Praktischer Teil<br />

9 Therapeutisch orientierte Anwendung <strong>der</strong> <strong>textilen</strong> <strong>Technik</strong> <strong>Filzen</strong> <strong>bei</strong><br />

Kin<strong>der</strong>n mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

Im Folgenden werden zunächst die Rahmenbedingungen gemäß einer<br />

Bedingungsfeldanalyse aufgeführt, unter denen die praktische Erprobungsreihe<br />

stattgefunden hat, um von dort aus eine angemessene Ausführung<br />

<strong>der</strong> Ergebnisse darzustellen.<br />

Aufgrund des hohen Identifikationsgrades im Bezug auf die praktische<br />

Erprobungsphase dieser Ar<strong>bei</strong>t zieht die Verfasserin in <strong>dem</strong> nun folgenden<br />

“Teil B“ die Schreibweise in <strong>der</strong> Ich-Form vor.<br />

9.1 Rahmenbedingungen<br />

Der vorliegende praktische Teil <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t bezieht sich auf eine Erprobungsphase,<br />

die im März 1999 in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>klasse 2 <strong>der</strong> Helen- Keller-<br />

Schule, einer Schule für Körperbehin<strong>der</strong>te in Essen, durchgeführt worden<br />

ist.<br />

Um die Effektivität <strong>der</strong> therapeutischen Anwendung <strong>der</strong> <strong>textilen</strong> <strong>Technik</strong><br />

<strong>Filzen</strong> in Zusammenar<strong>bei</strong>t mit Schülern, die von einer schwersten Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

betroffen sind zu untersuchen, wurde mir über mehrere<br />

Wochen <strong>der</strong> Dienstag und Mittwoch, jeweils die zweite und dritte Stunde<br />

zur Verfügung gestellt, um Unterrichts(doppel)stunden als Einführung in<br />

das Thema abzuhalten.<br />

Da sich die eigentliche Durchführung auf eine therapeutische Einzelför<strong>der</strong>ung<br />

beziehen sollte, wurde mir danach eingeräumt, mit den jeweiligen<br />

Schülern entwe<strong>der</strong> innerhalb <strong>der</strong> wöchentlichen Therapiestunden, unter<br />

zusätzlicher Betreuung und Beratung des Therapeuten, zu filzen o<strong>der</strong> sie<br />

diesbezüglich für in eine bestimmte Zeit aus <strong>dem</strong> Unterricht herauszunehmen.<br />

In den wöchentlich anberaumten Therapiestunden war es möglich, den<br />

Raum <strong>der</strong> Therapeuten zu benutzen. In <strong>der</strong> Zeit, in denen ich mit den


9.1 Rahmenbedingungen 94<br />

Schülern allein gear<strong>bei</strong>tet habe, wurde mir <strong>der</strong> abgeteilte Eßraum zur<br />

Verfügung gestellt.<br />

9.2 Die Klasse<br />

Die Klasse setzt sich aus neun Schülern im Alter zwischen neun und zwölf<br />

Jahren zusammen, von denen drei Mädchen und sechs Jungen sind. Die<br />

Klassekonstellation weist eine sehr heterogene Zusammensetzung auf,<br />

welches an einer Körperbehin<strong>der</strong>ten Schule jedoch <strong>der</strong> Regelfall ist.<br />

Von den neun Schülern sind sieben Schüler auf einen Rollstuhl angewiesen,<br />

von denen nur einer in <strong>der</strong> Lage ist, zumindest kurze Strecken innerhalb<br />

des Klassenraumes ohne Rollstuhl als Fortbewegungsmittel zu bewältigen.<br />

Ein Schüler und eine Schülerin sind sogenannte Läufer, d.h., sie<br />

benötigen keinen Rollstuhl zur Fortbewegung.<br />

Die Schüler weisen sehr unterschiedliche individuelle Behin<strong>der</strong>ungsformen<br />

auf. Sieben Schüler sind bereits als schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>t<br />

eingestuft, <strong>bei</strong> einem Schüler läuft das Verfahren zur Einstufung noch.<br />

Aufgrund des Schweregrades <strong>der</strong> vorkommenden Behin<strong>der</strong>ungen sind <strong>bei</strong><br />

allen Schülern Defizite in sämtlichen Entwicklungsbereichen zu beobachten.<br />

Diese unterschiedlichen Voraussetzungen haben zur Folge, daß eine<br />

schülerorientierte Individualisierung und eine Differenzierung des Unterrichts<br />

stattfinden muß. Notwendigerweise werden die Schüler nach ihrem<br />

individuellem Entwicklungsstand, unter Einbeziehung <strong>der</strong> offiziellen För<strong>der</strong>schwerpunkte,<br />

sowohl Richtlinien bezogen unterrichtet, als auch ihren<br />

individuellen För<strong>der</strong>schwerpunkten gemäß therapeutisch versorgt.<br />

Durch Einsicht <strong>der</strong> Akten war es mir möglich geworden, die offiziellen,<br />

individuellen För<strong>der</strong>schwerpunkte <strong>der</strong> Schüler in meine Ar<strong>bei</strong>t mit einzubeziehen.<br />

Dies erwies sich <strong>bei</strong> <strong>der</strong> therapeutischen Anwendung des<br />

<strong>Filzen</strong>s gewissermaßen als “Startkapital", um die individuelle, behin<strong>der</strong>ungsbedingte<br />

Situation <strong>der</strong> Schüler besser einschätzen zu können.


9.3 Vorbereitung zur Einzelför<strong>der</strong>ung 95<br />

9.3 Vorbereitung zur Einzelför<strong>der</strong>ung<br />

Die Aufgabe <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t besteht darin, die therapeutische<br />

<strong>Anwendbarkeit</strong> <strong>der</strong> <strong>textilen</strong> <strong>Technik</strong> <strong>Filzen</strong> <strong>bei</strong> <strong>dem</strong> Personenkreis<br />

schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter Menschen zu untersuchen.<br />

Dazu formuliert sich die zentrale Fragestellung konkretisiert wie folgt:<br />

Kann die textilgestalterische <strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s <strong>bei</strong><br />

Kin<strong>der</strong>n mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung, zur<br />

effektiven För<strong>der</strong>ung gestörter Entwicklungsbereiche<br />

angewendet werden<br />

Um die Effekte, die <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> <strong>der</strong> Schüler mit schwersten Behin<strong>der</strong>ungen<br />

auftreten, in zufriedenstellen<strong>dem</strong> Maße beobachten und interpretieren<br />

zu können, erschien es sinnvoll, die Einzelför<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gruppenför<strong>der</strong>ung<br />

vorzuziehen. Dies geschah mit <strong>der</strong> Vorüberlegung, daß in einer<br />

Einzelför<strong>der</strong>ung <strong>dem</strong> betroffenen Kind eine individuelle optimale Betreuung<br />

und Zuwendung, auch im Sinne von zu leistenden Hilfestellungen,<br />

zukommen kann.<br />

Die Entscheidung, die Erprobungsreihe in einer Einzelfallstudie durchzuführen,<br />

wird unterstützt durch die Tatsache, daß sich im Bereich <strong>der</strong><br />

Schwerstbehin<strong>der</strong>tenpädagogik die Einzelfallstudien durchgesetzt haben,<br />

da man versucht das Problem <strong>der</strong> Findung einer homogenen Kontrollgruppe<br />

zu umgehen. Da<strong>bei</strong> stellt die individuelle Person die Analyseeinheit<br />

dar, die gleichzeitig als ihre eigene Kontrollperson fungiert. Diese Entscheidung<br />

ergibt sich aus <strong>der</strong>, im Gesamtkontext zu sehenden individuellen<br />

Ausprägung einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung (Vgl. WEMBER,<br />

1991, S. 100-101).<br />

In Falle <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t werden in diesem Sinne primär die<br />

Ergebnisse dreier Einzelfallstudien aufgeführt.<br />

Der Gedanke das Vorhaben innerhalb einer Gruppenkonstallation zu vollziehen<br />

wird mit <strong>der</strong> Unterrichtsreihe gestreift und später in <strong>der</strong> Beschreibung<br />

über die Projektwochenar<strong>bei</strong>t nochmals aufgegriffen.


9.3 Vorbereitung zur Einzelför<strong>der</strong>ung 96<br />

Mit <strong>dem</strong> Entschluß, die Kin<strong>der</strong> in einer Einzelför<strong>der</strong>ung unter <strong>dem</strong> Aspekt<br />

<strong>der</strong> therapeutischen Intervention, filzen zu lassen, stellte sich mir die<br />

Frage, welche Schüler ich zu diesem Zweck aussuchen sollte.<br />

Um eine Schülerauswahl treffen zu können, hielt ich es für notwendig, mir<br />

im ersten Schritt einen Gesamteindruck von <strong>der</strong> Klasse zu verschaffen.<br />

Dies konnte ich am besten mittels einer kurzen Unterrichtsreihe im Klassenverband<br />

erreichen. Zu<strong>dem</strong> sollte diese Form <strong>der</strong> pädagogischen Einführung<br />

auch zu einem vertrauterem Verhältnis zwischen mir und den<br />

Kin<strong>der</strong>n <strong>bei</strong>tragen, was in <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung als Grundvoraussetzung zu<br />

sehen ist.<br />

Um den Schülern die Möglichkeit zu geben, sich an meine Anwesenheit<br />

zu gewöhnen, nahm ich zunächst als Hospitantin am Unterricht <strong>der</strong> Klasse<br />

teil.<br />

Nach<strong>dem</strong> die Schüler mich etwas besser kennengelernt hatten, leistete<br />

ich den Einstieg in mein Thema mittels einer Unterrichtsreihe über “das<br />

Schaf“ und “das <strong>Filzen</strong>“.<br />

Je<strong>dem</strong> Schüler sollte damit die Gelegenheit gegeben werden, Schafwolle<br />

und <strong>der</strong>en Verar<strong>bei</strong>tung zu Filz kennenzulernen. Dies geschah mit <strong>der</strong><br />

Intention, die Schüler an die Materialien und den Vorgang des <strong>Filzen</strong>s<br />

heranzuführen und eine Schülerauswahl treffen zu können.<br />

Zu diesem Zweck wurden vier Unterrichts(doppel)stunden geplant, <strong>der</strong>en<br />

Inhalte und Ziele kurz wie<strong>der</strong>gegeben werden sollen.<br />

9.3.1 Erste Unterrichtsstunde<br />

Thema:<br />

Eine Geschichte über das Schaf<br />

Zeit:<br />

45 Minuten<br />

Richtziel:<br />

Die Geschichte ermöglicht den Schülern einen Einstieg in<br />

das Thema <strong>Filzen</strong>.<br />

Grob- und Feinziele:<br />

• Die Schüler sollen die Bil<strong>der</strong>geschichte beschreiben.


9.3.1 Erste Unterrichtsstunde 97<br />

• Die Schüler sollen erzählen, was sie über Schafe<br />

wissen.<br />

Materialien:<br />

Eine Bil<strong>der</strong>geschichte<br />

9.3.2 Zweite Unterrichtsstunde<br />

Thema:<br />

Wahrnehmungserfahrungen mit naturbelassener Schafwolle<br />

Zeit:<br />

45 Minuten<br />

Richtziel:<br />

Durch Schafwolle sollen die Schüler Wahrnehmungserfahrungen<br />

sammeln.<br />

Grob- und Feinziele:<br />

• Die Schüler sollen mit ihren Händen die Schafwolle<br />

befühlen um Tasterfahrungen zu sammeln.<br />

• Die Schüler werden ermutigt, an <strong>der</strong> Schafwolle zu<br />

riechen um über den Riechsinn die Schafwolle wahrzunehmen.<br />

• Die Schüler sollen sich die Schafwolle optisch wahrnehmen<br />

und beschreiben, z. B ob sie farbig ist und ob<br />

Dreck darin ist.<br />

• Gefilzte Wolle soll im Vergleich zu unbehandelter Wolle<br />

über den Fühl-, Riech- und Sehsinn wahrgenommen<br />

werden.<br />

• Assoziative Gedanken <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> Materialien<br />

sollen von den Schülern geäußert werden.<br />

• Nonverbalen Schülern soll über Wahrnehmungserfahrungen<br />

eine Reaktion entlockt werden.


9.3.2 Zweite Unterrichtsstunde 98<br />

Materialien:<br />

• Wolle vom Bergschaf<br />

• Filzfläche aus Bergschafwolle<br />

9.3.3 Dritte Unterrichtsstunde<br />

Die dritte Unterrichtsstunde diente auch als vorbereitende Maßnahme. Die<br />

gezupfte Schafwolle wurde für die geplanten Einzelför<strong>der</strong>stunden benötigt.<br />

Thema:<br />

Schafwolle zupfen als Vorbereitung zum <strong>Filzen</strong><br />

Zeit:<br />

45 Minuten<br />

Richtziel:<br />

Die Schüler sollen im Hinblick auf motorische För<strong>der</strong>aspekte<br />

ihre Hände aktiv zum Zupfen, also Greifen, <strong>der</strong><br />

Schafwolle einsetzen und da<strong>bei</strong> die Wolle mit all ihren<br />

Reizinformationen wahrnehmen.<br />

Grob- und Feinziele:<br />

• Die Schüler werden unter <strong>dem</strong> Aspekt <strong>der</strong> Greif- und<br />

Zielmotorik dazu angeleitet, die Schafwolle mit ihren<br />

Händen aufzulockern (zu zupfen).<br />

• Die Schüler sollen über diese Aktivität die Beschaffenheit<br />

<strong>der</strong> Schafwolle wahrnehmen und die Empfindungen<br />

in kommunikativer Form äußern.<br />

• Die Schüler sollen an den Vorbereitungen zum <strong>Filzen</strong><br />

aktiv mit eingebunden werden.<br />

• Unter Berücksichtigung <strong>der</strong> visuellen Informationsverar<strong>bei</strong>tung<br />

und Motorik (Auge-Hand-Koordination) sollen<br />

die Schüler die Verunreinigungen aus <strong>der</strong> Wolle entfernen.


9.3.3 Dritte Unterrichtsstunde 99<br />

Materialien:<br />

• Wolle vom Bergschaf<br />

• Holzkisten als Abwurf für ungezupfte, gezupfte Wolle<br />

und den Abfall<br />

9.3.4 Vierte Unterrichtsstunde<br />

Thema:<br />

<strong>Filzen</strong><br />

Zeit:<br />

90 Minuten<br />

Richtziel:<br />

Kennenlernen <strong>der</strong> Filztechnik<br />

Grob- und Feinziele:<br />

• Den Schülern werden die Materialien, die zum <strong>Filzen</strong><br />

notwendig sind vorgestellt.<br />

• Die Schüler machen Wahrnehmungserfahrungen mit<br />

den zum <strong>Filzen</strong> notwendigen Materialien.<br />

• Den Schülern wird in handlungsorientierter Form<br />

gezeigt, wie gefilzt wird.<br />

• Über die das <strong>Filzen</strong> sollen Wahrnehmung, Motorik und<br />

Kommunikation in wechselseitiger Beziehung geför<strong>der</strong>t<br />

werden.<br />

• Die Schüler sollen die zum <strong>Filzen</strong> benötigte Bewegung<br />

möglichst eigenaktiv ausführen.<br />

• Die Schüler sollen ihre Wahrnehmung und die damit<br />

verbundenen Empfindungen <strong>bei</strong>m Prozeß des <strong>Filzen</strong>s<br />

in individueller Form äußern.<br />

Materialien:<br />

• Wolle vom Bergschaf<br />

• Schmierseife<br />

• Wasser (warm)


9.3.4 Vierte Unterrichtsstunde 100<br />

• Plastikfolie zum Abdecken <strong>der</strong> Tische<br />

• Behältnisse für das Wasser<br />

• Ein Schneebesen, um die Schmierseife im Wasser zu<br />

verrühren<br />

• Handtücher<br />

An dieser Stelle sei angemerkt, daß <strong>der</strong> Prozeß des <strong>Filzen</strong>s hier ohne den<br />

Vorgang des Walkens vollzogen wurde, da es sich hier nicht um<br />

produktorientiertes <strong>Filzen</strong> handelte und die Festigkeit des Filzes nicht<br />

son<strong>der</strong>lich von Belang war. Im Vor<strong>der</strong>grund stand das prozeßorientierte<br />

Handeln, <strong>bei</strong> <strong>dem</strong> die auftretenden Effekte <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> im Rahmen<br />

individueller Entwicklungsför<strong>der</strong>ung beobachtet werden sollten.<br />

Die innerhalb <strong>der</strong> Unterrichtsstunden gewonnenen Eindrücke führten zu<br />

einer Auswahl von zwei Schülern und einer Schülerin, <strong>der</strong>en anthropologischen<br />

Voraussetzungen im weiteren beschrieben werden.<br />

9.4 Schülerauswahl<br />

Um eine individuelle För<strong>der</strong>ung und gute Beobachtung <strong>der</strong> <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong><br />

auftretenden Effekte gewährleisten zu können, hielt ich es für sinnvoll,<br />

eine Auswahl an Schülern zu treffen, <strong>bei</strong> denen ich in Einzelför<strong>der</strong>situationen<br />

die Filztechnik zur individuellen För<strong>der</strong>ung einsetzen wollte.<br />

Bei <strong>der</strong> Schülerauswahl ging es mir vor allem darum, diejenigen Schüler in<br />

die Studie mit aufzunehmen, <strong>der</strong>en wahrnehmenden, motorischen und<br />

kommunikativen Fähigkeiten, bedingt durch die Indikation ihrer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung,<br />

in massivem Maße eingeschränkt sind. Dies<br />

geschah, um die therapeutische Wirksamkeit <strong>der</strong> Filztechnik hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> genannten Entwicklungsbereiche schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ter<br />

Kin<strong>der</strong> überprüfen zu können.


9.4 Schülerauswahl 101<br />

Von beson<strong>der</strong>em Interesse waren Schüler mit taktil-kinästhetischen Funktionsstörungen,<br />

<strong>der</strong>en hand- und fingermotorische Fähigkeiten starke Beeinträchtigungen<br />

aufweisen.<br />

Hier sollte <strong>der</strong> Ansatz überprüft werden, ob trotz <strong>der</strong> hohen motorischen<br />

Inaktivität <strong>der</strong> Schüler, Eigenbewegung auslösbar ist o<strong>der</strong> welche Effekte<br />

sich <strong>bei</strong> einer passiven Bewegung (mit unterstützen<strong>der</strong> Führung) zeigen<br />

würden. Das Augenmerk galt vor allem jenen Schülern, <strong>der</strong>en Hand- und<br />

Fingermotorik von einer spastischen Funktions<strong>bei</strong>nträchtigung betroffen<br />

sind, um insbeson<strong>der</strong>e herauszufinden, ob ein Entspannungseffekt im<br />

Sinne einer temporären Lösung <strong>der</strong> Spastik zu erzielen ist.<br />

Ein wesentlicher zu verfolgen<strong>der</strong> Aspekt war auch <strong>der</strong> <strong>der</strong> Kommunikation.<br />

Durch die taktilen und motorischen Reizinformationen, die die Wolle und<br />

das <strong>Filzen</strong> liefern, kann sowohl auf verbaler, als auch auf nonverbaler<br />

Ebene ein interaktiver Prozeß im Sinne eines Reiz-Reaktions-Schemas<br />

auftreten.<br />

Im Hinblick auf die Möglichkeiten die die Wolle und das <strong>Filzen</strong> zur För<strong>der</strong>ung<br />

von Wahrnehmung, Motorik und Kommunikation mitbringen, ergab<br />

sich die Teilnahme zweier Schüler und einer Schülerin, mit <strong>der</strong>en Hilfe ich<br />

die therapeutische <strong>Anwendbarkeit</strong> des <strong>Filzen</strong>s überprüfen wollte.<br />

Um sich eine Vorstellung über die individuellen Voraussetzungen dieser<br />

Schüler machen zu können, werden im weiteren Verlauf <strong>der</strong>en anthropologischen<br />

Voraussetzungen beschrieben.<br />

9.4.1 Anthrophologische Voraussetzungen des Schülers M.<br />

a) Anamnese bzw. Art <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung<br />

Bei Schüler M. handelt es sich um einen neun Jahre alten Jungen türkischer<br />

Herkunft, <strong>der</strong> bedingt durch eine Frühgeburt eine Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

aufweist.<br />

Diese ist im beson<strong>der</strong>en Maße durch eine spastische Tetraplegie<br />

gekennzeichnet. Darunter versteht man einen erhöhten Spannungszustand<br />

des ganzen Körpers und aller vier Extremitäten, <strong>der</strong>en Charakteristika<br />

bestehenbleibende frühkindliche Reflexaktivitäten sind, die sich


9.4.1 Anthrophologische Voraussetzungen des Schülers M. 102<br />

in pathologischen Bewegungsmustern auswirken (vgl.<br />

SOWA/METZLER, 1989, S. 17).<br />

M. weist in diesem Zusammenhang eine linksseitige Betonung unter<br />

Einwirken einer schweren Spannungsathetose auf, die durch Hyperbewegungen<br />

mit langsamen, tonischen, wurmartigen, unwillkürlichen, geschraubten<br />

Bewegungen (vgl. SOWA/METZLER, 1989, S. 79) gekennzeichnet<br />

ist.<br />

Sein körperliches Erscheinungsbild zeigt eine permanente Bewegungsunruhe,<br />

wo<strong>bei</strong> <strong>der</strong> linke Arm wesentlich unruhiger ist als <strong>der</strong> rechte.<br />

Der linke Arm und die linke Hand sind meist hochgeschlagen, die Hand<br />

hält M. da<strong>bei</strong> gefaustet. Arme und Hände können praktisch nicht<br />

willentlich betätigt werden, Greiffunktionen sind nicht möglich.<br />

Durch athetotische Bewegungsmuster ist seine Handmotorik in starkem<br />

Maße eingeschränkt.<br />

Die Haltung von M. ist durch eine Adduktorenkontraktur (Versteifung<br />

<strong>der</strong> Beugemuskulatur; vgl. DUDEN, 1982, S. 421) beeinträchtigt.<br />

Im Sitzen wird Schüler M. am Becken fixiert, damit er nicht in <strong>der</strong> totalen<br />

Streckspastik nach hinten schießt, o<strong>der</strong> im Beugekollaps nach<br />

vorne zusammenfällt.<br />

M. weist fast keine verwertbaren motorischen Funktionen auf. Dies<br />

bezieht sich sowohl auf die Ganzkörperhaltung, als auch auf die<br />

Sprachmuskulatur.<br />

Bedingt durch die motorischen Einschränkungen hat M. keine übliche<br />

Wahrnehmungsentwicklung vollzogen.<br />

Die Kopfkontrolle ist vor allem durch Fixieren <strong>bei</strong><strong>der</strong> Arme im Handgelenkbereich<br />

und den Füßen an den Rollstuhl möglich.<br />

M. ist nur bedingt in <strong>der</strong> Lage über Lautsprache zu kommunizieren,<br />

denn seine kommunikativen Fähigkeiten sind durch eine Dysarthrie und<br />

Atemstörungen auffällig. Das macht sich in <strong>der</strong> Form bemerkbar, daß<br />

M. <strong>bei</strong>m Sprechen große Anstrengungen erfährt, weil sich in <strong>der</strong> Phase<br />

des Sprechens <strong>der</strong> Muskeltonus im Bereich <strong>der</strong> Mundmuskulatur erhöht.<br />

M. kann sich trotz<strong>dem</strong> ausdrücken und seine Wünsche klar äußern,<br />

jedoch benötigt er dazu viel Zeit, die man ihm geben sollte.


9.4.1 Anthrophologische Voraussetzungen des Schülers M. 103<br />

Betrachtet man sich die geistige Entwicklung von M., so ist eine leichte<br />

Retadierung feststellbar.<br />

b) Sozialverhalten<br />

M. ist ein freundlicher und zurückhalten<strong>der</strong> Junge, <strong>der</strong> einen guten<br />

Kontakt zu seinen Mitschülern hat. Situationen und Stimmungen in <strong>der</strong><br />

Gruppe kann er gut einschätzen.<br />

c) Ar<strong>bei</strong>tsverhalten<br />

M. ist in <strong>der</strong> Lage, ihm bekannte Ar<strong>bei</strong>tsanweisungen zu verstehen.<br />

Bei <strong>der</strong> Ausführung seiner Ar<strong>bei</strong>tsaufträge ist er immer sehr motiviert<br />

und bemüht, sie beson<strong>der</strong>s gut zu erledigen. Durch seinen Übereifer<br />

kommt es zu Auswirkungen bezüglich seiner Motorik, z. B. durch überschießende<br />

Bewegungen und einen erhöhten Muskeltonus.<br />

d) Hilfsmittel<br />

M. hat einen seiner körperlichen Situation angepaßten Rollstuhl mit<br />

Maßsitzschale, <strong>der</strong> mit Fixiervorrichtungen für die Hände, das Becken<br />

und die Füße versehen ist. M. ist jedoch nicht in <strong>der</strong> Lage, den Rollstuhl<br />

eigenständig zur Fortbewegung zu benutzen.<br />

Durch die in fixiertem Zustand recht gute Kopfkontrolle hat M. die Möglichkeit,<br />

mit Hilfe eines Mundstabs kleinere Tätigkeiten auszuführen.<br />

Ein Stehstän<strong>der</strong>, als Möglichkeit eine an<strong>der</strong>e Körperhaltung einzunehmen,<br />

ist seiner körperlichen Konstitution entsprechend angepaßt um<br />

gegen Kontrakturen zu ar<strong>bei</strong>ten.<br />

Eine Hilfestellung durch Bezugspersonen zur Verrichtung seiner<br />

Grundbedürfnisse muß unbedingt gewährleistet sein.<br />

e) Therapieprogramm<br />

Das Therapieprogramm von M. <strong>bei</strong>nhaltet<br />

• zweimal in <strong>der</strong> Woche Krankengymnastik,<br />

• einmal in <strong>der</strong> Woche Ergotherapie,<br />

• einmal pro Woche Sprachtherapie.


9.4.2 Anthrophologische Voraussetzungen des Schülers D. 104<br />

9.4.2 Anthrophologische Voraussetzungen des Schülers D.<br />

a) Anamnese bzw. Art <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung<br />

Bei diesem Schüler handelt es sich um einen zehn Jahre alten Jungen,<br />

<strong>der</strong> aufgrund einer Zwillingsfrühgeburt (zweiter Zwilling) eine praenatale<br />

Hirnschädigung mit zerebraler Bewegungsstörung erlitten hat und<br />

daher als schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>t eingestuft ist.<br />

Die schwerste Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung <strong>bei</strong>nhaltet eine schwere Körperbehin<strong>der</strong>ung<br />

in Form einer spastischen Tetraplegie mit athetotischer<br />

Komponente (Begriffsklärung, vgl. Schüler M.), die zu einer übermäßigen<br />

Reflexpathologie führt.<br />

Die körperliche Situation von D. ist geprägt durch Kontrakturen (Versteifungen)<br />

<strong>der</strong> Gelenke.<br />

Spastische Streckmuster <strong>der</strong> Arme und Beine bestimmen die Kopfhaltung<br />

und die gesamte Ruhelage des Jungen.<br />

Die linksseitige schlechte Rumpfkontrolle ist auf eine hypotone<br />

(schlaffe) Rumpfmuskulatur zurückzuführen, die ein In-sich-Zusammensacken<br />

des Körpers bewirkt, wo<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Kopf von D. aufgrund einer<br />

vermin<strong>der</strong>ten Kopfkontrolle, die in allen Positionen zu beobachten ist,<br />

nach vorne fällt.<br />

D. ist in <strong>der</strong> Lage, seine rechte Faust nach Auffor<strong>der</strong>ung gezielt einzusetzen,<br />

seine bevorzugte Hand ist jedoch die linke. Da<strong>bei</strong> fällt auf, daß<br />

<strong>bei</strong> gezielten Tätigkeiten ein verstärkter Beugetonus auftritt. Ein willentliches<br />

Greifen ist Schüler D. meist nicht möglich, das Loslassen fällt ihm<br />

schwer. Bei D. ist zu beobachten, daß er seine Hände fast immer gefaustet<br />

hält, wo<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Daumen eingeschlagenen ist.<br />

Bedingt durch die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit ist für D. eine<br />

“normale“ Wahrnehmung nicht möglich, jedoch scheint eine Körperwahrnehmung<br />

im Ansatz erfahrungsgemäß vorhanden zu sein.<br />

Auf <strong>der</strong> Grundlage einer geistigen Behin<strong>der</strong>ung besteht eine deutliche<br />

Sprachentwicklungsverzögerung, die sich in Form von fehlen<strong>der</strong> Lautsprachebefähigung<br />

äußert. Der überwiegend nonverbale Junge bringt<br />

seinen Gefühlszustand über Mimik, Gestik und Lautieren zum Ausdruck.<br />

Eine Kommunikation über ein Ja-Nein-Konzept und Zeigeblick ist


9.4.2 Anthrophologische Voraussetzungen des Schülers D. 105<br />

in motivierten Momenten von Seiten D.´s möglich, da ein gewisses<br />

Sprachverständnis vorhanden ist.<br />

b) Sozialverhalten<br />

D. erscheint als fröhliches Kind, welches in den Klassenverband voll<br />

integriert ist. Durch die partnerschaftliche Hilfe an<strong>der</strong>er Schüler, ist D. in<br />

<strong>der</strong> Lage, an den Geschehnissen seiner Umwelt teilzunehmen.<br />

c) Ar<strong>bei</strong>tsverhalten<br />

D. ist es auf <strong>der</strong> Grundlage seiner individuellen Situation möglich,<br />

angepaßte Anweisungen zu verstehen. Er kann leicht motiviert werden<br />

und nimmt Angebote gerne an, um aktiv zu werden. Das Maß an<br />

selbständigem Handeln ist stark abhängig von seiner Tagesform und<br />

<strong>dem</strong> entsprechenden Befinden. Ist D. mit einer von ihm auszuführenden<br />

Ar<strong>bei</strong>tsaufgabe vertraut, führt er sie motiviert durch. Abzulesen ist dies<br />

anhand <strong>der</strong> Mimik, Gestik und <strong>der</strong> Laute, die er von sich gibt.<br />

d) Hilfsmittel<br />

D. ist auf einen Rollstuhl mit angepaßter Sitzschale angewiesen. Dieser<br />

ist mit Fixiervorrichtungen wie einem Beckenbügel, gekreuzten Gummibän<strong>der</strong>n<br />

zur Fixierung des Rumpfes und <strong>der</strong> Fußstellung versehen.<br />

Eine alleinige Fortbewegung mit <strong>dem</strong> Rollstuhl ist aufgrund <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung<br />

nicht möglich.<br />

Der zum Repertoire an Hilfsmitteln gehörende Stehstän<strong>der</strong> wird zur<br />

Ankurbelung des Kreislaufes und einem entgegenwirken <strong>der</strong> Kontrakturen<br />

eingesetzt. Desweiteren stellt er für D. eine Möglichkeit dar,<br />

seinen Körper vom permanenten Sitzen zu entlasten.<br />

D. ist zur Bewältigung des täglichen Lebens auf maximale Zuwendung<br />

und Hilfestellung durch Bezugspersonen angewiesen.


9.4.2 Anthrophologische Voraussetzungen des Schülers D. 106<br />

e) Therapieprogramm<br />

Das Therapieprogramm von D. umfaßt<br />

• zweimal in <strong>der</strong> Woche Krankengymnastik,<br />

• zweimal in <strong>der</strong> Woche Ergotherapie,<br />

• einmal pro Woche Sprachtherapie.<br />

9.4.3 Anthrophologische Voraussetzungen <strong>der</strong> Schülerin P.<br />

a) Anamnese bzw. Art <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung<br />

Bei <strong>der</strong> zwölfjährigen Schülerin P. handelt es sich um ein Mädchen,<br />

welches, bedingt durch eine Encephalitis (Hirnhautentzündung) im Alter<br />

von vier Wochen, eine schwere Hirnschädigung erlitt und seither von<br />

einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung betroffen ist.<br />

Der Schweregrad ihrer Körper-, Geistig- und Sprachbehin<strong>der</strong>ung bringt<br />

extreme Entwicklungsdefizite hervor. Hinzu kommt ein therapieresistentes<br />

Anfallsleiden und eine starke Infektionsanfälligkeit, die die Lebensbedingungen<br />

von P. zusätzlich erschweren und zu hohen Fehlzeiten in<br />

<strong>der</strong> Schule führen.<br />

P. ist von einer schweren spastischen Tetraplegie betroffen, die zusätzlich,<br />

durch Kontrakturen <strong>der</strong> Gelenke an den oberen und unteren Extremitäten,<br />

zu einer Bewegungs-, Sitz- und Stehunfähigkeit führt. Eine<br />

kontrollierte Kopfbewegung ist P. kaum möglich, nur mit Unterarmunterstützung<br />

ist ein Heben des Kopfes manchmal zu realisieren.<br />

Das insgesamt wenig eigenaktive Verhalten von P. macht eine aktive<br />

Teilnahme an Aktionen unmöglich.<br />

Ein gewisses Maß an Körperwahrnehmung scheint P. zu haben. Sie<br />

reagiert auf Geräusche und äußert ihren Unmut, wenn sie etwas nicht<br />

mitbekommen kann. Ruft etwas Gefallen hervor, fängt P. an zu lachen.<br />

Bezüglich <strong>der</strong> Wahrnehmungsfähigkeit kann die Aussage getroffen<br />

werden, daß sie, wie <strong>bei</strong> an<strong>der</strong>en bewegungsgestörten Kin<strong>der</strong>n, unzureichend<br />

ausgeprägt ist. In Wechselbeziehung zu den Störungen <strong>der</strong>


9.4.3 Anthrophologische Voraussetzungen <strong>der</strong> Schülerin P. 107<br />

an<strong>der</strong>en Entwicklungsbereiche ergibt sich daraus ein erheblicher Entwicklungsrückstand.<br />

Auf kommunikativer Ebene kann P. ihre emotionale Lage, ihre Bedürfnisse<br />

etc. nur auf mimische Art und über Laute zum Ausdruck bringen.<br />

Dies äußert sie entwe<strong>der</strong> mit Lachen o<strong>der</strong> mit Weinen.<br />

b) Sozialverhalten<br />

Die Grundstimmung von P. ist in guter Verfassung subjektiv als froh<br />

und heiter zu bewerten. Durch die Passivität des Kindes ist eine aktive<br />

Teilnahme an den Geschehnissen nur durch Bezugspersonen und die<br />

Mitschüler möglich. P. ist jedoch gut in die Klasse integriert und wird so<br />

individuell, wie es die Situation zuläßt, mit in Aktionen eingebunden,<br />

welches sie mit Mimik und Lautieren kommentiert.<br />

c) Ar<strong>bei</strong>tsverhalten<br />

Durch die Schwere <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung ist kein Ar<strong>bei</strong>tsverhalten zu beobachten.<br />

Die För<strong>der</strong>maßnahmen, die <strong>bei</strong> P. angewendet werden, haben<br />

passiven Charakter und lösen bestenfalls Reaktionen aus, die in den<br />

kommunikativen Bereich fallen.<br />

Je nach Reizangebot, <strong>der</strong>en Verar<strong>bei</strong>tung und persönlichen Bewertung<br />

nach Gefallen und nicht Gefallen, fällt die Reaktion positiv mit Lachen,<br />

o<strong>der</strong> negativ mit Weinen, aus.<br />

d) Hilfsmittel<br />

Bei P. ist kein freies Sitzen möglich. Dies macht einen Rollstuhl mit<br />

Sitzschale erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Zur Lagerung in Seiten- o<strong>der</strong> Rückenlage werden eigens für P. zugeschnittene<br />

Lagerungselemente eingesetzt. Eine Lagerung auf <strong>dem</strong><br />

Bauch ist wegen <strong>der</strong> Anlage einer Magensonde nicht möglich.<br />

Da P. nicht mehr die Befähigung <strong>der</strong> Nahrungsaufnahme besitzt, wird<br />

sie über eine Magensonde mit flüssiger Kost ernährt, welches innerhalb<br />

<strong>der</strong> Institution Schule von einer ausgebildeten Krankenschwester und<br />

privat von den Eltern geleistet wird.


9.4.3 Anthrophologische Voraussetzungen <strong>der</strong> Schülerin P. 108<br />

P. ist komplett pflegerisch und in <strong>der</strong> Bewältigung des täglichen Lebens<br />

auf fremde Hilfe angewiesen.<br />

e) Therapieprogramm<br />

P. wird durch tägliche krankengymnastische Anwendungen in <strong>der</strong><br />

Schule und dreimal in <strong>der</strong> Woche privat geför<strong>der</strong>t.<br />

9.5 Darstellung <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>stunden<br />

Nach <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Unterrichtsstunden, die als Einführung für das<br />

Thema <strong>Filzen</strong> zu sehen sind, wurde mit den Schülern M., D. und <strong>der</strong><br />

Schülerin P., entwe<strong>der</strong> innerhalb <strong>der</strong>er Ergo- o<strong>der</strong> Physiotherapiestunden,<br />

in Anwesenheit des entsprechend behandelnden Therapeuten gefilzt o<strong>der</strong><br />

sie wurden während des Unterrichts aus <strong>dem</strong> Klassenverband gelöst, um<br />

in einer Einzelsituation mit mir alleine zu ar<strong>bei</strong>ten. Da<strong>bei</strong> wurde nicht auf<br />

die Einhaltung einer Zeiteinheit geachtet, son<strong>der</strong>n nach <strong>der</strong> individuellen<br />

Bedürfnislage eines jeden Kindes entschieden, wann aufzuhören ist.<br />

Die offiziellen För<strong>der</strong>schwerpunkte eines jeden Schülers waren im Vorfeld<br />

durch die Akteneinsicht und Absprache mit den Pädagogen und Therapeuten<br />

bekannt und dienten als Voraussetzung einer sachgerechten<br />

Durchführung <strong>der</strong> therapeutischen Anwendung des <strong>Filzen</strong>s.<br />

Daraus konnte ich zu Beginn <strong>der</strong> För<strong>der</strong>einheiten die auf das <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong><br />

Therapie bezogenen wichtigsten individuellen Schwerpunkte, die hier als<br />

Therapieziele bezeichnet werden, konkret formulieren.<br />

Die Ziele und Inhalte <strong>der</strong> therapeutischen Anwendung des <strong>Filzen</strong>s sind für<br />

alle vier geplanten Einheiten pro Schüler pauschal formuliert. Anzumerken<br />

ist in diesem Zusammenhang, daß die Inhalte und Ziele innerhalb <strong>der</strong><br />

therapeutischen Einheiten bestehen bleiben und sich die Ergebnisdarstellung<br />

und Interpretation auf die Summe <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> durchgeführten<br />

För<strong>der</strong>einheiten bezieht.<br />

Zusätzlich aufgetretene Effekte, <strong>bei</strong> denen es sich als sinnvoll erwies,<br />

diesen nachzugehen, werden in den jeweiligen Ergebnisdarstellungen <strong>der</strong><br />

Schüler mit Aufmerksamkeit bedacht.


9.5 Darstellung <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>stunden 109<br />

Auftretende Schwierigkeiten ergaben sich in <strong>der</strong> Erprobungsphase mit<br />

Schülerin P., die aufgrund infektiös bedingter Erkrankungen permanente<br />

Fehlzeiten erbrachte. Somit sind die Ergebnisse eine Zusammenstellung<br />

aus einer Einzelför<strong>der</strong>einheit und ihrer temporären Teilnahme an <strong>der</strong> Projektwoche.<br />

Weiterhin sollte nochmals darauf hingewiesen werden, daß es sich <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

Durchführung des <strong>Filzen</strong>s in <strong>der</strong> therapeutischen Anwendung um ein mehr<br />

prozeß- und nicht produktorientiertes Ar<strong>bei</strong>ten handelt.<br />

Damit ist gemeint, daß es primär um den Filzvorgang geht und nicht unbedingt<br />

um das Produkt. Dem entstandenen “Filz“ ist nur eine sekundäre<br />

Bedeutung <strong>bei</strong>zumessen, wo<strong>bei</strong> dies im Hinblick auf die Ursache-Wirkungskette<br />

und <strong>der</strong>en motivierende Auswirkung auf die Kin<strong>der</strong> jedoch<br />

nicht gänzlich zu vernachlässigen ist.<br />

Anmerkung:<br />

Bei den zum <strong>Filzen</strong> verwendeten Materialien handelte es sich immer um<br />

• Wolle vom Bergschaf,<br />

• warmes Wasser<br />

• Schmierseife.<br />

Die Aufgabe <strong>der</strong> Schüler bestand darin, die Wollfasern unter zu Hilfenahme<br />

von Seifenlauge durch Reibung mit den Händen zu einem Filz zusammenzufügen.<br />

Beim <strong>Filzen</strong> mit den Kin<strong>der</strong>n, die eine schwerste Behin<strong>der</strong>ung haben,<br />

wurde überwiegend auf das Kadieren <strong>der</strong> Wolle verzichtet und mit handgezupfter<br />

Wolle gefilzt. Lediglich <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Projektwochenar<strong>bei</strong>t ist kadierte<br />

Wolle verwendet worden.<br />

Alle zusätzlich zum Einsatz gekommenen Geräte o<strong>der</strong> Materialien werden<br />

geson<strong>der</strong>t aufgeführt.<br />

Die Vorbereitungen, wie z. B. das Wasser erwärmen, Seifenlauge herstellen<br />

und den Ar<strong>bei</strong>tsplatz herrichten, sind im Vorfeld von mir erledigt


9.5 Darstellung <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>stunden 110<br />

worden. Sie waren den Schülern jedoch dadurch bekannt, daß in den vorbereitenden<br />

Unterrichtsstunden dieses von den Schülern <strong>der</strong> Klasse (mit<br />

Unterstützung) selbst erbracht worden ist.<br />

9.5.1 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung mit Schüler M.<br />

9.5.1.1 Therapieziele<br />

Wie aus den anthropologischen Voraussetzungen des Schülers M. hervorgeht,<br />

sind vorab folgende För<strong>der</strong>schwerpunkte hinsichtlich des Vorhabens<br />

formuliert worden:<br />

• Verbesserung <strong>der</strong> taktil-kinästhetischen Wahrnehmung,<br />

• Erleben von Entspannung; lernen sich zu entspannen um Erkenntnis<br />

darüber zu gewinnen, daß ihm erst Entspannung eine gezielte Bewegungsmöglichkeit<br />

mit den Händen eröffnet,<br />

• Anregung <strong>der</strong> Eigenaktivität,<br />

• Motivation zur verbalen Kommunikation.<br />

9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation<br />

Mit Schüler M. sind vier För<strong>der</strong>einheiten von ca. 20-35 Minuten durchgeführt<br />

worden, die jeweils von einigen Pausen unterbrochen wurden. Die<br />

Zeit richtete sich nach <strong>der</strong> individuellen Bedürfnislage und <strong>der</strong> Tagesform<br />

von M., wo<strong>bei</strong> er meist die Pausen und die Länge <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit bestimmen<br />

sollte.<br />

In <strong>der</strong> ersten (ca. 32 Minuten) und zweiten (ca. 35 Minuten) För<strong>der</strong>einheit<br />

sollte M. zunächst aus <strong>der</strong> Sitzposition im eigenen Rollstuhl versuchen zu<br />

filzen. Hierzu wurden ihm zwei Hände voll gezupfte Bergschafwolle mit<br />

Seifenlauge durchnäßt, angeboten.<br />

Um die zum <strong>Filzen</strong> erfor<strong>der</strong>liche motorische Tätigkeit mit den Händen<br />

ausüben zu können, mußte M. eine stabile Unterlage geschaffen werden.<br />

Zu diesem Zweck wurde er an einen höhenverstellbaren Tisch geschoben,


9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 111<br />

auf dessen Unterlage M. nun aufgefor<strong>der</strong>t war, seine Hände (mit Hilfestellung)<br />

zum filzen zu benutzen. Dafür wäre es notwendig gewesen, die<br />

Hände von M. aus <strong>der</strong> Fixierung seines Rollstuhls zu lösen. Aufgrund <strong>der</strong><br />

Tatsache, daß M. sich seiner motorischen Störungen bewußt ist, machte<br />

er von sich aus den Vorschlag, mit <strong>dem</strong> Schneebesen, <strong>der</strong> eigentlich zum<br />

Verrühren <strong>der</strong> Schmierseife im Wasser benutzt worden ist, filzen zu<br />

wollen. Dieser Wunsch resultiert vermutlich aus <strong>der</strong> Tatsache, daß M. für<br />

sich weiß, daß er in fixiertem Zustand, seinen Verhältnissen entsprechend,<br />

eine recht gute Kopfkontrolle hat, die er gezielter zum Einsatz<br />

bringen kann.<br />

Da M. sehr motiviert ist, seine Ar<strong>bei</strong>tsaufgaben bestmöglich selbständig<br />

ausführen zu wollen, er aber wenig Selbstvertrauen zu den motorischen<br />

Fähigkeiten seiner oberen Extremitäten, insbeson<strong>der</strong>e seiner Hand- und<br />

Fingermotorik hat, bevorzugte er zunächst, mit <strong>dem</strong> Schneebesen im<br />

Mund filzen zu wollen, analog <strong>der</strong> Verwendung seines Mundstabes für<br />

kleinere Tätigkeiten.<br />

Um die Bedürfnisse von M. zu berücksichtigen, ging ich auf seinen<br />

Wunsch, wie auf Abb. 7 zu sehen ist, ein, jedoch in Kenntnis dessen, daß<br />

das Ergebnis nicht zufriedenstellend sein wird, da sich auf diese Weise<br />

schlecht filzen läßt. Das liegt daran, daß die mit Seifenlauge getränkten<br />

Fasern <strong>der</strong> Schafwolle zwar quellen, jedoch mit <strong>dem</strong> Schneebesen als<br />

Hilfsmittel nicht genug Druck und Bewegung auf die Oberfläche ausgeübt<br />

werden kann und sich die Fasern entsprechend nur schlecht zu einem Filz<br />

verbinden.


9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 112<br />

Abb. 7<br />

Schüler M. <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> mit einem “Mundwerkzeug“<br />

Da M. nach ca. zehn Minuten merkte, daß das <strong>Filzen</strong> mit seinem “Mund-<br />

Werkzeug“ nicht so gut funktionierte, ließ er sich darauf ein mit seinen<br />

Händen zu filzen.<br />

Um eine bessere Durchführung zu ermöglichen, wurde eine Ar<strong>bei</strong>tsplatte<br />

am Rollstuhl befestigt, die zum Schutz gegen die extreme Nässe mit Folie<br />

abgedeckt wurde. Desweiteren wurde ein Spiegel als Hilfsmittel hinzugezogen,<br />

<strong>der</strong> vor <strong>dem</strong> Rollstuhl von M. aufgestellt wurde. Er sollte den<br />

Zweck erfüllen, die motorische Führung, die <strong>bei</strong> M. notwendigerweise<br />

durch den Therapeuten erfolgen mußte, und die Körperhaltung von M.<br />

besser kontrollieren zu können. Hierzu hatte es sich als sinnvoll erwiesen<br />

als helfende Kraft von hinten an M. heranzutreten, wie in Abb. 8 veranschaulicht.


9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 113<br />

Abb. 8<br />

Schüler M. <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> mit <strong>der</strong> Therapeutin vor einem Spiegel<br />

Ein weiterer Aspekt, <strong>der</strong> den Einsatz des Spiegels erfor<strong>der</strong>lich macht, ist<br />

die Kontaktaufnahme zwischen Therapeut (hier die Ergotherapeutin) und<br />

M.. Über das Spiegelbild ist es <strong>bei</strong>den möglich visuell in Kontakt zu treten<br />

und darüber hinaus zu kommunizieren. Das bedeutet, daß <strong>der</strong> Therapeut<br />

die Möglichkeit hat, über den Spiegel den Gesichtsausdruck, die Mimik,<br />

die Atmung und Körperhaltung unter kommunikativen Aspekt als Ausdruck<br />

<strong>der</strong> Befindlichkeit von M., zu beobachten, um möglicherweise entsprechend<br />

darauf reagieren zu können.<br />

Bevor M. nun das <strong>Filzen</strong> aufnehmen sollte, war er aufgefor<strong>der</strong>t, die Fühlerfahrung,<br />

die ihm die unbear<strong>bei</strong>tete Schafwolle über seine Hände bot, zu<br />

beschreiben. Schüler M. war in <strong>der</strong> Lage die Tastqualität <strong>der</strong> Wolle mit<br />

<strong>dem</strong> Wort “weich“ zu verbalisieren.<br />

M. sollte nun ausgehend von seiner Körpersymmetrie den Filzvorgang<br />

aufnehmen. Das bedeutet, daß M´s. Arme <strong>bei</strong> aufrechter Körperhaltung in<br />

<strong>der</strong> Körperachse nach vorne geführt wurden, um ein Körpergleichgewicht<br />

und eine gute mittige Körperhaltung herzustellen (Abb. 8, Kreis 1 u. 2).<br />

Diese Körperhaltung stellte eine Voraussetzung für eine bessere Wahrnehmung<br />

und Ausübung von Bewegungen dar.


9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 114<br />

Da die rechte Hand von M. weniger von <strong>der</strong> Bewegungsgestörung betroffen<br />

ist als die linke Hand, sollte diese von M. zum <strong>Filzen</strong> benutzt<br />

werden (Abb. 8, Kreis 1). Die linke Hand wurde möglichst flach mit <strong>der</strong><br />

Handfläche Richtung Boden in <strong>der</strong> Körpermitte festgehalten (Abb. 8, Kreis<br />

2).<br />

Durch die Spastik und die einschießenden Reflexe, die sich in athetotischen,<br />

also ausfahrenden Bewegungen äußern, war es schwierig, den<br />

linken Arm von M. festzuhalten und da<strong>bei</strong> die rechte Hand in eine gezielte<br />

Bewegung zu führen. Die permanente Bewegungsunruhe von M. machte<br />

dies nur in einem passiven Bewegungsakt, kontrolliert von <strong>der</strong> Therapeutin,<br />

möglich. Hier<strong>bei</strong> wurde von Schüler M. versucht, die athetotischen<br />

Komponenten zum <strong>Filzen</strong> einzusetzen bzw. zu nutzen.<br />

Durch eine Führung von Seiten <strong>der</strong> helfenden Person war es M. möglich,<br />

die Wahrnehmungs- und Bewegungsreize, die von den Materialien und<br />

<strong>dem</strong> Prozeß des <strong>Filzen</strong>s ausgehen, zu erfahren. Durch die erfahrbar gemachten<br />

unterschiedlichen Tastqualitäten wie weich, warm, naß, glitschig<br />

etc., war M. in <strong>der</strong> Lage Entspannung zu finden, mit <strong>dem</strong> Erfolg, daß sich<br />

die durch die Spastik zur Faust verkrampfte Hand löste und eine entspanntere<br />

offenere Haltung zeigte. M. fand es schön dies zu spüren und<br />

kommentierte den entspannten Zustand seiner Hand mit einem überraschten:<br />

„Die Hand ist ganz locker!“<br />

Dieses wichtige Ergebnis ist in <strong>der</strong> Abb. 8 (durch Kreis 1 und 2) und<br />

Abb. 9 (durch den gelben Kreis) gekennzeichnet.


9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 115<br />

Abb. 9<br />

Entspannte Handhaltung des Schülers M. <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong><br />

M. war also in <strong>der</strong> Lage, seinen körperlichen Zustand, bezogen auf die<br />

Hand, zu reflektieren, was offensichtlich auf ein Körperbewußtsein zurückzuführen<br />

ist. So gesehen kann hier <strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> Bewußtseinsför<strong>der</strong>ung<br />

festgestellt werden. Offensichtlich trugen die <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> gemachten Erfahrungen<br />

und <strong>der</strong> Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Motorik<br />

zu diesem Ergebnis <strong>bei</strong>.<br />

Der Grund, daß sich die Hand aus <strong>der</strong> Spastik löste, scheint darin begründet,<br />

daß sich M. nicht mehr bewußt auf die Bewegungen die er zu leisten<br />

hatte konzentrierte, son<strong>der</strong>n mehr auf das, was er fühlte, denn “Athetotiker“<br />

neigen laut Aussage <strong>der</strong> Ergotherapeutin dazu, <strong>bei</strong> bewußt auszuübenden<br />

Bewegungen muskulär zu verkrampfen, wie auch <strong>bei</strong> M. zu beobachten<br />

war.<br />

Beachtlich ist in diesem Zusammenhang, daß M. zum Teil auf die Visuomotorik<br />

verzichtete und sich lieber im Raum umsah. Feststellbar war in<br />

diesen Momenten, daß die Bewegungen unter Führung des Therapeuten<br />

ruhiger waren, wenn M. sich mit den Augen ablenkte und die Bewegungsmuster<br />

in unbewußtem Zustand ausübte.<br />

Bedingt durch die Tatsache, daß die Informationen, die vom <strong>Filzen</strong> und<br />

<strong>der</strong>en Materialien ausgehen, M. so viele taktil/haptische Wahrnehmungs-


9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 116<br />

reize über die Haut lieferten, war <strong>der</strong> Effekt <strong>der</strong> Entspannung von Handund<br />

Fingermuskulatur zu beobachten.<br />

Das Ergebnis <strong>der</strong> entspannten Handhaltung wurde von M. durchaus reflektiert<br />

und führte zu einem motivierteren Ar<strong>bei</strong>tsverhalten, welches sich<br />

in <strong>der</strong> Ausdauer <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tshaltung nie<strong>der</strong>schlug.<br />

Der nächste wichtige Aspekt, <strong>der</strong> sich <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> ergeben hatte, bezieht<br />

sich auf die Kommunikationsför<strong>der</strong>ung.<br />

Durch die unterschiedlichen Tastqualitäten, die M. erfahrbar gemacht<br />

worden sind, ist M. zu spontanen Äußerungen in <strong>der</strong> Lage gewesen.<br />

Diese verbalen Äußerungen bezogen sich zunächst auf den Geruch, den<br />

M. mit: „Das stinkt!“ kommentierte. Diese Aussage, die eine negative<br />

Riecherfahrung wi<strong>der</strong>spiegelt, unterstrich M., in<strong>dem</strong> er sein Gesicht verzog<br />

und so seinen Ekel zum Ausdruck brachte.<br />

Ein weiterer kommunikativer Aspekt, <strong>der</strong> sich im prozeßhaften Handeln<br />

des <strong>Filzen</strong>s <strong>bei</strong> M. ergeben hatte, war die Anstrengung <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Tätigkeit,<br />

die sich aus M´s. Gesicht ableiten ließ, zu erkennen auf Abb. 8. Die spitze<br />

Verformung seines Mundes <strong>bei</strong>m Ein- und Ausatmen deuten auf die<br />

enorme Anstrengung und Konzentration in <strong>der</strong> aktiven Phase von M. hin.<br />

Dieser Gesichtsausdruck beschreibt auch die emotional angespannte<br />

Situation von M., die im Hinblick auf die gegenseitigen Wechselwirkungen<br />

<strong>der</strong> einzelnen Erfahrens- und Erlebensbereiche hier erwähnt werden<br />

sollte.<br />

Weiterhin ist auch zu beachten, daß M. seine Auge-Hand-Koordination<br />

zum Großteil über den Spiegel ausführte und darüber seine Bewegungen<br />

im Zusammenspiel mit <strong>der</strong> Therapeutin im Blick hatte bzw. kontrollierte.<br />

Die erzielten Ergebnisse waren schon recht zufriedenstellend, mit Ausnahme<br />

<strong>der</strong> Tatsache, daß es sich <strong>bei</strong> den Bewegungen, die zum <strong>Filzen</strong><br />

mit M. ausgeübt wurden, um eine mehr passive Bewegung handelte. Die<br />

Überlegung bestand nun darin, wie es zu ermöglichen wäre, M. aus <strong>der</strong><br />

passiven Rolle des “Bewegtwerdenden“ herauszuführen, denn passive<br />

Bewegungserfahrungen sind qualitativ auf einem geringeren Niveau einzustufen,<br />

als aktive Bewegungserfahrungen. Nur aktive Bewegungserfah-


9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 117<br />

rungen gelangen ins Bewußtsein, während passive Bewegungen nicht gut<br />

gespeichert werden können, da keine Bewegungsplanung erfolgen kann.<br />

Aus diesem Grund wurde in <strong>der</strong> dritten (ca. 20 Minuten) und vierten (ca.<br />

26 Minuten) För<strong>der</strong>einheit, ein Körperlagewechsel vorgenommen. Das<br />

bedeutete, daß M. nicht mehr im Sitzen von seinem Rollstuhl aus filzen<br />

sollte, son<strong>der</strong>n aus einer an<strong>der</strong>en Körperlage heraus. Eine Lageverän<strong>der</strong>ung<br />

des Körpers ist schon im Hinblick auf die Erfahrungssammlung <strong>der</strong><br />

Körperlage-Raum-Beziehung sinnvoll.<br />

So wurde M. unter Einsatz eines Liegekeils in eine sogenannte reflexhemmende<br />

Position gebracht. Diese ist für jedes Kind individuell zu erar<strong>bei</strong>ten.<br />

In diesem Falle konnte ich auf die Erfahrungen <strong>der</strong> Ergotherapeutin<br />

zurückgreifen. Ihrer Meinung nach bot sich die Lagerung auf <strong>dem</strong><br />

Liegekeil zur Ausübung des <strong>Filzen</strong>s an, wo<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Liegekeil zuvor zum<br />

Schutz vor Nässe mit einer Plastikfolie und Handtüchern abgedeckt<br />

worden ist. Die reflexhemmende Stellung von M. wurde in linker Seitenlagerung<br />

vorgenommen. Der linke Arm wurde fixiert. Ziel war es nun, die<br />

durch die Behin<strong>der</strong>ung einschießenden Reflexe zur Ausübung des <strong>Filzen</strong>s<br />

zu nutzen und eine eigenaktive Bewegungserfahrung daraus abzuleiten.<br />

Das heißt, es sollten unwillkürliche Bewegungsmuster in willkürliche<br />

Bewegungen umgesetzt werden.<br />

Um dieses Ziel zu erar<strong>bei</strong>ten, sollten sich Aktions- und Ruhephasen<br />

abwechseln. Diese wurden fremdbestimmt durch die anwesende Therapeutin<br />

festgelegt, da sie das Ar<strong>bei</strong>tsverhalten von M. besser einzuschätzen<br />

wußte.<br />

Nach<strong>dem</strong> M. auf <strong>dem</strong> Liegekeil gelagert und ihm Wolle zum <strong>Filzen</strong> angeboten<br />

wurde, zeigte er eine starke körperliche Anspannung und Unruhe,<br />

die ein wenig durch beruhigende Worte behoben werden konnte. Diese<br />

Unruhe tritt häufig dann auf, wenn M. sich selber unter Druck setzt, in<strong>dem</strong><br />

er meint, er müsse eine Ar<strong>bei</strong>tsaufgabe beson<strong>der</strong>s gut bewältigen. Ein<br />

weiterer Grund war mit Sicherheit auch die hohe Anfor<strong>der</strong>ung die an ihn<br />

gestellt wurde, eigenaktiv auf <strong>der</strong> nassen Schafwolle seine Hände zu<br />

bewegen.<br />

Um diesen Druck nicht noch größer werden zu lassen, seine Tätigkeit und<br />

die Ergebnisse nicht zu beeinflussen, verzichtete ich an dieser Stelle auf


9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 118<br />

eine fotografische Aufnahme. Denn jedesmal wenn ich den Fotoapparat<br />

bereit hielt, stellten sich erneut starke muskuläre Verkrampfungen ein.<br />

Nach<strong>dem</strong> M. sich auf die Aufgabenstellung eingelassen hatte, zeigte er<br />

<strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> mit <strong>der</strong> rechten Hand im Wechsel zwei Bewegungsformen die<br />

er auf <strong>der</strong> nassen Wolle ausübte. Zum Einen eine zupfende Bewegung mit<br />

allen Fingern und zum An<strong>der</strong>en eine Bewegung mit <strong>der</strong> Handfläche, die<br />

M. im Bezug auf die anfänglich gemachten Berührungsreizen geöffnet<br />

hielt.<br />

Die Bewegungen waren keine reflexhaften Bewegungen, son<strong>der</strong>n sind<br />

von M. unter Anstrengung gezielt eingesetzte Bewegungsmuster, die aus<br />

<strong>der</strong> Spastik heraus von ihm produziert worden sind. Bei <strong>bei</strong>den Bewegungen<br />

handelte es sich um Muster, die M. von körpernah nach körperfern<br />

ausführte.<br />

Die zwei Bewegungsformen vermittelten Schüler M. unterschiedliche<br />

Bewegungs- und Fühlerfahrungen, da unterschiedliche Bewegungen<br />

unterschiedliche Wahrnehmungsreize vermitteln.<br />

M. erlernte schnell die Planung dieser Bewegung. Die Eigenstängigkeit,<br />

mit <strong>der</strong> M. die Bewegungen ausführte, wirkte sich unter <strong>dem</strong> Aspekt <strong>der</strong><br />

Ursache-Wirkungszusammenhänge motivationsaktivierend aus.<br />

In <strong>der</strong> vierten För<strong>der</strong>einheit war M. dann schon so weit, daß er die Bewegungsplanung<br />

nicht mehr neu erlernen mußte, son<strong>der</strong>n seine Energie<br />

gänzlich in die Bewegungsausführung investieren konnte.<br />

Nun war auch die Auge-Hand-Koordination erkennbar, <strong>der</strong>en anfängliches<br />

Fehlen vermutlich darauf zurückzuführen war, daß M. seine gesamte<br />

Konzentration zunächst für den Bewegungsvorgang aufgewendet hat und<br />

mit einer Auge-Hand-Koordination überfor<strong>der</strong>t gewesen wäre.<br />

Eine Reaktion von M., die in den Pausen immer zu beobachten war,<br />

schien durch den Geruch <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Wolle ausging, hervorgerufen<br />

worden zu sein. M. vergrub sein Gesicht immer in das Kissen, welches zur<br />

Unterstützung unter seinem Kopf lag. Da<strong>bei</strong> zog er ein angewie<strong>der</strong>tes<br />

Gesicht um seinen Ekel ersichtlich zu machen. Trotz<strong>dem</strong> wollte er nach<br />

den Pausen weitermachen. Wahrscheinlich hat ihm das <strong>Filzen</strong> soviel an<br />

Reizen geboten, und er merkte, daß er bedingt durch den Entspannungseffekt<br />

eigenständige Bewegungen ausführen konnte.


9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 119<br />

Ein weiterer Gesichtspunkt, <strong>der</strong> sich <strong>bei</strong> <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung durch das <strong>Filzen</strong><br />

ergeben hat und <strong>dem</strong> kommunikativen Entwicklungsbereich zuzuordnen<br />

ist, bestand darin, daß M. in <strong>der</strong> Lage war, die unterschiedlichen Tastqualitäten<br />

zu benennen. Er benannte seine Tasterfahrungen mit: „weich,<br />

schaumig, glitschig, warm, und naß.“<br />

Daraus ist zu schließen, daß eine Differenzierung <strong>der</strong> einzelnen Wahrnehmungsreize<br />

und <strong>der</strong>en Zusammenhang zum Vorgang des <strong>Filzen</strong>s von<br />

M. umgesetzt wurde.<br />

Abschließend möchte ich noch auf die entstandenen Filzobjekte eingehen.<br />

Da es sich <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> mit den von einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

betroffenen Kin<strong>der</strong>n vor allem um eine För<strong>der</strong>maßnahme in den Entwicklungsbereichen<br />

Wahrnehmung, Motorik und Kommunikation gehandelt<br />

hat, bin ich schwerpunktmäßig auf diese Aspekte eingegangen. Ich<br />

möchte jedoch die entstandenen Objekte in <strong>der</strong> Ergebnisdarstellung nicht<br />

vernachlässigen, da sich anhand dessen ein weiterer Punkt, nämlich die<br />

<strong>der</strong> Phantasieanregung verfolgen läßt. Dafür ist ein Beispiel in <strong>der</strong> folgenden<br />

Abbildung zu sehen.


9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 120<br />

Abb. 10<br />

Schüler M. mit <strong>dem</strong> von ihm gefilzten “Bart“<br />

Auf diesem Bild ist eines <strong>der</strong> entstandenen Filzobjekte von Schüler M. zu<br />

erkennen. Da<strong>bei</strong> handelt es sich, laut Aussage von M., um die Darstellung<br />

eines gefilzten “Bartes“. Das es sich <strong>bei</strong> <strong>dem</strong> gefilzten Stück um einen<br />

Bart handeln könnte, entstammte <strong>der</strong> Phantasie von M.. Als ich ihm sein<br />

gefilztes Stück nach Beendigung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>einheit vor Augen führte und<br />

ihn fragte, was dies denn darstellen könnte, antwortete M. spontan mit:<br />

„Ein Bart!“ Hier ist deutlich eine Anregung <strong>der</strong> Phantasie zu beobachten,<br />

die aufgrund <strong>der</strong> Lautsprachebefähigung von M. verbal zum Ausdruck gebracht<br />

werden konnte. So handelt es sich hier um ein Konstrukt aus assoziativem<br />

Gedankengut und kommunikativer Befähigung.<br />

M. ist in <strong>der</strong> Lage seine bildhafte Phantasie in Worte zu fassen, welches<br />

sich unter <strong>dem</strong> Gesichtspunkt <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung von Phantasie und Kommu-


9.5.1.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 121<br />

nikation zusammenfassend auf ein kreatives Handeln von Schüler M.<br />

zurückzuführen läßt.<br />

Weitere Objekte, die M. zum Teil mit und ohne Hilfe geschaffen hatte, benannte<br />

er mit: „Affe, Baum und Elefant mit Vogel.“ Auf eine bildhafte Darstellung<br />

wird an dieser Stelle verzichtet.<br />

Zusammenfassend kann man im Falle von M. sagen, daß durch das <strong>Filzen</strong><br />

die Therapieziele erfüllt werden konnten. Das <strong>Filzen</strong> stellt sich in<br />

diesem Sinne als eine Möglichkeit zur För<strong>der</strong>ung des perzeptorischen,<br />

motorischen, kommunikativen und emotionalen Bereichs dar. Desweiteren<br />

wurde anhand des Beispiels von Schüler M. ersichtlich, daß man die textile<br />

<strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s in Bezug auf die Phantasieanregung und kreative<br />

Gestaltung zum Einsatz bringen kann. Welche Ergebnisse sich <strong>bei</strong> den<br />

an<strong>der</strong>en Schülern ergeben haben, wird in <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung<br />

von Schüler D. erweiternd erörtert.<br />

9.5.2 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung mit Schüler D.<br />

9.5.2.1 Therapieziele<br />

Auch <strong>bei</strong> Schüler D. sind an Richtlinien und den offiziellen För<strong>der</strong>schwerpunkten<br />

orientierte Ziele hinsichtlich <strong>der</strong> geplanten För<strong>der</strong>ung durch das<br />

<strong>Filzen</strong> formuliert worden. Da die Gruppe <strong>der</strong> ausgewählten Schüler ähnliche<br />

Voraussetzungen mitbringen, ist mit einer Überschneidung <strong>der</strong> Therapieziele<br />

zu rechnen. Bei Schüler D. formulieren sich die Ziele wie folgt:<br />

• Verbesserung <strong>der</strong> taktil-kinästhetischen Wahrnehmung,<br />

• Verbesserung <strong>der</strong> feinmotorischen Koordination,<br />

• Verbesserung <strong>der</strong> Greiffunktion,<br />

• Erleben von Entspannung, lernen sich zu entspannen (Erkenntnisgewinnung,<br />

daß ihm erst Entspannung eine gezielte Bewegungsmöglichkeit<br />

eröffnet, z.B. Lockerung <strong>der</strong> Arme),<br />

• Anregung <strong>der</strong> Eigenaktivität,


9.5.2 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung mit Schüler D. 122<br />

• Verbesserung <strong>der</strong> Körperhaltung und bilateralen Integration (Körpersymmetrie),<br />

• Verbesserung <strong>der</strong> Beidhand-Kooperation,<br />

• Erweiterung des vorhandenen Sprachverständnisses.<br />

9.5.2.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation<br />

Mit Schüler D. sind vier För<strong>der</strong>einheiten von ca. 25-30 Minuten durchgeführt<br />

worden, die jeweils von aktiven und inaktiven Phasen bestimmt<br />

waren. Die Länge <strong>der</strong> För<strong>der</strong>einheit richtete sich nach <strong>der</strong> individuellen<br />

Bedürfnislage und <strong>der</strong> Tagesform von D..<br />

In <strong>der</strong> ersten (ca. 30 Minuten) För<strong>der</strong>einheit griff ich mit D., wie in Abb. 11<br />

zu erkennen ist, nochmals das Zupfen <strong>der</strong> Wolle auf, da er <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Einführung<br />

durch den Unterricht daran viel Spaß gezeigt hatte und um die<br />

Greiffunktion seiner Hände zu trainieren. Desweiteren sollte ihm darüber<br />

die Möglichkeit gegeben werden, die weiche Beschaffenheit <strong>der</strong> Wolle<br />

nochmals zu fühlen. Dies geschah im Hinblick auf einen angestrebten<br />

Vergleich mit einem Stück Filz, um D. den Unterschied <strong>der</strong> zwei Fühlqualitäten<br />

“weich“ und “hart“ nah zu bringen.<br />

Diese Situation bewältigte D. von seinem Rollstuhl aus, unter zur Hilfenahme<br />

eines am Rollstuhl festgeschraubten Tisches.


9.5.2.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 123<br />

Abb. 11<br />

Schüler D. <strong>bei</strong>m Zupfen (Greifen) <strong>der</strong> Schafwolle<br />

Anhand <strong>der</strong> Abb. 11 (Kreis 1 und 2) ist ersichtlich, daß D. unter Ausschluß<br />

<strong>der</strong> Auge-Hand-Koordination in <strong>der</strong> Lage ist, nach mündlicher Auffor<strong>der</strong>ung<br />

durch den Therapeuten, in Eigenaktivität eine Greifreaktion auf das<br />

Wahrnehmungsangebot <strong>der</strong> Wolle zu zeigen. Zu diesem Zweck ist D.<br />

zuvor in eine körpermittige Haltung gebracht worden, um die Körpersymmetrie<br />

herzustellen. Nur in dieser Körperhaltung ist eine zufriedenstellende<br />

Tätigkeit für D. aufzunehmen.<br />

In<strong>dem</strong> D. die Wolle spürte, öffnete er die (linke) Hand leicht und schloß sie<br />

selbständig wie<strong>der</strong>; er griff zu. Dieser Greifreflex war offensichtlich auf das<br />

taktile Reizangebot <strong>der</strong> Wolle zurückzuführen. Möglicherweise ist das<br />

gleichzeitige Öffnen des Mundes auch als Reflex zu bewerten, denn diese<br />

Reaktion war häufig <strong>bei</strong>m Kontakt mit <strong>der</strong> Schafwolle aufgetreten.


9.5.2.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 124<br />

For<strong>der</strong>te man D. auf an den Wollfasern zu ziehen, war er befähigt, den<br />

linken Arm, <strong>der</strong> weniger spastisch ist als <strong>der</strong> rechte Arm, nach hinten zu<br />

führen. Da<strong>bei</strong> hielt er ein Ende <strong>der</strong> Wollfasern fest, das an<strong>der</strong>e Ende<br />

wurde von <strong>der</strong> helfenden Person fixiert. Bei <strong>der</strong> Ausführung dieser motorischen<br />

Tätigkeit hatte es den Anschein, daß D. eine Vorstellung von <strong>dem</strong>,<br />

was er da gerade tat, hatte.<br />

An dieser Stelle tritt auch schon Kommunikation zwischen den Interaktionspartnern<br />

Therapeut und Schüler auf. Der Therapeut bietet einen taktil/haptischen<br />

Reiz und for<strong>der</strong>t D. mündlich auf zu reagieren, in<strong>dem</strong> er an<br />

<strong>der</strong> Wolle zieht. Diese motorische Tätigkeit wird von D. ausgeführt, wo<strong>bei</strong><br />

er von mal zu mal eine erneute Auffor<strong>der</strong>ung benötigte. Seinem Gesichtsausdruck<br />

in Abb. 11 ist einer subjektiven Bewertung unterliegend zu entnehmen,<br />

daß er möglicherweise an <strong>der</strong> Fühl- und Bewegungserfahrung<br />

Freude hatte.<br />

Nach ca. zehn Minuten wurde von D. die Tätigkeit des <strong>Filzen</strong>s aufgenommen.<br />

Auch hier stand <strong>der</strong> Versuch, dies vom Rollstuhl aus zu bewältigen<br />

an erster Stelle.<br />

D. zeigte sich, bedingt durch die Spastik, häufig in einer asymmetrischen<br />

Körperhaltung. Diese war durch rechtsseitige Außenrotation <strong>der</strong> Schulter,<br />

einer Drehung des Kopfes nach links und einer sogenannten Fechterstellung<br />

seiner Arme gekennzeichnet. Möchte man erfolgreich therapeutisch<br />

tätig werden, so muß diese körperliche Situation aufgehoben werden.<br />

Aus diesem Grund wurden zu Beginn des Filzvorhabens die oberen<br />

Extremitäten von <strong>der</strong> Schulter an durch Ausschütteln (Verweis: “Kapitel<br />

5.6 Physiotherapie“, S. 72) gelockert. Durch das Ausschütteln o<strong>der</strong><br />

auch Ausklopfen sollte D. die Möglichkeit erhalten, seine Körperhaltung<br />

selbständig korrigieren zu können, in<strong>dem</strong> er seine Arme vor <strong>dem</strong> Oberkörper<br />

allein zusammenbrachte. Da<strong>bei</strong> war darauf zu achten, daß <strong>der</strong><br />

Kopf in <strong>der</strong> Symmetrie zur Körperachse aufrecht gehalten wird.( Diese<br />

Tips hatte mir <strong>der</strong> behandelnde Krankengymnast von D. gegeben).<br />

Von dieser Körperhaltung ausgehend, die jedoch immer wie<strong>der</strong> durch Ansage<br />

des Therapeuten von D. zu korrigieren war, bot ich D. die naßwarme<br />

Schafwolle zum <strong>Filzen</strong> an. Ihm war <strong>der</strong> Prozeß zwar schon durch<br />

den Unterricht bekannt, doch eine Hilfestellung meinerseits brachte ihm


9.5.2.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 125<br />

den Vorgang des <strong>Filzen</strong>s erneut nahe. Nach<strong>dem</strong> es sich zunächst um eine<br />

passive Bewegungserfahrung mit ständig wechseln<strong>dem</strong> Bewegungsrhythmus<br />

gehandelt hatte, um eine Adaptation <strong>der</strong> Wahrnehmungsreize<br />

zu vermeiden, bemerkte ich minimale Bewegungen, die D. in eigener<br />

Aktion versuchte, aufrecht zu erhalten. Offensichtlich bemühte er sich<br />

durch die Bewegungen, die er auf <strong>der</strong> nassen Wolle ausübte, Wahrnehmungserfahrungen<br />

für sich zu sammeln. Zu diesem Zweck drückte D.<br />

seine Hand fest auf die Ar<strong>bei</strong>tsplatte auf <strong>der</strong> die Wolle lag und versuchte,<br />

selber den Reibungsvorgang durchzuführen. Durch die Ursache-Wirkungskette,<br />

im Sinne von “ich handle, dann bewirke ich“, erschien D. sehr<br />

motiviert, die massive Anstrengung auf sich zu nehmen und die handmotorische<br />

Tätigkeit selbständig ausführen zu wollen.<br />

Ein weiterer zu beobachten<strong>der</strong> Effekt war die geöffnete Handhaltung, die<br />

ich durch temporäres, manuelles Fixieren in Abb. 12 sichtbar festgehalten<br />

habe.<br />

Abb. 12<br />

Handhaltung des Schülers D. <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong><br />

Die linke Hand, gekennzeichnet durch Kreis 2, wies im Gegensatz zu <strong>der</strong><br />

rechten Hand (Kreis 1) eine offene Handhaltung auf. Die Handfläche war,<br />

so weit es D. möglich war, auf die Fläche <strong>der</strong> nassen Wolle gedrückt. Es


9.5.2.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 126<br />

ist davon auszugehen, daß sich die Hand von D. unter den taktilen Reizen<br />

geöffnet hat, möglicherweise, um mit einer größeren Fläche (Handfläche)<br />

mehr Tasterfahrungen machen zu können. Die rechte Hand, die sich in<br />

einer sogenannten assoziierten Reaktion zu einer Faust geschlossen<br />

zeigte, war mit keinerlei Bewegungen auf <strong>der</strong> nassen Wollfläche aktiv.<br />

Vermutlich hätte eine Bewegung mit <strong>bei</strong>den Händen für D. eine Überfor<strong>der</strong>ung<br />

dargestellt.<br />

In <strong>der</strong> folgenden För<strong>der</strong>einheit, in <strong>der</strong> D. eine Ausdauer von ca. 25 Minuten<br />

erbrachte, wurde die gleiche Therapieeinheit inhaltlich wie<strong>der</strong>holt, um<br />

den zuvor beobachteten Erfolg zu überprüfen.<br />

Die Ergebnisse bestätigten sich und wurden durch ein zusätzliches<br />

Reizangebot, einer Platte mit genoppter Oberflächenstruktur, erweitert; zu<br />

erkennen in Abb. 13.<br />

Abb. 13<br />

Schüler D. <strong>bei</strong>m eigenaktiven <strong>Filzen</strong> im Rollstuhl<br />

In Abb. 13 sind die gleichen Effekte erkennbar. Diesmal zeigte D. in komplett<br />

selbständiger Tätigkeit eine offene Handhaltung <strong>der</strong> linken Hand, mit<br />

assoziierter gefausteter Haltung <strong>der</strong> rechten Hand. Gefilzt wurde von D.<br />

auf einem rauhen Untergrund, <strong>der</strong> ihm zusätzliche Tastinformationen über<br />

die Haut bot. Betrachtet man das Gesicht von D. so stellt man fest, daß es


9.5.2.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 127<br />

zu diesem Zeitpunkt recht entspannt aussieht, welches auf ein positives<br />

Wohlbefinden seinerseits zurückzuführen scheint. D.´s Mimik gab Auskunft<br />

über seine emotionale Lage und ist unter <strong>dem</strong> Aspekt <strong>der</strong> Kommunikation<br />

zu betrachten. Offensichtlich hatte er Spaß an <strong>der</strong> Tätigkeit,<br />

welches er mit Lautieren und Lachen unterstrich.<br />

Möglicherweise kam es irgendwann zu einer Adaptation <strong>der</strong> Tasterfahrungen.<br />

Das bedeutet, daß die unverän<strong>der</strong>ten Reizinformationen für D.<br />

keine neuen Wahrnehmungserfahrungen lieferten, so daß die Reize eine<br />

Wahrnehmung nicht o<strong>der</strong> nicht mehr in ausreichen<strong>dem</strong> Maße möglich<br />

machten.<br />

Zum Beispiel verän<strong>der</strong>te sich die Temperatur des Wassers von warm nach<br />

kalt, die Struktur <strong>der</strong> Wolle von weich nach hart. Die hierdurch erfolgten<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Tastqualitäten lieferten D. zuvor (wie auch Schüler M.<br />

und Schülerin P.) ein Spektrum an Informationen, die aber im Zuge des<br />

“sich nicht mehr verän<strong>der</strong>ns“ keine neuen Reize boten. Somit erhielt D.<br />

keine ausreichenden Informationen die Wahrnehmung möglich machte.<br />

Verän<strong>der</strong>t sich das Material nicht mehr, stellte D. keine durch ihn bewirkte<br />

Verän<strong>der</strong>ung mehr fest. Dies führte auf Dauer zu einer nachlassenden<br />

Motivation und zum Einstellen <strong>der</strong> Effekte.<br />

In <strong>der</strong> dritten und vierten För<strong>der</strong>einheit (jeweils ca. 25 Minuten) wurde D.<br />

in Zusammenar<strong>bei</strong>t mit <strong>der</strong> Ergotherapeutin, in eine Bauchlageposition gebracht,<br />

von wo aus <strong>der</strong> Filzvorgang selbsttätig von ihm ausgeführt werden<br />

sollte.<br />

Dies geschah zum Einen, im Hinblick auf die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Körperlage<br />

und zum An<strong>der</strong>en, weil durch diese Position ein lockeres nach vorne<br />

Hängen <strong>der</strong> Arme von D. in symmetrischer Körperhaltung aufrechtzuerhalten<br />

war.


9.5.2.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 128<br />

Abb. 14<br />

Schüler D. <strong>bei</strong>m eigenaktiven <strong>Filzen</strong> auf <strong>dem</strong><br />

Liegekeil ohne Auge-Hand-Koordination<br />

Anhand <strong>der</strong> Abb. 14 wird veranschaulicht, daß <strong>bei</strong>de Hände eine recht<br />

gelöste Haltung zeigten. Die rechte Hand von D. (Kreis 1) ist offen und<br />

wird mit <strong>dem</strong> Handrücken durch pronatorische Drehung (Innenrotation)<br />

zum <strong>Filzen</strong> eingesetzt. Die linke Hand (Kreis 2) zeigt eine entspannte<br />

Haltung und wird offensichtlich ebenfalls zum <strong>Filzen</strong> eingesetzt. In diesem<br />

Falle ist keine assoziierte Reaktion <strong>der</strong> Hände zu beobachten.


9.5.2.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 129<br />

Abb. 15<br />

Schüler D. <strong>bei</strong>m eigenaktiven <strong>Filzen</strong> auf <strong>dem</strong><br />

Liegekeil mit Auge-Hand-Koordination<br />

Die Handhaltung <strong>der</strong> rechten und linken Hand in Abb. 15 ist ähnlich, mit<br />

<strong>dem</strong> Unterschied, daß sich die linke Hand (Kreis 2) noch weiter geöffnet<br />

hat.<br />

Während in Abb. 14 keine Auge-Hand-Koordination zu erkennen ist, ist in<br />

Abb. 15 eine visuomotorische Kontrolle von D. erkennbar. Im ersten Fall<br />

(Abb. 14) stellte dies für D. eventuell noch eine Überfor<strong>der</strong>ung dar, die<br />

sich dann jedoch nach <strong>dem</strong> Erlernen <strong>der</strong> Bewegungsformulierung scheinbar<br />

regulierte und D. dazu brachte, seinen Blick auf das, was er an motorischer<br />

Eigenleistung erbrachte, zu lenken.


9.5.2.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 130<br />

Zusammenfassend ist für D. festzuhalten, daß eine therapeutische Wirksamkeit<br />

gemäß <strong>der</strong> För<strong>der</strong>schwerpunkte durch die textilgestalterische<br />

<strong>Technik</strong> <strong>Filzen</strong> durchaus gegeben ist.<br />

Bei D. konnte das <strong>Filzen</strong> durchaus zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> perzeptorischen,<br />

motorischen und kommunikativen Bereiche zum Einsatz gebracht werden.<br />

Eine Erweiterung des Sprachschatzes konnte jedoch nicht ersichtlich<br />

erzielt werden. Der Aspekt <strong>der</strong> Kommunikation bezieht sich mehr auf den<br />

mimischen Ausdruck in Verbindung mit <strong>der</strong> emotionalen Lage von D.,<br />

welches durch ein Lautieren und Lachen <strong>bei</strong> den gemachten Fühl- und<br />

Bewegungserfahrungen deutlich wurde.<br />

So nimmt die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kommunikation mit <strong>der</strong> <strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s<br />

im Falle von D. eine eher untergeordnete Rolle ein. Auch <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Präsentation<br />

seiner gefilzten Objekte, zu erkennen in Abb. 16, konnte keine Anregung<br />

<strong>der</strong> Phantasie vor<strong>der</strong>gründig vermittelt werden. Es handelte sich<br />

zwar um einen kreativ-handelnden Prozeß, <strong>der</strong> zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

erwähnten Bereiche eingesetzt worden ist, führte aber hinsichtlich <strong>der</strong> Reflexion<br />

über das Produkt zu keinerlei sichtbarem Ergebnis.<br />

Abb. 16 Filzobjekte des Schülers D.


9.5.2.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 131<br />

Möglicherweise konnte D. anhand seiner Filzobjekte veranschaulicht<br />

werden, daß er eine Verän<strong>der</strong>ung des Materials Wolle zu Filz bewirkt<br />

hatte, in<strong>dem</strong> ihm <strong>der</strong> Unterschied zwischen weicher Schafwolle und <strong>dem</strong><br />

Produkt seines Handelns, <strong>dem</strong> härteren Filz, über die Tasterfahrung<br />

nochmals zur Wahrnehmung angeboten wurde.<br />

Inwieweit D. zu kognitiven Leistungen bezüglich des Erkennens von<br />

Zusammenhängen <strong>der</strong> <strong>bei</strong>m <strong>Filzen</strong> auftretenden Wahrnehmungsqualitäten<br />

in <strong>der</strong> Lage war, kann aufgrund seiner fehlenden Lautsprachemöglichkeit<br />

nicht beurteilt werden.<br />

9.5.3 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung mit Schülerin P.<br />

9.5.3.1 Therapieziele<br />

Bei Schülerin P. handelt es sich um ein schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>tes<br />

Mädchen, welches aufgrund ihrer schweren Behin<strong>der</strong>ung so gut wie keine<br />

Eigenaktivität zeigt. Die För<strong>der</strong>schwerpunkte bezogen auf das <strong>Filzen</strong><br />

formulieren sich, orientiert an den offiziellen För<strong>der</strong>schwerpunkten und<br />

den Richtlinien, für P. wie folgt:<br />

• För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Körperwahrnehmung,<br />

• Verbesserung <strong>der</strong> taktil-kinästhetischen Wahrnehmung,<br />

• Entspannung <strong>der</strong> spastischen Muskulatur <strong>der</strong> oberen Extremitäten,<br />

• Nonverbale Kommunikationsför<strong>der</strong>ung.<br />

9.5.3.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation<br />

Bei <strong>der</strong> geplanten För<strong>der</strong>ung durch das <strong>Filzen</strong> mit Schülerin P. handelte<br />

es sich um vier geplante Einheiten, die je nach individueller Tagesform<br />

von P. zeitlich gestaltet werden sollten.<br />

Da P., durch ihre Anfälligkeit gegenüber infektiösen Krankheiten, auch im<br />

Zeitraum <strong>der</strong> Erprobungsphase häufig Fehlzeiten hatte, kann ich nur auf


9.5.3.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 132<br />

eine Einzelför<strong>der</strong>stunde von ca. 20 Minuten und ihre Teilnahme am<br />

gemeinsamen <strong>Filzen</strong> innerhalb <strong>der</strong> Projektwoche zurückgreifen.<br />

In <strong>der</strong> För<strong>der</strong>einheit, in <strong>der</strong> ich allein mit P. das Vorhaben des <strong>Filzen</strong>s umsetzte,<br />

schien P. recht fröhlich zu sein. Zu<strong>dem</strong> genoß sie die individuelle<br />

Zuwendung zu ihrer Person in <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung.<br />

In dieser Einheit sollte P. zum <strong>Filzen</strong> in ihrem Rollstuhl verbleiben. Besser<br />

wäre es gewesen, P. aus <strong>dem</strong> Rollstuhl heraus in eine reflexhemmende<br />

Seitenlagerung zu bringen. Lei<strong>der</strong> war es mir nicht möglich das zu realisieren,<br />

da ich es mir nicht zugetraut habe P. aus ihrem Rollstuhl zu heben<br />

und in einer, für sie optimalen Liegeposition zu lagern.<br />

Aufgrund meiner fehlenden Erfahrung bezüglich des “handlings“ für Kin<strong>der</strong><br />

mit schwersten (Körper-)Behin<strong>der</strong>ungen, ist man in solchen Momenten auf<br />

Hilfe von geschultem Personal angewiesen.<br />

Diese Situation läßt die Notwendigkeit <strong>der</strong> interdisziplinären Absprache<br />

erkennen (Verweis: “Kapitel 6 Schnittstellen in <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />

zwischen Son<strong>der</strong>pädagogen und Therapeuten“, S. 79), wo<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Aspekt<br />

<strong>der</strong> optimalen Betreuung durch Absprache später, in <strong>der</strong> Darstellung zur<br />

Projektwoche, nochmals aufgegriffen wird.<br />

Das Angebot zur För<strong>der</strong>ung von P. durch das <strong>Filzen</strong> bestand darin, ihr den<br />

Vorgang des <strong>Filzen</strong>s auf passive Weise nahe zu bringen. Zu diesem<br />

Zweck konfrontierte ich sie zunächst mit ungefilzter Wolle, um sie die<br />

Riech- und Tasterfahrungen mit <strong>der</strong> weichen Wolle machen zu lassen und<br />

dies in <strong>der</strong> Gegenüberstellung mit <strong>dem</strong> von ihr gefilzten Stück später<br />

nochmals aufzugreifen.<br />

P. reagierte auf den Kontakt mit <strong>der</strong> Schafwolle mit einem freudigen<br />

Lachen, welches scheinbar als Reaktion auf das (angenehme) Gefühl,<br />

vermittelt über die Haut, durch die weiche Schafwolle zu bewerten war.<br />

Dies wurde unterstützt durch die olfaktorische Wahrnehmung über die<br />

Nase. Nach den gemachten Fühlerfahrungen, die sich scheinbar nach<br />

einiger Zeit (ca. sechs Minuten) adaptierten, welches ich auf fehlende Reaktionen<br />

zurückführte, bot ich P. die Wolle in naß-warmen Zustand an.<br />

Es war klar, daß P. nicht in <strong>der</strong> Lage sein würde, die Wolle von sich aus<br />

zu einem Filz zu verar<strong>bei</strong>ten, son<strong>der</strong>n daß ich <strong>bei</strong> <strong>dem</strong> passiven Bewegungsvollzug<br />

Hilfestellung leisten mußte. Also rieb ich mit <strong>der</strong> nassen


9.5.3.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 133<br />

Wolle, die ich in meiner Hand hielt um die gefausteten Hände und die<br />

Arme von P..<br />

Nach längerem Reiben <strong>der</strong> nassen Wolle auf <strong>der</strong> Haut von P. schien es zu<br />

einer Wahrnehmung zu kommen, was sie wie<strong>der</strong> durch Lachen und<br />

Lautäußerungen zu verstehen gab. Um nicht allzu schnell eine Adaptation<br />

<strong>der</strong> Reizwahrnehmung zu bewirken, än<strong>der</strong>te ich permanent den Rhythmus,<br />

in<strong>dem</strong> ich schnelle bzw. langsame und lange bzw. kurze Bewegungen<br />

auf P.´s Haut ausübte. Dann legte ich das angefilzte Stück auf die<br />

Tischplatte vor P. und bewegte ihre Hände darüber. Zuerst die linke und<br />

dann die rechte Hand, da<strong>bei</strong> wechselten sich Aktions- und Ruhephasen<br />

ab.<br />

Die Spastik in <strong>der</strong> linken Hand konnte sich da<strong>bei</strong> minimal spürbar, jedoch<br />

nicht sichtbar, lösen. Die rechte Hand war durch die Kontraktur so eingesteift,<br />

daß keine Lockerung zustande kam, was <strong>bei</strong> <strong>der</strong> medizinischen<br />

Indikation einer Kontraktur auch nicht zu erwarten war.<br />

Nach ca. 13 Minuten merkte ich, wie P. begann, ihr Gesicht schmerzhaft<br />

zu verziehen und weinerliche Töne von sich zu geben. Das mochte auf<br />

<strong>der</strong> einen Seite ein Ausdruck ihres mittlerweile gewonnen Desinteresses<br />

gewesen sein, konnte aber auch durch eine plötzliche Verstärkung des<br />

taktil/haptischen Reizes hervorgerufen worden sein, so daß <strong>der</strong> spürbare<br />

Reiz mit <strong>der</strong> Zeit für P. unangenehme Formen <strong>der</strong> Wahrnehmung angenommen<br />

hatte.<br />

(Verweis: “Kapitel 4.2.3.2 Zentrale Wahrnehmungsstörungen“, S. 41)<br />

Aus diesem Grund brach ich nach einer kurzen Pause und einem erneuten<br />

Versuch, <strong>der</strong> ähnliche Ergebnisse brachte, die För<strong>der</strong>einheit an dieser<br />

Stelle ab.<br />

Zusammenfassend kann man die Ergebnisse <strong>der</strong> Beobachtungen <strong>bei</strong> P.<br />

folgen<strong>der</strong>maßen interpretieren.<br />

In den Momenten <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> speziellen Zuwendung<br />

entspannte sich P. und schien motiviert ihren Möglichkeiten entsprechend<br />

an den Geschehnissen teilzunehmen.<br />

Durch die taktil/haptischen Wahrnehmungsmöglichkeiten, die ihr die<br />

Schafwolle und das <strong>Filzen</strong> vermittelten, ist P. in <strong>der</strong> Lage gewesen, gezielte<br />

Wahrnehmungserfahrung zu machen, die zur Verbesserung <strong>der</strong>


9.5.3.2 Therapieinhalt, Ergebnisdarstellung und Interpretation 134<br />

Körperwahrnehmung <strong>bei</strong>trugen. Da es sich im Falle von P. nicht um eine<br />

Schülerin handelt die in eigenaktiver Handlung Bewegungen durchführen<br />

kann, sind die motorischen Erlebnisse von P. nur passiver Natur. Das bedeutet,<br />

daß <strong>der</strong> Therapeut die zum <strong>Filzen</strong> benötigten Bewegungen mit P.<br />

zusammen, o<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Haut von P. ausführen mußte. Wahrnehmungsund<br />

Bewegungserfahrungen sind P. <strong>dem</strong>nach nur mit Hilfe möglich.<br />

Die taktil-kinästhetische Wahrnehmung ist Auslöser einer Kommunikation.<br />

P. äußerte sich auf undifferenzierte Weise, in<strong>dem</strong> sie mimisch und lautierend<br />

auf die Berührungen und Bewegungen reagierte, welches Außenstehenden<br />

einen subjektiven Eindruck ihrer emotionalen Befindlichkeit<br />

vermittelte.<br />

Da es sich im Falle von P. um einen rein prozeßorientierten Vorgang des<br />

<strong>Filzen</strong>s handelte, dessen Produkt primär <strong>der</strong> Tätigkeit des Therapeuten<br />

zuzuordnen war, verzichte ich an dieser Stelle auf die bildhafte Darstellung<br />

des Ergebnisses dieser För<strong>der</strong>einheit und verweise auf das Gruppenergebnis<br />

<strong>der</strong> Projektwochenar<strong>bei</strong>t, an <strong>dem</strong> P. beteiligt war.<br />

9.6 <strong>Filzen</strong> als Thema in <strong>der</strong> Projektwoche<br />

Da sich meine Erprobungsreihe mit <strong>dem</strong> Zeitraum <strong>der</strong> Projektwoche überschnitt,<br />

bot sich ein Aufgreifen des Themas “<strong>Filzen</strong> mit schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ten<br />

Kin<strong>der</strong>n“ in dieser Woche an.<br />

An <strong>der</strong> Projektwochenar<strong>bei</strong>t waren sieben Kin<strong>der</strong> verschiedener Klassen<br />

beteiligt, die von sieben Betreuern aus den son<strong>der</strong>pädagogischen Disziplinen<br />

Pädagogik und Therapie unterstützt wurden (“1:1 Betreuung“ <strong>der</strong><br />

Schüler). Diese Optimalbetreuung ist in <strong>der</strong> Realität des Schulalltags<br />

normalerweise jedoch nicht anzutreffen bzw. realisierbar.<br />

Ich werde mich <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Projektwochenar<strong>bei</strong>t primär auf<br />

die Tauglichkeit des <strong>Filzen</strong>s in <strong>der</strong> Gruppe von Kin<strong>der</strong>n, die eine<br />

schwerste Form Mehrfacherbehin<strong>der</strong>ung haben, unter sozialen Aspekten<br />

beziehen. Da<strong>bei</strong> gehe ich nochmals auf Schülerin P. ein und bringe einige<br />

bereits beschriebene Effekte, die in <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung auffällig waren,<br />

erneut kurz zur Sprache.


9.6.1 Einführungsphase <strong>der</strong> Projektwoche 135<br />

9.6.1 Einführungsphase <strong>der</strong> Projektwoche<br />

Um das <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Gruppe mit sieben Schülern, die eine Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

aufweisen in <strong>der</strong> Projektar<strong>bei</strong>t realisieren zu<br />

können, bedurfte es einer engen Zusammenar<strong>bei</strong>t und Absprache<br />

zwischen Pädagogen und Therapeuten. Während sich die therapeutische<br />

Seite <strong>bei</strong>spielsweise für die Lagerung und die Bewegungsformen, in bzw.<br />

mit denen das <strong>Filzen</strong> erfolgen sollte, verantwortlich sah, hatte sich die<br />

pädagogische Seite Gedanken bezüglich <strong>der</strong> Einführung zu diesem<br />

Thema gemacht.<br />

Die Hinführung zum <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Projektwoche wurde auf didaktischer<br />

Ebene in Zusammenar<strong>bei</strong>t <strong>der</strong> anwesenden Lehrerinnen an den ersten<br />

zwei Tagen geleistet. Nach Geschichten über Schafe, die den Kin<strong>der</strong>n<br />

erzählt wurden, sind erste Tasterfahrungen mit Schafwolle vorgenommen<br />

worden.<br />

Die Ar<strong>bei</strong>t des dritten Tages bestand darin, daß die Kin<strong>der</strong> die Schafwolle<br />

locker gezupft haben, so daß am vierten Tag innerhalb einer Gruppenar<strong>bei</strong>t<br />

gefilzt werden konnten.<br />

Auf diesen Teil <strong>der</strong> Projektwoche stützt sich meine weitere Beschreibung.<br />

9.6.2 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Gruppe - Ergebnisdarstellung und Interpretation<br />

Das Vorhaben <strong>der</strong> Gruppe bestand darin, ein gemeinschaftliches Objekt<br />

aus Filz herzustellen. Es sollte als Produkt ein Fühlteppich entstehen, <strong>der</strong><br />

zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Schüler weiter zum Einsatz gebracht werden kann.<br />

Er sollte gemäß des Projektwochenthemas hauptsächlich aus Filz bestehen<br />

und durch verschiedene Materialien bzw. Gegenstände (bunte Topfkratzer,<br />

synthetischer Filz, Holzringe, Bastschnüre), die es einzufilzen galt,<br />

erweitert werden.<br />

Die Auswahl <strong>der</strong> benutzten Materialien ist zum Teil wegen <strong>der</strong> Farbigkeit<br />

(siehe synthetischer bunter Filz), aber auch wegen <strong>der</strong> zum Filz differenten<br />

Tasterfahrungen die diese Dinge bieten (siehe rauhe Oberfläche <strong>der</strong><br />

Topfkratzer), getroffen worden.


9.6.2 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Gruppe - Ergebnisdarstellung und Interpretation 136<br />

Die unterschiedlichen Gegenstände und Materialien wurden dann auf <strong>der</strong><br />

vorbereiteten (kadierten) Wollunterlage ausgebreitet. Die Liegekeile, auf<br />

denen die Schüler bauchlängs ihren Platz fanden, wurden hierum kreisförmig<br />

angeordnet.<br />

Abb. 17<br />

Gemeinschaftliche Vorbereitungen zum <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Projektwoche<br />

Nur Schülerin P. wurde in einer für sie erar<strong>bei</strong>teten reflexhemmenden<br />

Seitenlage auf <strong>dem</strong> Boden gelagert, um eine Überstreckung von Kopf und<br />

Rumpf zu vermeiden. Eine Bauchlagerung wäre wegen ihrer Magensonde<br />

nicht zu realisieren gewesen.<br />

Die Gegenstände, die auf <strong>dem</strong> Wollvlies ihren Platz fanden, wurden mit<br />

einer weiteren Lage (kadierter) Wolle bedeckt. Alles zusammen wurde<br />

dann mit warmen Wasser übergossen und von den Schülern manuell (<strong>der</strong><br />

überwiegende Teil <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> erhielt Hilfestellung) zu einem Filzteppich<br />

gefilzt.<br />

Die Schüler führten zu diesem Zweck handmotorische Tätigkeiten auf <strong>der</strong><br />

Oberfläche <strong>der</strong> nassen Schafwolle aus, wo<strong>bei</strong> <strong>der</strong>en Riech-, Seh- und vor<br />

allem Fühlerfahrung zu einem Wahrnehmungserleben mit den verar<strong>bei</strong>teten<br />

Materialien führte.


9.6.2 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Gruppe - Ergebnisdarstellung und Interpretation 137<br />

Die ersten ca. zehn Minuten waren alle Schüler mit <strong>dem</strong> <strong>Filzen</strong> gut beschäftigt,<br />

bis das erste Kind aufgrund seiner gering motivierten Ar<strong>bei</strong>tshaltung<br />

und fehlen<strong>der</strong> Ausdauer die Lust verloren hatte. Dieser Schüler<br />

ließ sich jedoch von <strong>dem</strong> Ar<strong>bei</strong>tseifer <strong>der</strong> weiter filzenden Schüler beeinflussen<br />

und nahm die Tätigkeit des <strong>Filzen</strong>s erneut auf. Anhand dieses<br />

Verhaltens läßt sich ein positiver Rückschluß auf das <strong>Filzen</strong> in einer<br />

Gruppe ziehen. Offensichtlich unterliegen manche Schüler <strong>dem</strong> gruppendynamischen<br />

Prozeß und än<strong>der</strong>n bewußt o<strong>der</strong> unbewußt ihr Ar<strong>bei</strong>tsverhalten,<br />

um nicht in eine Außenseiterposition zu geraten. Diese Beobachtung<br />

läßt sich aufgreifen <strong>bei</strong> Schülern, die nicht in <strong>der</strong> Lage sind, über<br />

einen längeren Zeitraum einen Ar<strong>bei</strong>tsauftrag auszuführen. Mit diesen<br />

Schülern würde man möglicherweise besser innerhalb einer Gruppe, als in<br />

einer Einzelför<strong>der</strong>ung filzen können, da sie sich von einer ausdauern<strong>der</strong>en<br />

Ar<strong>bei</strong>tshaltung an<strong>der</strong>er Schüler motivieren lassen und davon letztendlich<br />

profitieren, in<strong>dem</strong> sie dies für sich annehmen.<br />

Ein weiterer Aspekt, <strong>der</strong> die Gruppendynamik wie<strong>der</strong>gibt, kann anhand<br />

des folgenden Beispiels aufgezeigt werden.<br />

Einer <strong>der</strong> Schüler äußerte Ekel, den er <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Verar<strong>bei</strong>tung <strong>der</strong> Schafwolle<br />

zu Filz empfand. Hierdurch sahen sich einige Schüler, die diesen<br />

Ekel zuvor scheinbar nicht so sehr o<strong>der</strong> gar nicht empfunden hatten ermutigt,<br />

den Äußerungen entwe<strong>der</strong> verbal o<strong>der</strong> durch Mimik zum Ausdruck<br />

gebracht, nachkommen zu müssen.<br />

Je nach Tagesform und Empfinden <strong>der</strong> Schüler, kann sich durch verschiedene<br />

Ereignisse solch eine Gruppentätigkeit entwe<strong>der</strong> positiv o<strong>der</strong><br />

auch negativ entwickeln.<br />

Ein weiterer Gesichtspunkt sollte in diesem Zusammenhang erwähnt<br />

werden. Es gibt Schüler, die durch ihr Verhalten versuchen, Aufmerksamkeit<br />

zu erlangen und die plötzlich anfangen, durch irgendwelche Äußerungen<br />

den gesamten Ar<strong>bei</strong>tsablauf durcheinan<strong>der</strong> zu bringen. Im Falle<br />

<strong>der</strong> Projektwochenar<strong>bei</strong>t konnten sich die Therapeuten und Pädagogen<br />

gut darauf einstellen, da es sich um eine “1:1 Betreuung“ handelte und<br />

je<strong>der</strong> Schüler eine persönliche Zuwendung bekam. So konnten die auftretenden<br />

Ereignisse im Verlauf <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t aufgefangen werden. Im<br />

normalen Schulalltag kann das an<strong>der</strong>s aussehen. Bedingt durch den


9.6.2 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Gruppe - Ergebnisdarstellung und Interpretation 138<br />

geringfügigeren Stellenschlüssel kann eine persönliche Betreuung nicht<br />

gewährleistet werden, wodurch solche Situationen eher aus <strong>dem</strong> Gleichgewicht<br />

geraten können.<br />

Bevor ich zu den Ergebnissen <strong>der</strong> Gruppenar<strong>bei</strong>t Bezug nehme, möchte<br />

ich noch kurz auf die Einbindung von Schülerin P. in dieses Projekt eingehen.<br />

Dies halte ich im in Hinblick auf die Ergebnissammlung zuzüglich<br />

<strong>der</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung (Verweis: “Kapitel 9.5.3 <strong>Filzen</strong> in<br />

<strong>der</strong> Einzelför<strong>der</strong>ung mit Schülerin P.“, S. 131) für notwendig.<br />

Bei Schülerin P., die nicht imstande ist, einen eigenaktiven Anteil zum<br />

<strong>Filzen</strong> <strong>bei</strong>zutragen, beschränkt sich die För<strong>der</strong>ung primär auf die perzeptorische<br />

und kommunikative För<strong>der</strong>ung mit einer passiv ausgeführten<br />

motorischen Komponente.<br />

Trotz<strong>dem</strong> war es möglich, P. in das Geschehen mit einzubinden. Dies lag<br />

sicher auch daran, daß eine ausreichend hohe Anzahl pädagogisch bzw.<br />

therapeutisch geschulten Personals an <strong>der</strong> Projektwochenar<strong>bei</strong>t beteiligt<br />

war.<br />

Schülerin P. spürte, daß sie mitten im Geschehen war, welches ihr durch<br />

ein akustisches Reizangebot <strong>der</strong> Stimmen im Raum vermittelt wurde. Verstärkt<br />

wurde ihre Wahrnehmung durch die taktile Reizaufnahme über die<br />

rechte Hand, die auf <strong>der</strong> Wolle lag. Erkennbar in Abb. 18, mit einem Kreis<br />

gekennzeichnet.


9.6.2 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Gruppe - Ergebnisdarstellung und Interpretation 139<br />

Abb. 18<br />

Schülerin P. <strong>bei</strong>m “Be-Fühlen“ <strong>der</strong> Schafwolle<br />

Durch die Lage am Boden war es Schülerin P. gut möglich, visuelle, olfaktorische<br />

und taktil/haptische Reize aufzunehmen. Offensichtlich schien P.<br />

daran Gefallen zu haben, welches sie in ihrem Gesicht mimisch zum Ausdruck<br />

brachte, wie durch den Pfeil in Abb. 18 markiert, zu sehen ist.<br />

Durch Lautieren und Lachen unterstrich Schülerin P. ihre Freude an den<br />

ihr dargebotenen Reizen.<br />

Dieser Eindruck verstärkte sich im Vorgang des <strong>Filzen</strong>s, wie auch in <strong>der</strong><br />

Einzelför<strong>der</strong>ung Schülerin P.´s beschrieben wurde.<br />

Das Ergebnis <strong>der</strong> gemeinsamen Ar<strong>bei</strong>t bestand in einem gemeinschaftlich<br />

gefilzten Produkt, einem Fühlteppich, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> folgenden Abbildung seine<br />

Dargestellung findet.


9.6.2 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Gruppe - Ergebnisdarstellung und Interpretation 140<br />

Abb. 19<br />

Gemeinschaftsergebnis <strong>der</strong> Projektwoche - “Ein gefilzter Fühlteppich“<br />

Dieser Teppich ist als abschließendes Produkt <strong>der</strong> Beobachtungsreihe<br />

zum <strong>Filzen</strong> mit Schülern, die von einer schwersten Behin<strong>der</strong>ung betroffen<br />

sind, anzusehen. Der Teppich aus Filz steht repräsentativ für ein gemeinschaftliches<br />

Handeln von Kind, Therapeut und Pädagogen. Alle zusammen<br />

haben etwas getan und bewirkt und letztendlich dieses Produkt<br />

erzeugt. Anhand des Ergebnisses wird die enge Bindung und die<br />

Zusammenhänge eines ganzheitlichen Handelns dokumentiert. Nicht nur<br />

Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrungen sind darin festgehalten<br />

worden, son<strong>der</strong>n auch die Einbindung in eine Gruppe, im Sinne <strong>der</strong><br />

Sozialerfahrung. Das Ergebnis ist ein Produkt, welches sich weiter zur<br />

För<strong>der</strong>ung in pädagogisch/therapeutischer Hinsicht einsetzen läßt.<br />

Zusammenfassend ist die Ar<strong>bei</strong>t in <strong>der</strong> Projektwoche als positive Erfahrung<br />

für alle Beteiligten zu bewerten. Den positiven Verlauf kann man vor<br />

allem <strong>der</strong> hohen Betreuerzahl und <strong>der</strong> Absprache untereinan<strong>der</strong> zuschreiben,<br />

wodurch den Schülern ein Optimum an individueller Zuwendung,<br />

die sie benötigen, zukommen konnte.


9.6.2 <strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong> Gruppe - Ergebnisdarstellung und Interpretation 141<br />

Durch die Beteiligung von Pädagogen und Therapeuten konnte das <strong>Filzen</strong><br />

in <strong>der</strong> Gruppe mit Kin<strong>der</strong>n, die von einer schwersten Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

betroffen sind, Anwendung finden.<br />

Eine solche Zusammenar<strong>bei</strong>t <strong>der</strong> einzelnen son<strong>der</strong>pädagogischen Disziplinen<br />

dient als Beispiel für ein interdisziplinäres För<strong>der</strong>konzept. Im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Projektwoche hat eine Erweiterung des erzieherischen Konzepts<br />

durch erweiternde Maßnahmen, wie krankengymnastische und<br />

ergotherapeutische Betreuung, stattgefunden.<br />

Die gesammelten Ergebnisse meiner Untersuchungsreihe werden im folgenden<br />

Kapitel kurz zusammen gefaßt und münden abschließend in eine<br />

kritische Auseinan<strong>der</strong>setzung zu <strong>dem</strong> Thema <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t.<br />

10 Zusammenfassung <strong>der</strong> Gesamtergebnisse<br />

Bei Betrachtung <strong>der</strong> Ergebnisse kann festgehalten werden, daß sich das<br />

<strong>Filzen</strong> zur Entwicklungsför<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschen mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

anbietet, wo<strong>bei</strong> kritisch anzumerken ist, daß<br />

manche Aspekte <strong>der</strong> (ganzheitlichen) För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> subjektiven Beurteilung<br />

unterliegen.<br />

Durch die zum <strong>Filzen</strong> verwendeten Materialien werden viele Informationen<br />

zur Wahrnehmung geliefert. Beim <strong>Filzen</strong> ergeben sich schon durch minimale<br />

Bewegungen Verän<strong>der</strong>ungen in den taktilen Wahrnehmungserfahrungen,<br />

die durch Bewegungserfahrungen ergänzt werden und <strong>dem</strong><br />

engen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Bewegung als Beispiel<br />

dienen.<br />

Häufige Wie<strong>der</strong>holungen <strong>der</strong> Bewegungen führen da<strong>bei</strong> zu einer gewissen<br />

Grundsicherheit, die letztendlich über die Auslösung eines Denkprozesses<br />

zum Aufbau von Handlungsschemen und möglicherweise zu eigenaktiven<br />

Bewegungen führen können.<br />

Der Filzprozeß (Schafwolle, warmes Wasser, Druck und Bewegung) kann<br />

<strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung einen Erkenntnisprozeß<br />

<strong>der</strong> kausalen Zusammenhänge auslösen. Hierdurch kann in einer


10 Zusammenfassung <strong>der</strong> Gesamtergebnisse 142<br />

stabilen “wenn-dann-Beziehung“ ein wie<strong>der</strong>holbarer Bewegungsablauf<br />

formuliert werden kann.<br />

Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrungen, häufig mit Entspannungseffekten<br />

verbunden, führen wie<strong>der</strong>um zu emotionalen Empfindungen, die<br />

sich auf kommunikativer Ebene verbal über Lautsprache, o<strong>der</strong> nonverbal<br />

z. B. über mimischen Ausdruck, äußern.<br />

Die aus Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrungen resultierenden<br />

Empfindungen können sich zu Ekel, aber auch zu Freude und Spaß <strong>bei</strong><br />

<strong>der</strong> Erfahrungssammlung die das <strong>Filzen</strong> hervorbringt, verar<strong>bei</strong>ten lassen.<br />

Somit ist das <strong>Filzen</strong> als Kommunikationsmedium anzuerkennen und dient<br />

durch die Reaktion des <strong>Filzen</strong>den <strong>dem</strong> Austauschprozeß zwischen<br />

Schüler und Pädagoge bzw. Therapeut welches in wechselseitiger Beziehung<br />

<strong>dem</strong> sozialen Erfahrungspotential zuzuschreiben wäre.<br />

In Verbindung zur sozialen Komponente ist auch die Projektar<strong>bei</strong>t anzuführen,<br />

die im Hinblick auf die Sozialerfahrung Aufschluß über gruppendynamisches<br />

Verhalten gibt.<br />

Alle angesprochenen Aspekte führen zusammengefaßt zu einer För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> kognitiven Entwicklung und somit zu einer Verbesserung <strong>der</strong><br />

Persönlichkeitsstruktur des Menschen mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung.<br />

Obwohl sich durch die Individualität <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung die Ergebnisse <strong>der</strong><br />

Schüler, bezogen auf die Gesamtpersönlichkeit nicht vergleichen lassen,<br />

sollte es nicht unversucht bleiben, die erzielten Effekte mit bestimmten<br />

behin<strong>der</strong>ungsbedingten Erscheinungssformen in Verbindung zu bringen.<br />

Im Einzelnen konnte festgestellt werden, daß <strong>bei</strong> Schüler M., D. und<br />

Schülerin P. das <strong>Filzen</strong> zur Wahrnehmungsför<strong>der</strong>ung im visuellen, olfaktorischen,<br />

aber beson<strong>der</strong>s im taktilen Bereich <strong>bei</strong>getragen hat.<br />

Durch die Wahrnehmung intendiert, kam es <strong>bei</strong> allen drei Schülern zu<br />

einer gesteigerten Körperwahrnehmung. Neben <strong>der</strong> taktil-kinästhetischen<br />

Wahrnehmungsför<strong>der</strong>ung traten <strong>bei</strong> Schüler M. und D. sichtbare Entspannungseffekte<br />

<strong>der</strong> Handspastik auf, wodurch <strong>bei</strong>de Schüler in <strong>der</strong> Lage


10 Zusammenfassung <strong>der</strong> Gesamtergebnisse 143<br />

waren, eigenaktiv (selbständig) Bewegungen zum <strong>Filzen</strong> auszuführen.<br />

Diese Beobachtung läßt sich in die För<strong>der</strong>ung von Fein- und Zielmotorik<br />

einordnen. Nach erkenntnisbedingtem Erlernen <strong>der</strong> Bewegungsmuster<br />

führte die Ausübung eigenständiger, also aktiver Tätigkeit im Sinne des<br />

Erkennens <strong>der</strong> Ursache-Wirkungszusammenhänge, <strong>bei</strong> den Schülern M.<br />

und D. zu einer motivierten Ar<strong>bei</strong>tshaltung.<br />

Bei Schülerin P. konnte aufgrund <strong>der</strong> Schwere ihrer Behin<strong>der</strong>ung kein<br />

eigenaktives Handeln beobachtet werden. Es war jedoch eine Lockerung<br />

ihrer Handspastik in minimaler Form spürbar, welches scheinbar in<br />

unmittelbarem Zusammenhang mit <strong>der</strong> taktilen Wahrnehmungserfahrung<br />

und <strong>der</strong> passiven Bewegungserfahrung stand. Die gemachten Erfahrungen<br />

verar<strong>bei</strong>tete sie zu einem emotionalen Empfinden, was sie auf kommunikativer<br />

Ebene mimisch, durch Lachen, bzw. Lautieren zum Ausdruck<br />

brachte.<br />

Schüler D., <strong>dem</strong> es ebenso wie Schülerin P. an lautsprachlicher Befähigung<br />

fehlt, äußerte sich in ähnlichem Maße durch Mimik, Lachen und<br />

Lautieren. Auch hier sind die Zusammenhänge zu den Erlebnissen <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung herzustellen.<br />

Während <strong>bei</strong> Schüler D. und Schülerin P. die Kommunikation ihrerseits<br />

nonverbal verlief, war Schüler M. in <strong>der</strong> Lage, Tastqualitäten zu benennen<br />

und zu bewerten.<br />

Bezüglich <strong>der</strong> entstandenen Filzobjekte ist zu sagen, daß Schüler M. imstande<br />

war, seine gefilzten Objekte assoziativ in Anregung an seine<br />

Phantasie zu beschreiben, was den <strong>bei</strong>den an<strong>der</strong>en Schülern behin<strong>der</strong>ungsbedingt<br />

nicht möglich war. (Verweis: “Kapitel 9.5.1<strong>Filzen</strong> in <strong>der</strong><br />

Einzelför<strong>der</strong>ung mit Schüler M.“, S. 110).<br />

11 Schlußwort<br />

Um den Entwicklungsdefiziten eines, von einer schwersten Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

betroffenen Kindes, entgegenzuwirken, bedarf es pädagogischer<br />

und therapeutischer För<strong>der</strong>maßnahmen, die im Wesentlichen zu<br />

einer positiven Persönlichkeitsentwicklung <strong>bei</strong>tragen.


11 Schlußwort 144<br />

Durch die Wechselwirkungen zwischen den perzeptorischen, motorischen,<br />

und kommunikativen Entwicklungsbereichen auf die kognitive Entwicklung<br />

und die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen, die auch die emotionalen<br />

und sozialen Komponenten einschließen, ist eine isolierte För<strong>der</strong>ung nur<br />

eines Entwicklungsbereichs geradezu unmöglich.<br />

Um eine erfolgreiche För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschen mit einer Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung<br />

zu bewirken, bedarf es einer son<strong>der</strong>pädagogisch-interdisziplinären<br />

Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen Pädagogen und Therapeuten.<br />

Durch sie ist eine optimale För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> betroffenen Personen, orientiert<br />

an den offiziellen För<strong>der</strong>schwerpunkten und Richtlinien, zu leisten.<br />

Mit <strong>dem</strong> Einsatz <strong>der</strong> zum kombinierten Konzept gehörenden För<strong>der</strong>maßnahmen<br />

erhofft man sich ein positives Einwirken auf die Persönlichkeitsentwicklung<br />

dieser Zielgruppe.<br />

In welchem Maße die textile <strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s zur therapeutischen<br />

Intervention in genannte För<strong>der</strong>maßnahmen integriert werden kann, ist<br />

anhand <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t aufgezeigt worden.<br />

Im Zuge <strong>der</strong> För<strong>der</strong>einheiten mit Schafwolle und <strong>der</strong>en Verar<strong>bei</strong>tung zu<br />

Filz, konnten Wahrnehmung, Motorik und Kommunikation mit Auswirkungen<br />

auf den emotionalen Bereich geschult, therapiert und somit verbessert<br />

werden. Neben den handmotorischen Fertigkeiten, verbunden mit zielmotorischem<br />

Koordinationstraining, konnte ein eigenaktiver Bewegungsanteil<br />

<strong>bei</strong> einigen Schülern ausgelöst werden. Dieser ging einher mit einer<br />

entspannten Körperhaltung, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Hand- und Fingermuskulatur.<br />

Da<strong>bei</strong> konnte gezeigt werden, daß die Ausführung <strong>der</strong> Bewegungen<br />

in einer symbiotischen Beziehung zur Wahrnehmung zu betrachten ist.<br />

Die ausgelösten Reaktionen bestanden auf kommunikativer Ebene in lautsprachlichen<br />

Äußerungen o<strong>der</strong> in nonverbaler Form, durch <strong>bei</strong>spielsweise<br />

mimischen Ausdruck. So konnten die Empfindungen, die sich <strong>bei</strong> den<br />

Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrungen entwickelt haben, “abgelesen“<br />

und (subjektiv) gedeutet werden. Das Verstehen <strong>der</strong> Nachricht durch<br />

den Betreuer und seine mögliche Reaktion darauf, steht für einen interak-


11 Schlußwort 145<br />

tiven sozialen Prozeß zwischen Therapeut bzw. Pädagogen und <strong>der</strong> von<br />

einer schwersten Behin<strong>der</strong>ung betroffenen Person.<br />

Angemerkt sei an dieser Stelle nochmals, daß es sich <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Beurteilung<br />

<strong>der</strong> aufgetretenen Effekte um eine subjektive Bewertung durch den<br />

Beobachter handelte.<br />

Als letzter Gesichtspunkt wäre die gestalterische Komponente des <strong>Filzen</strong>s<br />

zu erwähnen, die in assoziativer Hinsicht dazu <strong>bei</strong>getragen hat, die<br />

Phantasie <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> anzuregen. Dieser Aspekt kann, wie in <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t<br />

beschrieben, in den emotional-kommunikativen Bereich eingeordnet<br />

werden.<br />

Fazit:<br />

Unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> vorliegenden Ar<strong>bei</strong>t ist die textile<br />

<strong>Technik</strong> des <strong>Filzen</strong>s zur therapeutischen Anwendung des Personenkreises<br />

<strong>der</strong> “Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ten“ sehr gut geeignet. Bedingt<br />

durch die Tatsache, daß das <strong>Filzen</strong> zur För<strong>der</strong>ung sämtlicher För<strong>der</strong>schwerpunkte,<br />

die sich aus einer schwersten Mehrfachbehin<strong>der</strong>ung ergeben,<br />

<strong>bei</strong>trägt, sollte im Hinblick auf die interdisziplinäre Überschneidung<br />

<strong>der</strong> Bereiche Therapie und Pädagogik die Anwendung jedoch nicht nur<br />

therapeutisch, son<strong>der</strong>n auch pädagogisch erfolgen. Wie man annehmen<br />

kann und in <strong>der</strong> Einführungsphase bis hin zu den Einzelför<strong>der</strong>einheiten<br />

erkennbar war, bieten sich ausreichend Möglichkeiten im gesamtkonzeptionellen<br />

Rahmen das <strong>Filzen</strong> zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschen, die von einer<br />

Schwerstmehrfachbehin<strong>der</strong>ung betroffen sind, zu integrieren.


C Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter 146<br />

C<br />

Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter<br />

Quelle:<br />

Microsoft Corporation und Bibliographisches Institut & F.A..<br />

LexiROM © Version 2.0. Brockhaus AG, 1995-1996.<br />

Adaptation [...zion] die; -, -en: a) Anpassungsvermögen; b) Anpassung<br />

(z.B. von Organen) an die Gegebenheiten, Umstände, an die Umwelt.<br />

Adduktor ["Zuführer"] <strong>der</strong>; -s, ...oren: Muskel, <strong>der</strong> eine Adduktion bewirkt<br />

(Med.).<br />

Adduktion [...zion; lat.; "das Heranziehen"] die; -, -en: heranziehende Bewegung<br />

eines Gliedes [zur Mittellinie des Körpers hin] (Med.); Ggs.<br />

Abduktion.<br />

Afferenzen - Gehirn (Hirn, Cerebrum, Encephalon), (in <strong>der</strong> Kopfregion<br />

lokalisierter) Abschnitt des Zentralnervensystems, in <strong>dem</strong> sich die<br />

wichtigsten Schalt- und Steuerzentren des Körpers befinden. Das<br />

G. nimmt hauptsächlich die Meldungen (Afferenzen) aus den<br />

Fernsinnesorganen (v. a. Gesichtssinn, Gehör, Geruch) auf; diese<br />

werden koordiniert und verrechnet und die (motor.) Antworten an<br />

die Muskulatur (Efferenzen) programmiert.<br />

Agonist <strong>der</strong>; -en, -en: 1. Wettkämpfer, 2. einer von paarweise wirkenden<br />

Muskeln, <strong>der</strong> eine Bewegung bewirkt, die <strong>der</strong> des Antagonisten (2)<br />

entgegengesetzt ist (Med.).<br />

Akkomodation Pseudomyopie die; -, ...ien: scheinbare Kurzsichtigkeit <strong>bei</strong><br />

Krampf des Akkommodationsmuskels (vgl. Akkomodation; Med.).<br />

Anamnese [gr.-lat.; "Erinnerung"] die; -, -n: 1. Vorgeschichte einer Krankheit<br />

nach Angaben des Kranken (Med.). 2. in <strong>der</strong> Eucharistiefeier<br />

das Gebet nach <strong>der</strong> Konsekration (2) (Rel.). 3. = Anamnesis.


C Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter 147<br />

Anarthrie [gr.-nlat.] die; -, ...ien: Störung <strong>der</strong> Lautbildung; Unvermögen,<br />

Wörter od. Einzellaute trotz Funktionstüchtigkeit <strong>der</strong> Sprechorgane<br />

richtig zu bilden (Med.); vgl. Pararthrie.<br />

Antagonist [gr.-lat.] <strong>der</strong>; -en, -en: 1. Gegner, Wi<strong>der</strong>sacher. 2. einer von<br />

paarweise wirkenden Muskeln, dessen Wirkung <strong>der</strong> des Agonisten<br />

(2) entgegengesetzt ist; vgl. Antagonismus (2).<br />

Anthropologie die; -: a) Wissenschaft vom Menschen u. seiner Entwicklung<br />

in natur- u. geisteswissenschaftlicher Hinsicht; b) Geschichte<br />

<strong>der</strong> Menschenrassen.<br />

Apraxie [gr.] die; -, ...ien: durch zentrale Störungen bedingte Unfähigkeit,<br />

sinnvolle u. zweckmäßige Bewegungen auszuführen (Med.).<br />

Assimilation Soziologie und Ethnologie: <strong>der</strong> soziale Prozeß <strong>der</strong> Angleichung<br />

von Menschen, die inmitten einer an<strong>der</strong>en ethn. o<strong>der</strong> rass.<br />

Gruppe leben. Wesentl. Merkmal ist neben <strong>der</strong> Übernahme <strong>der</strong> sozialen<br />

Wertsysteme und <strong>der</strong> Verhaltensweisen <strong>der</strong> umgebenden<br />

Gruppe <strong>der</strong> Verlust jegl. Gruppenbewußtseins <strong>bei</strong> <strong>der</strong> assimilierten<br />

Gruppe.<br />

Ataxie [griech.], Störung des geordneten Ablaufs und <strong>der</strong> Koordination<br />

von Muskelbewegungen. Die A. beruht auf organ. Verän<strong>der</strong>ungen<br />

des Kleinhirns (cerebellare A.) o<strong>der</strong> Rückenmarks (spinale A.); in<br />

schweren Fällen Artikulation und Bewegung wie Betrunkene.<br />

Athetose [gr.-nlat.] die; -, -n: Krankheitsbild <strong>bei</strong> verschiedenen Erkrankungen<br />

mit unaufhörlichen, ungewollten, langsamen, bizarren Bewegungen<br />

<strong>der</strong> Gliedmaßenenden (Med.).<br />

Ätiologie [gr.-lat.] die; -, ...ien: (Med.) 1. Lehre von den Krankheitsursachen.<br />

2. Gesamtheit <strong>der</strong> Faktoren, die zu einer bestehenden<br />

Krankheit geführt haben; vgl. Pathogenese.


C Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter 148<br />

Autismus [gr.-nlat.] <strong>der</strong>; -: bes. <strong>bei</strong> schizoiden u. schizophrenen Personen<br />

vorkommende psychische Störung, die sich in krankhafter Ichbezogenheit<br />

u. affektiver Teilnahmslosigkeit, Verlust des Umweltkontaktes<br />

u. Flucht in die eigene Phantasiewelt äußert.<br />

basal [gr.-nlat.]: a) die Basis bildend; b) auf, an <strong>der</strong> Basis, Grundfläche (z.<br />

B. eines Organs) befindlich.<br />

degenerieren [lat.]: 1. verfallen, verkümmern (Biol., Med.). 2. vom Üblichen<br />

abweichend sich negativ entwickeln, entarten; körperlich od.<br />

geistig verfallen.<br />

Deprivation [...wazion; lat.-nlat.; "Beraubung"] die; -,-en: 1. Mangel, Verlust,<br />

Entzug von etwas Erwünschtem (z. B. fehlende Zuwendung<br />

<strong>der</strong> Mutter, Liebesentzug u. ä.; Psychol.). 2. Absetzung eines kath.<br />

Geistlichen.<br />

Deskription [lat.], allg. svw. Beschreibung; deskriptiv, beschreibend, z. B.<br />

deskriptive Wissenschaften, deskriptive Grammatik.<br />

determinieren [lat.]: 1. begrenzen; abgrenzen. 2. bestimmen; entscheiden.<br />

Diabetiker <strong>der</strong>; -s, -: Zuckerkranker (Med.).<br />

disability s 1. Unvermögen n, Unfähigkeit f. 2. Ar<strong>bei</strong>tsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit<br />

f, Invalidität f: disability benefit Invaliditätsrente f.<br />

3. med. Gebrechen n.<br />

Dysarthrie [gr.-nlat.] die; -, ...ien: mühsames Sprechen; Stammeln, Stottern<br />

(Med.).<br />

Dysfunktion [...zion; gr.; lat.] die; -, -en: gestörte Tätigkeit (eines Organs;<br />

Med.).


C Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter 149<br />

Dysgrammatismus [gr.-lat.] <strong>der</strong>; -: Sprachstörung, Unfähigkeit eines<br />

Sprechers, grammatisch richtige Sätze zu bilden.<br />

Dysmelie [gr.-nlat.] die; -, ...ien: angeborene Mißbildung <strong>der</strong> Gliedmaßen<br />

(Med.).<br />

Dystrophie die; -, ...ien: (Med.) a) Ernährungsstörung; Ggs. Eutrophie (a);<br />

b) mangelhafte Versorgung eines Organs mit Nährstoffen; Ggs.<br />

Eutrophie (b).<br />

Efferenz die; -, -en: Erregung, die über die efferenten Nervenfasern vom<br />

Zentralnervensystem zur Peripherie geführt wird u. die Motorik (1 a)<br />

in Gang setzt; Ggs. Afferenz.<br />

Enzephalitis (Encephalitis) [griech.], svw. Gehirnentzündung.<br />

Epilepsie [gr.-lat.-fr.; "Anfassen; Anfall"] die; -, ...ien: Sammelbezeichnung<br />

für eine Gruppe erblicher od. traumatisch bedingter od. auf organ.<br />

Schädigungen beruhen<strong>der</strong> Erkrankungen mit meist plötzlich einsetzenden<br />

starken Krämpfen u. kurzer Bewußtlosigkeit (Med.).<br />

Ergotherapeut [gr.] <strong>der</strong>; -en, -en: jmd., <strong>der</strong> mit einer ärztlich verordneten<br />

Ergotherapie betraut ist.<br />

Ergotherapie die; -, ...ien: die um einen Teil <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tstherapie erweiterte<br />

Beschäftigungstherapie (Soziol., Med.).<br />

exogen: exogene Toxikose Vergiftung.<br />

gustatorisch [lat.]: den Geschmacksinn betreffend (Med.).<br />

Hämophilie die; -, ...ien: Bluterkrankheit (Med.).


C Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter 150<br />

Handicap, (eingedeutscht auch:) Handikap [engl.] das; -s, -s: 1. etw., was<br />

für jmdn., etw. eine Behin<strong>der</strong>ung od. ein Nachteil ist. 2. <strong>der</strong> durch<br />

eine Vorgabe für den leistungsschwächeren Spieler, für das<br />

weniger leistungsfähige Pferd entstehende Ausgleich gegenüber<br />

<strong>dem</strong> Stärkeren (Sport).<br />

haptisch [gr.; "greifbar"]: den Tastsinn betreffend; vgl. taktil.<br />

Hydrocephalus, Wasserkopf (Hydrocephalus, Hydrozephalus), abnorm<br />

vergrößerter Schädel infolge übermäßiger Ansammlung von<br />

Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit in den Hirnhöhlen o<strong>der</strong> im<br />

Subarachnoidalraum.<br />

Hypotonie [gr.-nlat.] die; -, ...ien: (Med.) 1. herabgesetzte Muskelspannung;<br />

Ggs. Hypertonie (1). 2. zu niedriger Blutdruck; Ggs. Hypertonie<br />

(2). 3. Vermin<strong>der</strong>ung des Drucks im Auge; Ggs. Hypertonie<br />

(3).<br />

Ileus [...e-u...; gr.-lat.] <strong>der</strong>; -, Ileen [...en]: Darmverschluß (Med.).<br />

Impairment, Schädigung f (gen) damage (to), impairment (of).<br />

indifferent [lat.]: unbestimmt; gleichgültig, teilnahmslos, unentschieden; -<br />

es Gleichgewicht: Gleichgewicht, <strong>bei</strong> <strong>dem</strong> eine Verschiebung die<br />

Energieverhältnisse nicht än<strong>der</strong>t (Mech.); -e Stoffe: feste, flüssige<br />

od. gasförmige Substanzen, die entwe<strong>der</strong> gar nicht od. unter extremen<br />

Bedingungen nur sehr geringfügig mit Chemikalien reagieren.<br />

Interaktion [...zion; lat.-nlat.] die; -, -en: aufeinan<strong>der</strong> bezogenes Handeln<br />

zweier od. mehrerer Personen, Wechselbeziehung zwischen<br />

Handlungspartnern (Psychol., Soziol.).


C Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter 151<br />

Kausalität [lat.-nlat.] die; -, -en: <strong>der</strong> Zusammenhang von Ursache und<br />

Wirkung; Ggs. Finalität.<br />

Kinästhesie [gr.-nlat.] die; -: Bewegungsgefühl, Muskelempfindung<br />

(Med.).<br />

Kognition, die; -, -en (das Erkennen, Wahrnehmen).<br />

Kolostomie [gr.-nlat.] die; -: das Anlegen einer Dickdarmfistel (vgl. Fistel;<br />

Med.).<br />

Kontraktur [lat.] die; -, -en: (Med.) 1. [bleibende] Fehlstellung eines<br />

Gelenks mit Bewegungseinschränkung, Versteifung. 2. dauernde<br />

Verkürzung u. Schrumpfung von Weichteilen (z. B. <strong>der</strong> Haut nach<br />

Verbrennungen).<br />

Manifestation [...zion] die; -, -en: 1. das Offenbar-, Sichtbarwerden. 2.<br />

Offenlegung, Darlegung; Bekundung (Rechtsw.). 3. das Erkennbarwerden<br />

(von latenten Krankheiten, Erbanlagen u. a.; Med.).<br />

manisch [gr.]: 1. für die Manie (2) kennzeichnend; krankhaft heiter; erregt<br />

(Psychol.). 2. einer Manie (1) entspringend; krankhaft übersteigert.<br />

metabolisch u. metabol: 1. verän<strong>der</strong>lich (z. B. in bezug auf die Gestalt<br />

von Einzellern). 2. im Stoffwechselprozeß entstanden (Med., Biol.).<br />

Metabolismus [gr.-nlat.] <strong>der</strong>; -: 1. Umwandlung, Verän<strong>der</strong>ung. 2. Stoffwechsel<br />

(Med., Biol.).<br />

Mongolismus [mong.-nlat.] <strong>der</strong>; -: angeborene, durch Schlitzaugen mit<br />

schrägen Lidspalten, Schielen u. durch verschiedene Mißbildungen<br />

gekennzeichnete Form des Schwachsinns (Med.).


C Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter 152<br />

multiple Sklerose ( Encephalomyelitis disseminata, Polysklerose), Abk.<br />

MS, organ. Erkrankung des Rückenmarks und Gehirns, <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

scharf abgegrenzte Entzündungsherde (mit Zerfall von Markscheidengewebe<br />

und nachfolgen<strong>der</strong> Gewebsverhärtung) entstehen. Bevorzugt<br />

zw. <strong>dem</strong> 20. und 40. Lebensjahr auftretend, verläuft die MS<br />

meist in Schüben, oft von langen beschwerdefreien Intervallen unterbrochen.<br />

Zu den häufigsten, unterschiedlich stark ausgeprägten<br />

Symptomen zählen (zunächst) reversible Lähmungserscheinungen<br />

an den Gliedmaßen, Gefühlsstörungen (v. a. Mißempfindungen),<br />

Zittererscheinungen <strong>bei</strong> beabsichtigten Bewegungen sowie Sehstörungen<br />

(Sehnerventzündungen). Unter den zahlr. Theorien <strong>der</strong><br />

Entstehung finden v. a. Virusinfektion und Autoimmunkrankheit Beachtung.<br />

neurogen: von den Nerven ausgehend (Med.).<br />

Noxe [lat.; "Schaden"] die; -, -n: Krankheitsursache; Stoff od. Umstand,<br />

<strong>der</strong> eine schädigende Wirkung auf den Organismus ausübt (Med.).<br />

olfaktorisch [lat.]: den Riechnerv betreffend (Med.).<br />

operational [lat.-nlat.]: sich durch Operationen (4a) vollziehend, verfahrensbedingt;<br />

vgl. ...al/...ell.<br />

Pathogenese die; -, -n: Gesamtheit <strong>der</strong> an Entstehung u. Entwicklung<br />

einer Krankheit be teiligten Faktoren (Med.); vgl. Ätiologie (2).<br />

perception s 1. Wahrnehmung f. 2. Auffassung(sgabe) f.<br />

perinatal (Med. die Zeit während, kurz vor u. nach <strong>der</strong> Geburt betreffend);<br />

perinatale Medizin.


C Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter 153<br />

perinatal [gr.-nlat.]: den Zeitraum kurz vor, während und nach <strong>der</strong> Entbindung<br />

betreffend, während dieser Zeit eintretend, in diesen Zeitraum<br />

fallend (Med.).<br />

Phänotypus [auch: ...tü...] <strong>der</strong>; -, ...pen: das Erscheinungsbild eines<br />

Organismus, das durch Erb anlagen u. Umwelteinflüsse ge prägt<br />

wird (Biol.); vgl. Geno typus.<br />

Poliomyelitis die; -, ...itiden: Entzündung <strong>der</strong> grauen Rückenmarksubstanz;<br />

spinale Kin<strong>der</strong>lähmung (Med.).<br />

postnatal: nach <strong>der</strong> Geburt [auftretend] (z. B. von Schädigungen des<br />

Kindes; Med.).<br />

präventiv [lat.-nlat.]: vorbeugend, verhütend.<br />

Pronation [...zion; lat.-nlat.] die; -, -en: Einwärtsdrehung von Hand od.<br />

Fuß (Med.).<br />

propriozeptiv: Wahrnehmungen aus <strong>dem</strong> eigenen Körper vermittelnd<br />

(z. B. aus Muskeln, Sehnen, Gelenken; Psychol., Medizin); Ggs.<br />

Exterozeptiv.<br />

Psychopathologie, die; - Lehre von krankhaften Erscheinungen u. <strong>der</strong>en<br />

Ursachen im Seelenleben; Lehre von den durch körperliche Krankheiten<br />

bedingten seelischen Störungen.<br />

Psychotiker <strong>der</strong>; -s, -: jmd., <strong>der</strong> an einer Psychose leidet (Med.).<br />

Retardation [...zion] die; -, -en: Verzögerung, Verlangsamung eines Ablaufs,<br />

einer Entwicklung; Entwicklungsverzögerung; vgl.<br />

...[at]ion/...ierung.


C Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter 154<br />

Schizophrenie die; -, ...ien: 1. Bewußtseins spaltung, Verlust des inneren<br />

Zusammenhangs <strong>der</strong> geistigen Persönlichkeit, Spaltungsirresein<br />

(Med.). 2. innere Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit, Zwiespältigkeit, Unsinnigkeit,<br />

absurdes Verhalten.<br />

Sensomotorik u. Sensumotorik [auch: ...to...] die; -: durch Reize bewirkte<br />

Gesamtaktivität in sensorischen u. motorischen Teilen des Nervensystems<br />

u. des Organismus (Psychol.).<br />

sensorisch (die Sinne betreffend).<br />

Skoliose ["Krümmung"] die; -, -n: seitliche Verkrümmung <strong>der</strong> Wirbelsäule<br />

(Med.).<br />

somatisch: 1. den Körper betreffend (im Unterschied zu Geist, Seele,<br />

Gemüt); körperlich (Med., Psychol.). 2. die Körperzellen (im Ggs. zu<br />

den Keim-, Geschlechtszellen) betreffend (Med., Biol.).<br />

Spastiker <strong>der</strong>; -s, -: 1. jmd., <strong>der</strong> an einer spasmischen Krankheit leidet. 2.<br />

(ugs. abwertend) jmd., dessen Handeln, Verhalten, Benehmen <strong>der</strong><br />

Sprecher für unvorstellbar dumm hält.<br />

Stimulus <strong>der</strong>; -, ...li: a) Reiz, Antrieb; b) ein <strong>dem</strong> Sprechakt vorausgehen<strong>der</strong><br />

[äußerer] Reiz (Sprachw.).<br />

Stoma [gr.; "Mund, Öffnung"] das; -s, -ta: 1. Mundöffnung (Zool., Med.). 2.<br />

(meist Plural) sehr kleine Öffnung in Blut- u. Lymphgefäßen, durch<br />

die Zellen hindurchtreten können (Med.). 3. künstlich hergestellter<br />

Ausgang von Darm od. Harnblase. 4. Spaltöffnung des Pflanzenblattes<br />

(Bot.).


C Erklärung <strong>der</strong> Fremdwörter 155<br />

Syndrom [gr.; "das Zusammenlaufen"] das; -s, -e: a) Krankheitsbild, das<br />

sich aus <strong>dem</strong> Zusammentreffen verschiedener charakteristischer<br />

Symptome ergibt (Med.); b) Gruppe von Merkmalen od. Faktoren,<br />

<strong>der</strong>en gemeinsames Auftreten einen bestimmten Zusammenhang<br />

od. Zustand anzeigt (Soziol.).<br />

taktil [lat.]: das Tasten, den Tastsinn betreffend (Med.).<br />

Tetraplegie die; -: gleichzeitige Lähmung aller vier Gliedmaßen (Med.).<br />

Vestibularapparat <strong>der</strong>; -[e]s, -e: Gleichgewichtsorgan im Ohr (Med.).<br />

zerebral: 1. das Großhirn betreffend, von ihm ausgehend, zu ihm gehörend<br />

(Med.). 2. = retroflex (Sprachw.). 3. intellektuell, geistig.


D Literaturverzeichnis 156<br />

D<br />

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