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Der „Meister von Flémalle“ - Historischeausstellungen.de

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Linke <strong>de</strong>r drei sog. „Flémaller Tafeln“: Meister <strong>von</strong> Flémalle, Die stillen<strong>de</strong> Gottesmutter, um 1430, Eichenholz,<br />

148,7 x 61,0 cm, Frankfurt am Main, Stä<strong>de</strong>l Museum © Weilheim, Artothek, Ursula E<strong>de</strong>lmann<br />

<strong>Der</strong> <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong>, Rogier<br />

van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n und bahnbrechen<strong>de</strong><br />

Innovationen: Berliner Gemäl<strong>de</strong>galerie<br />

zeigt epochale Schau über die Geburt<br />

<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Malerei<br />

Die Gemäl<strong>de</strong>galerie <strong>de</strong>r Staatlichen Museen zu Berlin im Kulturforum<br />

Potsdamer Platz präsentiert mit <strong>de</strong>r Exposition „<strong>Der</strong><br />

Meister <strong>von</strong> Flémalle und Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n“ eine <strong>de</strong>r<br />

be<strong>de</strong>utendsten und faszinierendsten Kunstausstellungen <strong>de</strong>r<br />

letzten Jahre. Die Gemäl<strong>de</strong>galerie, die zu <strong>de</strong>n renommiertesten<br />

Kunstmuseen <strong>de</strong>r Welt zählt, ist dabei bereits <strong>de</strong>r zweite<br />

Schauplatz dieser kunsthistorisch wohl einzigartigen Exposition.<br />

Die Son<strong>de</strong>rschau entstand in dreieinhalbjähriger Vorbereitungszeit<br />

in Kooperation mit <strong>de</strong>m Stä<strong>de</strong>l Museum in Frankfurt<br />

am Main, wo die Ausstellung mit etwas an<strong>de</strong>rer Grundausrichtung<br />

vom 21. November 2008 bis 1. März 2009 zu<br />

sehen war und etwa 94.000 Besucher verzeichnete.<br />

<strong>Der</strong> sogenannte <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> und Rogier van <strong>de</strong>r<br />

Wey<strong>de</strong>n gelten als herausragen<strong>de</strong> Künstlergestalten <strong>de</strong>s 15.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts. Sie leisteten einen ganz entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Beitrag<br />

für die frühe Entwicklung <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rländischen Malkunst<br />

und insgesamt für die Entstehung <strong>de</strong>r neuzeitlichen Malerei.<br />

Kuratoren, Exponate und Leihgeber<br />

Den Ausstellungsinitiatoren und Experten für altnie<strong>de</strong>rländische<br />

Malerei, Dr. Stephan Kemperdick, Kurator <strong>de</strong>r jetzigen<br />

Berliner Fassung <strong>de</strong>r Kunstschau, und Prof. Dr. Jochen San<strong>de</strong>r, stellvertreten<strong>de</strong>r Direktor<br />

<strong>de</strong>s Stä<strong>de</strong>l Museums sowie Kurator <strong>de</strong>r bereits erfolgreich abgelaufenen<br />

Frankfurter Ausführung <strong>de</strong>r Exposition, gelang es, für dieses epochale kunsthistorische<br />

Vorhaben über 50 unschätzbar wertvolle, unersetzliche Meisterwerke <strong>de</strong>r Malerei<br />

zu gewinnen. Das Stä<strong>de</strong>l Museum und die Gemäl<strong>de</strong>galerie verfügen selbst über<br />

unvergleichliche Bestän<strong>de</strong> zum <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> und zu Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n,<br />

die mit dieser Ausstellung erstmals zusammengeführt wer<strong>de</strong>n. Aber erst durch<br />

die zahlreichen Leihgaben aus an<strong>de</strong>ren großen Museen konnte eine solche Ausnahmeexposition<br />

wie diese entstehen: Eine noch nie zuvor an einem Ort präsentierte<br />

Anzahl an Glanzstücken <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Meister ist in dieser spektakulären Kunstschau<br />

vereint. Die Ausstellung bietet durch die erstmalige gemeinsame Präsentation <strong>de</strong>r<br />

Werke, die ansonsten über zahlreiche Museen in aller Welt verstreut sind, die einmalige<br />

Möglichkeit, die Bil<strong>de</strong>rwelt zweier <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendsten und einflussreichsten<br />

Künstlerfiguren <strong>de</strong>s 15. Jahrhun<strong>de</strong>rts in einer bislang noch nicht vorhan<strong>de</strong>nen Qualität<br />

und Dichte in Augenschein zu nehmen und zu vergleichen. Die Mehrzahl <strong>de</strong>r<br />

Meisterwerke ist konservatorisch so empfindlich, dass sie zuvor noch nie ausgeliehen<br />

wur<strong>de</strong>, nicht zuletzt auch <strong>de</strong>shalb, da die überaus kostbaren Gemäl<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n<br />

jeweiligen Sammlungen einen überragen<strong>de</strong>n Stellenwert einnehmen. So trennten<br />

sich die angesehensten Museen <strong>de</strong>r Welt wie das Metropolitan Museum of Art in<br />

New York, die National Gallery in London, das Museo <strong>de</strong>l Prado in Madrid, das Musée<br />

du Louvre in Paris o<strong>de</strong>r die Staatliche Eremitage in St. Petersburg, aber auch<br />

kleinere weniger bekannte „Schatzhäuser“, z.T. erstmals für dieses Ausstellungsprojekt<br />

<strong>von</strong> ihren Preziosen.<br />

Im Gegensatz zur Frankfurter Ausführung <strong>de</strong>r Exposition hat sich die Grundausrichtung<br />

<strong>de</strong>r Ausstellung in Berlin etwas verän<strong>de</strong>rt. Während in Frankfurt <strong>de</strong>r sogenannte<br />

<strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> <strong>de</strong>utlicher im Fokus stand, konzentriert sich die Berliner<br />

1


Schau gezielter auf das Werk Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>ns. Zwei Grün<strong>de</strong> für diese leichte<br />

Verschiebung <strong>de</strong>s Ausstellungsschwerpunktes sind dabei auszumachen. Zum einen<br />

sind die Sammlungen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Museen ausschlaggebend: Während das Stä<strong>de</strong>l<br />

Museum einen einzigartigen Bestand an Gemäl<strong>de</strong>n zum <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong><br />

vorweisen kann, besitzt die Berliner Gemäl<strong>de</strong>galerie nicht nur die weltweit be<strong>de</strong>utendste<br />

Sammlung nie<strong>de</strong>rländischer Malerei <strong>de</strong>s 15. Jahrhun<strong>de</strong>rts, son<strong>de</strong>rn auch<br />

speziell die größte Anzahl an Werken <strong>von</strong> Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n. Eine <strong>de</strong>mentsprechen<strong>de</strong><br />

Gewichtung bot sich also an. Zum an<strong>de</strong>ren war <strong>von</strong> Vornherein klar, dass<br />

nicht für bei<strong>de</strong> Expositionen auch alle Leihgaben zur Verfügung stehen wür<strong>de</strong>n. So<br />

sind einige Werke <strong>de</strong>s <strong>„Meister</strong>s <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong>, die in Frankfurt dargeboten wur<strong>de</strong>n,<br />

in Berlin nicht zu sehen. Darunter fallen <strong>de</strong>r Méro<strong>de</strong>-Altar, die Brüsseler Verkündigung,<br />

die Tafeln mit Verkündigung und Marienvermählung <strong>de</strong>s Prado sowie das<br />

Schächerfragment <strong>de</strong>s Stä<strong>de</strong>l Museums. Dafür kann die Gemäl<strong>de</strong>galerie nun wie<strong>de</strong>rum<br />

an<strong>de</strong>re Meisterwerke, die in Frankfurt nicht vorhan<strong>de</strong>n waren, präsentieren, wie<br />

etwa das einzige datierte Bild <strong>de</strong>r gesamten Ausstellungsgruppe, <strong>de</strong>n Werl-Altar <strong>von</strong><br />

1438 aus <strong>de</strong>m Prado in Madrid, sowie die Leipziger Heimsuchung Rogier van <strong>de</strong>r<br />

Wey<strong>de</strong>ns und <strong>de</strong>ssen Triptychonflügel aus Turin. Dazu kommen noch die Gemäl<strong>de</strong><br />

Rogiers aus <strong>de</strong>r Gemäl<strong>de</strong>galerie, die nicht nach Frankfurt transportiert wer<strong>de</strong>n konnten:<br />

die Seitentafeln <strong>de</strong>s Johannesaltars, <strong>de</strong>r Mid<strong>de</strong>lburger Altar sowie die Tafel „Die<br />

Heiligen Margareta und Apollonia“.<br />

Darbietungsform, Ausstellungsmedien und Begleitmaterial<br />

Mit <strong>de</strong>r leichten Schwerpunktverlagerung geht auch eine an<strong>de</strong>re Grundkonzeption<br />

und Präsentationsform einher: Die Frankfurter Ausstellung war sichtbar in fünf thematische<br />

Abschnitte geglie<strong>de</strong>rt und wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>mentsprechend in fünf kleineren Sälen<br />

dargeboten. In Berlin hingegen gibt es eine solche Unterteilung nicht. Die Exposition<br />

in <strong>de</strong>r Gemäl<strong>de</strong>galerie ist in einer großen Ausstellungshalle mit einer Schaufläche<br />

<strong>von</strong> 400 Quadratmetern untergebracht. <strong>Der</strong> Raum ist nur durch eine breite Ausstellungswand<br />

unterteilt, die wie<strong>de</strong>rum in Form einer Apsis gehalten ist. Nach <strong>de</strong>r Besichtigung<br />

<strong>de</strong>r innerhalb <strong>de</strong>r nachgebil<strong>de</strong>ten Apsis platzierten Werke, setzt sich <strong>de</strong>r<br />

Rundgang linker Hand <strong>de</strong>s Eingangs im Uhrzeigersinn fort. <strong>Der</strong> Aufbau ist chronologisch<br />

geordnet und schließt <strong>de</strong>n Zeitraum <strong>von</strong> ca. 1430 bis 1460 ein. Angemerkt<br />

sei an dieser Stelle noch, dass die an <strong>de</strong>n Raumwän<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Außenwän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

„Apsis“ platzierten Meisterwerke grundsätzlich miteinan<strong>de</strong>r korrespondieren, also keine<br />

jeweils eigenen Kapitel darstellen, son<strong>de</strong>rn räumlich und thematisch zueinan<strong>de</strong>r<br />

gehören. Es bietet sich also eine wechseln<strong>de</strong> Begehung <strong>von</strong> Raumwän<strong>de</strong>n und<br />

Außenwän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Apsis an. Dies gilt vor allem für <strong>de</strong>n ersten Bereich, während im<br />

Hauptteil die Reihenfolge <strong>de</strong>r Begehung nicht zwingend erscheint.<br />

Die Darbietungsform ist, selbst für eine Kunstausstellung, sehr puristisch gehalten.<br />

So mag manch einer auf <strong>de</strong>n ersten Blick Wandtexte mit Einführungen in die Thematik<br />

o<strong>de</strong>r Texttafeln mit näheren Erläuterungen vermissen. Überhaupt fehlt jegliche<br />

durch Überschriften erkennbare, sichtbare Unterteilung. Tatsächlich haben die Ausstellungsmacher<br />

bewusst auf Texttafeln bzw. Wandtexte sowie eine tiefergehen<strong>de</strong><br />

Unterteilung verzichtet. Die Ausstellung tritt <strong>de</strong>m Besucher äußerlich also als harmonisches<br />

Ganzes entgegen. Im Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>de</strong>r Exposition steht augenfällig die Ästhetik<br />

<strong>de</strong>r Kunstwerke. Statt eines schriftlichen Leit- und Informationssystems bieten<br />

die Veranstalter allerdings eine exzellente, sehr informative und zugleich unterhaltsame<br />

sowie insgesamt höchst empfehlenswerte Audioführung an, die in <strong>de</strong>utscher<br />

und englischer Ausführung vorrätig ist. Durch diese rein auditive Unterrichtung mit Informationen<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Exposition soll sich <strong>de</strong>r Besucher visuell voll und ganz auf<br />

die Meisterwerke konzentrieren können, ungestört <strong>von</strong> Texten und thematischen Unterteilungen<br />

bzw. Betrachtungsweisen. Wer <strong>de</strong>nnoch nicht gänzlich ohne Textmaterial<br />

durch die Ausstellung gehen möchte, <strong>de</strong>m gibt die Exposition ein sogenanntes<br />

Booklet an die Hand, ein kleines Heftchen ohne Bebil<strong>de</strong>rung, dafür aber mit hervor-<br />

2


agen<strong>de</strong>n Kurzbeschreibungen und Erläuterungen <strong>de</strong>r Gemäl<strong>de</strong>. Das Booklet bietet<br />

eine <strong>de</strong>utsche und eine englische Fassung. <strong>Der</strong> großartige Katalog hingegen ist angesichts<br />

seiner Größe <strong>von</strong> 24 x 30 cm und <strong>de</strong>s Gewichts <strong>von</strong> fast zweieinhalb Kilogramm<br />

als Begleitmaterial für <strong>de</strong>n Rundgang eher ungeeignet.<br />

Obwohl <strong>de</strong>r Ausstellung also kein schriftliches Leitsystem anhaftet, besitzt sie naturgemäß<br />

aber doch eine, wenn auch in fließen<strong>de</strong>m Übergang gestaltete Glie<strong>de</strong>rung.<br />

So ist die Kunstschau grob in drei Bereiche einzuteilen: <strong>Der</strong> erste Teil beschäftigt<br />

sich mit <strong>de</strong>m <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> und <strong>de</strong>n wegweisen<strong>de</strong>n Innovationen <strong>de</strong>r Zeit,<br />

<strong>de</strong>r Hauptbereich beleuchtet dann das Werk Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>ns und eine kleine<br />

abschließen<strong>de</strong> Abteilung wirft einen Blick auf Kopien <strong>von</strong> Gemäl<strong>de</strong>n Rogiers.<br />

Das Ausstellungsthema<br />

Zum ersten Mal überhaupt bietet eine große Exposition einen Überblick über das Gesamtschaffen<br />

dieser zwei be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Figuren <strong>de</strong>r europäischen Kunstgeschichte.<br />

Obwohl die narrativen (erzählen<strong>de</strong>n), durch<br />

ihren opulenten Detailreichtum bestechen<strong>de</strong>n<br />

Gemäl<strong>de</strong> <strong>de</strong>s <strong>„Meister</strong>s <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> und Rogier<br />

van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>ns zu <strong>de</strong>n schönsten und<br />

Bildrecht steht<br />

lei<strong>de</strong>r nicht mehr<br />

zur Verfügung<br />

Beispiel für <strong>de</strong>n opulenten Detailreichtum <strong>de</strong>r Gemäl<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Flémallers“<br />

sowie für <strong>de</strong>n Einsatz sogenannter „verklei<strong>de</strong>ter“ Symbolik:<br />

Meister <strong>von</strong> Flémalle, Geburt Christi, Eichenholz, 85,7 x<br />

72 cm © Musée <strong>de</strong>s Beaux Arts, Dijon, Foto: François Jay<br />

auch populärsten Werken <strong>de</strong>s ausgehen<strong>de</strong>n<br />

Spätmittelalters und <strong>de</strong>r beginnen<strong>de</strong>n Neuzeit<br />

zählen, und viele an<strong>de</strong>re Künstler eben diese<br />

Werke zum Vorbild nahmen, gab es bislang keine<br />

Einzelausstellung, die sich diesen bei<strong>de</strong>n<br />

Malerpersönlichkeiten und ihrem Oeuvre (Gesamtwerk)<br />

gewidmet hat. Dabei war und ist gera<strong>de</strong><br />

die Abgrenzung <strong>de</strong>r jeweiligen Werkkomplexe<br />

äußerst umstritten. In <strong>de</strong>n letzten Jahren<br />

veranlasste gera<strong>de</strong> diese Thematik immerhin<br />

vier monumentale Buchmonographien, die wie<strong>de</strong>rum<br />

zu teilweise drastisch divergieren<strong>de</strong>n<br />

Antworten auf die Werkzuordnung kamen. Um<br />

einer Zuordnung <strong>de</strong>r Gemäl<strong>de</strong> tatsächlich nachhaltig<br />

gerecht zu wer<strong>de</strong>n, muss zuvor eine<br />

wichtige, ja fundamentale Voraussetzung zur<br />

Lösung dieses Problems geklärt sein, und zwar<br />

die Frage: Wer war <strong>de</strong>r sogenannte <strong>„Meister</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong><br />

Die Exposition bietet durch die jetzige, erstmalige<br />

Zusammenführung <strong>de</strong>r meisten Werke <strong>de</strong>r<br />

bei<strong>de</strong>n Künstler die vielleicht einmalige Chance,<br />

<strong>de</strong>r Lösung dieser großen ungelösten Frage <strong>de</strong>r<br />

Kunstgeschichte auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>s direkten Vergleichs ein be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s Stück näher<br />

zu kommen. Die Kunstschau will die Frage <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität also neu aufrollen und diskutieren.<br />

Dabei kann sie sich auf neue Metho<strong>de</strong>n und Techniken ebenso berufen, wie<br />

auf <strong>de</strong>n direkten Vergleich <strong>de</strong>r Großzahl <strong>de</strong>r Meisterwerke in <strong>de</strong>r Ausstellung und<br />

schließlich auf ein am 19. Februar im Frankfurter Stä<strong>de</strong>l Museum abgehaltenes Kolloquium<br />

international bekannter Fachleute. Die Exposition will aber vor allem auch<br />

einem breiten Publikum die einzigartige Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Werke und ihrer Künstler<br />

ver<strong>de</strong>utlichen. Ein wichtiges Ziel ist es dabei, <strong>de</strong>n Besucher über die epochalen Innovationen,<br />

die in dieser Zeit, insbeson<strong>de</strong>re durch die bei<strong>de</strong>n Protagonisten <strong>de</strong>r Veranstaltung,<br />

eingeführt wur<strong>de</strong>n, aufzuklären. Die Neuerungen bzw. die Umsetzungen<br />

<strong>de</strong>rselben begrün<strong>de</strong>ten einen neuen Kunststil, <strong>de</strong>r allgemein auch unter <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Musikgeschichte<br />

entlehnten Begriff „Ars Nova“ (Neue Kunst) zusammengefasst wird.<br />

Die Kunstschau versucht diese Innovationen und <strong>de</strong>ren umwälzen<strong>de</strong> Wirkung auf die<br />

3


europäische Malerei vor allem in Kombination mit <strong>de</strong>r exzellenten Audioführung zu<br />

veranschaulichen.<br />

Bahnbrechen<strong>de</strong> Innovationen und die Geburt <strong>de</strong>r neuzeitlichen Malerei<br />

Mit <strong>de</strong>r durch die Innovation <strong>de</strong>r Ölfarbe entwickelten<br />

neuen Maltechnik wur<strong>de</strong> auch die<br />

Darstellung kleinster Details möglich, wie etwa<br />

die hier <strong>de</strong>utlich zu erkennen<strong>de</strong>n realistisch abgebil<strong>de</strong>ten<br />

Stirnfalten: Meister <strong>von</strong> Flémalle,<br />

(Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n), Bildnis eines feisten<br />

Mannes, Eichenholz, 31,5 x 20,3 cm © Staatliche<br />

Museen zu Berlin, Gemäl<strong>de</strong>galerie,<br />

Eigentum <strong>de</strong>s Kaiser Friedrich-Museum-<br />

Vereins, Kat. Nr. 537A, Foto: Jörg P. An<strong>de</strong>rs<br />

Auch kleinste Details, wie etwa die auf diesem Werk,<br />

<strong>de</strong>m vielleicht schönsten Gemäl<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ausstellung<br />

überhaupt, recht <strong>de</strong>utlich erkennbaren oberen Na<strong>de</strong>l<br />

zum Feststecken <strong>de</strong>r Haube, konnten mit Hilfe <strong>de</strong>r<br />

neuen Maltechnik <strong>de</strong>utlich dargestellt wer<strong>de</strong>n: Rogier<br />

van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n, Bildnis einer jungen Frau, Eichenholz,<br />

49,1 x 33 cm © Staatliche Museen zu Berlin, Gemäl<strong>de</strong>galerie,<br />

Volker H. Schnei<strong>de</strong>r,Foto:Jörg P. An<strong>de</strong>rs<br />

In <strong>de</strong>n späten 1420er Jahren vollzog sich in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n<br />

eine „künstlerische Revolution“ (Prof. Dr.<br />

Jochen San<strong>de</strong>r). Die ausschlaggeben<strong>de</strong> Neuerung in<br />

<strong>de</strong>r Malerei bestand dabei in <strong>de</strong>r Verwendung <strong>von</strong> Öl<br />

statt Ei als Bin<strong>de</strong>mittel für die Farben. Diese bahnbrechen<strong>de</strong><br />

Innovation ermöglichte es <strong>de</strong>n Malern nun,<br />

viele dünne, übereinan<strong>de</strong>r liegen<strong>de</strong> Farbschichten auf<br />

<strong>de</strong>n Maluntergrund aufzutragen<br />

(sogenannte Lasurtechnik).<br />

Die Erfindung<br />

<strong>de</strong>r Ölmalerei ermöglichte<br />

die Darstellung kleinster<br />

Details wie Na<strong>de</strong>ln zum<br />

Feststecken einer Haube<br />

o<strong>de</strong>r Tränen auf <strong>de</strong>r Wange<br />

einer trauern<strong>de</strong>n Madonna.<br />

Abbil<strong>de</strong>n konnten<br />

die Künstler <strong>von</strong> da an vor<br />

allem aber auch individuelle<br />

Gesichtszüge wie Falten<br />

und komplexere Hautfärbungen.<br />

Die Maler entwickelten<br />

einen neuen<br />

meisterhaften Realismus.<br />

Gleichzeitig wur<strong>de</strong>n die<br />

täuschend wirklichkeitsnahen<br />

Details <strong>de</strong>r abgebil<strong>de</strong>ten<br />

sichtbaren Welt dazu<br />

genutzt, um auch auf die<br />

jenseits <strong>de</strong>r transzen<strong>de</strong>nten<br />

Wirklichkeit, also jenseits <strong>de</strong>r banalen Alltagsrealität<br />

vorhan<strong>de</strong>ne Vorstellungswelt hinzuweisen. Die damalige<br />

Welt war schließlich zutiefst geprägt durch religiöse,<br />

christliche I<strong>de</strong>en und Glaubensvorstellungen. Diese nun<br />

einsetzen<strong>de</strong> Einarbeitung zusätzlicher Be<strong>de</strong>utungsebenen,<br />

die für uns heutzutage zumeist erst auf <strong>de</strong>n zweiten<br />

Blick erkennbar bzw. <strong>de</strong>utbar sind, wird in <strong>de</strong>r Kunstgeschichte<br />

mit „verklei<strong>de</strong>ter“ Symbolik bezeichnet. Mit dieser<br />

speziellen symbolischen Aufladung <strong>de</strong>r Werke integrierten<br />

die Künstler zugleich im Rahmen <strong>de</strong>s sich entwickeln<strong>de</strong>n neuen Kunststils auch eine<br />

ganze Palette neuer Bildmotive in ihre Gemäl<strong>de</strong>.<br />

Die Innovation <strong>de</strong>r Ölfarbe mit ihren brillianten, transparenten Farbschichten und<br />

ihren real wirken<strong>de</strong>n Bildflächen leistete zusätzlich einen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Beitrag zur<br />

Verbreitung <strong>de</strong>r abbildhaft ähnlichen Porträtmalerei. War das <strong>de</strong>m Abgebil<strong>de</strong>ten<br />

möglichst ähnlich gehaltene Porträt bei seinem Aufkommen in <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s<br />

14. Jahrhun<strong>de</strong>rts zunächst allein <strong>de</strong>m A<strong>de</strong>l vorbehalten, so griff die Form <strong>de</strong>s autonomen<br />

Porträts wohl spätestens im zweiten Viertel <strong>de</strong>s 15. Jahrhun<strong>de</strong>rts mehr und<br />

mehr auch auf bürgerlicher Kreise aus.<br />

Mit <strong>de</strong>r neuartigen Maltechnik ging zu<strong>de</strong>m eine neue, für die Zeit fraglos sensationell<br />

anmuten<strong>de</strong> Wirkung <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r einher: Die Gemäl<strong>de</strong> leuchteten in Verbindung mit<br />

4


einfallen<strong>de</strong>m Licht gera<strong>de</strong>zu auf. Überhaupt wur<strong>de</strong> Licht jetzt innerhalb <strong>de</strong>r Malerei<br />

erstmals darstellbar. Zuvor hatten die Künstler Lichteffekte himmlischen o<strong>de</strong>r irdischen<br />

Ursprungs durch die Verwendung <strong>von</strong> realem Gold (zumeist in Form <strong>von</strong><br />

Blattgold) ange<strong>de</strong>utet bzw. imitiert. (siehe: Katalog S. 31)<br />

Allein diese kurze Zusammenfassung <strong>de</strong>r Innovationen nach 1420 gibt schon <strong>de</strong>n<br />

kunstgeschichtlich umwälzen<strong>de</strong>n Charakter dieser Zeit preis. Unter <strong>de</strong>n Malern, die<br />

diesen künstlerischen Umbruch mit einläuteten und nachhaltig prägten, ragen, neben<br />

Jan van Eyck, vor allem <strong>de</strong>r sogenannte <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> und Rogier van <strong>de</strong>r<br />

Wey<strong>de</strong>n heraus.<br />

Die Ausstellung: 1. Die I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>s <strong>„Meister</strong>s <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong><br />

Gleich beim Betreten <strong>de</strong>s großen Saals <strong>de</strong>r Exposition fällt <strong>de</strong>r Blick <strong>de</strong>s Besuchers<br />

auf die drei sogenannten „Flémaller Tafeln“ (Nr. 6), die zentral auf einer in Form einer<br />

Apsis gehaltenen Ausstellungswand präsentiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Es ist das erste Mal,<br />

abgesehen <strong>von</strong> einer Evakuierung im<br />

Zweiten Weltkrieg, dass diese Glanzstücke<br />

altnie<strong>de</strong>rländischer Malerei das<br />

Stä<strong>de</strong>l Museum verlassen haben. Die Tafeln<br />

waren Ausgangspunkt für die im 19.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt durch die Stilkritik geschaffene<br />

Kunstfigur <strong>de</strong>s <strong>„Meister</strong>s <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong>.<br />

Von <strong>de</strong>n Tafeln meinte man zu wissen,<br />

dass sie aus Flémalle, einem kleinen<br />

Ort in <strong>de</strong>r Nähe <strong>von</strong> Lüttich, stammten.<br />

Da man abgesehen <strong>von</strong> dieser Ortsangabe<br />

ansonsten nichts über <strong>de</strong>n Künstler<br />

wusste, gab man ihm die Bezeichnung<br />

<strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong>. Um diese Tafeln<br />

herum gruppierte man dann ein ganzes<br />

Werk <strong>von</strong> Bil<strong>de</strong>rn, das man als einheitliches<br />

Gesamtwerk eines einzelnen Meisters<br />

verstand. Diese Vorgehensweise war<br />

in <strong>de</strong>r Kunstgeschichte stets ein gängiges<br />

Mittel <strong>de</strong>r Zuweisung. Heute weiß man,<br />

dass die kleine belgische Stadt keineswegs<br />

Ursprungsort <strong>de</strong>r Tafeln war. Überhaupt<br />

gibt es keinen Hinweis auf eine dort<br />

ansässige Malerwerkstatt. Tatsächlich<br />

hatte es in Flémalle und seiner Umgebung<br />

noch nicht einmal eine größere Kirche<br />

o<strong>de</strong>r gar ein Kloster gegeben. Dennoch<br />

hat sich <strong>de</strong>r Name als Zuordnungsbezeichnung<br />

für die betroffenen Kunstwerke<br />

erhalten.<br />

Bevor nun aber die I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>s Meisters<br />

ins Zentrum <strong>de</strong>s Interesses gerät, gibt die Ausstellung <strong>de</strong>m Besucher<br />

die Möglichkeit, sich auf anschauliche Weise <strong>de</strong>n richtungsweisen<strong>de</strong>n<br />

Innovationen dieser Epoche anzunähern, die,<br />

vor allem an<strong>de</strong>ren, Ursprung <strong>de</strong>r außeror<strong>de</strong>ntlichen Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r gesamten Werkgruppe<br />

dieser Ausstellung sind, und die <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n (im Wesentlichen das<br />

heutige Belgien) aus ihren Siegeszug in die ganze Welt antraten.<br />

Rechts <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Flémaller Tafeln ist das Werk eines unbekannten nie<strong>de</strong>rländischen<br />

Malers mit <strong>de</strong>m Titel „Die Trinität“ (außer Katalog) platziert. Das Gemäl<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>r<br />

Mittlere <strong>de</strong>r drei sog. „Flémaller Tafeln“:<br />

Meister <strong>von</strong> Flémalle, Die Heilige Veronika,<br />

um 1430, Eichenholz, 151,8 x 61,0<br />

cm, Frankfurt am Main, Stä<strong>de</strong>l Museum<br />

© Weilheim, Artothek, Ursula E<strong>de</strong>lmann<br />

Rechte <strong>de</strong>r drei sog. „Flémaller Tafeln“:<br />

Meister <strong>von</strong> Flémalle, <strong>Der</strong> Gna<strong>de</strong>nstuhl,<br />

um 1430, Eichenholz 160,2 x 68,2 cm,<br />

Frankfurt/M., Stä<strong>de</strong>l Museum © Weilheim,<br />

Artothek, Ursula E<strong>de</strong>lmann<br />

5


Danziger Marienkirche steht hier für <strong>de</strong>n althergebrachten Malstil. <strong>Der</strong> Vergleich dieses<br />

Gemäl<strong>de</strong>s „alter“ Machart mit <strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n „neuen“ Malstil geprägten drei Flémaller<br />

Tafeln offenbart die signifikanten Unterschie<strong>de</strong>, wie etwa die Verwendung <strong>von</strong><br />

Blattgold bei <strong>de</strong>m Gewand und <strong>de</strong>r Krone <strong>de</strong>s Danziger Bil<strong>de</strong>s im Gegensatz zur<br />

Nutzung neuer, durch <strong>de</strong>n Einsatz <strong>von</strong> Ölfarbe ermöglichter malerischer Mittel bei<br />

ähnlichen Bil<strong>de</strong>lementen <strong>de</strong>r Flémaller Tafeln. Auch die weiteren in diesem ersten<br />

Bereich noch dargebotenen, <strong>de</strong>m <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> zugeordneten Gemäl<strong>de</strong> sowie<br />

die danach folgen<strong>de</strong>n Werke Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>ns geben <strong>de</strong>m Besucher in<br />

<strong>de</strong>r Kombination mit <strong>de</strong>r Audioführung vortreffliche Einblicke in die zahlreichen Innovationen,<br />

die nach 1420 in <strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>rländischen Malerwerkstätten entwickelt wur<strong>de</strong>n<br />

und schließlich <strong>de</strong>n neuen als „Ars Nova“ bezeichneten Kunststil hervorbrachten. Die<br />

Präsentationsform bietet dabei immer wie<strong>de</strong>r die Möglichkeit, in Malstil und Komposition<br />

übereinstimmen<strong>de</strong>, aber auch divergieren<strong>de</strong> Bildmotive o<strong>de</strong>r -elemente im Vergleich<br />

zwischen <strong>de</strong>n Gemäl<strong>de</strong>n festzustellen.<br />

Im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt glaubte man lange Zeit in Robert Campin, einem in Tournai anhand<br />

<strong>von</strong> Archivalien ein<strong>de</strong>utig nachgewiesenen Maler, <strong>de</strong>r eine eigene Werkstatt mit<br />

mehreren Angestellten besaß, <strong>de</strong>n <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> i<strong>de</strong>ntifiziert zu haben.<br />

Noch heute ist diese Meinung weit verbreitet. Die Ausstellungsverantwortlichen, Dr.<br />

Stephan Kemperdick und Prof. Dr. Jochen San<strong>de</strong>r, zweifeln diese Annahme jedoch<br />

an und präsentieren eine neue These.<br />

Für eine positive I<strong>de</strong>ntifizierung <strong>von</strong> Campin mit <strong>de</strong>m <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> sprachen<br />

zunächst enge stilistische Bezüge <strong>von</strong> vier urkundlich gesicherten Tafeln <strong>de</strong>s<br />

ebenfalls aus Tournai stammen<strong>de</strong>n Jaques Daret, die in <strong>de</strong>r Ausstellung zu sehen<br />

sind (Nr. 13). Daret wie<strong>de</strong>rum hatte nachweislich bei Robert Campin gelernt, so dass<br />

es logisch erschien, in <strong>de</strong>m Lehrer Darets <strong>de</strong>n <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> zu erkennen.<br />

Gegen eine Gleichsetzung führen die Ausstellungsverantwortlichen nicht nur das insgesamt<br />

uneinheitliche Oeuvre <strong>de</strong>s „Flémaller Meisters“ an, erkennbar nicht zuletzt<br />

auch anhand eines Vergleichs <strong>de</strong>r drei zuvor zu besichtigen<strong>de</strong>n „Flémaller Tafeln“<br />

<strong>de</strong>s Stä<strong>de</strong>ls, son<strong>de</strong>rn auch das Alter Robert Campins, <strong>de</strong>r 1375 geboren wur<strong>de</strong>. Sein<br />

um das Jahr 1420 mit 55 Jahren für diese Zeit doch schon recht fortgeschrittenes Alter<br />

lässt eher einen Künstler mit einem altertümlichen Stil erwarten, als jeman<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

durch bahnbrechen<strong>de</strong> Innovationen die Malerei revolutioniert, o<strong>de</strong>r wie es Professor<br />

San<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Pressekonferenz ausdrückte: ein Künstler <strong>de</strong>r in dieser Zeit 55 Jahre<br />

alt ist, „ist ein Greis und wird wohl nicht in <strong>de</strong>n Jungbrunnen gefallen sein.“<br />

Dazu kommt eine gewisse Unsicherheit: Zwar weiß man durch Urkun<strong>de</strong>n relativ viel<br />

über Robert Campin und seine in <strong>de</strong>n 1420-er Jahren in Tournai erfolgreich geführte<br />

und auch personell stark besetzte Malwerkstatt, jedoch ist in <strong>de</strong>n Museen <strong>de</strong>r Welt<br />

kein einziges gesichertes o<strong>de</strong>r gar signiertes Werk <strong>de</strong>s Malers selbst überliefert. Das<br />

Problem <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Signierung allerdings, gilt auch für Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n<br />

und die meisten an<strong>de</strong>ren Maler dieser Epoche. Lediglich <strong>von</strong> Jan van Eyck sind signierte<br />

Werke überliefert.<br />

Problematisch ist eine Gleichsetzung Robert Campins mit <strong>de</strong>m <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong><br />

eins zu eins schließlich noch <strong>de</strong>shalb, da in <strong>de</strong>n Jahren nach 1420 auch <strong>de</strong>r<br />

später berühmte Brüsseler Stadtmaler Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n (französisch: Rogier<br />

<strong>de</strong> la Pasture) im Atelier Campins gearbeitet hat, <strong>de</strong>nn die Arbeit van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>ns<br />

muss sich in <strong>de</strong>n Werken dieser Zeit nie<strong>de</strong>rschlagen haben, war er doch zu dieser<br />

Zeit bereits ein fertig ausgebil<strong>de</strong>ter Maler. Dies gilt im Übrigen ebenso für drei weitere<br />

anhand <strong>von</strong> Archivalien verbürgte Mitarbeiter Campins, einen gewissen Haquin <strong>de</strong><br />

Blandain sowie <strong>de</strong>n schon erwähnten Jaques Daret und einen sogenannten „Willlemet“.<br />

Die bei<strong>de</strong>n Letztgenannten wur<strong>de</strong>n ebenso wie Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n 1432<br />

zu Meistern „freigesprochen“. Äußerer Anlass für diese Verselbständigung <strong>de</strong>r drei<br />

Maler war wohl eine zeitweise Verbannung Robert Campins aus Tournai aufgrund<br />

<strong>de</strong>s Vorwurfs <strong>de</strong>s Ehebruchs. Neben <strong>de</strong>n gesicherten Mitarbeitern erscheint es sehr<br />

6


wahrscheinlich, dass weitere Maler und Gesellen bei Campin beschäftigt waren, zumal<br />

die Werkstatt diverse in dieser Zeit populäre Bereiche <strong>de</strong>r Bildkunst, wie u.a.<br />

auch die Buchmalerei, ab<strong>de</strong>ckte. (siehe: Katalog, S. 56-59)<br />

<strong>Der</strong> in <strong>de</strong>r Ausstellung vertretene Neuansatz geht nun da<strong>von</strong> aus, dass die <strong>de</strong>m<br />

<strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> zugeschriebenen Werke nicht <strong>von</strong> einer Einzelperson stammen,<br />

son<strong>de</strong>rn mehreren Künstlern einer ganzen Malwerkstatt, und zwar eben <strong>de</strong>r<br />

Robert Campins, zuzuordnen sind. Die Exposition veranschaulicht diese These auf<br />

beeindrucken<strong>de</strong> Weise durch einen überzeugen<strong>de</strong>n und sehr gut nachvollziehbaren<br />

Vergleich <strong>de</strong>r ausgestellten Gemäl<strong>de</strong> in Verbindung mit <strong>de</strong>r nochmals hervorzuheben<strong>de</strong>n<br />

Audioführung.<br />

<strong>Der</strong> erste Bereich <strong>de</strong>r Ausstellung en<strong>de</strong>t mit insgesamt fünf Werken Jaques Darets.<br />

2. Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n und seine Werkstatt<br />

Es folgt nun <strong>de</strong>r Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n gewidmete Hauptteil. Bevor jedoch nun die<br />

Werke Rogiers und seiner Werkstatt in <strong>de</strong>n Mittelpunkt rücken, seien hier wichtige<br />

Informationen zum Leben <strong>de</strong>s großen Meisters und zu seiner Reputation angeführt.<br />

Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> um 1399/1400 in Tournai als Sohn eines Messerschmieds<br />

geboren. Wohl mit etwa 13 Jahren begann er, wie es in dieser Zeit üblich<br />

war, mit <strong>de</strong>r Malerausbildung. Nach<strong>de</strong>m er 1426 eine gewisse Elisabeth Goffaerts<br />

aus Brüssel geheiratet hatte und Vater eines Sohnes gewor<strong>de</strong>n war, arbeitete er ab<br />

1427 in <strong>de</strong>r Werkstatt Robert Campins in Tournai. Da Rogier zu dieser Zeit etwa 27<br />

Jahre alt war und bereits eine Familie gegrün<strong>de</strong>t hatte, darf man sicher sein, dass er<br />

seine Ausbildung schon längere Zeit davor been<strong>de</strong>t hatte. „1432 erwirbt er die Freimeisterschaft,<br />

die es ihm erlaubt, als selbständiger Maler zu arbeiten.“ (Booklet, S. 2)<br />

Ab 1435 wohnte er in Brüssel und wur<strong>de</strong> dort zum Stadtmaler ernannt. Er erhielt daraufhin<br />

zahlreiche repräsentative und<br />

lukrative Auftrage, erwarb sich hohes<br />

Ansehen und kam zu Wohlstand, so<br />

Bildrecht steht<br />

lei<strong>de</strong>r nicht mehr<br />

zur Verfügung<br />

Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n, Werkstatt, Kreuzigung Christi (Abegg-Triptychon),<br />

Eichenholz, Mitteltafel: 103,5 x 72,4 cm, Flügel: je 103,5 x 32,8 cm, Riggisberg<br />

bei Bern, Abegg-Stiftung © Riggisberg, Abegg-Stiftung, Christoph <strong>von</strong><br />

Viràg, 1999<br />

dass er sich um 1444 ein großes Haus<br />

in Brüssel kaufen konnte. Zu seinen<br />

Auftraggebern gehörten nun auch Königshäuser.<br />

So schuf Rogier, <strong>de</strong>r in<br />

Spanien „Rogel“ genannt wur<strong>de</strong>, für<br />

<strong>de</strong>n kastilischen König Juan II. einen<br />

Altar, <strong>de</strong>n dieser anschließend <strong>de</strong>r<br />

Kartause Miraflores schenkte: <strong>de</strong>n<br />

heute berühmten Miraflores-Altar. Am<br />

18. Juni 1464 starb Rogier van <strong>de</strong>r<br />

Wey<strong>de</strong>n und wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Brüsseler<br />

Kirche Sainte-Gudule bestattet. (die<br />

Informationen sind im Wesentlichen<br />

<strong>de</strong>r prägnanten Lebensbeschreibung<br />

im Booklet entnommen, siehe: Booklet:<br />

S. 2/3)<br />

Bereits unter seinen Zeitgenossen war<br />

Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n hoch angesehen.<br />

Unter seinen Verehrern war u.a. auch <strong>de</strong>r italienische Kaufmann und Humanist<br />

Cyriacus <strong>von</strong> Ancona. Seinen wohl aus <strong>de</strong>m Jahr 1449 stammen<strong>de</strong>n Lobgesang<br />

auf Rogier kann man als Zitat noch vor Betreten <strong>de</strong>r Ausstellung auf einer<br />

Wand nachlesen. Cyriacus preist darin die Malkunst Rogiers u.a. wie folgt: „... Gold,<br />

das so aussieht wie wirkliches Gold“ und weiter: „Perlen, E<strong>de</strong>lsteine und alle sonstigen<br />

Dinge scheinen, als habe nicht die Kunstfertigkeit <strong>de</strong>r menschlichen Hand,<br />

son<strong>de</strong>rn die alles hervorbringen<strong>de</strong> Natur selbst sie geschaffen.“ <strong>Der</strong> große Philosoph,<br />

Theologe und Mathematiker Nikolaus <strong>von</strong> Kues war ebenso stark beeindruckt<br />

7


und betitelte Rogier, nach<strong>de</strong>m er um 1450 seine für das Brüsseler Rathaus geschaffenen<br />

„Gerechtigkeitstafeln“ (im 17. Jht. zerstört) gesehen hatte, als „Maximus<br />

Pictor“ („größter Maler“). <strong>Der</strong> Botschafter <strong>de</strong>r Herzogin <strong>von</strong> Mailand in Brüssel nannte<br />

ihn „Pittore Nobilissimo“ („vornehmster“ o<strong>de</strong>r „e<strong>de</strong>lster Maler“). Auch die nachfolgen<strong>de</strong>n<br />

Malergenerationen verehrten ihn und sein Werk. Albrecht Dürer bezeichnete ihn<br />

1520 in seinem nie<strong>de</strong>rländischen Tagebuch als <strong>de</strong>n „großen Meister Rogier“ („groß<br />

meister Rudier“). Und zahlreiche Maler nutzten Versatzstücke seiner Gemäl<strong>de</strong>, einzelne<br />

Figuren wie ganze Bildmotive. Dem Erfindungsreichtum van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>ns huldigte<br />

auch Erwin Panofsky, einer <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendsten Kunsthistoriker <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts.<br />

Er lobte Rogier als Ent<strong>de</strong>cker und Erfin<strong>de</strong>r <strong>von</strong> Figuren und Bildmotiven.<br />

Ein zentral zwischen Raum- und Außenwän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Apsis stehen<strong>de</strong>s Gemäl<strong>de</strong> läutet<br />

<strong>de</strong>n Hauptbereich ein. Das Porträt mit <strong>de</strong>m „Bildnis eines Mannes“ (Nr. 41) wird <strong>de</strong>r<br />

Werkstatt Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>ns zugewiesen. Nur wenige Meter entfernt, folgt bereits<br />

eines <strong>de</strong>r eindrucksvollsten und schönsten Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r gesamten Ausstellung mit<br />

<strong>de</strong>m Titel „Bildnis einer jungen Frau“ (Nr. 20/ Bild: siehe oben). Das noch heute bezaubern<strong>de</strong><br />

Porträt gilt hingegen als eigenhändiges Werk Rogiers. Mit diesen bei<strong>de</strong>n<br />

Gemäl<strong>de</strong>n kündigt sich bereits eine für das Oeuvre Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>ns typische<br />

Problematik an: die Einordnung seiner Werke als eigenhändig gemalte o<strong>de</strong>r <strong>von</strong> <strong>de</strong>r<br />

Werkstatt angefertigte Bil<strong>de</strong>r. Dazu tritt die Schwierigkeit <strong>de</strong>r Differenzierung seiner<br />

Gemäl<strong>de</strong> gegenüber <strong>de</strong>nen, die allgemein <strong>de</strong>m <strong>„Meister</strong> <strong>von</strong> Flemalle“ zugeordnet<br />

wer<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen wie<strong>de</strong>rum nach <strong>de</strong>m Neuansatz San<strong>de</strong>rs und Kemperdicks auch<br />

die „implantierte“ Kunst Rogiers zu fin<strong>de</strong>n ist. Doch damit noch nicht genug: Auch<br />

spätere Kopien seiner Werke bereiteten sogar ausgewiesenen Fachleuten größte<br />

Schwierigkeiten bei <strong>de</strong>r Verifizierung <strong>de</strong>s jeweiligen Originals. Zwei in <strong>de</strong>r Ausstellung<br />

präsentierte mustergültige Beispiele dieser Grundprobleme seien hier kurz angeführt:<br />

Neben <strong>de</strong>m „Bildnis einer jungen Frau“ sind zwei nahezu i<strong>de</strong>ntische Gemäl<strong>de</strong><br />

mit <strong>de</strong>r Bezeichnung „Bildnis eines feisten Mannes“ (Nr. 16 + 17/ Bild: siehe<br />

oben) ausgestellt. Das Verwun<strong>de</strong>rliche dabei ist die Tatsache, dass das rechte, erst<br />

1957 ent<strong>de</strong>ckte Madri<strong>de</strong>r Bild lange Zeit als Original galt, während das Berliner<br />

Porträt als schwächere Kopie abgetan wur<strong>de</strong>. Die Feststellung <strong>von</strong> Korrekturen <strong>de</strong>r<br />

Unterzeichnungen am Ohr <strong>de</strong>s Mannes auf <strong>de</strong>m Berliner Bildnis musste dann aber<br />

eine Revision dieses Urteils hervorrufen, da das Madri<strong>de</strong>r Bild keine Abweichungen<br />

vorwies und eine umgekehrte Reihenfolge <strong>de</strong>r Entstehung ausgeschlossen ist. Allerdings<br />

en<strong>de</strong>t mit dieser Berichtigung noch keineswegs die Diskussion um das nun als<br />

Original i<strong>de</strong>ntifizierte Berliner Gemäl<strong>de</strong>. Es stellte sich noch die Frage, ob das Bild<br />

ein Werk Rogiers o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s <strong>„Meister</strong>s <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> war. Um dies hier abzukürzen:<br />

Heute geht man mehrheitlich da<strong>von</strong> aus, dass das Bildnis wohl ein frühes Werk Rogiers<br />

ist. (Dazu siehe: Katalog, S. 265-270)<br />

Auch <strong>de</strong>r berühmte, zuvor bereits kurz erwähnte Miraflores-Altar war Gegenstand einer<br />

ähnlichen Diskussion. Lange Zeit galt die New Yorker Ausführung <strong>de</strong>s Altars als<br />

das Original und die Berliner als die Kopie. 1981 jedoch wies <strong>de</strong>r damalige Kustos<br />

<strong>de</strong>r Berliner Gemäl<strong>de</strong>galerie, Dr. Rainald Grosshanns, nach, dass <strong>de</strong>r Berliner Altar<br />

tatsächlich das Original Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>ns ist. So konnte er u.a. <strong>de</strong>utliche Verän<strong>de</strong>rungen<br />

und Umgestaltungen in <strong>de</strong>n Unterzeichnungen vor allem auf <strong>de</strong>r rechten<br />

Tafel <strong>de</strong>s Berliner Triptychons feststellen, während die frappierend ähnlich aussehen<strong>de</strong><br />

rechte Tafel <strong>de</strong>s Metropolitan Museums of Art, die in <strong>de</strong>r Ausstellung als<br />

Einzeltafel gleich neben <strong>de</strong>m vollständigen Berliner Originalaltar zu besichtigen ist<br />

(Nr. 29 + 30), solche typischen Merkmale nicht aufwies. Bestätigung erhielt Grosshanns<br />

durch die <strong>de</strong>ndrochronologische Untersuchung, die für das Berliner Werk gemäß<br />

<strong>de</strong>r Jahresringe eine Entstehungszeit um 1437 vermuten lässt, „während die<br />

zweite Version kaum vor 1490 gemalt wor<strong>de</strong>n sein kann.“ (Katalog, S. 320)<br />

Dendrochronologische Untersuchungen vor allem waren es auch, die bei vielen weiteren<br />

Ungereimtheiten und Unsicherheiten Klarheit verschaffen konnten, so etwa bei<br />

8


<strong>de</strong>r Zuordnung <strong>von</strong> Gemäl<strong>de</strong>n zum Gesamtwerk Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>ns o<strong>de</strong>r bei<br />

<strong>de</strong>r Bestätigung <strong>von</strong> Arbeiten, die vornehmlich <strong>de</strong>r Werkstatt Rogiers zuzuschreiben<br />

sind. Bei mehreren Bil<strong>de</strong>rn konnte man sogar zu<strong>de</strong>m feststellen, dass das Holz einzelner<br />

Gemäl<strong>de</strong>, <strong>von</strong> ein und <strong>de</strong>mselben Baum stammte, obwohl die Bil<strong>de</strong>r sichtbar<br />

nicht <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Hand eines einzigen Malers geschaffen wur<strong>de</strong>n. Da man wohl annehmen<br />

darf, dass das Holz eines Baums nicht an verschie<strong>de</strong>ne Werkstätten geliefert<br />

wur<strong>de</strong>, spricht dieser Umstand <strong>de</strong>utlich für Arbeiten <strong>de</strong>r Werkstatt Rogiers, die<br />

wie<strong>de</strong>rum <strong>von</strong> verschie<strong>de</strong>nen Mitarbeitern gefertigt wur<strong>de</strong>n. Ein in dieser Hinsicht<br />

beson<strong>de</strong>rs gut nachvollziehbares und in <strong>de</strong>r Ausstellung gut überprüfbares Beispiel<br />

sei hier angeführt: Das Holz <strong>de</strong>r Werke „Bildnis <strong>de</strong>r Isabella <strong>von</strong> Portugal“ (Nr. 40)<br />

und <strong>de</strong>r zusammengehörigen Täfelchen „Stillen<strong>de</strong> Madonna“ und „Heilige Katharina“<br />

(Nr. 28) stammt nachweislich vom selben Baum. Die Künstler hingegen, dies ist<br />

relativ <strong>de</strong>utlich erkennbar, sind keinesfalls die gleichen. Sogar zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />

Täfelchen, die als Vor<strong>de</strong>r- und Rückseite <strong>de</strong>s selben Werks dienten, lassen sich <strong>de</strong>rmaßen<br />

<strong>de</strong>utliche Divergenzen im Malstil erkennen, dass man <strong>von</strong> unterschiedlichen<br />

Malern einer Werkstatt ausgehen darf.<br />

Während <strong>de</strong>r Besichtigung <strong>de</strong>s Hauptteils dieser einzigartigen Exposition wird <strong>de</strong>m<br />

Besucher eines sicherlich auffallen: die Wie<strong>de</strong>rkehr bestimmter Bildmotive und Figuren<br />

innerhalb <strong>de</strong>r dargebotenen Meisterwerke. Deutlich wird hier, dass nicht nur spätere<br />

Künstler die <strong>von</strong> Rogier „erfun<strong>de</strong>nen“ Bil<strong>de</strong>lemente als Versatzstücke nutzten,<br />

son<strong>de</strong>rn vor allem auch schon die Mitarbeiter seiner eigenen Werkstatt diese gezielt<br />

einsetzten. Es erscheint dabei durchaus möglich und wahrscheinlich, dass einige<br />

Auftraggeber sogar speziell diese Motive bzw. Bil<strong>de</strong>lemente, vielleicht sogar die<br />

Übernahme ganzer Bildvorlagen einfor<strong>de</strong>rten, zumal es in dieser Zeit grundsätzlich<br />

kein Sakrileg war, Bildmotive und Figuren an<strong>de</strong>rer Maler zu verwen<strong>de</strong>n, war diese<br />

Vorgehensweise in <strong>de</strong>r Epoche doch die einzige Möglichkeit <strong>de</strong>r Reproduktion. <strong>Der</strong><br />

Ausstellungskurator, Dr. Stephan Kemperdick, hat dankenswerter Weise zur Veranschaulichung<br />

dieses Zusammenhangs bei <strong>de</strong>r Konzeption ganz gezielt darauf geachtet,<br />

diejenigen Gemäl<strong>de</strong>, die eben solche Wie<strong>de</strong>rholungen aufweisen, möglichst in direkter<br />

Nachbarschaft zueinan<strong>de</strong>r aufzustellen. Deutliche Ähnlichkeiten bestehen etwa<br />

zwischen <strong>de</strong>r Heiligen Barbara auf <strong>de</strong>m rechten Flügel <strong>de</strong>s Werl-Altars (22) und<br />

<strong>de</strong>r lesen<strong>de</strong>n Maria Magdalena auf <strong>de</strong>m rechts da<strong>von</strong> platzierten Bild (Nr. 32). Noch<br />

<strong>de</strong>utlicher wird die Nutzung gleicher Motive bei <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>r „Heimsuchung<br />

Mariens“ auf <strong>de</strong>m rechten Flügel eines Triptychons (Nr. 26) und <strong>de</strong>m mit <strong>de</strong>r gleichen<br />

Betitelung versehenen Bild daneben (Nr. 27). Auch die Mitteltafel <strong>de</strong>sselben Triptychons<br />

(Nr. 26) und <strong>de</strong>r „Erzengel <strong>de</strong>r Verkündigung“ (Nr. 35, Rückseite) sind nahezu<br />

i<strong>de</strong>ntisch. Die Frontseite <strong>de</strong>s zuletzt genannten Bil<strong>de</strong>s mit <strong>de</strong>m Titel „Kaiser Augustus<br />

und die Tiburtinische Sibylle“ (Nr. 35), ist wie<strong>de</strong>rum nahezu <strong>de</strong>ckungsgleich mit <strong>de</strong>r<br />

linken Tafel <strong>de</strong>s Mid<strong>de</strong>lburger Altars (33). Und die Mitteltafel <strong>de</strong>s großartigen Mid<strong>de</strong>lburger<br />

Altars schließlich stimmt fast haargenau mit <strong>de</strong>m rechter hand da<strong>von</strong> ausgestellten<br />

Gemäl<strong>de</strong> „Geburt Christi mit Stiftern“ (Nr. 34) überein.<br />

3. Kopien <strong>von</strong> Gemäl<strong>de</strong>n Rogier van <strong>de</strong>r Wesens<br />

Zum Abschluss wirft die Son<strong>de</strong>rschau noch einen Blick auf einige Kopien <strong>von</strong> Gemäl<strong>de</strong>n<br />

Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>ns. Aus diesen ragt ein kleines, auf 1460 datiertes Gemäl<strong>de</strong><br />

hervor: „Madonna mit Kind“ (Nr. 46). Das Andachtsbild, <strong>de</strong>ssen Zuordnung in <strong>de</strong>r<br />

kunsthistorischen Forschung<br />

äußerst umstritten ist, besticht<br />

durch eine anrühren<strong>de</strong> Darstellung:<br />

Maria drückt die rechte<br />

Wange <strong>de</strong>s kleinen Christus<br />

liebevoll an ihre linke.<br />

Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n, Mid<strong>de</strong>lburger<br />

Altar (sog. Bla<strong>de</strong>lin-Altar), Eichenholz,<br />

linker Flügel: 93,3 x 41,7<br />

cm (Mitteltafel), 93,5 x 92 cm (rechte<br />

Tafel), 93,5 x 41,2 cm (linke Tafel)<br />

© Staatliche Museen zu Berlin, Gemäl<strong>de</strong>galerie<br />

© Volker H. Schnei<strong>de</strong>r<br />

9


Fazit:<br />

Die Ausstellung „<strong>Der</strong> Meister <strong>von</strong> Flémalle und Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n“ bietet <strong>de</strong>m<br />

Besucher einen unvergesslichen Kunstgenuss. Nie zuvor gab es die Gelegenheit,<br />

eine solch faszinieren<strong>de</strong> Gesamtschau dieser bei<strong>de</strong>n be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Künstlerfiguren<br />

<strong>de</strong>s 15. Jahrhun<strong>de</strong>rts näher in Augenschein zu nehmen und eine solch geballte Anzahl<br />

unersetzlicher Meisterwerke <strong>de</strong>r frühen nie<strong>de</strong>rländischen Malerei zu besichtigen.<br />

Dabei gelingt es <strong>de</strong>r Exposition mit Unterstützung <strong>de</strong>r grandiosen Audioführung, <strong>de</strong>m<br />

Besucher tiefe Einblicke in die wichtigsten Innovationen <strong>de</strong>s neuen Kunststils <strong>de</strong>r<br />

„Ars Nova“ zu geben und ihm gera<strong>de</strong>zu handgreiflich <strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Malerei<br />

vor Augen zu führen. Zugleich vermag es <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Ausstellung vorgestellte<br />

Neuansatz zur I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>s <strong>„Meister</strong>s <strong>von</strong> <strong>Flémalle“</strong> durch eine logische und nachvollziehbare<br />

sowie zum großen Teil auch visuell nachprüfbare Argumentation zu<br />

überzeugen. Das Konzept <strong>de</strong>r alleinig auditiven Information innerhalb <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rausstellung<br />

darf man als gelungen bezeichnen, wenn auch an einigen Stellen übersichtsähnliche<br />

Datenzusammenfassungen <strong>de</strong>r vollen visuellen Konzentration auf die<br />

Bil<strong>de</strong>r sicher nicht gescha<strong>de</strong>t hätten. Hervorgehoben sei hier nochmals die vorzügliche<br />

Audioführung. Lobend erwähnt sei an dieser Stelle aber auch <strong>de</strong>r ausgezeichnete<br />

Katalog.<br />

Man darf die Exposition insgesamt zweifelsohne als Meilenstein für die Erforschung<br />

und Vermittlung spätmittelalterlich-frühneuzeitlicher Kunst bezeichnen und zu <strong>de</strong>n<br />

herausragen<strong>de</strong>n Ausstellungsereignissen <strong>de</strong>r letzten Jahre zählen.<br />

Die Ausstellung kompakt<br />

Titel:<br />

<strong>Der</strong> Meister <strong>von</strong> Flémalle und Rogier van <strong>de</strong>r Wey<strong>de</strong>n<br />

Ort und Dauer: Kulturforum Potsdamer Platz, Gemäl<strong>de</strong>galerie <strong>de</strong>r Staatl. Museen zu Berlin,<br />

Matthäikirchplatz, 10785 Berlin-Tiergarten<br />

20. März bis 21. Juni 2009<br />

Zuvor:<br />

Stä<strong>de</strong>l Museum, Frankfurt am Main<br />

21. November 2008 bis 22. Februar 2009, verlängert bis 1. März 2009 (Resonanz:<br />

ca. 94.000 Besucher)<br />

Veranstalter: Gemäl<strong>de</strong>galerie <strong>de</strong>r Staatl. Museen zu Berlin u. Stä<strong>de</strong>l Museum, Frankfurt/M.<br />

Schirmherrschaft: S. M. Albert II., König <strong>von</strong> Belgien, u. Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt Prof. Dr. Horst Köhler.<br />

Ausstellungstyp: Son<strong>de</strong>rausstellung/ Wechselausstellung<br />

Ausstellungskurator: Dr. Stephan Kemperdick<br />

Vorbereitungszeit: ca. 3,5 Jahre<br />

Exponate:<br />

über 50 Exponate<br />

Leihgeber:<br />

eine große Anzahl <strong>de</strong>r renommiertesten Museen aus aller Welt, darunter, die<br />

National Gallery in London, das J. Paul Getty Museum in Los Angeles, das<br />

Metropolitan Museum of Art in New York, das Phila<strong>de</strong>lphia Museum of Art,<br />

das Museo Nacional <strong>de</strong>l Prado in Madrid, das Musée du Louvre in Paris, die<br />

Staatl. Eremitage in St. Petersburg und das Kunsthistorische Museum in Wien<br />

Ausstellungsfläche: 400 m²<br />

Öffnungszeiten: Di-So: 10-19 Uhr, Do: 10-22 Uhr, montags geschlossen<br />

Eintritt: 8 €, ermäßigt: 4 €, Kombiticket Kulturforum: 12 €, ermäßigt: 6 €<br />

Audioführung: 4 € (<strong>de</strong>utsch und englisch)<br />

Führungen:<br />

Öffentliche Führungen:<br />

Di-Sa: 16 Uhr, So u. Feiertage: 11 u. 16 Uhr: 3 € zzgl. Eintritt<br />

Führungen für Gruppen und Schulklassen (auch fremdsprachig), Informationen<br />

unter: Tel.: 030 266424242 o<strong>de</strong>r unter: service@smb.museum<br />

Infos zu weiteren Führungen, siehe <strong>de</strong>taillierte Liste aller Führungen, unter:<br />

www.smb.museum/smb/kalen<strong>de</strong>r/<strong>de</strong>tails.phplang=<strong>de</strong>&objID=10801&p=2&typeId=10<br />

Publikationen: Katalog: in <strong>de</strong>utscher und englischer Sprache, 403 Seiten, 203 farbige Abbildungen,<br />

Museumsausgabe (Klappenbroschur): 34,90 €, Buchhan<strong>de</strong>lsausgabe<br />

(gebun<strong>de</strong>n mit Schutzumschlag): 49,80 €, Hatje Cantz Verlag, Ostfil<strong>de</strong>rn<br />

Booklet: mit <strong>de</strong>utschem u. englischem Text, 22 Seiten, keine Abb.: kostenlos<br />

Allgemeine Infos: Tel.: 030 2662951<br />

Internet/ eMail: www.smb.museum / service@smb.museum<br />

(© Dr. Martin Große Burlage, info@historischeausstellungen.<strong>de</strong>, Tel.: 02572 959496)<br />

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