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festivalzeitung nr. 07 / 22.06.2007 - 17. Internationale Schillertage

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✶8 MORALISCHE ANSTALT FESTIVALZEITUNG 22.06.20<strong>07</strong> BESTIE MENSCH 14. INTERNATIONALE SCHILLERTAGE / NATIONALTHEATER MANNHEIM<br />

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WALLENSTEINS SEX<br />

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Die Podiumsdiskussionen „Schiller<br />

on air“, die die <strong>Schillertage</strong><br />

mit Themen rund um das Motto<br />

„Bestie Mensch“ begleiten, finden<br />

manchmal auch einen humoristischen<br />

Zugang zu Schiller. Bei der Diskussion am<br />

Dienstag etwa, „Gottes Ebenbild Das<br />

unmenschlich Menschliche des Bösen“,<br />

war es überaus interessant anzusehen,<br />

dass Wilhelm Graf wie ein Löwe gegen<br />

die Dominanz seines Gesprächspartners<br />

Rüdiger Safranski kämpfte. Aus den Krallen<br />

des aufgrund seiner Popularität wohl<br />

jedes Podium dominierenden Safranski<br />

konnte der evangelische Theologe sich<br />

nur befreien, wenn er auf sein ureigenes<br />

Thema zu sprechen kam und dabei auch<br />

vor schnellen Vorurteilen gerade im Hinblick<br />

auf „den“ bösen Islam warnte.<br />

Es ging um die Grenze zwischen Tier<br />

und Mensch. Den Platz an der Sonne besetzte<br />

Rüdiger Safranski, der bei tropischen<br />

Klimaverhältnissen gleich neben<br />

der Fensterfront im oberen Foyers saß<br />

und sichtlich Mühe hatte, die Rolle des<br />

souverän Unterkühlten beizubehalten.<br />

Platz genommen auf dem Podium hatte<br />

auch die bekannte Germanistin Hannelore<br />

Schlaffer. Sie trug mit dazu bei, dass<br />

man sich immer mehr wunderte, warum<br />

die Diskussionsrunde bei den vielen sich<br />

anbietenden Punkten kaum direkte Bezüge<br />

zu Schiller herstellen konnte.<br />

Einen reizvollen Kontrast bot das Podium<br />

am Mittwoch, das sich in bester Dr.<br />

Sommer-Tradition dem Thema „Ein Platz<br />

an der Wonne – Körper, Lust und Leidenschaft“<br />

widmete. Hier war es insbesondere<br />

der „Lokalmatador“ von der Uni<br />

Mannheim, Jochen Hörisch, der das Publikum<br />

hörig zu machen versuchte. In<br />

Zeiten, da Sexualität in allen Medienformaten<br />

ständig begegnet und Menschen<br />

sich über ihre körperliche Attraktivität<br />

definieren, wollte Hörisch die Sexualität<br />

als moderne Form der Selbstinszenierung<br />

verstanden wissen.<br />

Er sprach ein interessantes Phänomen<br />

an, das Peter Wippermann, Trendforscher<br />

und Gründer des Trendbüros Hamburg,<br />

statistisch untermauern konnte: Da die<br />

Pornografisierung der Gesellschaft die<br />

Sexualität abwerte, ließe sich die Gesellschaft<br />

als „oversext und underfuckt“<br />

bezeichnen. Sexuelle Triebe würden anderweitig<br />

ausgelebt, etwa in Extremsportarten.<br />

Mit seiner Frage „Wie stand<br />

es denn mit Wallensteins Sex“ – schließlich<br />

habe dieser möglicherweise in der<br />

Flucht in Politik und Karriere ebenfalls Sexualtriebe<br />

kompensiert – hatte Hörisch<br />

die Lacher auf seiner Seite.<br />

Während die Psychoanalytikerin Eva<br />

Jaeggi eine gedankliche Brücke zu Freud<br />

herstellte, suchte Wippermann nach einer<br />

bewusst provokanten Verbindung zwischen<br />

dem Schönen und dem Bösen. Das<br />

allerdings wurde leider nicht weiter verfolgt:<br />

Laut Wippermann agiert auch die<br />

Medienikone Heidi Klum „wie eine KZ-<br />

Aufseherin, wenn sie Models öffentlich<br />

nach ihrem Äußeren selektiert.“ Es gab keinen<br />

Aufruhr. Warum auch: „Auch an die<br />

Hölle kann man sich gewöhnen“, wusste<br />

schon der frühe Schillerverehrer Grabbe.<br />

✶ MANUEL VON ZELISCH<br />

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SCHILLER UND ICH<br />

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Mit welchem Schiller-Text können<br />

Sie tatsächlich was anfangen<br />

Mit der „Ode an die Freude“. Mit ein<br />

paar Abänderungen ein wunderbarer<br />

Text für eine selbstgebastelte Drei- Akkorde-Gitarrenbegleitung.<br />

den G8-Gipfel sprechen und fragen, ob<br />

er nicht enttäuscht ist, dass die Mächtigen<br />

der Welt 200 Jahre nach ihm immer<br />

noch weit von seinen humanistischen<br />

Idealen entfernt sind und alle zwar seine<br />

Werke kennen, doch scheinbar niemand<br />

daraus gelernt hat. Ansonsten würden<br />

mich besonders Schillers Gefühle und<br />

Gedanken auf seiner Flucht interessieren.<br />

Mit welchem Schiller-Text können<br />

Sie tatsächlich was anfangen<br />

Zu Schulzeiten hat mich Don Carlos besonders<br />

bewegt. Der Freiheitsgedanke<br />

hat es in sich und zumindest damals<br />

konnte ich mich gut in den jungen Infanten<br />

hineinversetzen.<br />

Wann hat Schiller Sie zum<br />

ersten Mal berührt<br />

In der Schule. Wir lasen „Wilhelm<br />

Tell“. Ich ärgerte mich über den Tyrannenmordmonolog<br />

und dachte, einquetscht<br />

an einem Sommernachmittag<br />

zwischen Stuhl und Tafel: Jetzt bring<br />

den Kerl doch endlich um.<br />

Über was würden Sie mit Schiller<br />

sprechen wollen<br />

Über Goethe. Den alten J.W. kann vermutlich<br />

niemand anders besser vom<br />

Sockel stürzen. Vielleicht noch über die<br />

literarischen Gestaltungsmöglichkeiten<br />

im Internet.<br />

Was nervt Sie an Schiller<br />

Das ständige Streben nach innerlicher<br />

und äußerlicher Perfektion, das ständige<br />

Der-Freiheit-hinterherrennen, kurz: der<br />

zu leicht perversen Höhen getriebene<br />

Idealismus. Da kann man auch mal Fünfe<br />

gerade sein lassen.<br />

Wann werden Sie zur Bestie<br />

Menschen, die mich kennen würden<br />

sagen: Nie. Ich würde sagen: Wenn ich<br />

einen Tag ohne Kaffee und Zigaretten aushalten<br />

müsste.<br />

Jan Fischer ist Seminarist und<br />

Mitarbeiter der Festivalzeitung<br />

Wann hat Schiller Sie zum<br />

ersten Mal berührt<br />

Schmerzlich berührt hat Schiller mich, als<br />

ich als kleiner Junge beim Fangenspielen<br />

auf dem Oggersheimer Schillerplatz gegen<br />

seine Büste gelaufen bin. Ab und an hat<br />

mir meine Großmutter auch ein paar seiner<br />

Gedichte vorgelesen, doch die erste<br />

bewusste Erinnerung habe ich erst an<br />

„Die Bürgschaft“, die wir relativ zu Beginn<br />

meiner gymnasialen Laufbahn besprachen.<br />

Über was wurden Sie<br />

mit Schiller sprechen wollen<br />

Aktuell wurde ich mit Schiller gerne über<br />

Was nervt Sie an Schiller<br />

Wenn ich daran denke, wie viel Schiller<br />

noch hätte schreiben konnen, stört<br />

mich sein früher Tod am meisten.<br />

Wann werden Sie zur Bestie<br />

Zur Bestie werde ich, wenn ich mich an<br />

meine Schulzeit erinnere. Einmal stand<br />

unter einem Aufsatz zu „Don Carlos“,<br />

ich würde Schiller Gedankengänge<br />

unterstellen, die er so nicht hatte.<br />

Meine Lehrerin musste Schiller wohl<br />

persönlich gekannt haben.<br />

Moritz Hummrich ist Seminarist<br />

und Mitarbeiter der Festivalzeitung

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