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Ein fröhliches Chanukka!

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Juden Heute<br />

Gedanken zu <strong>Chanukka</strong><br />

Historie und heutige Bedeutung<br />

№ 6 Dezember 2014 JÜDISCHE RUNDSCHAU<br />

Von Wolfgang Seibert<br />

Jedes Jahr, wenn die Tage kürzer und<br />

dunkler werden, feiern Juden in aller Welt<br />

<strong>Chanukka</strong>, das Lichterfest. <strong>Ein</strong> wunderschönes<br />

Fest, vor allem für Kinder. Kerzen<br />

leuchten, lustige Spiele werden gespielt, es<br />

gibt leckeres Essen, es wird viel gesungen<br />

und die Geschichte von <strong>Chanukka</strong> wird<br />

erzählt. Die Geschichte des Wunders,<br />

dass der siebenarmige Leuchter im Tempel<br />

zu Jerusalem, gerade von den Makkabäern<br />

aus griechischer Hand befreit, acht<br />

Tage lang brannte, obwohl er nur mit Öl<br />

für einen Tag gefüllt war. Die Geschichte<br />

eines Wunders. Nur eines Wunders? Oder<br />

steckt nicht doch viel mehr hinter dieser<br />

Geschichte?<br />

Geschichtlicher Hintergrund<br />

Die Diadochen in Griechenland hatten<br />

einen Zweig im heutigen Syrien, die Seleukiden.<br />

Diese hatten um das Jahr 160<br />

v.d.Z. ganz Judäa besetzt. Die jüdische<br />

Bevölkerung in Judäa war zu dieser Zeit<br />

heillos zerstritten. <strong>Ein</strong> großer Teil der<br />

Hohepriester kollaborierte mit den Seleukiden.<br />

Sie waren völlig begeistert von den<br />

Ideen des Hellenismus und hatten sogar<br />

die Vorstellung, Jerusalem in so eine Art<br />

Polis zu verwandeln und hellenistische<br />

Neuerungen herbeizuführen. Bei ihren<br />

Bestrebungen merkten sie aber nicht,<br />

oder wollten es nicht merken, wie weit sie<br />

sich mit ihren Ideen vom jüdischen Volk<br />

entfernten.<br />

Die Seleukiden wollten ihre hellenistischen<br />

Ideen mit aller Gewalt durchsetzen.<br />

Ihr König Antiochos IV. Epiphanes<br />

versuchte dieses Ziel mit unglaublicher<br />

Gewalt und einer brutalen Tyrannei<br />

durchzusetzen. Er glaubte, er könne bei<br />

der Erreichung seiner Ziele sich auf die<br />

jüdischen Kollaborateure stützen und<br />

verlassen. Wer nach jüdischen Gesetzen<br />

lebte, wer seine Söhne z.B. beschneiden<br />

ließ, wurde unbarmherzig mit dem<br />

Tode bestraft. Bewusste Juden wurden<br />

verfolgt, gefoltert und ermordet. Antiochos<br />

bezeichnete die Pro-Seleukiden im<br />

jüdischen Volk als die »Reformer«. Die<br />

Unterstützer der Seleukiden waren aber<br />

nicht die Mehrheit im unterdrückten jüdischen<br />

Volk. Als Antiochos Jerusalem<br />

besetzen ließ, erreichte der schon lange<br />

schwelende Religionskampf seinen Höhepunkt.<br />

Er war zu weit gegangen. Am<br />

25. Kislew entweihten die Griechen den<br />

Tempel, zerschlugen den siebenarmigen<br />

Leuchter, löschten das ewige Licht und<br />

machten das jüdische Heiligtum zu einem<br />

Zeustempel. <strong>Ein</strong>ige Legenden sagen sogar,<br />

die Griechen hätten den Tempel zum<br />

Teil als Schweinestall benutzt. Belegt ist,<br />

dass die jüdische Bevölkerung durch die<br />

Griechen gezwungen werden sollte für Juden<br />

unreines Fleisch zu essen, das aus den<br />

Opfern für den Gott Zeus stammte. Diese<br />

Ereignisse um den Tempel in Jerusalem<br />

führten zum Beginn des bewaffneten jüdischen<br />

Widerstands.<br />

Jahre des Martyriums, der Ergebung<br />

und der Vernichtung lagen hinter dem<br />

Volk. Die Situation der Juden wurde unerträglich<br />

– da erhob sich das Volk, unter<br />

Führung der Familie der Hasmonäer,<br />

<strong>Ein</strong> <strong>Chanukka</strong>-Leuchter<br />

Foto: Thinkstock<br />

auch Makkabäer genannt. Es war kein<br />

Aufstand der in den judäischen Städten<br />

entstand, es war ein Aufstand der Dörfler<br />

und der Bauern. Er ging aus von Modiin,<br />

einem südwestlich von Jerusalem in<br />

der Ebene liegenden Dorf. <strong>Ein</strong> alter, aus<br />

einem Priestergeschlecht stammender<br />

Mann, Mattitjahu und seine fünf Söhne<br />

organisierten die Erhebung. Sie führten<br />

den anti-kolonialen Aufstand, der zweifellos<br />

auch ein Bürgerkrieg war. Nach den<br />

beiden Makkabäer-Büchern dauerte der<br />

Kampf um die politische Unabhängigkeit<br />

und um die Freiheit wieder jüdisch, nach<br />

den Gesetzen Mose leben zu können, 25<br />

Jahre. Im Jahre 164 v.d.Z. wurde Jerusalem<br />

zurückerobert und der Tempel befreit.<br />

Jetzt war, zumindest in den bis dahin<br />

befreiten Gebieten, jüdisches Leben wieder<br />

möglich.<br />

Die Legende vom Wunder<br />

Nachdem der Tempel befreit und gereinigt<br />

und die Zeusstatuen zerstört waren,<br />

kam der Moment, dass das ewige Licht<br />

wieder angezündet werden sollte. Aber es<br />

fand sich nur geweihtes Öl, das für einen<br />

Tag ausgereicht hätte. Acht Tage würde<br />

es dauern, neues geweihtes Öl herzustellen.<br />

Trotzdem entzündeten die Befreier<br />

den Leuchter, der dann acht Tage lang<br />

brannte, bis neues, geweihtes Öl hergestellt<br />

war. (Talmud, Bawli, Schabbat 21b)<br />

In dieser Überlieferung wird der Befreiungskampf<br />

und der historische Hintergrund,<br />

zugunsten eines Wunders, verdrängt.<br />

Gedacht wird an <strong>Chanukka</strong> nicht<br />

des Sieges der Wenigen über die Vielen,<br />

man gedachte nicht der ungewöhnlichen<br />

menschlichen Leistung. Die Amoräer,<br />

die »Schriftgelehrten« jener Zeit wollten<br />

dem politischen Sieg der Makkabäer keinerlei<br />

religiöse Bedeutung beimessen. Sie<br />

übernahmen die Legende vom Leuchter<br />

und stellten dieses Wunder in den Mittelpunkt.<br />

Nicht die nationale Befreiung, die ja<br />

auch jüdisches Leben wieder ermöglichte,<br />

galt als ein Wunder, als die <strong>Ein</strong>mischung<br />

Gottes in das historische Geschehen,<br />

sondern die Wiedereinführung<br />

des Tempeldienstes. So wurde dieses Fest<br />

schon bald zu einem Fest der Diaspora.<br />

Das Ölwunder als Symbol der Reinheit,<br />

als Licht in der Finsternis und das Wunder<br />

als Zeichen göttlicher Liebe wurde<br />

Trost in späteren Zeiten der Not und ließen<br />

es möglich erscheinen auf Erlösung<br />

zu hoffen. So, als könnte die Geschichte<br />

der Befreiung von der Fremdherrschaft<br />

nicht möglicherweise noch stärker eine<br />

Erlösungshoffnung symbolisieren. Und<br />

beide Erzählungen nebeneinander, welche<br />

Hoffnung könnten sie geben.<br />

<strong>Chanukka</strong>bräuche<br />

Sobald ein Kind in der Lage ist die Brachot,<br />

die Segenssprüche, für <strong>Chanukka</strong><br />

zu sagen, darf es die Lichter entzünden.<br />

Zum Fest gehören viele Lieder, das bekannteste<br />

ist »Ma`os zur«, Fels und Hort<br />

meiner Erlösung. Das Lied wird nach der<br />

Entzündung der Kerzen gesungen. Der<br />

Verfasser des Liedes hatte den Namen<br />

Mordechai, dies ergibt sich aus den Angangsbuchstaben<br />

der fünf Strophen<br />

<strong>Ein</strong> weiterer Brauch ist das Verzehren<br />

von in Öl gebackenen Gerichten, süß oder<br />

herzhaft. Die Kinder bekommen »<strong>Chanukka</strong>geld«<br />

und spielen mit einem Kreisel,<br />

Dreidel genannt. Alle sind ausgelassen<br />

und fröhlich.<br />

Die Bräuche zu <strong>Chanukka</strong> unterscheiden<br />

sich oft von Gemeinde zu Gemeinde.<br />

In Israel veranstaltet man zu <strong>Chanukka</strong><br />

jedes Jahr einen Fackellauf von Modiin<br />

nach Jerusalem. Mit der Erzählung von<br />

den Makkabäern erinnert man auch an<br />

die ersten Pioniere im damaligen Palästina,<br />

an die Kämpfer in den Kriegen um<br />

Unabhängigkeit und zur Verteidigung<br />

des Landes Israel. <strong>Chanukka</strong> symbolisiert<br />

hier die Beziehung zum Land Israel. Das<br />

Wunder des Öls weicht hinter die Heldentaten<br />

der Pioniere zurück.<br />

Was kann <strong>Chanukka</strong> heute<br />

bedeuten<br />

Der Befreiungskampf der Makkabäer<br />

zeigt in beeindruckender Weise, was man<br />

erreichen kann, wenn man sich auf sich<br />

selbst besinnt. Welche Kraft die Tradition,<br />

die Befolgung der Gesetze die Mose<br />

von Gott empfing, geben kann. Sich auf<br />

die eigenen Werte zu besinnen, bedeutet<br />

stolz und aufrecht leben zu können.<br />

Vor kurzer Zeit erlebten wir die Debatte<br />

um ein mögliches Verbot der BritMila,<br />

Typische »Dreidel« auf dem Machne Yehuda<br />

Mark in Jerusalem<br />

Foto: Adiel lo via Wikimedia Commons<br />

der Beschneidung der männlichen Kinder.<br />

<strong>Ein</strong> Angriff auf eine Grundlage jüdischen<br />

Lebens und jüdischen Glaubens.<br />

Viele Juden verglichen diesen Angriff mit<br />

den Angriffen der Seleukiden auf das jüdische<br />

Leben. Gut, wir waren nicht mit<br />

dem Tod bedroht, wie in den Zeiten der<br />

Makkabäer, aber es war zweifellos ein<br />

Sufganiot zu <strong>Chanukka</strong> auf dem Machne<br />

Yehuda Markt in Jerusalem<br />

Foto: Yoninah via Wikimedia Commons<br />

Angriff auf eine Grundlage des jüdischen<br />

Lebens. Selbst jüdische Atheisten fühlten<br />

sich durch diese Debatte angegriffen und<br />

diskriminiert. Absolut unerträglich und<br />

zutiefst antisemitisch war dann noch der<br />

Vergleich der Beschneidung von männlichen<br />

Kindern mit der Verstümmelung<br />

von Mädchen. In diesen Tagen damals<br />

haben wir uns auf unsere Werte besonnen,<br />

auf uns selbst. Wir sind dagegen aufgestanden<br />

und wir haben gesiegt. Sind wir<br />

nicht vielleicht alle ein wenig Makkabäer?<br />

In diesem Sommer erlebten wir den<br />

Ausbruch des offenen Antisemitismus<br />

auf unseren Straßen, in den Zeitungen<br />

und im Fernsehen. Viele Menschen wagten<br />

es ihren Antisemitismus, den sie in<br />

ihren Köpfen hatten, nun öffentlich auszusprechen.<br />

Juden auf der Strasse wurden<br />

körperlich angegriffen, Synagogen<br />

und Friedhöfe wurden beschmiert und<br />

es wurde versucht Anschläge auf jüdische<br />

<strong>Ein</strong>richtungen zu verüben. Der Aufschrei<br />

der deutschen Öffentlichkeit blieb aus.<br />

Juden wurden als Schuldige und Kriegsverbrecher<br />

im Gaza-Konflikt bezeichnet.<br />

Und auch hier mussten wir uns wieder auf<br />

eigene Werte, auf uns selbst, besinnen um<br />

zu zeigen, dass Juden nicht wehrlos sind<br />

und eine eigene kraftvolle Stimme haben.<br />

Juden aller Richtungen, orthodox, konservativ,<br />

liberal oder Reform, standen<br />

zusammen und bekämpften den Antisemitismus.<br />

Angesichts der Bedrohungen<br />

wurde alles scheinbar Trennende, alle<br />

Animositäten für eine Weile vergessen.<br />

Wir standen alle miteinander gegen die<br />

Bedrohung auf der Straße, in den Gemeinden<br />

und bei vielen Veranstaltungen.<br />

Und genau dies ist für mich die Bedeutung<br />

von <strong>Chanukka</strong> heute: Wenn wir uns<br />

auf unsere Werte besinnen, wenn wir erkennen,<br />

dass wir Juden sind, alle gemeinsam,<br />

dann haben wir die Kraft wieder für<br />

unsere Freiheit, unser Recht als Juden zu<br />

leben, aufzustehen und zu siegen.<br />

Wie heißt es doch in einem Gebet zu<br />

<strong>Chanukka</strong>:<br />

»Während die <strong>Chanukka</strong>-Lichter ihren<br />

Schein in unseren Häusern verbreiten,<br />

mögen sie in uns selbst die Flamme der<br />

Treue entzünden. Mögen sie uns helfen,<br />

uns tapfer für Gerechtigkeit und Wahrheit<br />

einzusetzen, und mögen sie uns hinführen<br />

zu dir, dem immerwährenden Licht.«<br />

Der Verfasser ist Vorsitzender der Jüdischen<br />

Gemeinde Pinneberg

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