Das Massaker von Bredinken am 6. Mai 1863 - Polnisches Ermland
Das Massaker von Bredinken am 6. Mai 1863 - Polnisches Ermland
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Polska Warmia<br />
<strong>Polnisches</strong> <strong>Ermland</strong><br />
<strong>Das</strong> <strong>Massaker</strong> <strong>von</strong> <strong>Bredinken</strong> <strong>am</strong> <strong>6.</strong> <strong>Mai</strong> <strong>1863</strong><br />
Am <strong>6.</strong> 5. <strong>1863</strong> starben in der Ortschaft <strong>Bredinken</strong> unter den Schüssen und<br />
Bajonetthieben preußischer Soldaten 15 Menschen. <strong>Das</strong> Ereignis beleuchtet wie in<br />
einer Momentaufnahme die d<strong>am</strong>aligen sozialen, wirtschaftlichen und politischen<br />
Verhältnisse im Polnischen <strong>Ermland</strong> – und die Starrsinnigkeit seiner Bewohner.<br />
<strong>Bredinken</strong> ist eines der jüngeren Dörfer des Polnischen <strong>Ermland</strong>es, welches erst im<br />
1<strong>6.</strong> Jahrhundert im Zuge der masowischen Besiedlung gegründet wurde. In einer im<br />
Januar 1569 ausgestellten Gründungsurkunde verlieh es der ermländische Bischof<br />
Stanilaus Hosius unter dem N<strong>am</strong>en Neudorf zus<strong>am</strong>men mit dem Nachbarort<br />
Stenzelsdorf (poln. Stanislewo, heute Stanclewo, beide Bezeichnungen sollten an<br />
den Vorn<strong>am</strong>en des Bischofs erinnern) an einen Seraphim Saremba als Lokator<br />
(möglicherweise ein masowischer Kleinadeliger, wofür es aber keine direkten<br />
Hinweise gibt). Die ursprüngliche <strong>am</strong>tliche Bezeichnung hat sich nicht gehalten,<br />
sondern wurde bald durch den bereits 1397 urkundlich erwähnten altpreußischen<br />
N<strong>am</strong>en eines nahen Sees - Bredyn - ersetzt. Er bedeutet so viel wie „waten" und<br />
lässt darauf schließen, dass dieser heute vollständig zu Wiesen verlandete See<br />
schon d<strong>am</strong>als nur noch seicht war.<br />
Die neue Ansiedlung entwickelte sich viel versprechend, zählte bereits 1587 dreißig<br />
zinspflichtige Gehöfte, besaß ab 1599 einen Dorfkrug und ab 1605 eine Mühle. Im<br />
17. Jahrhundert ging die Bevölkerungszahl infolge der Kriegsereignisse auf 10<br />
Bauernwirtschaften zurück (1656). Im Laufe der folgenden 100 Jahre überließen die<br />
ermländischen Bischöfe das Dorf verschiedenen verdienten Adeligen auf Zeit -<br />
überliefert sind die N<strong>am</strong>en Bogdanski, Borowski, Sawurski und Sawazki. Nach der<br />
Ersten Polnischen Teilung unterstand es dann als königliche Ortschaft unmittelbar<br />
der neuen Landesherrschaft.<br />
<strong>Bredinken</strong> war eines der ersten polnischen Dörfer südlich der polnisch-deutschen<br />
Sprachgrenze. Im Jahre <strong>1863</strong>, erst zu Beginn der allmählich einsetzenden<br />
Germanisierungsprozesse, war die Umgangssprache noch ausschließlich polnisch<br />
und Deutschkenntnisse kaum verbreitet. Die Einwohnerzahl betrug nicht ganz 800<br />
Personen und bestand etwa zur Hälfte aus selbständigen Bauern und zur Hälfte aus<br />
Gesinde, Eigenkätnern (Kleinstlandbesitzern) und Instleuten (Tagelöhnern). Der<br />
Analphabetismus war hoch und nur etwa ein Viertel der Bevölkerung konnte Lesen<br />
und Schreiben, obwohl schon seit mindestes 1817 eine Dorfschule existierte.<br />
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte der preußische Staat durch verschiedene<br />
Maßnahmen die landwirtschaftliche Produktivität zu verbessern und d<strong>am</strong>it den<br />
Lebensstandard der Bevölkerung zu heben. Ein wichtiges Werkzeug zur Einführung<br />
rationellerer Bewirtschaftungsformen war die sog. Separation, d. h. die Überführung<br />
gemeinschaftlich genutzten Landes in Privateigentum. In diesem Zus<strong>am</strong>menhang<br />
erhielt der Müller <strong>von</strong> <strong>Bredinken</strong> <strong>am</strong> <strong>6.</strong> 2. 1862 die Genehmigung, den ihm als<br />
Privatbesitz zugesprochenen und mitten im Dorf gelegenen Mühlenteich zu<br />
entwässern und als Wiese zu nutzen. Als Auflage musste er einige Wasserbassins<br />
und Brunnen anlegen, da der Teich für die Wasserversorgung des Dorfes eine<br />
wichtige Rolle spielte. Die Dorfgemeinschaft betrachtete den Teich jedoch nach wie<br />
vor als ihr Eigentum und legte Rechtsmittel gegen das Vorhaben ein, darunter eine<br />
unmittelbar an den König Wilhelm I. (den späteren Deutschen Kaiser) gerichtete<br />
<strong>Das</strong> <strong>Massaker</strong> <strong>von</strong> <strong>Bredinken</strong> <strong>am</strong> <strong>6.</strong> <strong>Mai</strong> <strong>1863</strong> / Seite 1 <strong>von</strong> 3
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<strong>Polnisches</strong> <strong>Ermland</strong><br />
Eingabe. Nachdem diese erfolglos bieben, entschloss man sich, die Realisierung des<br />
Projektes durch Störung der Entwässerungsarbeiten zu verhindern und vertrieb im<br />
April <strong>1863</strong> die im Dorf erscheinenden Arbeiter und Behördenvertreter. Nachdem alle<br />
Versuche, die Bevölkerung zum Nachgeben zu bewegen erfolglos blieben - diese<br />
hatte sogar die vom Müller auflagegemäß ausgehobenen Brunnen wieder<br />
zugeschüttet -, forderte der zuständige Landrat <strong>am</strong> <strong>6.</strong> 5. <strong>1863</strong> militärische Hilfe an.<br />
Es erschienen 25 Soldaten, welche die Aufgabe hatten, die an der geplanten<br />
Durchstichstelle auf dem Teichd<strong>am</strong>m vers<strong>am</strong>melte Menschenmenge<br />
auseinanderzutreiben. Die Ans<strong>am</strong>mlung bestand aus mehreren hundert Personen,<br />
darunter vielen Frauen und Jugendlichen - mithin war praktisch das ganze Dorf<br />
vers<strong>am</strong>melt. Im entstehenden Handgemenge löste sich ein Schuss, worauf die<br />
Soldaten das Feuer eröffneten und zehn Männer und vier Frauen, darunter eine<br />
Schwangere, erschossen oder mit Bajonetten erstachen.<br />
Der Vorfall erregte großes Aufsehen, ging durch führende Tageszeitungen in ganz<br />
Deutschland und k<strong>am</strong> sogar vor den König, welcher den für den Militäreinsatz<br />
verantwortlichen Landrat kritisierte und das Bredinker Ereignis mit den Unruhen vom<br />
18. März 1848 in Berlin verglich, welche durch aus Missverständnis abgegebene<br />
Schüsse auf friedliche Demonstranten ausgelöst worden waren. Aus innenpolitischen<br />
Gründen (Konflikt mit dem preußischen Abgeordnetenhaus) versuchte die Regierung<br />
jedoch erfolgreich den Fall herunterzuspielen und in Vergessenheit geraten zu<br />
lassen. Um weitere Unruhen zu verhindern wurden die Leichen obduziert und durften<br />
nur in privatem Kreise beigesetzt werden, eine entsprechende Anfrage im<br />
Abgeordnetenhaus nicht beantwortet und der Landrat trotz der königlichen Kritik<br />
nicht zur Rechenschaft gezogen. Andererseits wurden der Dorfgemeinschaft weder<br />
die Kosten für den Militäreinsatz noch für die ärztliche Versorgung der Verwundeten<br />
berechnet, und auch niemand wegen Aufruhrs angeklagt - lediglich wegen der<br />
Vertreibung der Arbeiter im April standen 10 Personen vor Gericht. Offensichtlich<br />
hatten die Behörden bei allem ein schlechtes Gewissen, insbesondere da keine<br />
politischen Hintergründe für das Ereignis auszumachen waren (vor allem hatte es<br />
nichts zu tun mit dem sich gleichzeitig im benachbarten russischen Teilungsgebiet<br />
abspielenden sog. Januaraufstand).<br />
Die Entwässerungsarbeiten gingen danach zügig voran, und das ehemalige<br />
Teichgelände besteht heute aus verwilderten Wiesen und Kleingärten. Noch im<br />
gleichen Jahre <strong>1863</strong> wurde an der Stelle des <strong>Massaker</strong>s ein Kreuz und im 1884 <strong>von</strong><br />
dem Bauern Johann Skupski eine Kapelle errichtet (Titelbild), in der noch lange Zeit<br />
regelmäßig nach Ostern ein Gedenkgottesdienst stattfand.<br />
In den folgenden Jahren wuchs die Bevölkerung <strong>Bredinken</strong>s allmählich weiter an bis<br />
etwas über 1000 Personen um die Jahrhundertwende, bei der sie dann stagnierte.<br />
Infolge des zweiten Weltkrieges, den Ausreisewellen in den achtziger Jahren des 20.<br />
Jahrhunderts und dem allgemeinen Verfall im Kommunismus ging die Einwohnerzahl<br />
dann auf den gegenwärtigen (31. 12. 2005) Stand <strong>von</strong> 450 Personen zurück.<br />
Liste der Toten <strong>von</strong> <strong>Bredinken</strong> nach dem Totenbuch der katholischen<br />
Kirchengemeinde Bischofsburg vom 2<strong>6.</strong> 5. <strong>1863</strong> (mit Angabe der Hinterbliebenen)<br />
Ignaz Korioth, Bauer, 46 Jahre (Frau und 4 Kinder)<br />
Valentin Klomfaß, Altsitzer, 66 Jahre (Frau und 2 Kinder)<br />
<strong>Das</strong> <strong>Massaker</strong> <strong>von</strong> <strong>Bredinken</strong> <strong>am</strong> <strong>6.</strong> <strong>Mai</strong> <strong>1863</strong> / Seite 2 <strong>von</strong> 3
Rosalia Furmanski, 23 Jahre (Mutter)<br />
Anna Formanski, Bauersfrau, 48 Jahre (Mann und 2 Kinder)<br />
Anna Pliszka, 19 Jahre (Eltern)<br />
Elisabeth Skupski, Bauersfrau, 28 Jahre (Mann und 2 Kinder)<br />
Michael Hahn, Eigenkätner, 34 Jahre (Frau und 2 Kinder)<br />
Anton Koenigsmann, Eigenkätner, 28 Jahre (Frau und 1 Kind)<br />
Friedrich Schaefer, Eigenkätner, 50 Jahre (Frau und 2 Kinder)<br />
Joseph Moeck, Instmann, 30 Jahre (Frau und 1 Kind)<br />
Johann Stolla, Eigenkätner, 45 Jahre (Frau und 5 Kinder)<br />
Michale Lompa, Bauer aus Stanislewo, 44 Jahre (Frau und 3 Kinder)<br />
Valentin Skupski, Eigenkätner, 45 Jahre (Frau und 2 Kinder)<br />
Anton Biendara, Eigenkätner, 47 Jahre (Frau und 3 Kinder)<br />
Polska Warmia<br />
<strong>Polnisches</strong> <strong>Ermland</strong><br />
Die Informationen zu diesem Abschnitt wurden entnommen aus dem Aufsatz "Der Aufstand in <strong>Bredinken</strong> <strong>am</strong> <strong>6.</strong> <strong>Mai</strong> <strong>1863</strong>" <strong>von</strong><br />
Werner Thimm in der Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde <strong>Ermland</strong>s 42, 1983<br />
<strong>Das</strong> <strong>Massaker</strong> <strong>von</strong> <strong>Bredinken</strong> <strong>am</strong> <strong>6.</strong> <strong>Mai</strong> <strong>1863</strong> / Seite 3 <strong>von</strong> 3