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Wesen und Struktur der Globalisierung. Eine ... - Peter Gerdsen

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Begriffssystem, das offensichtlich willkürlich konstruiert wurde. So spielt auch bei dem gegenwärtigen<br />

<strong>Globalisierung</strong>sgeschehen das willkürliche Setzen von Begriffen eine wichtige Rolle. Solche Begriffe<br />

sind vor allem ›Menschenrechte‹, ›Demokratie‹, ›globaler Freihandel‹. Bei <strong>der</strong> Durchsetzung <strong>der</strong><br />

Begriffe haben die Medien eine wichtige Aufgabe.<br />

In diesem Zusammenhang ist eine Episode in Salman Rushdies Roman »Die satanischen Verse« 5 interessant.<br />

Darin wird geschil<strong>der</strong>t, wie eine <strong>der</strong> Hauptfiguren, Saladin, in einem Internierungslager für<br />

illegale Einwan<strong>der</strong>er landet. Dort stellt er fest, daß die an<strong>der</strong>en Häftlinge in Tiere verwandelt wurden:<br />

in Wasserbüffel, Schlangen <strong>und</strong> Greife; er selbst wird zum Ziegenbock. Wie sie das machen, fragt<br />

Saladin einen Mitgefangenen. ›Sie beschreiben uns‹, antwortet <strong>der</strong>, ›das ist alles. Sie haben die Macht<br />

<strong>der</strong> Beschreibung, <strong>und</strong> wir fügen uns den Bil<strong>der</strong>n, die sie konstruieren.‹ Hier geht um Herrschaft<br />

durch Setzen von Begriffen.<br />

Quellen <strong>der</strong> Entgrenzung<br />

Die bereits dargestellte naturwissenschaftliche Prägung des allgemeinen Wissenschaftsbegriffs bedeutet<br />

natürlich auch, daß alles von einer solchen Wissenschaft in den Blick genommene in ein Gefüge<br />

mathematischer Relationen umgewandelt wird. Die Folge davon ist eine Quantifizierung <strong>der</strong> Welt;<br />

alle Qualitäten werden weggefiltert. In einer menschlichen Kultur lassen sich drei Bereiche unterscheiden:<br />

das Wirtschaftsleben, das Rechtsleben <strong>und</strong> das Geistesleben. Die Quantifizierung <strong>der</strong> Lebensverhältnisse<br />

als Folge des naturwissenschaftlich geprägten Wissenschaftsbegriffs verursacht eine<br />

Dominanz des Wirtschaftslebens: Das Rechtsleben <strong>und</strong> das Geistesleben erhalten eine ökonomische<br />

Prägung.<br />

Das Wirtschaftsleben o<strong>der</strong> die Ökonomie umfaßt die Finanz- <strong>und</strong> Bankenwelt, in <strong>der</strong> das Geld <strong>der</strong><br />

Maßstab von allem wird. Wie bereits angedaut ist <strong>Globalisierung</strong> im Gr<strong>und</strong>e genommen immer ein<br />

Prozeß <strong>der</strong> ›Entgrenzung‹ mit dem Ziel, die für einen bestimmten Bereich <strong>der</strong> Kultur in einer bestimmten<br />

Region geltenden Gesetze auf die die ganze Menschheit auszudehnen. Diese ›Entgrenzung‹<br />

entsteht unter an<strong>der</strong>em dadurch, daß das ›Grenzen Setzende‹ bei den zugr<strong>und</strong>eliegenden Denkformen<br />

nicht wahrgenommen wird; denn dieses beruht auf Qualitäten, Bedeutungen <strong>und</strong> Sinngehalten.<br />

So ist im Rechtsleben in Form <strong>der</strong> Menschenrechtsbewegung die <strong>Globalisierung</strong> weit fortgeschritten.<br />

Aber auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens hat die <strong>Globalisierung</strong> bereits so weitgehende Fortschritte<br />

gemacht, daß <strong>Globalisierung</strong> gleichgesetzt wird mit <strong>der</strong> Unterordnung <strong>der</strong> gesamten Menschheit unter<br />

ein ökonomisches Gesetz.<br />

Wie die Entwicklung gezeigt hat, wurde die naturwissenschaftliche Methode auf ein Stück Wirklichkeit<br />

angewandt, das wegen seiner verwickelten <strong>und</strong> <strong>und</strong>urchsichtigen Beschaffenheit dem Erkenntnisstreben<br />

hartnäckigen Wi<strong>der</strong>stand entgegengesetzt hatte: die Welt Lebendigen, des Seelischen <strong>und</strong><br />

des Geistigen <strong>und</strong> damit die Welt des Menschen. So entstand <strong>der</strong> Gedanke, dem Auguste Comte<br />

durch den Entwurf einer ›Sozialen Physik‹ <strong>und</strong> das Programm einer auf diese aufbauenden ›Technik<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft‹ zur Verwirklichung zu verhelfen versuchte. Weitergehend wurde dann die Welt <strong>der</strong><br />

menschlichen Dinge, die Welt des Staates, des Rechts, <strong>der</strong> Gesellschaft, <strong>der</strong> Wirtschaft, aber auch das<br />

seelisch-geistige Leben des einzelnen Menschen in ein System von Begriffen gefaßt, in dessen Bau das<br />

Gefüge <strong>der</strong> mathematischen Naturwissenschaft nachgebildet war.<br />

Verlust <strong>der</strong> Identität<br />

Wie wirkt das <strong>Globalisierung</strong>sgeschehen auf die Menschen ein, die in durch <strong>Globalisierung</strong> geprägten<br />

Verhältnissen leben? Zur Beantwortung dieser Frage muß ein Blick auf einen Sachverhalt geworfen<br />

werden, <strong>der</strong> in das Zentrum <strong>der</strong> menschlichen Existenz führt. Die Mitte einer Person ist ihre Individualität,<br />

das geistige <strong>Wesen</strong>, das vor <strong>der</strong> Geburt bereits existierte <strong>und</strong> nach dem Tode weiter existieren<br />

wird. Individualität bedeutet das Unteilbare, das Unverwechselbare, das Einmalige, das wodurch<br />

sich eine Individualität von allen an<strong>der</strong>en unterscheidet. In diesem Unverwechselbaren ist eine Person<br />

nur mit sich selbst identisch. Während des Lebens prägt nun eine Individualität ihr <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> sie<br />

umgebenden Welt ein. Fragt nun, wie erwähnt, eine Person »Wer bin ich?«, dann kann sie in die Um-<br />

5 Rushdi, Salman: Die satanischen Ferse, Reinbek 2007.<br />

5

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