HAJO 86 | März - Mai 2012 „Schleppst du Jungs oder Mädchen ab?“ Ipek Ipekçioglu gesteht bei einem Türkeibesuch ihrer Familie ihre Homosexualität ein. Die sensible Reaktion ihres Großvaters überrascht sie selbst: Von Berührungspunkten zwischen den Kulturen, Konfessionen und Glaubenswelten. Seite 4 | Thema
(ii) - Wie jedes Jahr hatte ich vor, in die Türkei zu meinen Großeltern zu fahren. Aber dieses Mal wollte ich ihnen gestehen, dass ich lesbisch bin, und nahm meine erste feste Freundin Anke mit. Am Abend saßen wir zusammen, mein Großvater fing an: „Araban varmis. Ögrenciyken araba senin neyine? Yoksa erkek mi kiz mi kafesliyorsun?“ („Ich habe gehört, du hast ein Auto. Wofür brauchst du als Studentin ein Auto? Schleppst du damit Jungs ab oder Mädchen?“) Ich saß da, völlig sprachlos, und konnte nur noch dumm grinsen: „Mädchen.“ Meine Großmutter verließ den Raum. Mein Großvater fing an, mich auszufragen, mit der Begründung, er sei ja so unwissend und wolle es verstehen. Er habe gehört, dass Frauen Frauen und Männer Männer heiraten würden. Und ob ich dann auch irgendwann eine Frau heiraten wolle. Ich war erstaunt, beeindruckt und ergriffen darüber, wie mein Großvater es schaffte, ein so schwieriges Thema so einfach, sensibel, direkt und voller Neugier, vielleicht auch mit etwas Skepsis anzugehen. Die Dinge beim Namen zu nennen, während viele andere immer noch Schwierigkeiten haben, das Wort „homosexuell“ oder „lesbisch“ auszusprechen. Mein Großvater kannte alle diese Wörter. Zum Schluss sagte er: „Frauen, die sich in Frauen verlieben, heißen doch lesbisch? Mädchen auch, oder? Hmmm, also, es passt weder zu unserer Religion Islam noch zu unserer Kultur, aber du bist unsere Enkeltochter, und wir lieben dich!“ i Ipek Ipekçioglu, 38, ist Sozialpädagogin und DJ Im Gespräch. März - Mai 2012 | HAJO 86 Die in Berlin und Istanbul lebende DJ/ Herausgeberin/Produzentin Ipek ipekçioglu beinflusste als Pionierin für Orient & Asian Musik die vielschichtige Berliner Clubszene bereits in den 90ern. Ihre eklektische Musik und charakteristischen Mixe wurden zur Grundlage für einen neuen Style, der vor zwölf Jahren in der Clubszene der Stadt seinen Anfang nahm. Und das HAJO hatte die Gelegenheit, mit der offen lesbisch lebenden Ipek zu sprechen und ihr ein paar einer viel zu langen Liste von Fragen zu stellen. ? Du bist ursprünglich Sozialarbeiterin. Wie kam es, dass Du DJane geworden bist? ! „Es war, glaube ich, am 24.12. 1994 – da habe ich das erste Mal aufgelegt. Stand im SO 36, als der Booker kam und mich frage: ‚Bist du türkisch, bist du lesbisch? Kannst Du bei uns auflegen?‘ Ich habe meine Tapes vorbereitet, dann habe ich angefangen aufzulegen, bis 8 Uhr morgens. So kam ein neuer DJ auf die Welt, das war bei Gayhane, der ersten queer oriental Party in Kreuzberg. Nach meinem Studium habe ich erst als Sozialpädagogin gearbeitet, dann kamen langsam internationale Anfragen. Seit 2001 arbeite ich ausschließlich als DJ und kann vom Auflegen leben.“ ? Kannst Du uns etwas mehr über Dein Leben als Sozialpädagogin erzählen? ! „Meine Diplomarbeit habe ich über das Thema ‚Lesbisch und türkisch, ist das ein Widerspruch?’ geschrieben, über das Selbstbild der lesbischen Immigrantinnen der 2. Generation aus der Türkei, die ihren Lebensmittelpunkt in der BRD haben. Nach meinem Studium habe ich als Sozialpädagogin im Jugendstrafvollzug, beim Roten Kreuz und in einer Beratungsstelle für missbrauchte Mädchen gearbeitet. Ich bin Mitbegründerin von AMUSO – „Arbeitskreis Migranten unterschiedlicher sexueller Orientierung“ und GLADT – „Gays and Lesbians aus der Türkei e. V.“. Und ich hoste das KünstlerInnennetzwerk Kanakwood.“ ? Die von Dir erschaffene Mischung trägt den Namen Eklektik BerlinIstan. Was genau verstehst Du darunter? Thema | Seite 5