HAJO84
Das kostenlose Veranstaltungsmagazin für Lesben, Schwule und Transgender in Schleswig-Holstein
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HAJO 84 | November 2011<br />
?_Wie bist Du auf den ‚Gartenzaun‘ bzw. das Thema<br />
‚§ 175‘ gekommen?<br />
!_Als ich nach Deutschland eingewanden bin, hatte<br />
ich ein großes Bedürfnis mich mit der ganzen<br />
Nazigeschichte auseindnderzusetzen. Mir war<br />
klar: Wenn ich in Deutschland lebe, möchte ich<br />
auch wissen, was hier passiert ist. Ich fing an,<br />
Bücher über die Nazi-Vergangenheit zu lesen. Zur<br />
gleichen Zeit hatte ich mein ‚Coming-Out‘. Die<br />
zwei Themen haben sich überschnitten, und ich<br />
bin beim § 175 gelandet. Das war der erste Impuls<br />
für das Theaterprojekt.<br />
?_Was hast Du über Homosexuelle und über die<br />
Nazi-Vergangenheit Deutschlands erfahren?<br />
!_Als erstes stieß ich auf Ernst Röhm, den schwulen<br />
Stabschef der SA. Es wird spekuliert, dass HitIers<br />
Abneigung gegen Homosexualität und Homosexuelle<br />
Nahrung fand in der öffenltichen Polemik<br />
gegen Röhm wegen dessen sexueller Veranlagung.<br />
Dann las ich, dass die Nazis neben Juden auch<br />
Homosexuelle aktiv verfolgt und oft in Konzentrationslager<br />
verschleppt hatten. Ein Freund empfahl<br />
mir das Buch ‚Die Männer mit dem Rosa Winkel‘<br />
- die Biographie eines nach § 175 verurteilten und<br />
in zwei KZs inhaftierten Mannes.<br />
Ich war zutiefst berührt von dem, was ich da las.<br />
Diese Männer standen auch in der Hierarchie der<br />
Gefangenen ziemlich weit unten. Sehr viele haben<br />
die KZs nicht überlebt. Es überraschte mich aber<br />
auch, dass viele Leute, mit denen ich sprach, von<br />
der Situation damals nichts wussten. Ich habe<br />
dann immer weiter geforscht und weitere Bücher<br />
zum Thema gesucht.<br />
?_Und so bist Du auf die Problematik nach 1945<br />
gestoßen?<br />
!_Ja. Ich fand im Rahmen meiner Recherchen<br />
heraus, dass der § 175 in der verschärften Nazifassung<br />
von 1935 nach dem Krieg bis 1969 unverändert<br />
bestehen geblieben ist und dass ihn das<br />
Bundesverfassungsgericht im Jahre 1957 als mit<br />
dem Grundgesetz vereinbar gesehen hat. Das ist<br />
skurril, nicht wahr?<br />
?_Und es hat bis 2008 gedauert um ein Mahnmal<br />
für die Verfolgten zu errichten ...<br />
!_1985 hat die UHA (Unabhängige Homosexuelle<br />
Alternative) in Neuengamme einen Stein für die<br />
dortigen Homosexuellen KZ-Qpfer gelegt, und 2002<br />
sind die Urteile nach § 175 und § 175a, die bis 1945<br />
gefällt wurden, vom Bundestag annuliert worden.<br />
Was mich aber besonders interessiert, ist die Situation<br />
der Hornosexuellen in der Nachkriegszeit,<br />
Der Regissuer Ian Thomson beleuchtet die Homosexuellenverfolgung<br />
der Nazis und ihre Auswirkungen.<br />
denn ich glaube, das ist die eher unbekannte Geschichte.<br />
Viele Leute wissen einfach nicht, dass<br />
die verfolgung schwuler Männer nahtlos weiterging<br />
- zummindest mit den Kriminalbeamten und<br />
Juristen der NS-Zeit. Ich dachte dann, das ist<br />
eine Geschichte, die erzählt werden muss.<br />
?_Weil das im Prinzip noch derselbe Staat ist?<br />
!_Ja, deswegen kann der Staat die Verurteilung<br />
nach § 175 ab 1945 nicht als Unrecht anerkennen.<br />
Ich glaube, es ist wichtig. den Kontext der Zeit, in<br />
der man lebt, zu verstehen - sprich: warum wir<br />
heute so leben, wie wir leben. Gerade viele junge<br />
Schwule nehmen die aktuelle Freiheit, die sie genießen,<br />
als etwas Selbstverständliches und wissen<br />
gar nicht dass es auch mal anders war. Es ist<br />
einfach, zu sagen „Das war damals! Was geht mich<br />
das an? Damit habe ich nichts zu tun!“ Ich finde<br />
es aber wichtig, zu wissen, dass es Menschen gab,<br />
die dafür gesorgt haben, dass es unsere heutige<br />
Seite 8 | Im Gespräch