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Thomas Bernhard- Ein literarischer Außenseiter ORF 1 am 12.2 ...

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<strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong>- <strong>Ein</strong> <strong>literarischer</strong> Außenseiter <strong>ORF</strong> 1 <strong>am</strong> <strong>12.2</strong>.2009<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> hat sich <strong>am</strong> Rande aufgestellt. Er ist, wie er in seiner Autobiografie "Der Keller" sagt,<br />

in die entgegengesetzte Richtung gegangen und er ist das konsequent, ein Leben lang, gegangen. Er war<br />

außerhalb und diese Positionsbestimmung <strong>Bernhard</strong>s ergibt sich aus seinen Werken und man kann sie<br />

durch sein ganzes Schaffen hindurch verfolgen.<br />

Tiefe Spuren des Großvaters<br />

Er war von Anfang an tatsächlich ein Außenseiter. Geboren als uneheliches Kind in den Niederlanden,<br />

wohin seine Mutter "verschickt" wurde, jemand der kaum ein Zuhause hatte. Nach der Geburt im Jahr<br />

1931 k<strong>am</strong> er kurz nach Wien, von da nach Bayern, vor allem Traunstein.<br />

Er wurde dann von seinen Großeltern erzogen, vor allem von seinem Großvater Johann Freumbichler, der<br />

in seinem Werk tiefe Spuren hinterlassen hat. Und von seinem Schulbesuch kann man auch sagen, dass er<br />

wohl eher zu den Außenseitern gehörte, zu jenen, die verschickt wurden, zunächst einmal ins Thüringische<br />

- wegen schwerer Erziehungsmängel, die er selber produziert hat.<br />

In seinem autobiografischen Text "Der Keller" erzählt er, dass er plötzlich von der Schule gegangen sei,<br />

nichts mehr von dieser Mittelschule, die sei überhaupt völlig falsch, es gäbe nur eine Schule, eine Volksschule<br />

für die einfachen und eine Hochschule für die anderen, aber keine Mittelschule.<br />

Bestechende Erzählprosa<br />

Im Laufe der Zeit hat sich <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> dann doch sehr der Kunst zugewandt, der Musik, dem<br />

Schauspiel, aber auch dem Schreiben. Der Durchbruch erfolgt 1963 mit seinem Roman "Frost". Man<br />

kann sagen, dass dann bis zu seinem Tod im Jahre 1989 die Kette von Werken einfach nicht abreißt und<br />

jedes Jahr auf dem Buchmarkt ein Werk von <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> erscheint, das heftige Diskussionen, um<br />

nicht zu sagen größere oder kleinere Skandale, auslöst.<br />

<strong>Bernhard</strong> war ein Autor, der vor allem durch seine Erzählprosa besticht. Er hat etwa 18 abendfüllende<br />

Stücke geschrieben, neun Romane, eine Fülle kleinerer Erzählungsbände, aber vor allem hat ihn etwas<br />

auch einer größeren Leserschaft bekannt gemacht und das waren seine fünf autobiografischen Bände.<br />

1975 erscheint "Die Ursache", 1976 "Der Keller", 1978 "Der Atem", 1981 "Die Kälte" und 1982 "<strong>Ein</strong><br />

Kind".<br />

Diese fünf Bände haben ihn einer größeren Leserschaft erschlossen und sein Werk auch gewissermaßen<br />

als einen Teil dessen erscheinen lassen, was wir alle erlebt haben. Jeder konnte sich plötzlich mit <strong>Thomas</strong><br />

<strong>Bernhard</strong> identifizieren oder gegenidentifizieren und so schlug diese Autobiografie sehr ein. Nicht zu verschweigen,<br />

dass natürlich gerade der erste Band, "Die Ursache", in dem er die Lehrerschaft Salzburgs,<br />

also das Gymnasium, heftig angriff, unerhört viel Staub aufgewirbelt hat und sogar einen Prozess - nicht<br />

selten bei <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> - zur Folge hatte.<br />

Die Kunst der Übertreibung<br />

In seiner Autobiografie wird natürlich nicht völlig authentisch berichtet, hier wird übertrieben. Und<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> übertreibt, es handelt sich aber um eine Übertreibungskunst. Hier stimmen die Zahlen<br />

des Öfteren nicht. Aber eine Tatsache stimmt: <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> berichtet von der schweren Erkrankung,<br />

die er sich holte und diese Erkrankung bestimmt sein ganzes Leben. Es ist eigentlich ein Schreiben unter<br />

der Signatur der Krankheit, die später dann noch viel deutlicher ausbrach. Es ist eine schwere<br />

Erkrankung, Morbus Boeck, die unweigerlich zum Tode führt. Und mit diesem Bewusstsein schrieb<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> seine Texte.<br />

"Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt", hat er 1968 in seiner berühmten Staatspreisrede<br />

gesagt, eine Rede, in der er gewissermaßen den Fund<strong>am</strong>entalsatz seiner Ästhetik festgelegt hatte.<br />

Bis zur Kenntlichkeit entstellt<br />

Durch das Erscheinen der Autobiografie setzt förmlich eine neue Werkphase bei <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> ein.<br />

Man hat das Gefühl, der Autor, der vorher so abstrakt zu uns sprach, der also in seinen Büchern alles als<br />

künstlich bezeichnet hat, dieser Autor wird plötzlich konkret greifbar. Allerdings sind es weiter die<br />

Formeln, mit denen <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> zu überzeugen vermochte, nämlich jene Formeln, die in den Allund<br />

Existenzsätzen ihre Zuflucht finden.


"In Ischl halten alle allen alles dauernd vor." Es ist diese Neigung zum Superlativ, zu einem Extremvokabular,<br />

die dazu führt, dass man <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> öfter auch nicht gerne glauben wollte, weil man<br />

gemeint hat, hier wird die Übertreibung so stark, dass man den Wirklichkeitsgehalt nicht mehr<br />

herausfiltern könnte, aber gerade diese Übertreibungskunst ist es: Man muss übertreiben, um die Zustände<br />

zur Kenntlichkeit zu entstellen - ein Verfahren, das nicht von ungefähr an Brecht erinnern mag.<br />

<strong>Bernhard</strong> war ein Autor, der vor allem durch seine Erzählprosa besticht.<br />

Rare Lichtfiguren<br />

Die Autobiografie ist eine faszinierende Schilderung des Schülers <strong>Bernhard</strong>, des Lehrlings <strong>Bernhard</strong>, des<br />

erkrankten <strong>Bernhard</strong> und dann, als fünfter Band, eine Schilderung des kleinen Kindes <strong>Bernhard</strong>. Das<br />

heißt, er hat die Chronologie fast auf den Kopf gestellt und das Kind zeigt sich nun als ein widerspenstiges<br />

Individuum, das aufs Fahrrad steigt und auch einfach auf und davon fährt und dieses Motiv des<br />

Weggehens, des Ausbrechens, dieses Verlassens der Heimat spielt auch in den späteren Romanen eine<br />

große Rolle.<br />

<strong>Bernhard</strong> geht nicht zimperlich mit seiner Umgebung um, aber es gibt dann doch immer Lichtfiguren, so<br />

sein Lebensmensch Hedwig Stavianicek, die er im Krankenhaus kennengelernt hat, so aber auch sein<br />

Großvater, der ihn zur Literatur geführt hat und dessen Leben er auf der einen Seite in seinen tragischen<br />

Zügen darstellt, auf der anderen Seite aber auch dessen Radikalität er doch auch einigermaßen kritisch<br />

exponiert.<br />

Dieser Großvater wird zu einem verbindlichen Vorbild, gerade was die Radikalität, die monomanische<br />

Haltung gegenüber der Arbeit betrifft, selbst unter größten Entbehrungen <strong>am</strong> Schreiben festzuhalten und<br />

sich so auch wiederum selbst zum Außenseiter zu machen.<br />

Mehr als Verweigerung<br />

Es spielt keine unbedeutende Rolle in diesem Werk, jemand zu sein, der sich die Isolation gleichs<strong>am</strong><br />

erschrieben hat und aus dieser Isolation heraus schreiben kann. Die "schaurige Lust der Isolation", wie<br />

Robert Musil das genannt hat, hat man als einen seiner Wesenszüge erkannt. Diese Isolation ist mehr als<br />

bloß eine Verweigerung, sie ist auf der einen Seite natürlich der Ausschluss aus der Gesellschaft, aber<br />

andererseits ist es nicht möglich, über die Gesellschaft zu schreiben, ohne von ihr ausgeschlossen zu sein.<br />

Und in dieser Paradoxie bewegt sich sein Werk.<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> hat sich auch immer gegen ein Konsensmaximum gewehrt, immer dort, wo Übereinstimmung<br />

erzielt wurde, hat er zugeschlagen. Er war ein Meister wechselnder Gegensätze zwischen<br />

Authentizität und Nicht-Authentizität. Das Fiktionale erschien plötzlich als das Reale, das Reale als<br />

fiktional, das Komische als das Tragische, das Tragische als das Komische.<br />

Text: Wendelin Schmidt-Dengler, Ausschnitt aus seiner Ö1 Sendereihe "Literarische Außenseiter"<br />

Mehr zu <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> in oe1.<strong>ORF</strong>.at


Unbekannte Texte im <strong>Bernhard</strong>-Nachlass<br />

Autor <strong>am</strong> Rande<br />

Meine Preise<br />

Briefwechsel mit <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong><br />

Der Hauptdarsteller der Nebenrollen<br />

Walking with <strong>Bernhard</strong><br />

Der <strong>Thomas</strong>-<strong>Bernhard</strong>-Weg<br />

Back to the <strong>Bernhard</strong><br />

Mehr zu <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> in <strong>ORF</strong>.at<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong><br />

Autor <strong>am</strong> Rande <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> als Außenseiter - das mag als Paradox erscheinen, aber ein Paradox,<br />

das doch sehr wesentlich in das Werk <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong>s hineinführt, denn <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> hat sich <strong>am</strong><br />

Rande aufgestellt. Er ist, wie er in seiner Autobiografie "Der Keller" sagt, in die "entgegengesetzte<br />

Richtung" gegangen und er ist das konsequent, ein Leben lang, gegangen. Dieses In-die-entgegengesetzte-Richtung-Gehen<br />

hat ihm eine Position verschafft, von der aus er die anderen, die dort<br />

geblieben sind, wo sie waren oder in eine andere Richtung gingen, genau beobachten konnte. Er<br />

war außerhalb, und dieses Außerhalb hat ihn genau in die Mitte gebracht.<br />

Das spielt keine unbedeutende Rolle in diesem Werk, jemand zu sein, der sich die Isolation gleichs<strong>am</strong><br />

erschrieben hat und aus dieser Isolation heraus schreiben kann. Die "schaurige Lust der Isolation", wie<br />

Robert Musil das genannt hat, hat man als einen seiner Wesenszüge erkannt. Diese Isolation ist mehr als<br />

bloß eine Verweigerung, sie ist auf der einen Seite natürlich der Ausschluss aus der Gesellschaft, aber<br />

andererseits ist es nicht möglich, über die Gesellschaft zu schreiben, ohne von ihr ausgeschlossen zu sein.<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong>s Werk bewegt sich in einem Paradoxon.<br />

Leben mit dem Tod<br />

In seiner Autobiografie berichtet <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> von der schweren Erkrankung, die er sich holte, und<br />

diese Erkrankung, Morbus Boeck, bestimmte eigentlich sein ganzes Leben. Es ist eine Erkrankung, die<br />

unweigerlich zum Tode führt, aber aufgehalten werden kann. Mit diesem Bewusstsein schrieb <strong>Thomas</strong><br />

<strong>Bernhard</strong> seine Texte.<br />

"Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt", hat er 1968 in seiner berühmten Staatspreis-Rede<br />

gesagt, eine Rede, in der er gewissermaßen den Fund<strong>am</strong>entalsatz seiner Ästhetik festgelegt hatte: "Es ist<br />

alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt." Es kommt nur darauf an, wie man es betrachtet: Ist das<br />

Lächerliche im Vordergrund, dann tritt der Tod etwas in den Hintergrund, ist der Tod im Vordergrund,<br />

dann tritt das Lächerliche in den Hintergrund. Beide Elemente bestimmen sein Werk, das komische wie<br />

das tragische. Sie halten dort einander eine ideale Balance. "Ich bin der Geschichtenzerstörer"<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> war ein Meister wechselnder Gegensätze zwischen Authentizität und Nicht-<br />

Authentizität. Das Fiktionale erschien plötzlich als das Reale, das Reale als fiktional, das Komische als<br />

das Tragische, das Tragische als das Komische.<br />

Wer bei <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> auf eine handfeste Story wartet, wird wohl enttäuscht sein. "Ich bin der<br />

Geschichtenzerstörer, ich bin der typische Geschichtenzerstörer. Immer wenn sich eine Geschichte hinter<br />

einem Prosahügel hervorwagt, schieße ich sie ab", hat er erklärt. Trotzdem hat er seine Texte mit sehr viel<br />

Geschichte gefüllt, allerdings nicht so wie man es im üblichen Sinne gewohnt ist. Texte wie<br />

Kompositionen<br />

Die Musikalität seiner Sprache ist immer wieder hervorgehoben worden - er hatte ein wunderbares<br />

Gehör, manche Texte sind nach Kompositionsmustern geformt, nach Fugen oder Symphonien,<br />

kurzum, er war einer jener, der durch seine Sprache, durch eine ganz bestimmte, gezielte


hythmische Sprache und einen Tonfall, der unverwechselbar war, sich in die Ohren seiner Hörer<br />

einzuschleichen verstand.<br />

Man hat lange gemeint, dass ein Werk <strong>Bernhard</strong>s dem anderen wie ein Ei dem anderen gliche, auf der<br />

anderen Seite lohnt es sich, doch genau hinzuschauen, denn diese Texte sind sehr unterschiedlich und<br />

in einer feinen Differenzierung angebracht, die Themen werden nie auf die selbe Weise abgehandelt,<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> hat hier einen sehr schönen Vergleich gebraucht, er hat gesagt:<br />

"<strong>Ein</strong> Buch ist ja so wie eine weiße Wand und auf den ersten Blick meint man, da wäre alles gleich, sieht<br />

man aber genau hin, dann sieht man, dass sie voller Risse und Unebenheiten ist, Ungeziefer kriecht<br />

darüber hin", das heißt, eine weiße Wand ist wie ein Buch. Ich glaube, die Texte <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> sind<br />

so eine weiße Wand und man kann sie lange genug anschauen.<br />

Anerkennung in der ganzen Welt<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> wirkt in Österreich, aber das Auffallende ist natürlich, dass diese Texte auch überall<br />

anders rezipiert wurden, wo die Österreich-Problematik als solche kaum von Bedeutung sein konnte, so in<br />

Frankreich, wo schon 1972 eine begeisterte Besprechung seines Romans "Die Verstörung" erschien. In<br />

Frankreich, in Spanien, in Italien ist sein Werk fast zur Gänze übersetzt. In der Tschechischen Republik,<br />

in Russland, ja sogar im fernen China, in Japan und in Korea gibt es kleine Vereinigungen, die sich dem<br />

Werk <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong>s widmen, die diese Texte übersetzen und auf der Bühne präsentieren.<br />

<strong>Bernhard</strong> wird in den germanistischen Seminaren gelesen, die Flut der Sekundärliteratur weltweit ist nicht<br />

zu überblicken, er ist geradezu zu einem Nachfolger Kafkas geworden, was die Intensität in der<br />

Interpretation betrifft, er ist einer der negativen großen Klassiker der deutschsprachigen Literatur weltweit<br />

geworden. <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> verstand es sehr gut, sich dem Publikum zu insinuieren, und je mehr er sich<br />

zurückzog, umso mehr folgte ihm das Publikum in seine <strong>Ein</strong>s<strong>am</strong>keit nach.<br />

Text: Wendelin Schmidt-Dengler<br />

Mehr zum Ableben von Wendelin Schmidt-Dengler in oe1.<strong>ORF</strong>.at

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