16.11.2012 Aufrufe

Das Jahrhundert der Bilder 1949 bis heute Herausgegeben von ...

Das Jahrhundert der Bilder 1949 bis heute Herausgegeben von ...

Das Jahrhundert der Bilder 1949 bis heute Herausgegeben von ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

473 Die Entführung 1977<br />

Öffentlichkeit durch einprägsame Visualisierungen zu<br />

fixieren: Von Anleihen bei Filmen wie Bonny & Clyde<br />

über diverse Inszenierungen in <strong>der</strong> Tradition früherer<br />

Wi<strong>der</strong>standsbewegungen <strong>bis</strong> zur Übernahme <strong>von</strong> Signets<br />

<strong>der</strong> Befreiungsarmeen aus Südamerika erarbeitete<br />

sich die erste Generation ein mediales Profil, das<br />

ganz im gewünschten Sinn funktionierte. Einerseits<br />

konnten sich die Täter als filmisch-theaterhafte Desperados<br />

im Stil Robin Hoods präsentieren, gerade<br />

auch durch die Macho-Allüren <strong>der</strong> beteiligten Männer;<br />

an<strong>der</strong>erseits implizierten diese Inszenierungen<br />

auch eine Sensibilisierung jenes Umfeldes <strong>der</strong> Nach-<br />

1968er-Studentenbewegung, aus dem man Sympathisanten<br />

und eine zweite Generation <strong>von</strong> Tätern zu rekrutieren<br />

suchte.<br />

Diese wie<strong>der</strong>um sahen sich verpflichtet, gerade auch<br />

in <strong>der</strong> Entführung <strong>von</strong> Hanns Martin Schleyer, die<br />

früheren Taten symbolisch zu übertreffen. So scheint<br />

es nachgerade konsequent, dass genau das Bild <strong>der</strong><br />

Entführung mit dem ersten Text aus Bekennerschreiben<br />

und For<strong>der</strong>ungen am Tag <strong>der</strong> Aufnahme einem<br />

evangelischen Geistlichen in Wiesbaden zugespielt<br />

wurde. Offensichtlich wollten die Täter sicherstellen,<br />

dass <strong>der</strong> legendäre Ursprung ihrer Bildinszenierung<br />

<strong>von</strong> Anfang an richtig verstanden wurde. Nicht bedacht<br />

haben sie, dass sich diese richtige Annahme sehr<br />

bald gegen sie selbst kehren würde: Erst dieses Bild hat<br />

y Literatur<br />

sie zu den bösartigen Kriminellen gestempelt, als die<br />

sie in die Geschichte eingegangen sind.<br />

Die Beziehungen zwischen Terror und Design sind<br />

eng, da beide als Oberflächenphänomene begriffen<br />

werden können, Ersterer als solches <strong>der</strong> Politik, Letzteres<br />

als solches <strong>der</strong> Ästhetik. In dieser Oberflächlichkeit<br />

synthetisieren sie alltägliche und sinnliche Erfahrungen,<br />

um sie zu außergewöhnlichen Ereignissen<br />

werden zu lassen. Die RAF ist – gerade auch durch die<br />

Auswahl ihrer Symbole und Inszenierungen – zum Synonym<br />

einer ins Kriminelle abgerutschten Elite <strong>der</strong><br />

1968er Studentenbewegung geworden; als Bil<strong>der</strong>maschine<br />

produziert diese RAF ununterbrochen Erinnerungen<br />

und Gedächtnispartikel weiter, die umso<br />

leichter konsumiert werden können, je älter sie werden<br />

und je weiter sie sich vom Erfahrungskontext ihrer<br />

Zeitgenossen entfernen. <strong>Das</strong> Bild des entführten<br />

Hanns Martin Schleyer kommt als Gegenthese aus<br />

<strong>der</strong>selben Bil<strong>der</strong>maschine und führt – wie alle Legenden<br />

– die Hinfälligkeit körperlicher Existenz im Vergleich<br />

mit <strong>der</strong> Macht historischer Beschreibungen vor:<br />

Dieses Bild prägt das hohe Ansehen des Mannes stärker<br />

als alle Funktionen, die er zu Lebzeiten innehatte.<br />

Nach Hanns Martin Schleyer sind <strong>heute</strong> Sporthallen,<br />

Straßen und Plätze benannt – damit ist er als Person<br />

<strong>der</strong> politischen Geschichte kein Opfer mehr. Auch das<br />

ist eine Wirkung dieses Bildes.<br />

Uwe Backes, Terror im Schlaraffenland. Die biographische Perspektive, in: Konrad Löw (Hrsg.), Terror und Extremismus in Deutschland.<br />

Ursachen, Erscheinungsformen, Wege zur Überwindung, Berlin 1994; Klaus Biesenbach (Hrsg.), Zur Vorstellung des Terrors. Die RAF, 2<br />

Bde., Göttingen 2005; Regina Griebel/Marlies Coburger/Heinrich Scheel, Erfasst? <strong>Das</strong> Gestapo-Album zur Roten Kapelle, Eine Foto-<br />

Dokumentation, hrsg. in Verbindung mit <strong>der</strong> Gedenkstätte Deutscher Wi<strong>der</strong>stand, Halle/Saale 1992; Wolfgang Kraushaar, Der nicht<br />

erklärte Ausnahmezustand. Staatliches Handeln während des sogenannten Deutschen Herbstes, in: Ders. (Hrsg.), Die RAF und <strong>der</strong> linke<br />

Terrorismus, Bd. 2, Hamburg 2006; Astrid Proll (Hrsg.), Hans und Grete, Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> RAF 1967–1977, Göttingen 1998; Petra Terhoeven,<br />

Opferbil<strong>der</strong> – Täterbil<strong>der</strong>. Die Fotografie als Medium linksterroristischer Selbstermächtigung in Deutschland und Italien während <strong>der</strong><br />

70er Jahre, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 58 (2007) 7/8; Georg Christoph Tholen, Die Zäsur <strong>der</strong> Medien. Kulturphilosophische<br />

Konturen, Frankfurt/M. 2002; Peter Weibel, Im Bauch des Biestes: Logokultur. Vom Symbol zum Logo: Zeichen des<br />

Realen, in: Ders., Gamma und Amplitude, hrsg. und kommentiert <strong>von</strong> Rolf Sachsse, Berlin 2004; Stefan Wisniewski, Wir waren so<br />

unheimlich konsequent … Ein Gespräch zur Geschichte <strong>der</strong> RAF, Berlin 1997.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!