'Zeitzeugenberichte': eine Grundlage für historische Darstellungen
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Die Nachkriegssituation und die Angst vor BehÉrden beschreibt Juliane B., die<br />
als kl<strong>eine</strong>s Kind nach Polen deportiert war und als AchtjÅhrige zurÄck nach<br />
SÄdwestdeutschland kann:<br />
Als wir zurÅckgekommen sind, durfte ich k<strong>eine</strong> Schule besuchen von m<strong>eine</strong>m<br />
Vater aus. Denn der hatte immer gefÅrchtet, m<strong>eine</strong> Älteren Schwestern sind aus<br />
der ersten und der zweiten Klasse geholt worden, wie wir dann weggekommen<br />
sind. Und er hat immer gefÅrchtet, wenn wir in die Schule gehen und wir kÄmen<br />
wieder fort. Und wenn ich auf der StraÑe war, und wenn ich <strong>eine</strong>n Adler gesehen<br />
habe da vorne (an der MÅtze), bin ich heimgelaufen, bin ich blau geworden, ich<br />
war auf der StraÑe nicht mehr zu sehen.<br />
Wenn ich <strong>eine</strong>n Polizist gesehen, habe ich geschrieen, da waren wir schon ein<br />
paar Jahre in Deutschland. Noch lange ist mir das nachgegangen, als wir schon<br />
in Deutschland waren. [...] FÅr die zwei SÇhne hat er <strong>eine</strong>n anstÄndigen<br />
Strafzettel gekriegt, und dann ist der <strong>eine</strong> 11 oder 10, der andere 12, da sind sie<br />
in die Schule gekommen, da hat er <strong>eine</strong>n saftigen Strafzettel von der BehÇrde<br />
gekriegt. Aber wir waren schon in dem Alter, in dem wir k<strong>eine</strong> Schule mehr<br />
besuchen brauchten. [1] <br />
FÄr Frau B. bedeutete dies, dass sie Analphabetin blieb. Sie bedauert das, weil sie so<br />
vor allem bei BehÉrdengÅngen auf die Hilfe anderer Personen angewiesen ist.<br />
Die Informationen Äber die Diskriminierungen in den Schulen (und nach bei<br />
BehÉrden) sind nur schwer auÇer Äber die mÄndliche Aussage festzuhalten. Bei<br />
SchulbehÉrden fehlen die meisten der Angaben, die notwendig wÅren, um<br />
Diskriminierung nachzuweisen.<br />
Auch Frau R., die als SechsjÅhrige 1940 nach Polen deportiert wurde, blieb zu<br />
ihrem groÇen Bedauern Analphabetin. Sie war elf, als sie nach Deutschland<br />
zurÄckkehrte.<br />
Und wenn die Leute gefragt haben, warum wir nicht lesen konnten. Ich hab es<br />
versucht, aber dann hab ich der Mutter das erklÄren wollen. Ich habe immer so<br />
Kopfweh gehabt, wir haben viele SchlÄge bekommen. Wir haben aber immer<br />
<strong>eine</strong>n Schutzengel gehabt. Es hat sich vieles hier drinnen abgespielt, aber ich<br />
weiÑ nicht mehr, es fehlen <strong>eine</strong>m die ZusammenhÄnge. Man kann sich nicht alles<br />
merken. Man hÄtte es sich merken kÇnnen. Aber ich kann heute nicht lesen und<br />
schreiben. Vieles ist in Vergessenheit geraten. Ich kann k<strong>eine</strong> Adresse und<br />
StraÑennamen behalten, m<strong>eine</strong> Schwester ihre ist die einzige, die ich behalten<br />
habe. Aber ich muss sagen, Namen von StraÑen muss ich zehnmal fragen, wo<br />
ich hinmuss. Wenn ich in Mannheim zur Post, oder zum Rathaus muss, das<br />
kenne ich, da finde ich mich zurecht. Aber es ist schwer.<br />
Ich habe dann die Schule besucht und hab die SchulbehÇrde gefragt, ob sie mir<br />
das bezahlen, damals war ich noch jÅnger. Ich wollte das lernen. Dann haben sie<br />
Åber 100 DM verlangt fÅr <strong>eine</strong>n Monat und 1x die Woche. Das war zu wenig, ich<br />
hab es nicht gepackt. Und dann bin ich zum Sozialamt gegangen und zum<br />
Arbeitsamt. Ich habe mir <strong>eine</strong> Arbeit spÄter erlogen.[2] <br />
„Zweite Generation“