9.9 – 4.11 2012 Schwedische Botschaft - Building Blocks
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KINDER<br />
ALS AUFTRAGGEBER<br />
Eine Antwort ist natürlich, dass die<br />
Methode an Bedeutung gewinnt. Kinder<br />
liefern oft eine Kombination aus verbalen<br />
Anweisungen und Skizzen (vielleicht<br />
sollten wir sie Partitur nennen) und können<br />
in ihrer Rolle als Auftraggeber als<br />
fordernd aufgefasst werden. Ob dies<br />
damit zusammenhängt, wie sich der<br />
Architekt des Auftrages annimmt oder<br />
dass die Kinder ganz einfach mehr Respekt<br />
vor dem eigentlichen Bauwerk als<br />
vor der Architektur haben, ist eine andere<br />
Frage. Kinder formulieren oft extreme<br />
Ideen, was jedoch nicht bedeutet, dass<br />
sie extreme Forderungen stellen. Während<br />
der Arbeit an der Ausstellung fiel<br />
es den Kindern beispielsweise manchmal<br />
schwer, Sinn und Zweck des Ganzen zu<br />
verstehen, was den Architekten fordert,<br />
allerdings in anderer Weise als jemand,<br />
der Dinge unbedingt auf seine Art umgesetzt<br />
haben will. Das Kind als Auftraggeber<br />
erhält mit anderen Worten eine<br />
kreativere und dominantere Rolle im<br />
Schaffensprozess. Eine Rolle, die vielleicht<br />
mit der eines zeitgenössischen<br />
Komponisten oder Choreografen verglichen<br />
werden könnte. Medium stellt<br />
fest: »Das Kind als Auftraggeber lässt<br />
enorme Unkenntnis zu. Es wird deutlich,<br />
dass persönliche Beziehungen und Verhandlungsvermögen<br />
wichtig sind. Bei<br />
der Architektur geht es in erster Linie um<br />
Politik, wie die Vorstellung von Dominanz.«<br />
Der architektonische Prozess umfasst<br />
eine Reihe von Personen, und die simple<br />
Idee dieser Ausstellung besteht darin,<br />
den Prozess zu veranschaulichen und<br />
die verschiedenen Rollen zu verdeutlichen<br />
– indem man ganz einfach ein<br />
Element austauscht. Vielleicht kann ein<br />
zukünftiges Projekt darin bestehen,<br />
»das Kind als Auftraggeber durch einen<br />
Affen zu ersetzen«, sagt Medium ganz<br />
ohne Ironie. »Das Wichtige ist, dass der<br />
Rest des Arbeitsprozesses so ›normal‹<br />
wie möglich abläuft.«<br />
ARCHITEKT UND AUFTRAG<br />
Was aber ist dann ein »normaler«<br />
Prozess? Meist beginnt ein Architekturprojekt<br />
mit einem Auftrag. Dem Architekten<br />
muss eine von allen Seiten<br />
akzeptierte Bestellung vorliegen. Doch<br />
diese kann sehr unterschiedlich<br />
aus-sehen. Der schwedische Architekt<br />
Anders Wilhelmson soll beispielsweise<br />
einmal ausgehend von der Bestellung<br />
»Hell, groß, wow!« gearbeitet haben.<br />
Beim Stockholmer <strong>Building</strong>-<strong>Blocks</strong>-<br />
Projekt handelte es sich stattdessen<br />
manchmal um lange, komplizierte<br />
Erzählungen – eine Herausforderung<br />
für die Architekten. Je abstrakter der<br />
Anforderungskatalog formuliert ist,<br />
desto weniger Einfluss nimmt man auf<br />
den Vorschlag, den man erhält. Aber<br />
auch wenn der Auftraggeber eine<br />
zentrale Rolle spielt, kommt man nicht<br />
an der bekannten Tatsache vorbei,<br />
dass man den gleichen Anforderungskatalog<br />
an eine Anzahl von Architekturbüros<br />
übergeben kann und garantiert<br />
ebenso viele unterschiedliche Entwürfe<br />
zurückbekommt. Eine ganz eigene<br />
Geschichte haben Architekturwettbewerbe<br />
mit alternativen Entwürfen, bei<br />
denen vor allem änderungen im Anforderungs-katalog<br />
vorgenommen wurden.<br />
Wie beim Wettbewerb für das<br />
Centre Pompidou in den 1970er Jahren,<br />
den Renzo Piano und Richard Rogers<br />
gewannen, nachdem die Architekten<br />
ihrerseits die Bestellung umgeschrieben<br />
hatten und keinen Beitrag für den<br />
Bau eines »Kulturzentrums« einreichten,<br />
sondern die Idee eines »Lebens-<br />
zentrums« präsentierten, eines Zentrums<br />
für lebendige Erfahrungen.<br />
Jake Ford von Medium sagt, er sei<br />
neugierig auf die Variationen dessen,<br />
was Kinder als konstitutive Teile des<br />
Hauses betrachten: »Sie können sich<br />
radikal von den Normen der Erwachsenen<br />
unterscheiden, aber sie können<br />
auch ebenso gut identisch sein – vielleicht<br />
sind die Bereiche des Hauses im<br />
Grunde recht simpel: Schlafen, Essen,<br />
Klo.« Oder anders ausgedrückt: Die<br />
Architektur ist einzigartig verglichen mit<br />
allen anderen kulturellen Bestrebungen,<br />
weil sie so stark mit unseren alltäglichen<br />
Bedürfnissen und Erfahrungen verflochten<br />
ist. Das Design des Hauses<br />
definiert ganz einfach die Plätze, wo wir<br />
arbeiten, essen, schlafen und spielen.<br />
Unzählige Ausstellungen zur zeitgenössischen<br />
Kunst haben dies thematisiert<br />
(soziologisch, ideologisch, ästhetisch),<br />
doch trotz der großen kulturellen und<br />
sozialen Bedeutung des Hausdesigns ist<br />
die traditionelle Art der Gestaltung von<br />
Architekturausstellungen schwer zu<br />
lenken. Möglicherweise liegt das an der<br />
Vorstellung von einem Bedürfnis, Gebäude<br />
durch Zeichnungen, Modelle und<br />
Fotografien zu »erklären«. Jedenfalls<br />
scheint es, als ob die Architektur in<br />
gewisser Weise weiter vom Design entkoppelt<br />
oder sogar zu einer mystifizierten<br />
Form von Design im Verhältnis zur Öffentlichkeit<br />
geworden ist. Dieser Spagat<br />
zwingt Architekturausstellungen oft zur<br />
Vermittlung von Second-Hand-Erlebnissen,<br />
indem sie dem Publikum die<br />
Möglichkeit verweigern, dem echten<br />
»Ausstellungsexponat« zu begegnen.<br />
»Aus diesem Grunde haben wir beschlossen,<br />
die Idee eines errichteten<br />
Artefakts zu präsentieren«, so Ford. »Wir<br />
stellen das architektonische Objekt<br />
auf die Bühne – als endgültige Manifestation<br />
der Vision des Architekten.«<br />
Eine andere Frage, die sich im Laufe<br />
des Prozesses unbequem deutlich gestellt<br />
hat, ist die, inwieweit Begrenzungen<br />
im Anforderungskatalog notwendig<br />
sind, um den kreativen Wurf zu vollbringen.<br />
»Der Anforderungskatalog<br />
kann nie ein Problem darstellen. Interessante<br />
Gebäude entstehen nicht durch<br />
Anforderungs kataloge«, sagt Medium.<br />
»Das Interesse und Engagement der<br />
Auftraggeber und Nutzer kann ein kreativer<br />
Teil des Gestaltungsprozesses<br />
sein. Wir werden das testen, wenn auch<br />
nur in einem verkürzten Prozess. Eine<br />
sehr spezifische Bestellung könnte<br />
ebenso gut die Grundlage für eine viel<br />
interessantere Lösung bilden.«<br />
DER ARCHITEKT – GESCHICKTER<br />
BAUMEISTER ODER<br />
KÜNSTLERISCHES GENIE?<br />
Das Wort Architekt bedeutete ursprünglich<br />
»geschickter Baumeister«. In diesem<br />
Projekt wird die historisch jüngere<br />
Renaissance-Idee vom Genie oder dem<br />
Architekten als Künstler durch die Beleuchtung<br />
der täglichen Arbeitspraxis<br />
des Architekten infrage gestellt. Heutzutage<br />
besteht die hauptsächliche<br />
Funktion der Architektur in der Erarbeitung<br />
von Entwürfen (Repräsentationen).<br />
Der ita lienische Architekt und Kunsttheoretiker<br />
Alberti, der in gewisser<br />
Weise die Architekturtheorie erfand,<br />
trennte auch den Beruf des Architekten<br />
vom Baumeister des Mittelalters. Im<br />
Prinzip handelte es sich bis dahin formell<br />
betrachtet um ein und dieselbe Person.<br />
Alberti verdeutlichte, dass der Architekt<br />
Entwürfe oder Ideen kreiert, wodurch<br />
er zum Urheber des Bauwerkes wird.<br />
Der Baumeister realisiert die Vision,<br />
denn Architekten bauen keine Häuser.<br />
36 37<br />
Der Architekt erhält seine Visionen<br />
direkt von Gott, was ihn zum Genie<br />
macht. Alberti formulierte auch das<br />
gegenseitige Verhältnis Auftrag geber-<br />
Erbauer-Architekt wie folgt: Der Architekt<br />
muss (abstrakte oder konkrete)<br />
Entwürfe der Gebäude erschaffen, um<br />
den Auftraggeber zu »verführen«, der<br />
seinerseits für sie bezahlen soll. Hauptaufgabe<br />
des Architekten ist es somit,<br />
den Auftraggeber zu seinen Ideen<br />
zu überreden und Material in Form von<br />
Zeichnungen und Modellen für den<br />
Baumeister bereitzuhalten, damit das<br />
Gebäude der Vision entsprechend<br />
errichtet werden kann. Albertis Auf-<br />
fassung vom Beruf des Architekten lebte<br />
bis weit in den heroischen Modernismus<br />
hinein weiter. Der Gedanke, dass der<br />
Architekt eine Dienstleistung anbietet,<br />
ist also noch nicht sehr alt.<br />
Er kann mit einer nachkriegsmodernistischen<br />
Kritik an der undemokratischen<br />
Idee vom Architektengenie verknüpft<br />
werden. Und vielleicht erhielt der architektonische<br />
Prozess erst durch Architekten<br />
wie Cedric Price größere Beachtung<br />
als die Auffassung von Architektur<br />
als Ansammlung statischer Artefakte.<br />
Bei Price bildete der Zeitaspekt von<br />
Architektur den Kernpunkt der Arbeit.<br />
In seinem bekanntesten (aber nie<br />
realisierten) Projekt The Fun Palace<br />
sollte das Gebäude wechselnden<br />
Bedürfnissen angepasst werden können<br />
und eine auf 20 Jahre begrenzte<br />
Lebensdauer haben.<br />
Aus Sicht des Architekten basiert ein<br />
guter Anforderungskatalog mehr auf<br />
Respekt und Interesse für den Bauprozess<br />
als für die Architektur an sich. Mit<br />
dem Kind als Auftraggeber wird diese<br />
Frage außerordentlich interessant,<br />
nicht nur aus sozialer, politischer und<br />
pädago-gischer Sicht, sondern auch als<br />
subversive Methode, um den Architekturprozess<br />
als solchen zu exponieren – da<br />
die meisten Architekturausstellungen<br />
Ideen von fertiggestellten Projekten in<br />
Form von Entwürfen oder Bildern zeigen.<br />
Bilder und Modelle sind entkoppelt<br />
vom physischen Erleben des Sehens<br />
und Interagierens mit einem endgültigen,<br />
wenn auch kleinen Gebäude. Wie<br />
bescheiden dieses Haus in seinem<br />
Maßstab auch sein mag, so ist die<br />
Interaktion mit der letztendlichen Konstruktion<br />
etwas radikal Anderes als das<br />
Betrachten eines Modells.<br />
CEDRIC PRICE (1934–2003) Cedric Price<br />
war ein englischer Architekt, einflussreicher<br />
Lehrer und Journalist. Eines seiner<br />
bekannteren Werke war das Projekt The<br />
Fun Palace (1961), das zwar nie verwirklicht<br />
wurde, aber mit seinen Raumlösungen<br />
andere Architekten inspirierte,<br />
wie zum Beispiel Richard Rogers und<br />
Renzo Piano, die in ihrem Centre Georges<br />
Pompidou in Paris viele von Prices Ideen<br />
weiterentwickelten.<br />
ALBERTI (1404–1472) Leon Battista Alberti<br />
war ein italienischer Architekt, Bildhauer,<br />
Goldschmied und Kunsttheoretiker, der in<br />
seinem Werk »De re aedificatoria« (1452)<br />
eine Theorie über Architektur formulierte.<br />
Zu Albertis bedeutendsten Bauwerken<br />
zählt die von der Antike inspirierte Kirche<br />
San Francesco (1450, auch bekannt<br />
als Tempio Malatestiano) in Rimini. Als<br />
Humanist betonte Alberti die vernunftbasierte<br />
und wissenschaftliche Natur der<br />
Künste und nahm damit Abstand vom<br />
religiös Symbolischen und Funktionalen.<br />
Er war ein Verfechter der Rückkehr zu<br />
einer klassischen Denkweise.