9.9 – 4.11 2012 Schwedische Botschaft - Building Blocks
9.9 – 4.11 2012 Schwedische Botschaft - Building Blocks
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BOUNCY BUILDINGS (2007) Bouncy <strong>Building</strong>s<br />
ist ein jährlich wiederkehrendes<br />
Projekt, das »direkte« Architektur zeigt.<br />
Jedes Mal steht ein Land im Mittelpunkt,<br />
dessen beste Architekten – etablierte<br />
solche und vielversprechende Talente<br />
– eingeladen werden, eine Hüpfburg<br />
zu entwerfen. Die aufblasbaren Bauten<br />
werden bei einer Reihe von Freiluftveranstaltungen<br />
aufgestellt, bei denen die<br />
Öffentlichkeit die Möglichkeit erhält, das<br />
Ergebnis zu testen. Die ersten Hüpfburgen<br />
werden in London, Stockholm und<br />
Tokio zu erleben sein.<br />
EXTRA ORDINARY (2005) Eine Ausstellung<br />
im Stockholmer Kulturhuset, bei der<br />
dreißig mitwirkende Künstler und Designer<br />
wie unter anderem Martin Creed,<br />
Dunne & Raby, Maywa Denki, El Ultimo<br />
Grito, FAT, Front, Jeppe Hein und Noam<br />
Toran surrealistische, poetische und<br />
irrationale Wohnobjekte zeigten.<br />
BARNENS KONSTMUSEUM (2007) Der<br />
Künstler Jacob Dahlgren lud Medium ein,<br />
ein Kunstmuseum für Kinder zu entwerfen.<br />
Das kleinmaßige Gebäude wurde in<br />
der Großen Galerie des Kunstmuseums<br />
der Stadt Västerås ausgestellt.<br />
EINFACH & KOMPLEX<br />
Kurz gefasst kann Architektur mit ihren<br />
Prozessen als etwas sehr Komplexes<br />
aufgefasst werden, aber auch als<br />
etwas sehr Einfaches. Bei <strong>Building</strong><br />
<strong>Blocks</strong> wird deutlich, dass nicht immer<br />
von Anfang an klar ist, welche Komplexitäten<br />
entstehen werden. Vielleicht<br />
könnte man es beschreiben als wirklichen<br />
»Hausbau versus Papierarchitektur«.<br />
Das heißt nicht, dass die eine<br />
Form komplexer ist als die andere<br />
oder dass ein einfacher Prozess ein<br />
vorhersehbarer ist. Obwohl die Ausstellung<br />
<strong>Building</strong> <strong>Blocks</strong> nicht vornehmlich<br />
Bilder oder Entwürfe unge bauter<br />
Architektur zeigt, sagt sie dennoch viel<br />
über die architektonische Vorgehensweise<br />
aus.<br />
Medium arbeitet in anderen Projekten<br />
ähnlich. So beispielsweise in dem<br />
Projekt Bouncy <strong>Building</strong>s über »direkte«<br />
Architektur oder »instant architecture«,<br />
in dem Medium gut und weniger<br />
gut etablierte Architekten einlädt,<br />
Hüpfburgen zu entwerfen, aufblasbare<br />
Bauten, die an Orten aufgestellt werden,<br />
an denen die Öffentlichkeit die<br />
Ergebnisse testen kann. (Hier können<br />
wir auch eine Verbindung zu Cedric<br />
Price und seiner Idee eines Bouncing<br />
Museum erahnen, die er kurz vor seinem<br />
Tod 2003 mit Hans Ulrich Obrist<br />
diskutierte.) Schon 2005 kuratierten<br />
Mitglieder von Medium die Ausstellung<br />
Extra Ordinary im Stockholmer Kulturhuset<br />
(kuratiert von Lisa Olausson,<br />
Stella D’Ailly und Maja Sten). Diese<br />
Ausstellung zeigte Funktions-objekte<br />
mit irrationalen oder »dysfunktionalen«<br />
Eigenschaften, wie Bathroom Sweet<br />
von FAT mit einer Toilette für zwei und<br />
Lizzie Ridouts Welcome mat aus Kreide,<br />
die während der Ausstellungszeit verwischt<br />
wurde und auf der gesamten<br />
Ausstellungs fläche weiße Spuren hinterließ.<br />
Medium wurde zudem vom<br />
Künstler Jacob Dahlgren und dem<br />
Kunstmuseum Västerås eingeladen,<br />
ein Kunstmuseum für Kinder und den<br />
dazugehörigen Katalog zu entwerfen.<br />
Auch in diesem Zusammenhang ging<br />
es um ein kleinmaßiges Gebäude,<br />
das in der Hauptgalerie des Museums<br />
aufgebaut wurde. Doch im Unterschied<br />
zu dieser »Ausstellung in der Ausstellung«<br />
behandelt <strong>Building</strong> <strong>Blocks</strong> auch<br />
den Beruf und den »code of conduct«<br />
des Architekten.<br />
KOMMUNIKATION & FUNKTION<br />
Mit anderen Worten, es wird gezeigt,<br />
dass der Architekt einen Auftraggeber<br />
braucht. Im Unterschied zu vielen<br />
Künstlern (und immer mehr Designern)<br />
produzieren Architekten im Normalfall<br />
keine eigenen Gebäude. Der Anforderungskatalog<br />
ist ein zentraler Bestandteil<br />
der Arbeit, der sich meist aus dem<br />
Bedarf des Auftraggebers oder einer<br />
Gruppe von Auftrag gebern ergibt.<br />
Im Dialog findet dann gemeinsam mit<br />
einem Architekten, der den Anforderungskatalog<br />
interpretiert und auf ihn<br />
reagiert, ein Entwicklungsprozess statt.<br />
Bei <strong>Building</strong> <strong>Blocks</strong> ergaben sich die Anforderungen<br />
aus mündlichen Gesprächen<br />
zwischen Kindern und Architekten,<br />
und die Architekturbüros wählten unterschiedliche<br />
Interpretationen – einige<br />
erstellten regelrechte Anforderungskataloge,<br />
andere schrieben hauptsächlich<br />
Notizen nieder und gingen dann<br />
direkt zum Bau von Modellen oder zur<br />
Anfertigung von Entwürfen über.<br />
Die meisten Gebäude auf der Welt<br />
werden tatsächlich ohne Anforderungskatalog<br />
errichtet – und ohne Architekten.<br />
Weltweit betrachtet ist die generische<br />
Architektur in den Slums,<br />
Armenvierteln und Favelas die dominierende<br />
Wohnform unserer Zeit. Auch<br />
Katalog- und Fertighäuser sind mittlerweile<br />
üblich. Die Frage lautet daher vielleicht,<br />
was Architekten heute eigentlich<br />
anzubieten haben. Betrachtet man<br />
die von Medium repräsentierte Art von<br />
Architektur, lautet die Antwort: »eine<br />
enorme Breite der Expertise, wie das<br />
Entwerfen von Gebäuden im Verhältnis<br />
zu einem Budget, das gleichzeitig<br />
komplexe Faktoren wie Umweltauswirkungen<br />
und Materialtechnologie berücksichtigt.«<br />
Zur Erhaltung und Weiterentwicklung<br />
dieser Kompetenz muss<br />
Raum für Forschung und Spiel geschaffen<br />
werden. Elemente der Forschung gibt<br />
es in fast allen Büros, und die Architekten<br />
können mit jedem Projekt experimentieren,<br />
um ihre eigenen Ideen zu testen<br />
– und nicht nur die des Auftraggebers.<br />
Auch wenn dies einen möglichen Misserfolg<br />
einschließt, steht das Experiment<br />
also in keiner Weise im Gegensatz<br />
zur Funk tionalität. Das zeigt sich nicht<br />
zuletzt in diesem Projekt, in dem<br />
der extreme Funktionalismus der Kinder<br />
deutlich wird. Die Architekturjourna-<br />
listin Matilda Stannow vertritt die<br />
Auffassung, dass Kinder »alles richtig<br />
machen wollen«, wenn sie in diese<br />
Art von Prozess eingebunden werden,<br />
und ich neige dazu, ihr beizupflichten –<br />
wie es in den Wald hineinschallt, so<br />
schallt es auch wieder heraus. Sagt<br />
man einem Kind, man möchte ein Haus,<br />
dann liefert es im Prinzip die Idee eines<br />
Hauses, komplett mit Satteldach und<br />
Fenstersprossen. Aber bittet man<br />
es um einen geschützten Ort, einen<br />
Platz zum Schlafen, Essen, Spielen<br />
usw., ohne das Wort »Haus« zu er-<br />
wähnen, sehen die Ergebnisse anders<br />
aus (ein Prinzip, das im Übrigen auch<br />
für Erwachsene gilt, nicht zuletzt für<br />
praktizierende Architekten).<br />
Ein Beispiel für einen Kommunikationsprozess,<br />
den man möglicherweise als<br />
erfolgreich bezeichnen könnte, ist der<br />
Prozess von Kod Arkitekter im Zusammenhang<br />
mit dem Ausstellungsprojekt<br />
<strong>Building</strong> <strong>Blocks</strong> in der Stockholmer<br />
Färgfabriken im Jahr 2010. Hier passten<br />
die Kinder ihre extravaganten Ideen<br />
schnell an eine praktische und finanzielle<br />
Wirklichkeit an. Als sie darauf hingewiesen<br />
wurden, dass der Einbau eines<br />
Fahrstuhls teuer werden könnte, schlugen<br />
die Kinder stattdessen eine Leiter<br />
vor, und als die Architekten einwendeten,<br />
dass eine Leiter für Körperbehinderte<br />
schwierig sein könnte, nahmen sie auch<br />
dazu Stellung.<br />
Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang<br />
das Konzept der »Funktionalität«<br />
definieren. Seit Robert Venturis<br />
und Denise Scott-Browns bahnbrechender<br />
und unterhaltsamer Arbeit<br />
Ende der 1960er Jahre (»Der Parkplatz<br />
von Atlantic & Pacific oder: Was lehrt<br />
uns Las Vegas?«) ist das wirklich Interessante<br />
aus Sicht der Architektur nicht<br />
immer das Aussehen und die Konstruktion<br />
des einzelnen Hauskörpers. Mit<br />
den dekorierten Bruchbuden in Las<br />
Vegas als extremem Beispiel werden<br />
die rein modernistischen Ideale<br />
dekonstruiert. Gleichzeitig zeigen sie,<br />
in welcher Weise Funktion eine kulturell<br />
gebundene Symbolsprache ist. Funk-<br />
tion muss nicht weiße Wände bedeuten<br />
oder reine Linien. Es kann bei ihr<br />
ebenso gut darum gehen, durch überdien-sionierte<br />
Fassaden, Schilder,<br />
Symbole und blinkende Pfeile entlang<br />
der Hauptverkehrsstraße Inhalte zu<br />
vermitteln. Wie in Sweetie House, das<br />
zusammen mit dem Architekturbüro<br />
38 39<br />
AOC konstruiert wurde und wo ein<br />
Kind eine riesige Küche zum Kuchen-<br />
backen haben wollte und außer<br />
dem großen Ofen auch noch eine<br />
enorme Kirsche mit Aussichtspunkt.<br />
Am wichtigsten war dem Kind aber<br />
nicht der Ofen, sondern »die Kirsche<br />
obendrauf« (übrigens auch eine<br />
idiomatische Wendung aus dem Englischen,<br />
entsprechend dem »Sahne-<br />
häubchen« oder dem Tüpfelchen auf<br />
dem »i«). Oder das Golden Sky House,<br />
bei dem alles golden glänzen sollte.<br />
Und nicht zuletzt geht es bei diesem<br />
Projekt um das Spiel. In der in dieser<br />
Ausstellung präsentierten performativen<br />
architektonischen Denkweise<br />
kommt dem Spielerischen eine zentrale<br />
Bedeutung zu. Es ist ein ernstes Spiel,<br />
etwas, womit wir als Erwachsene oftmals<br />
zu kämpfen haben und wo wir mitunter<br />
die Hilfe von Kindern benötigen,<br />
um dazuzulernen oder die kreativen<br />
Impulse vermittelt zu bekommen, die<br />
wir brauchen, um diese Fähigkeit und<br />
Kraft wiederzuentdecken. Hoffentlich<br />
kann diese Ausstellung von Architektur<br />
– oder sagen wir Gebäuden – Erwachsene<br />
und Kinder gleichermaßen in-<br />
spirieren, sich ernsthaft und spielerisch<br />
mit Architektur zu beschäftigen, mit<br />
den Gebäuden und »<strong>Blocks</strong>«, die uns<br />
in dem, wer wir sind und wie wir uns<br />
verhalten, ständig beeinflussen.<br />
Jonatan Habib Engqvist<br />
Die Eheleute Robert Venturi (*1925)<br />
und Denise Scott Brown (*1931) werden<br />
aufgrund ihrer Architektur- und Planungsprojekte<br />
sowie ihrer theoretischen<br />
Schriften und Lehrtätigkeit zu den einflussreichsten<br />
Architekten des 20. Jahrhunderts<br />
gerechnet.<br />
Jonatan Habib Engqvist ist Kurator und<br />
Wissenschaftler mit Schwerpunkt Philosophie<br />
und ästhetik. Er arbeitete als<br />
Intendant am Moderna Museet (Museum<br />
für zeitgenössische Kunst) in Stockholm<br />
und ist gegenwärtig als Projektleiter beim<br />
schwedischen internationalen Künstleraustauschprogramm<br />
Iaspis tätig. Zusammen<br />
mit Maria Lantz zeichnet er für die<br />
Redaktion des Buches »Dharavi – Documenting<br />
Informalities« (Stockholm 2008;<br />
Neu Dehli 2009) verantwortlich, und er<br />
kuratierte (In)dependent People beim<br />
Reykjavik Arts Festival <strong>2012</strong>. Jonatan<br />
Habib Engqvist schreibt und hält regelmäßig<br />
Vorträge über Architektur, Kunst<br />
und Philosophie.