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20 Feiern in Berlin<br />
Berlin swingt wieder:<br />
Die 20er sind da<br />
Wilde illegale Parties ohne Ende, in illegalen oder halblegalen Locations. Exzessivität. All<br />
das gehört zum Ruf Berlins als Partyhauptstadt. Direkt nach der Wende ging’s besonders<br />
wild zu, viele erinnern sich noch mit Wehmut daran. Und was ist heute? Seit Jahren werden<br />
die 80er Jahre zitiert, musikalisch und modisch. Lange kann das nicht mehr anhalten.<br />
Und was kommt dann? Zum x-ten Mal die 60er? Schon wieder die 70er? Hosen mit Schlag,<br />
lange Haare und Hendrix-Riffs in der elektronischen Musik?<br />
Vor genau zwei Jahren fragte uns Radio<br />
Fritz, welche Trends in der Szene für 2006<br />
zu erwarten wären. Wir prognostizierten:<br />
Die 20er kommen. Damit lagen wir richtig<br />
und falsch zugleich. Die 20er kamen nicht<br />
in 2006. Aber jetzt kommen sie.<br />
r<br />
Im November spielten Narod Niki zusammen<br />
mit dem Jitterbug Orchestra im<br />
Admiralspalast. Der Abend begann mit<br />
experimenteller Klangkunst, die ein wenig<br />
Vorlauf brauchte um warm zu werden;<br />
am späteren Abend hat’s dann aber<br />
doch ordentlich gerockt und geknallt.<br />
Auch wenn mangels Proben nicht alles<br />
klappte, der Ansatz zeigte: Elektronik<br />
und Swing gehen zusammen. Großartig<br />
waren die Lichtkünstler, erstrahlte doch<br />
der Admiralspalast als retro-futuristischer<br />
Hedonisten-Tempel. Viele hatten sich<br />
zeitgemäß in Schale geschmissen und<br />
selbstbewusst das tätowierte Dekolleté<br />
präsentiert. Endlich mal ein Publikum, das<br />
keine Kapuzensweat-Parade hinstellte.<br />
Frauen wie aus dem Bilderbuch, elegante<br />
Herren.<br />
r<br />
Das nächste Experiment: Am 13. Dezember<br />
wird das Berghain zum Schauplatz einer<br />
einzigartigen Liaison dreier Musikgenres<br />
wie sie auf den ersten Blick unterschiedli-<br />
cher nicht sein könnten. Das Capitol Dance<br />
Orchestra lässt in seinen Swingtunes den<br />
Glanz und Glamour legendärer Berliner<br />
Tanzpaläste wieder auferstehen. Mitten<br />
hinein in diese musikalische Hommage<br />
an die 20er Jahre bricht ein rappender<br />
Maulwurf aus der Jetztzeit, seines<br />
Zeichens Kopf der Berliner Band Puppetmastaz.<br />
Gemeinsam mit dem CDO lässt<br />
Mr. Maloke als erste singend-swingende<br />
Puppe seiner musikalischen Experimentierfreude<br />
freien Lauf und performt neben<br />
eigenen Songs in neuen Arrangements<br />
Standards in dem nur ihm eigenen ruppigen<br />
Charme. Die einzigartigen High Speed<br />
Arrangements des Capital Dance Orchestra<br />
verschmelzen sich außerdem mit den<br />
elektronischen Deep House Tunes, den<br />
Disco Sounds und den Techno-Elementen<br />
von DJ Naughty.<br />
r<br />
Schon länger liefert das Bohème Sauvage<br />
20er-Nächte, das nächste Mal am 29.<br />
Dezember. „Zur Begrüßung gibt es etwas<br />
‚Koks der reichen Leute’. In den Goldenen<br />
Zwanzigern war das Wodka, und der war<br />
fast unbezahlbar – Kokain gab es damals<br />
als Schmerzmittel in der Apotheke“, schreibt<br />
der Tagespiegel. Und auch der „Salon<br />
Renate“ macht inzwischen in den 20ern.<br />
r<br />
Kein Wunder: Berlin war in den 20er<br />
Jahren das hipste, was es gab. Da war<br />
New York nicht halb so hip. Es war Berlin,<br />
wo die Trends angegeben wurden. Berlin<br />
war die schönste Stadt, die man sich<br />
vorstellen konnte. In den 20er Jahren war<br />
Berlin eine revolutionäre Stadt. Nicht in<br />
erster Linie politisch. Das großstädtische<br />
Leben revolutionierte sich. Homosexualität<br />
trat ins Licht der Öffentlichkeit. Vielfach<br />
deutlicher als heute.<br />
r<br />
Die Zeit war reif, um sich gehen zu lassen.<br />
Nach dem Untergang des Kaiserreichs<br />
waren es vor allem mutige Frauen, die<br />
gerade in Berlin alles über Bord warfen,<br />
was vorher galt: Sie rauchten in der<br />
Öffentlichkeit, sie kauften sich Liebe bei<br />
Gigolos, auf Partys ließen sie sich von<br />
Eintänzern aufs Parkett ziehen, die die<br />
Aufgabe hatten, die Feier in Schwung zu<br />
bringen. Viele gingen gleich in Männerkleidung<br />
aus.<br />
r<br />
“Morgen ist Weltuntergang” schien die<br />
Devise der so genannten “Goldenen 20er”<br />
zu sein. Niemand wusste, wie nah das an<br />
der Wahrheit lag. Man nahm den Staat<br />
nicht sonderlich ernst, amüsierte sich eher<br />
in Zirkeln, Literatencafés und Kabaretts<br />
über die Weimarer Republik.<br />
r<br />
Viel davon bietet Berlin auch heute. (Nicht<br />
nur) Bild-Zeitungsleser glauben an den<br />
bevorstehenden Weltuntergang via Klimakatastrophe,<br />
den Staat nimmt in Zeiten<br />
der Großen Koalition auch keiner mehr<br />
ernst, den Senat schon lange keiner mehr,<br />
nur an den intellektuellen Zirkeln und Literaten<br />
fehlt es noch etwa in Berlin, der Stadt,<br />
in der – wie es Literaturkritiker Hellmuth<br />
Karasek so schön sagte – mit Udo Walz ein<br />
Frisör der Top-Prominente ist.<br />
r<br />
Der Trend mit den 20ern kommt jetzt,<br />
schrieben wir vor zwei Jahren. Jetzt isser<br />
da.<br />
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