pe press - Hochschule Furtwangen
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prisma<br />
Die gesellschaftlichen Auswirkungen<br />
von 1968 reichen<br />
bis heute an. Um<br />
unsere Gegenwart zu verstehen,<br />
muss der Mensch<br />
erst einmal verstanden<br />
haben, was in der Vergangenheit<br />
passiert ist.<br />
Anlässlich der vierzigsten<br />
Jährung gibt Prof. Dr.<br />
Friedrich Engelke von der<br />
Fakultät Product Engineering<br />
an der <strong>Hochschule</strong><br />
<strong>Furtwangen</strong> einen ganz<br />
<strong>pe</strong>rsönlichen Rückblick<br />
auf diese Zeit.<br />
Friedrich Engelke als Student<br />
54<br />
<strong>pe</strong> <strong>press</strong><br />
Mythos oder Wahrheit<br />
Professor Engelke über die 68er-Generation<br />
"1968 waren wir noch keine 68er" – die<br />
damalige Erwartung der Studierenden<br />
wurde rasch enttäuscht, aber ihre öffentliche<br />
Darstellung war doch mächtig genug,<br />
die Legitimationskrise der westlichen<br />
Gesellschaften offenbar zu machen. Das ist<br />
vorher keiner der vielen Protestbewegungen<br />
in der Nachkriegszeit gelungen. Erst<br />
studentischer Aktionismus hat die Diskrepanz<br />
zwischen Wohlstandsverwaltung und<br />
kommunikativer Ohnmacht ins öffentliche<br />
Bewusstsein treten lassen. Die Reaktionen<br />
des Staates ließen einen dramatischen<br />
Machtverlust seiner Institutionen erkennen,<br />
der auch durch den rapiden Zuwachs<br />
an Gewaltmitteln nicht mehr kom<strong>pe</strong>nsiert<br />
werden konnte.<br />
Konfrontation mit der Vergangenheit?<br />
Es war keine gescheiterte Revolution, aber<br />
1968 war eine zeitgeschichtliche Zäsur.<br />
Die Studentenbewegung hat das in Apathie<br />
erstarrte öffentliche Leben nicht nur<br />
in der Bundesrepublik wachgerüttelt. Die<br />
meisten der ehemaligen Aktivisten, nun<br />
zu geschwätzig ergrauten Zeitzeugen<br />
erstarrt, versuchen diese für ihre eigene<br />
Rolle schmeichelhafte Auffassung zu<br />
untermauern, die 68er hätten sowohl für<br />
die Festigung der deutschen Demokratie<br />
Wesentliches geleistet und bei der Bewältigung<br />
der deutschen Vergangenheit einen<br />
Durchbruch zur Aufklärung ertrotzt.<br />
Dabei ist Friedrich Engelke aus seiner eigenen<br />
Erfahrung an der Universität Freiburg<br />
nicht bekannt, dass die 68er, von Einzelfällen<br />
abgesehen, sich ernsthaft mit der Vergangenheit<br />
beschäftigt hätten. Jenes Ereignis<br />
'68 war eine kurze, schnelle Bewegung.<br />
Weltvertrauen ohne Kirchentagsmuffigkeit<br />
war das Privileg der Jugend. Vergangenheitsbewältigung<br />
trifft nicht den Kern der<br />
Bewegung. Die 68er waren schnell fertig<br />
mit dem Wort, wenn sie die Generation<br />
der Herrschenden als Nazigeneration diffamierten.<br />
An einer ernsthaften Auseinandersetzung<br />
mit der Vergangenheit waren<br />
sie nicht interessiert. Ideologisch nährten<br />
sie sich aus den Kritiken an der bürgerlichkapitalistischen<br />
Gesellschaft, die zwangsläufig<br />
in den Faschismus führe, oder aus<br />
der Utopie einer radikalen Veränderung.<br />
In dem Interview, das Rudi Dutschke 1968<br />
mit Günter Gaus im Fernsehen führte, war<br />
von der deutschen Vergangenheit überhaupt<br />
nicht die Rede.<br />
Verklärter Freiheitskampf<br />
Den 68ern ist es seitdem gelungen, in<br />
der Bundesrepublik ein rundum positives<br />
Bild von der Bedeutung ihrer Revolte<br />
für die Entwicklung und Modernisierung<br />
der deutschen Gesellschaft zu verbreiten.<br />
Natürlich werden der Terrorismus und das<br />
gefährliche Spiel mit der Gegengewalt<br />
dabei eher ausgeblendet. So gelingt es, die<br />
68er-Bewegung zu verklären, sie in einen<br />
Mythos des Freiheitskampfes zu erwandeln.<br />
Dieses selbst geschaffene Erklärungsmuster<br />
soll zeigen, die 68er hätten sich mit<br />
guten Gründen gegen die von der frühen<br />
Bundesrepublik nicht bewältigte NS-Vergangenheit<br />
gewandt.<br />
Professor Engelke bestreitet dabei nicht,<br />
dass dieses Motiv an manchen Stellen<br />
wirksam war, denn es gehörte ohnehin zur<br />
bevorzugten Waffe der Kritik an der Bundesrepublik,<br />
aber für die radikale Stoßrichtung<br />
der 68er-Bewegung war dieses Motiv<br />
sekundär. Es war bestenfalls ein probates<br />
Argument, um die Bundesrepublik durch<br />
eine sozialistische Revolution zu überwinden.<br />
Nach Auffassung von Engelke sollte<br />
die Selbstachtung der damaligen Studierenden<br />
verbieten, dass sie sich zu etwas<br />
bekennen, das sie nie vertreten haben.<br />
Prof. Dr. Friedrich Engelke<br />
ausgabe 24