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Kescher - Abraham Geiger Kolleg

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<strong>Kescher</strong><br />

6. Jahrgang, Nr. 1 | Herbst 2008 | Tischri 5769<br />

Das amerikanische Finanzsystem durchläuft die<br />

schwerste Krise seit den frühen 1930er Jahren.<br />

Fast zehn Jahre lang haben jüdische Wohltäter<br />

aus Nordamerika mit vielen hunderttausend<br />

Dollars dafür gesorgt, dass ein Rabbinerseminar<br />

entstehen konnte, das ganz Europa dient. Zuletzt<br />

wurde durch die amerikanische Breslauer<br />

Foundation die Kantorenausbildung initiiert.<br />

In den vergangenen Monaten litt der Dollarkurs<br />

Amerikas so, dass wir immer mehr Geld sammeln<br />

mussten, um das gleiche Budget halten zu können.<br />

Jetzt aber sind die Spendenflüsse versiegt.<br />

Die Angst geht um in den jüdischen Gemeinden<br />

Nordamerikas, dass die Förderer ausbleiben.<br />

Umso mehr sind wir vor die Existenzfrage ge -<br />

stellt: wird die Kultusministerkonferenz 2009<br />

endlich als Träger hinzukommen, wie das seit<br />

2006 verhandelt wird?<br />

Der Antrag Brandenburgs ist gestellt und die<br />

Nerven liegen blank, denn ohne die Mittel der<br />

KMK ist das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> in seinem<br />

Jubilä ums jahr 2009 nicht in der Lage, weiterzumachen.<br />

Da ist die Hoffnung auf eine permanente<br />

Bleibe auf dem Potsdamer Campus am Neuen<br />

Palais ein schwacher Trost. Wer Rabbiner und<br />

Kantoren für Deutschland will, der muss verstehen,<br />

dass dies auf Dauer nicht von Amerikas<br />

Mäzenen abhängig sein kann.<br />

Vielleicht ein<br />

Dach über dem<br />

Kopf, aber die<br />

Kassen sind leer


Präsident<br />

Rabbiner Prof. Dr. Walter Jacob<br />

Direktorium<br />

Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka, Rektor<br />

Prof. Dr. Admiel Kosman, Akad. Studienleiter<br />

Rabbiner Drs Edward van Voolen,<br />

Studienleiter für die praktischen Ausbildung<br />

Rabbiner Dr. Tovia Ben-Chorin,<br />

Studienleiter für das Israel-Programm<br />

Senat<br />

Rabbiner Dr. W. Gunther Plaut, Toronto<br />

Prof. Dr. Paul Mendes-Flohr, Jerusalem<br />

Prof. Dr. Ernst Ludwig Ehrlich*<br />

Rabbiner Dr. John D. Rayner CBE*<br />

Prof. Dr. Wolfgang Loschelder, Potsdam<br />

Rabbiner Dr. Andrew Goldstein, London<br />

Kuratorium<br />

Dr. Josef Joffe, Vorsitzender, Hamburg<br />

Adina Ben-Chorin, Zürich<br />

Leslie F. Bergman, London<br />

Rabbiner Dr. Albert H. Friedlander OBE*<br />

Rabbiner Dr. David J. Goldberg OBE<br />

Rabbiner Prof. Dr. Arthur Hertzberg*<br />

Lord Joffe CBE, Swindon<br />

Rabbiner Dr. Peter S. Knobel, Chicago<br />

György Konrád, Budapest<br />

Stuart Matlins, Woodstock<br />

Felix Mosbacher, Paris<br />

Baroness Neuberger DBE, London<br />

Wolfgang M. Nossen, Erfurt<br />

Prof. Dr. Elizabeth Petuchowski, Cincinnati<br />

Harold Sandak-Lewin, Cape Town<br />

Prof. Dr. Julius H. Schoeps, Potsdam<br />

Max Warburg, Hamburg<br />

Rabbiner Dr. Mark L. Winer DD, London<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Durch<br />

Erforschung des<br />

Einzelnen zur<br />

Erkenntnis des<br />

Allgemeinen,<br />

durch Kenntnis<br />

der Vergangen -<br />

heit zum<br />

Verständ nis der<br />

Gegenwart,<br />

durch Wissen<br />

zum Glauben.<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

(1810 – 1874)<br />

I M P R E S S U M<br />

<strong>Kescher</strong>: Informationen über liberales Judentum<br />

im deutschsprachigen Raum<br />

Newsletter des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s<br />

<strong>Kescher</strong>: hebräisch: Verbindung, Kontakt<br />

Titelbild: Studenten beim Morgengebet im AGK-<br />

Büro. Foto © Tobias Barniske<br />

Herausgeber<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> gGmbH<br />

Postfach 120852, 10598 Berlin<br />

Tel: (030) 31805910, Fax: (030) 318059110<br />

bomhoff@abraham-geiger-kolleg.de<br />

www.abraham-geiger-kolleg.de<br />

Redaktion / V.i.S.P.<br />

Hartmut Bomhoff<br />

Gestaltung: Thomas Regensburger<br />

Druck: Oktoberdruck AG,<br />

Rudolfstraße 1-8, 10245 Berlin<br />

Auflage: 1.000 Exemplare<br />

ISSN-Nr.: 1861-4469<br />

Inhalt<br />

6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

Eine Standortfrage 4<br />

<strong>Abraham</strong>-<strong>Geiger</strong>-Preis 7<br />

Jewish Institute of Cantorial Arts 10<br />

Europa-Tagung der WUPJ 12<br />

Grußwort des Bundespräsidenten 15<br />

Reuven Firestone im Gespräch 16<br />

Füßewaschen statt Brit Mila? 18<br />

Grußwort von Rabbiner Uri Regev 21<br />

Life and Death on King David Street 22<br />

Aus den Gemeinden 24<br />

Gedanken zu Rosch Haschana 27<br />

Das Wintersemester am AGK 33


Editorial<br />

Liebe Freunde,<br />

jetzt wird es spannend. Diesen Herbst entscheidet<br />

die Kultusministerkonferenz darüber, ob das<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> von allen Bundesländern<br />

gefördert wird: als internationales Aushänge -<br />

schild für Deutschland. Der Antrag ist brisant:<br />

denn er ist der erste seit zwanzig Jahren und der<br />

erste aus den Neuen Bundesländern. Und er muss<br />

erfolgreich sein, sonst kippt der Haushalt des<br />

ersten Rabbinerseminars in Deutschland nach<br />

der Schoa.<br />

Seit April 2006 gibt es kontinuierliche Gespräche<br />

über eine Beteiligung der Kultusministerkonfe -<br />

renz an den jährlichen Aufwendungen der<br />

Rabbiner- und Kantorenausbildung durch das<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> an der Universität Pots -<br />

dam. Am 28. April 2006 hatte das Wissenschafts -<br />

ministerium Brandenburg beim Zentralrat der<br />

Juden in Deutschland ein Konzept der Rabbiner -<br />

ausbildung in Deutschland erbeten. Im Frühjahr<br />

2008 schließlich bestätigte der Zentralrat der<br />

Juden in Deutschland gegenüber Frau Prof. Dr.<br />

Johanna Wanka schriftlich, dass es in Deutsch -<br />

land zwei Ausbildungsstätten für Rabbiner gibt:<br />

die HfJS in Heidelberg und das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

<strong>Kolleg</strong> an der Universität Potsdam. Das hat sehr<br />

lange gedauert. Aber damit waren die Voraussetzungen<br />

für einen Antrag Brandenburgs bei der<br />

KMK erfüllt: das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> an der<br />

Universität Potsdam soll so gefördert werden,<br />

wie dies bei der Hochschule für Jüdische Studien<br />

in Heidelberg bereits seit Jahren der Fall ist.<br />

„L’shana tova u’mevorechet“<br />

Wir wünschen allen unseren Freunden und Förderern<br />

ein friedliches und erfolgreiches Jahr 5769.<br />

Rabbiner Prof. Dr. Walter Jacob<br />

Präsident<br />

Dr. Josef Joffe<br />

Vorsitzender des Kuratoriums<br />

Beide Einrichtungen erhalten vom Zentralrat der<br />

Juden finanzielle Unterstützung, Vizepräsident<br />

Prof. Korn vertritt den Zentralrat im Kuratorium<br />

der HfJS, Vizepräsident Dr. Graumann sitzt für<br />

den Zentralrat im Stiftungsrat der Trägerstiftung<br />

des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s, der Leo Baeck<br />

Foundation. Wir meinen: dieser Parität sollte<br />

nun auch die Finanzierung entsprechen. Sonst<br />

sehen wir den Gleichheitsgrundsatz verletzt.<br />

Der Beitrag der KMK zum Haushalt des <strong>Abraham</strong><br />

<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s ist entscheidend. Seit 2006 haben<br />

wir wacker versucht, durch eigene Anstrengun -<br />

gen auszugleichen, dass ein Beitrag der Bundes -<br />

länder zu den jährlichen Kosten der Rabbineraus -<br />

bildung bisher fehlte. Angesichts einer immer<br />

prekärer werdenden Wirtschaftslage in den USA<br />

und des dramatischen Wertverlusts des Dollars<br />

wird es immer schwieriger, Spendern in den USA<br />

klarzumachen, warum sie eine deutsche<br />

Einrichtung fördern sollten.<br />

Wir sind keinesfalls mehr in der Lage, ein weiteres<br />

Jahr ohne die vierte Säule der Finanzierung<br />

durchzuhalten. Ein Scheitern wäre auch für das<br />

internationale Ansehen Deutschlands fatal.<br />

Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka<br />

Rektor<br />

Prof. Dr. Admiel Kosman – Rabbiner Drs Edward van Voolen – Rabbiner Dr. Tovia Ben–Chorin<br />

Direktorium<br />

Ihr<br />

Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka<br />

3


4<br />

„Wenn sich alle zusammentun, muss die An -<br />

stren gung doch Erfolg haben!“, hofft Dr. Luc<br />

Jochim sen, die Kulturpolitische Sprecherin der<br />

Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Tatsächlich<br />

stößt der Plan des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s, ins<br />

Nördliche Kastel lan gebäude am Neuen Palais in<br />

Potsdam umzuziehen, auf breite Unterstützung.<br />

Aus den zahlreichen Briefen spricht auch Aner -<br />

kennung für die Arbeit des <strong>Kolleg</strong>s über alle<br />

Parteigrenzen hinweg. So schreibt der Bevoll -<br />

mächtigte des Landes Nordrhein-Westfalen<br />

beim Bund, Staats sekretär Michael Mertes, wie<br />

„außerordentlich bedeutend der Fortschritt ist,<br />

den das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> für das jüdische<br />

Leben in Deutschland bewirkt“, und der Wehr -<br />

beauf tragte des Deutschen Bun destages, Rein -<br />

hold Robbe (SPD), unterstützt unser An liegen<br />

„unter Hin weis auf die grundsätzliche Bedeu -<br />

tung der Rabbinerausbildung sowie der Aus -<br />

bildung jüdischer Kantoren nachdrücklich.“<br />

Politiker aller im Bundestag vertretenen Par -<br />

teien haben sich für den neuen Standort in<br />

Potsdam ausgesprochen. Inzwischen haben sich<br />

auch Reprä sen tanten der jüdischen Gemein -<br />

schaft in Deutschland und Nordamerika in dieser<br />

Angele genheit an den Bundesminister des<br />

Inneren, Dr. Wolfgang Schäuble, gewandt. Hier<br />

einige Auszüge:<br />

“Dear Minister Dr. Schäuble, I would like to raise<br />

with you a matter connected with the <strong>Abraham</strong><br />

<strong>Geiger</strong> College which I and so many American<br />

Jews have supported. We are concerned about<br />

the question of a permanent site for the <strong>Abraham</strong><br />

<strong>Kescher</strong><br />

Am 28. August sprach Rabbiner<br />

David Saperstein, Direktor des<br />

Religion Action Center in Washing -<br />

ton, das Eingangsgebet bei der<br />

Nominierung von Barack Obama in<br />

Denver. Drei Tage zuvor hatte er an Bundesinnen -<br />

minister Wolfgang Schäuble ge schrieben. Es geht<br />

um Geld. Denn das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>,<br />

Deutsch lands erstes Rabbiner seminar seit der<br />

Schoa, hat endlich einen permanenten Standort<br />

im Land Brandenburg gefunden – direkt an der<br />

Universität Potsdam, deren An-Institut es ist. Die<br />

Stiftung Preußische Schlösser und Gärten bot<br />

dem institutionell durch den Bund geförderten<br />

<strong>Kolleg</strong> das Nördliche Kastellan gebäude des<br />

Neuen Palais als neue Bleibe an. Auf den etwas<br />

mehr als 700 qm könnten Büros des <strong>Kolleg</strong>s<br />

<strong>Geiger</strong> College at Potsdam University’s New<br />

Palace campus. […] We truly hope that you will<br />

be able to use your influence within the cabinet<br />

to find a resolution of this issue.”<br />

Rabbiner Peter Knobel, President, Central<br />

Conference of American Rabbis, New York, NY<br />

„Ich denke, dass das <strong>Kolleg</strong> wichtig für das Land<br />

ist – als Ausbildungsstätte für ein liberales Rab -<br />

bi nertum in Deutschland, die 1942 aus den be -<br />

kannten Gründen geschlossen wurde und heute<br />

an die große liberale Tradition anknüpft, die in<br />

Deutschland im 19. Jahrhundert ‚erfunden’<br />

wurde.“<br />

Dr. Josef Joffe, Herausgeber, DIE ZEIT, Hamburg<br />

“As part of the Leo Baeck family (my husband ist<br />

he great-grandson of Rabbi Leo Baeck), I have a<br />

special interest in the <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College<br />

and its future – something shared by so many<br />

American Jews who support it. We are concerned<br />

about the question of a permanent site for the<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College at Potsdam University’s<br />

New Palace campus. […] As Rabbi Leo Baecl led<br />

the Hochschule für die Wissenschaft des Juden -<br />

tums and was ist last teacher, the success of the<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College means a great deal to me<br />

and my family. We are confident that it will make<br />

a fine contribution to the renewal of Jewish life<br />

in Germany and German life in general.”<br />

Rabbinerin Ellen Weinberg-Dreyfus, Vice-Presi -<br />

dent, Central Conference of American Rabbis,<br />

B’nai Yehuda Beth Sholom, Homewood, IL<br />

6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

sowie Seminarräume für die Rabbiner- und<br />

Kantorenausbildung Platz finden. Auch eine kleine<br />

Synagoge, eine Bibliothek und sogar eine<br />

Wohnung für Gastprofessoren kommen in der<br />

Planung unter. Die Konditionen sind sehr günstig<br />

– vorausgesetzt, die Sanierungskosten werden<br />

durch den Nachnutzer aufgetrieben. Ob dies ge -<br />

lingt, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.<br />

Das Projekt sollte eigentlich erst 2012 umgesetzt<br />

werden. Letzten Monat stellte sich dann heraus,<br />

dass es viel schneller gehen kann. Deshalb steht<br />

das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> schon 2009 vor Pla -<br />

nungskosten von € 300.000. Im Jahr 2010 würde<br />

dann die Sanierung beginnen. Das ist ein straffer<br />

Zeit plan, der mitten in die Verhandlungen zum<br />

Bun deshaushalt 2009 platzt. Da ist die Flexibi -<br />

Eine Standortfrage<br />

“I join Jewish leaders worldwide in asking you to<br />

use your influence within cabinet to encourage<br />

the Federal government to find positive resolution<br />

on this issue and to support a permanent<br />

site for <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College. As the Federal<br />

government has already significantly funded a<br />

new building for Heidelberg’s Hochschule für<br />

Jüdische Studien, it is my sincere hope that the<br />

Federal Republic of Germany will show similar<br />

financial and symbolic support of the <strong>Abraham</strong><br />

<strong>Geiger</strong> College, Germany’s first rabbinic seminary<br />

since the Holocaust. By embracing this exceptional<br />

opportunity to house the college in an historic<br />

building close to its university, the Federal<br />

government has the opportunity to signal the<br />

world just how greatly it values Jewish communities<br />

in Germany and internationally.”<br />

Rabbiner David N. Saperstein, The Religious<br />

Action Center, Washington, D.C.<br />

„Es ist eine Investition in ein Haus, das in<br />

Staats besitz bleibt und zum einmaligen Ensem -<br />

ble der Parklandschaft Sanssouci gehört. Das<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> wäre als durch den Bund<br />

geförderte Einrichtung der ideale Nachnutzer,<br />

weil es die Anbindung an die dort befindliche<br />

Universität dringend benötigt. Im Vergleich zu<br />

den hohen Aufwendungen des Staates für die<br />

theologischen Fakultäten in Deutschland ist die<br />

Sanierung dieses Hauses ein moderater Wunsch.<br />

Bitte helfen Sie, dass Deutschlands Rabbiner -<br />

seminar dort 2010 wird einziehen können.“<br />

Die Allgemeine Rabbinerkonferenz Deutschlands<br />

(ARK)


lität der Politiker gefragt, um eine einmalige<br />

Chance beim Schopf zu packen.<br />

Deshalb hat das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> die Ge -<br />

spräche darüber mit dem Bund forciert. Denn es<br />

geht in den kommenden beiden Haushaltsjahren<br />

um drei Millionen Euro an Bundesmitteln, damit<br />

alles klappt. Der erste Vorstoß bei Staatsminister<br />

Bernd Neumann, der den Bund in der Stiftung<br />

Preußische Schlösser und Gärten vertritt, war im<br />

April nicht von Erfolg gekrönt. Das Gebäude hat<br />

im Masterplan für die Restaurierung der Park -<br />

landschaft Park Sanssouci keine Priorität.<br />

Politiker aller Parteien haben sich mittlerweile<br />

hinter das Projekt gestellt, darunter Dieter<br />

Wiefelspütz (SPD), Thomas Rachel (CDU), Max<br />

Stadler (FDP), Ingrid Fischbach (CDU) Bodo<br />

<strong>Kescher</strong><br />

mit großer Außenwirkung<br />

“The precedent has already been set by the substantial<br />

support of the new building that houses<br />

the ‚Hochschule für Jüdische Studien“ in Heidel -<br />

berg. While this is surely a seminary worthy of<br />

support, it does not train Liberal rabbis for<br />

Germany. We would certainly hope that the<br />

government would not deny equivalent support<br />

for rabbis and cantors in the Liberal movement.”<br />

Rabbiner Samuel E. Karff, Congregation Beth<br />

Israel, Houston, Texas<br />

„Wir sind eine Gemeinde, die mit einem der<br />

ersten in Deutschland ausgebildeten Rabbinen<br />

gearbeitet hat, und wissen um die Dringlichkeit<br />

der rabbinischen Versorgung auch kleinerer Ge -<br />

meinden. Bitte, helfen Sie.“ Sara-Ruth Schuman,<br />

Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Olden -<br />

burg und Mitglied im Direktorium des Zentralrats<br />

der Juden in Deutschland<br />

“The <strong>Geiger</strong> College through ist graduates wishes<br />

to continue to make a significant contribution to<br />

the renewal of Jewish life in Germany and<br />

German life generally. The insititutional funding<br />

which the Federal government has granted is a<br />

clear sign of this. Therefore, I’m joining others to<br />

ask you to encourage Federal government to support<br />

the project for a permanent site for Abra -<br />

ham <strong>Geiger</strong> College.”<br />

Rabbiner Martin S. Weiner, Past President of the<br />

Central Conference of American Rabbis,<br />

Congregation Sherit Israel, San Francisco, CA.<br />

Ramelow (DIE LINKE) und Volker Beck (Grüne).<br />

Auch das Auswärtige Amt neigt zu einer schnellen<br />

Realisierung. Bundesaußenminister Stein -<br />

meier erhielt Unterstützerschreiben des Präsi -<br />

denten der Zentralkonferenz amerikanischer<br />

Rabbiner, von führenden Rabbinern der großen<br />

Synagogen ge meinden der USA, aber auch von<br />

den Nachfah ren von Rabbiner Leo Baeck. Die großen<br />

Kirchen wiesen zu Recht darauf hin, dass<br />

angesichts der staatlichen Aufwendungen für die<br />

christliche Theologenausbildung auch die Rabbi -<br />

neraus bildung in Deutschland angemessen ausgestattet<br />

und untergebracht werden solle. Dieses<br />

Argu ment wiegt umso schwerer, als die Hoch -<br />

schu le für Jüdische Studien in Heidelberg mit<br />

Hilfe des Bundes gerade einen Neubau finanziert<br />

bekommen hat. Das bringe den Bund gegenüber<br />

„Damit dieses Haus direkt an der Universität<br />

Potsdam wirklich durch das <strong>Kolleg</strong> genutzt werden<br />

kann, ist die Hilfe des Bundes notwendig.“<br />

Katarina Seidler, Vorsitzende des Landesver bandes<br />

der Israelitischen Kultusgemeinden von Nieder -<br />

sachsen und Mitglied im Direktorium des Zentral -<br />

rats der Juden in Deutschland<br />

“It is my fervent hope that you will be able to<br />

encourage your colleagues in the Federal Gover -<br />

nment to support, with appropriate funding, this<br />

project that will give the <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College<br />

a permanent site. It will be both a significant<br />

symbol and an unequivocal statement that the<br />

Federal Republic of Germany looks, with pleasure,<br />

upon the religious and cultural revival of<br />

Jewish life in its land.”<br />

Rabbiner Dr. Ronald B. Sobel, Senior Rabbi<br />

Emeritus, Congregation Emanu-El, New York, NY<br />

“Today, the <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College trains rabbis<br />

for Germany, Eastern Europe and the former<br />

Soviet Union, the French speaking world and<br />

countries as far as South Africa. […] It would<br />

send the wrong signal in Germany as well as<br />

internationally, if the first rabbinic seminary in<br />

the new Germany, heir to the pre-Holocaust<br />

Hochschule für die Wissenschaft des Judentums,<br />

remained in rented office space at Berlin Kant -<br />

straße, over the Paris Bar.”<br />

Rabbiner Steven Z. Leder, Wilshire Boulevard<br />

Temple, Los Angeles, CA<br />

➳<br />

der liberalen Richtung in Zugzwang, meinen die<br />

Allgemeine Rabbinerkonferenz und auch mehrere<br />

Direktoriumsmitglieder des Zentralrats der<br />

Juden in Deutschland. Allen gemeinsam ist der<br />

Wunsch, der Bund möge doch mithelfen, dass das<br />

Rabbi nerseminar in Potsdam ein würdiges Haus<br />

erhält, nachdem die Hochschule für die Wissen -<br />

schaft des Judentums in Berlin 1942 durch deutsche<br />

Hand zerstört worden ist. Jetzt ist vor allem<br />

der Haus haltsausschuss des Deutschen Bundes -<br />

tags ge fragt. Er fällt die Entscheidung, ob der<br />

Bund 2009 und 2010 die Mittel für Erstaus stat -<br />

tung und Sanierung bereitstellen kann. Dazu<br />

kommt noch ein Beitrag des Landes Branden -<br />

burg. Ministerin Wanka signalisierte bereits im<br />

April, an der Realisierung mitwirken zu wollen.<br />

Ein guter Anfang.<br />

Das nördliche Kastellangebäude am Neuen<br />

Palais Potsdam könnte schon 2010 das<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> beherbergen. Foto © AGK<br />

Bild linke Seite: Im heutigen Leo-Baeck-Haus,<br />

dem Sitz des Zentralrats der Juden in<br />

Deutschland, befand sich bis 1942 die<br />

Hochschule für die Wissenschaft des<br />

Judentums. Foto © privat<br />

5


6<br />

„Ihnen sind sicherlich die Investitions- und<br />

Unterhaltungskosten für theologische Hochschu -<br />

len oder Priesterseminare bekannt. Leider verfügen<br />

wir als jüdische Gemeinschaft nicht auch nur<br />

annähernd über derartige finanzielle Ressourcen<br />

für die Ausbildung unserer geistigen Führung,<br />

und ein nachhaltig gesichertes jüdisches Leben<br />

ist bis auf weiteres daher nur mit staatlicher<br />

Unterstützung möglich. […] Es ist darüber hinaus<br />

auch dringend erforderlich, auch nach außen<br />

zu verdeutlichen, dass jüdisches Leben nicht nur<br />

in neuen Synagogen – so wichtig es auch ist -,<br />

sondern auch im Ausbildungsbereich in Deutsch -<br />

land einen hohen Stellenwert hat. Die einmalige<br />

Chance dazu ist nun gegeben.“ Heinrich C. Olmer,<br />

Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde<br />

Bamberg und Mitglied im Direktorium des<br />

Zentralrats der Juden in Deutschland<br />

<strong>Kescher</strong><br />

“Last October, I brought 30 of our major donors<br />

to Berlin to tour and witness Germany’s incredible<br />

cultural and educational creativity. We met<br />

with <strong>Geiger</strong> College’s leadership which, with your<br />

support, has undergone tremendous development,<br />

acknowledged internationally. The College<br />

has become an indispensable training tool for<br />

the worldwide Jewish community and a wonderful<br />

ambassador for Germany to the world. […] I<br />

hope the Minister Neumann and Federal Republic<br />

of Germany do not miss this unique opportunity<br />

to house <strong>Geiger</strong> College in an historic building<br />

close to its university.”<br />

Rabbiner Peter J. Rubinstein, Senior Rabbi,<br />

Central Synagogue, New York, NY<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt<br />

Potsdam möchte ich die jüdische Gemeinschaft<br />

der Stadt und der Region sehr herzlich zum<br />

Neujahrsfest Rosch Haschana beglückwünschen.<br />

Ich verbinde diese Gratulation mit den besten<br />

Wünschen für das persönliche Wohlergehen aller<br />

Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens und<br />

für ein glückliches und erfülltes Leben in Pots -<br />

dam. Ihnen allen wünsche ich ein gesundes und<br />

vor allem friedliches neues Jahr 5769.<br />

Die jüdische Gemeinschaft Potsdams ist in den<br />

vergangenen Jahren zu einem festen, nicht mehr<br />

wegzudenkenden Bestandteil des gesellschaftlichen<br />

Lebens in unserer Stadt geworden. Mit mir<br />

freuen sich viele Bürgerinnen und Bürger darüber,<br />

dass jüdisches Leben heute wieder deutlicher<br />

als je zuvor in Potsdam erfahrbar ist.<br />

Davon zeugen u.a. eine jüdische Kindertages -<br />

stätte, die vielfältigen Aktivitäten der Jüdischen<br />

Gemeinde und die leistungsfähige Sozial- und<br />

Integrationsberatung in der Landeshauptstadt.<br />

Integration, Toleranz und der sich der Verantwor -<br />

tung bewusste Umgang mit der deutschen Ver -<br />

gangenheit bilden tragende Säulen des beide<br />

Seiten bereichernden Zusammenlebens. Gerade<br />

das Gedenken an die einstige Rolle der Juden in<br />

Potsdam hat in diesem Jahr durch die Verlegung<br />

der Stolpersteine neue Nahrung bekommen.<br />

6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

Möchten Sie regelmäßig Informationen über das<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> und über liberales Juden -<br />

tum im deutschsprachigen Raum beziehen?<br />

Für eine Mindestspende von €15,- schicken wir<br />

Ihnen die nächsten vier Ausgaben von <strong>Kescher</strong><br />

gerne per Post zu.<br />

Unser Spendenkonto:<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong><br />

Konto Nr. 108 3039<br />

Deutsche Bank 24 Berlin<br />

BLZ 100 700 24<br />

Von besonderer Bedeutung für die Ausstrahlung<br />

jüdischen Lebenswillens ist das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

<strong>Kolleg</strong>, das zur Universität Potsdam gehört. Ich<br />

bin sehr froh darüber, dass durch die Ausbildung<br />

von Rabbinern an diesem Institut der gute Name<br />

Potsdams in der Welt einen besonderen und verpflichtenden<br />

Beiklang erhält. Es wird mir eine<br />

Freude sein, das <strong>Kolleg</strong> im nächsten Jahr, dem<br />

10. seines Bestehens, endlich in einem festen<br />

Domizil in Potsdam begrüßen zu können.<br />

Mit großem Interesse habe ich zur Kenntnis ge -<br />

nommen, dass das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> um ein<br />

Jewish Institute of Cantorial Arts erweitert worden<br />

ist. Das ist für mich nicht nur ein weiterer<br />

Beitrag zur Ausgestaltung jüdischen Lebens in<br />

aller Welt, sondern zugleich ein wichtiger Schritt<br />

zur Bewahrung jahrtausendealten Kulturgutes<br />

der Menschheit. Auch deshalb wünsche ich dem<br />

neuen Studiengang für Kantorinnen und Kan -<br />

toren viel Erfolg.<br />

Ihnen allen nochmals ein friedliches neues Jahr.<br />

Jann Jakobs<br />

Oberbürgermeister der Landeshauptstadt<br />

Potsdam


<strong>Kescher</strong><br />

Hin zu einem Gesetz des Friedens<br />

Im Bild: Prinz Hassan bin Talal und Prinzessin<br />

Sarvath mit Bundesminister des Inneren, Dr.<br />

Wolfgang Schäuble. Im Hintergrund v. li.n.re.<br />

Bischof Prof. Dr. Wolfgang Huber (Ratsvorsitzen -<br />

der der EKD), Nathan Kalmanowicz (Zentralrat<br />

der Juden in Deutschland) und Dr. Josef Joffe<br />

(Kuratoriums vor sitzen der des AGKs). Rechts der<br />

brandenburgische Innen minister Jörg Schönbohm<br />

Foto © M. Schmidt<br />

<strong>Abraham</strong>-<strong>Geiger</strong>-Preis 2008: Prinz Hassan bin Talal<br />

plädiert für ein Miteinander / von Hartmut Bomhoff<br />

Staatsminister Dr. Markus Söder konnte am 4.<br />

März in Berlin eine ungewöhnliche Besucher -<br />

schar empfangen. Über 400 prominente Gäste<br />

aus Politik, Kultur und Gesellschaft, darunter<br />

zahlreiche Mitglieder des deutschen Hochadels<br />

und des diplomatischen Corps, Vertreter der<br />

Kirchen und der jüdischen Gemeinschaft waren<br />

anlässlich der Auszeichnung von Prinz Hassan<br />

bin talal von Jordanien mit dem <strong>Abraham</strong>-<br />

<strong>Geiger</strong>-Preis 2008 in die Bayerische Vertretung<br />

gekommen. Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>, das erste<br />

Rabbiner semi nar in Deutschland nach der Schoa,<br />

ehrt mit diesem mit € 10.000,- dotierten Preis<br />

alle zwei Jahre Persönlichkeiten, die sich um den<br />

Pluralis mus verdient gemacht haben – ein<br />

Stichwort, das der Preisträger in seiner Dankes -<br />

rede sogleich aufgriff: „Um es mit den Worten<br />

von Imam Shatibi zu sagen: ,Nu’adhem al-juwaa-<br />

me’ wa nahtarem al-furooq’– wir betonen die<br />

Gemein samkeiten und respektieren gleichzeitig<br />

die Unterschiede. Ich rede hier keinesfalls<br />

Gegen überstellungen oder einer Synthese das<br />

Wort. Ich bevorzuge es, durch Analogieschlüsse<br />

zu lernen, was Einfühlungsvermögen und die<br />

Fähigkeit erfordert, nicht nur hin-, sondern auch<br />

zuzuhören. Wir alle haben – Gott weiß - genug<br />

Monologe über den Dialog ertragen.“<br />

Zuvor hatte der Bundesminister des Inneren,<br />

Wolfgang Schäuble, Prinz Hassan bin Talal ausführlich<br />

gewürdigt. „Ihr Wort hat Gewicht“, sagte<br />

er an ihn gewandt. „Kaum einer kennt sich mit<br />

dem Zusammenleben von Muslimen, Christen und<br />

Juden in Theorie und Praxis so gut aus wie Sie“.<br />

Und weiter: „Persönlichkeiten wie <strong>Abraham</strong><br />

<strong>Geiger</strong> und Prinz El Hassan bin Talal machen uns<br />

7


8<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Ein Zeichen für das globale<br />

Miteinander Hans Küng erhält den<br />

<strong>Abraham</strong>-<strong>Geiger</strong>-Preis 2009<br />

Mit Prof. Dr. Hans Küng wird einer der international<br />

be deutendsten katholischen Theologen der<br />

Gegen wart geehrt. Der Preis wird am 18. Juni<br />

2009 in Berlin verliehen; Laudator ist Bundes -<br />

tags präsi dent Dr. Norbert Lammert. Zu den<br />

Preisträgern der letzten Jahre zählten S.K.H.<br />

Prinz Hassan bin Talal von Jordanien, Karl Kar -<br />

dinal Lehmann, Alfred Grosser, Emil Fackenheim<br />

und Susannah Heschel. Das Preisgeld von<br />

€ 10.000.- soll für einen Studienfonds verwendet<br />

werden, der Studierenden des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

<strong>Kolleg</strong>s interreligöse Erfahrungen ermöglicht.<br />

Hans Küng hat durch sein Werk „Das Judentum“<br />

eine der überzeugendsten Monographien über<br />

das Judentum als Weltreligion geschaffen. Die<br />

Einsicht, dass eine Gesellschaft keine Einheits -<br />

religion oder -ideologie braucht, wohl aber verbindliche<br />

Normen, Werte, Ideale und Ziele über<br />

Religionsgrenzen hinweg inspirierte ihn zu seinem<br />

Buch „Projekt Weltethos“. Damit kam er der<br />

Forderung des Judentums sehr nahe, jede Reli -<br />

gion zu respektieren, solange sie einen Grund -<br />

werte kanon vertritt, der das menschliche Zusam -<br />

menleben und die Menschenrechte an sich fördert<br />

und schützt.<br />

Noch auf die Empfehlung des vor einem Jahr verstorbenen<br />

jüdischen Religionsphilosophen Ernst<br />

Ludwig Ehrlich hin hat sich die Jury des<br />

<strong>Abraham</strong>- <strong>Geiger</strong>-Preises entschlossen, Professor<br />

Küng für sein Lebenswerk den <strong>Abraham</strong>-<strong>Geiger</strong>-<br />

Preis im Jubiläumsjahr 2009 anzutragen: „Als<br />

Präsident der Stiftung Weltethos haben Sie ein<br />

Zeichen gesetzt, wie das globale Miteinander<br />

gelingen kann, jenseits aller religiöser Schran -<br />

ken. Sie haben Ihren Glauben lebenslang in<br />

Freiheit gelehrt und vertreten. In Ihrem Buch<br />

über das Judentum ist Ihnen eine wertvolle und<br />

wesentliche Analyse gelungen, die innerhalb des<br />

Juden tums Anstöße gegeben hat und weit darüber<br />

hinaus Wirkung entfalten konnte.“<br />

Foto: Homolka<br />

Der Preis erinnert an den großen Denker des<br />

liberalen Judentums, <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> (1810-<br />

1874), dem drei Prinzipien wichtig waren: die<br />

Freiheit des Gewissens und des Glaubens, die<br />

Freiheit der Forschung und Lehre sowie die<br />

Meinungsfreiheit aller Menschen. Der <strong>Abraham</strong>-<br />

<strong>Geiger</strong>-Preis würdigt Verdienste um das Juden -<br />

tum in seiner Vielfalt. Er wurde im Jahr 2000<br />

anlässlich der Eröffnung des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

<strong>Kolleg</strong>s geschaffen. Mit ihm zeichnet unser<br />

Rabbinerseminar Menschen aus, die sich um den<br />

Pluralismus verdient gemacht haben: Offenheit,<br />

Mut, Toleranz und Freiheit jüdischen Denken als<br />

Ertrag der Aufklärung sollen damit als Grundlage<br />

für den Umgang von Juden miteinander ebenso<br />

gewürdigt werden wie in den Beziehungen mit<br />

unserem nichtjüdischen Umfeld.<br />

6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

Prinz Hassan bin Talal mit Landesrabbiner Jonah<br />

Sievers (Allgemeine Rabbinerkonferenz<br />

Deutschlands) beim Moschee-Besuch in Berlin<br />

Foto © W. Kumm<br />

Fortsetzung von Seite 7 vor, wie ein fruchtbarer<br />

Dialog zwischen Islam, Judentum und Christen -<br />

tum aussehen kann. Nur wenn uns dieser Aus -<br />

tausch gelingt, werden unsere Gesellschaften<br />

offen sein für Zuwanderer anderer Religionen,<br />

Kulturen und Ethnien in ihrer Mitte.“<br />

„Unsere Verantwortung ist es heute, dass dieser<br />

Artikel und die gesamte internationale Men -<br />

schen rechtsgesetzgebung allgemein und vorurteilslos<br />

angewendet werden“, entgegnete der<br />

Prinz. „In diesem Geist nehme ich diese Aus -<br />

zeichnung heute entgegen. Als Muslime, Juden<br />

und Chris ten unterliegen wir alle dem gemeinsamen<br />

Erbe des spirituellen Dienstes unter ein und<br />

demselben Gott. Leider teilen wir auch die Sünde<br />

der Abweichung von den wahren Grundlagen des<br />

Glaubens. Ironischerweise untergraben viele<br />

Personen in dem Bemühen, die Traditionen und<br />

Sitten unserer gemeinsamen Zivilisation zu<br />

bewahren, die Grundfesten, auf denen sie aufgebaut<br />

wurde. Die Kinder <strong>Abraham</strong>s sind von ihrem<br />

Weg abgekommen.“<br />

Prinz Hassan beließ es in seiner auf Deutsch<br />

gehaltenen Dankesrede für den Preis, der ihm<br />

vom Vorsitzenden des Kuratoriums des <strong>Abraham</strong><br />

<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s, Josef Joffe, und vom Stifter des<br />

Preisgeldes, Karl-Hermann Blickle, übergeben<br />

worden war, nicht bei schönen Worten: „In den<br />

ersten Jahren dieses neuen Jahrtausends hat die<br />

Menschheit eine Welt geschaffen, in der von egoistischen<br />

Politikern und aufgebrachten Massen<br />

die Unterschiede zelebriert werden. In diesem<br />

Zeitalter des inhaltslosen Geredes und der<br />

Schön färberei sind wir weniger geneigt zu glauben,<br />

dass es in der Geschichte unserer Völker<br />

noch mehr Gemeinsamkeiten gibt als Kampf und<br />

Trennung. Unsere gemeinsamen Traditionen können<br />

uns jedoch noch so viel mehr lehren. […] In<br />

der Tat hat mich mein tief empfundenes Bewusst -<br />

sein für unser gemeinsames Erbe veranlasst, zu<br />

einer Anerkennung der moralischen und philosophischen<br />

Autorität der heiligen Stätten und<br />

Städte aufzurufen. Die religiöse Autorität muss<br />

über die weltliche erhoben werden. Die zivilisatorischen<br />

Bindungen, die in uns allen gegenüber<br />

diesen einzigartigen Bauwerken bestehen, müssen<br />

zu der Forderung führen, dass diese nicht zu<br />

Faustpfändern in politischen und ideologischen<br />

Kämpfen werden dürfen“.<br />

„Jede Religion zelebriert das Konzept der ‚Wahr -<br />

heit’ im Glauben. Doch für jeden aufgebrachten<br />

Gläubigen, der sich nicht die Zeit genommen hat,


um seiner Seele Nahrung zu geben und sein spirituelles<br />

Erbe zu untersuchen, verliert die Wahr -<br />

heit ihre Bedeutung, und die Gewalt wird sanktioniert.<br />

Gewalt und Glauben sind für Juden und<br />

Muslime unvereinbare Gegensätze, und durch<br />

eine Entstellung des Glaubens gerechtfertigte<br />

Gewalt ist vielleicht die größte Bedrohung für<br />

den Frieden in unserer Region und unserer Welt.“<br />

„In einem neuen, bereits durch tragische Kon -<br />

flikte gezeichneten Jahrhundert müssen wir uns<br />

den Glauben an unsere Fähigkeit bewahren, die<br />

unzähligen Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert<br />

sind, zu bewältigen. Uns steht ein Erbe<br />

der Hingabe und Entdeckung zur Verfügung, das<br />

uns durch diese dunkleren Tage geleitet. […] Wir<br />

leben in einer Welt, die immer mehr durch das<br />

Gesetz des Krieges geprägt wird, das einer zum<br />

Schweigen gebrachten Mehrheit kaum Zuge -<br />

ständ nisse einräumt. Mit der Hilfe unserer kollektiven<br />

Weisheit – der Anthropologie des<br />

Wissens – können wir jedoch, wie ich hoffe, alle<br />

unseren Beitrag leisten, um, mit den Worten von<br />

Hersch Lauterpacht, ein Gesetz des Friedens zu<br />

schaffen, das die Beziehungen zwischen Staaten<br />

und Menschen regelt, um eine positive Position<br />

im Kontext unseres Glaubens nicht nur in Bezug<br />

auf den einzelnen Menschen, sondern auch auf<br />

<strong>Kescher</strong><br />

unsere kollektive Verantwortung zu bestimmen,<br />

und um im Rahmen der Globalisierung Gerechtig -<br />

keit und Menschlichkeit zu gewährleisten, die zu<br />

gegenseitiger Zusammenarbeit, Weltoffenheit<br />

und letztlich zu Konvivialität führen.“<br />

Anzeige<br />

Zu Beginn der Festveranstaltung hatten neben<br />

dem Hausherrn, dem bayerischen Staatsminister<br />

für Bundes- und Europaangelegenheiten und<br />

Bevollmächtigten des Freistaats Bayern beim<br />

Bund, Dr. Markus Söder, auch der Kultusdezer -<br />

nent des Zentralrats der Juden in Deutschland,<br />

Nathan Kalmanowicz, und der Sprecher des Ko -<br />

ordinie rungsrates der Muslime in Deutschland,<br />

Bekir Alboga, die Gäste begrüßt. Zwei Tage nach<br />

der Verleihung des <strong>Abraham</strong>-<strong>Geiger</strong>-Preises be -<br />

suchte Prinz Hassan bin Talal auf Einladung des<br />

Koordi nierungsrates, der sich aus Vertretern von<br />

DITIB, Islamrat, dem Verband der Islamischen<br />

Kultur zen tren und dem Zentralrat der Muslime in<br />

Deutschland zusammensetzt, die Berliner Sehit -<br />

lik-Moschee, wo er vom DITIB-Präsidenten Sadi<br />

Arslan empfangen wurde. Bei der Unter redung im<br />

Anschluss an das Mittagsgebet traf Prinz Hassan<br />

auch mit Rabbinerin Dr. Dalia S. Marx (Jerusa -<br />

lem), die derzeit an der Universität Pots dam<br />

unterrichtet, sowie mit Rabbiner Jonah Sievers<br />

(Braun schweig) als Vertreter der Allge meinen<br />

Rabbiner konferenz Deutschlands zusammen.<br />

„Wir freuen uns sehr über die Begegnung mit den<br />

Prinzen“, so Bekir Alboga. „Er ist ein großer<br />

Fürsprecher des Dialogs der Kulturen, insbesondere<br />

zwischen Judentum und Islam.“ Red.<br />

9


10<br />

Am 30. September beginnt für unsere jüdischen<br />

Mitbürger das Jahr 5769, und ich kann meinen<br />

herzlichen Glück wunsch zu diesem festlichen Tag<br />

verbinden mit einer Gratulation.<br />

Erstmals seit dem Holocaust wird das <strong>Abraham</strong><br />

<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> an der Universität Potsdam wieder<br />

Kantoren für jüdische Gottesdienste ausbilden.<br />

Dies ist ein besonderer Grund zur Freude. Unsere<br />

brandenburgische Landeshauptstadt wird damit<br />

europaweit die einzige derartige Lehrstätte<br />

beherbergen. Es erfüllt mich mit Dankbarkeit,<br />

dass am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> auf so herausragende<br />

Weise junge Menschen auf ihre musikalische<br />

Arbeit sowie das Leiten von Gemeinden und<br />

Gottesdiensten vorbereitet werden.<br />

Zugleich verdeutlicht dies, welche Fortschritte es<br />

hierzulande in den letzten Jahren gegeben hat:<br />

Potsdam gewinnt seinen guten Ruf als Stätte von<br />

Wissenschaft und Kultur, als Ort von Forschung<br />

und Lehre und als Heimstatt auch für jüdisches<br />

Leben zurück. Damit beweist sie Weltoffenheit<br />

und Wertschätzung religiöser Traditionen.<br />

Mein Glückwunsch gilt dem <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

<strong>Kolleg</strong>. Er gilt Ihnen, den Leserinnen und Lesern<br />

in Europa und Übersee. Und er gilt denjenigen<br />

jüdischen Gemeinden, die sich auf den künftigen<br />

Dienst der Kantoren aus Potsdam freuen können.<br />

Matthias Platzeck<br />

Ministerpräsident des Landes Brandenburg<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Kultus und Kultur<br />

„Synagogen sind Orte, an denen beides vermit -<br />

telt wird: Kultus und Kultur“, sagte der Berliner<br />

Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Tech -<br />

nologie und Frauen, Harald Wolf (DIE LINKE)<br />

anlässlich der Eröffnung der 22. Jüdischen Kul -<br />

turtage am 13. September in der Synagoge<br />

Rykestraße. „Und gerade von einem so großen<br />

und schönen Haus wie diesem wünscht man sich,<br />

dass es zu einem Zentrum des jüdischen geistigkulturellen<br />

Lebens wird. Dazu ist es wichtig, dass<br />

nicht nur Rabbinerinnen und Rabbiner hier in der<br />

Hauptstadtregion ausgebildet werden, sondern<br />

jetzt auch Kantorinnen und Kantoren, die mit<br />

ihrem Gesang die Herzen der Menschen erreichen<br />

und ihren Glauben festigen.“ Das Eröffnungs -<br />

kon zert der Kulturtage fand dieses Jahr in Zu -<br />

sammenarbeit mit dem <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong><br />

statt; unser Kantorenausbildungsprogramm, das<br />

Jewish Institute of Cantorial Arts (JICA) soll<br />

dazu beitragen, den eklatanten Mangel an qualifizierter<br />

Gemeindeleitung beheben zu helfen.<br />

„Mein Dank gilt allen, die sich für die Errichtung<br />

des Jewish Institute of Cantorial Arts eingesetzt<br />

haben“, sagte Wolf auch im Namen des Regie -<br />

renden Bürgermeisters von Berlin, Klaus<br />

Wowereit.<br />

Im Mittelpunkt dieses Konzertes stand der<br />

durch komponierte Gottesdienst „Arvit LeShab -<br />

bat“ des 1922 in Breslau geborenen israelischen<br />

Komponisten Yehezkel Braun für Kantor, Chor<br />

und Orchester. Es sang Kantorin Mimi Sheffer, die<br />

JICA-Programmdirektorin, die vom Ernst-Senff-<br />

Chor und dem Hamburger Ensemble Resonanz<br />

unter der Leitung von Hans Rotman begleitet<br />

wurde. Vom 12. bis 14. September waren zudem<br />

auch zwölf prominente Kantoren aus aller Welt in<br />

Berlin zu Gast, um Konzerte, Gottesdienste und<br />

Workshops zu gestalten, die in drei Berliner<br />

Synagogen stattfanden. Beim Abschlusskonzert<br />

in der Synagoge Pestalozzistraße präsentierten<br />

sie am 14.09. ihren 700 Zuhörern „Highlights der<br />

Chasanut“, nämlich Werke von Lewandowski,<br />

Sulzer, Avery, Ganchoff und vielen anderen mehr.<br />

Den Auftakt machte Shiru Ladoshem Shir Cha -<br />

dasch, „Singet dem Herrn ein neues Lied“ von<br />

Lawrence Avery. Darauf folgte das Torat Adonai<br />

von Louis Lewandowski (1821-1894), dessen<br />

liturgische Musik in der Synagoge Pestalozzi -<br />

straße Schabbat für Schabbat vom Synagogal -<br />

ensemle Berlin unter Leitung von Regina Yantian<br />

zum Klingen gebracht wird. Dass diese Tradition<br />

in Berlin bis heute lebendig geblieben ist, ist<br />

nicht zuletzt dem unvergessenen Oberkantor<br />

Estrongo Nachama (1918-2000) zu verdanken.<br />

Sein Sohn, Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama,<br />

war einer der ersten Befürworter von JICA:<br />

„Unsere Gemeinden in Deutschland brauchen<br />

solche Kantoren mit pädagogischer Bildung.<br />

Damit ist eine entscheidende Weiche auf dem<br />

Weg in die Zukunft jüdischer Gemeinden in<br />

Deutschland und Europa gestellt.“<br />

Kantor Richard Cohn (Dallas, Texas) trug in der<br />

Synagoge Pestalozzistraße ein Grußwort von<br />

Kantorin Kay Greenwald vor, der Präsidentin der<br />

American Conference of Cantors: „Heute ist ein<br />

ganz besonderer Tag für mich, ein ganz besonderer<br />

Tag für die Juden in Deutschland, in Europa,<br />

ja in der Welt. Mit dieser Schule, dem Jewish<br />

Institute of Cantorial Arts, sehen wir eine Wie -<br />

dergeburt des liberalen Judentums in eben<br />

jenem Land, in dem vor zweihundert Jahren alles<br />

begann. Die American Conference of Cantors“, so<br />

ihre Präsidentin, „hofft, dass wir in den kommenden<br />

Jahren im regen Dialog und Austausch<br />

miteinander sein werden. […] Ein Kantor in heutiger<br />

Zeit unterscheidet sich sehr von einem<br />

Kantor von früher. Nicht nur eine schöne Stimme<br />

und musikalisches Talent sind notwendig, auch<br />

eine tiefe Kenntnis des Judentums und der<br />

hebrä ischen Sprache. Der Kantor braucht weiterhin<br />

ein offenes mitfühlendes Herz sowie die<br />

Fähigkeiten eines Lehrers.“ Richard Cohn schloss<br />

mit Blick auf die künftigen Kantoren „,made in<br />

Potsdam“ mit den Worten: „ In den USA ist der<br />

Kantor heute ein vollständiges Mitglied der<br />

Geist lichkeit der jüdischen Gemeinde, an der<br />

Seite unserer Rabbiner. Die Aufgabe und das<br />

Leben des Kantors sind sehr erfüllend – wir freuen<br />

uns, dass Ihr diese Reise nun beginnen werdet!<br />

Mechayil el chayil!


6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

In Deutschland gibt es erstmals seit der Schoa wieder eine akademische<br />

Berufsausbildung für jüdische Kantoren / von Hartmut Bomhoff<br />

Z U G A S T<br />

I N B E R L I N<br />

Foto © Homolka<br />

RICHARD COHN MO GLAZMAN BENJAMIN MAISSNER<br />

Temple Emanu-El, Dallas, Texas Cantor and Director of Arts Holy Blossom Temple<br />

Immediate Past-President, Congregation Kol Ami Toronto, Ontario<br />

American Conference of Cantors in White Plains, NY<br />

11<br />

Die Kantorenausbildung umfasst vier Jahre: Ein<br />

dreijähriger BA in Jüdischen Studien und Musik -<br />

wissenschaften an der Universität Potsdam und<br />

ein viertes Jahr vertiefender Studien am JICA.<br />

Das Hebrew Union College – Institute of Jewish<br />

Religion (Jerusalem) ist mit seiner School of<br />

Sacred Music als Kooperationspartner daran<br />

beteiligt. Die Studenten werden das erste Jahr in<br />

Jerusalem absolvieren; die Ausbildung beginnt<br />

formell im Oktober 2009, doch vier Studenten<br />

haben bereits vorbereitende Studien aufgenommen.<br />

Anstoß für diese Ausbildung war die<br />

Partnerschaft mit der amerikanischen Bres lauer<br />

Foundation, die $ 300.000.- zur Errichtung des<br />

Kantorenseminars beigetragen hat. Die Bun -<br />

desregierung fördert JICA mit jährlich<br />

€ 100.000.-, auch der Zentralrat der Juden in<br />

Deutschland gibt Zuschüsse. Die Vorsitzende der<br />

Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Lala Süsskind,<br />

sprach bei dem Eröffnungskonzert in der Syna -<br />

goge vor den weit über 1.000 Gästen davon, dass<br />

diese Kul turtage einen Bogen schlagen zwischen<br />

Israel und Deutschland. Nicht weniger wichtig ist<br />

der Brückenschlag zwischen Jüdischer Gemeinde<br />

und <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>: „Ich würde mir wünschen,<br />

dass wir uns bei künftigen Jüdischen<br />

Kulturtagen vermehrt an Stimmen erfreuen können,<br />

die an diesem Institut ausgebildet wurden“,<br />

sagte Bürgermeister Harald Wolf und sprach da -<br />

mit auch vielen Gemeindemitgliedern aus dem<br />

Herzen.<br />

MARK OPATOW JOYCE ROSENZWEIG BRUCE RUBEN, Ph.D Prof. Dr. ELIYAHU SCHLEIFER<br />

Springfield Avenue Temple Congregation Beth Simchat Torah Director, School of Sacred Director of Cantorial Studies<br />

Mobile, AL HUC-JIR and JTS, NY Music, HUC-JIR, NY HUC-JIR Jerusalem<br />

ELENA SCHWARTZ MARIANA SHEMESH YVON F. SHORE JOSEE WOLFF<br />

Temple Beth-El, Congregation Beth Israel Director of Liturgical Arts Director of Placement,<br />

The Monroe Temple Of Liberal Worcester, MA and Music School of Sacred Music<br />

Judaism, Monroe, NY HUC-JIR, Cincinnati, OH HUC-JIR, NY


12<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Judentum im Einklang<br />

mit der Moderne<br />

Anzeige<br />

Alle zwei Jahre treffen sich die europäischen Mit -<br />

gliedergemeinden der World Union for Progres -<br />

sive Judaism (WUPJ) zu einer Delegiertenver -<br />

sammlung, dieses Mal in Wien. Die 1990 gegründete<br />

liberale jüdische Gemeinde Or Chadasch, die<br />

seit einigen Jahren über eine eigene Synagoge in<br />

der Robertgasse in der Wiener Leopoldstadt verfügt,<br />

konnte bei der Tagung „Progressive Juda -<br />

ism: The Positive Choice“ über 250 Delegier te<br />

liberaler jüdischer Gemeinden aus 31 Ländern in<br />

Wien begrüßen, darunter mehr als 30 Rabbiner<br />

und Rabbinerinnen. Das Tagungsmotto hat eine<br />

gute Tradition: Schon 1844 hatten Reformer in<br />

Berlin gefordert: „Wir wollen positive<br />

Religion!“<br />

In Österreich selbst gibt es anders als in<br />

Deutsch land, Polen, Ungarn der Böhmen keine<br />

dezidiert liberale Tradition, weder im politischen,<br />

im wirtschaftlichen noch im religiösen Sinne,<br />

6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

Europa-Tagung der Weltunion für<br />

progressives Judentum in Wien /<br />

von Hartmut Bomhoff<br />

erklärte Theodor Much, der langjährige Präsident<br />

von Or Chadasch. Die Historikerin Martha Keil,<br />

Direktorin des Instituts für die Geschichte der<br />

Juden in Österreich, zeichnete in ihrem Referat<br />

„Imposed, Despised, Desired: The Jewish Liberal<br />

Reform in the Habsburg Monarchy 1782-1916“ die<br />

historische Entwicklung von den Toleranz paten -<br />

ten Joseph II. bis zu den innerjüdischen Gottes -<br />

dienstreformen nach, machte aber deutlich, dass<br />

wir mit unseren heutigen Definitionen von<br />

Liberalität, Gleichberechtigung und Demokratie<br />

keinen Zugang zur habsburgerischen Vergangen -<br />

heit finden. Die Obrigkeit schob damals vielen<br />

Neuerungen einen Riegel vor. Für das Jahr 1806<br />

zitierte Martha Keil aber einen Polizeibericht,<br />

„dass unter der alteingesessenen Wiener jüdischen<br />

Elite noch 19 Familienober häupter orthodox<br />

waren, 15 aber bereits nicht mehr koscher<br />

aßen und keine Kopfbedeckung trugen, aber<br />

doch am Schabbat den Gottesdienst besuchten.


Dieser konnte allerdings nur in Privatsynagogen<br />

stattfinden, die wichtigste bestand im Haus zum<br />

Weißen Stern, aus der noch Rimonim erhalten<br />

sind.“ Reformbemühungen blieben auf die private<br />

Sphäre beschränkt; der Orthodoxie galt aber<br />

auch schon der Wiener Stadttempel, der aufs<br />

Engste mit den Namen von Rabbiner Isak Noa<br />

Mannheimer( sein Ziel war die „Wiedergeburt<br />

eines zerfallenen, aufgelösten Volkes, die<br />

Wieder herstellung des reinen Gottes dienstes, der<br />

Einheit und Würde unserer unwissenden, verwahrlosten<br />

Glaubensgenossen“) und Kantor<br />

Salomon Sulzer, dem Begründer der modernen<br />

Synagogalmusik, verbunden ist, als zu liberal.<br />

„Sie zogen das Gebet in kleinen Stibln und später<br />

in eigenen Synagogen vor“, konstatierte Keil.<br />

„Dies hat sich bis heute nicht geändert.“<br />

Der Rektor des liberalen Hebrew Union College in<br />

Jerusalem, Rabbiner Michael Marmur, sprach den<br />

Ultraorthodoxen ihr liebgewonnenes Exklusiv -<br />

recht aufs Jüdischsein ab: allein schon ihre<br />

scheinbar traditionelle Kleidung sei kein Aus -<br />

druck besonderer Jüdischkeit oder von Authen -<br />

tizität, sondern eine altertümliche Tracht aus der<br />

Vormoderne, die besagt: „Hier ist der Punkt, an<br />

dem die Geschichte geendet hat.“ Man einem<br />

kamen dabei die Worte von Rabbiner Ignaz<br />

Maybaum in den Sinn: „Judentum, das hinter der<br />

Aufklärung zurückbleibt, gleicht einem Salto<br />

mortale in die Welt des Schulchan Aruch.“„<br />

Liberale Juden hingegen, so Marmur, gelänge es,<br />

Judentum und Modern miteinander in Einklang<br />

<strong>Kescher</strong><br />

zu bringen. In seinem Grundsatzreferat<br />

„Progressive Judaism: Choices, Myths and<br />

Failures „ grenzte er das progressive Judentum<br />

dabei auch von der modernen Orthodoxie ab, die<br />

in zwei getrennten Welten leben würde, im<br />

modernen Alltagsgeschehen und in ihrem eigenen<br />

Jüdischsein. Das liberale Judentum aber<br />

habe diesen Spagat zwischen zwei Sphären überwunden<br />

und integriere die Anforderungen der<br />

Gegenwart und des jüdisches Lebens, ohne dabei<br />

die spirituellen Wurzeln des Judentums und<br />

seine Traditionen außer Acht zu lassen.<br />

Das Leo Baeck College zeichnete am Rand der<br />

Tagung fünf der anwesenden Rabbiner, die<br />

Absolventen dieses Londoner Rabbinerseminares<br />

sind, für ihre 25-jährige Gemeindetätigkeit aus.<br />

Interessant war dabei, dass vier dieser fünf<br />

Rabbiner sich inzwischen für das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

<strong>Kolleg</strong> an der Universität Potsdam engagieren:<br />

Rabbiner Andrew Goldstein, der Präsident der<br />

European Region der WUPJ mit Sitz in London,<br />

erhielt für seinen persönlichen Einsatz in Wien<br />

die Ehrensenatorwürde des deutschen Rabbiner -<br />

seminares; Rabbiner David J. Goldberg ist Mit -<br />

glied des Kuratoriums des <strong>Kolleg</strong>s, Rabbiner<br />

Edward van Voolen Studienleiter für die praktische<br />

Ausbildung. Rabbiner Harry Jacobi gehört<br />

dem Stiftungsrat der Leo Baeck Foundation an,<br />

die das <strong>Kolleg</strong> unterstützt. Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

<strong>Kolleg</strong> war in Wien auch in anderer Weise präsent:<br />

Rektor Rabbiner Walter Homolka, Mitglied<br />

des Executive Boards der WUPJ, bestritt unter<br />

links: Die Führungsspitze der<br />

WUPJ: Rabbiner Uri Regev,<br />

Leslie Bergman, Ruth<br />

Cohen und Steve Bauman<br />

(v.li.n.re.) mit Theodor Much<br />

kleines Bild: Gastgeberin im<br />

Wiener Rathaus: Sonja Kato<br />

Fotos © A. Huber-Huber.<br />

13<br />

anderem Workshops zur Geschichte des liberalen<br />

Judentums in Mitteleuropa und zu „Advocating<br />

Progressive Judaism: Getting Our Voices Heard“;<br />

Programmdirektorin Mimi Sheffer stellte in ihrem<br />

Workshop „The Beauty of Cantorial Traditions”<br />

das Jewish Institute of Cantorial Arts vor, das<br />

neue Ausbildungsprogramm für Kantoren am<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>.<br />

Die religiöse Gleichstellung der Frau ist im liberalen<br />

Judentum längst gang und gäbe; davon zeugten<br />

nicht nur die Rabbinerinnen und Gemeinde -<br />

repräsentantinnen unter den Delegierten, sondern<br />

auch die Tatsache, dass sich Fragestellungen<br />

wie „Bevorzugt oder benachteiligt? Der Status<br />

der Frau im Judentum“ für liberale Juden und<br />

Jüdinnen inzwischen erübrigen. Gerda Frey, die<br />

1945 nach Wien zurückkehrte, das International<br />

Council of Jewish Women bei den Vereinten<br />

Nationen in Wien vertritt und deren Ehemann<br />

Robert Vorstandsmitglied von Or Chadasch ist,<br />

befindet teils ernüchtert, teils erfreut: „Es waren<br />

genau so viele Zuhörer da wie wir auf dem<br />

Podium. Ich glaube, dieses Thema ist schon oft<br />

genug erörtert worden – die Teilneh mer haben<br />

andere Themata mehr interessiert.“<br />

Schwerpunkte der Wiener Tagung waren unter<br />

anderem die Situation der liberalen Gemeinden<br />

in Frankreich und in den Staaten der ehemaligen<br />

Sowjetunion. Die Entwicklung in Osteuropa, wo<br />

sich das liberale Judentum als Alternative zu<br />

Chabad Lubawitsch durchgesetzt hat, ist eine


14 <strong>Kescher</strong><br />

Erfolgsgeschichte, die die wenigen Rabbiner<br />

inzwischen schon fast überfordert: in Russland<br />

betreuen drei liberale Rabbiner 85 Gemeinden,<br />

und in der Ukraine haben sich inzwischen 40<br />

jüdische Gemeinden für das liberale Judentum<br />

entschieden. Aufbruchstimmung ist auch aus<br />

Warschau, Prag, Bratislava und Budapest zu vermelden.<br />

Selbstverständlich kamen die Wiener<br />

Delegierten auch immer wieder auf die neue<br />

Karfreitagsfürbitte und das jüdisch-katholische<br />

Verhältnis zu sprechen: „Ein Fiasko“ nannte etwa<br />

Ruth Weyl, langjährige Beraterin des Interna -<br />

tionalen Rates von Christen und Juden (ICCJ)<br />

den aktuellen Rückschritt hinter die Theologie<br />

des Zweiten Vatikanischen Konzils.<br />

Fragwürdig war für viele Delegierte auch die<br />

Haltung von katholischer Kirche und österreichischer<br />

Politik, deren Repräsentanten beim<br />

Eröffnungsempfang der Tagung im Wiener Rat -<br />

haus durch Abwesenheit glänzten, und dies<br />

genau 70 Jahre nach dem sogenannten An schluss<br />

von 1938: eigentlich hätten die österreichische<br />

Regierung diese Tagung als enormen Vertrauens -<br />

beweis werten und würdigen müssen. Die sehr<br />

persönlich gehaltenen Worte der Gemeinderätin<br />

und Landtagsabgeordneten Sonja Kato, die den<br />

erkrankten Wiener Bürgermeister Häupl vertrat,<br />

machten diesen Unmut aber bald wieder wett.<br />

“It’s a strong coincidence that your conference<br />

takes part in those days of remembrance to the<br />

‘Anschluss’ of Austria to Hitler Germany 70 years<br />

ago“ sagte sie. “On many official occasions we<br />

commemorated those tragic days, in which Hitler<br />

took over the power in Austria without significant<br />

local resistance.“ Frau Kato, neben der auch<br />

der israelische Botschafter in Wien, Dan Ashbel<br />

(selbst ein Absolvent der liberalen Leo Baeck<br />

Schule in Haifa) zu den Delegierten sprach,<br />

zeichnete die Versäumnisse, aber auch die<br />

Anstrengungen Österreichs bei der Aufarbeitung<br />

seiner Geschichte nach und erwies sich als denkbar<br />

beste Fürsprecherin ihres Landes.<br />

Für die liberale Gemeinde in Wien hat diese<br />

Europa-Tagung wichtige Impulse gebracht. „Ich<br />

denke, Or Chadasch hat bewiesen, wie viel eine<br />

kleine Gemeinde leisten kann“, sagt David Feiler,<br />

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6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

Rabbiner Andrew Goldstein mit der Urkunde,<br />

die ihn zum Ehrensenator des <strong>Abraham</strong><br />

<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s erklärt. Foto © Bomhoff<br />

der in Wien Business Administration und Public<br />

Management studiert. „Die erfolgreiche Konfe -<br />

renz hat uns unserer Möglichkeiten aufgezeigt<br />

und viele unserer Mitglieder begeistert. Es ist<br />

schön zu beobachten, wie wir mit den Heraus -<br />

forderungen wachsen, und so können wir uns<br />

auch voller Engagement neuen Projekten zuwenden.“<br />

Ein anderes Fazit lautet: Wir können jetzt<br />

gestärkt in die Zukunft blicken mit dem Wissen,<br />

dass wir auch große Ziele erreichen können,<br />

wenn wir nur wollen. Mit Giuliana Schnitzler, Pia<br />

Kalinka, David Feiler, Michael Mather und John<br />

Clark etabliert sich eine starke willenskräftige<br />

Gruppe innerhalb von Or Chadasch.“ Das Resüme<br />

von Guiliana Schnitzler, Vizepräsdentin von Or<br />

Chadasch und im übrigen Urenkelin von Arthur<br />

Schnitzler, lautet kurz und knapp: “We are a<br />

pearl on a string of pearls. Die Konferenz hat<br />

gezeigt, dass wir als Gemeinde nicht allein in der<br />

Welt stehen. Wir sind Teil einer Traditionskette<br />

und Teil einer großen Gemeinschaft, keine unbedeutende<br />

Verirrung in einer orthodoxen Welt.“


<strong>Kescher</strong><br />

Grußbotschaft<br />

zum jüdischen Neujahrs -<br />

fest Rosch Haschana<br />

am 29. und 30.<br />

September 2008<br />

Berlin, im September 2007<br />

Liebe Mitglieder der jüdischen Gemeinden<br />

in Deutschland,<br />

ganz herzlich grüße ich Sie alle, auch im Namen<br />

meiner Frau, und wünsche Ihnen schöne Feier -<br />

tage, einen guten Start ins neue Jahr und für die<br />

Zukunft alles erdenklich Gute.<br />

Beim Jahreswechsel gehen die Gedanken zurück<br />

an das vergangene Jahr – und jeder denkt sicher<br />

zuerst einmal an das eigene Erleben, an die<br />

Familie, die Freunde und Bekannten, an das, was<br />

man gemeinsam durchlebt oder vielleicht auch<br />

durchlitten hat.<br />

Und auch beim Blick nach vorn hat jeder zuerst<br />

seine eigenen Hoffnungen – gewiss besonders<br />

für die Zukunft der Kinder und Enkel.<br />

Aber uns bewegt beim Jahreswechsel auch vieles,<br />

das über unser eigenes persönliches Leben hinausgeht.<br />

Das Leben in den jüdischen Gemeinden<br />

in Deutschland wird immer vielfältiger, bunter –<br />

und selbstverständlicher. Darüber freue ich mich.<br />

Es ist auch ein gutes Zeichen, dass in der letzten<br />

Zeit immer mehr jüdische Museen entstehen und<br />

von der langen Geschichte des jüdischen Lebens<br />

in Deutschland Zeugnis geben. Diese langen und<br />

tiefen Wurzeln haben es möglich gemacht, dass<br />

nach dem großen und fürchterlichen Bruch der<br />

Shoah jüdisches Leben in Deutschland wieder<br />

möglich wurde.<br />

Ich weiß, dass viele jüdische Mitbürgerinnen und<br />

Mitbürger in diesem Jahr mitgefeiert haben, als<br />

an verschiedenen Orten der 60. Jahrestag der<br />

Gründung des Staates Israel gefeiert wurde. In<br />

meiner Gratulation dazu habe ich mit Blick auf<br />

die Zukunft besonders dafür geworben, den<br />

Jugendaustausch zwischen Israel und Deutsch -<br />

15<br />

land zu verstärken, damit das gute Verhältnis<br />

unserer beiden Länder auch von den kommenden<br />

Generationen weiter gepflegt wird.<br />

Allen Bürgerinnen und Bürgern, die das jüdische<br />

Neujahrsfest begehen, wünsche ich Tage der<br />

Besinnung und der Freude und für das neue Jahr<br />

Gesundheit und Wohlergehen.<br />

Horst Köhler<br />

Bundespräsident<br />

Anzeige


16<br />

„So eilt denn<br />

zu den guten<br />

Hartmut Bomhof Professor Firestone, als Sie bei<br />

einer Diskussion im Berliner Ernst-Reuter-Haus<br />

neulich Koransuren auf Arabisch vortrugen, da<br />

war das Eis unter den zumeist türkischen muslimischen<br />

Zuhörern schnell gebrochen. Woher<br />

kommt diese Nähe eines amerikanischen<br />

Rabbiners zum Arabischen?<br />

Reuven Firestone Ich war 1970 als Teenager zum<br />

ersten Mal in Israel und landete für ein paar<br />

Monate im arabischen Viertel der Altstadt von<br />

Jerusalem. Damals herrschte so eine Art Auf -<br />

bruch stimmung. Die Palästinenser genossen den<br />

wirtschaftlichen Aufschwung nach 1967, die jüdischen<br />

Israelis erkundeten noch unbekümmert<br />

die besetzten Gebiete. Ich als Jude war damals<br />

bei vielen arabischen Familien durchaus willkommen<br />

und besuchte auch Dörfer außerhalb Jerusa -<br />

lems. Das waren eben andere Zeiten. Nach meiner<br />

Ordination zum Rabbiner 1982 am New Yorker<br />

Hebrew Union College habe ich 1988 meinen<br />

Doktor in Arabischen und Islamischen Studien an<br />

der New York University gemacht. Ich habe auch<br />

ein paar Jahre lang den Sprachunter richt in<br />

Hebräisch und Arabisch an der Boston University<br />

geleitet, bevor ich 1993 nach Los Angeles wechselte.<br />

Die Verbindung zu meinen arabischen<br />

Freunden ist die ganze Zeit über nicht abgerissen,<br />

und außerdem ergeben sich ständig neue<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Kontakte. Letztes Jahr habe ich mit meiner Fami -<br />

lie ein Sabbatical in Kairo verbracht, wo meine<br />

Kinder auf eine ägyptische Schule gingen, zu -<br />

sam men mit meist muslimischen Klassen kame -<br />

raden. Das war für sie auch eine wichtige, ja gute<br />

Erfahrung.<br />

Wie ist es denn überhaupt zu der Podiums dis -<br />

kus sion in Berlin gekommen? Hatten Sie keine<br />

Sorge, dass das Thema „Whose Jerusalem? The<br />

Holy City in Judaism, Christianity, and Islam“<br />

schnell zu politisch aufgeheizten Debatten führt?<br />

Ich habe die letzten Wochen als Fellow am Abra -<br />

ham <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> an der Universität Potsdam<br />

verbracht und in dieser Zeit insbesondere die<br />

angehenden Rabbiner in einer Art Schnellkurs<br />

mit dem Islam vertraut gemacht. Daneben stand<br />

eine Reihe von Vorträgen auf dem Programm. Das<br />

<strong>Kolleg</strong> hat einen guten Draht zum Forum für<br />

Interkulturellen Dialog in Berlin, das mich dann<br />

zu dieser Diskussion eingeladen hat. Ich habe<br />

mich dem Thema „Jerusalem“ anhand von Texten<br />

aus den drei religiösen Traditionen genähert und<br />

darüber mit Celem Usak diskutiert, dem Vizeprä -<br />

si dent der Vereinigung der Journa listen und<br />

Schriftsteller und Generalsekretär der Plattform<br />

für Interkulturellen Dialog in Istanbul. Das<br />

Publikum war an diesem Textvergleich weit mehr<br />

6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

Dingen“ Rabbiner Reuven Firestone, jüdischer Islam-<br />

interessiert als an der Tagespolitik im Nahen<br />

Osten. Wir sollten einander ohnehin nicht immer<br />

gleich Feindseligkeit unterstellen.<br />

Sie meinen, dass uns häufig Klischees und Ste re o -<br />

typen den Blick auf unser Gegenüber verstellen?<br />

Ja, und das auf vielen Ebenen. Interreligiöser<br />

Dialog kann auch unbeherrscht, polemisch und<br />

aggressiv ausfallen. Man unterstellt der anderen<br />

Seite Ressentiments und begibt sich ohne Not in<br />

eine Abwehrhaltung. Dabei geht es im Dialog<br />

doch nicht darum, Punkte oder Konvertiten für<br />

sich zu gewinnen. Oft misst man die andere<br />

Religion mit ganz anderen Maßstäben als die<br />

eigene. Häufig stellte man das Beste der eigenen<br />

Religion dem Schlechtesten der anderen gegenüber.<br />

Vergleicht man die Friedenssehnsucht der<br />

Tora mit kämpferischen Versen im Koran, so<br />

kommt man zu anderen Schlüssen als bei der<br />

Gegenüberstellung von durchaus aggressiven<br />

Toraversen und friedvollen Suren. Die Idee vom<br />

heiligen Krieg gibt es ja in der jüdischen Tradi -<br />

tion. Ich sitze gerade an einem Buch über das<br />

Wiederaufleben dieser Idee im Judentum. Und<br />

wenn wir schon über Stereotypen reden: In<br />

Deutschland gibt es Vorbehalte gegenüber der<br />

Bildungsbewegung von Fetullah Gülen, zu der<br />

auch Celem Usak und das Forum für Interkultu -


Foto © Arkady Shafirov<br />

rellen Dialog gehören. Aber entsprechen deren<br />

Werte nicht sehr der religiösen Emanzipation der<br />

jüdischen Neo-Orthodoxie im 19. Jahrhundert?<br />

Wir Juden sehen da Parallelen. Und sollten diejenigen,<br />

die in Deutschland die Gülen-Bewegung<br />

unter die Lupe nehmen, sich nicht eher Ge -<br />

danken über Chabad Lubawitsch machen? Was<br />

bei Muslimen hinderlich ist, betrachtet man bei<br />

Juden als vermeintlich authentisch und unbedenklich.<br />

Und wie schaut es mit Ihrem Verhältnis zu Israel<br />

aus?<br />

Als ich 1970 das erste Mal ins Land kam, habe ich<br />

meine Zeit selbstverständlich nicht nur unter<br />

Araber verbracht. Ich lebte auch zwei Jahre lang<br />

in einem Kibbutz an der Grenze, arbeitete in der<br />

Molkerei und fühlte eine tiefe Verbundenheit mit<br />

den Kämpfen und den Träumen der Zionisten.<br />

Meine Erfahrung mit den jüdischen Israelis hat<br />

damals auch meinen Sinn für die Verbindung mit<br />

meiner kollektiven Geschichte und für die<br />

Bemühungen um eine gemeinsame Zukunft<br />

<strong>Kescher</strong><br />

letztlich auch ein Beweis dafür, dass es Ihnen<br />

nicht nur darum geht, ihren Islam den Christen<br />

und Juden nahezubringen, sondern dass ihnen<br />

auch am eigenen Verständnis des Judentums<br />

liegt. Inzwischen gibt es übrigens auch eine arabische<br />

Übersetzung meines Buches, aber noch<br />

keinen Verlag dafür.<br />

Sie sind auch Direktor des Center for Muslim-<br />

Jewish Engagement an der University of<br />

Southern Cali for nia. Was hat man sich darunter<br />

vorzustellen?<br />

Wichtig ist zunächst, dass unser Zentrum aus der<br />

Zusammenarbeit einer muslimischen Stiftung,<br />

nämlich der Omar Ibn Al Khattab Foundation, mit<br />

unserem liberalen Rabbinerseminar, dem Hebrew<br />

Union College, und einer Forschungseinrichtung,<br />

dem Center for Religion and Civic Culture, entstanden<br />

ist und seinen Platz an einer säkularen<br />

Universität gefunden hat. Wir bilden Gemeinde -<br />

mitglieder und –mitarbeiter für Interreligious<br />

Outreach aus, entwickeln neue Lehrmaterialien<br />

und stellen sie ins Internet und verstehen uns<br />

Experte aus Los Angeles, im Gespräch mit Hartmut Bomhoff<br />

geschärft. Eine Zukunft, in der Juden im Staat<br />

Israel in Frieden leben werden. So wie viele<br />

andere amerikanische Juden bin ich immer wieder<br />

nach Israel zurückgekehrt, um dort zu studieren,<br />

zu arbeiten, Ferien zu machen. Doch ich<br />

habe dabei auch immer wieder Zeit mit meinen<br />

arabischen Freunden verbracht und habe ihre<br />

Entwicklung aufmerksam verfolgt. Dadurch fand<br />

ich mich von Anfang an immer wieder in dieses<br />

Verhältnis von Juden und Araber einbezogen, in<br />

die Beziehungsgeschichte von Judentum und<br />

Islam, und so bin ich zur Religionswissenschaft<br />

an sich gekommen. Um aber auf Israel zurück zu<br />

kommen, so habe ich insgesamt wohl sechs, sieben<br />

Jahre lang dort gelebt.<br />

Ihre Bücher bauen Brücken. Dieses Jahr ist „An<br />

Introduction to Islam for Jews“ erschienen, letztes<br />

Jahr „Jews, Christians, Muslims in Dialogue:<br />

A Practical Handbook“. Und Ihr Buch „Children<br />

of <strong>Abraham</strong>. An Introduction to Judaism for<br />

Mus lims“ kam 2001 heraus und liegt seit 2004<br />

auf Türkisch vor. Verkauft es sich denn?<br />

Ehrlich gesagt lässt die Resonanz noch zu wünschen<br />

übrig. Das liegt aber vielleicht auch an der<br />

Vermarktung. Es wäre natürlich schön, wenn sich<br />

unsere Partner im Dialog auch um die Verbrei -<br />

tung solcher Bücher kümmern würden. Das wäre<br />

auch als akademischen Think Tank. Unser Ziel ist<br />

es, Dialog und gegenseitiges Verständnis voranzutreiben,<br />

und zwar an der Basis als persönliche<br />

„Grassroot“-Begegnung und in Form von Partner -<br />

schaften von Religionsgemeinden und akademischen<br />

Einrichtungen. Sie haben vielleicht von<br />

der Zusammenarbeit der jüdischen Reformbewe -<br />

gung in Nordamerika mit der Islamic Society of<br />

North America gehört. Es gibt inzwischen er -<br />

staun lich viele Begegnungs- und Studienpro -<br />

gram me für Synagogengemeinden und Moscheen,<br />

und die Initiatoren können der großen Nachfrage<br />

kaum gerecht werden.<br />

Gerade ist in Madrid die Weltkonferenz der Reli -<br />

gio nen zu Ende gegangen, zu der die Islamische<br />

Weltliga auf Initiative des saudischen Königs<br />

Abdullah eingeladen hatte. Haben Sie schon<br />

eine Meinung dazu?<br />

Ob und wie die Beschlüsse der Experten bis zur<br />

Basis vordringen werden, bleibt abzuwarten,<br />

aber das Problem haben wir immer, wenn Dialog<br />

zur Gremienarbeit wird. Spannend ist aber, dass<br />

auch Anhänger fernöstlicher Religionen, etwa<br />

Hindus und Schintoisten, nach Madrid gekommen<br />

sind. Das ist so bemerkenswert, weil es für<br />

den klassischen Islam nie ein Problem gewesen<br />

ist, die anderen Religionen des Buches zu dulden<br />

17<br />

und als Gesprächspartner anzuerkennen. Aber<br />

Vertreter dieser östlichen Traditionen? Die gelten<br />

für viele Moslems noch immer als Polytheisten,<br />

Atheisten, Götzendiener. Sie mit in die Konferenz<br />

einzubinden, das ist ein deutlicher Durchbruch.<br />

Und was bedeutet die Konferenz für das<br />

Gespräch unter den „Kinder <strong>Abraham</strong>s“?<br />

Die Konferenz hat ganz offiziell und von islamischer<br />

Seite bestätigt, dass jüdisch-muslimischer<br />

Dialog nicht nur möglich ist, sondern in vielen<br />

Ländern auch schon seit Jahren praktiziert wird.<br />

Das dürfte gerade für die Konferenzteil nehmer<br />

aus eher geschlossenen islamischen Gesellschaf -<br />

ten eine neue Erfahrung gewesen sein, die man<br />

nicht mehr rückgängig machen kann. Aber ich<br />

war ja nicht dabei, so dass ich zu konkreten<br />

Ergebnissen nichts sagen kann.<br />

Um auf Ihre Tätigkeit als Professor für Mittel -<br />

alter liches Judentum und Islam am Hebrew<br />

Union College zurückzukommen: Kann jemand,<br />

der sich dem arabischen Kulturkreis doch recht<br />

Rabbiner Reuven Firestone,<br />

Professor für Medieval Judaism<br />

and Islam am Hebrew Union<br />

College in Los Angeles, war im<br />

Sommer Fellow am <strong>Abraham</strong><br />

<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>


18<br />

eng verbunden fühlt, objektive Wissenschaft<br />

betreiben?<br />

Ich habe ja schon deutlich gemacht, dass ich<br />

einen grundsätzlich positiven Zugang zum Islam<br />

habe, aber ich hoffe doch, dass dies auch ein realistischer<br />

Zugang ist. Vielleicht kommt das<br />

manch einem Zuhörer oder Leser eigentümlich<br />

vor, weil man sich von einem Dozenten und Autor<br />

eher einen neutralen Standpunkt erwartet, der<br />

weder wohlwollend noch ablehnend ist. Was aber<br />

die Religionswissenschaft betrifft, so frage ich<br />

mich, ob ein rein objektiver Zugang möglich ist.<br />

Religion ist so mächtig, sie basiert auf so starken<br />

Bildern und Ideen, und sie stellt eine so dynamische<br />

Bindung dar, dass es geradezu unmöglich<br />

ist, neutral zu bleiben. Auch wenn man sich als<br />

Wissenschaftler einer Beurteilung enthalten will:<br />

man kann gar nicht anders als eine Meinung zu<br />

haben. Wenn meine generelle Haltung zum Islam<br />

auch wohlwollend und positiv ist, so beruht<br />

meine Herangehensweise doch auf mein Ver -<br />

ständ nis jüdischer Werte. Das berühmte Diktum<br />

von Rabbi Hillel lässt sich nicht nur auf den<br />

Einzelnen, sondern auch auf menschliche Kollek -<br />

tive anwenden: „Richte nicht deinen Nächsten,<br />

ehe du selbst nicht in seine Lage gekommen<br />

bist.“<br />

Daraus ergibt sich dann die Frage, wie denn ein<br />

Nichtmuslim, noch dazu ein Rabbiner, ein Buch<br />

über den Islam schreiben kann?<br />

Ich glaube nicht, dass irgendjemand ganz und<br />

gar die Spiritualität und Botschaft einer anderen<br />

Religion erfassen kann. Manch einer spürt vielleicht<br />

ein gewisses Unbehagen darüber, dass ich<br />

als Nichtmuslim die Verantwortung dafür übernehme,<br />

Juden den Islam zu vermitteln .Ich habe<br />

so weit wie möglich versucht, mir dieser Be -<br />

schrän kung bewusst zu bleiben, und ich habe oft<br />

versucht mir vorzustellen, wie es wohl wäre, als<br />

Muslim ein Buch zu schreiben, um Muslimen das<br />

Judentum nahezubringen. Ich bin das Buch -<br />

projekt, „An Introduction to Islam for Jews“<br />

dann mit eben diesem Bewusstsein großer<br />

Verantwortung und Beschränkung angegangen.<br />

Unsere Weisen sagen in den Sprüchen der Väter<br />

ja auch, dass niemand verpflichtet ist, alle<br />

Probleme der Welt zu lösen, dass es aber auch<br />

niemandem freisteht, von seinen Aufgaben abzulassen.<br />

Ich hoffe, dass ich den Islam in meinem<br />

Buch akkurat und in angemessener Weise dargestellt<br />

habe, und dass diese Arbeit ein bisschen<br />

mehr Verständnis in eine ganz schön verwirrende<br />

Welt bringt.<br />

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie auf<br />

Ihren Berlin-Aufenthalt zurückblicken?<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Für meine Frau, unseren jüngsten Sohn Amir und<br />

mich hat es etwas Aufklärerisches gehabt, über<br />

das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> mit der jüdischen Ge -<br />

meinschaft hier in Berlin bekannt zu werden. Wir<br />

haben Gottesdienste in ganz unterschiedlichen<br />

Synagogen besucht, sind mit den Men schen ins<br />

Gespräch gekommen und haben sogar Verwandte<br />

meiner Frau getroffen, die wir vorher noch nie zu<br />

Gesicht bekommen hatten. Und natür lich sind<br />

die jüngste europäische Geschich te und die<br />

Politik hier jetzt an erster Stelle in meinem<br />

Bewusstsein. Es ist mir auch wichtig, erste<br />

Kontakte zur türkischen Gemeinschaft hergestellt<br />

zu haben und bei Francesca Albertini an der<br />

Universität Potsdam und bei Angelika Neu wirth<br />

an der Freien Universität sprechen zu können,<br />

einmal über „Divine Authority and Mass Violence<br />

- Holy War in Judaism, Christianity and Islam“,<br />

dann zu „<strong>Abraham</strong> and Authenticity“. Sehr spannend<br />

war es, das Team von Wissen schaftlerrn zu<br />

treffen, das an der Berlin-Brandeburgischen<br />

Akademie der Wissenschaften am Corpus<br />

Coranicum arbeitet. Habe ich schon erwähnt,<br />

dass ich bei diesem Projekt mitarbeiten werde?<br />

Das Vorhaben, nämlich die Dokumen tation des<br />

Korantextes in seiner Überlieferungsgestalt und<br />

die Erstellung einen umfassenden Kommentar<br />

dazu, hat übrigens einen schönen Bezug zum<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong>. Schließlich hat <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

die moderne Koranwissenschaft im 19. Jahrhun -<br />

dert mit begründet. Meine Familie und ich haben<br />

aber auch unsere Freizeit sehr genossen und sind<br />

in Berlin und Potsdam viel Fahrrad gefahren.<br />

Gibt es ein Wort aus dem Koran, das Sie unseren<br />

Lesern mit auf den Weg geben wollen?<br />

Mit Bezug auf Pluralismus und Dialog kommt mir<br />

die folgenden Verse in denn Sinn: „Und wenn<br />

Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen<br />

Gemeinschaft gemacht. Doch will Er euch<br />

prüfen in dem, was Er euch hat zukommen lassen.<br />

So eilt denn zu den guten Dingen um die<br />

Wette. Zu Gott werdet ihr allesamt zurückkehren,<br />

dann wird Er euch das kundtun, worüber ihr<br />

uneins waret.“ (Koran 5: 48) Dieses Bemühen<br />

um die guten Dinge, das kennen wir als Juden als<br />

Tikkun.<br />

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Schana towa<br />

wünscht allen Freunden die<br />

Jüdische Gemeinde Göttingen<br />

Der Vorstand<br />

6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

(v.l.n.r.): Dvora Weisberg, Ruth Sohn,<br />

Karen Margolis und Dalia Marx<br />

Foto © Margrit Schmidt<br />

Vortrag „Whose Jerusalem“ von Rabbi Prof.<br />

Reuven Firestone (Mitte), mit Cemal Usak (rechts)<br />

und Hartmut Bomhoff (links) Foto © Margrit Schmidt<br />

Rabbinerinnen, Kantorinnen, Frauen,<br />

die aus der Tora lesen, die Kippa und<br />

Tallit tragen, gleichberechtigte<br />

Gottesdienste: all das ist in den<br />

letzten Jahrzehnten möglich geworden.<br />

Und zwar in allen jüdischen Bewegungen,<br />

die nicht orthodox sind: bei den Reformjuden,<br />

bei den Konservati ven, bei den Rekonstruktionis -<br />

ten. Aber wie können Frauen mit den Texten<br />

umgehen: mit Tora und Talmud, mit Liturgie und<br />

Gebeten? Etwa mit dem Morgengebet, in dem<br />

Männer Gott danken, „der mich nicht als Frau<br />

geschaffen hat“? Diesen Fragen gingen Rabbine -<br />

rinnen und jüdische Theologinnen aus den Ver -<br />

einigten Staaten und Israel Anfang Juli bei der<br />

Podiumsdiskussion „Our Voices, Our Selves“<br />

nach, zu der das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> und die<br />

Synagogen gemeinde Sukkat Schalom ins Berliner<br />

Jüdische Gemeindehaus geladen hatten.<br />

Lot, heißt es in der Tora, flehte die Männer von<br />

Sodom an, doch bitte nicht seine Gäste zu vergewaltigen.<br />

Stattdessen bot er kurzerhand seine<br />

Töchter an und wies noch darauf hin, dass sie<br />

Jungfrauen waren. Heutige Rabbinerinnen fragen<br />

sich: Was hielten die Töchter wohl selbst von<br />

dem Vorschlag? Die Tora interessierte sich für<br />

diese Frage nicht. Sie ist von Männern für Männer<br />

geschrieben, so der Tenor der jüdischen Theolo -<br />

ginnen. <strong>Abraham</strong> und seine Söhne wurden als


<strong>Kescher</strong><br />

Füßewaschen statt Brit Mila<br />

Zeichen des Bundes mit Gott beschnitten. „Diese<br />

biblische Erzählung von hat Folgen bis heute“,<br />

sagt Ruth Sohn, Reform-Rabbinerin aus Los<br />

Angeles. „Die Beschneidung ist das allererste,<br />

was Gott fordert, und das grundlegende Zeichen<br />

des Bundes.“ Sie richte sich per definitionem nur<br />

an den männlichen Teil des Volkes. Die Konse -<br />

quenz: Männer stehen beim Initiationsritual im<br />

Zentrum, Frauen am Rand. Das gelte zumindest<br />

für die Zeit der Tora und für die Anfänge des jüdischen<br />

Volkes. Die Frage sei nur: „Wie gehen wir<br />

heute damit um? Machen wir so weiter oder<br />

ändern wir etwas?“<br />

Schon vor 25 Jahren suchte Ruth Sohn zusammen<br />

mit anderen jüdischen Männern und Frauen nach<br />

einem Ritual für neugeborene Mädchen, das der<br />

Brit Mila gleichwertig sein sollte. Schließlich<br />

beschlossen sie, den Mädchen die Füße zu<br />

waschen. Die Idee dazu kam ebenfalls aus der<br />

Tora: Nach der Beschneidung <strong>Abraham</strong>s und seiner<br />

Söhne erscheint ihm Gott in Begleitung<br />

dreier Männer. Denen wäscht er die Füße. Zudem<br />

werden Frauen in der Tora oft mit Wasser in<br />

Verbindung gebracht. „Das erste Mal habe ich<br />

das Ritual des Füßewaschens mit unserer eigenen<br />

Tochter erlebt“, erzählt die Rabbinerin. „Das<br />

war wunderbar.“ Seitdem hat sie es mit vielen<br />

Familien gefeiert. Es gebe in den Vereinigten<br />

Männer im Zentrum, Frauen am Rand? Eine<br />

Podiumsdiskussion / von Gerald Beyrodt<br />

Staaten große Reformgemeinden, in denen das<br />

Füßewaschen Standard ist, gleichwertig der Brit<br />

Mila für Jungen. „Ich habe sogar von einem<br />

ortho doxen Ehepaar gehört, das es mit seiner<br />

Tochter das Ritual gefeiert und sie so in den Bund<br />

mit Gott eingeführt hat“, sagt Ruth Sohn, die<br />

auch an der Milken Community High School des<br />

Stephen Wise Temple in Los Angeles unterrichtet.<br />

Solche Säuglingsrituale gibt es in Deutsch -<br />

land noch nicht, wenngleich auch Simchat Bat-<br />

Feiern zur Namensgebung immer mehr Beach -<br />

tung finden. Und als weibliches Pendant zur Bar<br />

Mizwa, zum Übergang in die religiöse Mündig -<br />

keit, hat sich in liberalen Gemeinden die Bat<br />

Mizwa etabliert: Das Mädchen liest aus der Tora<br />

vor und wird so zum vollgültigen Gemeinde -<br />

mitglied. Die erste derartige Einsegnung für<br />

Mädchen ist dabei in Berlin bereits für das Jahr<br />

1817 belegt.<br />

Männer stehen im Zentrum und Frauen am Rand<br />

– das treffe nicht nur auf die Tora zu, sondern<br />

auch auf den Talmud, sagt Professorin Dvora<br />

Weisberg vom Hebrew Union College in Los<br />

Angeles. Nicht erstaunlich sei es, dass der<br />

Talmud die männliche Form benutzt, wenn<br />

Männer und Frauen gemeint sein können. Doch<br />

selbst wenn über damals typische Frauentätig -<br />

keiten gesprochen wird, gebraucht der Text<br />

19<br />

männliche Formen. Im Hebräischen und Aramä -<br />

ischen zeigen nämlich auch die Verben an, ob von<br />

einem Mann oder einer Frau die Rede ist. „Es gibt<br />

da eine Textstelle, in der jemand seine Wäsche<br />

machen lässt. Und der Text tut so, als würden<br />

Männer waschen“, erklärt Dvora Weisberg. „An<br />

einer anderen Stelle wird ein Kind geboren, und<br />

obwohl wir alle wissen, dass auch damals die<br />

Kinder von Frauen geboren wurden, wird ein Verb<br />

benutzt, das den Eindruck erweckt, ein Mann<br />

hätte das Kind geboren. Die Beispiele zeigen:<br />

Frauen kommen selbst da nicht vor, wo wir sie<br />

eigentlich erwarten würden.“ Männer seien im<br />

Talmud die Aktiven: Sie heiraten oder fassen den<br />

Entschluss zu einer Scheidung. Frauen würden<br />

hingegen als passiv dargestellt. Sie werden<br />

geheiratet, sie werden geschieden. Für die<br />

Rabbinen seien Frauen „problematisch“ gewesen:<br />

begehrenswert, aber gefährlich. „Manche<br />

Talmudstellen bewundere ich, und manche finde<br />

ich zutiefst verstörend“ sagt Dvora Weisberg, die<br />

am Hebrew Union College Rabbinische Studien<br />

lehrt. Eines kommt für sie aber nicht in Frage:<br />

mit der Tradition zu brechen.<br />

Weisberg will die Texte stattdessen anders lesen.<br />

„Meine Aufgabe als Frau, als Wissenschaftlerin<br />

und als Hochschullehrerin ist es, den Frauen zu<br />

helfen, sich in der Tradition wieder zu finden,


20 <strong>Kescher</strong> 6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

sich gleichsam wieder in die Tradition hineinzulesen,<br />

damit sie ihren Platz im modernen Juden -<br />

tum einnehmen können“, sagt sie. Wer die Texte<br />

anders lesen will, könne getrost bei Adam und<br />

Eva anfangen. „Traditionell wird Eva kritisiert,<br />

weil sie Gottes Gebot umformuliert. Gott sagt, ihr<br />

sollt nicht von dem Baum essen, und Eva sagt der<br />

Schlange, wir dürfen nicht von dem Baum essen<br />

und ihn nicht mal anfassen. Aber wenn Sie sich<br />

den Text ansehen, richtet Gott sein Gebot an<br />

Adam. Wir können uns also fragen, ob Adam das<br />

Gebot falsch wiedergegeben hat, ob die Schuld<br />

bei Adam liegt“, sagt die Professorin. Frauen<br />

brächten beim Lesen von Talmud und Tora eine<br />

gehörige Portion Distanz mit, und diese Distanz<br />

sei fruchtbar. So seien Frauen eher bereit, die<br />

Texte aus der Perspektive der Außenseiter, der<br />

„anderen“ zu lesen. Aus der Perspektive derer,<br />

die von der Tradition vernachlässigt würden.<br />

Man müsse sich zum Beispiel fragen, ob Esau in<br />

dem Streit mit seinem Bruder Jakob wirklich der<br />

Bösewicht ist, so wie es die traditionelle Lesart<br />

will. Oder ob sein Ärger nicht verständlich ist:<br />

sein Ärger darüber, dass ihm sein Bruder mit List<br />

und Tücke das Erstgebore nen recht abgejagt hat.<br />

Während es bei Tora und Talmud um anderes<br />

Lesen geht, ist der Text des Gebetsbuchs im liberalen<br />

Judentum verändert worden. Gestrichen<br />

worden ist etwa der traditionelle Dank der<br />

Männer im Morgengebet, dass Gott sie nicht als<br />

Frau geschaffen hat. Neben den Urvätern Abra -<br />

ham, Isaak und Jakob werden auch die Urmütter<br />

bedacht: Sara, Rivka, Rachel und Lea.<br />

Jüdische Feministinnen und Rabbinerinnen<br />

haben eine Fülle von Segenssprüchen und Gebe -<br />

ten für die Lebenssituationen von Frauen verfasst.<br />

So heißt es in einem Text von Rabbine rin<br />

Ruth Duvdevani, der nach einer Fehlgeburt<br />

gespro chen werden kann: „Ich entspanne meinen<br />

Körper und wachse im Wasser/ Soll meine Seele<br />

geheilt sein vom lebenden Wasser.“ Einen Text,<br />

den die Mutter der Braut bei ihrem Bad in der<br />

Mikwe anlässlich einer Heirat sprechen kann,<br />

haben die Rabbinerinnen Maya Leibowitz und<br />

Alona Lisitsa verfasst. „Eigentlich habe ich meinen<br />

Studenten immer gesagt, dass wir im Juden -<br />

tum für wirklich jede Situation ein Gebet oder<br />

Dr. Dvora Weisberg (im Bild mit Prof. Dr. Admiel<br />

Kosman), die im Sommer am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

<strong>Kolleg</strong> zu Gast war, ist jetzt zur Direktorin der<br />

School of Rabbinical Studies am Hebrew Union<br />

College-Jewish Institute of Religion in Los<br />

Angeles ernannt worden. Weisberg ist dort Pro -<br />

fessorin für Rabbinische Literatur und Direktorin<br />

des Lainer Beit Midrash. Der Präsident des<br />

Hebrew Union College, Rabbiner Dr. David<br />

einen Segen haben, sogar wenn man zur Toilette<br />

geht“, sagt Rabbinerin Dalia Marx, Liturgiedo -<br />

zen tin am Hebrew Union College in Jerusalem,<br />

die als DAAD-Gastprofessorin derzeit an der Uni -<br />

versität Potsdam und am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong><br />

unterrichtet. Doch das mit dem Segen für jede<br />

Gelegenheit sei nicht ganz richtig, denn für viele<br />

Lebenslagen von Frauen gab es bislang weder<br />

Segen noch Gebet.<br />

Bleibt die Frage nach der Anrede Gottes: In den<br />

USA gab es Versuche, nur noch weibliche oder<br />

geschlechtsneutrale Formen zu verwenden. Eine<br />

Zeitlang wollten Reformerinnen alle männlich<br />

konnotierten Gottesattribute löschen: Auf keinen<br />

Fall sollte er (oder sie oder es) mehr Herr,<br />

Vater, Richter, König oder Krieger sein.<br />

Rabbinerin Dalia Marx spricht angesichts solcher<br />

Verbote von einer „Gedankenpolizei“ und plädiert<br />

für behutsamere Änderungen. „Sie können<br />

im Gebetbuch keine völlige Geschlechtergleich -<br />

heit einführen. Denn sonst geben Sie viel von<br />

den Inhalten preis“, gibt sie zu bedenken. Zudem<br />

müsse man mit dem Siddur anders umgehen als<br />

etwa mit juristischen Texten. Als Beispiel verweist<br />

sie auf das Beispiel des Avinu Malkenu, ein<br />

wichtiges Gebet in der Liturgie der Hohen Feier -<br />

tage. „Was wollen Sie machen? Es heißt ‚avinu’ –<br />

‚unser Vater’ und nicht ‚unsere Mutter’ und auch<br />

nicht ‚unser Elternteil’.“ Viele Femi nistinnen hätten<br />

sich an dem Text nicht gestoßen, aber die<br />

zahlreichen Änderungsversuche, die folgten, hätten<br />

allesamt nicht funktioniert. Denn das Avinu<br />

Malkenu sei ein wichtiger Teil der Liturgie und<br />

ein sehr emotionaler zudem. „Unsere Ahnen<br />

haben es schon rezitiert“, sagt Dalia Marx.<br />

„Manchmal müssen wir einfach zugestehen, dass<br />

in der Liturgie nicht alles gleichberechtigt und<br />

ideologisch koscher ist. Aber wir tun, was wir<br />

können.“ Für die Schriftstellerin Karen Margolis,<br />

die in Südafrika aufwuchs, mit ihrer Familie in<br />

Berlin zu Hause ist und die dies Gesprächsrunde<br />

im Jüdischen Gemeindehaus moderierte, brachte<br />

diese Diskussion eine Vielzahl von Impulsen mit<br />

sich: „Ich hätte nie gedacht, dass sich das Ge -<br />

spräch so fruchtbar entwickeln würde. Dies war<br />

Networking auf bester Ebene!“<br />

Ellenson: “Dr. Weis berg is recognized for her<br />

excellence in scholar ship, teaching, institutional<br />

planning, and mentorship, and has helped transform<br />

our Los Angeles campus into an ever more<br />

congenial learning community. We look forward<br />

to Dr. Weisberg's vision, creativity, and intellectual<br />

strength as she develops the next generations<br />

of rabbinical leaders for the Reform Movement.”<br />

Wir gratulieren!<br />

Dear<br />

Friends –<br />

I am writing these words as we near the end of<br />

this Hebrew calendar year and with the Yamim<br />

Ha’Noraim and the New Year just ahead.<br />

I hope to see many of you at the next WUPJ<br />

International Convention that will take place in<br />

Israel in March 2009. This will be an excellent<br />

opportunity for developing international connections<br />

and for study. It is an exciting chance to<br />

network with hundreds of delegates from tens of<br />

countries who are all partners facing the challenge<br />

of Jewish renewal. The 34th International<br />

Convention will be held in Jerusalem and Tel<br />

Aviv, where we will take part in the 100th birthday<br />

celebrations of the 1st modern, Hebrew city.<br />

We have seen significant expansion of Progres -<br />

sive Judaism in Israel with growing support<br />

within Israel for pluralism and equality between<br />

the streams. As a result of legal and political<br />

battles spearheaded by the Reform movement in<br />

Israel and international pressure, the Israeli government<br />

has provided and erected buildings for<br />

synagogues in several communities. This is a<br />

first, since the establishment of the State of<br />

Israel the discriminatory policy has been to<br />

establish only orthodox synagogues. The growing<br />

interest and support were also expressed in<br />

the impressive results of the wide ranging survey<br />

of Israeli public opinion. According to the survey,<br />

49% of the secular Israeli public most closely<br />

identify with Reform Judaism. In comparison<br />

with the prevalent opinion during the first<br />

decades of Israel's existence – when orthodoxy<br />

was felt to be the only model of real Judaism -<br />

this is truly revolutionary.


Beyond the progress of the Israel Movement, we<br />

are especially proud of the growth and strengthening<br />

of the WUPJ's International Education<br />

Center. Tens of seminars for training leadership,<br />

youth and congregational groups, even youth<br />

counselors from Germany, – young and old – from<br />

around the world were well attended during the<br />

past year. Focus was on strengthening ties to<br />

Israel and deepening Jewish roots which can be<br />

accomplished in Jerusalem as in no other city of<br />

the world.<br />

In the former Soviet Union, the WUPJ presence<br />

has broadened and deepened primarily as a<br />

result of youth programming and physical presence.<br />

Buildings were purchased in Moscow and<br />

St Petersburg and the search is on for a suitable<br />

building in Minsk while the hope is that in the<br />

near future we will find a building in Kiev as well.<br />

We hope to dedicate the centers in Moscow and<br />

St Petersburg in 2009. Some 50 youth clubs are<br />

active – a part of Netzer, the WUPJ's youth movement<br />

– where 1,500 kids meet regularly, several<br />

times a week.<br />

This past year saw regional conferences in Vienna<br />

(the European Region), in Rio de Janeiro (the<br />

Jewish communities of Latin America) as well as<br />

Hobart (Australia, New Zealand & Asia) with<br />

hundreds from the countries of the regions,<br />

including young leadership, participating. These<br />

regional conferences contribute to the WUPJ's<br />

regional structure, to the development of means<br />

of cooperation and information sharing while<br />

ensuring the solidarity of the many arms of our<br />

movement. Regional conferences and the reexamination<br />

of our optimal working methods –<br />

in individual countries, regions and internationally<br />

– are part of the strategic process the WUPJ<br />

has undergone recently. We are making great<br />

effort to develop a work plan that will ensure we<br />

are better prepared for the new reality the<br />

Jewish people face.<br />

During this process, we reworked the WUPJ<br />

Mission Statement and decided on the priorities<br />

we will emphasize in the coming years. Let me<br />

take this opportunity to present our new Mission<br />

Statement:<br />

The mission of the World Union for Progressive<br />

Judaism is to strengthen Jewish life and values<br />

in Israel and Jewish communities throughout the<br />

world by supporting and advancing a progressive<br />

approach to Jewish tradition.<br />

The World Union for Progressive Judaism, in collaboration<br />

with its constituents and affiliates,<br />

works to accomplish its mission by:<br />

* Building and connecting Progressive Jewish<br />

communities worldwide<br />

* Partnering in the development of Israel as a<br />

democratic and pluralistic Jewish state<br />

* Securing the Jewish future by investing in<br />

youth and young adults<br />

* Developing lay, rabbinic and other Jewish professional<br />

leadership<br />

* Advocating social justice and fostering interfaith<br />

understanding<br />

* Supporting the foundation of Judaism: Torah<br />

(study), Avodah (worship), and G’millut<br />

Chasadim (loving acts of kindness)<br />

Let me conclude with the impressive progress<br />

that has been made in Germany and the pride we<br />

feel in our partnership with the UPJ and with<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College as well as the assistance<br />

we have been able to provide them. I have no<br />

doubt that this international partnership and the<br />

work of the WUPJ opposite the German government<br />

and the Zentralrat der Juden in Deutsch -<br />

land strengthened the UPJ leadership and<br />

afforded them a standing that I'm afraid they<br />

would not have enjoyed on their own. As a result<br />

we have seen governmental and international<br />

pressure for recognition and aid for the German<br />

movement expressed by representation at Jewish<br />

community organizations, financial support,<br />

recognition of our youth programs and the jewel<br />

in crown, increasing recognition for the rabbinic<br />

seminary, <strong>Geiger</strong> College. This year <strong>Geiger</strong><br />

College expanded its programs to include cantorial<br />

training and the training of rabbis beyond the<br />

Germany's borders into other countries. The college's<br />

activities are new, bold and far reaching<br />

while in our memories the pictures of the first<br />

ordination of rabbis on German soil since the<br />

Holocaust are still vivid. While we look forward<br />

to a second ordination in the coming year, we<br />

have come to the realization that this was not a<br />

21<br />

one time event but that as <strong>Geiger</strong> reaches its<br />

tenth year, we are involved with an institution<br />

that has rooted itself and established a reputation<br />

well beyond Germany. <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

College has brought respectability to its founders<br />

and leaders, the German progressive movement<br />

and the WUPJ. Its work has also made an important<br />

contribution to strengthening our international<br />

partnership and ties to Israel following<br />

the signing of the historic agreement between<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College and Hebrew Union<br />

College, the established rabbinic seminary in<br />

North America, as well as a similar agreement<br />

with Leo Baeck College in London. These agreements<br />

mean that rabbinic students from all the<br />

movement's training institutes will study together<br />

during their first year in Jerusalem, the importance<br />

and far reaching effects of which cannot be<br />

ignored.<br />

The ability to continue development depends, in<br />

part, upon strengthening our cooperation. After<br />

reaching milestones like the Cantorial and the<br />

Year In Israel Programs in the past year, we look<br />

forward to further progress in the coming year<br />

including <strong>Geiger</strong> College receiving a permanent<br />

home on the Potsdam University campus and the<br />

completion of agreements with the government<br />

guaranteeing support for the College's programs<br />

as well as further progress of relations with the<br />

Zentralrat and the Einheitsgemeinden.<br />

Our strength is in our unity. If only the coming<br />

year would bring progress toward peace, tolerance<br />

and openness, continued global cooperation<br />

and solidarity among Jews and all mankind.<br />

Rabbi Uri Regev<br />

President, WUPJ


Foto: H. Bomhoff<br />

22<br />

Jerusalem<br />

Letztes Jahr besuchten gleich acht Rabbiner stu -<br />

denten des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s im Rahmen<br />

ihres „Year in Israel“ das Hebrew Union College<br />

in der King David Street in Jerusalem, wo sie u.a.<br />

von Rabbiner David Wilfond (im Bild mit unseren<br />

Studenten Boris Ronis und Yuri Kadnykov)<br />

betreut wurden. Unser Student Jörg Ahrens hat<br />

sich in Jerusalem verlobt. Bei den T’naim trug<br />

Juval Porat, der am AGK zum Kantor ausgebildet<br />

wird, das Mischeberach vor. Wir wünschen Mirjam<br />

und Jörg alles Gute! Paul Moses Strasko, der sein<br />

erstes Semester in Jerusalem verbrachte, erhielt<br />

prompt den „Year in Israel Michael Klein Prize for<br />

Academic Excellence“ des Hebrew Union College:<br />

Erfolg und Bestätigung auch für unsere<br />

Kooperation mit dem HUC.<br />

Foto: privat<br />

<strong>Kescher</strong><br />

F<br />

or much of my adult life I have studied,<br />

taught and worked on King David<br />

Street in Jerusalem. It is certainly no<br />

ordinary work address. World leaders<br />

stay there – in recent months we have<br />

played host to Bush, Blair, then Bush again, Blair,<br />

Rice, Blair Carter, Sarkozy, Blair (I’m beginning<br />

to think that man has nothing better to do),<br />

Brown, Mc Cain, Obama – and that doesn’t do justice<br />

to the tens of less famous officials - Fishing<br />

Ministers from Ruritania and Tax Inspectors from<br />

Uzbekhistan.<br />

Then there are the Life Cycle Events. Families<br />

compete with each other to hold the most opulent<br />

and often gaudy events: barmy Bar Mitzvahs,<br />

wild weddings, and far from circumspect circumcisions.<br />

And let’s not forget the welcome crush of<br />

tourists, staying in comfort and often returning<br />

home with some expensive artifacts purchased at<br />

one of our street’s many upscale emporia. More<br />

hotels are on the way, along with a plethora of<br />

swanky apartment buildings aimed at visionaries<br />

and speculators.<br />

It is perhaps a surprise that one of the street’s<br />

most famous and significant landmarks is the<br />

YMCA, an oasis of dialogue and culture and<br />

encounter and health. If you’ve never been, you<br />

owe it to yourself to drink in the architectural<br />

attractions, climb to the top of the tower, and<br />

stop off for a Pilates class at the same time. Jews<br />

and Arabs (both Muslim and Christian) feel at<br />

home at the YMCA.<br />

Over the last years King David Street has also<br />

played host to the Annual Gay Pride parade.<br />

Visitors to similar events might mistake the<br />

throng of men dressed in police uniform walking<br />

by the YMCA as some kind of hommage to the<br />

Village People, but in our city’s parade they are<br />

actually policemen, on hand in order to protect<br />

the crowd from the taunts of those who combine<br />

theological certainty with personal insecurity.<br />

A variety of Jewish institutions grace the street:<br />

on avenues nearby some of the most important<br />

foundations and philanthropic agencies are to be<br />

found. AIPAC is across the street. The Gesher<br />

Institute is opposite my own institution, the<br />

Hebrew Union College, and our campus plays host<br />

to Merkaz Shimshon and Bet Shmuel - the world<br />

headquarters of the Reform Movement. In recent<br />

years an Ultra-Orthodox Yeshiva has opened up<br />

6. Jahrgang | Ausgabe 1


in close proximity. With the international center<br />

of Conservative Judaism a couple of blocks away,<br />

we are arguably situated in the most denominationally<br />

diverse address in the Jewish world. It is<br />

truly the High Street of the Jewish People.<br />

The street is no stranger to acts of violence. The<br />

most spectacular and deadly event took place<br />

back in 1946, with the notorious attack on the<br />

street’s most famous eponymous hotel. 45 years<br />

later, a planned suicide bombing succeeded in<br />

killing the man with the explosive jacket, but no<br />

innocent victims. And now, earlier this week,<br />

King David Street saw the second example in as<br />

many weeks of Tractor Terror. A man driving a<br />

construction vehicle started ramming and<br />

squashing vehicles, although he was killed before<br />

he managed to kill anyone else.<br />

Five of my students were in close proximity to the<br />

attack this week. Four of the College’s Israeli students<br />

were enjoying a break at a local café, and<br />

were afforded a grandstand view of the grim and<br />

swift proceedings. More directly still, one woman<br />

recently arrived from the US on our Year in Israel<br />

Program found herself directly behind the tractor.<br />

As soon as the gunshots began to ring out<br />

she took cover behind a tree. Once the emergency<br />

was over, she dusted herself off and went<br />

to her apartment. When I saw her soon after she<br />

was shaken but not stirred, and we spent some<br />

time talking about her road to the Rabbinate. For<br />

her and hundreds of others, the first Road to the<br />

Rabbinate is King David Street.<br />

When I passed the scene of the attack a couple of<br />

hours later, an assortment of characters had<br />

shown up - a Government Minister in search of a<br />

photo opportunity, and some Kahanist crazies in<br />

search of a hatred opportunity. Chabad were also<br />

there for some reason, with a large banner promising<br />

Messianic days. Somehow the bizarre<br />

nature of the scene seemed natural in a road in<br />

which the incongruous is inevitable.<br />

Those who try to bring death to this place of life<br />

will not succeed, even if (Heaven forbid) a future<br />

attack yields casualties. Somehow the untidy yet<br />

intense drama being played out in the street -<br />

Jews and Arabs, locals and tourists, Liberals and<br />

Traditionalists, wealthy and modest - must not<br />

be curtailed. It may have its tractors and its<br />

detractors, but the spirit of King David Street<br />

cannot be bulldozed.<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Israelische Polizisten bei dem Bullldozer, dessen<br />

Fahrer am 22. Juli in der King David Street einen<br />

Stadtbus und zwei PKWs rammte und dann<br />

erschossen wurde – der zweite Vorfall dieser Art in<br />

kurzer Zeit. Foto © Israeli Gvt Press Office<br />

Life and Death<br />

on King David Street<br />

by Rabbi Dr Michael Marmur<br />

23


24 <strong>Kescher</strong><br />

Vor einigen Monaten gedachte die Präsidentin<br />

der Israelitischen Kultusgemeinde München und<br />

Oberbayern, Charlotte Knobloch, zusammen mit<br />

dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude<br />

der Zerstörung der liberalen Münchner Haupt -<br />

syna goge vor siebzig Jahren, im Juni 1938. Aber<br />

kümmern sie sich auch um die geistigen Erben<br />

der großen liberalen Münchner Tradition? Zur<br />

Erinnerung: Die Stadt München verkaufte das<br />

Grundstück der ehemaligen Hauptsynagoge an<br />

der Herzog-Max-Straße, an deren letzten Gottes -<br />

dienst 1938 mit Rabbiner Leo Baeck auch der<br />

führende Repräsentant des liberalen deutschen<br />

Judentums teilgenommen hatte, an den Kar -<br />

stadt-Konzern zur Erweiterung des Kaufhauses<br />

Pollinger; den Verkaufserlös von rund 20 Millio -<br />

nen Euro überließ die Stadt der orthodox ausgerichteten<br />

IKG, die dieses Geld in die Errich tung<br />

ihres aufwändigen neuen Gemein dezen trums am<br />

St.- Jakobs-Platz steckte. Die heutige Liberale<br />

Jüdische Gemeinde Münchens aber ist ohne eigenes<br />

Domizil: Beth Schaloms 400 Mit glieder müssen<br />

mit zwei angemieteten Räumen in einem<br />

Hinterhof auskommen, von denen sich einer im<br />

Keller befindet. Die rührige Gemeinde, die sich<br />

aus eigener Kraft finanziert, gründete sich 1995<br />

Lev Schwarzmann über die Liberale Jüdische<br />

Gemeinde Ruhrgebiet / von Anke Klapsing-Reich<br />

Die Streichinstrumentalisten des<br />

Gemeinde orches ters Keschet, oben<br />

rechts: Gemeindevorsitzender Lev<br />

Schwarzmann Foto: privat<br />

Fragt man Lev Schwarzmann, wie lange er schon<br />

in Deutschland lebt, antwortet er in Monaten:<br />

„Das hört sich nicht so lange an und man muss<br />

sich nicht immer für die schlechten Sprachkennt -<br />

nisse entschuldigen“, schmunzelt der Oberhau -<br />

se ner. Vor 156 Monaten, sprich 13 Jahren, kam er<br />

aus Moldawien nach Deutschland und Fakt ist,<br />

dass er die deutsche Sprache anstandslos be -<br />

herrscht. Lev Schwarzmann ist der Vorstandsvor -<br />

sitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Ruhr -<br />

gebiet Perusch, die vor drei Jahren, im August<br />

2005, mit Sitz in Oberhausen ins Leben gerufen<br />

wurde und sich der Union Progressiver Juden in<br />

Deutschland (UPJ) anschloss. Perusch bedeutet<br />

übersetzt „Auslegung“ und trifft damit ein An -<br />

lie gen des liberalen Judentums im Kern: „Wir<br />

wollen unsere Religion nicht einfach hinnehmen,<br />

sondern uns mit ihr auseinandersetzen, wir wollen<br />

Formen finden, das Judentum in unser<br />

als eingetragener und gemeinnütziger Verein und<br />

hat 2006 mit der Festanstellung von Rabbiner<br />

Tom Kucera einen wichtigen Schritt in die Zu -<br />

kunft unternommen. Es fehlt nun aber an Mitteln<br />

für ein eigenes angemessenes Domizil.<br />

Chaverim, der rührige Freundeskreis der Libera -<br />

len Jüdischen Gemeinde Beth Shalom, will nicht<br />

länger auf Wunder warten und unterstützt die<br />

Gemeinde nach Kräften. Am 15. Juli wurden<br />

ersten Listen mit 400 Unterschriften an Bürger -<br />

meisterin Strobl und den Stadtrat übergeben.<br />

Darin fordern Münchner Bürger und Bürgerinnen<br />

die Stadt auf, sich zu ihrer Verantwortung auch<br />

für das liberale Judentum zu bekennen. Mit ihrer<br />

Unterschrift äußern die Unterzeichner ihren<br />

Wunsch, dass die Stadt München die Gemeinde<br />

Beth Shalom bei der Suche nach einer neuen und<br />

für die Gemeinde finanzierbaren Synagoge unterstützt<br />

und die notwendige Hilfestellung gibt.<br />

„Die Unterschriftenliste ist nur ein Anfang in<br />

unseren Bemühungen, um Beth Shalom in deren<br />

Sehnsucht nach einer würdigen Synagoge zu<br />

unterstützen“, so Marlies Poss, Vorstand von<br />

Chaverim. Beth Shalom fehlen vor allem Büro -<br />

räume und Räume für den Religionsunterricht.<br />

aktuelles Leben sinnvoll einzubinden“, sieht der<br />

Vor sitzende seine Gemeinde als Angebot an alle<br />

Juden im Ruhrgebiet, sich dem liberalen Juden -<br />

tum anzuschließen. „Die progressive Bewegung<br />

vereint mehr als 1,6 Millionen Juden in der gan -<br />

zen Welt, und auch die nach 1990 in Deutsch land<br />

entstandenen Gemeinden knüpfen an diese Tra -<br />

dition an“. Schwarzmann ist davon überzeugt,<br />

dass dieser Richtung die Zukunft gehört, und seit<br />

Juli ist er auch Vorstandsmitglied der UPJ.<br />

Wie kam er dazu, „Perusch“ zu gründen? „Als ich<br />

nach Deutschland kam, habe ich der jüdischen<br />

Gemeinde Duisburg/Mülheim/Oberhausen angeboten,<br />

meine Fähigkeiten ehrenamtlich einzubringen.<br />

Ich bin Journalist, Moderator, habe als<br />

Sozialarbeiter in den Sprachkursen für die russischen<br />

Auswanderer gearbeitet, aber der Vorstand<br />

wollte mich nicht haben.“ Enttäuscht über die<br />

Ab fuhr trat Schwarzmann aus der orthodox ge -<br />

Unterschriftensammlung für Beth Shalom<br />

Während die Israelitische Kultusgemeinde der<br />

aktuellen Dokumentation „Die Vergangenheit ist<br />

ein fremdes Land“ nach offenbar große Mühe<br />

hat, jüdische Kontingentflüchtlinge an sich zu<br />

binden und sich, so Präsidiumsmitglied Nathan<br />

Kalmanowicz, „nach Jahrzehnte langem Bemü -<br />

hen um den Bau eines Gemeindezentrums nun<br />

die Frage stelle, wie diese nun fertig gestellte<br />

Einrichtung mit Leben zu füllen sei“, platzt die<br />

provisorische Bleibe von Beth Shalom aus allen<br />

Nähten. An den Hohen Feiertagen sind die Ge -<br />

meinderäume regelmäßig komplett überfüllt, es<br />

müssen gar Wartelisten für die Mitglieder erstellt<br />

werden. Das Angebot der Kultusgemein de, Beth<br />

Shalom das Gebäude in der Möhlstraße zu überlassen,<br />

in der früher der Kindergarten und die<br />

Grundschule der IKG untergebracht waren, überzeugt<br />

die Vorsitzende Lauren Rid nicht: „Es gibt<br />

auch dort nicht genug Platz für unsere wachsende<br />

liberale Gemeinde.“<br />

Beth Shalom finanziert sich bislang weitgehend<br />

aus Mitgliedsbeiträgen und großzügigen Spen -<br />

den einzelner Personen. Auch viele Gemeinde -<br />

aufgaben werden nach wie vor ehrenamtlich von<br />

Mitgliedern erbracht. Der Enthusiasmus und das


6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

führten Duisburger Gemeinde aus und gründete<br />

mit Gleichgesinnten das Deutsch-Russisch-Jüdi -<br />

sche Kulturzentrum Trio. Die Partei der Grünen<br />

vor Ort habe Trio einen Raum zur Verfü gung<br />

gestellt, in dem russische Juden aus dem gesamten<br />

Ruhrgebiet zusammengekommen seien, um<br />

jüdische Feiertage zu begehen und sich in der<br />

Gemeinschaft auszutauschen. Als die Räumlich -<br />

keiten 1998 gekündigt wurden, habe einige Jahre<br />

Funkstille geherrscht, bis im Juni 2005 ein<br />

Freund auf Schwarzmann zugekommen sei mit<br />

der Bitte: „Lass uns eine Gemeinde gründen!“.<br />

Lev Schwarzmann gab sofort Gas und stellte jede<br />

Menge auf die Beine. Bibliothek und Chor, Litera -<br />

turclub und Gymnastikgruppe, Diskussionsrunde,<br />

Kinderclub und Theatergruppe, Schach- und<br />

Koch club – mittlerweile herrscht jede Menge<br />

Leben in der neuen Gemeinde, die kürzlich in<br />

angemietete Räumlichkeiten in Oberhausen,<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Perusch kämpft um Anerkennung<br />

Havensteinstraße 52, gezogen ist. Besonders<br />

stolz ist die Gemeinde auf ihr gutes Orchester,<br />

das den Namen Keschet (Regenbogen) trägt.<br />

„Wir haben eine Vereinszeitschrift und einen<br />

Internetauftritt und feiern einmal wöchentlich<br />

Gottesdienst“, freut sich Schwarzmann. Über die<br />

aktuelle Mitgliederstärke mag er keine konkrete<br />

Auskunft geben: „Es könnten mehr sein, aber<br />

unsere Veranstaltungen sind immer sehr gut<br />

besucht.“ Einen Grund für die verhaltene<br />

Beitritt-Bereitschaft sieht der Vorsitzende in<br />

dem Umstand, dass russische Juden in ihrer<br />

Heimat von ihren Wurzeln getrennt waren.<br />

„Wenn diese Menschen ,Religion’ hören, halten<br />

sie erst einmal Abstand.“ Aber die offene, libe -<br />

rale Richtung gebe ihnen die Möglichkeiten, doch<br />

noch den Zugang zum Judentum zu finden.<br />

Außer mehr Mitgliedern wünscht sich der Vor -<br />

sitzende vor allem eine bessere finanzielle Aus -<br />

Münchner Bürger erinnern die Stadt an ihre<br />

Verantwortung / von Hartmut Bomhoff<br />

anhaltende persönliche Engagement der Gemein -<br />

demitglieder haben so die Verwirklichung ihrer<br />

Vision Schritt für Schritt wahrgemacht. Nun<br />

braucht es auch das Bekenntnis der Stadt zu<br />

ihrer Verantwortung für das liberale Judentum in<br />

München. „Für die Zukunft möchten wir unsere<br />

religiöse Autonomie bewahren und weiter wachsen<br />

um die uns gestellten Aufgaben zu erfüllen.<br />

Unsere weiterreichende Vision ist, dass in Mün -<br />

chen wieder eine liberale Synagoge entstehen<br />

wird, in der an die liberale Tradition der Vor -<br />

kriegs zeit anknüpfend gebetet und modernes<br />

jüdisches Leben gelebt werden kann.“ Der Verein<br />

Chaverim, in dem sich Münchner Bürger und<br />

Bürgerinnen mit unterschiedlicher Religions -<br />

zugehörigkeit und parteipolitisch ungebunden<br />

zusammenschließen, um dem Liberalen Juden -<br />

tum mehr Präsenz in der Öffentlichkeit zu verleihen,<br />

unterstützt Beth Shalom finanziell, damit<br />

die Gemeinde ihre religiösen Aufgaben und kulturellen<br />

Interessen so gut wie möglich wahrnehmen<br />

kann.<br />

Näheres unter www.chaverim-münchen.de .<br />

25<br />

stattung für sein bislang ehrenamtlich arbeitendes<br />

Team, um noch erfolgreicher arbeiten zu können.<br />

„Zurzeit klagen wir gegen den Landes ver -<br />

band der Jüdischen Gemeinden Nordrhein, der<br />

uns eine Anerkennung als Gemeinde verweigert“,<br />

konstatiert er. Auf die abschließende Frage nach<br />

seinem Alter antwortet Lev Schwarzmann ebenfalls<br />

in seiner eigenen Art: „Ich lese mein Alter<br />

hebräisch, von hinten nach vorne“, schmunzelt<br />

er. Demnach ist er 16 Jahre alt.<br />

Kontakt: Liberale Jüdische Gemeinde Ruhrgebiet<br />

Perusch, T 0208. 807160, www.ruhr-ju.de, E-Mail:<br />

perusch@t-online.de<br />

Der Beitrag erschien zuerst im August 2008 in<br />

„Schalom", der Zeitschrift des Jüdischen<br />

Museums Westfalen.<br />

Die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemein -<br />

de Beth Shalom Lauren Rid übergibt der 2. Bür -<br />

ger meisterin Christine Strobel eine Unterschrif -<br />

tenliste Foto © Martin Hangen


26 <strong>Kescher</strong><br />

Torarollen für Schleswig-Holstein<br />

Gleichzeitig mit dem Einzug in die neuen Räum -<br />

lichkeiten in Kiel, Jahnstraße 3, wurde am 31.<br />

August die Torarolle für die Jüdische Gemeinde<br />

Kiel eingebracht. Die neue Synagoge der Kieler<br />

Gemeinde befindet sich in der Nachbarschaft der<br />

ehemaligen Synagoge in der Goethestraße. Der<br />

Landesrabbiner von Schleswig-Holstein, Walter<br />

Rothschild (Berlin), gestaltete die Prozession<br />

durch die Kieler Innenstadt und den Gottesdienst<br />

in Anwesenheit zahlreicher Vertreter des öffentlichen<br />

Lebens.<br />

Rothschild hatte der Gemeinde vor drei Jahren<br />

ein gebrauchtes Sefer Tora als Leihgabe zur Ver -<br />

fügung gestellt, die sie jetzt mit Hilfe von Spen -<br />

den erwerben konnte. Bemerkenswert ist, dass<br />

Nach kommen von Mitgliedern der früheren Kieler<br />

Foto © Archiv<br />

Gemeinde sich an der Finanzierung der Tora be -<br />

teiligt haben, weil die heutige Gemeinde in der<br />

Tradition der liberalen Vorkriegsgemeinde steht.<br />

Als die Nationalsozialisten in der Pogromnacht<br />

auf den 10. November 1938 die alte Synagoge in<br />

der Goethestraße zerstörten, verbrannten auch<br />

alle neun Torarollen. Im April 2004 hat sich die<br />

Jüdische Gemeinde Kiel wieder gegründet, da -<br />

mals mit 15 Mitgliedern; inzwischen zählt sie 90<br />

Personen. „Erst durch die Tora sind wir wirklich<br />

eine Gemeinde“, sagt ihr Vorsitzender Liad Inbar,<br />

dessen Großvater Mitglied im Vorstand der Kieler<br />

Vorkriegsgemeinde war, gegenüber der Presse.<br />

Am 1. September fand auch in Elmshorn eine<br />

Toraeinbringung statt; die Prozession zu den<br />

Gemeinderäumlichkeiten wurde unter anderem<br />

Elfriede Jelinek ist Gründungsmitglied von<br />

Chaverim München. 2004 erhielt die<br />

Schriftstel lerin, die in Wien und München<br />

lebt, den Nobel preis für Literatur.<br />

Die Juden wurden Jahrhundert lang in der<br />

Sphäre des Staates und seiner Mechanismen isoliert,<br />

so wie sie in der Gesellschaft isoliert waren.<br />

Diese Isolation hat dazu geführt, dass sie, als sie<br />

der eigenen Vernichtung ins Auge sehen mussten,<br />

hilflos waren, so wie sie dem militanten<br />

Antisemitismus gegenüber immer hilflos gewesen<br />

sind. Hannah Arendt schreibt unter anderem<br />

auch vieles darüber. Es gab keine Gegenwehr<br />

gegen die Massenbewegung der Nazis. Gegen<br />

einen solchen Sturm von Gewalt, auch kalter,<br />

technisierter Gewalt, kann man sich nicht wehren,<br />

vor allem dann nicht, wenn man eben vereinzelt<br />

ist. Jeder Vereinzelte ist isoliert und kann<br />

nicht mehr beurteilen, wo ihm bloß ein gemeines<br />

Vorurteil entgegenschlägt, und wo ihm schon<br />

nackte Gewalt droht. Aber die Angepasstheit der<br />

Juden an die Gesellschaft, ihre Assimilation,<br />

jedenfalls bis zur Schoa, ihr Wunsch dazuzugehö-<br />

6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

von Bürgermeisterin Brigitte Fronzek begleitet.<br />

Von Seiten des Landesverbandes der Jüdischen<br />

Gemeinden von Schleswig-Holstein waren Walter<br />

Blender, Ljudmila Budnikov, Wolfgang Seibert<br />

und Alexander Friedmann zugegen. Für seine<br />

fünf Mitgliedsgemeinden in Bad Segeberg,<br />

Pinneberg, Kiel, Elmshorn und Ahrensburg hat<br />

der liberale Landesverband zusammen mit dem<br />

Landesrabbiner für den Erwerb und Einbringung<br />

von nun schon insgesamt sechs Torarollen in nur<br />

vier Jahren gesorgt. Die Elmshorner Gemeinde<br />

sucht allerdings noch nach finanzieller Unter -<br />

stützung, um den vollen Kaufpreis für ihre neue<br />

Torarolle aufbringen zu können. Der Vorstand<br />

führt dazu aus, dass man in vielen Dingen improvisieren<br />

könne, dass aber an Unterricht, Wissen<br />

und Tora nicht gespart werden dürfe.<br />

Je liberaler<br />

umso lieber<br />

von Elfriede Jelinek<br />

ren, ihre Liberalität, frei zu wählen, welcher politischer<br />

Gruppierung sie sich anschließen wollten<br />

(und konnten), ja zu wählen, ob sie überhaupt<br />

als Juden leben wollten, hatte sie auf diesen tödlichen<br />

schleichenden Prozess der Auslöschung<br />

nicht vorbereitet. Daher ist es besonders wichtig,<br />

sich zusammenzuschließen, zu organisieren, und<br />

jede Organisationsform, von der religiösesten,<br />

orthodoxesten bis zur weltlichsten, zuzulassen.<br />

Die vielfachen Möglichkeiten zur Organisation<br />

bedeuten ja Demokratie, und Demokratie ist der<br />

beste Garant gegen jede Form der Gefährdung. Es<br />

kann keinen Alleinvertretungsanspruch für alle<br />

Juden oder Judenmischlinge geben (wie mich<br />

und viele andere, ich verwende das Wort Misch -<br />

ling, obwohl es eine Nazischöpfung ist und mir<br />

widerstrebt, um darauf hinzuweisen, dass eben<br />

nicht alles schwarz oder weiß ist), es kann nicht<br />

nur eine einzige Gemeinde geben, die eine Art


<strong>Kescher</strong><br />

Gott will das Leben<br />

Ernst Ludwig Ehrlich (1921–2007) hielt diese<br />

Predigt anlässlich des Jüdischen Neujahrsfestes<br />

1990 in der Synagoge Fränkelufer in Berlin. Der<br />

jüdische Reli gionsphilosoph, der 2007 mit dem<br />

Israel Jacob son-Preis der Union progressiver<br />

Juden ausgezeichnet wurde, war dem <strong>Abraham</strong><br />

<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> unter anderem als Ehrensenator<br />

und als Mitglied im Stiftungs rat der Leo Baeck<br />

Foundation eng verbunden.<br />

Alleinvertretungsanspruch erhebt, es muss jeder,<br />

jedem überlassen bleiben, mit wem und wo er<br />

sich organisieren will. Aber organisieren sollte,<br />

nein, muss man sich. Sonst besteht die Gefahr,<br />

dass die Wirklichkeit sich wieder verzerrt, die<br />

Gesellschaft entgleist und aus dem Ruder läuft<br />

und die Narren und Verbrecher wieder irgendwelchen<br />

Phantasien von jüdischen Weltverschwörun -<br />

gen nachgeben. Denn ein Sich-Abschließen von<br />

der Außenwelt, ein Verharren in inneren Kreisen,<br />

könnte zu der Gefahr führen, dass in der kranken<br />

Phantasie der Leute den Juden wieder, wie so oft<br />

in der Geschichte, eine Macht zugeschrieben<br />

wird, die sie nie hatten, nie haben wollten und<br />

auch nicht haben wollen. Deshalb muss es viele<br />

jüdische Gemeinden geben, je mehr desto besser.<br />

Je liberaler umso lieber.<br />

Das Judentum ist, kurz gesagt, Gottes Suche nach<br />

dem Menschen / von Ernst Ludwig Ehrlich s. A.<br />

Wenn Juden sich an Rosch Ha schana treffen,<br />

pflegen sie sich mit der bekannten Wunsch formel<br />

zu grüßen: „Le’schan towa tikkatew we’techatem“,<br />

„zu einem guten Jahr mögest du eingeschrieben<br />

und besiegelt werden.“ Hinter diesem<br />

Wunsche steht die Vorstellung, Rosch Ha scha na<br />

habe etwas mit dem Leben der Menschen zu tun,<br />

ja mit der Zukunft des Menschen. Diese aber ist<br />

eng mit der Teschuwa verknüpft, mit der großen<br />

Chance der Umkehr. Sie bedeutet, dass der<br />

Mensch an sich arbeiten kann. Rosch Ha schana<br />

ist daher der Anlass im jüdischen Jahr, einmal<br />

mehr den Versuch zu unternehmen, sein eigenes<br />

Leben für sich selbst zu bedenken und daraus<br />

Konsequenzen zu ziehen. Wir brauchen einen<br />

solchen Tag; das hat nicht nur mit Religion zu<br />

tun, sondern schlicht mit uns selbst.<br />

Die eben erwähnte Grußformel geht auf ein<br />

Rosch Haschana-Gebet zurück. „Gedenke unser<br />

zum Leben, König, der Du am Leben Wohlgefallen<br />

hast; und schreibe uns ein in das Buch des<br />

Lebens, um Deinetwillen, Gott des Lebens.“ Uns<br />

fällt zunächst auf, dass in diesem relativ kurzen<br />

Satz nicht weniger als viermal das Wort „chayim“,<br />

Leben, erscheint. Und auch die Begründung<br />

ist merkwürdig: „um Deinetwillen“; Gott will,<br />

dass der Mensch lebt. Möge der das Seinige tun,<br />

27<br />

damit das Verhältnis zwischen ihm und Gott heil<br />

sei, in Ordnung komme. Aber dieses „um Deinet -<br />

willen“ bedeutet noch mehr: Offenbar braucht<br />

Gott den Menschen; Gott sucht ihn nicht nur, wie<br />

es im Titel des Buches des bedeutenden jüdischen<br />

Religionsphilosophen <strong>Abraham</strong> Joshua<br />

Heschel heißt: „Gott sucht den Menschen“.<br />

Dieses „um Deinetwillen“ heißt für uns, um<br />

Gottes willen, möge der Mensch die Vorausset -<br />

zun gen schaffen, dass er in das Buch des Lebens<br />

eingeschrieben werde. Gott will also das Leben<br />

des Menschen, und der Mensch soll diese Welt so<br />

gestalten, dass sie zum Leben führe, am Leben<br />

bleibe. Mit solchen Gedanken stehen wir natürlich<br />

mitten in unserer Gegenwart, und so bedarf<br />

es heute wirklich nicht mehr der Aufzählung der<br />

mannigfachen Gefahren, denen die Menschheit<br />

ausgesetzt ist. Es wäre langweilig, das alles zu<br />

wiederholen, was wir ohnehin täglich aus den<br />

Medien erfahren. Aber vom Leben handelt Rosch<br />

Haschana und unser Machsor. So heißt es in ihm:<br />

„Im Buche des Lebens, des Segen, des Friedens<br />

und einer guten Erhaltung mögen wir bedacht<br />

und vor Dir eingeschrieben werden, wir und Dein<br />

Volk, das Haus Israel, zu einem glücklichen<br />

Leben und zum Frieden. Gelobt seist Du Herr, der<br />

Du den Frieden schaffst.“<br />


28<br />

Es bedarf keiner Entschuldigung, am religiösen<br />

Jahresanfang nicht nur um leben, sondern auch<br />

um sein Auskommen und ein wenig Lebensglück<br />

zu beten. Das Judentum vertröstet den Menschen<br />

nicht auf ein Jenseits, denn hier in dieser Welt ist<br />

der Ort unserer Bewährung. Gewiss wissen auch<br />

unsere Lehrer, dass unser menschliches Leben<br />

seine Grenze hat, dass nicht alles machbar ist,<br />

daher eben dieses Gebet. Dennoch ruft es mit<br />

seinen ganz konkreten Wünschen dazu auf, der<br />

Mensch möge sich nicht nur auf Gnade und<br />

Hoffnung verlassen, sondern das Seinige zu<br />

unserem Überleben zu tun.<br />

Diese Spannung zwischen dem Heute und Hier<br />

und der verheißenen Zukunft kennen unsere<br />

Rabbinen, wenn es im Talmud etwa heißt: „Diese<br />

Welt ist wie ein Vorraum, wie eine Diele, vor der<br />

kommenden Welt. Bereite dich in diesem Vor -<br />

raum vor, so dass Du einst in die Halle eintreten<br />

kannst.“ Unser Handeln wird hier als eine<br />

Voraus setzung für ein kommendes Reich Gottes<br />

verstanden. Wir sind dabei quasi Partner Gottes.<br />

Wir sprechen von unseren Gebeten. Manche<br />

mögen fragen, ob wir überhaupt noch beten können,<br />

nach allem, was uns widerfahren ist. Wenn<br />

wir vom Buch des Lebens sprechen, denken wir<br />

an unsere sechs Millionen Märtyrer, die eben<br />

nicht in dieses Buch des Lebens eingeschrieben,<br />

unschuldige Menschen, die grausam ermordet<br />

wurden. Unsere Verwandten und Freunde. Es ist<br />

merkwürdig, wie in einem alten Midraschwort<br />

darauf eine Antwort zu geben versucht wird: „Die<br />

Tore des Gebets sind das eine Mal geöffnet, das<br />

andere Mal verschlossen; die Tore der Teschuwa,<br />

der Umkehr aber sind immer geöffnet.“ Daher<br />

markiert Rosch Haschana für uns Juden nicht nur<br />

einen kalendarischen Termin, sondern der Tag<br />

kann auch ein Ereignis in unserem Leben werden;<br />

wir stehen hier in der Gemeinde, aber jeder<br />

Einzelne hört auch in sich, führt sein eigenes<br />

Gespräch, das nur ihn angeht.<br />

Die Akeda, die Bindung Isaaks, gehört auch in<br />

diesen Bereich. Sie ist der äußerste Appell Gottes<br />

dass Er das Leben will, und eben nicht den Tod<br />

dieses unschuldigen Knaben Isaak. Die Ge -<br />

schichte ist keineswegs nur Beweis für den<br />

Gehorsam <strong>Abraham</strong>s, sondern weit mehr noch die<br />

äußerste Weise, wie uns gesagt werden kann,<br />

dass der Mensch leben soll. Issak ist hier das<br />

Symbol für jeden einzelnen Menschen. „Melech<br />

chafez be’chayim“. Gott will das Leben. Und wir<br />

Juden haben nach allem, was geschah, eine ganz<br />

besondere Beziehung zu diesem Wort „chayim“.<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Wer überleben durfte, empfindet Leben als ein<br />

Geschenk. Das können wir der zweiten<br />

Generation kaum noch übermitteln.<br />

Wenn wir über „chayim“ reden, werden unsere<br />

Gedanken ohne weiteres auch auf das Land Israel<br />

gerichtet: „Be’sefer ha’chayim beracha we’schalom<br />

u’farnassa towa, nisacher we’nikatew le’fanecha,<br />

anachnu we’chol amcha beth Jisrael, le’chayim<br />

towim u’le’schalom. Baruch ata Adonai,<br />

ose ha’schalom.“ Zweimal wieder das Wort „chayim“,<br />

dann aber das entscheidende Wort dieser<br />

Bracha: Schalom. „Im Buch des Lebens, des<br />

Segens, des Friedens und der Ernährung lass<br />

unser und Deines ganzen Volkes Israel gedacht<br />

sein, und lass uns zum Leben, zum Segen und<br />

zum Frieden eingeschrieben werden. Gepriesen<br />

seist Du, Herr, Spender des Friedens.“ „Unser<br />

und Deines ganzen Volkes Israel.“ Wir Juden sind<br />

eine Solidargemeinschaft, ob wir es wollen oder<br />

nicht. Es ist merkwürdig, diese Form der Solida -<br />

rität als ein theologisches Phänomen gibt es nur<br />

im Judentum, im guten wie im Bösen. „Kol<br />

Jisrael jesch lahem chelek le’olam ha’ba“, heißt<br />

es in der Mischna: „Ganz Israel hat Anteil an der<br />

zukünftigen Welt.“ Israel wurde durch die Brit,<br />

den Bund mit Gott, einst als Ganzes erwählt, und<br />

es wird einst auch als Ganzes gerettet werden.<br />

Das ist ein Geheimnis Gottes, das zu ergründen<br />

uns nicht möglich ist.<br />

„Anachnu, we’chol amcha beth Jisrael“.<br />

„Amcha“: Dein Volk. Israels Gotteserfahrung ist<br />

nicht das Ergebnis einer Suche. Israel hat nicht<br />

Gott entdeckt, es wurde offenbar von Gott entdeckt.<br />

Das Judentum ist, auf eine kurze Formel<br />

gebracht, Gottes Suche nach dem Menschen. Die<br />

Hebräische Bibel ist der Bericht davon, wie Gott<br />

sich Seinem Volke naht. Wir finden in der Bibel<br />

mehr Beweise für Gottes Liebe zu Israel als für<br />

Israels Liebe zu Gott. „Amcha“: Dein Volk. Nicht<br />

wir haben Gott erwählt. Er hat uns erwählt. Es<br />

gibt keine Vorstellung von einem auserwählten<br />

Gott, wohl aber den Begriff eines auserwählten<br />

Volkes. Dieser Begriff bedeutet<br />

natürlich nicht, dass ein Volk auf<br />

Kosten anderer Völker bevorzugt<br />

wäre. Wir sind kein überlegenes<br />

Volk, wohl aber eines, dem sich<br />

Gott genähert hat. Die<br />

Bedeutung des<br />

6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

Wortes gilt in Beziehung zu Gott und nicht in<br />

Beziehung auf andere Völker. Es bezeichnet nicht<br />

eine Qualität, die dem Volke innewohnt, sondern<br />

diese Beziehung zwischen dem Volke und seinem<br />

Gott. „Amcha“: Dein Volk.<br />

Wir sind eine Solidar- und eine Schicksals ge -<br />

mein schaft. Daher ist etwa die Frage des Frie -<br />

dens in und mit Israel für uns auch eine Frage<br />

unseres eigenen Friedens. „Unser und Deines<br />

ganzen Volkes Israel Frieden.“, „anachu we’chol<br />

amcha beth Jisrael“. Mir scheint, diese Frage<br />

bewegt uns an diesem Rosch Haschana beson -<br />

ders, weil dieser Staat endlich seinen äußeren<br />

Frieden braucht, sowie seinen inneren in sozialer,<br />

wirtschaftlicher, religiöser, politischer<br />

Hinsicht. Mit äußeren Feinden kann man militärisch<br />

fertig werden, mit seiner inneren Not hat<br />

man auf andere Weise zu verfahren. Daher empfinden<br />

wir gerade jetzt diese beiden Leit worte<br />

unseres Rosch Haschana, „chayim“ und „schalom“,<br />

so besonders stark; beides schließt uns<br />

noch stärker mit dem Land Israel und seinen<br />

Menschen zusammen: „anachu we’chol amcha<br />

beth Jisrael“: „Wir, und Dein ganzes Volk Israel.“<br />

Dein Volk. Rosch Haschana hat nichts mit Politik<br />

zu tun. Aber unsere Meditation über den Frieden<br />

in diesem Land wird uns nicht nur durch unsere<br />

Gebete am Rosch Haschana nahegelegt, sondern<br />

auch durch die Haftara des zweiten Tages, nämlich<br />

die Lesung des Propheten Jeremia. Es ist das<br />

31. Kapitel. Es kann doch kein Zufall sein, dass<br />

unsere Lehrer gerade diesen Abschnitt für Rosch<br />

Haschana bestimmt haben. Da finden sich Sätze<br />

wie: „Der Israel zerstreut hat, sammelt es wieder“,<br />

da ist von Zion die Rede und davon, dass sie<br />

„heimkehren“ werden, und dass die Zukunft voller<br />

„tikwa“, Hoffnung, sei. „Deine Kinder werden<br />

heimkehren in ihr Land“, „we’schawu wanim li’gwulam“.<br />

Das haben Juden in den Jahrhunderten<br />

nicht spiritualisiert, sie haben es ganz konkret<br />

verstanden. Für sie war diese Verheißung des


Propheten lebendige „tikwa“, Zukunftshoffnung.<br />

Hatikwa.<br />

Man liest einen solchen Text nicht am Rosch<br />

Haschana, ohne dass davon in Jahrhunderten<br />

nicht etwas in der Seele eines Volkes haften<br />

bleibt. Wenn es so etwas wie ein kollektives<br />

Unbewusstes gibt, so ist die Vorstellung von diesem<br />

„Heimkehren in ihr Land“ zutiefst in die<br />

Seele des jüdischen Volkes eingeschrieben worden.<br />

Wir können uns nur darüber wundern, wie<br />

wenig unsere nichtjüdische Umwelt das zu verstehen<br />

versucht; es ist für uns offensichtlich. So<br />

wird im Judentum Religiöses mit nur scheinbar<br />

Politischem verbunden. Wir beten, dass es uns<br />

gelingen möge, umzukehren; wir setzen uns mit<br />

einem Begriff wie Leben, „chayim“, auseinander,<br />

und unsere Gedanken wenden sich vor allem zum<br />

Lande Israel, wenn wir das Wort Frieden hören.<br />

Das führt uns unwillkürlich zu dem berühmten<br />

Wort von Hillel aus den Pirkei Awot: „Gehöre zu<br />

den Schülern Aarons, liebe den Frieden und jage<br />

dem Frieden nach, liebe die Menschen, alle<br />

Menschen, es steht dort ‚ha’brijot’, die Geschöp -<br />

fe, und bringe sie der Tora nahe.“ Dieser Aus -<br />

spruch des Hillel ist so tief, dass wir ihn kaum<br />

ausschöpfen können. Er enthält eigentlich die<br />

ganze Philosophie des Judentums. Frieden zu lieben<br />

allein, sagt Hillel, genügt nicht, man muss<br />

ihm nachjagen, „rodef schalom“. Aber das wird<br />

uns nur gelingen, wenn wir wieder einen Sinn<br />

dafür erhalten, was Liebe zu den Menschen<br />

bedeutet, nicht etwa abstrakt, sondern auf dem<br />

Hintergrund dessen, was unser geistiges Erbe ist,<br />

die Tora, das geistige Element unserer Existenz,<br />

unsere Ethik. Wir haben dafür selbst etwas zu<br />

tun. Aber unser Machsor sagt auch, dass wir dazu<br />

etwas brauchen, das nicht allein von uns stammt.<br />

In der Bracha, die wir vorhin zitierten, heißt es<br />

am Schluss: „Baruch ata Adonai, ose ha’schalom“,<br />

„der Du den Frieden machst.“ Wir Men -<br />

schen können und müssen Ihm dabei helfen,<br />

indem wie diesem Frieden nachjagen, aber ohne<br />

den Einen, zu dem wir an den Jamim Nora’im<br />

beten, wird es uns vermutlich nicht gelingen.<br />

Und daher beten wir: „Im Buch des Lebens, des<br />

Segens, des Friedens und der Ernährung, lass uns<br />

zum Leben, zum Segen und zum Frieden eingeschrieben<br />

sein werden. Gepriesen seist Du Herr,<br />

der Du den Frieden schaffst. Baruch ata Adonai,<br />

ose ha’schalom.“<br />

<strong>Kescher</strong><br />

B U C H T I P P<br />

Hanspeter Heinz / Hans Hermann Henrix (Hrsgg.)<br />

„Was uns trennt, ist die Geschichte“<br />

Ernst Ludwig Ehrlich – Vermittler zwischen<br />

Juden und Christen<br />

Verlag Neue Stadt, München/Zürich/Wien 2008,<br />

ISBN 978-3-87996-750-6, kt. ca. 256 S., € 19,90<br />

Ernst Ludwig Ehrlich (1921 – 2007) kam aus<br />

einem bewusst jüdisch-religiösen Berliner<br />

Eltern haus, erlebte als Schüler persönliche An -<br />

feindungen und gelangte nach einer Flucht auf<br />

abenteuerlichen Wegen in die Schweiz – ohne<br />

seine Mutter, die umgebracht wurde. Ehrlich hat<br />

sich trotzdem den Glauben an den Menschen be -<br />

wahrt und nach neuen Wegen zueinander ge -<br />

sucht. Er wurde ein Mann von großer Aus strah -<br />

lung, umfassendem Wissen und außergewöhnlichem<br />

politischen Geschick. Seine profunde<br />

Kennt nis von Judentum und Christentum, sein<br />

erfolgreiches Wirken für den Wiederaufbau jüdischen<br />

Lebens in ganz Europa und seine Pionier -<br />

arbeit für ein neues Verhältnis zwischen Christen<br />

und Juden fanden große Anerkennung. Die Bei -<br />

träge dieses Bandes umspannen ein breites<br />

Spektrum: Bewertung des Konzils, an dessen<br />

„Judenerklärung“ er als Berater mitgewirkt hat –<br />

Notwendigkeit und Hindernisse des Dialogs – Wie<br />

mit der Erinnerung an die Schoa umgehen in<br />

Im Dialog: Ernst Ludwig Ehrlich mit<br />

Hanna-Renate Laurien Foto © M. Schmidt<br />

29<br />

Deutschland und in Polen – Juden und Christen<br />

im neuen Europa (nach 1989) – Jüdisches und<br />

christliches Verständnis von Gott, Jesus, Bibel,<br />

Hoffnung u.a.m. Die Herausgeber, Hanspeter<br />

Heinz und Hans Hermann Henrix, katholische<br />

Theologen, waren seit 1971 mit Ernst Ludwig<br />

Ehrlich in Freundschaft und Zusammenarbeit verbunden,<br />

vor allem im Gesprächskreis „Juden und<br />

Christen“ im Zentralkomitee der deutschen<br />

Katholiken.


30<br />

Kurz nach Redaktionsschluss von <strong>Kescher</strong> stand<br />

eine ganz besondere Begegnung für einige unserer<br />

Rabbinerstudenten auf dem Programm: Vom 16. bis<br />

20. September waren Madelon Fleminger, Evgeny<br />

Plyukhin, Paul Strasko und Yan Tsipris in polnischen<br />

Lublin zu Gast, um sich mit den Studieren -<br />

den des dortigen Priesterseminars über das besondere<br />

Verhältnis von Christentum und Judentum zu<br />

verständigen. Die Veranstalter bezogen sich dabei<br />

auf das geistige Vermächtnis von Johannes Paul II.<br />

Er formulierte bereits 1979: „Unsere beiden Reli -<br />

gionsgemeinschaften sind auf der Ebene ihrer je<br />

eigenen religiösen Identität eng und beziehungsvoll<br />

miteinander verbunden“. Besondere Bedeu -<br />

tung hatte dabei das gemeinsame Gebet in der<br />

Gedenkstätte für das nationalsozialistische Kon -<br />

zentrationslager Majdanek in der Nähe von Lublin,<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Jüdisch-katholische Begegnung<br />

Seminarangebot des <strong>Abraham</strong><br />

<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s in Bamberg<br />

Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> bietet vom 20. - 23.<br />

November 2008 in Bamberg eine Weiterbildung<br />

für Führungskräfte jüdischer Gemeinden in<br />

Deutsch land an. Gut ausgebildete, motivierte<br />

und aktive Gemeindemitglieder sind die besten<br />

Partner beim Aufbau eines anspruchsvollen jüdischen<br />

Gemeindelebens. Wir wollen mit unserem<br />

Seminarangebot engagierte Gemeindevertreter<br />

für ihre Aufgaben stärken.<br />

Rabbiner Prof. Dr. Samuel K. Joseph, Professor<br />

für Jüdische Erziehung und Leadership Develop -<br />

ment am Hebrew Union College in Cincinnati,<br />

wird dieses Projekt leiten. Rabbiner Joseph war<br />

bereits in den Jahren 2006 und 2007 in Deutsch -<br />

wo während der deutschen Besatzung im Zweiten<br />

Weltkrieg 230.000 Menschen ermordet wurden.<br />

Dass in Lublin auf Einladung von Erzbischof Jozef<br />

Zycinski (im Bild) positive Beziehungen zwischen<br />

jüdischen und katholischen Studierenden und<br />

Dozenten ge knüpft werden konnten, könne nicht<br />

über die Belastungen durch die kontroverse<br />

Neufassung der Karfreitagsfürbitte für katholische<br />

liturgische Feiern nach „altem Usus“ hinweg täuschen,<br />

betonte der Rektor des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

<strong>Kolleg</strong>s, Walter Homolka. Es sei aber zu begrüßen,<br />

dass die ge meinsame Initiative zwischen Potsdam<br />

und Lublin das interreligiöse Gespräch nun auf<br />

anderer Ebene fortführe. Die vier<br />

Rabbinerstudenten stammen ursprünglich aus<br />

Russland und den USA. Sie wurden von Rabbiner<br />

Professor Homolka und Professor Heinz-Günther<br />

6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

Rabbinerstudenten im Dialog mit polnischen Seminaristen<br />

land und hat am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> unterrichtet.<br />

Er ist daher mit den deutschen Ge mein -<br />

den und deren Strukturen gut vertraut. Das<br />

Weiterbildungsprogramm wird durch die großzügige<br />

Unterstützung der UJA Federation New York<br />

ermöglicht. Sie deckt auch Reisekosten und die<br />

Unterbringung für ca. 25 Teilnehmer ab. Das Se -<br />

minar im November 2008 ist der erste Teil eines<br />

über ein Jahr angelegten Programms. Die zweite<br />

Tagung mit dem selben Teilnehmerkreis ist für<br />

den Zeitraum vom 3. – 5. April 2009 geplant.<br />

Die Seminarteilnehmer sollen in gemeindlicher<br />

Führungskompetenz und in Managementfähig -<br />

keiten unterrichtet werden, speziell im Bereich<br />

Schöttler begleitet und in Lublin auch von<br />

Rabbinerin Tanya Segal und Rabbiner Burt E.<br />

Schuman (Warschau) unterstützt. Die Begegnung<br />

wurde von der „Stiftung für deutsch-polnische<br />

Zusammenarbeit“ mit Sitz in Warschau gefördert.<br />

Heinz-Günther Schöttler ist Professor für Pastoral -<br />

theologie an der Universität Regensburg; er hat<br />

seit 2006 die Ephraim-Veitel-Stiftungsdozentur für<br />

Homiletik am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> inne und<br />

engagiert sich seit Jahren im interreligiösen Dia -<br />

log, auch in Lublin. Der dortige Erzbischof Pro -<br />

fessor Jozef M. gilt als der profilierteste Intel lek -<br />

tuelle im polnischen Episkopat und ist dem breiten<br />

polnischen Publikum nicht nur als brillanter<br />

Prediger, sondern vor allem als Publizist und<br />

Essayist bekannt. Red<br />

Lay Leadership Training<br />

der Zusammenarbeit mit Kantoren und Rabbi -<br />

nern. Sie sollen darin geschult werden, den<br />

Gemeindeaufbau mitzuorganisieren und verstärkt<br />

Verantwortung in den Gemeinden erkennen<br />

und übernehmen zu können. Dazu werden<br />

sie auch mit dem Umgang mit Gruppen und<br />

Gruppendynamiken vertraut gemacht. Für jüdische<br />

Gemeinden besteht noch die Möglichkeit,<br />

engagierte Mitglieder für die Teilnahme an diesem<br />

Programm zu empfehlen.<br />

Senden Sie uns dazu bitte Namen und Adressen<br />

per Email an brenker@abraham-geiger-kolleg.de<br />

oder per Post an: <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>,<br />

Postfach 120 582, 10598 Berlin.


Rabbiner Dr. A. Stanley<br />

Dreyfus s. A.<br />

Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> und die Leo Baeck<br />

Foundation trauern um einen langjährigen<br />

Freund und Förderer, Rabbiner Dr. A. Stanley<br />

Dreyfus, der am 8. Juli in New York verstorben<br />

ist. Unser besonderes Mitgefühl gilt seiner Witwe<br />

Marianne C. Dreyfus, der Enkelin von Rabbiner<br />

Leo Baeck, und ihrer Familie.<br />

Dreyfus war einer der führenden liberalen Rabbi -<br />

ner in den USA und Professor am Hebrew Union<br />

College-Jewish Institute of Religion, wo er für<br />

mehr als vierzig Jahre Liturgie und Kommentare<br />

am New Yorker Campus unterrichtete. Er war von<br />

1980-1991 als Director of Rabbinic Placement bei<br />

der Central Conference of American Rabbis (CCAR)<br />

tätig; zuvor leitete er das Liturgie-Komitee der<br />

CCAR. „Our community mourns the loss of a beloved<br />

colleague and friend, Dr. A. Stanley Dreyfus,<br />

whose consummate leadership, professional<br />

skill, scholarly wisdom, and compassionate concern<br />

reflected the highest teachings of our faith<br />

and our people,” sagte Rabbiner Dr. David Ellen -<br />

son, der Präsident des Hebrew Union College zum<br />

Tod von Rabbiner Dreyfus und erinnerte daran,<br />

das der Verstorbene ein lebendiges Erbe in den<br />

Herzen der Tausende von Studenten hinterlässt,<br />

die er unterrichtete und betreute.<br />

A. Stanley Dreyfus wurde am 31. Januar 1921 in<br />

Youngstown, Ohio, geboren. Nach seinem Studi -<br />

um an der University of Cincinnati und am<br />

Hebrew Union College wurde er dort 1946 ordiniert.<br />

1951 machte er seinen Doktor in Jüdischer<br />

Theologie. Rabbiner Dreyfus diente von 1956-<br />

1965 als Chaplain in der U.S. Army, war Visiting<br />

Minister an der West London Synagogue und<br />

Rabbiner in einer Reihe amerikanischer Gemein -<br />

den, zuletzt – von 1965 bis 1979 - am Union<br />

Temple in Brooklyn, NY. Sein großes Engagement<br />

für das liberale Judentum kam in seinen vielen<br />

Ehrenämtern zum Ausdruck, etwa im Board of<br />

Governors der World Union for Progressive<br />

Judaism; daneben machte er sich mit zahlreichen<br />

Aufsätzen und Rezensionen einen Namen, aber<br />

auch als Herausgeber des Book of Prayers (1948,<br />

1961) und als Verfasser einer Biographie von<br />

Henry Cohen. Das Hebrew Union Colleg zeichnete<br />

Dreyfus 1971 für seine Verdienste mit einem<br />

Ehrendoktortitel aus.<br />

Er hinterlässt seine Frau Marianne, mit der er<br />

seit 1950 verheiratet war, seinen Sohn Dr. James<br />

Dreyfus und dessen Frau, Rabbinerin Ellen<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Weinberg Dreyfus, sowie die Witwe seines verstorbenen<br />

Sohns Richard, Helen Bagot Dreyfus,<br />

und fünf Enkelkinder. Möge die Erinnerung an<br />

ihn ein Segen sein.<br />

B U C H T I P P S<br />

Küng, Hans / Homolka, Walter<br />

Weltethos aus den Quellen des Judentums<br />

In der Menschheitsgeschichte war und ist es das<br />

Judentum, das Gerechtigkeit, also den rechten<br />

Umgang von Menschen untereinander, zur Kern -<br />

frage der Religion gemacht hat. Hans Küng und<br />

Walter Homolka führen ein in die zentrale Idee<br />

vom ethischen Zusammenleben der Menschen.<br />

Dabei bieten sie auch Einblick in Kerntexte zur<br />

Ethik aus drei Jahrtausenden jüdischer Weisheit,<br />

angefangen von der Hebräischen Bibel bis zu den<br />

jüdischen Religionsphilosophen der Moderne. Die<br />

repräsentative Textsammlung orientiert sich an<br />

den Leitlinien der „Erklärung zum Weltethos“,<br />

die unter Federführung von Hans Küng entstand<br />

und 1993 von Vertretern aller Weltreligionen verkündet<br />

wurde: Gewaltlosigkeit, Solidarität, Tole -<br />

ranz und Partnerschaft zwischen Frauen und<br />

Männern.<br />

Verlag Herder<br />

Format: 12,5 x 20,5 cm, ca. 192 Seiten, Pappband<br />

ISBN 978-3-451-32115-3<br />

€ [D] 16,95 / sFr 30.90<br />

1. Auflage erscheint: Oktober 2008<br />

Homolka, Walter / Zenger, Erich (Hrsg.)<br />

„... damit sie Jesus Christus erkennen“<br />

Die neue Karfreitagsfürbitte für die Juden<br />

31<br />

Die Neufassung der Karfreitagsfürbitte des Paps -<br />

tes hat vielfältige Reaktionen ausgelöst. Der<br />

Band bildet die kontroversen Positionen zu diesem<br />

sensiblen Thema ab und zeigt Zukunftsper -<br />

spektiven für das katholisch-jüdische Gespräch<br />

auf.<br />

Mit Beiträgen von: Henry G. Brandt, Johannes<br />

Brosseder, Micha Brumlik, Elias H. Füllenbach OP,<br />

Albert Gerhards, Günther B. Ginzel, Hanspeter<br />

Heinz, Hans Hermann Henrix, Walter Homolka,<br />

Nathan Kalmanowicz, John T. Pawlikowski OSM,<br />

Heinz-Günther Schöttler, Jonah Sievers, Michael<br />

A. Signer, Knut Wenzel, Josef Wohlmuth, Erich<br />

Zenger sowie der Stellungnahme des Gespräch -<br />

kreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomi -<br />

tee der deutschen Katholiken, einer Übersicht<br />

über die Fürbittformulierungen seit 1570 und der<br />

Stellungnahme des Vatikanischen Staatssekre -<br />

tariates.<br />

Verlag Herder 2008<br />

Format: 11,9 x 19,8 cm, 224 Seiten, kartoniert<br />

ISBN 978-3-451-29964-3<br />

€ [D] 11,95 / sFr 22.50<br />

www.herder.de


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Die Studiengänge des Instituts für Jüdische<br />

Studien / School of Jewish Studies an der<br />

Universität Potsdam dienen in einer für Deutsch -<br />

land innovativen Form der Vermittlung und Er -<br />

forschung der jüdischen Religions- und Kultur -<br />

geschichte. Dabei verbindet sich wissenschaftliche<br />

Exzellenz mit großer Themenvielfalt. In diesem<br />

Wintersemester werden für die gut 400<br />

Studierenden mehr als 60 Seminare, Übungen<br />

und Vorlesungen im Bereich Jüdische Studien<br />

angeboten. Wir freuen uns, dass der Präsident<br />

des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s, Rabbiner Prof. Dr.<br />

Walter Jacob, auch in diesem Semester wieder<br />

am Institut für Religionswissensschaft unterrichten<br />

wird. Sein Thema ist „Feminismus in der<br />

Rabbinischen Literatur“. Neben Rabbiner Prof.<br />

Dr. Walter Homolka, Prof. Dr. Admiel Kosman,<br />

Rabbinerin Dr. Dalia Marx und Bettina Schwarz<br />

MA unterrichtet im Winter noch ein weiterer<br />

Vertreter des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s an der<br />

Universität Potsdam: Rabbiner Tovia Ben-Chorin<br />

bietet ein Seminar zu „Die postbiblischen<br />

Feiertage im jüdischen Kalender“ an.<br />

Eine besondere Freude ist, dass Prof. Dr. Simon<br />

Shetreet (Hebräische Universität Jerusalem) als<br />

Gastdozent gewonnen werden konnte. Der Jurist<br />

und frühere israelische Religionsminister setzt<br />

Anzeige<br />

<strong>Kescher</strong><br />

Das Judentum in seiner<br />

ganzen Vielfalt<br />

Gastdozenten an der<br />

Universität Potsdam<br />

sich in seinem Seminar mit „The Foundations of<br />

the Culture of Peace“ auseinander. Im kommenden<br />

Jahr wird das Lehrangebot noch um die<br />

Benno-Jacob-Professur für Hebräische Bibel<br />

erweitert werden. Der Emeritus für Altes Testa -<br />

ment und frühere Dekan der Theologischen<br />

Fakultät der Humboldt-Universität Berlin, Prof.<br />

Dr. Rüdiger Liwak, soll diese neue Dozentur für<br />

zunächst drei Jahre besetzen. Namensgeber<br />

Rabbiner Benno Jacob (1862-1945) war einer der<br />

bedeutendsten jüdischen Bibelkommentatoren<br />

der Neuzeit und der Großvater von Walter Jacob,<br />

dem Präsidenten unseres <strong>Kolleg</strong>s.<br />

Mit Blick auf unserer Rabbiner- und Kantoren -<br />

ausbildung sei darauf aufmerksam gemacht, dass<br />

wir von diesem Wintersemester an künftig zwei<br />

Klassen haben, nämlich Anfänger und Fortge -<br />

schrit tene. Rabbiner Tovia Ben-Chorin lehrt diesen<br />

Winter am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> Zeitge -<br />

nössisches Rabbinat und Ethik. Zu Simchat Tora<br />

steht für die Studierenden und Dozenten ein<br />

ganz besonderes Ereignis auf dem Programm. Eva<br />

und Fred Ashner kommen dann aus St. Louis, MI<br />

nach Berlin, um uns eine neue Torarolle zu übergeben.<br />

Wir verdanken dieses außergewöhnliche<br />

Geschenk Rabbiner Howard G. Kaplansky D.D.<br />

von der United Hebrew Congregation in St. Louis.<br />

Shana Tova 5769<br />

Allen Mitgliedern und Freunden wünschen wir ein gesundes, erfolgreiches und glückliches neues Jahr.<br />

Der Vorstand der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover<br />

Alisa Bach, Leonid Fridman, Artur Michalowitz, Katarina Seidler,<br />

Faina Shlafman, Yuriy Tkachov, Ingrid Wettberg<br />

33<br />

An der Jahrestagung der Union Progressiver<br />

Juden in Deutschland, die im Juli in Berlin-<br />

Spandau stattfand, war auch eine Reihe von<br />

Studierenden und Dozenten des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />

<strong>Kolleg</strong>s beteiligt. Foto © A. Schell<br />

T E R M I N E<br />

29.10.2008: 5. Emil Fackenheim Lecture an der<br />

Universität Potsdam:<br />

Rabbiner Dr. David Sandmel (Crown Ryan<br />

Professor of Jewish Studies, Catholic Theological<br />

Union, Chicago) spricht über “Philosemitism and<br />

Judaizing in the Contemporary Church”.<br />

05.11. 2008: Gastvortrag in den Räumen des<br />

<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s:<br />

Rabbiner Stephen Berkowitz (Mouvement Juif<br />

Libérale de France, Paris) spricht über “The<br />

History of Reform Judaism in France“.


Anzeigen<br />

Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden von Sachsen-Anhalt<br />

Texte 29 der Rosa-Luxemburg-Stiftung<br />

und die ihm angeschlossenen jüdischen Gemeinden<br />

die Synagogengemeinde zu Halle e.V.<br />

und<br />

die Jüdische Gemeinde zu Bernburg<br />

wünschen allen ein friedvolles und segensreiches Jahr 5769<br />

Peter Bathke, Susanne Spindler (Hrsg.)<br />

Neoliberalismus und Rechtsextremismus in Europa<br />

Zusammenhänge – Widersprüche – Gegenstrategien<br />

Sind Neoliberalismus und Rechtsextremismus kompatibel oder schließen sie einander aus? Auf den ersten Blick<br />

stehen sich eine globalisierte Weltwirtschaft mit der gewünschten Migration von Kapital und Arbeitskräften und<br />

die Zunahme rechtsextremen Denkens diametral gegenüber. Tatsächlich aber sorgen die Unterwerfung aller<br />

Lebensbereiche unter die Profi tlogik und die Propagierung von Standortnationalismus für ein gesellschaftliches<br />

Klima, an das rechtsextremes Gedankengut anschlussfähig ist.<br />

Ideologeme rechtsextremen und neoliberal-etablierten Denkens werden in diesem Band ebenso hinterfragt<br />

wie das Ineinandergreifen staatlichen Handelns und rechter Argumentationsmuster. Rechtsextreme Antworten<br />

bezüglich neuer Unsicherheiten in Arbeit und Alltag erscheinen in medialen Diskursen. Sie fi nden sich nicht nur<br />

am Rand, sondern mitten in der Gesellschaft.<br />

In verschiedenen europäischen Ländern zeigen sich unterschiedliche Entwicklungen, aber auch Gemeinsamkeiten.<br />

Sie werfen die Frage auf, wie diesen Prozessen ein solidarisches politisches Handeln entgegengesetzt werden kann.<br />

Bestellungen über: Buchhandel | Karl Dietz Verlag Berlin, info@dietzberlin.de | Rosa-Luxemburg-Stiftung, info@rosalux.de<br />

225 Seiten,<br />

Broschur, 14,90 Euro<br />

Karl Dietz Verlag Berlin 2006<br />

ISBN 978-3-320-02086-6


Shana tova - Happy New Year 5769<br />

American Friends of the Union of Progressive Jews in Germany -<br />

Supporting the <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College - A Rabbinic Seminary for Central and Eastern Europe<br />

Dr Walter Jacob, President, Pittsburgh, PA - Hanna Gruen, Treasurer, Pittsburgh, PA - Mahnaz Harrison,<br />

Vice President, Pittsburgh, PA - Selene Letichevsky, Secretary, Oittsburgh, PA<br />

Dr Fae Asher, San Francisco, CA - Raphael Asher, Walnut Creek, CA - A. Stanley Dreyfus*, New York, NY - Dr Alfred<br />

Gottschalk, Cincinnati, OH - Joshua Haberman, Washington, DC - Robert A. Jacobs, Johannesburg, SA - Ralph P.<br />

Kingsley, Adventura, FL - Dr Peter Knobel, Evanston, IL - PA - Dr Peter Loewenberg, Los Angeles, CA - Dr Michael A.<br />

Meyer, Cincinbati, OH - Lore Metzger, Coconut Creek, FL - Ruth Nussbaum, Sherman Oaks, CA - Dr Elizabeth Petuchowski,<br />

Cincinnati, OH - W. Gunther Plaut, Toronto, ON, Canada - Herman Schaalman, Chicago, IL<br />

Jüdisches Leben, Kultur, Geschichte<br />

und Aktuelles<br />

Die unabhängige «Jüdische Zeitung» offeriert monatlich Nachrichten<br />

aus Deutschland, Israel und der Welt. Mit Hintergrundberichten<br />

zu Politik und Zeitgeschehen, Geschichte, Kunst und Kultur, Religion und<br />

Tradition, gegen Antisemitismus und Fremdenhass.<br />

www.j-zeit.de<br />

www.wernermedia.de

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