Kescher - Abraham Geiger Kolleg
Kescher - Abraham Geiger Kolleg
Kescher - Abraham Geiger Kolleg
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<strong>Kescher</strong><br />
6. Jahrgang, Nr. 1 | Herbst 2008 | Tischri 5769<br />
Das amerikanische Finanzsystem durchläuft die<br />
schwerste Krise seit den frühen 1930er Jahren.<br />
Fast zehn Jahre lang haben jüdische Wohltäter<br />
aus Nordamerika mit vielen hunderttausend<br />
Dollars dafür gesorgt, dass ein Rabbinerseminar<br />
entstehen konnte, das ganz Europa dient. Zuletzt<br />
wurde durch die amerikanische Breslauer<br />
Foundation die Kantorenausbildung initiiert.<br />
In den vergangenen Monaten litt der Dollarkurs<br />
Amerikas so, dass wir immer mehr Geld sammeln<br />
mussten, um das gleiche Budget halten zu können.<br />
Jetzt aber sind die Spendenflüsse versiegt.<br />
Die Angst geht um in den jüdischen Gemeinden<br />
Nordamerikas, dass die Förderer ausbleiben.<br />
Umso mehr sind wir vor die Existenzfrage ge -<br />
stellt: wird die Kultusministerkonferenz 2009<br />
endlich als Träger hinzukommen, wie das seit<br />
2006 verhandelt wird?<br />
Der Antrag Brandenburgs ist gestellt und die<br />
Nerven liegen blank, denn ohne die Mittel der<br />
KMK ist das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> in seinem<br />
Jubilä ums jahr 2009 nicht in der Lage, weiterzumachen.<br />
Da ist die Hoffnung auf eine permanente<br />
Bleibe auf dem Potsdamer Campus am Neuen<br />
Palais ein schwacher Trost. Wer Rabbiner und<br />
Kantoren für Deutschland will, der muss verstehen,<br />
dass dies auf Dauer nicht von Amerikas<br />
Mäzenen abhängig sein kann.<br />
Vielleicht ein<br />
Dach über dem<br />
Kopf, aber die<br />
Kassen sind leer
Präsident<br />
Rabbiner Prof. Dr. Walter Jacob<br />
Direktorium<br />
Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka, Rektor<br />
Prof. Dr. Admiel Kosman, Akad. Studienleiter<br />
Rabbiner Drs Edward van Voolen,<br />
Studienleiter für die praktischen Ausbildung<br />
Rabbiner Dr. Tovia Ben-Chorin,<br />
Studienleiter für das Israel-Programm<br />
Senat<br />
Rabbiner Dr. W. Gunther Plaut, Toronto<br />
Prof. Dr. Paul Mendes-Flohr, Jerusalem<br />
Prof. Dr. Ernst Ludwig Ehrlich*<br />
Rabbiner Dr. John D. Rayner CBE*<br />
Prof. Dr. Wolfgang Loschelder, Potsdam<br />
Rabbiner Dr. Andrew Goldstein, London<br />
Kuratorium<br />
Dr. Josef Joffe, Vorsitzender, Hamburg<br />
Adina Ben-Chorin, Zürich<br />
Leslie F. Bergman, London<br />
Rabbiner Dr. Albert H. Friedlander OBE*<br />
Rabbiner Dr. David J. Goldberg OBE<br />
Rabbiner Prof. Dr. Arthur Hertzberg*<br />
Lord Joffe CBE, Swindon<br />
Rabbiner Dr. Peter S. Knobel, Chicago<br />
György Konrád, Budapest<br />
Stuart Matlins, Woodstock<br />
Felix Mosbacher, Paris<br />
Baroness Neuberger DBE, London<br />
Wolfgang M. Nossen, Erfurt<br />
Prof. Dr. Elizabeth Petuchowski, Cincinnati<br />
Harold Sandak-Lewin, Cape Town<br />
Prof. Dr. Julius H. Schoeps, Potsdam<br />
Max Warburg, Hamburg<br />
Rabbiner Dr. Mark L. Winer DD, London<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Durch<br />
Erforschung des<br />
Einzelnen zur<br />
Erkenntnis des<br />
Allgemeinen,<br />
durch Kenntnis<br />
der Vergangen -<br />
heit zum<br />
Verständ nis der<br />
Gegenwart,<br />
durch Wissen<br />
zum Glauben.<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
(1810 – 1874)<br />
I M P R E S S U M<br />
<strong>Kescher</strong>: Informationen über liberales Judentum<br />
im deutschsprachigen Raum<br />
Newsletter des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s<br />
<strong>Kescher</strong>: hebräisch: Verbindung, Kontakt<br />
Titelbild: Studenten beim Morgengebet im AGK-<br />
Büro. Foto © Tobias Barniske<br />
Herausgeber<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> gGmbH<br />
Postfach 120852, 10598 Berlin<br />
Tel: (030) 31805910, Fax: (030) 318059110<br />
bomhoff@abraham-geiger-kolleg.de<br />
www.abraham-geiger-kolleg.de<br />
Redaktion / V.i.S.P.<br />
Hartmut Bomhoff<br />
Gestaltung: Thomas Regensburger<br />
Druck: Oktoberdruck AG,<br />
Rudolfstraße 1-8, 10245 Berlin<br />
Auflage: 1.000 Exemplare<br />
ISSN-Nr.: 1861-4469<br />
Inhalt<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
Eine Standortfrage 4<br />
<strong>Abraham</strong>-<strong>Geiger</strong>-Preis 7<br />
Jewish Institute of Cantorial Arts 10<br />
Europa-Tagung der WUPJ 12<br />
Grußwort des Bundespräsidenten 15<br />
Reuven Firestone im Gespräch 16<br />
Füßewaschen statt Brit Mila? 18<br />
Grußwort von Rabbiner Uri Regev 21<br />
Life and Death on King David Street 22<br />
Aus den Gemeinden 24<br />
Gedanken zu Rosch Haschana 27<br />
Das Wintersemester am AGK 33
Editorial<br />
Liebe Freunde,<br />
jetzt wird es spannend. Diesen Herbst entscheidet<br />
die Kultusministerkonferenz darüber, ob das<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> von allen Bundesländern<br />
gefördert wird: als internationales Aushänge -<br />
schild für Deutschland. Der Antrag ist brisant:<br />
denn er ist der erste seit zwanzig Jahren und der<br />
erste aus den Neuen Bundesländern. Und er muss<br />
erfolgreich sein, sonst kippt der Haushalt des<br />
ersten Rabbinerseminars in Deutschland nach<br />
der Schoa.<br />
Seit April 2006 gibt es kontinuierliche Gespräche<br />
über eine Beteiligung der Kultusministerkonfe -<br />
renz an den jährlichen Aufwendungen der<br />
Rabbiner- und Kantorenausbildung durch das<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> an der Universität Pots -<br />
dam. Am 28. April 2006 hatte das Wissenschafts -<br />
ministerium Brandenburg beim Zentralrat der<br />
Juden in Deutschland ein Konzept der Rabbiner -<br />
ausbildung in Deutschland erbeten. Im Frühjahr<br />
2008 schließlich bestätigte der Zentralrat der<br />
Juden in Deutschland gegenüber Frau Prof. Dr.<br />
Johanna Wanka schriftlich, dass es in Deutsch -<br />
land zwei Ausbildungsstätten für Rabbiner gibt:<br />
die HfJS in Heidelberg und das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong> an der Universität Potsdam. Das hat sehr<br />
lange gedauert. Aber damit waren die Voraussetzungen<br />
für einen Antrag Brandenburgs bei der<br />
KMK erfüllt: das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> an der<br />
Universität Potsdam soll so gefördert werden,<br />
wie dies bei der Hochschule für Jüdische Studien<br />
in Heidelberg bereits seit Jahren der Fall ist.<br />
„L’shana tova u’mevorechet“<br />
Wir wünschen allen unseren Freunden und Förderern<br />
ein friedliches und erfolgreiches Jahr 5769.<br />
Rabbiner Prof. Dr. Walter Jacob<br />
Präsident<br />
Dr. Josef Joffe<br />
Vorsitzender des Kuratoriums<br />
Beide Einrichtungen erhalten vom Zentralrat der<br />
Juden finanzielle Unterstützung, Vizepräsident<br />
Prof. Korn vertritt den Zentralrat im Kuratorium<br />
der HfJS, Vizepräsident Dr. Graumann sitzt für<br />
den Zentralrat im Stiftungsrat der Trägerstiftung<br />
des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s, der Leo Baeck<br />
Foundation. Wir meinen: dieser Parität sollte<br />
nun auch die Finanzierung entsprechen. Sonst<br />
sehen wir den Gleichheitsgrundsatz verletzt.<br />
Der Beitrag der KMK zum Haushalt des <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s ist entscheidend. Seit 2006 haben<br />
wir wacker versucht, durch eigene Anstrengun -<br />
gen auszugleichen, dass ein Beitrag der Bundes -<br />
länder zu den jährlichen Kosten der Rabbineraus -<br />
bildung bisher fehlte. Angesichts einer immer<br />
prekärer werdenden Wirtschaftslage in den USA<br />
und des dramatischen Wertverlusts des Dollars<br />
wird es immer schwieriger, Spendern in den USA<br />
klarzumachen, warum sie eine deutsche<br />
Einrichtung fördern sollten.<br />
Wir sind keinesfalls mehr in der Lage, ein weiteres<br />
Jahr ohne die vierte Säule der Finanzierung<br />
durchzuhalten. Ein Scheitern wäre auch für das<br />
internationale Ansehen Deutschlands fatal.<br />
Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka<br />
Rektor<br />
Prof. Dr. Admiel Kosman – Rabbiner Drs Edward van Voolen – Rabbiner Dr. Tovia Ben–Chorin<br />
Direktorium<br />
Ihr<br />
Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka<br />
3
4<br />
„Wenn sich alle zusammentun, muss die An -<br />
stren gung doch Erfolg haben!“, hofft Dr. Luc<br />
Jochim sen, die Kulturpolitische Sprecherin der<br />
Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Tatsächlich<br />
stößt der Plan des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s, ins<br />
Nördliche Kastel lan gebäude am Neuen Palais in<br />
Potsdam umzuziehen, auf breite Unterstützung.<br />
Aus den zahlreichen Briefen spricht auch Aner -<br />
kennung für die Arbeit des <strong>Kolleg</strong>s über alle<br />
Parteigrenzen hinweg. So schreibt der Bevoll -<br />
mächtigte des Landes Nordrhein-Westfalen<br />
beim Bund, Staats sekretär Michael Mertes, wie<br />
„außerordentlich bedeutend der Fortschritt ist,<br />
den das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> für das jüdische<br />
Leben in Deutschland bewirkt“, und der Wehr -<br />
beauf tragte des Deutschen Bun destages, Rein -<br />
hold Robbe (SPD), unterstützt unser An liegen<br />
„unter Hin weis auf die grundsätzliche Bedeu -<br />
tung der Rabbinerausbildung sowie der Aus -<br />
bildung jüdischer Kantoren nachdrücklich.“<br />
Politiker aller im Bundestag vertretenen Par -<br />
teien haben sich für den neuen Standort in<br />
Potsdam ausgesprochen. Inzwischen haben sich<br />
auch Reprä sen tanten der jüdischen Gemein -<br />
schaft in Deutschland und Nordamerika in dieser<br />
Angele genheit an den Bundesminister des<br />
Inneren, Dr. Wolfgang Schäuble, gewandt. Hier<br />
einige Auszüge:<br />
“Dear Minister Dr. Schäuble, I would like to raise<br />
with you a matter connected with the <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> College which I and so many American<br />
Jews have supported. We are concerned about<br />
the question of a permanent site for the <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Kescher</strong><br />
Am 28. August sprach Rabbiner<br />
David Saperstein, Direktor des<br />
Religion Action Center in Washing -<br />
ton, das Eingangsgebet bei der<br />
Nominierung von Barack Obama in<br />
Denver. Drei Tage zuvor hatte er an Bundesinnen -<br />
minister Wolfgang Schäuble ge schrieben. Es geht<br />
um Geld. Denn das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>,<br />
Deutsch lands erstes Rabbiner seminar seit der<br />
Schoa, hat endlich einen permanenten Standort<br />
im Land Brandenburg gefunden – direkt an der<br />
Universität Potsdam, deren An-Institut es ist. Die<br />
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten bot<br />
dem institutionell durch den Bund geförderten<br />
<strong>Kolleg</strong> das Nördliche Kastellan gebäude des<br />
Neuen Palais als neue Bleibe an. Auf den etwas<br />
mehr als 700 qm könnten Büros des <strong>Kolleg</strong>s<br />
<strong>Geiger</strong> College at Potsdam University’s New<br />
Palace campus. […] We truly hope that you will<br />
be able to use your influence within the cabinet<br />
to find a resolution of this issue.”<br />
Rabbiner Peter Knobel, President, Central<br />
Conference of American Rabbis, New York, NY<br />
„Ich denke, dass das <strong>Kolleg</strong> wichtig für das Land<br />
ist – als Ausbildungsstätte für ein liberales Rab -<br />
bi nertum in Deutschland, die 1942 aus den be -<br />
kannten Gründen geschlossen wurde und heute<br />
an die große liberale Tradition anknüpft, die in<br />
Deutschland im 19. Jahrhundert ‚erfunden’<br />
wurde.“<br />
Dr. Josef Joffe, Herausgeber, DIE ZEIT, Hamburg<br />
“As part of the Leo Baeck family (my husband ist<br />
he great-grandson of Rabbi Leo Baeck), I have a<br />
special interest in the <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College<br />
and its future – something shared by so many<br />
American Jews who support it. We are concerned<br />
about the question of a permanent site for the<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College at Potsdam University’s<br />
New Palace campus. […] As Rabbi Leo Baecl led<br />
the Hochschule für die Wissenschaft des Juden -<br />
tums and was ist last teacher, the success of the<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College means a great deal to me<br />
and my family. We are confident that it will make<br />
a fine contribution to the renewal of Jewish life<br />
in Germany and German life in general.”<br />
Rabbinerin Ellen Weinberg-Dreyfus, Vice-Presi -<br />
dent, Central Conference of American Rabbis,<br />
B’nai Yehuda Beth Sholom, Homewood, IL<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
sowie Seminarräume für die Rabbiner- und<br />
Kantorenausbildung Platz finden. Auch eine kleine<br />
Synagoge, eine Bibliothek und sogar eine<br />
Wohnung für Gastprofessoren kommen in der<br />
Planung unter. Die Konditionen sind sehr günstig<br />
– vorausgesetzt, die Sanierungskosten werden<br />
durch den Nachnutzer aufgetrieben. Ob dies ge -<br />
lingt, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.<br />
Das Projekt sollte eigentlich erst 2012 umgesetzt<br />
werden. Letzten Monat stellte sich dann heraus,<br />
dass es viel schneller gehen kann. Deshalb steht<br />
das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> schon 2009 vor Pla -<br />
nungskosten von € 300.000. Im Jahr 2010 würde<br />
dann die Sanierung beginnen. Das ist ein straffer<br />
Zeit plan, der mitten in die Verhandlungen zum<br />
Bun deshaushalt 2009 platzt. Da ist die Flexibi -<br />
Eine Standortfrage<br />
“I join Jewish leaders worldwide in asking you to<br />
use your influence within cabinet to encourage<br />
the Federal government to find positive resolution<br />
on this issue and to support a permanent<br />
site for <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College. As the Federal<br />
government has already significantly funded a<br />
new building for Heidelberg’s Hochschule für<br />
Jüdische Studien, it is my sincere hope that the<br />
Federal Republic of Germany will show similar<br />
financial and symbolic support of the <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> College, Germany’s first rabbinic seminary<br />
since the Holocaust. By embracing this exceptional<br />
opportunity to house the college in an historic<br />
building close to its university, the Federal<br />
government has the opportunity to signal the<br />
world just how greatly it values Jewish communities<br />
in Germany and internationally.”<br />
Rabbiner David N. Saperstein, The Religious<br />
Action Center, Washington, D.C.<br />
„Es ist eine Investition in ein Haus, das in<br />
Staats besitz bleibt und zum einmaligen Ensem -<br />
ble der Parklandschaft Sanssouci gehört. Das<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> wäre als durch den Bund<br />
geförderte Einrichtung der ideale Nachnutzer,<br />
weil es die Anbindung an die dort befindliche<br />
Universität dringend benötigt. Im Vergleich zu<br />
den hohen Aufwendungen des Staates für die<br />
theologischen Fakultäten in Deutschland ist die<br />
Sanierung dieses Hauses ein moderater Wunsch.<br />
Bitte helfen Sie, dass Deutschlands Rabbiner -<br />
seminar dort 2010 wird einziehen können.“<br />
Die Allgemeine Rabbinerkonferenz Deutschlands<br />
(ARK)
lität der Politiker gefragt, um eine einmalige<br />
Chance beim Schopf zu packen.<br />
Deshalb hat das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> die Ge -<br />
spräche darüber mit dem Bund forciert. Denn es<br />
geht in den kommenden beiden Haushaltsjahren<br />
um drei Millionen Euro an Bundesmitteln, damit<br />
alles klappt. Der erste Vorstoß bei Staatsminister<br />
Bernd Neumann, der den Bund in der Stiftung<br />
Preußische Schlösser und Gärten vertritt, war im<br />
April nicht von Erfolg gekrönt. Das Gebäude hat<br />
im Masterplan für die Restaurierung der Park -<br />
landschaft Park Sanssouci keine Priorität.<br />
Politiker aller Parteien haben sich mittlerweile<br />
hinter das Projekt gestellt, darunter Dieter<br />
Wiefelspütz (SPD), Thomas Rachel (CDU), Max<br />
Stadler (FDP), Ingrid Fischbach (CDU) Bodo<br />
<strong>Kescher</strong><br />
mit großer Außenwirkung<br />
“The precedent has already been set by the substantial<br />
support of the new building that houses<br />
the ‚Hochschule für Jüdische Studien“ in Heidel -<br />
berg. While this is surely a seminary worthy of<br />
support, it does not train Liberal rabbis for<br />
Germany. We would certainly hope that the<br />
government would not deny equivalent support<br />
for rabbis and cantors in the Liberal movement.”<br />
Rabbiner Samuel E. Karff, Congregation Beth<br />
Israel, Houston, Texas<br />
„Wir sind eine Gemeinde, die mit einem der<br />
ersten in Deutschland ausgebildeten Rabbinen<br />
gearbeitet hat, und wissen um die Dringlichkeit<br />
der rabbinischen Versorgung auch kleinerer Ge -<br />
meinden. Bitte, helfen Sie.“ Sara-Ruth Schuman,<br />
Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Olden -<br />
burg und Mitglied im Direktorium des Zentralrats<br />
der Juden in Deutschland<br />
“The <strong>Geiger</strong> College through ist graduates wishes<br />
to continue to make a significant contribution to<br />
the renewal of Jewish life in Germany and<br />
German life generally. The insititutional funding<br />
which the Federal government has granted is a<br />
clear sign of this. Therefore, I’m joining others to<br />
ask you to encourage Federal government to support<br />
the project for a permanent site for Abra -<br />
ham <strong>Geiger</strong> College.”<br />
Rabbiner Martin S. Weiner, Past President of the<br />
Central Conference of American Rabbis,<br />
Congregation Sherit Israel, San Francisco, CA.<br />
Ramelow (DIE LINKE) und Volker Beck (Grüne).<br />
Auch das Auswärtige Amt neigt zu einer schnellen<br />
Realisierung. Bundesaußenminister Stein -<br />
meier erhielt Unterstützerschreiben des Präsi -<br />
denten der Zentralkonferenz amerikanischer<br />
Rabbiner, von führenden Rabbinern der großen<br />
Synagogen ge meinden der USA, aber auch von<br />
den Nachfah ren von Rabbiner Leo Baeck. Die großen<br />
Kirchen wiesen zu Recht darauf hin, dass<br />
angesichts der staatlichen Aufwendungen für die<br />
christliche Theologenausbildung auch die Rabbi -<br />
neraus bildung in Deutschland angemessen ausgestattet<br />
und untergebracht werden solle. Dieses<br />
Argu ment wiegt umso schwerer, als die Hoch -<br />
schu le für Jüdische Studien in Heidelberg mit<br />
Hilfe des Bundes gerade einen Neubau finanziert<br />
bekommen hat. Das bringe den Bund gegenüber<br />
„Damit dieses Haus direkt an der Universität<br />
Potsdam wirklich durch das <strong>Kolleg</strong> genutzt werden<br />
kann, ist die Hilfe des Bundes notwendig.“<br />
Katarina Seidler, Vorsitzende des Landesver bandes<br />
der Israelitischen Kultusgemeinden von Nieder -<br />
sachsen und Mitglied im Direktorium des Zentral -<br />
rats der Juden in Deutschland<br />
“It is my fervent hope that you will be able to<br />
encourage your colleagues in the Federal Gover -<br />
nment to support, with appropriate funding, this<br />
project that will give the <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College<br />
a permanent site. It will be both a significant<br />
symbol and an unequivocal statement that the<br />
Federal Republic of Germany looks, with pleasure,<br />
upon the religious and cultural revival of<br />
Jewish life in its land.”<br />
Rabbiner Dr. Ronald B. Sobel, Senior Rabbi<br />
Emeritus, Congregation Emanu-El, New York, NY<br />
“Today, the <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College trains rabbis<br />
for Germany, Eastern Europe and the former<br />
Soviet Union, the French speaking world and<br />
countries as far as South Africa. […] It would<br />
send the wrong signal in Germany as well as<br />
internationally, if the first rabbinic seminary in<br />
the new Germany, heir to the pre-Holocaust<br />
Hochschule für die Wissenschaft des Judentums,<br />
remained in rented office space at Berlin Kant -<br />
straße, over the Paris Bar.”<br />
Rabbiner Steven Z. Leder, Wilshire Boulevard<br />
Temple, Los Angeles, CA<br />
➳<br />
der liberalen Richtung in Zugzwang, meinen die<br />
Allgemeine Rabbinerkonferenz und auch mehrere<br />
Direktoriumsmitglieder des Zentralrats der<br />
Juden in Deutschland. Allen gemeinsam ist der<br />
Wunsch, der Bund möge doch mithelfen, dass das<br />
Rabbi nerseminar in Potsdam ein würdiges Haus<br />
erhält, nachdem die Hochschule für die Wissen -<br />
schaft des Judentums in Berlin 1942 durch deutsche<br />
Hand zerstört worden ist. Jetzt ist vor allem<br />
der Haus haltsausschuss des Deutschen Bundes -<br />
tags ge fragt. Er fällt die Entscheidung, ob der<br />
Bund 2009 und 2010 die Mittel für Erstaus stat -<br />
tung und Sanierung bereitstellen kann. Dazu<br />
kommt noch ein Beitrag des Landes Branden -<br />
burg. Ministerin Wanka signalisierte bereits im<br />
April, an der Realisierung mitwirken zu wollen.<br />
Ein guter Anfang.<br />
Das nördliche Kastellangebäude am Neuen<br />
Palais Potsdam könnte schon 2010 das<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> beherbergen. Foto © AGK<br />
Bild linke Seite: Im heutigen Leo-Baeck-Haus,<br />
dem Sitz des Zentralrats der Juden in<br />
Deutschland, befand sich bis 1942 die<br />
Hochschule für die Wissenschaft des<br />
Judentums. Foto © privat<br />
5
6<br />
„Ihnen sind sicherlich die Investitions- und<br />
Unterhaltungskosten für theologische Hochschu -<br />
len oder Priesterseminare bekannt. Leider verfügen<br />
wir als jüdische Gemeinschaft nicht auch nur<br />
annähernd über derartige finanzielle Ressourcen<br />
für die Ausbildung unserer geistigen Führung,<br />
und ein nachhaltig gesichertes jüdisches Leben<br />
ist bis auf weiteres daher nur mit staatlicher<br />
Unterstützung möglich. […] Es ist darüber hinaus<br />
auch dringend erforderlich, auch nach außen<br />
zu verdeutlichen, dass jüdisches Leben nicht nur<br />
in neuen Synagogen – so wichtig es auch ist -,<br />
sondern auch im Ausbildungsbereich in Deutsch -<br />
land einen hohen Stellenwert hat. Die einmalige<br />
Chance dazu ist nun gegeben.“ Heinrich C. Olmer,<br />
Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde<br />
Bamberg und Mitglied im Direktorium des<br />
Zentralrats der Juden in Deutschland<br />
<strong>Kescher</strong><br />
“Last October, I brought 30 of our major donors<br />
to Berlin to tour and witness Germany’s incredible<br />
cultural and educational creativity. We met<br />
with <strong>Geiger</strong> College’s leadership which, with your<br />
support, has undergone tremendous development,<br />
acknowledged internationally. The College<br />
has become an indispensable training tool for<br />
the worldwide Jewish community and a wonderful<br />
ambassador for Germany to the world. […] I<br />
hope the Minister Neumann and Federal Republic<br />
of Germany do not miss this unique opportunity<br />
to house <strong>Geiger</strong> College in an historic building<br />
close to its university.”<br />
Rabbiner Peter J. Rubinstein, Senior Rabbi,<br />
Central Synagogue, New York, NY<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt<br />
Potsdam möchte ich die jüdische Gemeinschaft<br />
der Stadt und der Region sehr herzlich zum<br />
Neujahrsfest Rosch Haschana beglückwünschen.<br />
Ich verbinde diese Gratulation mit den besten<br />
Wünschen für das persönliche Wohlergehen aller<br />
Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens und<br />
für ein glückliches und erfülltes Leben in Pots -<br />
dam. Ihnen allen wünsche ich ein gesundes und<br />
vor allem friedliches neues Jahr 5769.<br />
Die jüdische Gemeinschaft Potsdams ist in den<br />
vergangenen Jahren zu einem festen, nicht mehr<br />
wegzudenkenden Bestandteil des gesellschaftlichen<br />
Lebens in unserer Stadt geworden. Mit mir<br />
freuen sich viele Bürgerinnen und Bürger darüber,<br />
dass jüdisches Leben heute wieder deutlicher<br />
als je zuvor in Potsdam erfahrbar ist.<br />
Davon zeugen u.a. eine jüdische Kindertages -<br />
stätte, die vielfältigen Aktivitäten der Jüdischen<br />
Gemeinde und die leistungsfähige Sozial- und<br />
Integrationsberatung in der Landeshauptstadt.<br />
Integration, Toleranz und der sich der Verantwor -<br />
tung bewusste Umgang mit der deutschen Ver -<br />
gangenheit bilden tragende Säulen des beide<br />
Seiten bereichernden Zusammenlebens. Gerade<br />
das Gedenken an die einstige Rolle der Juden in<br />
Potsdam hat in diesem Jahr durch die Verlegung<br />
der Stolpersteine neue Nahrung bekommen.<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
Möchten Sie regelmäßig Informationen über das<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> und über liberales Juden -<br />
tum im deutschsprachigen Raum beziehen?<br />
Für eine Mindestspende von €15,- schicken wir<br />
Ihnen die nächsten vier Ausgaben von <strong>Kescher</strong><br />
gerne per Post zu.<br />
Unser Spendenkonto:<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong><br />
Konto Nr. 108 3039<br />
Deutsche Bank 24 Berlin<br />
BLZ 100 700 24<br />
Von besonderer Bedeutung für die Ausstrahlung<br />
jüdischen Lebenswillens ist das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong>, das zur Universität Potsdam gehört. Ich<br />
bin sehr froh darüber, dass durch die Ausbildung<br />
von Rabbinern an diesem Institut der gute Name<br />
Potsdams in der Welt einen besonderen und verpflichtenden<br />
Beiklang erhält. Es wird mir eine<br />
Freude sein, das <strong>Kolleg</strong> im nächsten Jahr, dem<br />
10. seines Bestehens, endlich in einem festen<br />
Domizil in Potsdam begrüßen zu können.<br />
Mit großem Interesse habe ich zur Kenntnis ge -<br />
nommen, dass das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> um ein<br />
Jewish Institute of Cantorial Arts erweitert worden<br />
ist. Das ist für mich nicht nur ein weiterer<br />
Beitrag zur Ausgestaltung jüdischen Lebens in<br />
aller Welt, sondern zugleich ein wichtiger Schritt<br />
zur Bewahrung jahrtausendealten Kulturgutes<br />
der Menschheit. Auch deshalb wünsche ich dem<br />
neuen Studiengang für Kantorinnen und Kan -<br />
toren viel Erfolg.<br />
Ihnen allen nochmals ein friedliches neues Jahr.<br />
Jann Jakobs<br />
Oberbürgermeister der Landeshauptstadt<br />
Potsdam
<strong>Kescher</strong><br />
Hin zu einem Gesetz des Friedens<br />
Im Bild: Prinz Hassan bin Talal und Prinzessin<br />
Sarvath mit Bundesminister des Inneren, Dr.<br />
Wolfgang Schäuble. Im Hintergrund v. li.n.re.<br />
Bischof Prof. Dr. Wolfgang Huber (Ratsvorsitzen -<br />
der der EKD), Nathan Kalmanowicz (Zentralrat<br />
der Juden in Deutschland) und Dr. Josef Joffe<br />
(Kuratoriums vor sitzen der des AGKs). Rechts der<br />
brandenburgische Innen minister Jörg Schönbohm<br />
Foto © M. Schmidt<br />
<strong>Abraham</strong>-<strong>Geiger</strong>-Preis 2008: Prinz Hassan bin Talal<br />
plädiert für ein Miteinander / von Hartmut Bomhoff<br />
Staatsminister Dr. Markus Söder konnte am 4.<br />
März in Berlin eine ungewöhnliche Besucher -<br />
schar empfangen. Über 400 prominente Gäste<br />
aus Politik, Kultur und Gesellschaft, darunter<br />
zahlreiche Mitglieder des deutschen Hochadels<br />
und des diplomatischen Corps, Vertreter der<br />
Kirchen und der jüdischen Gemeinschaft waren<br />
anlässlich der Auszeichnung von Prinz Hassan<br />
bin talal von Jordanien mit dem <strong>Abraham</strong>-<br />
<strong>Geiger</strong>-Preis 2008 in die Bayerische Vertretung<br />
gekommen. Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>, das erste<br />
Rabbiner semi nar in Deutschland nach der Schoa,<br />
ehrt mit diesem mit € 10.000,- dotierten Preis<br />
alle zwei Jahre Persönlichkeiten, die sich um den<br />
Pluralis mus verdient gemacht haben – ein<br />
Stichwort, das der Preisträger in seiner Dankes -<br />
rede sogleich aufgriff: „Um es mit den Worten<br />
von Imam Shatibi zu sagen: ,Nu’adhem al-juwaa-<br />
me’ wa nahtarem al-furooq’– wir betonen die<br />
Gemein samkeiten und respektieren gleichzeitig<br />
die Unterschiede. Ich rede hier keinesfalls<br />
Gegen überstellungen oder einer Synthese das<br />
Wort. Ich bevorzuge es, durch Analogieschlüsse<br />
zu lernen, was Einfühlungsvermögen und die<br />
Fähigkeit erfordert, nicht nur hin-, sondern auch<br />
zuzuhören. Wir alle haben – Gott weiß - genug<br />
Monologe über den Dialog ertragen.“<br />
Zuvor hatte der Bundesminister des Inneren,<br />
Wolfgang Schäuble, Prinz Hassan bin Talal ausführlich<br />
gewürdigt. „Ihr Wort hat Gewicht“, sagte<br />
er an ihn gewandt. „Kaum einer kennt sich mit<br />
dem Zusammenleben von Muslimen, Christen und<br />
Juden in Theorie und Praxis so gut aus wie Sie“.<br />
Und weiter: „Persönlichkeiten wie <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> und Prinz El Hassan bin Talal machen uns<br />
7
8<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Ein Zeichen für das globale<br />
Miteinander Hans Küng erhält den<br />
<strong>Abraham</strong>-<strong>Geiger</strong>-Preis 2009<br />
Mit Prof. Dr. Hans Küng wird einer der international<br />
be deutendsten katholischen Theologen der<br />
Gegen wart geehrt. Der Preis wird am 18. Juni<br />
2009 in Berlin verliehen; Laudator ist Bundes -<br />
tags präsi dent Dr. Norbert Lammert. Zu den<br />
Preisträgern der letzten Jahre zählten S.K.H.<br />
Prinz Hassan bin Talal von Jordanien, Karl Kar -<br />
dinal Lehmann, Alfred Grosser, Emil Fackenheim<br />
und Susannah Heschel. Das Preisgeld von<br />
€ 10.000.- soll für einen Studienfonds verwendet<br />
werden, der Studierenden des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong>s interreligöse Erfahrungen ermöglicht.<br />
Hans Küng hat durch sein Werk „Das Judentum“<br />
eine der überzeugendsten Monographien über<br />
das Judentum als Weltreligion geschaffen. Die<br />
Einsicht, dass eine Gesellschaft keine Einheits -<br />
religion oder -ideologie braucht, wohl aber verbindliche<br />
Normen, Werte, Ideale und Ziele über<br />
Religionsgrenzen hinweg inspirierte ihn zu seinem<br />
Buch „Projekt Weltethos“. Damit kam er der<br />
Forderung des Judentums sehr nahe, jede Reli -<br />
gion zu respektieren, solange sie einen Grund -<br />
werte kanon vertritt, der das menschliche Zusam -<br />
menleben und die Menschenrechte an sich fördert<br />
und schützt.<br />
Noch auf die Empfehlung des vor einem Jahr verstorbenen<br />
jüdischen Religionsphilosophen Ernst<br />
Ludwig Ehrlich hin hat sich die Jury des<br />
<strong>Abraham</strong>- <strong>Geiger</strong>-Preises entschlossen, Professor<br />
Küng für sein Lebenswerk den <strong>Abraham</strong>-<strong>Geiger</strong>-<br />
Preis im Jubiläumsjahr 2009 anzutragen: „Als<br />
Präsident der Stiftung Weltethos haben Sie ein<br />
Zeichen gesetzt, wie das globale Miteinander<br />
gelingen kann, jenseits aller religiöser Schran -<br />
ken. Sie haben Ihren Glauben lebenslang in<br />
Freiheit gelehrt und vertreten. In Ihrem Buch<br />
über das Judentum ist Ihnen eine wertvolle und<br />
wesentliche Analyse gelungen, die innerhalb des<br />
Juden tums Anstöße gegeben hat und weit darüber<br />
hinaus Wirkung entfalten konnte.“<br />
Foto: Homolka<br />
Der Preis erinnert an den großen Denker des<br />
liberalen Judentums, <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> (1810-<br />
1874), dem drei Prinzipien wichtig waren: die<br />
Freiheit des Gewissens und des Glaubens, die<br />
Freiheit der Forschung und Lehre sowie die<br />
Meinungsfreiheit aller Menschen. Der <strong>Abraham</strong>-<br />
<strong>Geiger</strong>-Preis würdigt Verdienste um das Juden -<br />
tum in seiner Vielfalt. Er wurde im Jahr 2000<br />
anlässlich der Eröffnung des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong>s geschaffen. Mit ihm zeichnet unser<br />
Rabbinerseminar Menschen aus, die sich um den<br />
Pluralismus verdient gemacht haben: Offenheit,<br />
Mut, Toleranz und Freiheit jüdischen Denken als<br />
Ertrag der Aufklärung sollen damit als Grundlage<br />
für den Umgang von Juden miteinander ebenso<br />
gewürdigt werden wie in den Beziehungen mit<br />
unserem nichtjüdischen Umfeld.<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
Prinz Hassan bin Talal mit Landesrabbiner Jonah<br />
Sievers (Allgemeine Rabbinerkonferenz<br />
Deutschlands) beim Moschee-Besuch in Berlin<br />
Foto © W. Kumm<br />
Fortsetzung von Seite 7 vor, wie ein fruchtbarer<br />
Dialog zwischen Islam, Judentum und Christen -<br />
tum aussehen kann. Nur wenn uns dieser Aus -<br />
tausch gelingt, werden unsere Gesellschaften<br />
offen sein für Zuwanderer anderer Religionen,<br />
Kulturen und Ethnien in ihrer Mitte.“<br />
„Unsere Verantwortung ist es heute, dass dieser<br />
Artikel und die gesamte internationale Men -<br />
schen rechtsgesetzgebung allgemein und vorurteilslos<br />
angewendet werden“, entgegnete der<br />
Prinz. „In diesem Geist nehme ich diese Aus -<br />
zeichnung heute entgegen. Als Muslime, Juden<br />
und Chris ten unterliegen wir alle dem gemeinsamen<br />
Erbe des spirituellen Dienstes unter ein und<br />
demselben Gott. Leider teilen wir auch die Sünde<br />
der Abweichung von den wahren Grundlagen des<br />
Glaubens. Ironischerweise untergraben viele<br />
Personen in dem Bemühen, die Traditionen und<br />
Sitten unserer gemeinsamen Zivilisation zu<br />
bewahren, die Grundfesten, auf denen sie aufgebaut<br />
wurde. Die Kinder <strong>Abraham</strong>s sind von ihrem<br />
Weg abgekommen.“<br />
Prinz Hassan beließ es in seiner auf Deutsch<br />
gehaltenen Dankesrede für den Preis, der ihm<br />
vom Vorsitzenden des Kuratoriums des <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s, Josef Joffe, und vom Stifter des<br />
Preisgeldes, Karl-Hermann Blickle, übergeben<br />
worden war, nicht bei schönen Worten: „In den<br />
ersten Jahren dieses neuen Jahrtausends hat die<br />
Menschheit eine Welt geschaffen, in der von egoistischen<br />
Politikern und aufgebrachten Massen<br />
die Unterschiede zelebriert werden. In diesem<br />
Zeitalter des inhaltslosen Geredes und der<br />
Schön färberei sind wir weniger geneigt zu glauben,<br />
dass es in der Geschichte unserer Völker<br />
noch mehr Gemeinsamkeiten gibt als Kampf und<br />
Trennung. Unsere gemeinsamen Traditionen können<br />
uns jedoch noch so viel mehr lehren. […] In<br />
der Tat hat mich mein tief empfundenes Bewusst -<br />
sein für unser gemeinsames Erbe veranlasst, zu<br />
einer Anerkennung der moralischen und philosophischen<br />
Autorität der heiligen Stätten und<br />
Städte aufzurufen. Die religiöse Autorität muss<br />
über die weltliche erhoben werden. Die zivilisatorischen<br />
Bindungen, die in uns allen gegenüber<br />
diesen einzigartigen Bauwerken bestehen, müssen<br />
zu der Forderung führen, dass diese nicht zu<br />
Faustpfändern in politischen und ideologischen<br />
Kämpfen werden dürfen“.<br />
„Jede Religion zelebriert das Konzept der ‚Wahr -<br />
heit’ im Glauben. Doch für jeden aufgebrachten<br />
Gläubigen, der sich nicht die Zeit genommen hat,
um seiner Seele Nahrung zu geben und sein spirituelles<br />
Erbe zu untersuchen, verliert die Wahr -<br />
heit ihre Bedeutung, und die Gewalt wird sanktioniert.<br />
Gewalt und Glauben sind für Juden und<br />
Muslime unvereinbare Gegensätze, und durch<br />
eine Entstellung des Glaubens gerechtfertigte<br />
Gewalt ist vielleicht die größte Bedrohung für<br />
den Frieden in unserer Region und unserer Welt.“<br />
„In einem neuen, bereits durch tragische Kon -<br />
flikte gezeichneten Jahrhundert müssen wir uns<br />
den Glauben an unsere Fähigkeit bewahren, die<br />
unzähligen Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert<br />
sind, zu bewältigen. Uns steht ein Erbe<br />
der Hingabe und Entdeckung zur Verfügung, das<br />
uns durch diese dunkleren Tage geleitet. […] Wir<br />
leben in einer Welt, die immer mehr durch das<br />
Gesetz des Krieges geprägt wird, das einer zum<br />
Schweigen gebrachten Mehrheit kaum Zuge -<br />
ständ nisse einräumt. Mit der Hilfe unserer kollektiven<br />
Weisheit – der Anthropologie des<br />
Wissens – können wir jedoch, wie ich hoffe, alle<br />
unseren Beitrag leisten, um, mit den Worten von<br />
Hersch Lauterpacht, ein Gesetz des Friedens zu<br />
schaffen, das die Beziehungen zwischen Staaten<br />
und Menschen regelt, um eine positive Position<br />
im Kontext unseres Glaubens nicht nur in Bezug<br />
auf den einzelnen Menschen, sondern auch auf<br />
<strong>Kescher</strong><br />
unsere kollektive Verantwortung zu bestimmen,<br />
und um im Rahmen der Globalisierung Gerechtig -<br />
keit und Menschlichkeit zu gewährleisten, die zu<br />
gegenseitiger Zusammenarbeit, Weltoffenheit<br />
und letztlich zu Konvivialität führen.“<br />
Anzeige<br />
Zu Beginn der Festveranstaltung hatten neben<br />
dem Hausherrn, dem bayerischen Staatsminister<br />
für Bundes- und Europaangelegenheiten und<br />
Bevollmächtigten des Freistaats Bayern beim<br />
Bund, Dr. Markus Söder, auch der Kultusdezer -<br />
nent des Zentralrats der Juden in Deutschland,<br />
Nathan Kalmanowicz, und der Sprecher des Ko -<br />
ordinie rungsrates der Muslime in Deutschland,<br />
Bekir Alboga, die Gäste begrüßt. Zwei Tage nach<br />
der Verleihung des <strong>Abraham</strong>-<strong>Geiger</strong>-Preises be -<br />
suchte Prinz Hassan bin Talal auf Einladung des<br />
Koordi nierungsrates, der sich aus Vertretern von<br />
DITIB, Islamrat, dem Verband der Islamischen<br />
Kultur zen tren und dem Zentralrat der Muslime in<br />
Deutschland zusammensetzt, die Berliner Sehit -<br />
lik-Moschee, wo er vom DITIB-Präsidenten Sadi<br />
Arslan empfangen wurde. Bei der Unter redung im<br />
Anschluss an das Mittagsgebet traf Prinz Hassan<br />
auch mit Rabbinerin Dr. Dalia S. Marx (Jerusa -<br />
lem), die derzeit an der Universität Pots dam<br />
unterrichtet, sowie mit Rabbiner Jonah Sievers<br />
(Braun schweig) als Vertreter der Allge meinen<br />
Rabbiner konferenz Deutschlands zusammen.<br />
„Wir freuen uns sehr über die Begegnung mit den<br />
Prinzen“, so Bekir Alboga. „Er ist ein großer<br />
Fürsprecher des Dialogs der Kulturen, insbesondere<br />
zwischen Judentum und Islam.“ Red.<br />
9
10<br />
Am 30. September beginnt für unsere jüdischen<br />
Mitbürger das Jahr 5769, und ich kann meinen<br />
herzlichen Glück wunsch zu diesem festlichen Tag<br />
verbinden mit einer Gratulation.<br />
Erstmals seit dem Holocaust wird das <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> an der Universität Potsdam wieder<br />
Kantoren für jüdische Gottesdienste ausbilden.<br />
Dies ist ein besonderer Grund zur Freude. Unsere<br />
brandenburgische Landeshauptstadt wird damit<br />
europaweit die einzige derartige Lehrstätte<br />
beherbergen. Es erfüllt mich mit Dankbarkeit,<br />
dass am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> auf so herausragende<br />
Weise junge Menschen auf ihre musikalische<br />
Arbeit sowie das Leiten von Gemeinden und<br />
Gottesdiensten vorbereitet werden.<br />
Zugleich verdeutlicht dies, welche Fortschritte es<br />
hierzulande in den letzten Jahren gegeben hat:<br />
Potsdam gewinnt seinen guten Ruf als Stätte von<br />
Wissenschaft und Kultur, als Ort von Forschung<br />
und Lehre und als Heimstatt auch für jüdisches<br />
Leben zurück. Damit beweist sie Weltoffenheit<br />
und Wertschätzung religiöser Traditionen.<br />
Mein Glückwunsch gilt dem <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong>. Er gilt Ihnen, den Leserinnen und Lesern<br />
in Europa und Übersee. Und er gilt denjenigen<br />
jüdischen Gemeinden, die sich auf den künftigen<br />
Dienst der Kantoren aus Potsdam freuen können.<br />
Matthias Platzeck<br />
Ministerpräsident des Landes Brandenburg<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Kultus und Kultur<br />
„Synagogen sind Orte, an denen beides vermit -<br />
telt wird: Kultus und Kultur“, sagte der Berliner<br />
Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Tech -<br />
nologie und Frauen, Harald Wolf (DIE LINKE)<br />
anlässlich der Eröffnung der 22. Jüdischen Kul -<br />
turtage am 13. September in der Synagoge<br />
Rykestraße. „Und gerade von einem so großen<br />
und schönen Haus wie diesem wünscht man sich,<br />
dass es zu einem Zentrum des jüdischen geistigkulturellen<br />
Lebens wird. Dazu ist es wichtig, dass<br />
nicht nur Rabbinerinnen und Rabbiner hier in der<br />
Hauptstadtregion ausgebildet werden, sondern<br />
jetzt auch Kantorinnen und Kantoren, die mit<br />
ihrem Gesang die Herzen der Menschen erreichen<br />
und ihren Glauben festigen.“ Das Eröffnungs -<br />
kon zert der Kulturtage fand dieses Jahr in Zu -<br />
sammenarbeit mit dem <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong><br />
statt; unser Kantorenausbildungsprogramm, das<br />
Jewish Institute of Cantorial Arts (JICA) soll<br />
dazu beitragen, den eklatanten Mangel an qualifizierter<br />
Gemeindeleitung beheben zu helfen.<br />
„Mein Dank gilt allen, die sich für die Errichtung<br />
des Jewish Institute of Cantorial Arts eingesetzt<br />
haben“, sagte Wolf auch im Namen des Regie -<br />
renden Bürgermeisters von Berlin, Klaus<br />
Wowereit.<br />
Im Mittelpunkt dieses Konzertes stand der<br />
durch komponierte Gottesdienst „Arvit LeShab -<br />
bat“ des 1922 in Breslau geborenen israelischen<br />
Komponisten Yehezkel Braun für Kantor, Chor<br />
und Orchester. Es sang Kantorin Mimi Sheffer, die<br />
JICA-Programmdirektorin, die vom Ernst-Senff-<br />
Chor und dem Hamburger Ensemble Resonanz<br />
unter der Leitung von Hans Rotman begleitet<br />
wurde. Vom 12. bis 14. September waren zudem<br />
auch zwölf prominente Kantoren aus aller Welt in<br />
Berlin zu Gast, um Konzerte, Gottesdienste und<br />
Workshops zu gestalten, die in drei Berliner<br />
Synagogen stattfanden. Beim Abschlusskonzert<br />
in der Synagoge Pestalozzistraße präsentierten<br />
sie am 14.09. ihren 700 Zuhörern „Highlights der<br />
Chasanut“, nämlich Werke von Lewandowski,<br />
Sulzer, Avery, Ganchoff und vielen anderen mehr.<br />
Den Auftakt machte Shiru Ladoshem Shir Cha -<br />
dasch, „Singet dem Herrn ein neues Lied“ von<br />
Lawrence Avery. Darauf folgte das Torat Adonai<br />
von Louis Lewandowski (1821-1894), dessen<br />
liturgische Musik in der Synagoge Pestalozzi -<br />
straße Schabbat für Schabbat vom Synagogal -<br />
ensemle Berlin unter Leitung von Regina Yantian<br />
zum Klingen gebracht wird. Dass diese Tradition<br />
in Berlin bis heute lebendig geblieben ist, ist<br />
nicht zuletzt dem unvergessenen Oberkantor<br />
Estrongo Nachama (1918-2000) zu verdanken.<br />
Sein Sohn, Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama,<br />
war einer der ersten Befürworter von JICA:<br />
„Unsere Gemeinden in Deutschland brauchen<br />
solche Kantoren mit pädagogischer Bildung.<br />
Damit ist eine entscheidende Weiche auf dem<br />
Weg in die Zukunft jüdischer Gemeinden in<br />
Deutschland und Europa gestellt.“<br />
Kantor Richard Cohn (Dallas, Texas) trug in der<br />
Synagoge Pestalozzistraße ein Grußwort von<br />
Kantorin Kay Greenwald vor, der Präsidentin der<br />
American Conference of Cantors: „Heute ist ein<br />
ganz besonderer Tag für mich, ein ganz besonderer<br />
Tag für die Juden in Deutschland, in Europa,<br />
ja in der Welt. Mit dieser Schule, dem Jewish<br />
Institute of Cantorial Arts, sehen wir eine Wie -<br />
dergeburt des liberalen Judentums in eben<br />
jenem Land, in dem vor zweihundert Jahren alles<br />
begann. Die American Conference of Cantors“, so<br />
ihre Präsidentin, „hofft, dass wir in den kommenden<br />
Jahren im regen Dialog und Austausch<br />
miteinander sein werden. […] Ein Kantor in heutiger<br />
Zeit unterscheidet sich sehr von einem<br />
Kantor von früher. Nicht nur eine schöne Stimme<br />
und musikalisches Talent sind notwendig, auch<br />
eine tiefe Kenntnis des Judentums und der<br />
hebrä ischen Sprache. Der Kantor braucht weiterhin<br />
ein offenes mitfühlendes Herz sowie die<br />
Fähigkeiten eines Lehrers.“ Richard Cohn schloss<br />
mit Blick auf die künftigen Kantoren „,made in<br />
Potsdam“ mit den Worten: „ In den USA ist der<br />
Kantor heute ein vollständiges Mitglied der<br />
Geist lichkeit der jüdischen Gemeinde, an der<br />
Seite unserer Rabbiner. Die Aufgabe und das<br />
Leben des Kantors sind sehr erfüllend – wir freuen<br />
uns, dass Ihr diese Reise nun beginnen werdet!<br />
Mechayil el chayil!
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
In Deutschland gibt es erstmals seit der Schoa wieder eine akademische<br />
Berufsausbildung für jüdische Kantoren / von Hartmut Bomhoff<br />
Z U G A S T<br />
I N B E R L I N<br />
Foto © Homolka<br />
RICHARD COHN MO GLAZMAN BENJAMIN MAISSNER<br />
Temple Emanu-El, Dallas, Texas Cantor and Director of Arts Holy Blossom Temple<br />
Immediate Past-President, Congregation Kol Ami Toronto, Ontario<br />
American Conference of Cantors in White Plains, NY<br />
11<br />
Die Kantorenausbildung umfasst vier Jahre: Ein<br />
dreijähriger BA in Jüdischen Studien und Musik -<br />
wissenschaften an der Universität Potsdam und<br />
ein viertes Jahr vertiefender Studien am JICA.<br />
Das Hebrew Union College – Institute of Jewish<br />
Religion (Jerusalem) ist mit seiner School of<br />
Sacred Music als Kooperationspartner daran<br />
beteiligt. Die Studenten werden das erste Jahr in<br />
Jerusalem absolvieren; die Ausbildung beginnt<br />
formell im Oktober 2009, doch vier Studenten<br />
haben bereits vorbereitende Studien aufgenommen.<br />
Anstoß für diese Ausbildung war die<br />
Partnerschaft mit der amerikanischen Bres lauer<br />
Foundation, die $ 300.000.- zur Errichtung des<br />
Kantorenseminars beigetragen hat. Die Bun -<br />
desregierung fördert JICA mit jährlich<br />
€ 100.000.-, auch der Zentralrat der Juden in<br />
Deutschland gibt Zuschüsse. Die Vorsitzende der<br />
Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Lala Süsskind,<br />
sprach bei dem Eröffnungskonzert in der Syna -<br />
goge vor den weit über 1.000 Gästen davon, dass<br />
diese Kul turtage einen Bogen schlagen zwischen<br />
Israel und Deutschland. Nicht weniger wichtig ist<br />
der Brückenschlag zwischen Jüdischer Gemeinde<br />
und <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>: „Ich würde mir wünschen,<br />
dass wir uns bei künftigen Jüdischen<br />
Kulturtagen vermehrt an Stimmen erfreuen können,<br />
die an diesem Institut ausgebildet wurden“,<br />
sagte Bürgermeister Harald Wolf und sprach da -<br />
mit auch vielen Gemeindemitgliedern aus dem<br />
Herzen.<br />
MARK OPATOW JOYCE ROSENZWEIG BRUCE RUBEN, Ph.D Prof. Dr. ELIYAHU SCHLEIFER<br />
Springfield Avenue Temple Congregation Beth Simchat Torah Director, School of Sacred Director of Cantorial Studies<br />
Mobile, AL HUC-JIR and JTS, NY Music, HUC-JIR, NY HUC-JIR Jerusalem<br />
ELENA SCHWARTZ MARIANA SHEMESH YVON F. SHORE JOSEE WOLFF<br />
Temple Beth-El, Congregation Beth Israel Director of Liturgical Arts Director of Placement,<br />
The Monroe Temple Of Liberal Worcester, MA and Music School of Sacred Music<br />
Judaism, Monroe, NY HUC-JIR, Cincinnati, OH HUC-JIR, NY
12<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Judentum im Einklang<br />
mit der Moderne<br />
Anzeige<br />
Alle zwei Jahre treffen sich die europäischen Mit -<br />
gliedergemeinden der World Union for Progres -<br />
sive Judaism (WUPJ) zu einer Delegiertenver -<br />
sammlung, dieses Mal in Wien. Die 1990 gegründete<br />
liberale jüdische Gemeinde Or Chadasch, die<br />
seit einigen Jahren über eine eigene Synagoge in<br />
der Robertgasse in der Wiener Leopoldstadt verfügt,<br />
konnte bei der Tagung „Progressive Juda -<br />
ism: The Positive Choice“ über 250 Delegier te<br />
liberaler jüdischer Gemeinden aus 31 Ländern in<br />
Wien begrüßen, darunter mehr als 30 Rabbiner<br />
und Rabbinerinnen. Das Tagungsmotto hat eine<br />
gute Tradition: Schon 1844 hatten Reformer in<br />
Berlin gefordert: „Wir wollen positive<br />
Religion!“<br />
In Österreich selbst gibt es anders als in<br />
Deutsch land, Polen, Ungarn der Böhmen keine<br />
dezidiert liberale Tradition, weder im politischen,<br />
im wirtschaftlichen noch im religiösen Sinne,<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
Europa-Tagung der Weltunion für<br />
progressives Judentum in Wien /<br />
von Hartmut Bomhoff<br />
erklärte Theodor Much, der langjährige Präsident<br />
von Or Chadasch. Die Historikerin Martha Keil,<br />
Direktorin des Instituts für die Geschichte der<br />
Juden in Österreich, zeichnete in ihrem Referat<br />
„Imposed, Despised, Desired: The Jewish Liberal<br />
Reform in the Habsburg Monarchy 1782-1916“ die<br />
historische Entwicklung von den Toleranz paten -<br />
ten Joseph II. bis zu den innerjüdischen Gottes -<br />
dienstreformen nach, machte aber deutlich, dass<br />
wir mit unseren heutigen Definitionen von<br />
Liberalität, Gleichberechtigung und Demokratie<br />
keinen Zugang zur habsburgerischen Vergangen -<br />
heit finden. Die Obrigkeit schob damals vielen<br />
Neuerungen einen Riegel vor. Für das Jahr 1806<br />
zitierte Martha Keil aber einen Polizeibericht,<br />
„dass unter der alteingesessenen Wiener jüdischen<br />
Elite noch 19 Familienober häupter orthodox<br />
waren, 15 aber bereits nicht mehr koscher<br />
aßen und keine Kopfbedeckung trugen, aber<br />
doch am Schabbat den Gottesdienst besuchten.
Dieser konnte allerdings nur in Privatsynagogen<br />
stattfinden, die wichtigste bestand im Haus zum<br />
Weißen Stern, aus der noch Rimonim erhalten<br />
sind.“ Reformbemühungen blieben auf die private<br />
Sphäre beschränkt; der Orthodoxie galt aber<br />
auch schon der Wiener Stadttempel, der aufs<br />
Engste mit den Namen von Rabbiner Isak Noa<br />
Mannheimer( sein Ziel war die „Wiedergeburt<br />
eines zerfallenen, aufgelösten Volkes, die<br />
Wieder herstellung des reinen Gottes dienstes, der<br />
Einheit und Würde unserer unwissenden, verwahrlosten<br />
Glaubensgenossen“) und Kantor<br />
Salomon Sulzer, dem Begründer der modernen<br />
Synagogalmusik, verbunden ist, als zu liberal.<br />
„Sie zogen das Gebet in kleinen Stibln und später<br />
in eigenen Synagogen vor“, konstatierte Keil.<br />
„Dies hat sich bis heute nicht geändert.“<br />
Der Rektor des liberalen Hebrew Union College in<br />
Jerusalem, Rabbiner Michael Marmur, sprach den<br />
Ultraorthodoxen ihr liebgewonnenes Exklusiv -<br />
recht aufs Jüdischsein ab: allein schon ihre<br />
scheinbar traditionelle Kleidung sei kein Aus -<br />
druck besonderer Jüdischkeit oder von Authen -<br />
tizität, sondern eine altertümliche Tracht aus der<br />
Vormoderne, die besagt: „Hier ist der Punkt, an<br />
dem die Geschichte geendet hat.“ Man einem<br />
kamen dabei die Worte von Rabbiner Ignaz<br />
Maybaum in den Sinn: „Judentum, das hinter der<br />
Aufklärung zurückbleibt, gleicht einem Salto<br />
mortale in die Welt des Schulchan Aruch.“„<br />
Liberale Juden hingegen, so Marmur, gelänge es,<br />
Judentum und Modern miteinander in Einklang<br />
<strong>Kescher</strong><br />
zu bringen. In seinem Grundsatzreferat<br />
„Progressive Judaism: Choices, Myths and<br />
Failures „ grenzte er das progressive Judentum<br />
dabei auch von der modernen Orthodoxie ab, die<br />
in zwei getrennten Welten leben würde, im<br />
modernen Alltagsgeschehen und in ihrem eigenen<br />
Jüdischsein. Das liberale Judentum aber<br />
habe diesen Spagat zwischen zwei Sphären überwunden<br />
und integriere die Anforderungen der<br />
Gegenwart und des jüdisches Lebens, ohne dabei<br />
die spirituellen Wurzeln des Judentums und<br />
seine Traditionen außer Acht zu lassen.<br />
Das Leo Baeck College zeichnete am Rand der<br />
Tagung fünf der anwesenden Rabbiner, die<br />
Absolventen dieses Londoner Rabbinerseminares<br />
sind, für ihre 25-jährige Gemeindetätigkeit aus.<br />
Interessant war dabei, dass vier dieser fünf<br />
Rabbiner sich inzwischen für das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong> an der Universität Potsdam engagieren:<br />
Rabbiner Andrew Goldstein, der Präsident der<br />
European Region der WUPJ mit Sitz in London,<br />
erhielt für seinen persönlichen Einsatz in Wien<br />
die Ehrensenatorwürde des deutschen Rabbiner -<br />
seminares; Rabbiner David J. Goldberg ist Mit -<br />
glied des Kuratoriums des <strong>Kolleg</strong>s, Rabbiner<br />
Edward van Voolen Studienleiter für die praktische<br />
Ausbildung. Rabbiner Harry Jacobi gehört<br />
dem Stiftungsrat der Leo Baeck Foundation an,<br />
die das <strong>Kolleg</strong> unterstützt. Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong> war in Wien auch in anderer Weise präsent:<br />
Rektor Rabbiner Walter Homolka, Mitglied<br />
des Executive Boards der WUPJ, bestritt unter<br />
links: Die Führungsspitze der<br />
WUPJ: Rabbiner Uri Regev,<br />
Leslie Bergman, Ruth<br />
Cohen und Steve Bauman<br />
(v.li.n.re.) mit Theodor Much<br />
kleines Bild: Gastgeberin im<br />
Wiener Rathaus: Sonja Kato<br />
Fotos © A. Huber-Huber.<br />
13<br />
anderem Workshops zur Geschichte des liberalen<br />
Judentums in Mitteleuropa und zu „Advocating<br />
Progressive Judaism: Getting Our Voices Heard“;<br />
Programmdirektorin Mimi Sheffer stellte in ihrem<br />
Workshop „The Beauty of Cantorial Traditions”<br />
das Jewish Institute of Cantorial Arts vor, das<br />
neue Ausbildungsprogramm für Kantoren am<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>.<br />
Die religiöse Gleichstellung der Frau ist im liberalen<br />
Judentum längst gang und gäbe; davon zeugten<br />
nicht nur die Rabbinerinnen und Gemeinde -<br />
repräsentantinnen unter den Delegierten, sondern<br />
auch die Tatsache, dass sich Fragestellungen<br />
wie „Bevorzugt oder benachteiligt? Der Status<br />
der Frau im Judentum“ für liberale Juden und<br />
Jüdinnen inzwischen erübrigen. Gerda Frey, die<br />
1945 nach Wien zurückkehrte, das International<br />
Council of Jewish Women bei den Vereinten<br />
Nationen in Wien vertritt und deren Ehemann<br />
Robert Vorstandsmitglied von Or Chadasch ist,<br />
befindet teils ernüchtert, teils erfreut: „Es waren<br />
genau so viele Zuhörer da wie wir auf dem<br />
Podium. Ich glaube, dieses Thema ist schon oft<br />
genug erörtert worden – die Teilneh mer haben<br />
andere Themata mehr interessiert.“<br />
Schwerpunkte der Wiener Tagung waren unter<br />
anderem die Situation der liberalen Gemeinden<br />
in Frankreich und in den Staaten der ehemaligen<br />
Sowjetunion. Die Entwicklung in Osteuropa, wo<br />
sich das liberale Judentum als Alternative zu<br />
Chabad Lubawitsch durchgesetzt hat, ist eine
14 <strong>Kescher</strong><br />
Erfolgsgeschichte, die die wenigen Rabbiner<br />
inzwischen schon fast überfordert: in Russland<br />
betreuen drei liberale Rabbiner 85 Gemeinden,<br />
und in der Ukraine haben sich inzwischen 40<br />
jüdische Gemeinden für das liberale Judentum<br />
entschieden. Aufbruchstimmung ist auch aus<br />
Warschau, Prag, Bratislava und Budapest zu vermelden.<br />
Selbstverständlich kamen die Wiener<br />
Delegierten auch immer wieder auf die neue<br />
Karfreitagsfürbitte und das jüdisch-katholische<br />
Verhältnis zu sprechen: „Ein Fiasko“ nannte etwa<br />
Ruth Weyl, langjährige Beraterin des Interna -<br />
tionalen Rates von Christen und Juden (ICCJ)<br />
den aktuellen Rückschritt hinter die Theologie<br />
des Zweiten Vatikanischen Konzils.<br />
Fragwürdig war für viele Delegierte auch die<br />
Haltung von katholischer Kirche und österreichischer<br />
Politik, deren Repräsentanten beim<br />
Eröffnungsempfang der Tagung im Wiener Rat -<br />
haus durch Abwesenheit glänzten, und dies<br />
genau 70 Jahre nach dem sogenannten An schluss<br />
von 1938: eigentlich hätten die österreichische<br />
Regierung diese Tagung als enormen Vertrauens -<br />
beweis werten und würdigen müssen. Die sehr<br />
persönlich gehaltenen Worte der Gemeinderätin<br />
und Landtagsabgeordneten Sonja Kato, die den<br />
erkrankten Wiener Bürgermeister Häupl vertrat,<br />
machten diesen Unmut aber bald wieder wett.<br />
“It’s a strong coincidence that your conference<br />
takes part in those days of remembrance to the<br />
‘Anschluss’ of Austria to Hitler Germany 70 years<br />
ago“ sagte sie. “On many official occasions we<br />
commemorated those tragic days, in which Hitler<br />
took over the power in Austria without significant<br />
local resistance.“ Frau Kato, neben der auch<br />
der israelische Botschafter in Wien, Dan Ashbel<br />
(selbst ein Absolvent der liberalen Leo Baeck<br />
Schule in Haifa) zu den Delegierten sprach,<br />
zeichnete die Versäumnisse, aber auch die<br />
Anstrengungen Österreichs bei der Aufarbeitung<br />
seiner Geschichte nach und erwies sich als denkbar<br />
beste Fürsprecherin ihres Landes.<br />
Für die liberale Gemeinde in Wien hat diese<br />
Europa-Tagung wichtige Impulse gebracht. „Ich<br />
denke, Or Chadasch hat bewiesen, wie viel eine<br />
kleine Gemeinde leisten kann“, sagt David Feiler,<br />
Anzeige<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
Rabbiner Andrew Goldstein mit der Urkunde,<br />
die ihn zum Ehrensenator des <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s erklärt. Foto © Bomhoff<br />
der in Wien Business Administration und Public<br />
Management studiert. „Die erfolgreiche Konfe -<br />
renz hat uns unserer Möglichkeiten aufgezeigt<br />
und viele unserer Mitglieder begeistert. Es ist<br />
schön zu beobachten, wie wir mit den Heraus -<br />
forderungen wachsen, und so können wir uns<br />
auch voller Engagement neuen Projekten zuwenden.“<br />
Ein anderes Fazit lautet: Wir können jetzt<br />
gestärkt in die Zukunft blicken mit dem Wissen,<br />
dass wir auch große Ziele erreichen können,<br />
wenn wir nur wollen. Mit Giuliana Schnitzler, Pia<br />
Kalinka, David Feiler, Michael Mather und John<br />
Clark etabliert sich eine starke willenskräftige<br />
Gruppe innerhalb von Or Chadasch.“ Das Resüme<br />
von Guiliana Schnitzler, Vizepräsdentin von Or<br />
Chadasch und im übrigen Urenkelin von Arthur<br />
Schnitzler, lautet kurz und knapp: “We are a<br />
pearl on a string of pearls. Die Konferenz hat<br />
gezeigt, dass wir als Gemeinde nicht allein in der<br />
Welt stehen. Wir sind Teil einer Traditionskette<br />
und Teil einer großen Gemeinschaft, keine unbedeutende<br />
Verirrung in einer orthodoxen Welt.“
<strong>Kescher</strong><br />
Grußbotschaft<br />
zum jüdischen Neujahrs -<br />
fest Rosch Haschana<br />
am 29. und 30.<br />
September 2008<br />
Berlin, im September 2007<br />
Liebe Mitglieder der jüdischen Gemeinden<br />
in Deutschland,<br />
ganz herzlich grüße ich Sie alle, auch im Namen<br />
meiner Frau, und wünsche Ihnen schöne Feier -<br />
tage, einen guten Start ins neue Jahr und für die<br />
Zukunft alles erdenklich Gute.<br />
Beim Jahreswechsel gehen die Gedanken zurück<br />
an das vergangene Jahr – und jeder denkt sicher<br />
zuerst einmal an das eigene Erleben, an die<br />
Familie, die Freunde und Bekannten, an das, was<br />
man gemeinsam durchlebt oder vielleicht auch<br />
durchlitten hat.<br />
Und auch beim Blick nach vorn hat jeder zuerst<br />
seine eigenen Hoffnungen – gewiss besonders<br />
für die Zukunft der Kinder und Enkel.<br />
Aber uns bewegt beim Jahreswechsel auch vieles,<br />
das über unser eigenes persönliches Leben hinausgeht.<br />
Das Leben in den jüdischen Gemeinden<br />
in Deutschland wird immer vielfältiger, bunter –<br />
und selbstverständlicher. Darüber freue ich mich.<br />
Es ist auch ein gutes Zeichen, dass in der letzten<br />
Zeit immer mehr jüdische Museen entstehen und<br />
von der langen Geschichte des jüdischen Lebens<br />
in Deutschland Zeugnis geben. Diese langen und<br />
tiefen Wurzeln haben es möglich gemacht, dass<br />
nach dem großen und fürchterlichen Bruch der<br />
Shoah jüdisches Leben in Deutschland wieder<br />
möglich wurde.<br />
Ich weiß, dass viele jüdische Mitbürgerinnen und<br />
Mitbürger in diesem Jahr mitgefeiert haben, als<br />
an verschiedenen Orten der 60. Jahrestag der<br />
Gründung des Staates Israel gefeiert wurde. In<br />
meiner Gratulation dazu habe ich mit Blick auf<br />
die Zukunft besonders dafür geworben, den<br />
Jugendaustausch zwischen Israel und Deutsch -<br />
15<br />
land zu verstärken, damit das gute Verhältnis<br />
unserer beiden Länder auch von den kommenden<br />
Generationen weiter gepflegt wird.<br />
Allen Bürgerinnen und Bürgern, die das jüdische<br />
Neujahrsfest begehen, wünsche ich Tage der<br />
Besinnung und der Freude und für das neue Jahr<br />
Gesundheit und Wohlergehen.<br />
Horst Köhler<br />
Bundespräsident<br />
Anzeige
16<br />
„So eilt denn<br />
zu den guten<br />
Hartmut Bomhof Professor Firestone, als Sie bei<br />
einer Diskussion im Berliner Ernst-Reuter-Haus<br />
neulich Koransuren auf Arabisch vortrugen, da<br />
war das Eis unter den zumeist türkischen muslimischen<br />
Zuhörern schnell gebrochen. Woher<br />
kommt diese Nähe eines amerikanischen<br />
Rabbiners zum Arabischen?<br />
Reuven Firestone Ich war 1970 als Teenager zum<br />
ersten Mal in Israel und landete für ein paar<br />
Monate im arabischen Viertel der Altstadt von<br />
Jerusalem. Damals herrschte so eine Art Auf -<br />
bruch stimmung. Die Palästinenser genossen den<br />
wirtschaftlichen Aufschwung nach 1967, die jüdischen<br />
Israelis erkundeten noch unbekümmert<br />
die besetzten Gebiete. Ich als Jude war damals<br />
bei vielen arabischen Familien durchaus willkommen<br />
und besuchte auch Dörfer außerhalb Jerusa -<br />
lems. Das waren eben andere Zeiten. Nach meiner<br />
Ordination zum Rabbiner 1982 am New Yorker<br />
Hebrew Union College habe ich 1988 meinen<br />
Doktor in Arabischen und Islamischen Studien an<br />
der New York University gemacht. Ich habe auch<br />
ein paar Jahre lang den Sprachunter richt in<br />
Hebräisch und Arabisch an der Boston University<br />
geleitet, bevor ich 1993 nach Los Angeles wechselte.<br />
Die Verbindung zu meinen arabischen<br />
Freunden ist die ganze Zeit über nicht abgerissen,<br />
und außerdem ergeben sich ständig neue<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Kontakte. Letztes Jahr habe ich mit meiner Fami -<br />
lie ein Sabbatical in Kairo verbracht, wo meine<br />
Kinder auf eine ägyptische Schule gingen, zu -<br />
sam men mit meist muslimischen Klassen kame -<br />
raden. Das war für sie auch eine wichtige, ja gute<br />
Erfahrung.<br />
Wie ist es denn überhaupt zu der Podiums dis -<br />
kus sion in Berlin gekommen? Hatten Sie keine<br />
Sorge, dass das Thema „Whose Jerusalem? The<br />
Holy City in Judaism, Christianity, and Islam“<br />
schnell zu politisch aufgeheizten Debatten führt?<br />
Ich habe die letzten Wochen als Fellow am Abra -<br />
ham <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> an der Universität Potsdam<br />
verbracht und in dieser Zeit insbesondere die<br />
angehenden Rabbiner in einer Art Schnellkurs<br />
mit dem Islam vertraut gemacht. Daneben stand<br />
eine Reihe von Vorträgen auf dem Programm. Das<br />
<strong>Kolleg</strong> hat einen guten Draht zum Forum für<br />
Interkulturellen Dialog in Berlin, das mich dann<br />
zu dieser Diskussion eingeladen hat. Ich habe<br />
mich dem Thema „Jerusalem“ anhand von Texten<br />
aus den drei religiösen Traditionen genähert und<br />
darüber mit Celem Usak diskutiert, dem Vizeprä -<br />
si dent der Vereinigung der Journa listen und<br />
Schriftsteller und Generalsekretär der Plattform<br />
für Interkulturellen Dialog in Istanbul. Das<br />
Publikum war an diesem Textvergleich weit mehr<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
Dingen“ Rabbiner Reuven Firestone, jüdischer Islam-<br />
interessiert als an der Tagespolitik im Nahen<br />
Osten. Wir sollten einander ohnehin nicht immer<br />
gleich Feindseligkeit unterstellen.<br />
Sie meinen, dass uns häufig Klischees und Ste re o -<br />
typen den Blick auf unser Gegenüber verstellen?<br />
Ja, und das auf vielen Ebenen. Interreligiöser<br />
Dialog kann auch unbeherrscht, polemisch und<br />
aggressiv ausfallen. Man unterstellt der anderen<br />
Seite Ressentiments und begibt sich ohne Not in<br />
eine Abwehrhaltung. Dabei geht es im Dialog<br />
doch nicht darum, Punkte oder Konvertiten für<br />
sich zu gewinnen. Oft misst man die andere<br />
Religion mit ganz anderen Maßstäben als die<br />
eigene. Häufig stellte man das Beste der eigenen<br />
Religion dem Schlechtesten der anderen gegenüber.<br />
Vergleicht man die Friedenssehnsucht der<br />
Tora mit kämpferischen Versen im Koran, so<br />
kommt man zu anderen Schlüssen als bei der<br />
Gegenüberstellung von durchaus aggressiven<br />
Toraversen und friedvollen Suren. Die Idee vom<br />
heiligen Krieg gibt es ja in der jüdischen Tradi -<br />
tion. Ich sitze gerade an einem Buch über das<br />
Wiederaufleben dieser Idee im Judentum. Und<br />
wenn wir schon über Stereotypen reden: In<br />
Deutschland gibt es Vorbehalte gegenüber der<br />
Bildungsbewegung von Fetullah Gülen, zu der<br />
auch Celem Usak und das Forum für Interkultu -
Foto © Arkady Shafirov<br />
rellen Dialog gehören. Aber entsprechen deren<br />
Werte nicht sehr der religiösen Emanzipation der<br />
jüdischen Neo-Orthodoxie im 19. Jahrhundert?<br />
Wir Juden sehen da Parallelen. Und sollten diejenigen,<br />
die in Deutschland die Gülen-Bewegung<br />
unter die Lupe nehmen, sich nicht eher Ge -<br />
danken über Chabad Lubawitsch machen? Was<br />
bei Muslimen hinderlich ist, betrachtet man bei<br />
Juden als vermeintlich authentisch und unbedenklich.<br />
Und wie schaut es mit Ihrem Verhältnis zu Israel<br />
aus?<br />
Als ich 1970 das erste Mal ins Land kam, habe ich<br />
meine Zeit selbstverständlich nicht nur unter<br />
Araber verbracht. Ich lebte auch zwei Jahre lang<br />
in einem Kibbutz an der Grenze, arbeitete in der<br />
Molkerei und fühlte eine tiefe Verbundenheit mit<br />
den Kämpfen und den Träumen der Zionisten.<br />
Meine Erfahrung mit den jüdischen Israelis hat<br />
damals auch meinen Sinn für die Verbindung mit<br />
meiner kollektiven Geschichte und für die<br />
Bemühungen um eine gemeinsame Zukunft<br />
<strong>Kescher</strong><br />
letztlich auch ein Beweis dafür, dass es Ihnen<br />
nicht nur darum geht, ihren Islam den Christen<br />
und Juden nahezubringen, sondern dass ihnen<br />
auch am eigenen Verständnis des Judentums<br />
liegt. Inzwischen gibt es übrigens auch eine arabische<br />
Übersetzung meines Buches, aber noch<br />
keinen Verlag dafür.<br />
Sie sind auch Direktor des Center for Muslim-<br />
Jewish Engagement an der University of<br />
Southern Cali for nia. Was hat man sich darunter<br />
vorzustellen?<br />
Wichtig ist zunächst, dass unser Zentrum aus der<br />
Zusammenarbeit einer muslimischen Stiftung,<br />
nämlich der Omar Ibn Al Khattab Foundation, mit<br />
unserem liberalen Rabbinerseminar, dem Hebrew<br />
Union College, und einer Forschungseinrichtung,<br />
dem Center for Religion and Civic Culture, entstanden<br />
ist und seinen Platz an einer säkularen<br />
Universität gefunden hat. Wir bilden Gemeinde -<br />
mitglieder und –mitarbeiter für Interreligious<br />
Outreach aus, entwickeln neue Lehrmaterialien<br />
und stellen sie ins Internet und verstehen uns<br />
Experte aus Los Angeles, im Gespräch mit Hartmut Bomhoff<br />
geschärft. Eine Zukunft, in der Juden im Staat<br />
Israel in Frieden leben werden. So wie viele<br />
andere amerikanische Juden bin ich immer wieder<br />
nach Israel zurückgekehrt, um dort zu studieren,<br />
zu arbeiten, Ferien zu machen. Doch ich<br />
habe dabei auch immer wieder Zeit mit meinen<br />
arabischen Freunden verbracht und habe ihre<br />
Entwicklung aufmerksam verfolgt. Dadurch fand<br />
ich mich von Anfang an immer wieder in dieses<br />
Verhältnis von Juden und Araber einbezogen, in<br />
die Beziehungsgeschichte von Judentum und<br />
Islam, und so bin ich zur Religionswissenschaft<br />
an sich gekommen. Um aber auf Israel zurück zu<br />
kommen, so habe ich insgesamt wohl sechs, sieben<br />
Jahre lang dort gelebt.<br />
Ihre Bücher bauen Brücken. Dieses Jahr ist „An<br />
Introduction to Islam for Jews“ erschienen, letztes<br />
Jahr „Jews, Christians, Muslims in Dialogue:<br />
A Practical Handbook“. Und Ihr Buch „Children<br />
of <strong>Abraham</strong>. An Introduction to Judaism for<br />
Mus lims“ kam 2001 heraus und liegt seit 2004<br />
auf Türkisch vor. Verkauft es sich denn?<br />
Ehrlich gesagt lässt die Resonanz noch zu wünschen<br />
übrig. Das liegt aber vielleicht auch an der<br />
Vermarktung. Es wäre natürlich schön, wenn sich<br />
unsere Partner im Dialog auch um die Verbrei -<br />
tung solcher Bücher kümmern würden. Das wäre<br />
auch als akademischen Think Tank. Unser Ziel ist<br />
es, Dialog und gegenseitiges Verständnis voranzutreiben,<br />
und zwar an der Basis als persönliche<br />
„Grassroot“-Begegnung und in Form von Partner -<br />
schaften von Religionsgemeinden und akademischen<br />
Einrichtungen. Sie haben vielleicht von<br />
der Zusammenarbeit der jüdischen Reformbewe -<br />
gung in Nordamerika mit der Islamic Society of<br />
North America gehört. Es gibt inzwischen er -<br />
staun lich viele Begegnungs- und Studienpro -<br />
gram me für Synagogengemeinden und Moscheen,<br />
und die Initiatoren können der großen Nachfrage<br />
kaum gerecht werden.<br />
Gerade ist in Madrid die Weltkonferenz der Reli -<br />
gio nen zu Ende gegangen, zu der die Islamische<br />
Weltliga auf Initiative des saudischen Königs<br />
Abdullah eingeladen hatte. Haben Sie schon<br />
eine Meinung dazu?<br />
Ob und wie die Beschlüsse der Experten bis zur<br />
Basis vordringen werden, bleibt abzuwarten,<br />
aber das Problem haben wir immer, wenn Dialog<br />
zur Gremienarbeit wird. Spannend ist aber, dass<br />
auch Anhänger fernöstlicher Religionen, etwa<br />
Hindus und Schintoisten, nach Madrid gekommen<br />
sind. Das ist so bemerkenswert, weil es für<br />
den klassischen Islam nie ein Problem gewesen<br />
ist, die anderen Religionen des Buches zu dulden<br />
17<br />
und als Gesprächspartner anzuerkennen. Aber<br />
Vertreter dieser östlichen Traditionen? Die gelten<br />
für viele Moslems noch immer als Polytheisten,<br />
Atheisten, Götzendiener. Sie mit in die Konferenz<br />
einzubinden, das ist ein deutlicher Durchbruch.<br />
Und was bedeutet die Konferenz für das<br />
Gespräch unter den „Kinder <strong>Abraham</strong>s“?<br />
Die Konferenz hat ganz offiziell und von islamischer<br />
Seite bestätigt, dass jüdisch-muslimischer<br />
Dialog nicht nur möglich ist, sondern in vielen<br />
Ländern auch schon seit Jahren praktiziert wird.<br />
Das dürfte gerade für die Konferenzteil nehmer<br />
aus eher geschlossenen islamischen Gesellschaf -<br />
ten eine neue Erfahrung gewesen sein, die man<br />
nicht mehr rückgängig machen kann. Aber ich<br />
war ja nicht dabei, so dass ich zu konkreten<br />
Ergebnissen nichts sagen kann.<br />
Um auf Ihre Tätigkeit als Professor für Mittel -<br />
alter liches Judentum und Islam am Hebrew<br />
Union College zurückzukommen: Kann jemand,<br />
der sich dem arabischen Kulturkreis doch recht<br />
Rabbiner Reuven Firestone,<br />
Professor für Medieval Judaism<br />
and Islam am Hebrew Union<br />
College in Los Angeles, war im<br />
Sommer Fellow am <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>
18<br />
eng verbunden fühlt, objektive Wissenschaft<br />
betreiben?<br />
Ich habe ja schon deutlich gemacht, dass ich<br />
einen grundsätzlich positiven Zugang zum Islam<br />
habe, aber ich hoffe doch, dass dies auch ein realistischer<br />
Zugang ist. Vielleicht kommt das<br />
manch einem Zuhörer oder Leser eigentümlich<br />
vor, weil man sich von einem Dozenten und Autor<br />
eher einen neutralen Standpunkt erwartet, der<br />
weder wohlwollend noch ablehnend ist. Was aber<br />
die Religionswissenschaft betrifft, so frage ich<br />
mich, ob ein rein objektiver Zugang möglich ist.<br />
Religion ist so mächtig, sie basiert auf so starken<br />
Bildern und Ideen, und sie stellt eine so dynamische<br />
Bindung dar, dass es geradezu unmöglich<br />
ist, neutral zu bleiben. Auch wenn man sich als<br />
Wissenschaftler einer Beurteilung enthalten will:<br />
man kann gar nicht anders als eine Meinung zu<br />
haben. Wenn meine generelle Haltung zum Islam<br />
auch wohlwollend und positiv ist, so beruht<br />
meine Herangehensweise doch auf mein Ver -<br />
ständ nis jüdischer Werte. Das berühmte Diktum<br />
von Rabbi Hillel lässt sich nicht nur auf den<br />
Einzelnen, sondern auch auf menschliche Kollek -<br />
tive anwenden: „Richte nicht deinen Nächsten,<br />
ehe du selbst nicht in seine Lage gekommen<br />
bist.“<br />
Daraus ergibt sich dann die Frage, wie denn ein<br />
Nichtmuslim, noch dazu ein Rabbiner, ein Buch<br />
über den Islam schreiben kann?<br />
Ich glaube nicht, dass irgendjemand ganz und<br />
gar die Spiritualität und Botschaft einer anderen<br />
Religion erfassen kann. Manch einer spürt vielleicht<br />
ein gewisses Unbehagen darüber, dass ich<br />
als Nichtmuslim die Verantwortung dafür übernehme,<br />
Juden den Islam zu vermitteln .Ich habe<br />
so weit wie möglich versucht, mir dieser Be -<br />
schrän kung bewusst zu bleiben, und ich habe oft<br />
versucht mir vorzustellen, wie es wohl wäre, als<br />
Muslim ein Buch zu schreiben, um Muslimen das<br />
Judentum nahezubringen. Ich bin das Buch -<br />
projekt, „An Introduction to Islam for Jews“<br />
dann mit eben diesem Bewusstsein großer<br />
Verantwortung und Beschränkung angegangen.<br />
Unsere Weisen sagen in den Sprüchen der Väter<br />
ja auch, dass niemand verpflichtet ist, alle<br />
Probleme der Welt zu lösen, dass es aber auch<br />
niemandem freisteht, von seinen Aufgaben abzulassen.<br />
Ich hoffe, dass ich den Islam in meinem<br />
Buch akkurat und in angemessener Weise dargestellt<br />
habe, und dass diese Arbeit ein bisschen<br />
mehr Verständnis in eine ganz schön verwirrende<br />
Welt bringt.<br />
Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie auf<br />
Ihren Berlin-Aufenthalt zurückblicken?<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Für meine Frau, unseren jüngsten Sohn Amir und<br />
mich hat es etwas Aufklärerisches gehabt, über<br />
das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> mit der jüdischen Ge -<br />
meinschaft hier in Berlin bekannt zu werden. Wir<br />
haben Gottesdienste in ganz unterschiedlichen<br />
Synagogen besucht, sind mit den Men schen ins<br />
Gespräch gekommen und haben sogar Verwandte<br />
meiner Frau getroffen, die wir vorher noch nie zu<br />
Gesicht bekommen hatten. Und natür lich sind<br />
die jüngste europäische Geschich te und die<br />
Politik hier jetzt an erster Stelle in meinem<br />
Bewusstsein. Es ist mir auch wichtig, erste<br />
Kontakte zur türkischen Gemeinschaft hergestellt<br />
zu haben und bei Francesca Albertini an der<br />
Universität Potsdam und bei Angelika Neu wirth<br />
an der Freien Universität sprechen zu können,<br />
einmal über „Divine Authority and Mass Violence<br />
- Holy War in Judaism, Christianity and Islam“,<br />
dann zu „<strong>Abraham</strong> and Authenticity“. Sehr spannend<br />
war es, das Team von Wissen schaftlerrn zu<br />
treffen, das an der Berlin-Brandeburgischen<br />
Akademie der Wissenschaften am Corpus<br />
Coranicum arbeitet. Habe ich schon erwähnt,<br />
dass ich bei diesem Projekt mitarbeiten werde?<br />
Das Vorhaben, nämlich die Dokumen tation des<br />
Korantextes in seiner Überlieferungsgestalt und<br />
die Erstellung einen umfassenden Kommentar<br />
dazu, hat übrigens einen schönen Bezug zum<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong>. Schließlich hat <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
die moderne Koranwissenschaft im 19. Jahrhun -<br />
dert mit begründet. Meine Familie und ich haben<br />
aber auch unsere Freizeit sehr genossen und sind<br />
in Berlin und Potsdam viel Fahrrad gefahren.<br />
Gibt es ein Wort aus dem Koran, das Sie unseren<br />
Lesern mit auf den Weg geben wollen?<br />
Mit Bezug auf Pluralismus und Dialog kommt mir<br />
die folgenden Verse in denn Sinn: „Und wenn<br />
Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen<br />
Gemeinschaft gemacht. Doch will Er euch<br />
prüfen in dem, was Er euch hat zukommen lassen.<br />
So eilt denn zu den guten Dingen um die<br />
Wette. Zu Gott werdet ihr allesamt zurückkehren,<br />
dann wird Er euch das kundtun, worüber ihr<br />
uneins waret.“ (Koran 5: 48) Dieses Bemühen<br />
um die guten Dinge, das kennen wir als Juden als<br />
Tikkun.<br />
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Schana towa<br />
wünscht allen Freunden die<br />
Jüdische Gemeinde Göttingen<br />
Der Vorstand<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
(v.l.n.r.): Dvora Weisberg, Ruth Sohn,<br />
Karen Margolis und Dalia Marx<br />
Foto © Margrit Schmidt<br />
Vortrag „Whose Jerusalem“ von Rabbi Prof.<br />
Reuven Firestone (Mitte), mit Cemal Usak (rechts)<br />
und Hartmut Bomhoff (links) Foto © Margrit Schmidt<br />
Rabbinerinnen, Kantorinnen, Frauen,<br />
die aus der Tora lesen, die Kippa und<br />
Tallit tragen, gleichberechtigte<br />
Gottesdienste: all das ist in den<br />
letzten Jahrzehnten möglich geworden.<br />
Und zwar in allen jüdischen Bewegungen,<br />
die nicht orthodox sind: bei den Reformjuden,<br />
bei den Konservati ven, bei den Rekonstruktionis -<br />
ten. Aber wie können Frauen mit den Texten<br />
umgehen: mit Tora und Talmud, mit Liturgie und<br />
Gebeten? Etwa mit dem Morgengebet, in dem<br />
Männer Gott danken, „der mich nicht als Frau<br />
geschaffen hat“? Diesen Fragen gingen Rabbine -<br />
rinnen und jüdische Theologinnen aus den Ver -<br />
einigten Staaten und Israel Anfang Juli bei der<br />
Podiumsdiskussion „Our Voices, Our Selves“<br />
nach, zu der das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> und die<br />
Synagogen gemeinde Sukkat Schalom ins Berliner<br />
Jüdische Gemeindehaus geladen hatten.<br />
Lot, heißt es in der Tora, flehte die Männer von<br />
Sodom an, doch bitte nicht seine Gäste zu vergewaltigen.<br />
Stattdessen bot er kurzerhand seine<br />
Töchter an und wies noch darauf hin, dass sie<br />
Jungfrauen waren. Heutige Rabbinerinnen fragen<br />
sich: Was hielten die Töchter wohl selbst von<br />
dem Vorschlag? Die Tora interessierte sich für<br />
diese Frage nicht. Sie ist von Männern für Männer<br />
geschrieben, so der Tenor der jüdischen Theolo -<br />
ginnen. <strong>Abraham</strong> und seine Söhne wurden als
<strong>Kescher</strong><br />
Füßewaschen statt Brit Mila<br />
Zeichen des Bundes mit Gott beschnitten. „Diese<br />
biblische Erzählung von hat Folgen bis heute“,<br />
sagt Ruth Sohn, Reform-Rabbinerin aus Los<br />
Angeles. „Die Beschneidung ist das allererste,<br />
was Gott fordert, und das grundlegende Zeichen<br />
des Bundes.“ Sie richte sich per definitionem nur<br />
an den männlichen Teil des Volkes. Die Konse -<br />
quenz: Männer stehen beim Initiationsritual im<br />
Zentrum, Frauen am Rand. Das gelte zumindest<br />
für die Zeit der Tora und für die Anfänge des jüdischen<br />
Volkes. Die Frage sei nur: „Wie gehen wir<br />
heute damit um? Machen wir so weiter oder<br />
ändern wir etwas?“<br />
Schon vor 25 Jahren suchte Ruth Sohn zusammen<br />
mit anderen jüdischen Männern und Frauen nach<br />
einem Ritual für neugeborene Mädchen, das der<br />
Brit Mila gleichwertig sein sollte. Schließlich<br />
beschlossen sie, den Mädchen die Füße zu<br />
waschen. Die Idee dazu kam ebenfalls aus der<br />
Tora: Nach der Beschneidung <strong>Abraham</strong>s und seiner<br />
Söhne erscheint ihm Gott in Begleitung<br />
dreier Männer. Denen wäscht er die Füße. Zudem<br />
werden Frauen in der Tora oft mit Wasser in<br />
Verbindung gebracht. „Das erste Mal habe ich<br />
das Ritual des Füßewaschens mit unserer eigenen<br />
Tochter erlebt“, erzählt die Rabbinerin. „Das<br />
war wunderbar.“ Seitdem hat sie es mit vielen<br />
Familien gefeiert. Es gebe in den Vereinigten<br />
Männer im Zentrum, Frauen am Rand? Eine<br />
Podiumsdiskussion / von Gerald Beyrodt<br />
Staaten große Reformgemeinden, in denen das<br />
Füßewaschen Standard ist, gleichwertig der Brit<br />
Mila für Jungen. „Ich habe sogar von einem<br />
ortho doxen Ehepaar gehört, das es mit seiner<br />
Tochter das Ritual gefeiert und sie so in den Bund<br />
mit Gott eingeführt hat“, sagt Ruth Sohn, die<br />
auch an der Milken Community High School des<br />
Stephen Wise Temple in Los Angeles unterrichtet.<br />
Solche Säuglingsrituale gibt es in Deutsch -<br />
land noch nicht, wenngleich auch Simchat Bat-<br />
Feiern zur Namensgebung immer mehr Beach -<br />
tung finden. Und als weibliches Pendant zur Bar<br />
Mizwa, zum Übergang in die religiöse Mündig -<br />
keit, hat sich in liberalen Gemeinden die Bat<br />
Mizwa etabliert: Das Mädchen liest aus der Tora<br />
vor und wird so zum vollgültigen Gemeinde -<br />
mitglied. Die erste derartige Einsegnung für<br />
Mädchen ist dabei in Berlin bereits für das Jahr<br />
1817 belegt.<br />
Männer stehen im Zentrum und Frauen am Rand<br />
– das treffe nicht nur auf die Tora zu, sondern<br />
auch auf den Talmud, sagt Professorin Dvora<br />
Weisberg vom Hebrew Union College in Los<br />
Angeles. Nicht erstaunlich sei es, dass der<br />
Talmud die männliche Form benutzt, wenn<br />
Männer und Frauen gemeint sein können. Doch<br />
selbst wenn über damals typische Frauentätig -<br />
keiten gesprochen wird, gebraucht der Text<br />
19<br />
männliche Formen. Im Hebräischen und Aramä -<br />
ischen zeigen nämlich auch die Verben an, ob von<br />
einem Mann oder einer Frau die Rede ist. „Es gibt<br />
da eine Textstelle, in der jemand seine Wäsche<br />
machen lässt. Und der Text tut so, als würden<br />
Männer waschen“, erklärt Dvora Weisberg. „An<br />
einer anderen Stelle wird ein Kind geboren, und<br />
obwohl wir alle wissen, dass auch damals die<br />
Kinder von Frauen geboren wurden, wird ein Verb<br />
benutzt, das den Eindruck erweckt, ein Mann<br />
hätte das Kind geboren. Die Beispiele zeigen:<br />
Frauen kommen selbst da nicht vor, wo wir sie<br />
eigentlich erwarten würden.“ Männer seien im<br />
Talmud die Aktiven: Sie heiraten oder fassen den<br />
Entschluss zu einer Scheidung. Frauen würden<br />
hingegen als passiv dargestellt. Sie werden<br />
geheiratet, sie werden geschieden. Für die<br />
Rabbinen seien Frauen „problematisch“ gewesen:<br />
begehrenswert, aber gefährlich. „Manche<br />
Talmudstellen bewundere ich, und manche finde<br />
ich zutiefst verstörend“ sagt Dvora Weisberg, die<br />
am Hebrew Union College Rabbinische Studien<br />
lehrt. Eines kommt für sie aber nicht in Frage:<br />
mit der Tradition zu brechen.<br />
Weisberg will die Texte stattdessen anders lesen.<br />
„Meine Aufgabe als Frau, als Wissenschaftlerin<br />
und als Hochschullehrerin ist es, den Frauen zu<br />
helfen, sich in der Tradition wieder zu finden,
20 <strong>Kescher</strong> 6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
sich gleichsam wieder in die Tradition hineinzulesen,<br />
damit sie ihren Platz im modernen Juden -<br />
tum einnehmen können“, sagt sie. Wer die Texte<br />
anders lesen will, könne getrost bei Adam und<br />
Eva anfangen. „Traditionell wird Eva kritisiert,<br />
weil sie Gottes Gebot umformuliert. Gott sagt, ihr<br />
sollt nicht von dem Baum essen, und Eva sagt der<br />
Schlange, wir dürfen nicht von dem Baum essen<br />
und ihn nicht mal anfassen. Aber wenn Sie sich<br />
den Text ansehen, richtet Gott sein Gebot an<br />
Adam. Wir können uns also fragen, ob Adam das<br />
Gebot falsch wiedergegeben hat, ob die Schuld<br />
bei Adam liegt“, sagt die Professorin. Frauen<br />
brächten beim Lesen von Talmud und Tora eine<br />
gehörige Portion Distanz mit, und diese Distanz<br />
sei fruchtbar. So seien Frauen eher bereit, die<br />
Texte aus der Perspektive der Außenseiter, der<br />
„anderen“ zu lesen. Aus der Perspektive derer,<br />
die von der Tradition vernachlässigt würden.<br />
Man müsse sich zum Beispiel fragen, ob Esau in<br />
dem Streit mit seinem Bruder Jakob wirklich der<br />
Bösewicht ist, so wie es die traditionelle Lesart<br />
will. Oder ob sein Ärger nicht verständlich ist:<br />
sein Ärger darüber, dass ihm sein Bruder mit List<br />
und Tücke das Erstgebore nen recht abgejagt hat.<br />
Während es bei Tora und Talmud um anderes<br />
Lesen geht, ist der Text des Gebetsbuchs im liberalen<br />
Judentum verändert worden. Gestrichen<br />
worden ist etwa der traditionelle Dank der<br />
Männer im Morgengebet, dass Gott sie nicht als<br />
Frau geschaffen hat. Neben den Urvätern Abra -<br />
ham, Isaak und Jakob werden auch die Urmütter<br />
bedacht: Sara, Rivka, Rachel und Lea.<br />
Jüdische Feministinnen und Rabbinerinnen<br />
haben eine Fülle von Segenssprüchen und Gebe -<br />
ten für die Lebenssituationen von Frauen verfasst.<br />
So heißt es in einem Text von Rabbine rin<br />
Ruth Duvdevani, der nach einer Fehlgeburt<br />
gespro chen werden kann: „Ich entspanne meinen<br />
Körper und wachse im Wasser/ Soll meine Seele<br />
geheilt sein vom lebenden Wasser.“ Einen Text,<br />
den die Mutter der Braut bei ihrem Bad in der<br />
Mikwe anlässlich einer Heirat sprechen kann,<br />
haben die Rabbinerinnen Maya Leibowitz und<br />
Alona Lisitsa verfasst. „Eigentlich habe ich meinen<br />
Studenten immer gesagt, dass wir im Juden -<br />
tum für wirklich jede Situation ein Gebet oder<br />
Dr. Dvora Weisberg (im Bild mit Prof. Dr. Admiel<br />
Kosman), die im Sommer am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong> zu Gast war, ist jetzt zur Direktorin der<br />
School of Rabbinical Studies am Hebrew Union<br />
College-Jewish Institute of Religion in Los<br />
Angeles ernannt worden. Weisberg ist dort Pro -<br />
fessorin für Rabbinische Literatur und Direktorin<br />
des Lainer Beit Midrash. Der Präsident des<br />
Hebrew Union College, Rabbiner Dr. David<br />
einen Segen haben, sogar wenn man zur Toilette<br />
geht“, sagt Rabbinerin Dalia Marx, Liturgiedo -<br />
zen tin am Hebrew Union College in Jerusalem,<br />
die als DAAD-Gastprofessorin derzeit an der Uni -<br />
versität Potsdam und am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong><br />
unterrichtet. Doch das mit dem Segen für jede<br />
Gelegenheit sei nicht ganz richtig, denn für viele<br />
Lebenslagen von Frauen gab es bislang weder<br />
Segen noch Gebet.<br />
Bleibt die Frage nach der Anrede Gottes: In den<br />
USA gab es Versuche, nur noch weibliche oder<br />
geschlechtsneutrale Formen zu verwenden. Eine<br />
Zeitlang wollten Reformerinnen alle männlich<br />
konnotierten Gottesattribute löschen: Auf keinen<br />
Fall sollte er (oder sie oder es) mehr Herr,<br />
Vater, Richter, König oder Krieger sein.<br />
Rabbinerin Dalia Marx spricht angesichts solcher<br />
Verbote von einer „Gedankenpolizei“ und plädiert<br />
für behutsamere Änderungen. „Sie können<br />
im Gebetbuch keine völlige Geschlechtergleich -<br />
heit einführen. Denn sonst geben Sie viel von<br />
den Inhalten preis“, gibt sie zu bedenken. Zudem<br />
müsse man mit dem Siddur anders umgehen als<br />
etwa mit juristischen Texten. Als Beispiel verweist<br />
sie auf das Beispiel des Avinu Malkenu, ein<br />
wichtiges Gebet in der Liturgie der Hohen Feier -<br />
tage. „Was wollen Sie machen? Es heißt ‚avinu’ –<br />
‚unser Vater’ und nicht ‚unsere Mutter’ und auch<br />
nicht ‚unser Elternteil’.“ Viele Femi nistinnen hätten<br />
sich an dem Text nicht gestoßen, aber die<br />
zahlreichen Änderungsversuche, die folgten, hätten<br />
allesamt nicht funktioniert. Denn das Avinu<br />
Malkenu sei ein wichtiger Teil der Liturgie und<br />
ein sehr emotionaler zudem. „Unsere Ahnen<br />
haben es schon rezitiert“, sagt Dalia Marx.<br />
„Manchmal müssen wir einfach zugestehen, dass<br />
in der Liturgie nicht alles gleichberechtigt und<br />
ideologisch koscher ist. Aber wir tun, was wir<br />
können.“ Für die Schriftstellerin Karen Margolis,<br />
die in Südafrika aufwuchs, mit ihrer Familie in<br />
Berlin zu Hause ist und die dies Gesprächsrunde<br />
im Jüdischen Gemeindehaus moderierte, brachte<br />
diese Diskussion eine Vielzahl von Impulsen mit<br />
sich: „Ich hätte nie gedacht, dass sich das Ge -<br />
spräch so fruchtbar entwickeln würde. Dies war<br />
Networking auf bester Ebene!“<br />
Ellenson: “Dr. Weis berg is recognized for her<br />
excellence in scholar ship, teaching, institutional<br />
planning, and mentorship, and has helped transform<br />
our Los Angeles campus into an ever more<br />
congenial learning community. We look forward<br />
to Dr. Weisberg's vision, creativity, and intellectual<br />
strength as she develops the next generations<br />
of rabbinical leaders for the Reform Movement.”<br />
Wir gratulieren!<br />
Dear<br />
Friends –<br />
I am writing these words as we near the end of<br />
this Hebrew calendar year and with the Yamim<br />
Ha’Noraim and the New Year just ahead.<br />
I hope to see many of you at the next WUPJ<br />
International Convention that will take place in<br />
Israel in March 2009. This will be an excellent<br />
opportunity for developing international connections<br />
and for study. It is an exciting chance to<br />
network with hundreds of delegates from tens of<br />
countries who are all partners facing the challenge<br />
of Jewish renewal. The 34th International<br />
Convention will be held in Jerusalem and Tel<br />
Aviv, where we will take part in the 100th birthday<br />
celebrations of the 1st modern, Hebrew city.<br />
We have seen significant expansion of Progres -<br />
sive Judaism in Israel with growing support<br />
within Israel for pluralism and equality between<br />
the streams. As a result of legal and political<br />
battles spearheaded by the Reform movement in<br />
Israel and international pressure, the Israeli government<br />
has provided and erected buildings for<br />
synagogues in several communities. This is a<br />
first, since the establishment of the State of<br />
Israel the discriminatory policy has been to<br />
establish only orthodox synagogues. The growing<br />
interest and support were also expressed in<br />
the impressive results of the wide ranging survey<br />
of Israeli public opinion. According to the survey,<br />
49% of the secular Israeli public most closely<br />
identify with Reform Judaism. In comparison<br />
with the prevalent opinion during the first<br />
decades of Israel's existence – when orthodoxy<br />
was felt to be the only model of real Judaism -<br />
this is truly revolutionary.
Beyond the progress of the Israel Movement, we<br />
are especially proud of the growth and strengthening<br />
of the WUPJ's International Education<br />
Center. Tens of seminars for training leadership,<br />
youth and congregational groups, even youth<br />
counselors from Germany, – young and old – from<br />
around the world were well attended during the<br />
past year. Focus was on strengthening ties to<br />
Israel and deepening Jewish roots which can be<br />
accomplished in Jerusalem as in no other city of<br />
the world.<br />
In the former Soviet Union, the WUPJ presence<br />
has broadened and deepened primarily as a<br />
result of youth programming and physical presence.<br />
Buildings were purchased in Moscow and<br />
St Petersburg and the search is on for a suitable<br />
building in Minsk while the hope is that in the<br />
near future we will find a building in Kiev as well.<br />
We hope to dedicate the centers in Moscow and<br />
St Petersburg in 2009. Some 50 youth clubs are<br />
active – a part of Netzer, the WUPJ's youth movement<br />
– where 1,500 kids meet regularly, several<br />
times a week.<br />
This past year saw regional conferences in Vienna<br />
(the European Region), in Rio de Janeiro (the<br />
Jewish communities of Latin America) as well as<br />
Hobart (Australia, New Zealand & Asia) with<br />
hundreds from the countries of the regions,<br />
including young leadership, participating. These<br />
regional conferences contribute to the WUPJ's<br />
regional structure, to the development of means<br />
of cooperation and information sharing while<br />
ensuring the solidarity of the many arms of our<br />
movement. Regional conferences and the reexamination<br />
of our optimal working methods –<br />
in individual countries, regions and internationally<br />
– are part of the strategic process the WUPJ<br />
has undergone recently. We are making great<br />
effort to develop a work plan that will ensure we<br />
are better prepared for the new reality the<br />
Jewish people face.<br />
During this process, we reworked the WUPJ<br />
Mission Statement and decided on the priorities<br />
we will emphasize in the coming years. Let me<br />
take this opportunity to present our new Mission<br />
Statement:<br />
The mission of the World Union for Progressive<br />
Judaism is to strengthen Jewish life and values<br />
in Israel and Jewish communities throughout the<br />
world by supporting and advancing a progressive<br />
approach to Jewish tradition.<br />
The World Union for Progressive Judaism, in collaboration<br />
with its constituents and affiliates,<br />
works to accomplish its mission by:<br />
* Building and connecting Progressive Jewish<br />
communities worldwide<br />
* Partnering in the development of Israel as a<br />
democratic and pluralistic Jewish state<br />
* Securing the Jewish future by investing in<br />
youth and young adults<br />
* Developing lay, rabbinic and other Jewish professional<br />
leadership<br />
* Advocating social justice and fostering interfaith<br />
understanding<br />
* Supporting the foundation of Judaism: Torah<br />
(study), Avodah (worship), and G’millut<br />
Chasadim (loving acts of kindness)<br />
Let me conclude with the impressive progress<br />
that has been made in Germany and the pride we<br />
feel in our partnership with the UPJ and with<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College as well as the assistance<br />
we have been able to provide them. I have no<br />
doubt that this international partnership and the<br />
work of the WUPJ opposite the German government<br />
and the Zentralrat der Juden in Deutsch -<br />
land strengthened the UPJ leadership and<br />
afforded them a standing that I'm afraid they<br />
would not have enjoyed on their own. As a result<br />
we have seen governmental and international<br />
pressure for recognition and aid for the German<br />
movement expressed by representation at Jewish<br />
community organizations, financial support,<br />
recognition of our youth programs and the jewel<br />
in crown, increasing recognition for the rabbinic<br />
seminary, <strong>Geiger</strong> College. This year <strong>Geiger</strong><br />
College expanded its programs to include cantorial<br />
training and the training of rabbis beyond the<br />
Germany's borders into other countries. The college's<br />
activities are new, bold and far reaching<br />
while in our memories the pictures of the first<br />
ordination of rabbis on German soil since the<br />
Holocaust are still vivid. While we look forward<br />
to a second ordination in the coming year, we<br />
have come to the realization that this was not a<br />
21<br />
one time event but that as <strong>Geiger</strong> reaches its<br />
tenth year, we are involved with an institution<br />
that has rooted itself and established a reputation<br />
well beyond Germany. <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
College has brought respectability to its founders<br />
and leaders, the German progressive movement<br />
and the WUPJ. Its work has also made an important<br />
contribution to strengthening our international<br />
partnership and ties to Israel following<br />
the signing of the historic agreement between<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College and Hebrew Union<br />
College, the established rabbinic seminary in<br />
North America, as well as a similar agreement<br />
with Leo Baeck College in London. These agreements<br />
mean that rabbinic students from all the<br />
movement's training institutes will study together<br />
during their first year in Jerusalem, the importance<br />
and far reaching effects of which cannot be<br />
ignored.<br />
The ability to continue development depends, in<br />
part, upon strengthening our cooperation. After<br />
reaching milestones like the Cantorial and the<br />
Year In Israel Programs in the past year, we look<br />
forward to further progress in the coming year<br />
including <strong>Geiger</strong> College receiving a permanent<br />
home on the Potsdam University campus and the<br />
completion of agreements with the government<br />
guaranteeing support for the College's programs<br />
as well as further progress of relations with the<br />
Zentralrat and the Einheitsgemeinden.<br />
Our strength is in our unity. If only the coming<br />
year would bring progress toward peace, tolerance<br />
and openness, continued global cooperation<br />
and solidarity among Jews and all mankind.<br />
Rabbi Uri Regev<br />
President, WUPJ
Foto: H. Bomhoff<br />
22<br />
Jerusalem<br />
Letztes Jahr besuchten gleich acht Rabbiner stu -<br />
denten des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s im Rahmen<br />
ihres „Year in Israel“ das Hebrew Union College<br />
in der King David Street in Jerusalem, wo sie u.a.<br />
von Rabbiner David Wilfond (im Bild mit unseren<br />
Studenten Boris Ronis und Yuri Kadnykov)<br />
betreut wurden. Unser Student Jörg Ahrens hat<br />
sich in Jerusalem verlobt. Bei den T’naim trug<br />
Juval Porat, der am AGK zum Kantor ausgebildet<br />
wird, das Mischeberach vor. Wir wünschen Mirjam<br />
und Jörg alles Gute! Paul Moses Strasko, der sein<br />
erstes Semester in Jerusalem verbrachte, erhielt<br />
prompt den „Year in Israel Michael Klein Prize for<br />
Academic Excellence“ des Hebrew Union College:<br />
Erfolg und Bestätigung auch für unsere<br />
Kooperation mit dem HUC.<br />
Foto: privat<br />
<strong>Kescher</strong><br />
F<br />
or much of my adult life I have studied,<br />
taught and worked on King David<br />
Street in Jerusalem. It is certainly no<br />
ordinary work address. World leaders<br />
stay there – in recent months we have<br />
played host to Bush, Blair, then Bush again, Blair,<br />
Rice, Blair Carter, Sarkozy, Blair (I’m beginning<br />
to think that man has nothing better to do),<br />
Brown, Mc Cain, Obama – and that doesn’t do justice<br />
to the tens of less famous officials - Fishing<br />
Ministers from Ruritania and Tax Inspectors from<br />
Uzbekhistan.<br />
Then there are the Life Cycle Events. Families<br />
compete with each other to hold the most opulent<br />
and often gaudy events: barmy Bar Mitzvahs,<br />
wild weddings, and far from circumspect circumcisions.<br />
And let’s not forget the welcome crush of<br />
tourists, staying in comfort and often returning<br />
home with some expensive artifacts purchased at<br />
one of our street’s many upscale emporia. More<br />
hotels are on the way, along with a plethora of<br />
swanky apartment buildings aimed at visionaries<br />
and speculators.<br />
It is perhaps a surprise that one of the street’s<br />
most famous and significant landmarks is the<br />
YMCA, an oasis of dialogue and culture and<br />
encounter and health. If you’ve never been, you<br />
owe it to yourself to drink in the architectural<br />
attractions, climb to the top of the tower, and<br />
stop off for a Pilates class at the same time. Jews<br />
and Arabs (both Muslim and Christian) feel at<br />
home at the YMCA.<br />
Over the last years King David Street has also<br />
played host to the Annual Gay Pride parade.<br />
Visitors to similar events might mistake the<br />
throng of men dressed in police uniform walking<br />
by the YMCA as some kind of hommage to the<br />
Village People, but in our city’s parade they are<br />
actually policemen, on hand in order to protect<br />
the crowd from the taunts of those who combine<br />
theological certainty with personal insecurity.<br />
A variety of Jewish institutions grace the street:<br />
on avenues nearby some of the most important<br />
foundations and philanthropic agencies are to be<br />
found. AIPAC is across the street. The Gesher<br />
Institute is opposite my own institution, the<br />
Hebrew Union College, and our campus plays host<br />
to Merkaz Shimshon and Bet Shmuel - the world<br />
headquarters of the Reform Movement. In recent<br />
years an Ultra-Orthodox Yeshiva has opened up<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1
in close proximity. With the international center<br />
of Conservative Judaism a couple of blocks away,<br />
we are arguably situated in the most denominationally<br />
diverse address in the Jewish world. It is<br />
truly the High Street of the Jewish People.<br />
The street is no stranger to acts of violence. The<br />
most spectacular and deadly event took place<br />
back in 1946, with the notorious attack on the<br />
street’s most famous eponymous hotel. 45 years<br />
later, a planned suicide bombing succeeded in<br />
killing the man with the explosive jacket, but no<br />
innocent victims. And now, earlier this week,<br />
King David Street saw the second example in as<br />
many weeks of Tractor Terror. A man driving a<br />
construction vehicle started ramming and<br />
squashing vehicles, although he was killed before<br />
he managed to kill anyone else.<br />
Five of my students were in close proximity to the<br />
attack this week. Four of the College’s Israeli students<br />
were enjoying a break at a local café, and<br />
were afforded a grandstand view of the grim and<br />
swift proceedings. More directly still, one woman<br />
recently arrived from the US on our Year in Israel<br />
Program found herself directly behind the tractor.<br />
As soon as the gunshots began to ring out<br />
she took cover behind a tree. Once the emergency<br />
was over, she dusted herself off and went<br />
to her apartment. When I saw her soon after she<br />
was shaken but not stirred, and we spent some<br />
time talking about her road to the Rabbinate. For<br />
her and hundreds of others, the first Road to the<br />
Rabbinate is King David Street.<br />
When I passed the scene of the attack a couple of<br />
hours later, an assortment of characters had<br />
shown up - a Government Minister in search of a<br />
photo opportunity, and some Kahanist crazies in<br />
search of a hatred opportunity. Chabad were also<br />
there for some reason, with a large banner promising<br />
Messianic days. Somehow the bizarre<br />
nature of the scene seemed natural in a road in<br />
which the incongruous is inevitable.<br />
Those who try to bring death to this place of life<br />
will not succeed, even if (Heaven forbid) a future<br />
attack yields casualties. Somehow the untidy yet<br />
intense drama being played out in the street -<br />
Jews and Arabs, locals and tourists, Liberals and<br />
Traditionalists, wealthy and modest - must not<br />
be curtailed. It may have its tractors and its<br />
detractors, but the spirit of King David Street<br />
cannot be bulldozed.<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Israelische Polizisten bei dem Bullldozer, dessen<br />
Fahrer am 22. Juli in der King David Street einen<br />
Stadtbus und zwei PKWs rammte und dann<br />
erschossen wurde – der zweite Vorfall dieser Art in<br />
kurzer Zeit. Foto © Israeli Gvt Press Office<br />
Life and Death<br />
on King David Street<br />
by Rabbi Dr Michael Marmur<br />
23
24 <strong>Kescher</strong><br />
Vor einigen Monaten gedachte die Präsidentin<br />
der Israelitischen Kultusgemeinde München und<br />
Oberbayern, Charlotte Knobloch, zusammen mit<br />
dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude<br />
der Zerstörung der liberalen Münchner Haupt -<br />
syna goge vor siebzig Jahren, im Juni 1938. Aber<br />
kümmern sie sich auch um die geistigen Erben<br />
der großen liberalen Münchner Tradition? Zur<br />
Erinnerung: Die Stadt München verkaufte das<br />
Grundstück der ehemaligen Hauptsynagoge an<br />
der Herzog-Max-Straße, an deren letzten Gottes -<br />
dienst 1938 mit Rabbiner Leo Baeck auch der<br />
führende Repräsentant des liberalen deutschen<br />
Judentums teilgenommen hatte, an den Kar -<br />
stadt-Konzern zur Erweiterung des Kaufhauses<br />
Pollinger; den Verkaufserlös von rund 20 Millio -<br />
nen Euro überließ die Stadt der orthodox ausgerichteten<br />
IKG, die dieses Geld in die Errich tung<br />
ihres aufwändigen neuen Gemein dezen trums am<br />
St.- Jakobs-Platz steckte. Die heutige Liberale<br />
Jüdische Gemeinde Münchens aber ist ohne eigenes<br />
Domizil: Beth Schaloms 400 Mit glieder müssen<br />
mit zwei angemieteten Räumen in einem<br />
Hinterhof auskommen, von denen sich einer im<br />
Keller befindet. Die rührige Gemeinde, die sich<br />
aus eigener Kraft finanziert, gründete sich 1995<br />
Lev Schwarzmann über die Liberale Jüdische<br />
Gemeinde Ruhrgebiet / von Anke Klapsing-Reich<br />
Die Streichinstrumentalisten des<br />
Gemeinde orches ters Keschet, oben<br />
rechts: Gemeindevorsitzender Lev<br />
Schwarzmann Foto: privat<br />
Fragt man Lev Schwarzmann, wie lange er schon<br />
in Deutschland lebt, antwortet er in Monaten:<br />
„Das hört sich nicht so lange an und man muss<br />
sich nicht immer für die schlechten Sprachkennt -<br />
nisse entschuldigen“, schmunzelt der Oberhau -<br />
se ner. Vor 156 Monaten, sprich 13 Jahren, kam er<br />
aus Moldawien nach Deutschland und Fakt ist,<br />
dass er die deutsche Sprache anstandslos be -<br />
herrscht. Lev Schwarzmann ist der Vorstandsvor -<br />
sitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Ruhr -<br />
gebiet Perusch, die vor drei Jahren, im August<br />
2005, mit Sitz in Oberhausen ins Leben gerufen<br />
wurde und sich der Union Progressiver Juden in<br />
Deutschland (UPJ) anschloss. Perusch bedeutet<br />
übersetzt „Auslegung“ und trifft damit ein An -<br />
lie gen des liberalen Judentums im Kern: „Wir<br />
wollen unsere Religion nicht einfach hinnehmen,<br />
sondern uns mit ihr auseinandersetzen, wir wollen<br />
Formen finden, das Judentum in unser<br />
als eingetragener und gemeinnütziger Verein und<br />
hat 2006 mit der Festanstellung von Rabbiner<br />
Tom Kucera einen wichtigen Schritt in die Zu -<br />
kunft unternommen. Es fehlt nun aber an Mitteln<br />
für ein eigenes angemessenes Domizil.<br />
Chaverim, der rührige Freundeskreis der Libera -<br />
len Jüdischen Gemeinde Beth Shalom, will nicht<br />
länger auf Wunder warten und unterstützt die<br />
Gemeinde nach Kräften. Am 15. Juli wurden<br />
ersten Listen mit 400 Unterschriften an Bürger -<br />
meisterin Strobl und den Stadtrat übergeben.<br />
Darin fordern Münchner Bürger und Bürgerinnen<br />
die Stadt auf, sich zu ihrer Verantwortung auch<br />
für das liberale Judentum zu bekennen. Mit ihrer<br />
Unterschrift äußern die Unterzeichner ihren<br />
Wunsch, dass die Stadt München die Gemeinde<br />
Beth Shalom bei der Suche nach einer neuen und<br />
für die Gemeinde finanzierbaren Synagoge unterstützt<br />
und die notwendige Hilfestellung gibt.<br />
„Die Unterschriftenliste ist nur ein Anfang in<br />
unseren Bemühungen, um Beth Shalom in deren<br />
Sehnsucht nach einer würdigen Synagoge zu<br />
unterstützen“, so Marlies Poss, Vorstand von<br />
Chaverim. Beth Shalom fehlen vor allem Büro -<br />
räume und Räume für den Religionsunterricht.<br />
aktuelles Leben sinnvoll einzubinden“, sieht der<br />
Vor sitzende seine Gemeinde als Angebot an alle<br />
Juden im Ruhrgebiet, sich dem liberalen Juden -<br />
tum anzuschließen. „Die progressive Bewegung<br />
vereint mehr als 1,6 Millionen Juden in der gan -<br />
zen Welt, und auch die nach 1990 in Deutsch land<br />
entstandenen Gemeinden knüpfen an diese Tra -<br />
dition an“. Schwarzmann ist davon überzeugt,<br />
dass dieser Richtung die Zukunft gehört, und seit<br />
Juli ist er auch Vorstandsmitglied der UPJ.<br />
Wie kam er dazu, „Perusch“ zu gründen? „Als ich<br />
nach Deutschland kam, habe ich der jüdischen<br />
Gemeinde Duisburg/Mülheim/Oberhausen angeboten,<br />
meine Fähigkeiten ehrenamtlich einzubringen.<br />
Ich bin Journalist, Moderator, habe als<br />
Sozialarbeiter in den Sprachkursen für die russischen<br />
Auswanderer gearbeitet, aber der Vorstand<br />
wollte mich nicht haben.“ Enttäuscht über die<br />
Ab fuhr trat Schwarzmann aus der orthodox ge -<br />
Unterschriftensammlung für Beth Shalom<br />
Während die Israelitische Kultusgemeinde der<br />
aktuellen Dokumentation „Die Vergangenheit ist<br />
ein fremdes Land“ nach offenbar große Mühe<br />
hat, jüdische Kontingentflüchtlinge an sich zu<br />
binden und sich, so Präsidiumsmitglied Nathan<br />
Kalmanowicz, „nach Jahrzehnte langem Bemü -<br />
hen um den Bau eines Gemeindezentrums nun<br />
die Frage stelle, wie diese nun fertig gestellte<br />
Einrichtung mit Leben zu füllen sei“, platzt die<br />
provisorische Bleibe von Beth Shalom aus allen<br />
Nähten. An den Hohen Feiertagen sind die Ge -<br />
meinderäume regelmäßig komplett überfüllt, es<br />
müssen gar Wartelisten für die Mitglieder erstellt<br />
werden. Das Angebot der Kultusgemein de, Beth<br />
Shalom das Gebäude in der Möhlstraße zu überlassen,<br />
in der früher der Kindergarten und die<br />
Grundschule der IKG untergebracht waren, überzeugt<br />
die Vorsitzende Lauren Rid nicht: „Es gibt<br />
auch dort nicht genug Platz für unsere wachsende<br />
liberale Gemeinde.“<br />
Beth Shalom finanziert sich bislang weitgehend<br />
aus Mitgliedsbeiträgen und großzügigen Spen -<br />
den einzelner Personen. Auch viele Gemeinde -<br />
aufgaben werden nach wie vor ehrenamtlich von<br />
Mitgliedern erbracht. Der Enthusiasmus und das
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
führten Duisburger Gemeinde aus und gründete<br />
mit Gleichgesinnten das Deutsch-Russisch-Jüdi -<br />
sche Kulturzentrum Trio. Die Partei der Grünen<br />
vor Ort habe Trio einen Raum zur Verfü gung<br />
gestellt, in dem russische Juden aus dem gesamten<br />
Ruhrgebiet zusammengekommen seien, um<br />
jüdische Feiertage zu begehen und sich in der<br />
Gemeinschaft auszutauschen. Als die Räumlich -<br />
keiten 1998 gekündigt wurden, habe einige Jahre<br />
Funkstille geherrscht, bis im Juni 2005 ein<br />
Freund auf Schwarzmann zugekommen sei mit<br />
der Bitte: „Lass uns eine Gemeinde gründen!“.<br />
Lev Schwarzmann gab sofort Gas und stellte jede<br />
Menge auf die Beine. Bibliothek und Chor, Litera -<br />
turclub und Gymnastikgruppe, Diskussionsrunde,<br />
Kinderclub und Theatergruppe, Schach- und<br />
Koch club – mittlerweile herrscht jede Menge<br />
Leben in der neuen Gemeinde, die kürzlich in<br />
angemietete Räumlichkeiten in Oberhausen,<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Perusch kämpft um Anerkennung<br />
Havensteinstraße 52, gezogen ist. Besonders<br />
stolz ist die Gemeinde auf ihr gutes Orchester,<br />
das den Namen Keschet (Regenbogen) trägt.<br />
„Wir haben eine Vereinszeitschrift und einen<br />
Internetauftritt und feiern einmal wöchentlich<br />
Gottesdienst“, freut sich Schwarzmann. Über die<br />
aktuelle Mitgliederstärke mag er keine konkrete<br />
Auskunft geben: „Es könnten mehr sein, aber<br />
unsere Veranstaltungen sind immer sehr gut<br />
besucht.“ Einen Grund für die verhaltene<br />
Beitritt-Bereitschaft sieht der Vorsitzende in<br />
dem Umstand, dass russische Juden in ihrer<br />
Heimat von ihren Wurzeln getrennt waren.<br />
„Wenn diese Menschen ,Religion’ hören, halten<br />
sie erst einmal Abstand.“ Aber die offene, libe -<br />
rale Richtung gebe ihnen die Möglichkeiten, doch<br />
noch den Zugang zum Judentum zu finden.<br />
Außer mehr Mitgliedern wünscht sich der Vor -<br />
sitzende vor allem eine bessere finanzielle Aus -<br />
Münchner Bürger erinnern die Stadt an ihre<br />
Verantwortung / von Hartmut Bomhoff<br />
anhaltende persönliche Engagement der Gemein -<br />
demitglieder haben so die Verwirklichung ihrer<br />
Vision Schritt für Schritt wahrgemacht. Nun<br />
braucht es auch das Bekenntnis der Stadt zu<br />
ihrer Verantwortung für das liberale Judentum in<br />
München. „Für die Zukunft möchten wir unsere<br />
religiöse Autonomie bewahren und weiter wachsen<br />
um die uns gestellten Aufgaben zu erfüllen.<br />
Unsere weiterreichende Vision ist, dass in Mün -<br />
chen wieder eine liberale Synagoge entstehen<br />
wird, in der an die liberale Tradition der Vor -<br />
kriegs zeit anknüpfend gebetet und modernes<br />
jüdisches Leben gelebt werden kann.“ Der Verein<br />
Chaverim, in dem sich Münchner Bürger und<br />
Bürgerinnen mit unterschiedlicher Religions -<br />
zugehörigkeit und parteipolitisch ungebunden<br />
zusammenschließen, um dem Liberalen Juden -<br />
tum mehr Präsenz in der Öffentlichkeit zu verleihen,<br />
unterstützt Beth Shalom finanziell, damit<br />
die Gemeinde ihre religiösen Aufgaben und kulturellen<br />
Interessen so gut wie möglich wahrnehmen<br />
kann.<br />
Näheres unter www.chaverim-münchen.de .<br />
25<br />
stattung für sein bislang ehrenamtlich arbeitendes<br />
Team, um noch erfolgreicher arbeiten zu können.<br />
„Zurzeit klagen wir gegen den Landes ver -<br />
band der Jüdischen Gemeinden Nordrhein, der<br />
uns eine Anerkennung als Gemeinde verweigert“,<br />
konstatiert er. Auf die abschließende Frage nach<br />
seinem Alter antwortet Lev Schwarzmann ebenfalls<br />
in seiner eigenen Art: „Ich lese mein Alter<br />
hebräisch, von hinten nach vorne“, schmunzelt<br />
er. Demnach ist er 16 Jahre alt.<br />
Kontakt: Liberale Jüdische Gemeinde Ruhrgebiet<br />
Perusch, T 0208. 807160, www.ruhr-ju.de, E-Mail:<br />
perusch@t-online.de<br />
Der Beitrag erschien zuerst im August 2008 in<br />
„Schalom", der Zeitschrift des Jüdischen<br />
Museums Westfalen.<br />
Die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemein -<br />
de Beth Shalom Lauren Rid übergibt der 2. Bür -<br />
ger meisterin Christine Strobel eine Unterschrif -<br />
tenliste Foto © Martin Hangen
26 <strong>Kescher</strong><br />
Torarollen für Schleswig-Holstein<br />
Gleichzeitig mit dem Einzug in die neuen Räum -<br />
lichkeiten in Kiel, Jahnstraße 3, wurde am 31.<br />
August die Torarolle für die Jüdische Gemeinde<br />
Kiel eingebracht. Die neue Synagoge der Kieler<br />
Gemeinde befindet sich in der Nachbarschaft der<br />
ehemaligen Synagoge in der Goethestraße. Der<br />
Landesrabbiner von Schleswig-Holstein, Walter<br />
Rothschild (Berlin), gestaltete die Prozession<br />
durch die Kieler Innenstadt und den Gottesdienst<br />
in Anwesenheit zahlreicher Vertreter des öffentlichen<br />
Lebens.<br />
Rothschild hatte der Gemeinde vor drei Jahren<br />
ein gebrauchtes Sefer Tora als Leihgabe zur Ver -<br />
fügung gestellt, die sie jetzt mit Hilfe von Spen -<br />
den erwerben konnte. Bemerkenswert ist, dass<br />
Nach kommen von Mitgliedern der früheren Kieler<br />
Foto © Archiv<br />
Gemeinde sich an der Finanzierung der Tora be -<br />
teiligt haben, weil die heutige Gemeinde in der<br />
Tradition der liberalen Vorkriegsgemeinde steht.<br />
Als die Nationalsozialisten in der Pogromnacht<br />
auf den 10. November 1938 die alte Synagoge in<br />
der Goethestraße zerstörten, verbrannten auch<br />
alle neun Torarollen. Im April 2004 hat sich die<br />
Jüdische Gemeinde Kiel wieder gegründet, da -<br />
mals mit 15 Mitgliedern; inzwischen zählt sie 90<br />
Personen. „Erst durch die Tora sind wir wirklich<br />
eine Gemeinde“, sagt ihr Vorsitzender Liad Inbar,<br />
dessen Großvater Mitglied im Vorstand der Kieler<br />
Vorkriegsgemeinde war, gegenüber der Presse.<br />
Am 1. September fand auch in Elmshorn eine<br />
Toraeinbringung statt; die Prozession zu den<br />
Gemeinderäumlichkeiten wurde unter anderem<br />
Elfriede Jelinek ist Gründungsmitglied von<br />
Chaverim München. 2004 erhielt die<br />
Schriftstel lerin, die in Wien und München<br />
lebt, den Nobel preis für Literatur.<br />
Die Juden wurden Jahrhundert lang in der<br />
Sphäre des Staates und seiner Mechanismen isoliert,<br />
so wie sie in der Gesellschaft isoliert waren.<br />
Diese Isolation hat dazu geführt, dass sie, als sie<br />
der eigenen Vernichtung ins Auge sehen mussten,<br />
hilflos waren, so wie sie dem militanten<br />
Antisemitismus gegenüber immer hilflos gewesen<br />
sind. Hannah Arendt schreibt unter anderem<br />
auch vieles darüber. Es gab keine Gegenwehr<br />
gegen die Massenbewegung der Nazis. Gegen<br />
einen solchen Sturm von Gewalt, auch kalter,<br />
technisierter Gewalt, kann man sich nicht wehren,<br />
vor allem dann nicht, wenn man eben vereinzelt<br />
ist. Jeder Vereinzelte ist isoliert und kann<br />
nicht mehr beurteilen, wo ihm bloß ein gemeines<br />
Vorurteil entgegenschlägt, und wo ihm schon<br />
nackte Gewalt droht. Aber die Angepasstheit der<br />
Juden an die Gesellschaft, ihre Assimilation,<br />
jedenfalls bis zur Schoa, ihr Wunsch dazuzugehö-<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
von Bürgermeisterin Brigitte Fronzek begleitet.<br />
Von Seiten des Landesverbandes der Jüdischen<br />
Gemeinden von Schleswig-Holstein waren Walter<br />
Blender, Ljudmila Budnikov, Wolfgang Seibert<br />
und Alexander Friedmann zugegen. Für seine<br />
fünf Mitgliedsgemeinden in Bad Segeberg,<br />
Pinneberg, Kiel, Elmshorn und Ahrensburg hat<br />
der liberale Landesverband zusammen mit dem<br />
Landesrabbiner für den Erwerb und Einbringung<br />
von nun schon insgesamt sechs Torarollen in nur<br />
vier Jahren gesorgt. Die Elmshorner Gemeinde<br />
sucht allerdings noch nach finanzieller Unter -<br />
stützung, um den vollen Kaufpreis für ihre neue<br />
Torarolle aufbringen zu können. Der Vorstand<br />
führt dazu aus, dass man in vielen Dingen improvisieren<br />
könne, dass aber an Unterricht, Wissen<br />
und Tora nicht gespart werden dürfe.<br />
Je liberaler<br />
umso lieber<br />
von Elfriede Jelinek<br />
ren, ihre Liberalität, frei zu wählen, welcher politischer<br />
Gruppierung sie sich anschließen wollten<br />
(und konnten), ja zu wählen, ob sie überhaupt<br />
als Juden leben wollten, hatte sie auf diesen tödlichen<br />
schleichenden Prozess der Auslöschung<br />
nicht vorbereitet. Daher ist es besonders wichtig,<br />
sich zusammenzuschließen, zu organisieren, und<br />
jede Organisationsform, von der religiösesten,<br />
orthodoxesten bis zur weltlichsten, zuzulassen.<br />
Die vielfachen Möglichkeiten zur Organisation<br />
bedeuten ja Demokratie, und Demokratie ist der<br />
beste Garant gegen jede Form der Gefährdung. Es<br />
kann keinen Alleinvertretungsanspruch für alle<br />
Juden oder Judenmischlinge geben (wie mich<br />
und viele andere, ich verwende das Wort Misch -<br />
ling, obwohl es eine Nazischöpfung ist und mir<br />
widerstrebt, um darauf hinzuweisen, dass eben<br />
nicht alles schwarz oder weiß ist), es kann nicht<br />
nur eine einzige Gemeinde geben, die eine Art
<strong>Kescher</strong><br />
Gott will das Leben<br />
Ernst Ludwig Ehrlich (1921–2007) hielt diese<br />
Predigt anlässlich des Jüdischen Neujahrsfestes<br />
1990 in der Synagoge Fränkelufer in Berlin. Der<br />
jüdische Reli gionsphilosoph, der 2007 mit dem<br />
Israel Jacob son-Preis der Union progressiver<br />
Juden ausgezeichnet wurde, war dem <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> unter anderem als Ehrensenator<br />
und als Mitglied im Stiftungs rat der Leo Baeck<br />
Foundation eng verbunden.<br />
Alleinvertretungsanspruch erhebt, es muss jeder,<br />
jedem überlassen bleiben, mit wem und wo er<br />
sich organisieren will. Aber organisieren sollte,<br />
nein, muss man sich. Sonst besteht die Gefahr,<br />
dass die Wirklichkeit sich wieder verzerrt, die<br />
Gesellschaft entgleist und aus dem Ruder läuft<br />
und die Narren und Verbrecher wieder irgendwelchen<br />
Phantasien von jüdischen Weltverschwörun -<br />
gen nachgeben. Denn ein Sich-Abschließen von<br />
der Außenwelt, ein Verharren in inneren Kreisen,<br />
könnte zu der Gefahr führen, dass in der kranken<br />
Phantasie der Leute den Juden wieder, wie so oft<br />
in der Geschichte, eine Macht zugeschrieben<br />
wird, die sie nie hatten, nie haben wollten und<br />
auch nicht haben wollen. Deshalb muss es viele<br />
jüdische Gemeinden geben, je mehr desto besser.<br />
Je liberaler umso lieber.<br />
Das Judentum ist, kurz gesagt, Gottes Suche nach<br />
dem Menschen / von Ernst Ludwig Ehrlich s. A.<br />
Wenn Juden sich an Rosch Ha schana treffen,<br />
pflegen sie sich mit der bekannten Wunsch formel<br />
zu grüßen: „Le’schan towa tikkatew we’techatem“,<br />
„zu einem guten Jahr mögest du eingeschrieben<br />
und besiegelt werden.“ Hinter diesem<br />
Wunsche steht die Vorstellung, Rosch Ha scha na<br />
habe etwas mit dem Leben der Menschen zu tun,<br />
ja mit der Zukunft des Menschen. Diese aber ist<br />
eng mit der Teschuwa verknüpft, mit der großen<br />
Chance der Umkehr. Sie bedeutet, dass der<br />
Mensch an sich arbeiten kann. Rosch Ha schana<br />
ist daher der Anlass im jüdischen Jahr, einmal<br />
mehr den Versuch zu unternehmen, sein eigenes<br />
Leben für sich selbst zu bedenken und daraus<br />
Konsequenzen zu ziehen. Wir brauchen einen<br />
solchen Tag; das hat nicht nur mit Religion zu<br />
tun, sondern schlicht mit uns selbst.<br />
Die eben erwähnte Grußformel geht auf ein<br />
Rosch Haschana-Gebet zurück. „Gedenke unser<br />
zum Leben, König, der Du am Leben Wohlgefallen<br />
hast; und schreibe uns ein in das Buch des<br />
Lebens, um Deinetwillen, Gott des Lebens.“ Uns<br />
fällt zunächst auf, dass in diesem relativ kurzen<br />
Satz nicht weniger als viermal das Wort „chayim“,<br />
Leben, erscheint. Und auch die Begründung<br />
ist merkwürdig: „um Deinetwillen“; Gott will,<br />
dass der Mensch lebt. Möge der das Seinige tun,<br />
27<br />
damit das Verhältnis zwischen ihm und Gott heil<br />
sei, in Ordnung komme. Aber dieses „um Deinet -<br />
willen“ bedeutet noch mehr: Offenbar braucht<br />
Gott den Menschen; Gott sucht ihn nicht nur, wie<br />
es im Titel des Buches des bedeutenden jüdischen<br />
Religionsphilosophen <strong>Abraham</strong> Joshua<br />
Heschel heißt: „Gott sucht den Menschen“.<br />
Dieses „um Deinetwillen“ heißt für uns, um<br />
Gottes willen, möge der Mensch die Vorausset -<br />
zun gen schaffen, dass er in das Buch des Lebens<br />
eingeschrieben werde. Gott will also das Leben<br />
des Menschen, und der Mensch soll diese Welt so<br />
gestalten, dass sie zum Leben führe, am Leben<br />
bleibe. Mit solchen Gedanken stehen wir natürlich<br />
mitten in unserer Gegenwart, und so bedarf<br />
es heute wirklich nicht mehr der Aufzählung der<br />
mannigfachen Gefahren, denen die Menschheit<br />
ausgesetzt ist. Es wäre langweilig, das alles zu<br />
wiederholen, was wir ohnehin täglich aus den<br />
Medien erfahren. Aber vom Leben handelt Rosch<br />
Haschana und unser Machsor. So heißt es in ihm:<br />
„Im Buche des Lebens, des Segen, des Friedens<br />
und einer guten Erhaltung mögen wir bedacht<br />
und vor Dir eingeschrieben werden, wir und Dein<br />
Volk, das Haus Israel, zu einem glücklichen<br />
Leben und zum Frieden. Gelobt seist Du Herr, der<br />
Du den Frieden schaffst.“<br />
➳
28<br />
Es bedarf keiner Entschuldigung, am religiösen<br />
Jahresanfang nicht nur um leben, sondern auch<br />
um sein Auskommen und ein wenig Lebensglück<br />
zu beten. Das Judentum vertröstet den Menschen<br />
nicht auf ein Jenseits, denn hier in dieser Welt ist<br />
der Ort unserer Bewährung. Gewiss wissen auch<br />
unsere Lehrer, dass unser menschliches Leben<br />
seine Grenze hat, dass nicht alles machbar ist,<br />
daher eben dieses Gebet. Dennoch ruft es mit<br />
seinen ganz konkreten Wünschen dazu auf, der<br />
Mensch möge sich nicht nur auf Gnade und<br />
Hoffnung verlassen, sondern das Seinige zu<br />
unserem Überleben zu tun.<br />
Diese Spannung zwischen dem Heute und Hier<br />
und der verheißenen Zukunft kennen unsere<br />
Rabbinen, wenn es im Talmud etwa heißt: „Diese<br />
Welt ist wie ein Vorraum, wie eine Diele, vor der<br />
kommenden Welt. Bereite dich in diesem Vor -<br />
raum vor, so dass Du einst in die Halle eintreten<br />
kannst.“ Unser Handeln wird hier als eine<br />
Voraus setzung für ein kommendes Reich Gottes<br />
verstanden. Wir sind dabei quasi Partner Gottes.<br />
Wir sprechen von unseren Gebeten. Manche<br />
mögen fragen, ob wir überhaupt noch beten können,<br />
nach allem, was uns widerfahren ist. Wenn<br />
wir vom Buch des Lebens sprechen, denken wir<br />
an unsere sechs Millionen Märtyrer, die eben<br />
nicht in dieses Buch des Lebens eingeschrieben,<br />
unschuldige Menschen, die grausam ermordet<br />
wurden. Unsere Verwandten und Freunde. Es ist<br />
merkwürdig, wie in einem alten Midraschwort<br />
darauf eine Antwort zu geben versucht wird: „Die<br />
Tore des Gebets sind das eine Mal geöffnet, das<br />
andere Mal verschlossen; die Tore der Teschuwa,<br />
der Umkehr aber sind immer geöffnet.“ Daher<br />
markiert Rosch Haschana für uns Juden nicht nur<br />
einen kalendarischen Termin, sondern der Tag<br />
kann auch ein Ereignis in unserem Leben werden;<br />
wir stehen hier in der Gemeinde, aber jeder<br />
Einzelne hört auch in sich, führt sein eigenes<br />
Gespräch, das nur ihn angeht.<br />
Die Akeda, die Bindung Isaaks, gehört auch in<br />
diesen Bereich. Sie ist der äußerste Appell Gottes<br />
dass Er das Leben will, und eben nicht den Tod<br />
dieses unschuldigen Knaben Isaak. Die Ge -<br />
schichte ist keineswegs nur Beweis für den<br />
Gehorsam <strong>Abraham</strong>s, sondern weit mehr noch die<br />
äußerste Weise, wie uns gesagt werden kann,<br />
dass der Mensch leben soll. Issak ist hier das<br />
Symbol für jeden einzelnen Menschen. „Melech<br />
chafez be’chayim“. Gott will das Leben. Und wir<br />
Juden haben nach allem, was geschah, eine ganz<br />
besondere Beziehung zu diesem Wort „chayim“.<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Wer überleben durfte, empfindet Leben als ein<br />
Geschenk. Das können wir der zweiten<br />
Generation kaum noch übermitteln.<br />
Wenn wir über „chayim“ reden, werden unsere<br />
Gedanken ohne weiteres auch auf das Land Israel<br />
gerichtet: „Be’sefer ha’chayim beracha we’schalom<br />
u’farnassa towa, nisacher we’nikatew le’fanecha,<br />
anachnu we’chol amcha beth Jisrael, le’chayim<br />
towim u’le’schalom. Baruch ata Adonai,<br />
ose ha’schalom.“ Zweimal wieder das Wort „chayim“,<br />
dann aber das entscheidende Wort dieser<br />
Bracha: Schalom. „Im Buch des Lebens, des<br />
Segens, des Friedens und der Ernährung lass<br />
unser und Deines ganzen Volkes Israel gedacht<br />
sein, und lass uns zum Leben, zum Segen und<br />
zum Frieden eingeschrieben werden. Gepriesen<br />
seist Du, Herr, Spender des Friedens.“ „Unser<br />
und Deines ganzen Volkes Israel.“ Wir Juden sind<br />
eine Solidargemeinschaft, ob wir es wollen oder<br />
nicht. Es ist merkwürdig, diese Form der Solida -<br />
rität als ein theologisches Phänomen gibt es nur<br />
im Judentum, im guten wie im Bösen. „Kol<br />
Jisrael jesch lahem chelek le’olam ha’ba“, heißt<br />
es in der Mischna: „Ganz Israel hat Anteil an der<br />
zukünftigen Welt.“ Israel wurde durch die Brit,<br />
den Bund mit Gott, einst als Ganzes erwählt, und<br />
es wird einst auch als Ganzes gerettet werden.<br />
Das ist ein Geheimnis Gottes, das zu ergründen<br />
uns nicht möglich ist.<br />
„Anachnu, we’chol amcha beth Jisrael“.<br />
„Amcha“: Dein Volk. Israels Gotteserfahrung ist<br />
nicht das Ergebnis einer Suche. Israel hat nicht<br />
Gott entdeckt, es wurde offenbar von Gott entdeckt.<br />
Das Judentum ist, auf eine kurze Formel<br />
gebracht, Gottes Suche nach dem Menschen. Die<br />
Hebräische Bibel ist der Bericht davon, wie Gott<br />
sich Seinem Volke naht. Wir finden in der Bibel<br />
mehr Beweise für Gottes Liebe zu Israel als für<br />
Israels Liebe zu Gott. „Amcha“: Dein Volk. Nicht<br />
wir haben Gott erwählt. Er hat uns erwählt. Es<br />
gibt keine Vorstellung von einem auserwählten<br />
Gott, wohl aber den Begriff eines auserwählten<br />
Volkes. Dieser Begriff bedeutet<br />
natürlich nicht, dass ein Volk auf<br />
Kosten anderer Völker bevorzugt<br />
wäre. Wir sind kein überlegenes<br />
Volk, wohl aber eines, dem sich<br />
Gott genähert hat. Die<br />
Bedeutung des<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
Wortes gilt in Beziehung zu Gott und nicht in<br />
Beziehung auf andere Völker. Es bezeichnet nicht<br />
eine Qualität, die dem Volke innewohnt, sondern<br />
diese Beziehung zwischen dem Volke und seinem<br />
Gott. „Amcha“: Dein Volk.<br />
Wir sind eine Solidar- und eine Schicksals ge -<br />
mein schaft. Daher ist etwa die Frage des Frie -<br />
dens in und mit Israel für uns auch eine Frage<br />
unseres eigenen Friedens. „Unser und Deines<br />
ganzen Volkes Israel Frieden.“, „anachu we’chol<br />
amcha beth Jisrael“. Mir scheint, diese Frage<br />
bewegt uns an diesem Rosch Haschana beson -<br />
ders, weil dieser Staat endlich seinen äußeren<br />
Frieden braucht, sowie seinen inneren in sozialer,<br />
wirtschaftlicher, religiöser, politischer<br />
Hinsicht. Mit äußeren Feinden kann man militärisch<br />
fertig werden, mit seiner inneren Not hat<br />
man auf andere Weise zu verfahren. Daher empfinden<br />
wir gerade jetzt diese beiden Leit worte<br />
unseres Rosch Haschana, „chayim“ und „schalom“,<br />
so besonders stark; beides schließt uns<br />
noch stärker mit dem Land Israel und seinen<br />
Menschen zusammen: „anachu we’chol amcha<br />
beth Jisrael“: „Wir, und Dein ganzes Volk Israel.“<br />
Dein Volk. Rosch Haschana hat nichts mit Politik<br />
zu tun. Aber unsere Meditation über den Frieden<br />
in diesem Land wird uns nicht nur durch unsere<br />
Gebete am Rosch Haschana nahegelegt, sondern<br />
auch durch die Haftara des zweiten Tages, nämlich<br />
die Lesung des Propheten Jeremia. Es ist das<br />
31. Kapitel. Es kann doch kein Zufall sein, dass<br />
unsere Lehrer gerade diesen Abschnitt für Rosch<br />
Haschana bestimmt haben. Da finden sich Sätze<br />
wie: „Der Israel zerstreut hat, sammelt es wieder“,<br />
da ist von Zion die Rede und davon, dass sie<br />
„heimkehren“ werden, und dass die Zukunft voller<br />
„tikwa“, Hoffnung, sei. „Deine Kinder werden<br />
heimkehren in ihr Land“, „we’schawu wanim li’gwulam“.<br />
Das haben Juden in den Jahrhunderten<br />
nicht spiritualisiert, sie haben es ganz konkret<br />
verstanden. Für sie war diese Verheißung des
Propheten lebendige „tikwa“, Zukunftshoffnung.<br />
Hatikwa.<br />
Man liest einen solchen Text nicht am Rosch<br />
Haschana, ohne dass davon in Jahrhunderten<br />
nicht etwas in der Seele eines Volkes haften<br />
bleibt. Wenn es so etwas wie ein kollektives<br />
Unbewusstes gibt, so ist die Vorstellung von diesem<br />
„Heimkehren in ihr Land“ zutiefst in die<br />
Seele des jüdischen Volkes eingeschrieben worden.<br />
Wir können uns nur darüber wundern, wie<br />
wenig unsere nichtjüdische Umwelt das zu verstehen<br />
versucht; es ist für uns offensichtlich. So<br />
wird im Judentum Religiöses mit nur scheinbar<br />
Politischem verbunden. Wir beten, dass es uns<br />
gelingen möge, umzukehren; wir setzen uns mit<br />
einem Begriff wie Leben, „chayim“, auseinander,<br />
und unsere Gedanken wenden sich vor allem zum<br />
Lande Israel, wenn wir das Wort Frieden hören.<br />
Das führt uns unwillkürlich zu dem berühmten<br />
Wort von Hillel aus den Pirkei Awot: „Gehöre zu<br />
den Schülern Aarons, liebe den Frieden und jage<br />
dem Frieden nach, liebe die Menschen, alle<br />
Menschen, es steht dort ‚ha’brijot’, die Geschöp -<br />
fe, und bringe sie der Tora nahe.“ Dieser Aus -<br />
spruch des Hillel ist so tief, dass wir ihn kaum<br />
ausschöpfen können. Er enthält eigentlich die<br />
ganze Philosophie des Judentums. Frieden zu lieben<br />
allein, sagt Hillel, genügt nicht, man muss<br />
ihm nachjagen, „rodef schalom“. Aber das wird<br />
uns nur gelingen, wenn wir wieder einen Sinn<br />
dafür erhalten, was Liebe zu den Menschen<br />
bedeutet, nicht etwa abstrakt, sondern auf dem<br />
Hintergrund dessen, was unser geistiges Erbe ist,<br />
die Tora, das geistige Element unserer Existenz,<br />
unsere Ethik. Wir haben dafür selbst etwas zu<br />
tun. Aber unser Machsor sagt auch, dass wir dazu<br />
etwas brauchen, das nicht allein von uns stammt.<br />
In der Bracha, die wir vorhin zitierten, heißt es<br />
am Schluss: „Baruch ata Adonai, ose ha’schalom“,<br />
„der Du den Frieden machst.“ Wir Men -<br />
schen können und müssen Ihm dabei helfen,<br />
indem wie diesem Frieden nachjagen, aber ohne<br />
den Einen, zu dem wir an den Jamim Nora’im<br />
beten, wird es uns vermutlich nicht gelingen.<br />
Und daher beten wir: „Im Buch des Lebens, des<br />
Segens, des Friedens und der Ernährung, lass uns<br />
zum Leben, zum Segen und zum Frieden eingeschrieben<br />
sein werden. Gepriesen seist Du Herr,<br />
der Du den Frieden schaffst. Baruch ata Adonai,<br />
ose ha’schalom.“<br />
<strong>Kescher</strong><br />
B U C H T I P P<br />
Hanspeter Heinz / Hans Hermann Henrix (Hrsgg.)<br />
„Was uns trennt, ist die Geschichte“<br />
Ernst Ludwig Ehrlich – Vermittler zwischen<br />
Juden und Christen<br />
Verlag Neue Stadt, München/Zürich/Wien 2008,<br />
ISBN 978-3-87996-750-6, kt. ca. 256 S., € 19,90<br />
Ernst Ludwig Ehrlich (1921 – 2007) kam aus<br />
einem bewusst jüdisch-religiösen Berliner<br />
Eltern haus, erlebte als Schüler persönliche An -<br />
feindungen und gelangte nach einer Flucht auf<br />
abenteuerlichen Wegen in die Schweiz – ohne<br />
seine Mutter, die umgebracht wurde. Ehrlich hat<br />
sich trotzdem den Glauben an den Menschen be -<br />
wahrt und nach neuen Wegen zueinander ge -<br />
sucht. Er wurde ein Mann von großer Aus strah -<br />
lung, umfassendem Wissen und außergewöhnlichem<br />
politischen Geschick. Seine profunde<br />
Kennt nis von Judentum und Christentum, sein<br />
erfolgreiches Wirken für den Wiederaufbau jüdischen<br />
Lebens in ganz Europa und seine Pionier -<br />
arbeit für ein neues Verhältnis zwischen Christen<br />
und Juden fanden große Anerkennung. Die Bei -<br />
träge dieses Bandes umspannen ein breites<br />
Spektrum: Bewertung des Konzils, an dessen<br />
„Judenerklärung“ er als Berater mitgewirkt hat –<br />
Notwendigkeit und Hindernisse des Dialogs – Wie<br />
mit der Erinnerung an die Schoa umgehen in<br />
Im Dialog: Ernst Ludwig Ehrlich mit<br />
Hanna-Renate Laurien Foto © M. Schmidt<br />
29<br />
Deutschland und in Polen – Juden und Christen<br />
im neuen Europa (nach 1989) – Jüdisches und<br />
christliches Verständnis von Gott, Jesus, Bibel,<br />
Hoffnung u.a.m. Die Herausgeber, Hanspeter<br />
Heinz und Hans Hermann Henrix, katholische<br />
Theologen, waren seit 1971 mit Ernst Ludwig<br />
Ehrlich in Freundschaft und Zusammenarbeit verbunden,<br />
vor allem im Gesprächskreis „Juden und<br />
Christen“ im Zentralkomitee der deutschen<br />
Katholiken.
30<br />
Kurz nach Redaktionsschluss von <strong>Kescher</strong> stand<br />
eine ganz besondere Begegnung für einige unserer<br />
Rabbinerstudenten auf dem Programm: Vom 16. bis<br />
20. September waren Madelon Fleminger, Evgeny<br />
Plyukhin, Paul Strasko und Yan Tsipris in polnischen<br />
Lublin zu Gast, um sich mit den Studieren -<br />
den des dortigen Priesterseminars über das besondere<br />
Verhältnis von Christentum und Judentum zu<br />
verständigen. Die Veranstalter bezogen sich dabei<br />
auf das geistige Vermächtnis von Johannes Paul II.<br />
Er formulierte bereits 1979: „Unsere beiden Reli -<br />
gionsgemeinschaften sind auf der Ebene ihrer je<br />
eigenen religiösen Identität eng und beziehungsvoll<br />
miteinander verbunden“. Besondere Bedeu -<br />
tung hatte dabei das gemeinsame Gebet in der<br />
Gedenkstätte für das nationalsozialistische Kon -<br />
zentrationslager Majdanek in der Nähe von Lublin,<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Jüdisch-katholische Begegnung<br />
Seminarangebot des <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s in Bamberg<br />
Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> bietet vom 20. - 23.<br />
November 2008 in Bamberg eine Weiterbildung<br />
für Führungskräfte jüdischer Gemeinden in<br />
Deutsch land an. Gut ausgebildete, motivierte<br />
und aktive Gemeindemitglieder sind die besten<br />
Partner beim Aufbau eines anspruchsvollen jüdischen<br />
Gemeindelebens. Wir wollen mit unserem<br />
Seminarangebot engagierte Gemeindevertreter<br />
für ihre Aufgaben stärken.<br />
Rabbiner Prof. Dr. Samuel K. Joseph, Professor<br />
für Jüdische Erziehung und Leadership Develop -<br />
ment am Hebrew Union College in Cincinnati,<br />
wird dieses Projekt leiten. Rabbiner Joseph war<br />
bereits in den Jahren 2006 und 2007 in Deutsch -<br />
wo während der deutschen Besatzung im Zweiten<br />
Weltkrieg 230.000 Menschen ermordet wurden.<br />
Dass in Lublin auf Einladung von Erzbischof Jozef<br />
Zycinski (im Bild) positive Beziehungen zwischen<br />
jüdischen und katholischen Studierenden und<br />
Dozenten ge knüpft werden konnten, könne nicht<br />
über die Belastungen durch die kontroverse<br />
Neufassung der Karfreitagsfürbitte für katholische<br />
liturgische Feiern nach „altem Usus“ hinweg täuschen,<br />
betonte der Rektor des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong>s, Walter Homolka. Es sei aber zu begrüßen,<br />
dass die ge meinsame Initiative zwischen Potsdam<br />
und Lublin das interreligiöse Gespräch nun auf<br />
anderer Ebene fortführe. Die vier<br />
Rabbinerstudenten stammen ursprünglich aus<br />
Russland und den USA. Sie wurden von Rabbiner<br />
Professor Homolka und Professor Heinz-Günther<br />
6. Jahrgang | Ausgabe 1<br />
Rabbinerstudenten im Dialog mit polnischen Seminaristen<br />
land und hat am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> unterrichtet.<br />
Er ist daher mit den deutschen Ge mein -<br />
den und deren Strukturen gut vertraut. Das<br />
Weiterbildungsprogramm wird durch die großzügige<br />
Unterstützung der UJA Federation New York<br />
ermöglicht. Sie deckt auch Reisekosten und die<br />
Unterbringung für ca. 25 Teilnehmer ab. Das Se -<br />
minar im November 2008 ist der erste Teil eines<br />
über ein Jahr angelegten Programms. Die zweite<br />
Tagung mit dem selben Teilnehmerkreis ist für<br />
den Zeitraum vom 3. – 5. April 2009 geplant.<br />
Die Seminarteilnehmer sollen in gemeindlicher<br />
Führungskompetenz und in Managementfähig -<br />
keiten unterrichtet werden, speziell im Bereich<br />
Schöttler begleitet und in Lublin auch von<br />
Rabbinerin Tanya Segal und Rabbiner Burt E.<br />
Schuman (Warschau) unterstützt. Die Begegnung<br />
wurde von der „Stiftung für deutsch-polnische<br />
Zusammenarbeit“ mit Sitz in Warschau gefördert.<br />
Heinz-Günther Schöttler ist Professor für Pastoral -<br />
theologie an der Universität Regensburg; er hat<br />
seit 2006 die Ephraim-Veitel-Stiftungsdozentur für<br />
Homiletik am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> inne und<br />
engagiert sich seit Jahren im interreligiösen Dia -<br />
log, auch in Lublin. Der dortige Erzbischof Pro -<br />
fessor Jozef M. gilt als der profilierteste Intel lek -<br />
tuelle im polnischen Episkopat und ist dem breiten<br />
polnischen Publikum nicht nur als brillanter<br />
Prediger, sondern vor allem als Publizist und<br />
Essayist bekannt. Red<br />
Lay Leadership Training<br />
der Zusammenarbeit mit Kantoren und Rabbi -<br />
nern. Sie sollen darin geschult werden, den<br />
Gemeindeaufbau mitzuorganisieren und verstärkt<br />
Verantwortung in den Gemeinden erkennen<br />
und übernehmen zu können. Dazu werden<br />
sie auch mit dem Umgang mit Gruppen und<br />
Gruppendynamiken vertraut gemacht. Für jüdische<br />
Gemeinden besteht noch die Möglichkeit,<br />
engagierte Mitglieder für die Teilnahme an diesem<br />
Programm zu empfehlen.<br />
Senden Sie uns dazu bitte Namen und Adressen<br />
per Email an brenker@abraham-geiger-kolleg.de<br />
oder per Post an: <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>,<br />
Postfach 120 582, 10598 Berlin.
Rabbiner Dr. A. Stanley<br />
Dreyfus s. A.<br />
Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> und die Leo Baeck<br />
Foundation trauern um einen langjährigen<br />
Freund und Förderer, Rabbiner Dr. A. Stanley<br />
Dreyfus, der am 8. Juli in New York verstorben<br />
ist. Unser besonderes Mitgefühl gilt seiner Witwe<br />
Marianne C. Dreyfus, der Enkelin von Rabbiner<br />
Leo Baeck, und ihrer Familie.<br />
Dreyfus war einer der führenden liberalen Rabbi -<br />
ner in den USA und Professor am Hebrew Union<br />
College-Jewish Institute of Religion, wo er für<br />
mehr als vierzig Jahre Liturgie und Kommentare<br />
am New Yorker Campus unterrichtete. Er war von<br />
1980-1991 als Director of Rabbinic Placement bei<br />
der Central Conference of American Rabbis (CCAR)<br />
tätig; zuvor leitete er das Liturgie-Komitee der<br />
CCAR. „Our community mourns the loss of a beloved<br />
colleague and friend, Dr. A. Stanley Dreyfus,<br />
whose consummate leadership, professional<br />
skill, scholarly wisdom, and compassionate concern<br />
reflected the highest teachings of our faith<br />
and our people,” sagte Rabbiner Dr. David Ellen -<br />
son, der Präsident des Hebrew Union College zum<br />
Tod von Rabbiner Dreyfus und erinnerte daran,<br />
das der Verstorbene ein lebendiges Erbe in den<br />
Herzen der Tausende von Studenten hinterlässt,<br />
die er unterrichtete und betreute.<br />
A. Stanley Dreyfus wurde am 31. Januar 1921 in<br />
Youngstown, Ohio, geboren. Nach seinem Studi -<br />
um an der University of Cincinnati und am<br />
Hebrew Union College wurde er dort 1946 ordiniert.<br />
1951 machte er seinen Doktor in Jüdischer<br />
Theologie. Rabbiner Dreyfus diente von 1956-<br />
1965 als Chaplain in der U.S. Army, war Visiting<br />
Minister an der West London Synagogue und<br />
Rabbiner in einer Reihe amerikanischer Gemein -<br />
den, zuletzt – von 1965 bis 1979 - am Union<br />
Temple in Brooklyn, NY. Sein großes Engagement<br />
für das liberale Judentum kam in seinen vielen<br />
Ehrenämtern zum Ausdruck, etwa im Board of<br />
Governors der World Union for Progressive<br />
Judaism; daneben machte er sich mit zahlreichen<br />
Aufsätzen und Rezensionen einen Namen, aber<br />
auch als Herausgeber des Book of Prayers (1948,<br />
1961) und als Verfasser einer Biographie von<br />
Henry Cohen. Das Hebrew Union Colleg zeichnete<br />
Dreyfus 1971 für seine Verdienste mit einem<br />
Ehrendoktortitel aus.<br />
Er hinterlässt seine Frau Marianne, mit der er<br />
seit 1950 verheiratet war, seinen Sohn Dr. James<br />
Dreyfus und dessen Frau, Rabbinerin Ellen<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Weinberg Dreyfus, sowie die Witwe seines verstorbenen<br />
Sohns Richard, Helen Bagot Dreyfus,<br />
und fünf Enkelkinder. Möge die Erinnerung an<br />
ihn ein Segen sein.<br />
B U C H T I P P S<br />
Küng, Hans / Homolka, Walter<br />
Weltethos aus den Quellen des Judentums<br />
In der Menschheitsgeschichte war und ist es das<br />
Judentum, das Gerechtigkeit, also den rechten<br />
Umgang von Menschen untereinander, zur Kern -<br />
frage der Religion gemacht hat. Hans Küng und<br />
Walter Homolka führen ein in die zentrale Idee<br />
vom ethischen Zusammenleben der Menschen.<br />
Dabei bieten sie auch Einblick in Kerntexte zur<br />
Ethik aus drei Jahrtausenden jüdischer Weisheit,<br />
angefangen von der Hebräischen Bibel bis zu den<br />
jüdischen Religionsphilosophen der Moderne. Die<br />
repräsentative Textsammlung orientiert sich an<br />
den Leitlinien der „Erklärung zum Weltethos“,<br />
die unter Federführung von Hans Küng entstand<br />
und 1993 von Vertretern aller Weltreligionen verkündet<br />
wurde: Gewaltlosigkeit, Solidarität, Tole -<br />
ranz und Partnerschaft zwischen Frauen und<br />
Männern.<br />
Verlag Herder<br />
Format: 12,5 x 20,5 cm, ca. 192 Seiten, Pappband<br />
ISBN 978-3-451-32115-3<br />
€ [D] 16,95 / sFr 30.90<br />
1. Auflage erscheint: Oktober 2008<br />
Homolka, Walter / Zenger, Erich (Hrsg.)<br />
„... damit sie Jesus Christus erkennen“<br />
Die neue Karfreitagsfürbitte für die Juden<br />
31<br />
Die Neufassung der Karfreitagsfürbitte des Paps -<br />
tes hat vielfältige Reaktionen ausgelöst. Der<br />
Band bildet die kontroversen Positionen zu diesem<br />
sensiblen Thema ab und zeigt Zukunftsper -<br />
spektiven für das katholisch-jüdische Gespräch<br />
auf.<br />
Mit Beiträgen von: Henry G. Brandt, Johannes<br />
Brosseder, Micha Brumlik, Elias H. Füllenbach OP,<br />
Albert Gerhards, Günther B. Ginzel, Hanspeter<br />
Heinz, Hans Hermann Henrix, Walter Homolka,<br />
Nathan Kalmanowicz, John T. Pawlikowski OSM,<br />
Heinz-Günther Schöttler, Jonah Sievers, Michael<br />
A. Signer, Knut Wenzel, Josef Wohlmuth, Erich<br />
Zenger sowie der Stellungnahme des Gespräch -<br />
kreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomi -<br />
tee der deutschen Katholiken, einer Übersicht<br />
über die Fürbittformulierungen seit 1570 und der<br />
Stellungnahme des Vatikanischen Staatssekre -<br />
tariates.<br />
Verlag Herder 2008<br />
Format: 11,9 x 19,8 cm, 224 Seiten, kartoniert<br />
ISBN 978-3-451-29964-3<br />
€ [D] 11,95 / sFr 22.50<br />
www.herder.de
Anzeige
Die Studiengänge des Instituts für Jüdische<br />
Studien / School of Jewish Studies an der<br />
Universität Potsdam dienen in einer für Deutsch -<br />
land innovativen Form der Vermittlung und Er -<br />
forschung der jüdischen Religions- und Kultur -<br />
geschichte. Dabei verbindet sich wissenschaftliche<br />
Exzellenz mit großer Themenvielfalt. In diesem<br />
Wintersemester werden für die gut 400<br />
Studierenden mehr als 60 Seminare, Übungen<br />
und Vorlesungen im Bereich Jüdische Studien<br />
angeboten. Wir freuen uns, dass der Präsident<br />
des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s, Rabbiner Prof. Dr.<br />
Walter Jacob, auch in diesem Semester wieder<br />
am Institut für Religionswissensschaft unterrichten<br />
wird. Sein Thema ist „Feminismus in der<br />
Rabbinischen Literatur“. Neben Rabbiner Prof.<br />
Dr. Walter Homolka, Prof. Dr. Admiel Kosman,<br />
Rabbinerin Dr. Dalia Marx und Bettina Schwarz<br />
MA unterrichtet im Winter noch ein weiterer<br />
Vertreter des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s an der<br />
Universität Potsdam: Rabbiner Tovia Ben-Chorin<br />
bietet ein Seminar zu „Die postbiblischen<br />
Feiertage im jüdischen Kalender“ an.<br />
Eine besondere Freude ist, dass Prof. Dr. Simon<br />
Shetreet (Hebräische Universität Jerusalem) als<br />
Gastdozent gewonnen werden konnte. Der Jurist<br />
und frühere israelische Religionsminister setzt<br />
Anzeige<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Das Judentum in seiner<br />
ganzen Vielfalt<br />
Gastdozenten an der<br />
Universität Potsdam<br />
sich in seinem Seminar mit „The Foundations of<br />
the Culture of Peace“ auseinander. Im kommenden<br />
Jahr wird das Lehrangebot noch um die<br />
Benno-Jacob-Professur für Hebräische Bibel<br />
erweitert werden. Der Emeritus für Altes Testa -<br />
ment und frühere Dekan der Theologischen<br />
Fakultät der Humboldt-Universität Berlin, Prof.<br />
Dr. Rüdiger Liwak, soll diese neue Dozentur für<br />
zunächst drei Jahre besetzen. Namensgeber<br />
Rabbiner Benno Jacob (1862-1945) war einer der<br />
bedeutendsten jüdischen Bibelkommentatoren<br />
der Neuzeit und der Großvater von Walter Jacob,<br />
dem Präsidenten unseres <strong>Kolleg</strong>s.<br />
Mit Blick auf unserer Rabbiner- und Kantoren -<br />
ausbildung sei darauf aufmerksam gemacht, dass<br />
wir von diesem Wintersemester an künftig zwei<br />
Klassen haben, nämlich Anfänger und Fortge -<br />
schrit tene. Rabbiner Tovia Ben-Chorin lehrt diesen<br />
Winter am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> Zeitge -<br />
nössisches Rabbinat und Ethik. Zu Simchat Tora<br />
steht für die Studierenden und Dozenten ein<br />
ganz besonderes Ereignis auf dem Programm. Eva<br />
und Fred Ashner kommen dann aus St. Louis, MI<br />
nach Berlin, um uns eine neue Torarolle zu übergeben.<br />
Wir verdanken dieses außergewöhnliche<br />
Geschenk Rabbiner Howard G. Kaplansky D.D.<br />
von der United Hebrew Congregation in St. Louis.<br />
Shana Tova 5769<br />
Allen Mitgliedern und Freunden wünschen wir ein gesundes, erfolgreiches und glückliches neues Jahr.<br />
Der Vorstand der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover<br />
Alisa Bach, Leonid Fridman, Artur Michalowitz, Katarina Seidler,<br />
Faina Shlafman, Yuriy Tkachov, Ingrid Wettberg<br />
33<br />
An der Jahrestagung der Union Progressiver<br />
Juden in Deutschland, die im Juli in Berlin-<br />
Spandau stattfand, war auch eine Reihe von<br />
Studierenden und Dozenten des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong>s beteiligt. Foto © A. Schell<br />
T E R M I N E<br />
29.10.2008: 5. Emil Fackenheim Lecture an der<br />
Universität Potsdam:<br />
Rabbiner Dr. David Sandmel (Crown Ryan<br />
Professor of Jewish Studies, Catholic Theological<br />
Union, Chicago) spricht über “Philosemitism and<br />
Judaizing in the Contemporary Church”.<br />
05.11. 2008: Gastvortrag in den Räumen des<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s:<br />
Rabbiner Stephen Berkowitz (Mouvement Juif<br />
Libérale de France, Paris) spricht über “The<br />
History of Reform Judaism in France“.
Anzeigen<br />
Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden von Sachsen-Anhalt<br />
Texte 29 der Rosa-Luxemburg-Stiftung<br />
und die ihm angeschlossenen jüdischen Gemeinden<br />
die Synagogengemeinde zu Halle e.V.<br />
und<br />
die Jüdische Gemeinde zu Bernburg<br />
wünschen allen ein friedvolles und segensreiches Jahr 5769<br />
Peter Bathke, Susanne Spindler (Hrsg.)<br />
Neoliberalismus und Rechtsextremismus in Europa<br />
Zusammenhänge – Widersprüche – Gegenstrategien<br />
Sind Neoliberalismus und Rechtsextremismus kompatibel oder schließen sie einander aus? Auf den ersten Blick<br />
stehen sich eine globalisierte Weltwirtschaft mit der gewünschten Migration von Kapital und Arbeitskräften und<br />
die Zunahme rechtsextremen Denkens diametral gegenüber. Tatsächlich aber sorgen die Unterwerfung aller<br />
Lebensbereiche unter die Profi tlogik und die Propagierung von Standortnationalismus für ein gesellschaftliches<br />
Klima, an das rechtsextremes Gedankengut anschlussfähig ist.<br />
Ideologeme rechtsextremen und neoliberal-etablierten Denkens werden in diesem Band ebenso hinterfragt<br />
wie das Ineinandergreifen staatlichen Handelns und rechter Argumentationsmuster. Rechtsextreme Antworten<br />
bezüglich neuer Unsicherheiten in Arbeit und Alltag erscheinen in medialen Diskursen. Sie fi nden sich nicht nur<br />
am Rand, sondern mitten in der Gesellschaft.<br />
In verschiedenen europäischen Ländern zeigen sich unterschiedliche Entwicklungen, aber auch Gemeinsamkeiten.<br />
Sie werfen die Frage auf, wie diesen Prozessen ein solidarisches politisches Handeln entgegengesetzt werden kann.<br />
Bestellungen über: Buchhandel | Karl Dietz Verlag Berlin, info@dietzberlin.de | Rosa-Luxemburg-Stiftung, info@rosalux.de<br />
225 Seiten,<br />
Broschur, 14,90 Euro<br />
Karl Dietz Verlag Berlin 2006<br />
ISBN 978-3-320-02086-6
Shana tova - Happy New Year 5769<br />
American Friends of the Union of Progressive Jews in Germany -<br />
Supporting the <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> College - A Rabbinic Seminary for Central and Eastern Europe<br />
Dr Walter Jacob, President, Pittsburgh, PA - Hanna Gruen, Treasurer, Pittsburgh, PA - Mahnaz Harrison,<br />
Vice President, Pittsburgh, PA - Selene Letichevsky, Secretary, Oittsburgh, PA<br />
Dr Fae Asher, San Francisco, CA - Raphael Asher, Walnut Creek, CA - A. Stanley Dreyfus*, New York, NY - Dr Alfred<br />
Gottschalk, Cincinnati, OH - Joshua Haberman, Washington, DC - Robert A. Jacobs, Johannesburg, SA - Ralph P.<br />
Kingsley, Adventura, FL - Dr Peter Knobel, Evanston, IL - PA - Dr Peter Loewenberg, Los Angeles, CA - Dr Michael A.<br />
Meyer, Cincinbati, OH - Lore Metzger, Coconut Creek, FL - Ruth Nussbaum, Sherman Oaks, CA - Dr Elizabeth Petuchowski,<br />
Cincinnati, OH - W. Gunther Plaut, Toronto, ON, Canada - Herman Schaalman, Chicago, IL<br />
Jüdisches Leben, Kultur, Geschichte<br />
und Aktuelles<br />
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