Berichte + Publikationen Eine Auswahl - Helmholtz Zentrum München
Berichte + Publikationen Eine Auswahl - Helmholtz Zentrum München
Berichte + Publikationen Eine Auswahl - Helmholtz Zentrum München
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
mensch+umwelt<br />
Informationen aus dem GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit<br />
in der <strong>Helmholtz</strong>-Gemeinschaft Heft 3 / Dezember 2005<br />
Unter Beschuss<br />
Beschleuniger offenbart Bestandteile<br />
60 Jahre nach der Bombe<br />
SOUL im Südural<br />
Oberflächliche Unterschiede<br />
Rechnen gegen Rauschen<br />
Autumn Lecture 2005<br />
Paula und Richard von Hertwig-Preis<br />
Geschwärzter Film<br />
Gefahr durch naturnahes Wohnen<br />
Gesund statt strahlend<br />
Neutronendetektor auf der Zugspitze<br />
misst kosmische Strahlung
Liebe Leserinnen, liebe Leser<br />
sehr guten Weg, auf dem sich die GSF befindet,<br />
konsequent fortsetzen und auf Basis der ra-<br />
✍Den<br />
santen wissenschaftlichen Entwicklung die nächste<br />
Stufe erreichen“, lautet die Maxime von Prof. Dr. Günter<br />
Wess. Seit November ist Wess amtierender Wissenschaftlich-Technischer<br />
Geschäftsführer der GSF.<br />
Der habilitierte Chemiker und Pharmaforscher kommt aus<br />
Frankfurt, wo er neben einer Reihe weltweiter Aufgaben<br />
Forschung und Entwicklung der sanofi-aventis-Gruppe am<br />
Standort Deutschland leitete und Mitglied der Geschäftsführung<br />
von Aventis Deutschland war. Bei der GSF tritt er<br />
die Nachfolge von Prof. Dr. Dr. Ernst-Günter Afting an, der<br />
nach zehn Jahren an der Spitze des größten auf Umwelt<br />
und Gesundheit spezialisierten deutschen Forschungszentrums<br />
in den Ruhestand wechselt. Afting hatte 1995<br />
die wissenschaftliche Leitung<br />
Impressum:<br />
Herausgeber:<br />
GSF – Forschungszentrum für<br />
Umwelt und Gesundheit GmbH<br />
in der <strong>Helmholtz</strong>-Gemeinschaft<br />
Redaktion:<br />
Sonja Duggen, Cordula Klemm,<br />
Michael van den Heuvel, Heinz-<br />
Jörg Haury, GSF-Öffentlichkeitsarbeit,<br />
Neuherberg,<br />
Ingolstädter Landstraße 1,<br />
85764 Neuherberg,<br />
Telefon: (089) 3187 - 2804<br />
unter Mitarbeit von<br />
Monika Wiedemann und<br />
Brigitte Schmid<br />
E-Mail: oea@gsf.de<br />
World Wide Web:<br />
http://www.gsf.de/Aktuelles/<br />
mensch+umwelt/<br />
Fotos und Zeichnungen:<br />
Bernd Müller, A. M. Kellerer,<br />
Aihara, Hidetsguru, Heinz-Jörg<br />
Haury, Nick Bougrov, Albrecht<br />
Wieser, Jochen Tschiersch,<br />
Christoph Hoeschen, Siemens<br />
Med Archiv – Medical Solutions<br />
Archives, Ursula Baumgart,<br />
Michael van den Heuvel,<br />
Katharina Schneider, Wolfgang<br />
Schultz, Vladimir Mares<br />
Titelbild:<br />
Herrmann Halder, Institut für<br />
Strahlenschutz, bereitet den<br />
„Van de Graaff“ für seine nächste<br />
Aufgabe vor. Je nach Einstellung<br />
lassen sich mithilfe des Beschleunigers<br />
verschiedenste<br />
Medien untersuchen: Der Apparat<br />
beschleunigt Ionen, die dann<br />
auf die zu untersuchende Probe<br />
gelenkt werden. Das entstehende<br />
Signal verrät die Zusammensetzung<br />
der Probe.<br />
Foto: Bernd Müller<br />
Layout:<br />
Karl-Heinz Krapf<br />
Belichtung und Druck:<br />
Gerber + Ulleweit<br />
Gedruckt auf Recyclingpapier<br />
Mensch+Umwelt erscheint dreimal<br />
jährlich. Der Bezug ist kostenlos.<br />
Auszüge aus diesem Heft dürfen ohne<br />
jede weitere Genehmigung wiedergegeben<br />
werden, vorausgesetzt,<br />
dass bei der Veröffentlichung die<br />
GSF genannt wird. Um ein Belegexemplar<br />
wird gebeten. Alle übrigen<br />
Rechte bleiben vorbehalten.<br />
ISSN 0949-0671<br />
der GSF ebenfalls nach langjähriger<br />
Tätigkeit in Leitungsfunktionen<br />
der pharmazeutischen<br />
Forschung übernommen.<br />
Unter Aftings Führung<br />
baute die GSF ihre Kapazitäten<br />
für biomedizinische und<br />
genetische Ansätze in der<br />
Umwelt- und Gesundheitsforschung<br />
massiv aus und entwickelte<br />
neue Wege für den<br />
Ergebnistransfer. Seinem<br />
Nachfolger hinterlässt Afting<br />
eine leistungsstarke Forschungsstätte,<br />
deren Arbeiten<br />
unverzichtbarer Bestandteil<br />
der <strong>Helmholtz</strong>-Programme<br />
sind und im Ergebnis den internationalen<br />
Vergleich nicht<br />
scheuen brauchen.<br />
Von der „Vielfalt der wissenschaftlichen<br />
Themen und der<br />
Qualität der Arbeiten“ in seinem<br />
neuen Verantwortungsbereich<br />
zeigt sich Wess beein-<br />
„Das Profil als <strong>Zentrum</strong> für Umwelt und Gesundheit<br />
weiter schärfen“: Prof. Dr. Günter Wess ist neuer<br />
Wissenschaftlich-Technischer Geschäftsführer der GSF.<br />
Foto: Bernd Müller<br />
druckt. Die Institute in der Breite ihres Arbeitsspektrums<br />
kennen zu lernen und den Dialog mit den Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftlern zu führen, ist momentan<br />
einer seiner Prioritäten. Wess ist während seiner gesamten<br />
beruflichen Laufbahn in der Industrie immer auch ein<br />
Mann der Wissenschaft geblieben. An der Universität<br />
Mainz habilitiert, hat er seit mehreren Jahren eine Honorarprofessur<br />
an der Universität Frankfurt inne und ist<br />
Mitglied des Hochschulrates. Er gehört dem Lenkungsgremium<br />
des Nationalen Genomforschungsnetzes an und<br />
veröffentlicht in angesehenen Fachpublikationen.<br />
<strong>Eine</strong> mögliche Weichenstellung für die GSF kommentiert<br />
Wess: „Die Exzellenz der Institute steht außer Frage. Die<br />
Institute sind die Basis für unsere gemeinsamen Anstrengungen<br />
in den <strong>Helmholtz</strong>-Programmen“. Für die nähere<br />
Zukunft hat Wess sich vorgenommen, „unser Profil als<br />
<strong>Zentrum</strong> für Umwelt und Gesundheit innerhalb und außerhalb<br />
der <strong>Helmholtz</strong>-Gemeinschaft weiter zu schärfen“.<br />
Redaktion mensch+umwelt<br />
Das GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit konzentriert seine Arbeiten<br />
auf eine der wichtigsten Fragen unserer Gesellschaft, der Gesundheit des Menschen in<br />
seiner Umwelt. Ziel ist es, Risiken für die menschliche Gesundheit durch Umweltfaktoren<br />
zu erkennen, Mechanismen der Krankheitsentstehung zu entschlüsseln sowie Konzepte<br />
zu entwickeln, um die Gesundheit des Menschen und seine natürlichen Lebensgrundlagen<br />
auch für die Zukunft zu schützen.<br />
Der GSF gehören rund 1600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Das Gesamtbudget<br />
beträgt 164 Millionen Euro. Als Forschungseinrichtung des Bundes und des Freistaates<br />
Bayern mit Sitz in Neuherberg, im Norden <strong>München</strong>s, ist die GSF Mitglied der <strong>Helmholtz</strong>-<br />
Gemeinschaft, der größten öffentlichen Forschungsorganisation Deutschlands.
Unter Beschuss<br />
Beschleuniger offenbart Bestandteile<br />
Im technischen Bereich schreitet die Zeit rasch voran,<br />
schnell sind Apparate und Verfahren veraltet. Doch<br />
manchmal kann ein Fossil mit der Moderne Schritt<br />
halten, wie der Van-de-Graaff-Beschleuniger im GSF-Institut<br />
für Strahlenschutz: Seit 40 Jahren arbeitet dort der<br />
nach dem amerikanischen Physiker Robert J. Van de<br />
Graaff – kurz Van de Graaff – benannte Apparat unermüdlich<br />
und zuverlässig. Als Elektronenbeschleuniger entwickelt<br />
weckte das Drei-Millionen-Volt-Gerät schnell das<br />
Interesse der Neutronenforscher. „Deshalb wurde bereits<br />
1972 der Beschleuniger auch für den positiven Betrieb<br />
aufgerüstet“, berichtet Dr. Wilfried Szymczak, kommissarischer<br />
Leiter der Gruppe Umwelt-Nanoanalytik. Höhepunkt<br />
der Neutronenexperimente, für die eine zwölf mal<br />
zwölf Meter große Experimentierhalle angebaut wurde,<br />
war das europäische Vergleichsprogramm für Neutronendosimeter,<br />
ENDIP (1975).<br />
■ Das Prinzip der Arbeitsweise des Van de Graaff erläutert<br />
der zuständige Physiker, Norbert Menzel: „Beschleuniger<br />
erzeugen schnelle, geladene Teilchen. Zunächst<br />
muss man atomare Teilchen in einer so genannten Ionenquelle<br />
laden, also in Ionen umwandeln. Dann werden sie<br />
einem Spannungsgefälle ausgesetzt, und die dadurch<br />
einwirkende elektrische Kraft beschleunigt sie auf hohe<br />
Geschwindigkeiten.“ Lenkt man diese schnellen, energiereichen<br />
Ionen auf eine Probe, so dringen sie in diese ein<br />
und es finden zahlreiche Wechselwirkungen mit den hier<br />
vorhandenen Atomen statt. Das entstehende Signal enthält<br />
die gewünschte Information über die Zusammensetzung<br />
der Probe.<br />
■ In den vergangenen 15 Jahren hat die Arbeitsgruppe<br />
den Van de Graaff vor allem für die PIXE-Methode, die<br />
„Proton Induced X-Ray Emission-Analysis“, genutzt. Hier<br />
besteht der Ionenstrahl aus Protonen, also Kernen von<br />
Wasserstoffatomen. Ihr Auftreffen auf die Probe führt in<br />
Gepflegtes Wirrwarr: Regelmäßig<br />
überprüft Herrmann<br />
Halder, Institut für Strahlenschutz,<br />
die Funktionstüchtigkeit<br />
verschiedenster Komponenten,<br />
die für den Transport des Ionenstrahls<br />
im Vakuumrohr vom Beschleuniger<br />
zur Probenkammer<br />
notwendig sind.<br />
Foto: Bernd Müller<br />
Eva Schneider-Kracke, technische Assistentin, im Kontrollraum<br />
des Van-de-Graaff-Beschleunigers beim täglichen<br />
„Durchfädeln“ des Teilchenstrahls vom Beschleuniger bis<br />
zur 17 Meter entfernten Probenkammer. Foto: Bernd Müller<br />
der Elektronenhülle der Probenatome zu einer Folge von<br />
Reaktionen, wobei Energie frei und in Form von Röntgenstrahlen<br />
abgegeben wird. Deren Energie beziehungsweise<br />
Wellenlänge ist für das aussendende Element in der<br />
Probe charakteristisch. Das entstehende Röntgenspektrum<br />
umfasst alle enthaltenen Elemente, vom Natrium<br />
bis zum Blei. <strong>Eine</strong> eigens entwickelte Software ermittelt<br />
die mengenmäßige Zusammensetzung. PIXE kann auch<br />
eine sehr geringe Menge an Substanzen ohne Vorbehandlung<br />
zerstörungsfrei in kurzer Zeit analysieren;<br />
eine Messung dauert nur rund zehn Minuten.<br />
■ Im Lauf der Zeit wurden die Experimentiermöglichkeiten<br />
immer wieder an die Bedürfnisse der Wissenschaft<br />
angepasst. Statt nur im Vakuum kann man nun auch Versuche<br />
bei Atmosphärendruck durchführen. Die Forscher<br />
machten das Vakuumsystem an einer Stelle für den Protonenstrahl<br />
durchlässig: <strong>Eine</strong> vier Mikrometer dünne<br />
Aluminiumfolie schließt das System gegen die Helium-<br />
Atmosphäre der Experimentierkammer ab, ist für den<br />
Protonenstrahl aber kein Hindernis; er gelangt mit<br />
geringem Energieverlust in die Kammer. Selbst flüssige<br />
Proben lassen sich nun untersuchen.<br />
■ Schon in den 1980er Jahren hat die Arbeitsgruppe Umwelt-Nanoanalytik<br />
die PIXE-Methode für umwelt- und gesundheitsrelevante<br />
Themen eingesetzt. In Kooperation<br />
mit dem GSF-Institut für Strahlenbiologie wurde 1984 im<br />
Rahmen von Studien zur Tumortherapie untersucht, ob<br />
und wie viel Platin der Körper nach Einnahme von Cis-<br />
Platin-Präparaten aufnimmt. 1985 begannen Analysen<br />
von Umweltaerosolen aus dem <strong>München</strong>er Straßenge-
Immer auf dem neuesten Stand:<br />
Helmut Niedermeier, Techniker am<br />
Institut für Strahlenschutz, ändert<br />
die Experimentiereinrichtung den<br />
aktuellen Bedürfnissen entsprechend.<br />
Foto: Bernd Müller<br />
biet, die schließlich in eine Zusammenarbeit<br />
mit dem GSF-Institut für<br />
Epidemiologie mündeten. Mit mehr<br />
als 6 000 charakterisierten Aerosolen<br />
hat der Van-de-Graaff-Beschleuniger<br />
hier seinen derzeitigen Einsatzschwerpunkt<br />
gefunden.<br />
■ Manchmal klärte die Anlage mit<br />
ihrem breiten Anwendungsspektrum<br />
auch ungewöhnliche Fragen.<br />
Menzel erinnert sich, wie die Gruppe<br />
einen angeblich aus dem Jahr 1787<br />
aus den Pariser Beständen des späteren<br />
amerikanischen Präsidenten<br />
Thomas Jefferson stammenden Bordeaux-Wein<br />
unter die Lupe nahm:<br />
„Wir fanden eine extrem hohe Bleikonzentration,<br />
als deren Ursache<br />
man ein Stück Bleifolie am Boden<br />
der Flasche fand. Ein Authentizitätsbeweis<br />
war damit nicht mehr möglich.<br />
Klarheit brachte die Bestimmung<br />
des Tritiumgehalts am Institut<br />
für Radiohydrometrie. Demnach war<br />
der Wein etwa 30 Jahre alt!“<br />
■ Sibylle Kettembeil<br />
Literatur:<br />
J. Cyris et al.: Elemental composition and<br />
sources of fine and ultrafine ambient particles in<br />
Erfurt, Germany. The Science of the Total Environment<br />
305 (2003) 143-156.<br />
N. Menzel, P. Schramel and K. Wittmaack:<br />
Elemental compostion of aerosol particulate matter<br />
collected on membrane filters: A comparison<br />
of results by PIXE and ICP-AES. Nucl. Instum. Methods<br />
Phys. Res. B 189 (2002) 94-99.<br />
H. Halder, N. Menzel, B. Hietel and K. Wittmaack:<br />
A new analysis chamber with a rotating<br />
target holder for total-sample PIXE analysis of aerosol<br />
deposits collected in Berner Impactors.<br />
Nucl. Instum. Methods Phys. Res. B 150 (1999)<br />
90-95.<br />
60 Jahre nach der<br />
Überlebende in Hiroshima und Nagasaki liefern<br />
Am 6. und 9. August 2005<br />
jährten sich zum 60. Mal<br />
die Atombombenabwürfe<br />
über Hiroshima und Nagasaki.<br />
Weite Teile beider Städte wurden<br />
damals beinahe vollständig zerstört<br />
und bis Ende 1945 sind etwa<br />
200 000 Menschen gestorben – entweder<br />
direkt durch die Druckwelle<br />
und die Hitze der Explosionen oder<br />
durch hohe Dosen ionisierender<br />
Gamma- und Neutronenstrahlung.<br />
■ Aber auch viele Einwohner, die<br />
dem atomaren Inferno entgangen<br />
waren, litten später unter Strahlenschäden.<br />
An diesen Überlebenden,<br />
den so genannten Hibakusha,<br />
konnten Forscher die Folgen der<br />
ionisierenden Strahlung untersuchen,<br />
so dass es heute möglich ist,<br />
Grenzwerte festzulegen.<br />
■ Seit 1950 werden in einer gemeinsamenjapanisch-amerikanischen<br />
Studie etwa 120 000 Überlebende<br />
medizinisch überwacht und<br />
biostatistische und dosimetrische<br />
Analysen durchgeführt. Neben den<br />
Spätfolgen muss auch die Strahlendosis<br />
bekannt sein, der die<br />
Überlebenden ausgesetzt<br />
waren. Deshalb<br />
musste<br />
jeder Hibakushagenauangeben,<br />
wo er<br />
sich zum<br />
Zeitpunkt<br />
der Explosion der Bomben aufgehalten<br />
hatte: wie weit von der Abwurfstelle<br />
entfernt, im Freien oder hinter<br />
Mauern. Mittels Computersimmulationen<br />
ermittelten die Forscher dann<br />
die individuelle Strahlendosis.<br />
Während die Gammastrahlung bereits<br />
in den 1960er Jahren erstmals<br />
experimentell überprüft werden<br />
konnten, gelang es erst jetzt Dr. Werner<br />
Rühm vom GSF-Institut für<br />
Strahlenschutz gemeinsam mit Kollegen<br />
der LMU und TU <strong>München</strong>,<br />
aus den USA und Japan Spuren der<br />
damals ebenfalls freigesetzten hochenergetischen<br />
Neutronen zu messen.<br />
■ Das von ihnen entwickelte Verfahren<br />
nutzt aus, dass die während den<br />
Explosionen freigesetztenNeutronen<br />
in kupferhaltigenDachrinnen<br />
und BlitzableiterneinzelneKupfer-Atome<br />
in radioaktives<br />
Nickel umwandelten.
Bombe<br />
angzeitdaten<br />
„Uns gelang es, diese Nickelatome<br />
nachzuweisen und so die ursprünglichen<br />
Neutronendosen zu berechnen“,<br />
so Rühm.<br />
■ Im Einzelfall kann man leider bislang<br />
nicht erkennen, ob Leukämie<br />
und Krebs durch radioaktive Strahlung<br />
oder durch andere, unbekannte<br />
Faktoren verursacht wurde. Nur der<br />
Vergleich bestrahlter mit praktisch<br />
nicht bestrahlten Personengruppen<br />
zeigt, wie viele Krankheitsfälle strahlungsbedingt<br />
sind.<br />
■ „In den ersten Jahren fielen besonders<br />
die häufigen Leukämien<br />
auf“, berichtet Rühm. Später normalisierte<br />
sich diese Zahl wieder.<br />
„Zwischen 1950 und 2000 starben<br />
etwa 296 von 87 000 Überlebenden<br />
an Leukämie, 93 davon werden heute<br />
der ionisierenden Strahlung<br />
durch die Atombombenexplosionen<br />
zugeordnet“, erklärt der Strahlenschutzexperte.<br />
Anders bei Krebs:<br />
Hier gab es im selben Zeitraum in<br />
der gleichen Gruppe der Überle-<br />
benden insgesamt 10 127 Todesfälle.<br />
Erwartet würden in einer unbestrahlten<br />
Vergleichsgruppe 9 648, so dass<br />
man von 479 zusätzlichen, durch die<br />
Verstrahlung hervorgerufenen Krebstoten<br />
ausgeht. Noch heute erkranken<br />
deutlich mehr Überlebende an<br />
Krebs und man vermutet, dass in<br />
Zukunft noch mindestens 500 weitere<br />
strahlenbedingte Krebsfälle auftreten<br />
werden.<br />
■ Auch könnten die Hibakusha<br />
bei hohen Dosen vermehrt an Herzkreislauferkrankungen<br />
leiden. Wie<br />
ionisierende Strahlen zu derartigen<br />
Krankheiten führen können, soll die<br />
Studie in Zukunft klären.<br />
■ Ob Kinder der Hibakusha häufiger<br />
Erbschäden haben, ist bisher noch<br />
nicht bewiesen. Möglicherweise blieben<br />
diese Abweichungen bisher einfach<br />
unter den statistischen Schwankungen<br />
der normalerweise auftretenden<br />
genetischen Veränderungen verborgen.<br />
Fest steht jedoch, dass die<br />
Strahlen zu Fehlbildungen bei Embryo<br />
und Fötus führen: Etwa 30 Mütter<br />
Menschen, die zusätzlich<br />
erhöhter Strahlung durch<br />
die Atombomben ausgesetzt<br />
waren, erkrankten<br />
deutlich häufiger an Leukämie<br />
(rot hinterlegte Fläche)<br />
als Personen einer<br />
Vergleichsgruppe ohne<br />
zusätzliche Bestrahlung<br />
(grau hinterlegte Fläche).<br />
Grafik: A. M. Kellerer<br />
gebaren Kinder mit schweren geistigen<br />
Behinderungen. „Das Zentralnervensystem<br />
– insbesondere das<br />
sich entwickelnde Gehirn in<br />
der neunten bis zur 15. Schwangerschaftswoche<br />
– weist unter allen<br />
Organen die höchste Strahlenempfindlichkeit<br />
auf“, erläutert Rühm.<br />
■ „Nur wenn wir die Studien auch in<br />
Zukunft fortführen, können wir umfassende<br />
Aussagen über die schädlichen<br />
Folgen der Strahlen machen<br />
und durch Grenzwerte schützen“,<br />
betont Rühm.<br />
■ W. R. / Gö<br />
Literatur:<br />
T. Straume et al.: Measuring fast neutrons in<br />
Hiroshima at distances relevant to atomic-bomb<br />
survivors. Nature 424 (2003) 539-542 and Nature<br />
430 (2004) 483.<br />
D. L. Preston: et al.: Studies of Mortality of<br />
Atomic Bomb Survivors. Report 13: Solid Cancer<br />
and Noncancer Disease Mortality: 1950-1997. Radiat.<br />
Res. 160 (2003) 381-407.<br />
D. L. Preston et al.: Effect of Recent Changes in<br />
Atomic Bomb Dosimetry on Cancer Mortality Risk<br />
Estimates. Radiat. Res. 162 (2004) 377-389.<br />
Hiroshima & Nagasaki: Leukämie-Häufigkeit<br />
Jahr<br />
mit Bestrahlung<br />
spontan<br />
An die katastrophalen Folgen der<br />
Atombombe soll die Ruine der ehemaligen<br />
Industrie- und Handelskammer<br />
in Hiroshima erinnern: Alle zum<br />
Zeitpunkt des Atombombenabwurfs<br />
1945 darin arbeitenden Menschen<br />
starben. Die trotz des geringen Abstands<br />
von 160 Metern vom Hypozentrum<br />
erhaltenen Gebäudestrukturen<br />
der so genannten Atombombenkuppel<br />
gehören seit 1996 zum<br />
Weltkulturerbe der UNESCO.<br />
Foto: AIHARA, Hidetsugu
Verlassenes Metlino: 1954 mussten die 1000 Einwohner wegen der hohen Kontamination der Sedimente und Uferbereiche<br />
der Techa evakuiert werden. Ursache waren die flüssigen Abfälle der Produktionsgenossenschaft Mayak,<br />
die sieben Kilometer flussaufwärts von Metlino eingeleitet wurden. Foto: Heinz-Jörg Haury<br />
SOUL im Südural<br />
Sowjetische Kernwaffenproduktion verstrahlt Anwohner<br />
Southern Urals Radiation Risk<br />
Research (SOUL) heißt ein<br />
internationales Forschungsprojekt,<br />
welches das Gesundheitsrisiko<br />
durch andauernde Strahlenexposition<br />
erforscht. Wissenschaftler<br />
aus Deutschland, England, Griechenland,<br />
Italien, den Niederlanden,<br />
Schweden und Russland nehmen<br />
an dem von der Europäischen<br />
Kommission mit 6,8 Millionen Euro<br />
geförderten Vorhaben teil. Koordinator<br />
ist Dr. Peter Jacob vom GSF-<br />
Institut für Strahlenschutz. SOUL<br />
wird im Südural in Zusammenarbeit<br />
mit Projekten durchgeführt,<br />
die das US-Department of Energy<br />
und die National Cancer Institutes<br />
(Washington) fördern.<br />
■ In Ozyorsk, einer Stadt mit rund<br />
60 000 Einwohnern, wurde ab 1948<br />
Plutonium für den Bau von Kernwaffen<br />
in Kernreaktoren erbrütet<br />
und in einem radiochemischen<br />
Werk zu waffenfähigem Material<br />
verarbeitet. Heute werden dort Radionuklide<br />
für technische und medizinische<br />
Zwecke produziert und<br />
abgebrannte Brennstäbe aufbereitet.<br />
Die erhebliche Strahlenexposition<br />
betraf nicht nur die Arbeiter,<br />
sondern auch weite Teile der Bevölkerung,<br />
weil radioaktive Abfälle<br />
in den Fluss Techa geleitet wurden.<br />
Flussabwärts verwendeten die Anwohner<br />
das kontaminierte Wasser<br />
als Trinkwasser und bewässerten<br />
mit ihm ihre Gärten. Mit dem verstrahlten<br />
Sediment kamen sie beim<br />
Fischen und Baden in Kontakt. Der-<br />
art über lange Zeit belastet bieten<br />
sie die einmalige Gelegenheit, gesundheitliche<br />
Folgen einer solchen<br />
Exposition an einer großen Kohorte<br />
zu untersuchen. Das bisherige Wissen<br />
über Strahlenwirkungen bei<br />
Menschen stammt vor allem von<br />
den Überlebenden der Atombombenabwürfe<br />
in Japan, wo die Bedingungen<br />
– eine sehr hohe akute<br />
Dosis von Gammastrahlung – völlig<br />
Ziegelsteinproben aus der Wand des<br />
ehemaligen Kornspeichers in Metlino<br />
(siehe Pfeile) brachten die hohe<br />
Strahlenbelastung ans Licht: Zehnmal<br />
höher war die in ihnen enthaltene<br />
Strahlendosis als die, die sich<br />
natürlicher Weise seit der Produktion<br />
der Ziegelsteine vor 135 Jahren ansammeln<br />
würde. Foto: Nick Bougrov<br />
anders waren. Mit SOUL können<br />
erstmals nicht nur die schädlichen<br />
Folgen von über längere Zeiträume<br />
oder fraktioniert auftretenden Gammastrahlen,<br />
sondern auch die von<br />
Plutonium (Alphastrahler) und<br />
Strontium (Betastrahler) untersucht<br />
werden.<br />
■ Daten für die SOUL-Studien liefern<br />
zwei große Gruppen: 19 000 vor<br />
1972, also zu Zeiten hoher Belastung,<br />
eingestellte Arbeiter und<br />
30 000 Anwohner der Techa. In beiden<br />
Bevölkerungsgruppen sollen<br />
die Todes- und Krankheitsfälle durch<br />
Leukämien, solide Tumoren – insbesondere<br />
in Lunge, Mastdarm und<br />
Magen – sowie durch Herzkreislauferkrankungen<br />
untersucht werden.<br />
■ Die GSF-Forscher wollen vor allem<br />
die damalige Strahlenstärke ermitteln.<br />
Die seinerzeit verwendeten<br />
Filmdosimeter wurden rekonstruiert<br />
und im Sekundärstandardlabor<br />
der GSF unterschiedlichen Photonenenergien<br />
unter verschiedenen<br />
Winkeln ausgesetzt. Es zeigte sich<br />
eine starke Energieabhängigkeit:<br />
Die Dosimeter sprachen viel stärker<br />
auf niederenergetische Photonen<br />
an als auf hochenergetische.<br />
Um die für das radiochemische<br />
Werk typische Strahlung niedriger<br />
Energie nicht überzubewerten, berechneten<br />
die Forscher Korrekturfaktoren.<br />
■ Die Gesamtstrahlendosis einer<br />
Person bestimmten die Wissenschaftler,<br />
indem sie den Zahnschmelz<br />
der Probanden mithilfe
Der aufbereitete Zahnschmelz wird<br />
in den Mikrowellenresonator zwischen<br />
den beiden großen Permanentmagneten<br />
eingeführt. Mit den<br />
elektronenparamagnetischen Resonanzmessungen<br />
können auch relativ<br />
kleine Strahlendosen nachgewiesen<br />
werden. Foto: Albrecht Wieser<br />
des elektronenparamagnetischen<br />
Resonanzverfahrens analysierten.<br />
Danach verglichen sie die erhobenen<br />
Daten mit den korrigierten Werten<br />
der Filmdosimeter. Obwohl die<br />
Werte übereinstimmen sollten, ergaben<br />
sich teilweise erhebliche Abweichungen.<br />
„Manchmal hat das<br />
einen einfachen Grund, etwa dass<br />
jemand eine Strahlentherapie<br />
durchgemacht hat“, erklärt Jacob.<br />
Für die hohen Expositionen in den<br />
ersten Jahren ergeben die Zahnmessungen<br />
aber systematisch niedrigere<br />
Ergebnisse. Hier soll SOUL<br />
ebenso Klarheit schaffen wie bei ei-<br />
Magenkrebs ist die zweithäufigste Krebstodesursache<br />
bei Männern und die dritthäufigste<br />
bei Frauen. Weil der Tumor oft erst<br />
spät entdeckt wird, sind die Heilungschancen<br />
gering. Vor allem, wenn sich einzelne<br />
Tumorzellen oder kleine Metastasen bereits<br />
in der Bauchhöhle ausgebreitet haben, gibt<br />
es derzeit keine zufrieden stellende Behandlung.<br />
Chemotherapie und Bestrahlung sind<br />
momentan Standard, haben aber aufgrund<br />
ihres unspezifischen Wirkprinzips nur geringe<br />
Erfolgsquoten mit gravierenden Nebenwirkungen.<br />
Ein von der Ascenion GmbH vermittelter<br />
Lizenzvertrag ermöglicht nun, dass eine gezielte<br />
Therapie von Magenkrebs vorangetrieben<br />
werden kann: GSF-Forscher hatten<br />
herausgefunden, dass sich E-Cadherin her-<br />
nem weiteren überraschenden Befund:<br />
Das Krebsrisiko der Techa-Anwohner<br />
ist möglicherweise stärker<br />
erhöht als das der Atombomben-<br />
Überlebenden. Angesichts der kürzeren<br />
Expositionszeit, also der höheren<br />
Dosisrate in Japan, hatte man<br />
das Gegenteil erwartet.<br />
■ <strong>Eine</strong> mögliche Ursache für diese<br />
Abweichung ist, dass die Strahlenexposition<br />
der Techa-Anwohner unterschätzt<br />
wurde. Um das zu prüfen,<br />
haben GSF-Forscher Ziegelsteine<br />
aus einem 1956 umgesiedelten Ort<br />
untersucht, an denen sich die absolute<br />
Strahlendosis seit Produktion<br />
der Ziegel ablesen lässt. Die Werte<br />
liegen 20 Prozent über den heute<br />
verwendeten Dosiswerten, eventuell<br />
durch kurzlebige Radionuklide bedingt,<br />
die von den in den frühen<br />
50er Jahren begonnenen Messungen<br />
nicht mehr erfasst wurden. „Da<br />
das Gebiet jedoch geflutet wurde,<br />
sind die aus den Ziegeln abgeleiteten<br />
Daten mit Vorsicht zu betrachten“,<br />
so Jacob. Im Rahmen von<br />
SOUL will man nun Ziegel aus einem<br />
78 Kilometer von der Produktionstätte<br />
entfernten Ort analysieren.<br />
■ Sibylle Kettembeil<br />
Literatur:<br />
Patente + Technologietransfer<br />
M. O. Degteva et al.: EPR- and FISH-based<br />
investigations of individual doses for persons<br />
living at Metlino in the upper reaches of the<br />
Techa River. Health Phys. 88 (2005) 139-153.<br />
P. Jacob et al.: On an evaluation of external<br />
dose values in the Techa River Dosimetry System<br />
2000. Radiat. Environ. Biophys. 42 (2003) 169-174.<br />
S. A. Romanov et al.: Studies on the Mayak<br />
nuclear workers: Dosimetry Radiat. Environ.<br />
Biophys. 41 (2002) 23-28.<br />
Gezielte Therapie von Magenkrebs<br />
Antikörper aus GSF-Forschung an Actinium Pharmaceuticals lizenziert<br />
vorragend als Angriffspunkt eignet, weil es<br />
ausschließlich auf Krebszellen vorkommt,<br />
besonders häufig auf jenen des diffusen<br />
Magenkrebses. Sie entwickelten daraufhin<br />
Antikörper gegen mutierte Formen von<br />
E-Cadherin (E8- und E9-Cadherin) und übertrugen<br />
Actinium Pharmaceuticals exklusiv<br />
die globalen Rechte.<br />
Actinium wird die Antikörper mit �-Strahlern<br />
koppeln und für die zielgenaue Therapie<br />
von Magenkrebs weiter entwickeln.<br />
„Die Antikörper wandern direkt zu den<br />
Krebszellen und lassen diese absterben,<br />
während gesunde Zellen verschont bleiben“,<br />
kommentiert Howard Wachtler, Geschäftsführer<br />
von Actinium Pharmaceuticals.<br />
Die mittlere Überlebenszeit von Mäusen,<br />
deren Bauchhöhle mit Krebszellen in-<br />
Kurz notiert<br />
■ PD Dr. Annette Peters,<br />
Institut für Epidemiologie, erhielt die<br />
mit 2 500 Euro dotierte Johann-Peter-Süßmilch-Medaille<br />
verliehen. Die<br />
Gesellschaft für medizinische Informatik,<br />
Biometrie und Epidemiologie<br />
zeichnete damit eine Forschungsarbeit<br />
der GSF-Wissenschaftlerin über<br />
den Zusammenhang zwischen Verkehrsbelastung<br />
und dem Auftreten<br />
von Herzinfarkt aus.<br />
■ Dr. Oliver Puk, Institut für Entwicklungsgenetik,<br />
wurde auf dem<br />
Jahreskongress der European Association<br />
for Eye and Vision Researchers<br />
mit dem Posterpreis für den<br />
Bereich Molekularbiologie, Genetik<br />
und Epidemiologie ausgezeichnet.<br />
Das preisgekrönte Poster beschreibt<br />
eine neue Mutation, die Einfluss auf<br />
die frühe Augenentwicklung hat,<br />
und ist aus einer Zusammenarbeit<br />
zwischen den GSF-Instituten für Entwicklungsgenetik<br />
und Experimentelle<br />
Genetik entstanden.<br />
■ Prof. Dr. Ing. Piotr Maloszewski,<br />
Institut für Grundwasserökologie,<br />
wurde für drei Jahre ins Editorial<br />
Advisory Board des Journal of<br />
Hydrology berufen.<br />
■ Prof. Dr. Dr. H.-Erich Wichmann,<br />
Institut für Epidemiologie,<br />
bekam die Bayerische Staatsmedaille<br />
für Verdienste um Umwelt und<br />
Gesundheit von Staatsminister<br />
Dr. Werner Schnappauf verliehen.<br />
Mit dieser Auszeichung würdigt der<br />
bayerische Staat Personen oder Vereinigungen,<br />
die sich besondere Verdienste<br />
um den Natur- und Umweltschutz,<br />
um Gesundheit oder den<br />
Schutz der Verbraucher erworben<br />
haben.<br />
filtriert war, konnte durch die Therapie mit<br />
einem an 213 Bi gekoppelten Antikörper<br />
gegen E9-Cadherin wesentlich verlängert<br />
werden.<br />
In dem Lizenzvertrag wurde festgelegt,<br />
dass die GSF von Actinium eine Vorabzahlung<br />
sowie Meilensteinzahlungen und Lizenzgebühren<br />
erhält, die mit fortschreitender<br />
Entwicklung und Kommerzialisierung<br />
der Antikörper fällig werden.<br />
Auskunft über GSF-Patente sowie<br />
Informationen zum Technologietransfer<br />
erhalten Sie bei:<br />
Dr. Martin Dietz<br />
Patente & Technologietransfer<br />
Tel.: 089/3187-1210<br />
E-Mail: dietz@gsf.de
Oberflächliche Unterschiede<br />
Blattgemüse werden verschieden stark radioaktiv belastet<br />
Ob Gemüsesorten unterschiedlich stark radioaktiv<br />
belastet werden, wollte die Forschergruppe um<br />
Dr. Jochen Tschiersch vom GSF-Institut für Strahlenschutz<br />
wissen. Um radio-ökologische Modellberechnungen<br />
zu verbessern, nahmen sie Blattgemüse ins Visier.<br />
Bisher wurden radioaktive Ablagerungen hauptsächlich<br />
an Gräsern oder Bäumen, vereinzelt auch an Spinat<br />
oder Reis, vornehmlich aber an einzelnen Pflanzen mit<br />
glatter Oberfläche untersucht.<br />
■ Die GSF-Wissenschaftler wollten statistisch aussagekräftige<br />
Erkenntnisse: In einer großen Versuchskammer<br />
mit 80 Pflanzencontainern setzten sie diverse Frühlingsblattgemüse<br />
mit sehr unterschiedlichen Oberflächeneigenschaften<br />
wie Endiviensalat, Kopfsalat und Eichblattpflücksalat<br />
beziehungsweise Spinat als Referenzgemüse,<br />
aber auch Sommerblattgemüse wie Grün- und Weißkohl<br />
einen Tag lang zwei radioaktiven Stoffen aus. Um die beiden<br />
wichtigsten Ablagerungsvorgänge zu simulieren,<br />
wählten sie elementares Jod ( 131 J) als Modell für eine<br />
gasförmige und Caesium ( 134 Cs) beispielhaft für eine<br />
Partikel-Deposition.<br />
Expositionskammern schaffen identische Bedingungen:<br />
Unterschiede sind daher allein auf die verschiedenen<br />
Pflanzenarten zurückzuführen. Grafik: Jochen Tschiersch<br />
■ Die Forscher achteten dabei auf verschiedene Parameter:<br />
Generell gilt, dass die Menge der Ablagerungen von<br />
der Geschwindigkeit abhängt, in der sich die Stoffe niederschlagen.<br />
Diese wiederum wird bei partikelgebundenen<br />
Radionukliden wie Caesium von der Größe der ausgewählten<br />
Trägerteilchen beeinflusst. „Wir erzeugten<br />
deshalb ein Aerosol, in dem Caesium an Latexpartikel<br />
möglichst gleicher Größe (durchschnittlich etwa 0,8<br />
Mikrometer – ähnlich wie die von Tschernobyl) gebunden<br />
ist“, erklärt Tschiersch.<br />
■ Dass sich alle Pflanzen im selben Wachstumszustand<br />
befanden, war Dank der Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl<br />
für Gemüsebau an der TU <strong>München</strong> kein Problem.<br />
■ Die Wissenschaftler bestimmten Trocken- und Frischgewicht<br />
der Pflanzen sowie deren Wasserdampfaustausch<br />
oder Blattoberfläche und -index. Beleuchtungsintensität,<br />
CO 2 -Gehalt, Luftfeuchtigkeit und -temperatur wählten sie<br />
so, dass die verschließbaren Atemporen auf der Blattunterseite<br />
tagsüber offen für die Aufnahme der radioaktiven<br />
Stoffe blieben.<br />
20 verschiedene Sommer- und Wintergemüsearten im selben<br />
Wachstumszustand wurden einen Tag radioaktivem<br />
Jodgas und Cäsiumaerosol ausgesetzt, bevor sie auf ihren<br />
Radionuklid-Gehalt untersucht wurden. Foto: Jochen Tschiersch<br />
■ Es zeigte sich, dass Pflanzen mit geschlossenen Köpfen<br />
wie Kopfsalat und Weißkohl unabhängig von der radioaktiven<br />
Substanz insgesamt weit weniger belastet sind. Vor<br />
allem Weißkohl ist durch einen wachsartigen Überzug am<br />
besten geschützt.<br />
■ Jod konnten die Mitarbeiter besonders im Spinat nachweisen.<br />
Verantwortlich sind vermutlich die zahlreich vorhandenen<br />
Blattöffnungen, über die das Jodgas in die Pflanze<br />
eindringt. Caesium enthielten besonders Pflanzen mit<br />
freistehenden, stark strukturierten Blättern wie Spinat,<br />
Eichblattpflücksalat und Grünkohl.<br />
■ Interessiert hat das Team nun, inwieweit sich die Radionuklide<br />
abwaschen lassen: Während sich die Radioaktivität<br />
des partikelgebundenen Caesium um bis zu 45 Prozent<br />
verringerte, ließ sich Jod nur um ein Zehntel reduzieren.<br />
„Vermutlich, weil gasförmiges Jod von der Pflanze aufgenommen<br />
und dort fixiert wird“, so Tschiersch.<br />
■ In Zukunft können Forscher nun – etwa nach einem Störfall<br />
– schneller und differenzierter warnen: Vor allem auf<br />
Gemüse mit großer Oberfläche sollten Verbraucher in dieser<br />
Zeit verzichten.<br />
■ Susanne Stoll<br />
Literatur:<br />
J. Tschiersch et al.: Unterschiede bei der Ablagerung von Radionukliden auf<br />
verschiedenen Blattgemüsearten. GSF-Bericht 11/03, Institut für Strahlenschutz<br />
der GSF mit TU <strong>München</strong> Weihenstephan, Lehrstuhl für Gemüsebau.<br />
J. Tschiersch, T. Shinonaga, H. Heuberger: Dry deposition of particulate Cs-<br />
134 to several leafy vegetable species and comparison to deposition of gaseous<br />
Radioiodine. Radioprotection, Suppl.1, vol. 40 (2005) 471-476.
Rechnen gegen Rauschen<br />
Doppelt so viele Röntgenbilder mit insgesamt halber Strahlendosis<br />
Von allen Krebsarten fordert der<br />
Brustkrebs die meisten Todesopfer<br />
unter Krebspatientinnen,<br />
und man rechnet mit jährlich 42 000<br />
Neuerkrankungen. Deshalb ist im Juli<br />
2005 eine Studie angelaufen, die klären<br />
soll, ob Mammografie als generelle<br />
Vorsorgeuntersuchung sinnvoll ist.<br />
■ In mehreren Städten können Frauen<br />
ab 50 ein- bis zweimal im Jahr eine<br />
Mammografie vornehmen lassen.<br />
Auch <strong>München</strong> beteiligt sich an dem<br />
Mammografie-Screening, das hier<br />
noch einen weiteren Zweck erfüllen<br />
soll: Ein Verfahren in der Praxis zu testen,<br />
das auf rechnerischem Weg das<br />
bei Röntgenbildern unvermeidliche<br />
Rauschen und damit auch die Strahlenbelastung<br />
verringern soll. Verantwortlich<br />
für das „Wavelet-Verfahren“<br />
ist Dr. Christoph Hoeschen, Leiter der<br />
Arbeitsgruppe Medizinphysik am GSF-<br />
Institut für Strahlenschutz. Mit einem<br />
schwedischen Team hat er die Methode<br />
bereits an Aufnahmen der Lunge<br />
erfolgreich angewendet.<br />
■ Bei Röntgenaufnahmen gibt es ge-<br />
nerell zwei störende Rauschquellen,<br />
das technische und das von Hoeschen<br />
anatomisch genannte Rauschen. Zum<br />
technischen Rauschen kommt es, weil<br />
man nur eine begrenzte Anzahl von<br />
Röntgenquanten durch das Gewebe<br />
schicken kann, um die Strahlenexposition<br />
gering zu halten. An Stellen, wo<br />
die Strahlen auf Gewebestrukturen<br />
treffen, ist die Intensität der Signale<br />
groß; wo Rauschen vorherrscht, ist sie<br />
klein. Es gilt also das Minimum an<br />
Quanten herauszufinden, das aussagefähige<br />
Bilder liefert, ohne dass die<br />
eigentliche Information verloren geht.<br />
Gerade im Mammogramm kann<br />
schon eine kleine Veränderung im Gewebe<br />
auf Krebs hinweisen.<br />
■ Ursache des anatomischen Rauschens<br />
ist, dass sich beim Röntgen<br />
auf nur einem Bild – anders als etwa<br />
bei der Computertomografie mit sehr<br />
vielen Aufnahmen – verschiedene<br />
Strukturen überlagern und nur schwer<br />
voneinander zu trennen sind.<br />
■ Die GSF-Wissenschaftler wollen das<br />
Problem mit zwei Bildern statt nur einem<br />
lösen. Zwei Bildern, die sehr kurz<br />
hintereinander geschossen werden<br />
und sich deshalb minimal unterscheiden.<br />
Sie werden jeweils in so genannte<br />
Wavelet-Komponenten zerlegt und<br />
nach verschiedenen Detailgrößenskalen<br />
aufbereitet. Es entstehen von jeder<br />
Aufnahme mehrere Sätze von Bildern<br />
mit großen oder kleinen Details, die<br />
dann miteinander verknüpft werden.<br />
Der Vergleich zeigt: Wo Signale sind,<br />
also echte Gewebestrukturen, ist die<br />
Korrelation groß, bei Rauschen dagegen<br />
gering. So kann man für jede Detailgröße<br />
eine Schwelle bestimmen,<br />
unterhalb derer Signale verworfen<br />
werden. Rechnet man nun zurück auf<br />
das ursprüngliche Bild, kommen die<br />
Strukturen viel klarer heraus. Das<br />
störende Rauschen ist um bis zu 70<br />
Prozent vermindert.<br />
So wie hier auf der rechten Abbildung alle Formen kontrastreicher abgebildet<br />
sind, sieht man auch Gewebestrukturen auf dem Röntgenbild schärfer, wenn das<br />
„Wavelet-Verfahren“ das technische Rauschen minimiert hat. Foto: Christoph Hoeschen<br />
Möglichst hoch aufgelöst mit minimaler<br />
Strahlendosis soll das Brustgewebe bei<br />
einer Mammographie dargestellt werden.<br />
Foto: Siemens Med Archiv – Medical Solutions Archives<br />
■ Dass bei dem Verfahren zwei Aufnahmen<br />
nötig sind, ist kein Nachteil,<br />
denn dank des Rausch-Reduktions-Algorithmus<br />
braucht man viel weniger<br />
Strahlen: Auf die Hälfte oder gar ein<br />
Viertel will Hoeschen die notwendige<br />
Dosis zurückfahren. Und er hofft, dass<br />
sich die Methode im Mammografie-<br />
Screening ebenso bewährt wie bisher<br />
im Modell, einem nur im Computer<br />
existierenden Phantom, das amerikanische<br />
Wissenschaftler auf Grundlage<br />
von über 2 000 Mammogrammen entwickelt<br />
haben. Gibt es grünes Licht, ist<br />
die neue Aufnahmetechnik schnell<br />
und recht unkompliziert auf die heute<br />
verwendeten Geräte übertragbar: Die<br />
Röntgenröhre müsste sich zwischen<br />
den beiden Aufnahmen ganz leicht<br />
verschieben, so dass ein automatisches<br />
Verwackeln eingebaut ist und<br />
der integrierte Rechner müsste aufgerüstet<br />
werden. Dann wäre das Verfahren<br />
sehr bald einsetzbar und würde<br />
kaum Mehraufwand bedeuten. Anders<br />
als im Praxistest müssen im Routinebetrieb<br />
nämlich keine Daten mehr zum<br />
Überprüfen der Methode umgeleitet<br />
werden.<br />
■ Sibylle Kettembeil<br />
Literatur:<br />
O. Tischenko et al.: Reduction of Anatomical<br />
Noise in Medical X-Rays Images. Radiation<br />
Protection Dosimetry 114 (2005) 69-74.<br />
C. Hoeschen et al.: Comparison of Technical and<br />
Anatomical Noise in Digital Thorax X-Rays Images.<br />
Radiation Protection Dosimetry 114 (2005) 75-80.<br />
O. Tischenko et al.: Evaluation of a Novel Method<br />
of Noise Reduction Using Computer-simulated<br />
Mammograms. Radiation Protection Dosimetry 114<br />
(2005) 81-84.
Doktorandenpreise<br />
und Erfolgsrezepte<br />
in der Wissenschaft<br />
Die Autumn Lecture 2005 in der GSF<br />
Erfolg auf Bestellung“ lautete<br />
das Thema der diesjahrigen Autumn<br />
Lecture im Rahmen der<br />
Jahrestagung des Vereins der Freunde<br />
und Förderer der GSF. Der neue<br />
Präsident der <strong>Helmholtz</strong>-Gemeinschaft,<br />
Prof. Dr. Jürgen Mlynek, war<br />
der Einladung von GSF-Geschäftsführer<br />
Prof. Dr. Dr. Ernst-Günter Afting<br />
gefolgt und stellte in Neuherberg<br />
Für die herausragende fachübergreifende<br />
Zusammenarbeit überreichte der Verein der<br />
Freunde und Förderer der GSF den mit 5 000<br />
Euro dotierten Paula und Richard von Hertwig-<br />
Preis: Acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />
wurden damit für ihre grundlegende<br />
Arbeit über die pflanzliche Immunität bei der Einwirkung<br />
einer bakteriellen Substanz geehrt.<br />
■ Die Preisträger sind Dana Zeitler, GSF-Institut<br />
für Biochemische Pflanzenpathologie, Prof. Ulrich<br />
Zähringer, Forschungszentrum Borstel, Abteilung<br />
Immunchemie, PhD Isak Gerber und Prof. Ian Dubery,<br />
beide Department of Biochemistry der Rand<br />
Afrikaans University in Johannesburg, Dr. Thomas<br />
Hartung, Universität Konstanz, Biochemische<br />
Pharmakologie, Dr. Wolf Bors, GSF-Institut für<br />
Strahlenbiologie, Dr. Peter Hutzler, GSF-Institut für<br />
Pathologie und Dr. Jörg Durner, GSF-Institut für<br />
Biochemische Pflanzenpathologie. mvdh/ck<br />
seine Gedanken über „Rezepte für<br />
exzellente Forschung“ vor.<br />
■ Festlicher Höhepunkt war die Verleihung<br />
der Doktorandenpreise. Dr.<br />
Ulrike Gehring, Dr. Henning Gohlke<br />
und Dr. Sibille Humme konnten für<br />
ihre herausragenden Dissertationen<br />
die vom Genossenschaftsverband<br />
Bayern mit jeweils 1500 Euro dotierten<br />
Preise entgegen nehmen.<br />
■ Dr. Ulrike<br />
Gehring, GSF-Institut<br />
für Epidemiologie,<br />
untersuchte in<br />
ihrer Dissertation<br />
bei Prof. Dr. Dr.<br />
Für ihre herausragendenDissertationen<br />
wurden<br />
Dr. Ulrike Gehring,<br />
Dr. Henning Gohlke<br />
und Dr. Sibille<br />
Humme mit den<br />
Doktorandenpreisen<br />
geehrt.<br />
Foto: Ursula Baumgart<br />
Paula und Richard von Hertwig-Preis<br />
Interdisziplinär vernetzt der pflanzlichen Immunität auf der Spur<br />
Prof. Dr. Jürgen Mlynek, neuer Präsident<br />
der <strong>Helmholtz</strong>-Gemeinschaft,<br />
forderte zu mehr Vernetzung, Kooperation<br />
und Wagemut auf, um die<br />
Spitzenforschung der GSF weiter<br />
voranzutreiben. Foto: Ursula Baumgart<br />
H.-Erich Wichmann den Zusammenhang<br />
zwischen der Exposition mit<br />
Endotoxinen und dem Risiko, an<br />
Asthma oder Allergien zu erkranken.<br />
■ Ebenfalls am GSF-Institut für Epidemiologie<br />
erforschte Dr. Henning<br />
Gohlke bei Wichmann die genetischen<br />
Ursachen von Asthma.<br />
■ Dr. Sibille Humme promovierte in<br />
der Abteilung Genvektoren, Arbeitsgruppe<br />
Prof. Dr. Wolfgang Hammerschmidt,<br />
über das Epstein-Barr Virus<br />
nukleäre Antigen 1 (EBNA1), ein für<br />
das Epstein-Barr Virus (EBV) lebensnotwendiges<br />
Protein.<br />
mvdh/ck<br />
Mit großem Erfolg interdisziplinär und international<br />
vernetzt arbeiten die Wissenschaftler Dr. Peter Hutzler,<br />
Dana Zeitler, Dr. Jörg Durner und Prof. Ulrich Zähringer.<br />
Nun wurden sie und vier weitere Forscher mit dem Paula<br />
und Richard von Hertwig-Preis ausgezeichnet.<br />
Foto: Ursula Baumgart
Geschwärzter Film<br />
Auswertungsstelle der GSF erfasst Strahlenbelastung von Arbeitnehmern<br />
Die Auswertungsstelle für<br />
Strahlendosimeter in der GSF<br />
(AWST) hat sich seit ihrer<br />
Gründung zu einem der wichtigsten<br />
Dienstleister im Strahlenschutz entwickelt.<br />
Die amtliche Messstelle ermittelt<br />
vor allem die Personendosis<br />
von Arbeitnehmern, die beruflich<br />
Strahlen ausgesetzt sind. Das sind<br />
derzeit in Deutschland über 330 000,<br />
von denen nahezu die Hälfte das Angebot<br />
der GSF annimmt. Diese rund<br />
162 000 Personen schicken monatlich<br />
nicht nur eine, sondern oft mehrere<br />
Filmmessstreifen aus den Dosimetern<br />
ein. Statt einigen hundert Filmen<br />
wie zu Beginn werden heute daher<br />
zwei Millionen pro Jahr ausgewertet.<br />
Überwacht werden Beschäftigte, die<br />
während ihrer Arbeitszeit eine jährliche<br />
Ganzkörperdosis von einem Millisievert<br />
und mehr erhalten könnten.<br />
Neben Forschern und medizinischem<br />
Personal zählen speziell die Mitarbeiter<br />
von Kernkraftwerken zu den belasteten<br />
Personen. Die Anzeige eines<br />
Dosimeters an einer repräsentativen<br />
Stelle der Körperoberfläche gilt dabei<br />
als Maß für die effektive Dosis.<br />
■ Neben den Filmdosimetern bietet<br />
die AWST mit dem Flachglasdosimeter<br />
ein zweites Ganzkörpermessinstrument<br />
an. Hinzu kommt das Thermolumineszenzdosimeter(TL-Dosimeter)<br />
in Fingerringen, die zum Beispiel<br />
von Ärzten in der Therapie getragen<br />
werden. Alle drei zählen zur<br />
passiven Dosimetrie, die zur staatlichen<br />
Vorsorge, also zum Überwachen<br />
der vorgegebenen Grenzwerte<br />
eingesetzt werden. Zwar können sie<br />
weder vor Strahlung warnen noch<br />
schützen, die Ergebnisse der Auswertungen<br />
helfen aber Zwischenfälle<br />
zu erkennen und in Zukunft zu verhindern.<br />
■ Das Funktionsprinzip eines Filmdosimeters<br />
ist relativ einfach: Ionisierende<br />
Strahlen wie Röntgen-, Gammaoder<br />
Betastrahlen verursachen so genannte<br />
Sekundärelektronen, wenn sie<br />
auf die vor dem Film platzierten speziellen<br />
Filter oder auf eine fotografische<br />
Emulsion auftreffen. Die durch die<br />
Sekundärelektronen entstehende<br />
Schwärzung des Films dient als Maß<br />
für die aufgestrahlte Dosis.<br />
■ Arbeitnehmer aus Überwachungsbereichen<br />
besitzen eine Kassette, in<br />
die jeden Monat ein neuer Film eingelegt<br />
wird. Die AWST wertet diese aus<br />
und ermittelt die Personendosis.<br />
Nur dieses hochauflösende Densitometer<br />
kann die verschiedenen Grauwerte<br />
der einzelnen Felder auf dem<br />
Film hinter den Filtern bestimmen.<br />
Ein aufwändiges Kalibrierverfahren<br />
ermittelt aus diesen Informationen<br />
dann die Personendosis.<br />
Foto: Bernd Müller<br />
■ Mittlerweile hat auf dem Markt eine<br />
kostengünstigere, leichter automatisierbare<br />
Variante Einzug gehalten:<br />
das so genannte Festkörperdosimeter.<br />
Die in solchen Festkörpern oder Kristallen<br />
durch Strahlung übertragene<br />
Energie wird gespeichert und kann<br />
später in der Messstelle etwa durch<br />
gezieltes Erhitzen des TL-Kristalls als<br />
kaltes Leuchten erfasst werden. Diese<br />
so genannte Lumineszenzstrahlung<br />
wird dann einer Personendosis zugeordnet.<br />
Meistens sind solche Kristalle<br />
wieder einsetzbar.<br />
■ <strong>Eine</strong> weitere, bisher hauptsächlich<br />
in den USA angewandte Variante<br />
sind die so genannten OSL-Dosimeter<br />
aus dünnem Aluminiumoxid. Hier<br />
wird die gespeicherte Energie optisch<br />
angeregt mittels Photodioden oder<br />
Laser gemessen. Im Gegensatz zu<br />
den Filmdosimetern kann man anhand<br />
der OSL-Dosimeter jedoch nicht<br />
feststellen, welche Strahlen unter<br />
welchen Umständen das Dosimeter<br />
erreicht haben. Statt Bildern werden<br />
hier nämlich nur einzelne Werte er-<br />
Geschützt: In eine mit Barcode gekennzeichneten<br />
Hülle ist der lichtempfindliche<br />
Film eingebettet (Mitte).<br />
Diese so genannte Filmplakette<br />
wird in die linke Kassettenhälfte<br />
über die Metallfilter gelegt und<br />
dann mit der zweiten Hälfte (rechts)<br />
verschlossen. Foto: Michael van den Heuvel<br />
fasst. Zukünftig könnte der Preisdruck<br />
auf dem internationalen Markt<br />
auch das Angebot der Messstellen<br />
diktieren. Denn um Kosten zu sparen,<br />
werden Kunden wohl verstärkt auf<br />
die günstigere Variante setzen.<br />
■ Die AWST ist nach über 50 Jahren<br />
die älteste deutsche Auswertungsstelle<br />
und eine Besonderheit in der deutschen<br />
Forschungslandschaft. Sie ist<br />
die einzige isozertifizierte und zugelassene<br />
Messstelle für Dosimetrie in<br />
Deutschland. Von den Ländern ist sie<br />
ebenfalls als Messstelle für Radon zugelassen.<br />
■ Außerdem finanziert die AWST aus<br />
den erwirtschafteten Geldern wieder<br />
wissenschaftliche Projekte aus dem<br />
Bereich der Strahlenforschung. Sie<br />
bildet damit eine einmalige Symbiose<br />
Vollautomatisch holt eine Auspackmaschine<br />
den Film in der Dunkelkammer<br />
aus den Hüllen. Danach wird er<br />
auf ein fortlaufendes Band aufgebracht<br />
der Entwicklungsmaschine<br />
zugeführt. Foto: Bernd Müller<br />
➜
Ein Roboterarm der Auspackmaschine bringt<br />
die Filmplaketten aus dem Vorratsbehälter zum<br />
automatischen Öffnungsmechanismus.<br />
Foto: Bernd Müller<br />
von Dienstleistung und Forschung, zumal auch die<br />
Erkenntnisse aus dem Routinebetrieb direkt in die<br />
Weiterentwicklung von Dosimetern einfließen.<br />
■ Begonnen hat die Erfolgsgeschichte der Auswertungsstelle<br />
mit Prof. Felix Wachsmann, der 1952<br />
eine Personendosismessstelle in Erlangen gründete.<br />
Zwei Jahr zuvor beschloss der Fachnormenausschuss<br />
Radiologie in Frankfurt mittels Filmdosimeter<br />
gefährdete Personen zu überwachen. Wachsmann<br />
übersiedelte mit der Erlanger Auswertungsstelle<br />
1965 zur GSF und blieb zunächst selbstständig.<br />
Erst vier Jahre später übernahm ihn die GSF.<br />
Wachsmann setzte durch, dass die „Dienstleistung“<br />
und „Routinetätigkeiten“ der Auswertungsstelle<br />
in die Statuten der GSF aufgenommen wurden<br />
und legte damit den Grundstein für den heutigen<br />
Betrieb. Nach der Fusion mit den Messstellen<br />
in Hamburg und Karlsruhe im Jahre 2004 und<br />
2005 festigt die GSF ihre Position als größte Personenmessstelle<br />
in der Bundesrepublik.<br />
■ Dr. Wolfgang Wahl, der seit zehn Jahren die<br />
AWST leitet, sieht darin eine Chance, auch für die<br />
Forschung im Strahlenschutz den Standort<br />
Deutschland zu sichern: Mit seinen Mitarbeitern<br />
entwickelte er unter anderem ein Verfahren zur Online-Dosimetrie<br />
mit elektronischen Dosimetern sowie<br />
das Softwarepaket EPCARD, mit dem die Dosis<br />
von Piloten und Flugbegleitern berechnet wird.<br />
■ Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die interne<br />
Dosimetrie. Hier versucht man zu verstehen,<br />
wie sich instabile Atome, die radioaktiven Zerfall<br />
zeigen, im Körper verhalten. Gerade bei einer erhöhten<br />
Zufuhr dieser Radionukliden, aber auch bei<br />
der Therapie von beispielsweise Tumoren, ist das<br />
Verständnis über den Stoffwechsel von zugeführten<br />
Substanzen wichtig, um am richtigen Organ zu<br />
messen oder punktgenau das betroffene Organ zu<br />
erreichen.<br />
■ Bald könnte die dienstälteste Messstelle eine<br />
Plattform bilden, auf der verschiedene Arten der<br />
Dosimetrie zusammengeführt werden.<br />
■ Beatrix Leser<br />
Literatur:<br />
W. Wahl: Wie wird, wie soll die Personendosimetrie der Zukunft<br />
aussehen? Wünsche und Forderungen aus der Praxis. Strahlenschutz<br />
Praxis 8 (2002) 23-27.<br />
W. Wahl: Amtliche Personendosimetrie heute und morgen in<br />
Deutschland. Strahlenschutz Praxis 11 (2005) 28-31.<br />
<strong>Berichte</strong> + <strong>Publikationen</strong><br />
<strong>Eine</strong> <strong>Auswahl</strong><br />
■ M. Rosemann V. Kuosaite, M. Kremer, J. Favor, L. Quintanilla-<br />
Martinez, M. J. Atkinson:<br />
Multilocus Inheritance Determines Presdisposition to Alpha-Radiation Induced<br />
Bone Tumorigenesis in Mice. International Journal of Cancer (2005) in press.<br />
Es wird gezeigt, dass es in der Maus durch additive Wechselwirkung<br />
mehrere Suszeptibilitäts-Loci mit jeweils nur geringer Penetranz zu einer<br />
erblichen Prädisposition für das strahleninduzierte Osteosarkom kommen<br />
kann. Dabei führt die zufällige Segregation von so genannten<br />
„High-Risk Allelen“ der beiden elterlichen Tiere bei einigen der Nachkommen<br />
zu einer signifikanten Erhöhung des individuellen Osteosarkom-Risikos.<br />
Dieser Tumor-Typ spielt unter anderem als Sekundärtumor<br />
nach einer Strahlentherapie im Kindes- und Jugendalter eine zunehmende<br />
Rolle (Drittmittelförderung durch EU-Vertrag GENRAD).<br />
■ M. Klaften, M. Hrabé de Angelis: ARTS: A web-based tool for the setup<br />
of high-throughput genome-wide mapping panels for the SNP genotyping of<br />
mouse mutants. Nucleic Acids Research 33 (2005) W496-W500.<br />
Für die Kartierung von Mutationen in Mäusen durch Kopplungsanalyse<br />
werden standardmäßig geeignete Mausinzuchtstämme und entsprechende<br />
polymorphe molekulare Marker verwendet. Die Kartierung mit<br />
klassischen Mikrosatellitenmarkern kann jedoch sehr zeitraubend sein.<br />
Die Charakterisierung so genannter Single Nucleotid Polymorphisms<br />
(SNPs) in automatisierten Genotypisierungsverfahren ist da weitaus<br />
schneller. Die hier vorgestellte Arbeit berichtet über ARTS, ein automatisches<br />
Abfragegerät, das es dem Forscher erlaubt, öffentliche Datenbanken<br />
nach einem passenden SNP-Markerset für verschiedene Mausinzuchtstämme<br />
zu durchkämmen. Was früher einige Tage in Anspruch<br />
nahm, kann nun mit ein paar Mausklicks erledigt werden. Wenn entsprechende<br />
Datenbanken existieren, kann ARTS auch leicht für andere<br />
Tierarten verwendet werden. ARTS ist über das Internet öffentlich zugänglich<br />
(http://andromeda.gsf.de/arts).<br />
■ T. Mijalski, A. Harder, T. Halden, M. Horsch, T. M. Strom, H. V.<br />
Liebscher, F. Lottspeich, M. Hrabé de Angelis, J. Beckers:<br />
Identification of coexpressed gene clusters in a comparative analysis of<br />
transcriptome and proteome in mouse tissues. Proc Natl Acad Sci USA 102<br />
(2005) 8621-8626.<br />
Um die sich gegenseitig regulierenden Interaktionen zwischen Transkriptom<br />
(Gesamtheit der zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle<br />
hergestellten RNA-Moleküle) und Proteom (Gesamtheit der zu einem<br />
bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle vorliegenden Proteine) näher zu<br />
untersuchen, wurde ein vergleichender Ansatz gewählt, der eine simultane<br />
Beobachtung der Genexpression auf RNA- und Proteinebene ermöglicht.<br />
Hierzu wurden von Leber und Niere der Maus DNAchip-basierte<br />
RNA-Expressionsprofile angefertigt sowie 2D-Gelelektrophoresen<br />
durchgeführt. Basierend auf der Grundlage von Daten der 200 am<br />
meisten differentiell exprimierten Gene, konnte eine chromosomale<br />
Kolokalisation von bereits beschriebenen und noch unbekannten Genclustern<br />
entdeckt werden. Die Bestimmung von 29 solcher Cluster deutet<br />
an, dass die Koexpression von kolokalisierten Genen wahrscheinlich<br />
ziemlich weit verbreitet ist.<br />
■ M. A. Hack, A. Saghatelyan, A. de Chevigny, P.-M. Lledo,<br />
M. Götz: Neuronal fate determinants of adult olfactory bulb neurogenesis.<br />
Nature Neuroscience 7 (2005) 865-72.<br />
Im Gehirn von Säugern, inklusive des Menschen, kommt die Bildung<br />
von neuen Nervenzellen weitestgehend zum Erliegen. Daher können<br />
abgestorbene Nervenzellen im Gehirn von erwachsenen Patienten bislang<br />
nicht mehr ersetzt werden. Ausnahme bilden zwei Regionen des<br />
Vorderhirns: Hier ist die Neubildung von Nervenzellen möglich. Die<br />
molekularen Mechanismen hierfür wurden in dieser Arbeit aufgeklärt.<br />
Die Untersuchungen belegen in vivo, dass der Transkriptionsfaktor<br />
Pax6 notwendig und ausreichend für die Neubildung von Neuronen einer<br />
dieser Regionen des Riechkolbens ist. Besonders wichtig ist auch,<br />
dass dieser Transkriptionsfaktor zudem die Bildung von Neuronen fördert,<br />
die den Transmitter Dopamin benutzen, um mit anderen Nervenzellen<br />
zu kommunizieren. Da die Parkinsonerkrankung auf dem Absterben<br />
dopaminerger Neurone beruht, könnte dieser neu entdeckte molekulare<br />
Mechanismus für die Bildung von dopaminergen Neuronen im<br />
erwachsenen Gehirn von möglicher therapeutischer Relevanz sein.<br />
■ D. W. Han Au, T. F. Crossley, M. Schellhorn: The effect of health<br />
changes and long-term health on the work activity of older Canadians. Health<br />
Economics 14 (10) (2005) 999-1018.<br />
Mit kanadischen Paneldaten wird in dieser Studie der Zusammenhang<br />
zwischen Gesundheitszustand und Renteneintritt beziehungsweise
Erwerbstätigkeit der über 50-Jährigen untersucht. In der Beschäftigungsgleichung<br />
wird dabei die mögliche Endogenität des Gesundheitszustands<br />
(umgekehrte Kausalität und systematische Messfehler)<br />
berücksichtigt. Herausgefunden wurde, dass sowohl das Niveau als<br />
auch Änderungen des Gesundheitszustands ökonomisch signifikanten<br />
Einfluss auf den Verbleib in der Erwerbstätigkeit haben.<br />
■ M. Javorovic, H. Pohla, B. Frankenberger, T. Wölfel, D. J. Schendel:<br />
RNA transfer by electroporation into mature dendritic cells leading to reactivation<br />
of effector-memory cytotoxic T-lymphocytes: a quantitative analysis.<br />
Molecular Therapy 12 (4) (2005) 734-43.<br />
RNS, die für tumorassoziierte Antigene kodiert, kann mittels Elektroporation<br />
in dendritische Zellen eingebracht werden. Diese Antigen-präsentierenden<br />
Zellen des Immunsystems verwenden die transfizierte<br />
genetische Botschaft, um entsprechende Proteine zu synthetisieren.<br />
Die Proteine werden anschließend prozessiert und auf der Zelloberfläche<br />
präsentiert. Solche in vitro-veränderten dendritischen Zellen<br />
werden als Anti-Tumor-Vakzine verwendet, da sie durch die beschriebene<br />
Präsentation antigenspezifische T-Zellen aktivieren können. Diese<br />
Methode wurde im Melanomsystem quantitativ untersucht. Die Menge<br />
der genetischen Botschaft für ein bestimmtes Melanomantigen ist ausschlaggebend<br />
für die Effizienz der Präsentation – je mehr RNS (für Tyrosinase<br />
oder mutiertes CDK4) transfiziert wurde, desto stärker war die<br />
Aktivierung des spezifischen T-Zellklons. Für die Transfektion kann<br />
auch die gesamte zelluläre RNS hergenommen werden, die aus Tumorzellen<br />
isoliert wurde. Der Vorteil dieses Ansatzes ist die gleichzeitige<br />
Präsentation von mehreren (auch nicht identifizierten) Antigenen. Ein<br />
Nachteil allerdings ist, dass dadurch wesentlich kleinere Mengen an<br />
Einzelspezies-RNS für potenzielle Tumorantigene in die Zellen transfiziert<br />
werden. Dieses Problem kann auch nicht durch Amplifikation der<br />
Tumor-RNS umgangen werden. Antigene mit einem niedrigen Expressionsniveau<br />
werden daher – im Gegensatz zu <strong>Berichte</strong>n aus der<br />
Literatur – immer noch unzureichend präsentiert.<br />
■ M. Hölzel, M. Rohrmoser, M. Schlee, T. Grimm, T. Harasim,<br />
A. Malamoussi, A. Gruber-Eber, E. Kremmer, W. Hiddemann,<br />
G. W. Bornkamm, D. Eick: Mammalian WDR12 is a novel member of<br />
the Pes1-Bop1 complex and is required for ribosome biogenesis and cell proliferation.<br />
J Cell Biol 170 (2005) 367-378.<br />
In dieser Arbeit wird ein neuer Proteinkomplex im Nukleolus, der von<br />
Zielgenen des Onkoproteins c-Myc kodiert wird, beschrieben. Wir haben<br />
den Komplex ‚PeBoW’ genannt, da er sich aus den Proteinen Pes1,<br />
Bop1, und WDR12 zusammensetzt. PeBoW ist zentral an der Ribosomenbiogenese<br />
beteiligt und induziert bei Fehlfunktion p53-abhängig<br />
einen Zellzyklusarrest. Die Funktion des PeBoW-Komplexes unterstreicht,<br />
dass Zellwachstum- und Zellteilungskontrolle eng gekoppelt<br />
sind.<br />
■ R. D. Chapman, M. Conrad, D. Eick: Role of the mammalian RNA<br />
polymerase II C-terminal domain (CTD) nonconsensus repeats in CTD stability<br />
and cell proliferation. Mol Cell Biol 25 (2005) 7665-7674.<br />
■ C. Lux, H. Albiez, R. D. Chapman, M. Heidinger, M. Meininghaus,<br />
R. Brack-Werner, A. Lang, M. Ziegler, T. Cremer, D. Eick:<br />
Transition from initiation to promoter proximal pausing requires the CTD of<br />
RNA polymerase II. Nucleic Acids Res 33 (2005) 5139-5144.<br />
In den beiden Veröffentlichungen von Chapman et al. und Lux et al.<br />
wird beschrieben, dass die Expression des Onkogens c-myc auf Transkriptionsebene<br />
durch Pausieren der RNA Polymerase II unterhalb des<br />
Transkriptionsstarts reguliert wird. Mithilfe einer genetisch manipulierten<br />
RNA Polymerase II konnte hier die Rolle der CTD (carboxy-terminalen<br />
Domäne) der RNA Polymerase für die Transkriptionsinitiation und<br />
das Pausieren untersucht werden.<br />
■ O. Frank, M. Giehl, C. Zheng, R. Hehlmann, C. Leib-Mösch, W.<br />
Seifarth: Human endogenous retrovirus expression profiles from brains of<br />
patients with schizophrenia and bipolar disorders. J. Virol. 79 (2005) 10890 -<br />
10901.<br />
Die Rolle humaner endogener Retroviren (HERVs) bei neuropsychiatrischen<br />
Erkrankungen wie Schizophrenie wird in der Literatur kontrovers<br />
diskutiert. In einer von der Stanley Foundation initiierten Studie wurden<br />
nun über 200 Gehirnproben von Patienten mit Schizophrenie, bipolaren<br />
Erkrankungen und von gesunden Kontrollpersonen auf die Expressionsaktivität<br />
humaner endogener Retroviren untersucht. Dazu<br />
wurde mit Hilfe eines retrovirusspezifischen Microarrays, mit dem<br />
Transkripte der pol-Gene von über 50 repräsentativen Vertretern von 20<br />
HERV-Familien gleichzeitig identifiziert werden können, ein gehirnspezifisches<br />
HERV-Expressionsprofil erstellt. Der Vergleich mit den Patientenproben<br />
ergab kaum Unterschiede in der HERV-Expression und<br />
konnte damit frühere, positive Befunde nicht bestätigen. Lediglich<br />
Transkripte einer Subgruppe der HML-2-Famile, HERV-K10, waren in<br />
beiden Patientengruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant<br />
überrepräsentiert. Mitglieder dieser Subgruppe sind die einzigen be-<br />
Gutes Gedächtnis<br />
auch ohne T-Helferzellen<br />
Neuer Pfad der Immunaktivierung<br />
entdeckt<br />
Das angeborene Immunsystem ist die erste Verteidigungslinie<br />
des Organismus und ist in der Lage,<br />
Krankheitserreger zu beseitigen, ohne ihnen vorher<br />
begegnet zu sein. Die erworbene Immunantwort hingegen<br />
reagiert gegen spezifische Antigene, entwickelt<br />
sich im Laufe der Auseinandersetzung mit einem<br />
Erreger und bildet ein immunologisches Gedächtnis<br />
aus. Wichtige Effektorzellen des erworbenen<br />
Immunsystems sind die CD8-positiven zytotoxischen<br />
T-Lymphozyten, für deren Aktivierung im Allgemeinen<br />
CD4-positive T-Helferzellen erforderlich sind.<br />
Die Arbeitsgruppe um Prof. Ralph Mocikat vom<br />
GSF-Institut für Molekulare Immunologie hat jetzt einen<br />
neuen Pfad der Immunaktivierung entdeckt, der<br />
beide Abwehrmechanismen miteinander verbindet:<br />
Dendritische Zellen, die in vitro hergestellt und in<br />
Mäuse injiziert werden, aktivieren unabhängig von<br />
spezifischen Antigenen natürliche Killerzellen, also<br />
Effektorzellen des angeborenen Immunsystems. Daraufhin<br />
stimulieren diese über Interferon-� die transferierten<br />
sowie endogene dendritische Zellen, die<br />
dann Interleukin-12 ausschütten. Interleukin-12 wiederum<br />
induziert zytotoxische T-Lymphozyten. Über<br />
diese Kaskade wurde die zytotoxische T-Zellantwort<br />
des erworbenen Immunsystems aktiviert und damit<br />
die angeborene mit der erworbenen Abwehr ohne<br />
Mithilfe von T-Helferzellen verknüpft.<br />
In-vivo-Experimente bestätigen, dass für diesen<br />
Weg zu einem langdauernden Gedächtnis Interferon-�<br />
und Interleukin-12 unerlässlich sind.<br />
Die Publikation ist erschienen in:<br />
C. Adam, S. King, T. Allgeier, H. Braumüller, C. Lüking,<br />
J. Mysliwietz, A. Kriegeskorte, D. H. Busch, M. Röcken<br />
und R. Mocikat: DC-NK cell cross talk as a novel CD4 + T-cell-independent<br />
pathway for antitumor CTL induction. Blood 1, 106<br />
(2005) 338-344.<br />
kannten HERVs, die für alle retroviralen Gene kodieren und möglicherweise<br />
noch immer replizieren können. HERV-K-HML-2 Proteine und Partikel<br />
werden mit Keimzelltumoren und Melanomen assoziiert.<br />
■ G. Berg, L. Eberl, A. Hartmann: The rhizosphere as a reservoir for opportunistic<br />
human pathogenic bacteria. Environ. Microbiol. 7 (2005) 1673-1685.<br />
Dieser Übersichtsartikel stellt zusammenhängend dar, welches gemeinsame<br />
Faktoren für die erfolgreiche Wechselwirkung von Bakterien sowohl<br />
mit Wurzeln als auch mit menschlichem Gewebe sind. Als so genannte<br />
opportunistische oder fakultative Pathogene werden Bakterien<br />
der Gattungen Burkholderia, Stenotrophomonas und Ochrobactrum besprochen,<br />
welche unter anderem auch Vertreter mit potentiell biotechnologischem<br />
Interesse für die biologische Kontrolle von phytopathogenen<br />
Pilzen in der Rhizosphäre stellen.<br />
■ M. Rothballer, M. Schmid, A. Fekete, A. Hartmann: Comparative in<br />
situ analysis of ipdC-gfpmut3 promotor fusions of Azospirillum brasilense strains<br />
Sp7 and Sp245. Environmental Microbiology 7 (2005) 1839-1846.<br />
In dieser Publikation wird erstmals gezeigt, dass die Biosynthesegene<br />
für die bakterielle Auxinproduktion tatsächlich in der Rhizosphäre exprimiert<br />
werden. Dazu wurden Promotorfusionen des ipdC-Gens mit dem<br />
gfp-Gen hergestellt und die Transkription des Gens für die Indolpyruvatdehydrogenase<br />
(ipdC) getestet. In vitro wurde eine Steuerung der Transkription<br />
durch verschiedene Aminosäuren festgestellt. Interessanterweise<br />
unterscheiden sich die Promotorregionen verschiedener Stämme<br />
beträchtlich, sodass mit stammspezifischen Feinregulationen der Auxinsynthese<br />
zu rechnen ist.
Gefahr durch naturnahes Wohnen<br />
Radioaktives Thoron entweicht aus porösem Gestein<br />
Direkt in die Felsen hineingegraben sind die traditionellen Höhlenwohnungen<br />
in der zentralchinesischen Region Gansu. Radioaktive Zerfallsprodukte<br />
des ausgasenden Thoron machen dieses natürliche Raumklima leider<br />
gesundheitsschädlich. Foto: Jochen Tschiersch<br />
Stand bislang die Konzentration<br />
von radioaktivem Radon<br />
( 222 Rn) bei Raumluftmessungen<br />
im Vordergrund, so wird man<br />
wohl in Zukunft einem weiteren Radionuklid<br />
ähnliche Aufmerksamkeit<br />
widmen müssen: Thoron ( 220 Rn), ein<br />
Radon-Isotop der Thorium-Zerfallsreihe,<br />
strahlt in Wohnräumen stärker als<br />
bisher angenommen. Vor allem,<br />
wenn Zimmer rundum aus natürlichem<br />
Baumaterial geformt sind und<br />
keine Wand- und Bodenabdichtungen<br />
haben, wie es etwa bei vielen Lehmbauten<br />
in Entwicklungsländern oder<br />
auch in zentralchinesischen Höhlenwohnungen<br />
der Fall ist. Letztere untersuchte<br />
das Team um Dr. Jochen<br />
Tschiersch vom GSF-Institut für<br />
Strahlenschutz in Kooperation mit<br />
einem Institut des chinesischen<br />
Gesundheitsministeriums.<br />
■ Thoron befindet sich – ebenso wie<br />
Radon – auf der ganzen Welt in Gestein<br />
und Boden. Etwa 30 Millionen<br />
Menschen leben in der zentralchinesischen<br />
Region Gansu in traditionellen<br />
Höhlenwohnungen, die direkt in die<br />
terrassierten Hänge eines ausgedehnten<br />
200 Meter mächtigen Lössplateaus<br />
gegraben werden. Erhöhte<br />
Radonkonzentrationen und Lungenkrebsraten<br />
in dieser Region veranlasste<br />
die Forscher, die Innenraumkonzentrationen<br />
genauer zu analysieren.<br />
■ Radon und Thoron gasen aus dem<br />
Gesteinsmaterial aus. Die ebenfalls<br />
Dicht an der Wand ist die Thoronkonzentration<br />
am größten. Da nach einer<br />
knappen Minute jedoch die Hälfte<br />
des Isotops zerfallen ist, werden vor<br />
allem seine Töchterprodukte von den<br />
Höhlenbewohnern eingeatmet.<br />
Grafik: Jochen Tschiersch<br />
radioaktiven Töchterprodukte, die<br />
beim nachfolgenden Zerfall entstehen,<br />
binden an Staubpartikel und werden<br />
so eingeatmet. „Diffusion, Zerfallsketten<br />
und Partikelbindung sind<br />
jedoch bei beiden Substanzen unterschiedlich,<br />
so dass nicht automatisch<br />
von Radon auf die Thoron-Verteilung<br />
im Raum und damit auf die relevante<br />
Inhalationsdosis geschlossen werden<br />
kann“, erklärt Tschiersch.<br />
■ Im Gegensatz zu Radon mit 3,8 Tagen<br />
hat Thoron eine deutlich kürzere<br />
Halbwertzeit von lediglich 56 Sekunden,<br />
so dass kaum Zeit für eine relevante<br />
Diffusion in die Raumluft bleibt.<br />
Die üblichen Messgeräte – passiv arbeitende<br />
Dosimeter – berücksichtigen<br />
daher bisher hauptsächlich die Radonemission.<br />
Zudem lassen in industrialisierten<br />
Wohnbauten schon geringe<br />
Diffusionsbarrieren wie ein Verputz mit<br />
Anstrich oder Tapeten den Thoronaustritt<br />
auf ein Minimum schrumpfen und<br />
machen ihn so scheinbar bedeutungslos.<br />
■ Unter den einfachen Wohnbedingungen<br />
der Höhlenappartements ist<br />
dies jedoch völlig anders. „Um die<br />
tatsächliche Strahlenbelastung zu erfassen,<br />
wollen wir ein geeignetes<br />
Raummodell und verbesserte Messmethoden<br />
entwickeln“, so Tschiersch.<br />
■ Neben einer vom Wandabstand abhängigen<br />
Thoronkonzentration ermittelten<br />
die Forscher deshalb die potentielle<br />
Alphaenergie-Konzentration (PA-<br />
EC) der Töchterprodukte. PAEC ist die<br />
eigentlich relevante Basis für Dosisberechnungen,<br />
weil sie die deponierte<br />
Energie der Zerfallsprodukte berücksichtigt.<br />
„Und diese ist für die Thoron-<br />
Zerfallsprodukte fast 14-mal höher als<br />
für die Radon-Folgesubstanzen pro<br />
Zerfall der jeweiligen Mutternuklide“,<br />
erklärt Tschiersch.<br />
■ Auch wenn Thoron selbst also insgesamt<br />
weniger Zeit für die Diffusion<br />
in den Innenraum bleibt, tragen seine<br />
Töchterprodukte so massiv zur inhalativen<br />
Strahlendosis bei, dass Thoron<br />
die Bewohner ähnlich stark belastet<br />
wie Radon; jedenfalls in den Höhlenwohnungen<br />
in Gansu.<br />
■ Thoron sollte deshalb sehr wohl bei<br />
der inhalativen Dosis einberechnet<br />
und auch beim Messen mit passiven<br />
Dosimetern berücksichtigt werden.<br />
■ Weitere Detail- und Dosisstudien in<br />
Form von Feld- und Laborversuchen,<br />
die wiederum Grundlage für epidemiologische<br />
Fall-Kontrollstudien bilden<br />
könnten, sollen bald folgen.<br />
■ Gefahr Thoron, so fern und doch so<br />
nah? Nicht nur in Gansu kennt man<br />
traditionelle Bauweisen: Vielleicht wäre<br />
es sinnvoll, auch in Deutschland<br />
Fachwerkhäuser mit Lehmmauerwerk<br />
oder neue Raumklimatrends wie atmungsaktiven<br />
Natursteinputz kritisch<br />
zu überprüfen.<br />
■ Susanne Stoll<br />
Literatur:<br />
J. Tschiersch, M. Müsch: Radon Exposure in<br />
Homes: Is the Contribution of 220Rn (Thoron) to<br />
Dose Always Negligible? Proceedings of the 9th International<br />
Conference on Health Effects of Incorporated<br />
Radionuclides Emphasis on Radium, Thorium,<br />
Uranium and their Daughter Products. (HEIR<br />
2004) Nov 29-Dec 1 (2004) Neuherberg, Germany.<br />
GSF-Bericht 06/05, Institut für Strahlenschutz.
Gesund statt strahlend<br />
Pflanzen mit verringerter Radionuklid-Aufnahme gesucht<br />
Neben Nährstoffen können<br />
Pflanzen auch instabile<br />
Atome, die radioaktiven<br />
Zerfall zeigen, aus der Umwelt<br />
aufnehmen. Wenn diese Radionuklide<br />
in die Nahrungskette des<br />
Menschen gelangen, können sie<br />
schädigen – wie von Nuklearunfällen<br />
bekannt ist. Doch gibt es innerartliche<br />
Unterschiede: Manche<br />
Individuen einer Art nehmen weniger<br />
instabile Atome auf als andere.<br />
Die dafür verantwortlichen<br />
Gene zu finden, ist das Ziel der Arbeitsgruppe<br />
Radioökologie am<br />
GSF-Institut für Strahlenschutz.<br />
Deren Leiterin, PD Dr. Katharina<br />
Schneider, kam vor eineinhalb<br />
Jahren an die GSF und fühlt sich<br />
hier bestens integriert: „Ich wurde<br />
sehr unterstützt – sowohl materiell,<br />
aber auch durch den fachlichen<br />
Austausch mit Kollegen. Das<br />
hat mir beim Aufbau meines neuen<br />
Arbeitsgebiets geholfen: über<br />
einen genetischen Ansatz die Voraussetzung<br />
zu schaffen, Nutzpflanzen<br />
mit vermindertem Gehalt an<br />
Radionukliden zu züchten.“<br />
■ Im Moment laufen Versuche mit<br />
radioaktiven Caesium (Cs)- und<br />
Strontium (Sr)-Isotopen. Beide<br />
Radionuklide waren hauptsächlich<br />
für die Kontamination nach dem<br />
Unglück in Tschernobyl verantwortlich.<br />
Als Modellsysteme wurden<br />
zunächst Ackerschmalwand<br />
und Bäckerhefe im Labor etabliert,<br />
zwei genetisch gut charakterisierte<br />
Organismen mit vollständig sequenziertem<br />
Erbgut. Erste Versuche<br />
mit verschiedenen Wildtyp-<br />
Hefestämmen zeigten: Bei gleichen<br />
Bedingungen nahmen die<br />
Stämme unterschiedlich viele<br />
Radionuklide auf. Nun will man<br />
wissen, welche der insgesamt<br />
6 000 Hefegene dafür verantwortlich<br />
ist.<br />
■ Für 4 600 dieser Erbanlagen gibt<br />
es lebensfähige Mutanten, in denen<br />
jeweils genau ein Gen ausgeschaltet<br />
ist. „Die nehmen wir alle<br />
einzeln unter die Lupe“, erklärt<br />
Schneider und präsentiert ihr<br />
wichtigstes Hilfsmittel: ein automatisches<br />
Gamma-Spektrometer<br />
zum Nachweis der Gammastrahlung,<br />
die die eingesetzten Radionuklide<br />
aussenden. „Mit diesem<br />
Gerät können wir bis zu 1 000 Proben<br />
per Knopfdruck über Nacht<br />
analysieren.“<br />
Damit die Ackerschmalwand-Pflänzchen<br />
nach zehn Tagen unbeschadet<br />
in caesiumhaltiges Medium gesetzt<br />
werden können, werden sie auf einem<br />
Agarpfropfen in unten offenen<br />
Eppendorf-Hütchen herangezogen.<br />
Foto: Michael van den Heuvel<br />
Zunächst zeigten die Forscher mithilfe<br />
der genetisch gut charakterisierten<br />
Hefe, dass verschiedene<br />
Wildtyp-Stämme bei gleichen Bedingungen<br />
unterschiedlich viele Radionuklide<br />
aufnehmen.<br />
Foto: Katharina Schneider<br />
Dass sich bestimmte Sorten besser<br />
für verseuchte Böden eignen als andere,<br />
haben Feldversuche gezeigt.<br />
Hier in Pettenbrunn stellten die Forscher<br />
anhand des Caesium- und<br />
Strontiumgehalts in Boden und Winterweizen<br />
fest, welche Sorten mehr<br />
und welche weniger Radioaktivität<br />
aufnehmen.<br />
Foto: Wolfgang Schultz<br />
■ Das Erbgut der Ackerschmalwand<br />
ist mit 25 000 Genen zu groß<br />
für systematische Tests an Mutanten,<br />
die in einzelnen Genen defekt<br />
sind. Hier machen sich die Wissenschaftler<br />
die natürliche Vielfalt in<br />
Form verschiedener Ökotypen zunutze,<br />
die sich im Lauf der Zeit an<br />
unterschiedliche geographische<br />
Regionen angepasst haben. <strong>Eine</strong><br />
Doktorarbeit läuft derzeit über die<br />
Analyse von 96 unterschiedlichen<br />
Linien, die in Flüssigmedium angezogen<br />
werden. Die auf einem<br />
Agarpfropfen in unten offenen Eppendorf-Hütchen<br />
herangezogenen<br />
Pflänzchen werden am zehnten Tag<br />
nach der Aussaat in Cs-haltiges<br />
Medium gesetzt, nach weiteren<br />
zehn Tagen werden Blätter jedes<br />
Ökotyps separat geerntet und im<br />
Gammaspektrometer vermessen.<br />
Die Pflanzen mit der höchsten und<br />
der schwächsten Radionuklid-Aufnahme<br />
repräsentieren die Extreme,<br />
von deren gemeinsamer Nachkommenschaft<br />
die größtmögliche Variabilität<br />
zu erwarten ist. Dann soll<br />
die Beziehung zwischen der Vererbung<br />
verschiedener Abschnitte des<br />
Erbguts und der Radionuklidaufnahme<br />
in individuellen F2-Pflanzen,<br />
also in der Enkelgeneration,<br />
untersucht werden, um die Genorte<br />
zu finden, die das Aufnahmeverhalten<br />
für Radionuklide steuern.<br />
■ Dass diese Grundlagenforschung<br />
auch praktisch relevant ist, haben<br />
die Forscher bereits an 28 Winterweizensorten<br />
auf drei bayerischen<br />
Standorten mit sehr geringen Mengen<br />
an Radiocäsium und -strontium<br />
bewiesen: Sie fanden Sorten,<br />
die besonders wenig aufnehmen<br />
und sich damit für den Anbau auf<br />
belasteten Böden anbieten – etwa<br />
in der noch immer verseuchten Region<br />
um Tschernobyl. Auf kontaminiertem<br />
Gelände in Russland betreut<br />
Schneider derzeit ein Projekt,<br />
in dem unter 20 Maissorten nach<br />
geeigneten Pflanzen gesucht wird:<br />
„So gelangen wir vom Modell in<br />
die Praxis, um schließlich die<br />
Strahlenbelastung über die Nahrungskette<br />
zu mindern.“<br />
■ Sibylle Kettembeil<br />
Literatur:<br />
W. Schimmack et al.: Soil-to-grain transfer of<br />
fallout 137Cs for 28 winter wheat cultivars as observed<br />
by field experiments. Radiation and Environmental<br />
Biophysics 42 (2004) 275-284.
Neutronendetektor auf der Zugspitze<br />
misst kosmische Strahlung<br />
Beeinflussen<br />
Strahlen aus<br />
dem All unser<br />
Klima? GSF-Wissenschaftler<br />
wollen diese<br />
Frage zusammen<br />
mit dem meteorologischen<br />
Institut der<br />
Ludwig-Maximilians<br />
Universität <strong>München</strong><br />
beantworten. Das<br />
hierfür errichtete Labor<br />
der Umweltforschungsstation<br />
(UFS)<br />
Schneefernerhaus<br />
nahm Anfang Oktober<br />
seinen Betrieb<br />
auf. Gefördert wird<br />
das Projekt im Rahmen<br />
der Klimaforschung<br />
vom BayerischenStaatsministerium<br />
für Umwelt, Gesundheit<br />
und Verbraucherschutz.<br />
■ Die Erde ist einem ständigen<br />
Bombardement von energiereichen<br />
Teilchen aus dem Weltall ausgesetzt.<br />
Das Magnetfeld der Sonne<br />
schirmt diese Teilchen teilweise ab,<br />
so dass deren Intensität auf der Erde<br />
vom 11-jährigen Sonnenflecken-<br />
Zyklus, der ein Maß für die Sonnenaktivität<br />
darstellt, abhängt. Auch<br />
unsere Atmosphäre schützt vor kosmischen<br />
Strahlen. Dabei entstehen<br />
allerdings auch neue Teilchen, die<br />
als Sekundärstrahlung bezeichnet<br />
werden. „Weil sich die physikalischen<br />
und chemischen Eigenschaften<br />
der Erdatmosphäre in den letzten<br />
Jahren teilweise erheblich gewandelt<br />
haben – so ist der CO 2 -Gehalt<br />
seit Beginn der industriellen<br />
Revolution stark angestiegen – ist<br />
zu erwarten, dass sich auch die<br />
Wechselwirkungen der kosmischen<br />
Strahlung mit der Atmosphäre bereits<br />
verändert haben oder dies in<br />
Zukunft tun werden“, erklärt Dr.<br />
Werner Rühm vom Institut für<br />
Strahlenschutz. Denkbar ist etwa,<br />
dass Strahlungspartikel beim Aufprall<br />
auf Atmosphärengase Kondensationskeime<br />
erzeugen, die verstärkt<br />
Wolken bilden.<br />
Dünne Luft umgibt<br />
die UmweltforschungsstationSchneefernerhaus<br />
auf<br />
der Zugspitze<br />
(oben). Ein idealer<br />
Standort für<br />
das neue Labor<br />
(unten), um das<br />
Zusammenspiel zwischen kosmischer<br />
Strahlung und Atmosphäre<br />
zu untersuchen. Fotos: Vladimir Mares<br />
■ Die UFS in 2 650 Metern Höhe ist<br />
ein idealer Standort, um dieses Gefüge<br />
zu untersuchen: Weil die Dichte<br />
der Luft hier geringer als im Tal ist,<br />
schwächt die Atmosphäre kosmische<br />
Strahlen weniger stark ab; es<br />
kann genauer gemessen werden.<br />
Zudem erfassen Forscher auf der<br />
UFS bereits umfangreiche luftphysikalische<br />
und -chemische Daten.<br />
„Erstmals können die vom Deutschen<br />
Wetterdienst und dem Umweltbundesamt<br />
im Rahmen des<br />
‚Global Atmosphere Watch’-Programms<br />
routinemäßig erhobenen<br />
meteorologischen Parameter wie<br />
Lufttemperatur,<br />
Niederschlagsmenge,<br />
relative Luftfeuchte<br />
und Sonnenscheindauer<br />
mit den von<br />
uns gemessenen kosmischen<br />
Strahlen verknüpft<br />
und so deren<br />
Einfluss auf die Atmosphäre<br />
untersucht<br />
werden“, sagt Rühm.<br />
■ Gemessen wird die<br />
Strahlung mit Hilfe<br />
eines Vielkugelspektrometers.<br />
Dieses besteht<br />
aus 16 mit 3 He-<br />
Gas gefüllten Detektoren,<br />
die von<br />
weißen Polyethylenkugeln<br />
verschiedener<br />
Durchmesser umgeben<br />
sind. Da die Detektoren<br />
nur auf langsame<br />
Neutronen mit<br />
niedriger Energie reagieren,<br />
werden energiereichere,<br />
also schnellere Neutronen<br />
mit Hilfe der Polyethylenkugeln<br />
vor dem Messen<br />
abgebremst. Je größer die<br />
Kugeln sind, umso energiereichere<br />
Teilchen bremsen<br />
sie ab. Durch Kombination<br />
der Messergebnisse der<br />
verschiedenen Kugeln kann<br />
das Energiespektrum der einfallenden<br />
Neutronen über einen weiten Bereich<br />
von etwa einem Milli-Elektronenvolt<br />
bis zehn Giga-Elektronenvolt rekonstruiert<br />
werden.<br />
■ Damit das so gewonnene Neutronenspektrum<br />
nicht durch umgebende<br />
Materialien – besonders durch Wasserstoff<br />
– verfälscht wird, hat das Labor<br />
ein Spitzdach mit einem Neigungswinkel<br />
von 64 Grad. „Schnee<br />
kann deshalb die Ergebnisse nicht beeinflussen;<br />
er rutscht sofort ab“, so<br />
Rühm.<br />
■ Monika Gödde<br />
Literatur:<br />
H. Svensmark, E. Friis-Christensen: Variation of<br />
cosmic ray flux and global cloud coverage – a missing<br />
link in solar-climate relationships. Journal of<br />
Atmospheric and Solar-Terrestrial Physics 59<br />
(1997) 1225-1232.