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Berichte + Publikationen Eine Auswahl - Helmholtz Zentrum München

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mensch+umwelt<br />

Informationen aus dem GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit<br />

in der <strong>Helmholtz</strong>-Gemeinschaft Heft 3 / Dezember 2005<br />

Unter Beschuss<br />

Beschleuniger offenbart Bestandteile<br />

60 Jahre nach der Bombe<br />

SOUL im Südural<br />

Oberflächliche Unterschiede<br />

Rechnen gegen Rauschen<br />

Autumn Lecture 2005<br />

Paula und Richard von Hertwig-Preis<br />

Geschwärzter Film<br />

Gefahr durch naturnahes Wohnen<br />

Gesund statt strahlend<br />

Neutronendetektor auf der Zugspitze<br />

misst kosmische Strahlung


Liebe Leserinnen, liebe Leser<br />

sehr guten Weg, auf dem sich die GSF befindet,<br />

konsequent fortsetzen und auf Basis der ra-<br />

✍Den<br />

santen wissenschaftlichen Entwicklung die nächste<br />

Stufe erreichen“, lautet die Maxime von Prof. Dr. Günter<br />

Wess. Seit November ist Wess amtierender Wissenschaftlich-Technischer<br />

Geschäftsführer der GSF.<br />

Der habilitierte Chemiker und Pharmaforscher kommt aus<br />

Frankfurt, wo er neben einer Reihe weltweiter Aufgaben<br />

Forschung und Entwicklung der sanofi-aventis-Gruppe am<br />

Standort Deutschland leitete und Mitglied der Geschäftsführung<br />

von Aventis Deutschland war. Bei der GSF tritt er<br />

die Nachfolge von Prof. Dr. Dr. Ernst-Günter Afting an, der<br />

nach zehn Jahren an der Spitze des größten auf Umwelt<br />

und Gesundheit spezialisierten deutschen Forschungszentrums<br />

in den Ruhestand wechselt. Afting hatte 1995<br />

die wissenschaftliche Leitung<br />

Impressum:<br />

Herausgeber:<br />

GSF – Forschungszentrum für<br />

Umwelt und Gesundheit GmbH<br />

in der <strong>Helmholtz</strong>-Gemeinschaft<br />

Redaktion:<br />

Sonja Duggen, Cordula Klemm,<br />

Michael van den Heuvel, Heinz-<br />

Jörg Haury, GSF-Öffentlichkeitsarbeit,<br />

Neuherberg,<br />

Ingolstädter Landstraße 1,<br />

85764 Neuherberg,<br />

Telefon: (089) 3187 - 2804<br />

unter Mitarbeit von<br />

Monika Wiedemann und<br />

Brigitte Schmid<br />

E-Mail: oea@gsf.de<br />

World Wide Web:<br />

http://www.gsf.de/Aktuelles/<br />

mensch+umwelt/<br />

Fotos und Zeichnungen:<br />

Bernd Müller, A. M. Kellerer,<br />

Aihara, Hidetsguru, Heinz-Jörg<br />

Haury, Nick Bougrov, Albrecht<br />

Wieser, Jochen Tschiersch,<br />

Christoph Hoeschen, Siemens<br />

Med Archiv – Medical Solutions<br />

Archives, Ursula Baumgart,<br />

Michael van den Heuvel,<br />

Katharina Schneider, Wolfgang<br />

Schultz, Vladimir Mares<br />

Titelbild:<br />

Herrmann Halder, Institut für<br />

Strahlenschutz, bereitet den<br />

„Van de Graaff“ für seine nächste<br />

Aufgabe vor. Je nach Einstellung<br />

lassen sich mithilfe des Beschleunigers<br />

verschiedenste<br />

Medien untersuchen: Der Apparat<br />

beschleunigt Ionen, die dann<br />

auf die zu untersuchende Probe<br />

gelenkt werden. Das entstehende<br />

Signal verrät die Zusammensetzung<br />

der Probe.<br />

Foto: Bernd Müller<br />

Layout:<br />

Karl-Heinz Krapf<br />

Belichtung und Druck:<br />

Gerber + Ulleweit<br />

Gedruckt auf Recyclingpapier<br />

Mensch+Umwelt erscheint dreimal<br />

jährlich. Der Bezug ist kostenlos.<br />

Auszüge aus diesem Heft dürfen ohne<br />

jede weitere Genehmigung wiedergegeben<br />

werden, vorausgesetzt,<br />

dass bei der Veröffentlichung die<br />

GSF genannt wird. Um ein Belegexemplar<br />

wird gebeten. Alle übrigen<br />

Rechte bleiben vorbehalten.<br />

ISSN 0949-0671<br />

der GSF ebenfalls nach langjähriger<br />

Tätigkeit in Leitungsfunktionen<br />

der pharmazeutischen<br />

Forschung übernommen.<br />

Unter Aftings Führung<br />

baute die GSF ihre Kapazitäten<br />

für biomedizinische und<br />

genetische Ansätze in der<br />

Umwelt- und Gesundheitsforschung<br />

massiv aus und entwickelte<br />

neue Wege für den<br />

Ergebnistransfer. Seinem<br />

Nachfolger hinterlässt Afting<br />

eine leistungsstarke Forschungsstätte,<br />

deren Arbeiten<br />

unverzichtbarer Bestandteil<br />

der <strong>Helmholtz</strong>-Programme<br />

sind und im Ergebnis den internationalen<br />

Vergleich nicht<br />

scheuen brauchen.<br />

Von der „Vielfalt der wissenschaftlichen<br />

Themen und der<br />

Qualität der Arbeiten“ in seinem<br />

neuen Verantwortungsbereich<br />

zeigt sich Wess beein-<br />

„Das Profil als <strong>Zentrum</strong> für Umwelt und Gesundheit<br />

weiter schärfen“: Prof. Dr. Günter Wess ist neuer<br />

Wissenschaftlich-Technischer Geschäftsführer der GSF.<br />

Foto: Bernd Müller<br />

druckt. Die Institute in der Breite ihres Arbeitsspektrums<br />

kennen zu lernen und den Dialog mit den Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftlern zu führen, ist momentan<br />

einer seiner Prioritäten. Wess ist während seiner gesamten<br />

beruflichen Laufbahn in der Industrie immer auch ein<br />

Mann der Wissenschaft geblieben. An der Universität<br />

Mainz habilitiert, hat er seit mehreren Jahren eine Honorarprofessur<br />

an der Universität Frankfurt inne und ist<br />

Mitglied des Hochschulrates. Er gehört dem Lenkungsgremium<br />

des Nationalen Genomforschungsnetzes an und<br />

veröffentlicht in angesehenen Fachpublikationen.<br />

<strong>Eine</strong> mögliche Weichenstellung für die GSF kommentiert<br />

Wess: „Die Exzellenz der Institute steht außer Frage. Die<br />

Institute sind die Basis für unsere gemeinsamen Anstrengungen<br />

in den <strong>Helmholtz</strong>-Programmen“. Für die nähere<br />

Zukunft hat Wess sich vorgenommen, „unser Profil als<br />

<strong>Zentrum</strong> für Umwelt und Gesundheit innerhalb und außerhalb<br />

der <strong>Helmholtz</strong>-Gemeinschaft weiter zu schärfen“.<br />

Redaktion mensch+umwelt<br />

Das GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit konzentriert seine Arbeiten<br />

auf eine der wichtigsten Fragen unserer Gesellschaft, der Gesundheit des Menschen in<br />

seiner Umwelt. Ziel ist es, Risiken für die menschliche Gesundheit durch Umweltfaktoren<br />

zu erkennen, Mechanismen der Krankheitsentstehung zu entschlüsseln sowie Konzepte<br />

zu entwickeln, um die Gesundheit des Menschen und seine natürlichen Lebensgrundlagen<br />

auch für die Zukunft zu schützen.<br />

Der GSF gehören rund 1600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Das Gesamtbudget<br />

beträgt 164 Millionen Euro. Als Forschungseinrichtung des Bundes und des Freistaates<br />

Bayern mit Sitz in Neuherberg, im Norden <strong>München</strong>s, ist die GSF Mitglied der <strong>Helmholtz</strong>-<br />

Gemeinschaft, der größten öffentlichen Forschungsorganisation Deutschlands.


Unter Beschuss<br />

Beschleuniger offenbart Bestandteile<br />

Im technischen Bereich schreitet die Zeit rasch voran,<br />

schnell sind Apparate und Verfahren veraltet. Doch<br />

manchmal kann ein Fossil mit der Moderne Schritt<br />

halten, wie der Van-de-Graaff-Beschleuniger im GSF-Institut<br />

für Strahlenschutz: Seit 40 Jahren arbeitet dort der<br />

nach dem amerikanischen Physiker Robert J. Van de<br />

Graaff – kurz Van de Graaff – benannte Apparat unermüdlich<br />

und zuverlässig. Als Elektronenbeschleuniger entwickelt<br />

weckte das Drei-Millionen-Volt-Gerät schnell das<br />

Interesse der Neutronenforscher. „Deshalb wurde bereits<br />

1972 der Beschleuniger auch für den positiven Betrieb<br />

aufgerüstet“, berichtet Dr. Wilfried Szymczak, kommissarischer<br />

Leiter der Gruppe Umwelt-Nanoanalytik. Höhepunkt<br />

der Neutronenexperimente, für die eine zwölf mal<br />

zwölf Meter große Experimentierhalle angebaut wurde,<br />

war das europäische Vergleichsprogramm für Neutronendosimeter,<br />

ENDIP (1975).<br />

■ Das Prinzip der Arbeitsweise des Van de Graaff erläutert<br />

der zuständige Physiker, Norbert Menzel: „Beschleuniger<br />

erzeugen schnelle, geladene Teilchen. Zunächst<br />

muss man atomare Teilchen in einer so genannten Ionenquelle<br />

laden, also in Ionen umwandeln. Dann werden sie<br />

einem Spannungsgefälle ausgesetzt, und die dadurch<br />

einwirkende elektrische Kraft beschleunigt sie auf hohe<br />

Geschwindigkeiten.“ Lenkt man diese schnellen, energiereichen<br />

Ionen auf eine Probe, so dringen sie in diese ein<br />

und es finden zahlreiche Wechselwirkungen mit den hier<br />

vorhandenen Atomen statt. Das entstehende Signal enthält<br />

die gewünschte Information über die Zusammensetzung<br />

der Probe.<br />

■ In den vergangenen 15 Jahren hat die Arbeitsgruppe<br />

den Van de Graaff vor allem für die PIXE-Methode, die<br />

„Proton Induced X-Ray Emission-Analysis“, genutzt. Hier<br />

besteht der Ionenstrahl aus Protonen, also Kernen von<br />

Wasserstoffatomen. Ihr Auftreffen auf die Probe führt in<br />

Gepflegtes Wirrwarr: Regelmäßig<br />

überprüft Herrmann<br />

Halder, Institut für Strahlenschutz,<br />

die Funktionstüchtigkeit<br />

verschiedenster Komponenten,<br />

die für den Transport des Ionenstrahls<br />

im Vakuumrohr vom Beschleuniger<br />

zur Probenkammer<br />

notwendig sind.<br />

Foto: Bernd Müller<br />

Eva Schneider-Kracke, technische Assistentin, im Kontrollraum<br />

des Van-de-Graaff-Beschleunigers beim täglichen<br />

„Durchfädeln“ des Teilchenstrahls vom Beschleuniger bis<br />

zur 17 Meter entfernten Probenkammer. Foto: Bernd Müller<br />

der Elektronenhülle der Probenatome zu einer Folge von<br />

Reaktionen, wobei Energie frei und in Form von Röntgenstrahlen<br />

abgegeben wird. Deren Energie beziehungsweise<br />

Wellenlänge ist für das aussendende Element in der<br />

Probe charakteristisch. Das entstehende Röntgenspektrum<br />

umfasst alle enthaltenen Elemente, vom Natrium<br />

bis zum Blei. <strong>Eine</strong> eigens entwickelte Software ermittelt<br />

die mengenmäßige Zusammensetzung. PIXE kann auch<br />

eine sehr geringe Menge an Substanzen ohne Vorbehandlung<br />

zerstörungsfrei in kurzer Zeit analysieren;<br />

eine Messung dauert nur rund zehn Minuten.<br />

■ Im Lauf der Zeit wurden die Experimentiermöglichkeiten<br />

immer wieder an die Bedürfnisse der Wissenschaft<br />

angepasst. Statt nur im Vakuum kann man nun auch Versuche<br />

bei Atmosphärendruck durchführen. Die Forscher<br />

machten das Vakuumsystem an einer Stelle für den Protonenstrahl<br />

durchlässig: <strong>Eine</strong> vier Mikrometer dünne<br />

Aluminiumfolie schließt das System gegen die Helium-<br />

Atmosphäre der Experimentierkammer ab, ist für den<br />

Protonenstrahl aber kein Hindernis; er gelangt mit<br />

geringem Energieverlust in die Kammer. Selbst flüssige<br />

Proben lassen sich nun untersuchen.<br />

■ Schon in den 1980er Jahren hat die Arbeitsgruppe Umwelt-Nanoanalytik<br />

die PIXE-Methode für umwelt- und gesundheitsrelevante<br />

Themen eingesetzt. In Kooperation<br />

mit dem GSF-Institut für Strahlenbiologie wurde 1984 im<br />

Rahmen von Studien zur Tumortherapie untersucht, ob<br />

und wie viel Platin der Körper nach Einnahme von Cis-<br />

Platin-Präparaten aufnimmt. 1985 begannen Analysen<br />

von Umweltaerosolen aus dem <strong>München</strong>er Straßenge-


Immer auf dem neuesten Stand:<br />

Helmut Niedermeier, Techniker am<br />

Institut für Strahlenschutz, ändert<br />

die Experimentiereinrichtung den<br />

aktuellen Bedürfnissen entsprechend.<br />

Foto: Bernd Müller<br />

biet, die schließlich in eine Zusammenarbeit<br />

mit dem GSF-Institut für<br />

Epidemiologie mündeten. Mit mehr<br />

als 6 000 charakterisierten Aerosolen<br />

hat der Van-de-Graaff-Beschleuniger<br />

hier seinen derzeitigen Einsatzschwerpunkt<br />

gefunden.<br />

■ Manchmal klärte die Anlage mit<br />

ihrem breiten Anwendungsspektrum<br />

auch ungewöhnliche Fragen.<br />

Menzel erinnert sich, wie die Gruppe<br />

einen angeblich aus dem Jahr 1787<br />

aus den Pariser Beständen des späteren<br />

amerikanischen Präsidenten<br />

Thomas Jefferson stammenden Bordeaux-Wein<br />

unter die Lupe nahm:<br />

„Wir fanden eine extrem hohe Bleikonzentration,<br />

als deren Ursache<br />

man ein Stück Bleifolie am Boden<br />

der Flasche fand. Ein Authentizitätsbeweis<br />

war damit nicht mehr möglich.<br />

Klarheit brachte die Bestimmung<br />

des Tritiumgehalts am Institut<br />

für Radiohydrometrie. Demnach war<br />

der Wein etwa 30 Jahre alt!“<br />

■ Sibylle Kettembeil<br />

Literatur:<br />

J. Cyris et al.: Elemental composition and<br />

sources of fine and ultrafine ambient particles in<br />

Erfurt, Germany. The Science of the Total Environment<br />

305 (2003) 143-156.<br />

N. Menzel, P. Schramel and K. Wittmaack:<br />

Elemental compostion of aerosol particulate matter<br />

collected on membrane filters: A comparison<br />

of results by PIXE and ICP-AES. Nucl. Instum. Methods<br />

Phys. Res. B 189 (2002) 94-99.<br />

H. Halder, N. Menzel, B. Hietel and K. Wittmaack:<br />

A new analysis chamber with a rotating<br />

target holder for total-sample PIXE analysis of aerosol<br />

deposits collected in Berner Impactors.<br />

Nucl. Instum. Methods Phys. Res. B 150 (1999)<br />

90-95.<br />

60 Jahre nach der<br />

Überlebende in Hiroshima und Nagasaki liefern<br />

Am 6. und 9. August 2005<br />

jährten sich zum 60. Mal<br />

die Atombombenabwürfe<br />

über Hiroshima und Nagasaki.<br />

Weite Teile beider Städte wurden<br />

damals beinahe vollständig zerstört<br />

und bis Ende 1945 sind etwa<br />

200 000 Menschen gestorben – entweder<br />

direkt durch die Druckwelle<br />

und die Hitze der Explosionen oder<br />

durch hohe Dosen ionisierender<br />

Gamma- und Neutronenstrahlung.<br />

■ Aber auch viele Einwohner, die<br />

dem atomaren Inferno entgangen<br />

waren, litten später unter Strahlenschäden.<br />

An diesen Überlebenden,<br />

den so genannten Hibakusha,<br />

konnten Forscher die Folgen der<br />

ionisierenden Strahlung untersuchen,<br />

so dass es heute möglich ist,<br />

Grenzwerte festzulegen.<br />

■ Seit 1950 werden in einer gemeinsamenjapanisch-amerikanischen<br />

Studie etwa 120 000 Überlebende<br />

medizinisch überwacht und<br />

biostatistische und dosimetrische<br />

Analysen durchgeführt. Neben den<br />

Spätfolgen muss auch die Strahlendosis<br />

bekannt sein, der die<br />

Überlebenden ausgesetzt<br />

waren. Deshalb<br />

musste<br />

jeder Hibakushagenauangeben,<br />

wo er<br />

sich zum<br />

Zeitpunkt<br />

der Explosion der Bomben aufgehalten<br />

hatte: wie weit von der Abwurfstelle<br />

entfernt, im Freien oder hinter<br />

Mauern. Mittels Computersimmulationen<br />

ermittelten die Forscher dann<br />

die individuelle Strahlendosis.<br />

Während die Gammastrahlung bereits<br />

in den 1960er Jahren erstmals<br />

experimentell überprüft werden<br />

konnten, gelang es erst jetzt Dr. Werner<br />

Rühm vom GSF-Institut für<br />

Strahlenschutz gemeinsam mit Kollegen<br />

der LMU und TU <strong>München</strong>,<br />

aus den USA und Japan Spuren der<br />

damals ebenfalls freigesetzten hochenergetischen<br />

Neutronen zu messen.<br />

■ Das von ihnen entwickelte Verfahren<br />

nutzt aus, dass die während den<br />

Explosionen freigesetztenNeutronen<br />

in kupferhaltigenDachrinnen<br />

und BlitzableiterneinzelneKupfer-Atome<br />

in radioaktives<br />

Nickel umwandelten.


Bombe<br />

angzeitdaten<br />

„Uns gelang es, diese Nickelatome<br />

nachzuweisen und so die ursprünglichen<br />

Neutronendosen zu berechnen“,<br />

so Rühm.<br />

■ Im Einzelfall kann man leider bislang<br />

nicht erkennen, ob Leukämie<br />

und Krebs durch radioaktive Strahlung<br />

oder durch andere, unbekannte<br />

Faktoren verursacht wurde. Nur der<br />

Vergleich bestrahlter mit praktisch<br />

nicht bestrahlten Personengruppen<br />

zeigt, wie viele Krankheitsfälle strahlungsbedingt<br />

sind.<br />

■ „In den ersten Jahren fielen besonders<br />

die häufigen Leukämien<br />

auf“, berichtet Rühm. Später normalisierte<br />

sich diese Zahl wieder.<br />

„Zwischen 1950 und 2000 starben<br />

etwa 296 von 87 000 Überlebenden<br />

an Leukämie, 93 davon werden heute<br />

der ionisierenden Strahlung<br />

durch die Atombombenexplosionen<br />

zugeordnet“, erklärt der Strahlenschutzexperte.<br />

Anders bei Krebs:<br />

Hier gab es im selben Zeitraum in<br />

der gleichen Gruppe der Überle-<br />

benden insgesamt 10 127 Todesfälle.<br />

Erwartet würden in einer unbestrahlten<br />

Vergleichsgruppe 9 648, so dass<br />

man von 479 zusätzlichen, durch die<br />

Verstrahlung hervorgerufenen Krebstoten<br />

ausgeht. Noch heute erkranken<br />

deutlich mehr Überlebende an<br />

Krebs und man vermutet, dass in<br />

Zukunft noch mindestens 500 weitere<br />

strahlenbedingte Krebsfälle auftreten<br />

werden.<br />

■ Auch könnten die Hibakusha<br />

bei hohen Dosen vermehrt an Herzkreislauferkrankungen<br />

leiden. Wie<br />

ionisierende Strahlen zu derartigen<br />

Krankheiten führen können, soll die<br />

Studie in Zukunft klären.<br />

■ Ob Kinder der Hibakusha häufiger<br />

Erbschäden haben, ist bisher noch<br />

nicht bewiesen. Möglicherweise blieben<br />

diese Abweichungen bisher einfach<br />

unter den statistischen Schwankungen<br />

der normalerweise auftretenden<br />

genetischen Veränderungen verborgen.<br />

Fest steht jedoch, dass die<br />

Strahlen zu Fehlbildungen bei Embryo<br />

und Fötus führen: Etwa 30 Mütter<br />

Menschen, die zusätzlich<br />

erhöhter Strahlung durch<br />

die Atombomben ausgesetzt<br />

waren, erkrankten<br />

deutlich häufiger an Leukämie<br />

(rot hinterlegte Fläche)<br />

als Personen einer<br />

Vergleichsgruppe ohne<br />

zusätzliche Bestrahlung<br />

(grau hinterlegte Fläche).<br />

Grafik: A. M. Kellerer<br />

gebaren Kinder mit schweren geistigen<br />

Behinderungen. „Das Zentralnervensystem<br />

– insbesondere das<br />

sich entwickelnde Gehirn in<br />

der neunten bis zur 15. Schwangerschaftswoche<br />

– weist unter allen<br />

Organen die höchste Strahlenempfindlichkeit<br />

auf“, erläutert Rühm.<br />

■ „Nur wenn wir die Studien auch in<br />

Zukunft fortführen, können wir umfassende<br />

Aussagen über die schädlichen<br />

Folgen der Strahlen machen<br />

und durch Grenzwerte schützen“,<br />

betont Rühm.<br />

■ W. R. / Gö<br />

Literatur:<br />

T. Straume et al.: Measuring fast neutrons in<br />

Hiroshima at distances relevant to atomic-bomb<br />

survivors. Nature 424 (2003) 539-542 and Nature<br />

430 (2004) 483.<br />

D. L. Preston: et al.: Studies of Mortality of<br />

Atomic Bomb Survivors. Report 13: Solid Cancer<br />

and Noncancer Disease Mortality: 1950-1997. Radiat.<br />

Res. 160 (2003) 381-407.<br />

D. L. Preston et al.: Effect of Recent Changes in<br />

Atomic Bomb Dosimetry on Cancer Mortality Risk<br />

Estimates. Radiat. Res. 162 (2004) 377-389.<br />

Hiroshima & Nagasaki: Leukämie-Häufigkeit<br />

Jahr<br />

mit Bestrahlung<br />

spontan<br />

An die katastrophalen Folgen der<br />

Atombombe soll die Ruine der ehemaligen<br />

Industrie- und Handelskammer<br />

in Hiroshima erinnern: Alle zum<br />

Zeitpunkt des Atombombenabwurfs<br />

1945 darin arbeitenden Menschen<br />

starben. Die trotz des geringen Abstands<br />

von 160 Metern vom Hypozentrum<br />

erhaltenen Gebäudestrukturen<br />

der so genannten Atombombenkuppel<br />

gehören seit 1996 zum<br />

Weltkulturerbe der UNESCO.<br />

Foto: AIHARA, Hidetsugu


Verlassenes Metlino: 1954 mussten die 1000 Einwohner wegen der hohen Kontamination der Sedimente und Uferbereiche<br />

der Techa evakuiert werden. Ursache waren die flüssigen Abfälle der Produktionsgenossenschaft Mayak,<br />

die sieben Kilometer flussaufwärts von Metlino eingeleitet wurden. Foto: Heinz-Jörg Haury<br />

SOUL im Südural<br />

Sowjetische Kernwaffenproduktion verstrahlt Anwohner<br />

Southern Urals Radiation Risk<br />

Research (SOUL) heißt ein<br />

internationales Forschungsprojekt,<br />

welches das Gesundheitsrisiko<br />

durch andauernde Strahlenexposition<br />

erforscht. Wissenschaftler<br />

aus Deutschland, England, Griechenland,<br />

Italien, den Niederlanden,<br />

Schweden und Russland nehmen<br />

an dem von der Europäischen<br />

Kommission mit 6,8 Millionen Euro<br />

geförderten Vorhaben teil. Koordinator<br />

ist Dr. Peter Jacob vom GSF-<br />

Institut für Strahlenschutz. SOUL<br />

wird im Südural in Zusammenarbeit<br />

mit Projekten durchgeführt,<br />

die das US-Department of Energy<br />

und die National Cancer Institutes<br />

(Washington) fördern.<br />

■ In Ozyorsk, einer Stadt mit rund<br />

60 000 Einwohnern, wurde ab 1948<br />

Plutonium für den Bau von Kernwaffen<br />

in Kernreaktoren erbrütet<br />

und in einem radiochemischen<br />

Werk zu waffenfähigem Material<br />

verarbeitet. Heute werden dort Radionuklide<br />

für technische und medizinische<br />

Zwecke produziert und<br />

abgebrannte Brennstäbe aufbereitet.<br />

Die erhebliche Strahlenexposition<br />

betraf nicht nur die Arbeiter,<br />

sondern auch weite Teile der Bevölkerung,<br />

weil radioaktive Abfälle<br />

in den Fluss Techa geleitet wurden.<br />

Flussabwärts verwendeten die Anwohner<br />

das kontaminierte Wasser<br />

als Trinkwasser und bewässerten<br />

mit ihm ihre Gärten. Mit dem verstrahlten<br />

Sediment kamen sie beim<br />

Fischen und Baden in Kontakt. Der-<br />

art über lange Zeit belastet bieten<br />

sie die einmalige Gelegenheit, gesundheitliche<br />

Folgen einer solchen<br />

Exposition an einer großen Kohorte<br />

zu untersuchen. Das bisherige Wissen<br />

über Strahlenwirkungen bei<br />

Menschen stammt vor allem von<br />

den Überlebenden der Atombombenabwürfe<br />

in Japan, wo die Bedingungen<br />

– eine sehr hohe akute<br />

Dosis von Gammastrahlung – völlig<br />

Ziegelsteinproben aus der Wand des<br />

ehemaligen Kornspeichers in Metlino<br />

(siehe Pfeile) brachten die hohe<br />

Strahlenbelastung ans Licht: Zehnmal<br />

höher war die in ihnen enthaltene<br />

Strahlendosis als die, die sich<br />

natürlicher Weise seit der Produktion<br />

der Ziegelsteine vor 135 Jahren ansammeln<br />

würde. Foto: Nick Bougrov<br />

anders waren. Mit SOUL können<br />

erstmals nicht nur die schädlichen<br />

Folgen von über längere Zeiträume<br />

oder fraktioniert auftretenden Gammastrahlen,<br />

sondern auch die von<br />

Plutonium (Alphastrahler) und<br />

Strontium (Betastrahler) untersucht<br />

werden.<br />

■ Daten für die SOUL-Studien liefern<br />

zwei große Gruppen: 19 000 vor<br />

1972, also zu Zeiten hoher Belastung,<br />

eingestellte Arbeiter und<br />

30 000 Anwohner der Techa. In beiden<br />

Bevölkerungsgruppen sollen<br />

die Todes- und Krankheitsfälle durch<br />

Leukämien, solide Tumoren – insbesondere<br />

in Lunge, Mastdarm und<br />

Magen – sowie durch Herzkreislauferkrankungen<br />

untersucht werden.<br />

■ Die GSF-Forscher wollen vor allem<br />

die damalige Strahlenstärke ermitteln.<br />

Die seinerzeit verwendeten<br />

Filmdosimeter wurden rekonstruiert<br />

und im Sekundärstandardlabor<br />

der GSF unterschiedlichen Photonenenergien<br />

unter verschiedenen<br />

Winkeln ausgesetzt. Es zeigte sich<br />

eine starke Energieabhängigkeit:<br />

Die Dosimeter sprachen viel stärker<br />

auf niederenergetische Photonen<br />

an als auf hochenergetische.<br />

Um die für das radiochemische<br />

Werk typische Strahlung niedriger<br />

Energie nicht überzubewerten, berechneten<br />

die Forscher Korrekturfaktoren.<br />

■ Die Gesamtstrahlendosis einer<br />

Person bestimmten die Wissenschaftler,<br />

indem sie den Zahnschmelz<br />

der Probanden mithilfe


Der aufbereitete Zahnschmelz wird<br />

in den Mikrowellenresonator zwischen<br />

den beiden großen Permanentmagneten<br />

eingeführt. Mit den<br />

elektronenparamagnetischen Resonanzmessungen<br />

können auch relativ<br />

kleine Strahlendosen nachgewiesen<br />

werden. Foto: Albrecht Wieser<br />

des elektronenparamagnetischen<br />

Resonanzverfahrens analysierten.<br />

Danach verglichen sie die erhobenen<br />

Daten mit den korrigierten Werten<br />

der Filmdosimeter. Obwohl die<br />

Werte übereinstimmen sollten, ergaben<br />

sich teilweise erhebliche Abweichungen.<br />

„Manchmal hat das<br />

einen einfachen Grund, etwa dass<br />

jemand eine Strahlentherapie<br />

durchgemacht hat“, erklärt Jacob.<br />

Für die hohen Expositionen in den<br />

ersten Jahren ergeben die Zahnmessungen<br />

aber systematisch niedrigere<br />

Ergebnisse. Hier soll SOUL<br />

ebenso Klarheit schaffen wie bei ei-<br />

Magenkrebs ist die zweithäufigste Krebstodesursache<br />

bei Männern und die dritthäufigste<br />

bei Frauen. Weil der Tumor oft erst<br />

spät entdeckt wird, sind die Heilungschancen<br />

gering. Vor allem, wenn sich einzelne<br />

Tumorzellen oder kleine Metastasen bereits<br />

in der Bauchhöhle ausgebreitet haben, gibt<br />

es derzeit keine zufrieden stellende Behandlung.<br />

Chemotherapie und Bestrahlung sind<br />

momentan Standard, haben aber aufgrund<br />

ihres unspezifischen Wirkprinzips nur geringe<br />

Erfolgsquoten mit gravierenden Nebenwirkungen.<br />

Ein von der Ascenion GmbH vermittelter<br />

Lizenzvertrag ermöglicht nun, dass eine gezielte<br />

Therapie von Magenkrebs vorangetrieben<br />

werden kann: GSF-Forscher hatten<br />

herausgefunden, dass sich E-Cadherin her-<br />

nem weiteren überraschenden Befund:<br />

Das Krebsrisiko der Techa-Anwohner<br />

ist möglicherweise stärker<br />

erhöht als das der Atombomben-<br />

Überlebenden. Angesichts der kürzeren<br />

Expositionszeit, also der höheren<br />

Dosisrate in Japan, hatte man<br />

das Gegenteil erwartet.<br />

■ <strong>Eine</strong> mögliche Ursache für diese<br />

Abweichung ist, dass die Strahlenexposition<br />

der Techa-Anwohner unterschätzt<br />

wurde. Um das zu prüfen,<br />

haben GSF-Forscher Ziegelsteine<br />

aus einem 1956 umgesiedelten Ort<br />

untersucht, an denen sich die absolute<br />

Strahlendosis seit Produktion<br />

der Ziegel ablesen lässt. Die Werte<br />

liegen 20 Prozent über den heute<br />

verwendeten Dosiswerten, eventuell<br />

durch kurzlebige Radionuklide bedingt,<br />

die von den in den frühen<br />

50er Jahren begonnenen Messungen<br />

nicht mehr erfasst wurden. „Da<br />

das Gebiet jedoch geflutet wurde,<br />

sind die aus den Ziegeln abgeleiteten<br />

Daten mit Vorsicht zu betrachten“,<br />

so Jacob. Im Rahmen von<br />

SOUL will man nun Ziegel aus einem<br />

78 Kilometer von der Produktionstätte<br />

entfernten Ort analysieren.<br />

■ Sibylle Kettembeil<br />

Literatur:<br />

Patente + Technologietransfer<br />

M. O. Degteva et al.: EPR- and FISH-based<br />

investigations of individual doses for persons<br />

living at Metlino in the upper reaches of the<br />

Techa River. Health Phys. 88 (2005) 139-153.<br />

P. Jacob et al.: On an evaluation of external<br />

dose values in the Techa River Dosimetry System<br />

2000. Radiat. Environ. Biophys. 42 (2003) 169-174.<br />

S. A. Romanov et al.: Studies on the Mayak<br />

nuclear workers: Dosimetry Radiat. Environ.<br />

Biophys. 41 (2002) 23-28.<br />

Gezielte Therapie von Magenkrebs<br />

Antikörper aus GSF-Forschung an Actinium Pharmaceuticals lizenziert<br />

vorragend als Angriffspunkt eignet, weil es<br />

ausschließlich auf Krebszellen vorkommt,<br />

besonders häufig auf jenen des diffusen<br />

Magenkrebses. Sie entwickelten daraufhin<br />

Antikörper gegen mutierte Formen von<br />

E-Cadherin (E8- und E9-Cadherin) und übertrugen<br />

Actinium Pharmaceuticals exklusiv<br />

die globalen Rechte.<br />

Actinium wird die Antikörper mit �-Strahlern<br />

koppeln und für die zielgenaue Therapie<br />

von Magenkrebs weiter entwickeln.<br />

„Die Antikörper wandern direkt zu den<br />

Krebszellen und lassen diese absterben,<br />

während gesunde Zellen verschont bleiben“,<br />

kommentiert Howard Wachtler, Geschäftsführer<br />

von Actinium Pharmaceuticals.<br />

Die mittlere Überlebenszeit von Mäusen,<br />

deren Bauchhöhle mit Krebszellen in-<br />

Kurz notiert<br />

■ PD Dr. Annette Peters,<br />

Institut für Epidemiologie, erhielt die<br />

mit 2 500 Euro dotierte Johann-Peter-Süßmilch-Medaille<br />

verliehen. Die<br />

Gesellschaft für medizinische Informatik,<br />

Biometrie und Epidemiologie<br />

zeichnete damit eine Forschungsarbeit<br />

der GSF-Wissenschaftlerin über<br />

den Zusammenhang zwischen Verkehrsbelastung<br />

und dem Auftreten<br />

von Herzinfarkt aus.<br />

■ Dr. Oliver Puk, Institut für Entwicklungsgenetik,<br />

wurde auf dem<br />

Jahreskongress der European Association<br />

for Eye and Vision Researchers<br />

mit dem Posterpreis für den<br />

Bereich Molekularbiologie, Genetik<br />

und Epidemiologie ausgezeichnet.<br />

Das preisgekrönte Poster beschreibt<br />

eine neue Mutation, die Einfluss auf<br />

die frühe Augenentwicklung hat,<br />

und ist aus einer Zusammenarbeit<br />

zwischen den GSF-Instituten für Entwicklungsgenetik<br />

und Experimentelle<br />

Genetik entstanden.<br />

■ Prof. Dr. Ing. Piotr Maloszewski,<br />

Institut für Grundwasserökologie,<br />

wurde für drei Jahre ins Editorial<br />

Advisory Board des Journal of<br />

Hydrology berufen.<br />

■ Prof. Dr. Dr. H.-Erich Wichmann,<br />

Institut für Epidemiologie,<br />

bekam die Bayerische Staatsmedaille<br />

für Verdienste um Umwelt und<br />

Gesundheit von Staatsminister<br />

Dr. Werner Schnappauf verliehen.<br />

Mit dieser Auszeichung würdigt der<br />

bayerische Staat Personen oder Vereinigungen,<br />

die sich besondere Verdienste<br />

um den Natur- und Umweltschutz,<br />

um Gesundheit oder den<br />

Schutz der Verbraucher erworben<br />

haben.<br />

filtriert war, konnte durch die Therapie mit<br />

einem an 213 Bi gekoppelten Antikörper<br />

gegen E9-Cadherin wesentlich verlängert<br />

werden.<br />

In dem Lizenzvertrag wurde festgelegt,<br />

dass die GSF von Actinium eine Vorabzahlung<br />

sowie Meilensteinzahlungen und Lizenzgebühren<br />

erhält, die mit fortschreitender<br />

Entwicklung und Kommerzialisierung<br />

der Antikörper fällig werden.<br />

Auskunft über GSF-Patente sowie<br />

Informationen zum Technologietransfer<br />

erhalten Sie bei:<br />

Dr. Martin Dietz<br />

Patente & Technologietransfer<br />

Tel.: 089/3187-1210<br />

E-Mail: dietz@gsf.de


Oberflächliche Unterschiede<br />

Blattgemüse werden verschieden stark radioaktiv belastet<br />

Ob Gemüsesorten unterschiedlich stark radioaktiv<br />

belastet werden, wollte die Forschergruppe um<br />

Dr. Jochen Tschiersch vom GSF-Institut für Strahlenschutz<br />

wissen. Um radio-ökologische Modellberechnungen<br />

zu verbessern, nahmen sie Blattgemüse ins Visier.<br />

Bisher wurden radioaktive Ablagerungen hauptsächlich<br />

an Gräsern oder Bäumen, vereinzelt auch an Spinat<br />

oder Reis, vornehmlich aber an einzelnen Pflanzen mit<br />

glatter Oberfläche untersucht.<br />

■ Die GSF-Wissenschaftler wollten statistisch aussagekräftige<br />

Erkenntnisse: In einer großen Versuchskammer<br />

mit 80 Pflanzencontainern setzten sie diverse Frühlingsblattgemüse<br />

mit sehr unterschiedlichen Oberflächeneigenschaften<br />

wie Endiviensalat, Kopfsalat und Eichblattpflücksalat<br />

beziehungsweise Spinat als Referenzgemüse,<br />

aber auch Sommerblattgemüse wie Grün- und Weißkohl<br />

einen Tag lang zwei radioaktiven Stoffen aus. Um die beiden<br />

wichtigsten Ablagerungsvorgänge zu simulieren,<br />

wählten sie elementares Jod ( 131 J) als Modell für eine<br />

gasförmige und Caesium ( 134 Cs) beispielhaft für eine<br />

Partikel-Deposition.<br />

Expositionskammern schaffen identische Bedingungen:<br />

Unterschiede sind daher allein auf die verschiedenen<br />

Pflanzenarten zurückzuführen. Grafik: Jochen Tschiersch<br />

■ Die Forscher achteten dabei auf verschiedene Parameter:<br />

Generell gilt, dass die Menge der Ablagerungen von<br />

der Geschwindigkeit abhängt, in der sich die Stoffe niederschlagen.<br />

Diese wiederum wird bei partikelgebundenen<br />

Radionukliden wie Caesium von der Größe der ausgewählten<br />

Trägerteilchen beeinflusst. „Wir erzeugten<br />

deshalb ein Aerosol, in dem Caesium an Latexpartikel<br />

möglichst gleicher Größe (durchschnittlich etwa 0,8<br />

Mikrometer – ähnlich wie die von Tschernobyl) gebunden<br />

ist“, erklärt Tschiersch.<br />

■ Dass sich alle Pflanzen im selben Wachstumszustand<br />

befanden, war Dank der Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl<br />

für Gemüsebau an der TU <strong>München</strong> kein Problem.<br />

■ Die Wissenschaftler bestimmten Trocken- und Frischgewicht<br />

der Pflanzen sowie deren Wasserdampfaustausch<br />

oder Blattoberfläche und -index. Beleuchtungsintensität,<br />

CO 2 -Gehalt, Luftfeuchtigkeit und -temperatur wählten sie<br />

so, dass die verschließbaren Atemporen auf der Blattunterseite<br />

tagsüber offen für die Aufnahme der radioaktiven<br />

Stoffe blieben.<br />

20 verschiedene Sommer- und Wintergemüsearten im selben<br />

Wachstumszustand wurden einen Tag radioaktivem<br />

Jodgas und Cäsiumaerosol ausgesetzt, bevor sie auf ihren<br />

Radionuklid-Gehalt untersucht wurden. Foto: Jochen Tschiersch<br />

■ Es zeigte sich, dass Pflanzen mit geschlossenen Köpfen<br />

wie Kopfsalat und Weißkohl unabhängig von der radioaktiven<br />

Substanz insgesamt weit weniger belastet sind. Vor<br />

allem Weißkohl ist durch einen wachsartigen Überzug am<br />

besten geschützt.<br />

■ Jod konnten die Mitarbeiter besonders im Spinat nachweisen.<br />

Verantwortlich sind vermutlich die zahlreich vorhandenen<br />

Blattöffnungen, über die das Jodgas in die Pflanze<br />

eindringt. Caesium enthielten besonders Pflanzen mit<br />

freistehenden, stark strukturierten Blättern wie Spinat,<br />

Eichblattpflücksalat und Grünkohl.<br />

■ Interessiert hat das Team nun, inwieweit sich die Radionuklide<br />

abwaschen lassen: Während sich die Radioaktivität<br />

des partikelgebundenen Caesium um bis zu 45 Prozent<br />

verringerte, ließ sich Jod nur um ein Zehntel reduzieren.<br />

„Vermutlich, weil gasförmiges Jod von der Pflanze aufgenommen<br />

und dort fixiert wird“, so Tschiersch.<br />

■ In Zukunft können Forscher nun – etwa nach einem Störfall<br />

– schneller und differenzierter warnen: Vor allem auf<br />

Gemüse mit großer Oberfläche sollten Verbraucher in dieser<br />

Zeit verzichten.<br />

■ Susanne Stoll<br />

Literatur:<br />

J. Tschiersch et al.: Unterschiede bei der Ablagerung von Radionukliden auf<br />

verschiedenen Blattgemüsearten. GSF-Bericht 11/03, Institut für Strahlenschutz<br />

der GSF mit TU <strong>München</strong> Weihenstephan, Lehrstuhl für Gemüsebau.<br />

J. Tschiersch, T. Shinonaga, H. Heuberger: Dry deposition of particulate Cs-<br />

134 to several leafy vegetable species and comparison to deposition of gaseous<br />

Radioiodine. Radioprotection, Suppl.1, vol. 40 (2005) 471-476.


Rechnen gegen Rauschen<br />

Doppelt so viele Röntgenbilder mit insgesamt halber Strahlendosis<br />

Von allen Krebsarten fordert der<br />

Brustkrebs die meisten Todesopfer<br />

unter Krebspatientinnen,<br />

und man rechnet mit jährlich 42 000<br />

Neuerkrankungen. Deshalb ist im Juli<br />

2005 eine Studie angelaufen, die klären<br />

soll, ob Mammografie als generelle<br />

Vorsorgeuntersuchung sinnvoll ist.<br />

■ In mehreren Städten können Frauen<br />

ab 50 ein- bis zweimal im Jahr eine<br />

Mammografie vornehmen lassen.<br />

Auch <strong>München</strong> beteiligt sich an dem<br />

Mammografie-Screening, das hier<br />

noch einen weiteren Zweck erfüllen<br />

soll: Ein Verfahren in der Praxis zu testen,<br />

das auf rechnerischem Weg das<br />

bei Röntgenbildern unvermeidliche<br />

Rauschen und damit auch die Strahlenbelastung<br />

verringern soll. Verantwortlich<br />

für das „Wavelet-Verfahren“<br />

ist Dr. Christoph Hoeschen, Leiter der<br />

Arbeitsgruppe Medizinphysik am GSF-<br />

Institut für Strahlenschutz. Mit einem<br />

schwedischen Team hat er die Methode<br />

bereits an Aufnahmen der Lunge<br />

erfolgreich angewendet.<br />

■ Bei Röntgenaufnahmen gibt es ge-<br />

nerell zwei störende Rauschquellen,<br />

das technische und das von Hoeschen<br />

anatomisch genannte Rauschen. Zum<br />

technischen Rauschen kommt es, weil<br />

man nur eine begrenzte Anzahl von<br />

Röntgenquanten durch das Gewebe<br />

schicken kann, um die Strahlenexposition<br />

gering zu halten. An Stellen, wo<br />

die Strahlen auf Gewebestrukturen<br />

treffen, ist die Intensität der Signale<br />

groß; wo Rauschen vorherrscht, ist sie<br />

klein. Es gilt also das Minimum an<br />

Quanten herauszufinden, das aussagefähige<br />

Bilder liefert, ohne dass die<br />

eigentliche Information verloren geht.<br />

Gerade im Mammogramm kann<br />

schon eine kleine Veränderung im Gewebe<br />

auf Krebs hinweisen.<br />

■ Ursache des anatomischen Rauschens<br />

ist, dass sich beim Röntgen<br />

auf nur einem Bild – anders als etwa<br />

bei der Computertomografie mit sehr<br />

vielen Aufnahmen – verschiedene<br />

Strukturen überlagern und nur schwer<br />

voneinander zu trennen sind.<br />

■ Die GSF-Wissenschaftler wollen das<br />

Problem mit zwei Bildern statt nur einem<br />

lösen. Zwei Bildern, die sehr kurz<br />

hintereinander geschossen werden<br />

und sich deshalb minimal unterscheiden.<br />

Sie werden jeweils in so genannte<br />

Wavelet-Komponenten zerlegt und<br />

nach verschiedenen Detailgrößenskalen<br />

aufbereitet. Es entstehen von jeder<br />

Aufnahme mehrere Sätze von Bildern<br />

mit großen oder kleinen Details, die<br />

dann miteinander verknüpft werden.<br />

Der Vergleich zeigt: Wo Signale sind,<br />

also echte Gewebestrukturen, ist die<br />

Korrelation groß, bei Rauschen dagegen<br />

gering. So kann man für jede Detailgröße<br />

eine Schwelle bestimmen,<br />

unterhalb derer Signale verworfen<br />

werden. Rechnet man nun zurück auf<br />

das ursprüngliche Bild, kommen die<br />

Strukturen viel klarer heraus. Das<br />

störende Rauschen ist um bis zu 70<br />

Prozent vermindert.<br />

So wie hier auf der rechten Abbildung alle Formen kontrastreicher abgebildet<br />

sind, sieht man auch Gewebestrukturen auf dem Röntgenbild schärfer, wenn das<br />

„Wavelet-Verfahren“ das technische Rauschen minimiert hat. Foto: Christoph Hoeschen<br />

Möglichst hoch aufgelöst mit minimaler<br />

Strahlendosis soll das Brustgewebe bei<br />

einer Mammographie dargestellt werden.<br />

Foto: Siemens Med Archiv – Medical Solutions Archives<br />

■ Dass bei dem Verfahren zwei Aufnahmen<br />

nötig sind, ist kein Nachteil,<br />

denn dank des Rausch-Reduktions-Algorithmus<br />

braucht man viel weniger<br />

Strahlen: Auf die Hälfte oder gar ein<br />

Viertel will Hoeschen die notwendige<br />

Dosis zurückfahren. Und er hofft, dass<br />

sich die Methode im Mammografie-<br />

Screening ebenso bewährt wie bisher<br />

im Modell, einem nur im Computer<br />

existierenden Phantom, das amerikanische<br />

Wissenschaftler auf Grundlage<br />

von über 2 000 Mammogrammen entwickelt<br />

haben. Gibt es grünes Licht, ist<br />

die neue Aufnahmetechnik schnell<br />

und recht unkompliziert auf die heute<br />

verwendeten Geräte übertragbar: Die<br />

Röntgenröhre müsste sich zwischen<br />

den beiden Aufnahmen ganz leicht<br />

verschieben, so dass ein automatisches<br />

Verwackeln eingebaut ist und<br />

der integrierte Rechner müsste aufgerüstet<br />

werden. Dann wäre das Verfahren<br />

sehr bald einsetzbar und würde<br />

kaum Mehraufwand bedeuten. Anders<br />

als im Praxistest müssen im Routinebetrieb<br />

nämlich keine Daten mehr zum<br />

Überprüfen der Methode umgeleitet<br />

werden.<br />

■ Sibylle Kettembeil<br />

Literatur:<br />

O. Tischenko et al.: Reduction of Anatomical<br />

Noise in Medical X-Rays Images. Radiation<br />

Protection Dosimetry 114 (2005) 69-74.<br />

C. Hoeschen et al.: Comparison of Technical and<br />

Anatomical Noise in Digital Thorax X-Rays Images.<br />

Radiation Protection Dosimetry 114 (2005) 75-80.<br />

O. Tischenko et al.: Evaluation of a Novel Method<br />

of Noise Reduction Using Computer-simulated<br />

Mammograms. Radiation Protection Dosimetry 114<br />

(2005) 81-84.


Doktorandenpreise<br />

und Erfolgsrezepte<br />

in der Wissenschaft<br />

Die Autumn Lecture 2005 in der GSF<br />

Erfolg auf Bestellung“ lautete<br />

das Thema der diesjahrigen Autumn<br />

Lecture im Rahmen der<br />

Jahrestagung des Vereins der Freunde<br />

und Förderer der GSF. Der neue<br />

Präsident der <strong>Helmholtz</strong>-Gemeinschaft,<br />

Prof. Dr. Jürgen Mlynek, war<br />

der Einladung von GSF-Geschäftsführer<br />

Prof. Dr. Dr. Ernst-Günter Afting<br />

gefolgt und stellte in Neuherberg<br />

Für die herausragende fachübergreifende<br />

Zusammenarbeit überreichte der Verein der<br />

Freunde und Förderer der GSF den mit 5 000<br />

Euro dotierten Paula und Richard von Hertwig-<br />

Preis: Acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />

wurden damit für ihre grundlegende<br />

Arbeit über die pflanzliche Immunität bei der Einwirkung<br />

einer bakteriellen Substanz geehrt.<br />

■ Die Preisträger sind Dana Zeitler, GSF-Institut<br />

für Biochemische Pflanzenpathologie, Prof. Ulrich<br />

Zähringer, Forschungszentrum Borstel, Abteilung<br />

Immunchemie, PhD Isak Gerber und Prof. Ian Dubery,<br />

beide Department of Biochemistry der Rand<br />

Afrikaans University in Johannesburg, Dr. Thomas<br />

Hartung, Universität Konstanz, Biochemische<br />

Pharmakologie, Dr. Wolf Bors, GSF-Institut für<br />

Strahlenbiologie, Dr. Peter Hutzler, GSF-Institut für<br />

Pathologie und Dr. Jörg Durner, GSF-Institut für<br />

Biochemische Pflanzenpathologie. mvdh/ck<br />

seine Gedanken über „Rezepte für<br />

exzellente Forschung“ vor.<br />

■ Festlicher Höhepunkt war die Verleihung<br />

der Doktorandenpreise. Dr.<br />

Ulrike Gehring, Dr. Henning Gohlke<br />

und Dr. Sibille Humme konnten für<br />

ihre herausragenden Dissertationen<br />

die vom Genossenschaftsverband<br />

Bayern mit jeweils 1500 Euro dotierten<br />

Preise entgegen nehmen.<br />

■ Dr. Ulrike<br />

Gehring, GSF-Institut<br />

für Epidemiologie,<br />

untersuchte in<br />

ihrer Dissertation<br />

bei Prof. Dr. Dr.<br />

Für ihre herausragendenDissertationen<br />

wurden<br />

Dr. Ulrike Gehring,<br />

Dr. Henning Gohlke<br />

und Dr. Sibille<br />

Humme mit den<br />

Doktorandenpreisen<br />

geehrt.<br />

Foto: Ursula Baumgart<br />

Paula und Richard von Hertwig-Preis<br />

Interdisziplinär vernetzt der pflanzlichen Immunität auf der Spur<br />

Prof. Dr. Jürgen Mlynek, neuer Präsident<br />

der <strong>Helmholtz</strong>-Gemeinschaft,<br />

forderte zu mehr Vernetzung, Kooperation<br />

und Wagemut auf, um die<br />

Spitzenforschung der GSF weiter<br />

voranzutreiben. Foto: Ursula Baumgart<br />

H.-Erich Wichmann den Zusammenhang<br />

zwischen der Exposition mit<br />

Endotoxinen und dem Risiko, an<br />

Asthma oder Allergien zu erkranken.<br />

■ Ebenfalls am GSF-Institut für Epidemiologie<br />

erforschte Dr. Henning<br />

Gohlke bei Wichmann die genetischen<br />

Ursachen von Asthma.<br />

■ Dr. Sibille Humme promovierte in<br />

der Abteilung Genvektoren, Arbeitsgruppe<br />

Prof. Dr. Wolfgang Hammerschmidt,<br />

über das Epstein-Barr Virus<br />

nukleäre Antigen 1 (EBNA1), ein für<br />

das Epstein-Barr Virus (EBV) lebensnotwendiges<br />

Protein.<br />

mvdh/ck<br />

Mit großem Erfolg interdisziplinär und international<br />

vernetzt arbeiten die Wissenschaftler Dr. Peter Hutzler,<br />

Dana Zeitler, Dr. Jörg Durner und Prof. Ulrich Zähringer.<br />

Nun wurden sie und vier weitere Forscher mit dem Paula<br />

und Richard von Hertwig-Preis ausgezeichnet.<br />

Foto: Ursula Baumgart


Geschwärzter Film<br />

Auswertungsstelle der GSF erfasst Strahlenbelastung von Arbeitnehmern<br />

Die Auswertungsstelle für<br />

Strahlendosimeter in der GSF<br />

(AWST) hat sich seit ihrer<br />

Gründung zu einem der wichtigsten<br />

Dienstleister im Strahlenschutz entwickelt.<br />

Die amtliche Messstelle ermittelt<br />

vor allem die Personendosis<br />

von Arbeitnehmern, die beruflich<br />

Strahlen ausgesetzt sind. Das sind<br />

derzeit in Deutschland über 330 000,<br />

von denen nahezu die Hälfte das Angebot<br />

der GSF annimmt. Diese rund<br />

162 000 Personen schicken monatlich<br />

nicht nur eine, sondern oft mehrere<br />

Filmmessstreifen aus den Dosimetern<br />

ein. Statt einigen hundert Filmen<br />

wie zu Beginn werden heute daher<br />

zwei Millionen pro Jahr ausgewertet.<br />

Überwacht werden Beschäftigte, die<br />

während ihrer Arbeitszeit eine jährliche<br />

Ganzkörperdosis von einem Millisievert<br />

und mehr erhalten könnten.<br />

Neben Forschern und medizinischem<br />

Personal zählen speziell die Mitarbeiter<br />

von Kernkraftwerken zu den belasteten<br />

Personen. Die Anzeige eines<br />

Dosimeters an einer repräsentativen<br />

Stelle der Körperoberfläche gilt dabei<br />

als Maß für die effektive Dosis.<br />

■ Neben den Filmdosimetern bietet<br />

die AWST mit dem Flachglasdosimeter<br />

ein zweites Ganzkörpermessinstrument<br />

an. Hinzu kommt das Thermolumineszenzdosimeter(TL-Dosimeter)<br />

in Fingerringen, die zum Beispiel<br />

von Ärzten in der Therapie getragen<br />

werden. Alle drei zählen zur<br />

passiven Dosimetrie, die zur staatlichen<br />

Vorsorge, also zum Überwachen<br />

der vorgegebenen Grenzwerte<br />

eingesetzt werden. Zwar können sie<br />

weder vor Strahlung warnen noch<br />

schützen, die Ergebnisse der Auswertungen<br />

helfen aber Zwischenfälle<br />

zu erkennen und in Zukunft zu verhindern.<br />

■ Das Funktionsprinzip eines Filmdosimeters<br />

ist relativ einfach: Ionisierende<br />

Strahlen wie Röntgen-, Gammaoder<br />

Betastrahlen verursachen so genannte<br />

Sekundärelektronen, wenn sie<br />

auf die vor dem Film platzierten speziellen<br />

Filter oder auf eine fotografische<br />

Emulsion auftreffen. Die durch die<br />

Sekundärelektronen entstehende<br />

Schwärzung des Films dient als Maß<br />

für die aufgestrahlte Dosis.<br />

■ Arbeitnehmer aus Überwachungsbereichen<br />

besitzen eine Kassette, in<br />

die jeden Monat ein neuer Film eingelegt<br />

wird. Die AWST wertet diese aus<br />

und ermittelt die Personendosis.<br />

Nur dieses hochauflösende Densitometer<br />

kann die verschiedenen Grauwerte<br />

der einzelnen Felder auf dem<br />

Film hinter den Filtern bestimmen.<br />

Ein aufwändiges Kalibrierverfahren<br />

ermittelt aus diesen Informationen<br />

dann die Personendosis.<br />

Foto: Bernd Müller<br />

■ Mittlerweile hat auf dem Markt eine<br />

kostengünstigere, leichter automatisierbare<br />

Variante Einzug gehalten:<br />

das so genannte Festkörperdosimeter.<br />

Die in solchen Festkörpern oder Kristallen<br />

durch Strahlung übertragene<br />

Energie wird gespeichert und kann<br />

später in der Messstelle etwa durch<br />

gezieltes Erhitzen des TL-Kristalls als<br />

kaltes Leuchten erfasst werden. Diese<br />

so genannte Lumineszenzstrahlung<br />

wird dann einer Personendosis zugeordnet.<br />

Meistens sind solche Kristalle<br />

wieder einsetzbar.<br />

■ <strong>Eine</strong> weitere, bisher hauptsächlich<br />

in den USA angewandte Variante<br />

sind die so genannten OSL-Dosimeter<br />

aus dünnem Aluminiumoxid. Hier<br />

wird die gespeicherte Energie optisch<br />

angeregt mittels Photodioden oder<br />

Laser gemessen. Im Gegensatz zu<br />

den Filmdosimetern kann man anhand<br />

der OSL-Dosimeter jedoch nicht<br />

feststellen, welche Strahlen unter<br />

welchen Umständen das Dosimeter<br />

erreicht haben. Statt Bildern werden<br />

hier nämlich nur einzelne Werte er-<br />

Geschützt: In eine mit Barcode gekennzeichneten<br />

Hülle ist der lichtempfindliche<br />

Film eingebettet (Mitte).<br />

Diese so genannte Filmplakette<br />

wird in die linke Kassettenhälfte<br />

über die Metallfilter gelegt und<br />

dann mit der zweiten Hälfte (rechts)<br />

verschlossen. Foto: Michael van den Heuvel<br />

fasst. Zukünftig könnte der Preisdruck<br />

auf dem internationalen Markt<br />

auch das Angebot der Messstellen<br />

diktieren. Denn um Kosten zu sparen,<br />

werden Kunden wohl verstärkt auf<br />

die günstigere Variante setzen.<br />

■ Die AWST ist nach über 50 Jahren<br />

die älteste deutsche Auswertungsstelle<br />

und eine Besonderheit in der deutschen<br />

Forschungslandschaft. Sie ist<br />

die einzige isozertifizierte und zugelassene<br />

Messstelle für Dosimetrie in<br />

Deutschland. Von den Ländern ist sie<br />

ebenfalls als Messstelle für Radon zugelassen.<br />

■ Außerdem finanziert die AWST aus<br />

den erwirtschafteten Geldern wieder<br />

wissenschaftliche Projekte aus dem<br />

Bereich der Strahlenforschung. Sie<br />

bildet damit eine einmalige Symbiose<br />

Vollautomatisch holt eine Auspackmaschine<br />

den Film in der Dunkelkammer<br />

aus den Hüllen. Danach wird er<br />

auf ein fortlaufendes Band aufgebracht<br />

der Entwicklungsmaschine<br />

zugeführt. Foto: Bernd Müller<br />


Ein Roboterarm der Auspackmaschine bringt<br />

die Filmplaketten aus dem Vorratsbehälter zum<br />

automatischen Öffnungsmechanismus.<br />

Foto: Bernd Müller<br />

von Dienstleistung und Forschung, zumal auch die<br />

Erkenntnisse aus dem Routinebetrieb direkt in die<br />

Weiterentwicklung von Dosimetern einfließen.<br />

■ Begonnen hat die Erfolgsgeschichte der Auswertungsstelle<br />

mit Prof. Felix Wachsmann, der 1952<br />

eine Personendosismessstelle in Erlangen gründete.<br />

Zwei Jahr zuvor beschloss der Fachnormenausschuss<br />

Radiologie in Frankfurt mittels Filmdosimeter<br />

gefährdete Personen zu überwachen. Wachsmann<br />

übersiedelte mit der Erlanger Auswertungsstelle<br />

1965 zur GSF und blieb zunächst selbstständig.<br />

Erst vier Jahre später übernahm ihn die GSF.<br />

Wachsmann setzte durch, dass die „Dienstleistung“<br />

und „Routinetätigkeiten“ der Auswertungsstelle<br />

in die Statuten der GSF aufgenommen wurden<br />

und legte damit den Grundstein für den heutigen<br />

Betrieb. Nach der Fusion mit den Messstellen<br />

in Hamburg und Karlsruhe im Jahre 2004 und<br />

2005 festigt die GSF ihre Position als größte Personenmessstelle<br />

in der Bundesrepublik.<br />

■ Dr. Wolfgang Wahl, der seit zehn Jahren die<br />

AWST leitet, sieht darin eine Chance, auch für die<br />

Forschung im Strahlenschutz den Standort<br />

Deutschland zu sichern: Mit seinen Mitarbeitern<br />

entwickelte er unter anderem ein Verfahren zur Online-Dosimetrie<br />

mit elektronischen Dosimetern sowie<br />

das Softwarepaket EPCARD, mit dem die Dosis<br />

von Piloten und Flugbegleitern berechnet wird.<br />

■ Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die interne<br />

Dosimetrie. Hier versucht man zu verstehen,<br />

wie sich instabile Atome, die radioaktiven Zerfall<br />

zeigen, im Körper verhalten. Gerade bei einer erhöhten<br />

Zufuhr dieser Radionukliden, aber auch bei<br />

der Therapie von beispielsweise Tumoren, ist das<br />

Verständnis über den Stoffwechsel von zugeführten<br />

Substanzen wichtig, um am richtigen Organ zu<br />

messen oder punktgenau das betroffene Organ zu<br />

erreichen.<br />

■ Bald könnte die dienstälteste Messstelle eine<br />

Plattform bilden, auf der verschiedene Arten der<br />

Dosimetrie zusammengeführt werden.<br />

■ Beatrix Leser<br />

Literatur:<br />

W. Wahl: Wie wird, wie soll die Personendosimetrie der Zukunft<br />

aussehen? Wünsche und Forderungen aus der Praxis. Strahlenschutz<br />

Praxis 8 (2002) 23-27.<br />

W. Wahl: Amtliche Personendosimetrie heute und morgen in<br />

Deutschland. Strahlenschutz Praxis 11 (2005) 28-31.<br />

<strong>Berichte</strong> + <strong>Publikationen</strong><br />

<strong>Eine</strong> <strong>Auswahl</strong><br />

■ M. Rosemann V. Kuosaite, M. Kremer, J. Favor, L. Quintanilla-<br />

Martinez, M. J. Atkinson:<br />

Multilocus Inheritance Determines Presdisposition to Alpha-Radiation Induced<br />

Bone Tumorigenesis in Mice. International Journal of Cancer (2005) in press.<br />

Es wird gezeigt, dass es in der Maus durch additive Wechselwirkung<br />

mehrere Suszeptibilitäts-Loci mit jeweils nur geringer Penetranz zu einer<br />

erblichen Prädisposition für das strahleninduzierte Osteosarkom kommen<br />

kann. Dabei führt die zufällige Segregation von so genannten<br />

„High-Risk Allelen“ der beiden elterlichen Tiere bei einigen der Nachkommen<br />

zu einer signifikanten Erhöhung des individuellen Osteosarkom-Risikos.<br />

Dieser Tumor-Typ spielt unter anderem als Sekundärtumor<br />

nach einer Strahlentherapie im Kindes- und Jugendalter eine zunehmende<br />

Rolle (Drittmittelförderung durch EU-Vertrag GENRAD).<br />

■ M. Klaften, M. Hrabé de Angelis: ARTS: A web-based tool for the setup<br />

of high-throughput genome-wide mapping panels for the SNP genotyping of<br />

mouse mutants. Nucleic Acids Research 33 (2005) W496-W500.<br />

Für die Kartierung von Mutationen in Mäusen durch Kopplungsanalyse<br />

werden standardmäßig geeignete Mausinzuchtstämme und entsprechende<br />

polymorphe molekulare Marker verwendet. Die Kartierung mit<br />

klassischen Mikrosatellitenmarkern kann jedoch sehr zeitraubend sein.<br />

Die Charakterisierung so genannter Single Nucleotid Polymorphisms<br />

(SNPs) in automatisierten Genotypisierungsverfahren ist da weitaus<br />

schneller. Die hier vorgestellte Arbeit berichtet über ARTS, ein automatisches<br />

Abfragegerät, das es dem Forscher erlaubt, öffentliche Datenbanken<br />

nach einem passenden SNP-Markerset für verschiedene Mausinzuchtstämme<br />

zu durchkämmen. Was früher einige Tage in Anspruch<br />

nahm, kann nun mit ein paar Mausklicks erledigt werden. Wenn entsprechende<br />

Datenbanken existieren, kann ARTS auch leicht für andere<br />

Tierarten verwendet werden. ARTS ist über das Internet öffentlich zugänglich<br />

(http://andromeda.gsf.de/arts).<br />

■ T. Mijalski, A. Harder, T. Halden, M. Horsch, T. M. Strom, H. V.<br />

Liebscher, F. Lottspeich, M. Hrabé de Angelis, J. Beckers:<br />

Identification of coexpressed gene clusters in a comparative analysis of<br />

transcriptome and proteome in mouse tissues. Proc Natl Acad Sci USA 102<br />

(2005) 8621-8626.<br />

Um die sich gegenseitig regulierenden Interaktionen zwischen Transkriptom<br />

(Gesamtheit der zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle<br />

hergestellten RNA-Moleküle) und Proteom (Gesamtheit der zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle vorliegenden Proteine) näher zu<br />

untersuchen, wurde ein vergleichender Ansatz gewählt, der eine simultane<br />

Beobachtung der Genexpression auf RNA- und Proteinebene ermöglicht.<br />

Hierzu wurden von Leber und Niere der Maus DNAchip-basierte<br />

RNA-Expressionsprofile angefertigt sowie 2D-Gelelektrophoresen<br />

durchgeführt. Basierend auf der Grundlage von Daten der 200 am<br />

meisten differentiell exprimierten Gene, konnte eine chromosomale<br />

Kolokalisation von bereits beschriebenen und noch unbekannten Genclustern<br />

entdeckt werden. Die Bestimmung von 29 solcher Cluster deutet<br />

an, dass die Koexpression von kolokalisierten Genen wahrscheinlich<br />

ziemlich weit verbreitet ist.<br />

■ M. A. Hack, A. Saghatelyan, A. de Chevigny, P.-M. Lledo,<br />

M. Götz: Neuronal fate determinants of adult olfactory bulb neurogenesis.<br />

Nature Neuroscience 7 (2005) 865-72.<br />

Im Gehirn von Säugern, inklusive des Menschen, kommt die Bildung<br />

von neuen Nervenzellen weitestgehend zum Erliegen. Daher können<br />

abgestorbene Nervenzellen im Gehirn von erwachsenen Patienten bislang<br />

nicht mehr ersetzt werden. Ausnahme bilden zwei Regionen des<br />

Vorderhirns: Hier ist die Neubildung von Nervenzellen möglich. Die<br />

molekularen Mechanismen hierfür wurden in dieser Arbeit aufgeklärt.<br />

Die Untersuchungen belegen in vivo, dass der Transkriptionsfaktor<br />

Pax6 notwendig und ausreichend für die Neubildung von Neuronen einer<br />

dieser Regionen des Riechkolbens ist. Besonders wichtig ist auch,<br />

dass dieser Transkriptionsfaktor zudem die Bildung von Neuronen fördert,<br />

die den Transmitter Dopamin benutzen, um mit anderen Nervenzellen<br />

zu kommunizieren. Da die Parkinsonerkrankung auf dem Absterben<br />

dopaminerger Neurone beruht, könnte dieser neu entdeckte molekulare<br />

Mechanismus für die Bildung von dopaminergen Neuronen im<br />

erwachsenen Gehirn von möglicher therapeutischer Relevanz sein.<br />

■ D. W. Han Au, T. F. Crossley, M. Schellhorn: The effect of health<br />

changes and long-term health on the work activity of older Canadians. Health<br />

Economics 14 (10) (2005) 999-1018.<br />

Mit kanadischen Paneldaten wird in dieser Studie der Zusammenhang<br />

zwischen Gesundheitszustand und Renteneintritt beziehungsweise


Erwerbstätigkeit der über 50-Jährigen untersucht. In der Beschäftigungsgleichung<br />

wird dabei die mögliche Endogenität des Gesundheitszustands<br />

(umgekehrte Kausalität und systematische Messfehler)<br />

berücksichtigt. Herausgefunden wurde, dass sowohl das Niveau als<br />

auch Änderungen des Gesundheitszustands ökonomisch signifikanten<br />

Einfluss auf den Verbleib in der Erwerbstätigkeit haben.<br />

■ M. Javorovic, H. Pohla, B. Frankenberger, T. Wölfel, D. J. Schendel:<br />

RNA transfer by electroporation into mature dendritic cells leading to reactivation<br />

of effector-memory cytotoxic T-lymphocytes: a quantitative analysis.<br />

Molecular Therapy 12 (4) (2005) 734-43.<br />

RNS, die für tumorassoziierte Antigene kodiert, kann mittels Elektroporation<br />

in dendritische Zellen eingebracht werden. Diese Antigen-präsentierenden<br />

Zellen des Immunsystems verwenden die transfizierte<br />

genetische Botschaft, um entsprechende Proteine zu synthetisieren.<br />

Die Proteine werden anschließend prozessiert und auf der Zelloberfläche<br />

präsentiert. Solche in vitro-veränderten dendritischen Zellen<br />

werden als Anti-Tumor-Vakzine verwendet, da sie durch die beschriebene<br />

Präsentation antigenspezifische T-Zellen aktivieren können. Diese<br />

Methode wurde im Melanomsystem quantitativ untersucht. Die Menge<br />

der genetischen Botschaft für ein bestimmtes Melanomantigen ist ausschlaggebend<br />

für die Effizienz der Präsentation – je mehr RNS (für Tyrosinase<br />

oder mutiertes CDK4) transfiziert wurde, desto stärker war die<br />

Aktivierung des spezifischen T-Zellklons. Für die Transfektion kann<br />

auch die gesamte zelluläre RNS hergenommen werden, die aus Tumorzellen<br />

isoliert wurde. Der Vorteil dieses Ansatzes ist die gleichzeitige<br />

Präsentation von mehreren (auch nicht identifizierten) Antigenen. Ein<br />

Nachteil allerdings ist, dass dadurch wesentlich kleinere Mengen an<br />

Einzelspezies-RNS für potenzielle Tumorantigene in die Zellen transfiziert<br />

werden. Dieses Problem kann auch nicht durch Amplifikation der<br />

Tumor-RNS umgangen werden. Antigene mit einem niedrigen Expressionsniveau<br />

werden daher – im Gegensatz zu <strong>Berichte</strong>n aus der<br />

Literatur – immer noch unzureichend präsentiert.<br />

■ M. Hölzel, M. Rohrmoser, M. Schlee, T. Grimm, T. Harasim,<br />

A. Malamoussi, A. Gruber-Eber, E. Kremmer, W. Hiddemann,<br />

G. W. Bornkamm, D. Eick: Mammalian WDR12 is a novel member of<br />

the Pes1-Bop1 complex and is required for ribosome biogenesis and cell proliferation.<br />

J Cell Biol 170 (2005) 367-378.<br />

In dieser Arbeit wird ein neuer Proteinkomplex im Nukleolus, der von<br />

Zielgenen des Onkoproteins c-Myc kodiert wird, beschrieben. Wir haben<br />

den Komplex ‚PeBoW’ genannt, da er sich aus den Proteinen Pes1,<br />

Bop1, und WDR12 zusammensetzt. PeBoW ist zentral an der Ribosomenbiogenese<br />

beteiligt und induziert bei Fehlfunktion p53-abhängig<br />

einen Zellzyklusarrest. Die Funktion des PeBoW-Komplexes unterstreicht,<br />

dass Zellwachstum- und Zellteilungskontrolle eng gekoppelt<br />

sind.<br />

■ R. D. Chapman, M. Conrad, D. Eick: Role of the mammalian RNA<br />

polymerase II C-terminal domain (CTD) nonconsensus repeats in CTD stability<br />

and cell proliferation. Mol Cell Biol 25 (2005) 7665-7674.<br />

■ C. Lux, H. Albiez, R. D. Chapman, M. Heidinger, M. Meininghaus,<br />

R. Brack-Werner, A. Lang, M. Ziegler, T. Cremer, D. Eick:<br />

Transition from initiation to promoter proximal pausing requires the CTD of<br />

RNA polymerase II. Nucleic Acids Res 33 (2005) 5139-5144.<br />

In den beiden Veröffentlichungen von Chapman et al. und Lux et al.<br />

wird beschrieben, dass die Expression des Onkogens c-myc auf Transkriptionsebene<br />

durch Pausieren der RNA Polymerase II unterhalb des<br />

Transkriptionsstarts reguliert wird. Mithilfe einer genetisch manipulierten<br />

RNA Polymerase II konnte hier die Rolle der CTD (carboxy-terminalen<br />

Domäne) der RNA Polymerase für die Transkriptionsinitiation und<br />

das Pausieren untersucht werden.<br />

■ O. Frank, M. Giehl, C. Zheng, R. Hehlmann, C. Leib-Mösch, W.<br />

Seifarth: Human endogenous retrovirus expression profiles from brains of<br />

patients with schizophrenia and bipolar disorders. J. Virol. 79 (2005) 10890 -<br />

10901.<br />

Die Rolle humaner endogener Retroviren (HERVs) bei neuropsychiatrischen<br />

Erkrankungen wie Schizophrenie wird in der Literatur kontrovers<br />

diskutiert. In einer von der Stanley Foundation initiierten Studie wurden<br />

nun über 200 Gehirnproben von Patienten mit Schizophrenie, bipolaren<br />

Erkrankungen und von gesunden Kontrollpersonen auf die Expressionsaktivität<br />

humaner endogener Retroviren untersucht. Dazu<br />

wurde mit Hilfe eines retrovirusspezifischen Microarrays, mit dem<br />

Transkripte der pol-Gene von über 50 repräsentativen Vertretern von 20<br />

HERV-Familien gleichzeitig identifiziert werden können, ein gehirnspezifisches<br />

HERV-Expressionsprofil erstellt. Der Vergleich mit den Patientenproben<br />

ergab kaum Unterschiede in der HERV-Expression und<br />

konnte damit frühere, positive Befunde nicht bestätigen. Lediglich<br />

Transkripte einer Subgruppe der HML-2-Famile, HERV-K10, waren in<br />

beiden Patientengruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant<br />

überrepräsentiert. Mitglieder dieser Subgruppe sind die einzigen be-<br />

Gutes Gedächtnis<br />

auch ohne T-Helferzellen<br />

Neuer Pfad der Immunaktivierung<br />

entdeckt<br />

Das angeborene Immunsystem ist die erste Verteidigungslinie<br />

des Organismus und ist in der Lage,<br />

Krankheitserreger zu beseitigen, ohne ihnen vorher<br />

begegnet zu sein. Die erworbene Immunantwort hingegen<br />

reagiert gegen spezifische Antigene, entwickelt<br />

sich im Laufe der Auseinandersetzung mit einem<br />

Erreger und bildet ein immunologisches Gedächtnis<br />

aus. Wichtige Effektorzellen des erworbenen<br />

Immunsystems sind die CD8-positiven zytotoxischen<br />

T-Lymphozyten, für deren Aktivierung im Allgemeinen<br />

CD4-positive T-Helferzellen erforderlich sind.<br />

Die Arbeitsgruppe um Prof. Ralph Mocikat vom<br />

GSF-Institut für Molekulare Immunologie hat jetzt einen<br />

neuen Pfad der Immunaktivierung entdeckt, der<br />

beide Abwehrmechanismen miteinander verbindet:<br />

Dendritische Zellen, die in vitro hergestellt und in<br />

Mäuse injiziert werden, aktivieren unabhängig von<br />

spezifischen Antigenen natürliche Killerzellen, also<br />

Effektorzellen des angeborenen Immunsystems. Daraufhin<br />

stimulieren diese über Interferon-� die transferierten<br />

sowie endogene dendritische Zellen, die<br />

dann Interleukin-12 ausschütten. Interleukin-12 wiederum<br />

induziert zytotoxische T-Lymphozyten. Über<br />

diese Kaskade wurde die zytotoxische T-Zellantwort<br />

des erworbenen Immunsystems aktiviert und damit<br />

die angeborene mit der erworbenen Abwehr ohne<br />

Mithilfe von T-Helferzellen verknüpft.<br />

In-vivo-Experimente bestätigen, dass für diesen<br />

Weg zu einem langdauernden Gedächtnis Interferon-�<br />

und Interleukin-12 unerlässlich sind.<br />

Die Publikation ist erschienen in:<br />

C. Adam, S. King, T. Allgeier, H. Braumüller, C. Lüking,<br />

J. Mysliwietz, A. Kriegeskorte, D. H. Busch, M. Röcken<br />

und R. Mocikat: DC-NK cell cross talk as a novel CD4 + T-cell-independent<br />

pathway for antitumor CTL induction. Blood 1, 106<br />

(2005) 338-344.<br />

kannten HERVs, die für alle retroviralen Gene kodieren und möglicherweise<br />

noch immer replizieren können. HERV-K-HML-2 Proteine und Partikel<br />

werden mit Keimzelltumoren und Melanomen assoziiert.<br />

■ G. Berg, L. Eberl, A. Hartmann: The rhizosphere as a reservoir for opportunistic<br />

human pathogenic bacteria. Environ. Microbiol. 7 (2005) 1673-1685.<br />

Dieser Übersichtsartikel stellt zusammenhängend dar, welches gemeinsame<br />

Faktoren für die erfolgreiche Wechselwirkung von Bakterien sowohl<br />

mit Wurzeln als auch mit menschlichem Gewebe sind. Als so genannte<br />

opportunistische oder fakultative Pathogene werden Bakterien<br />

der Gattungen Burkholderia, Stenotrophomonas und Ochrobactrum besprochen,<br />

welche unter anderem auch Vertreter mit potentiell biotechnologischem<br />

Interesse für die biologische Kontrolle von phytopathogenen<br />

Pilzen in der Rhizosphäre stellen.<br />

■ M. Rothballer, M. Schmid, A. Fekete, A. Hartmann: Comparative in<br />

situ analysis of ipdC-gfpmut3 promotor fusions of Azospirillum brasilense strains<br />

Sp7 and Sp245. Environmental Microbiology 7 (2005) 1839-1846.<br />

In dieser Publikation wird erstmals gezeigt, dass die Biosynthesegene<br />

für die bakterielle Auxinproduktion tatsächlich in der Rhizosphäre exprimiert<br />

werden. Dazu wurden Promotorfusionen des ipdC-Gens mit dem<br />

gfp-Gen hergestellt und die Transkription des Gens für die Indolpyruvatdehydrogenase<br />

(ipdC) getestet. In vitro wurde eine Steuerung der Transkription<br />

durch verschiedene Aminosäuren festgestellt. Interessanterweise<br />

unterscheiden sich die Promotorregionen verschiedener Stämme<br />

beträchtlich, sodass mit stammspezifischen Feinregulationen der Auxinsynthese<br />

zu rechnen ist.


Gefahr durch naturnahes Wohnen<br />

Radioaktives Thoron entweicht aus porösem Gestein<br />

Direkt in die Felsen hineingegraben sind die traditionellen Höhlenwohnungen<br />

in der zentralchinesischen Region Gansu. Radioaktive Zerfallsprodukte<br />

des ausgasenden Thoron machen dieses natürliche Raumklima leider<br />

gesundheitsschädlich. Foto: Jochen Tschiersch<br />

Stand bislang die Konzentration<br />

von radioaktivem Radon<br />

( 222 Rn) bei Raumluftmessungen<br />

im Vordergrund, so wird man<br />

wohl in Zukunft einem weiteren Radionuklid<br />

ähnliche Aufmerksamkeit<br />

widmen müssen: Thoron ( 220 Rn), ein<br />

Radon-Isotop der Thorium-Zerfallsreihe,<br />

strahlt in Wohnräumen stärker als<br />

bisher angenommen. Vor allem,<br />

wenn Zimmer rundum aus natürlichem<br />

Baumaterial geformt sind und<br />

keine Wand- und Bodenabdichtungen<br />

haben, wie es etwa bei vielen Lehmbauten<br />

in Entwicklungsländern oder<br />

auch in zentralchinesischen Höhlenwohnungen<br />

der Fall ist. Letztere untersuchte<br />

das Team um Dr. Jochen<br />

Tschiersch vom GSF-Institut für<br />

Strahlenschutz in Kooperation mit<br />

einem Institut des chinesischen<br />

Gesundheitsministeriums.<br />

■ Thoron befindet sich – ebenso wie<br />

Radon – auf der ganzen Welt in Gestein<br />

und Boden. Etwa 30 Millionen<br />

Menschen leben in der zentralchinesischen<br />

Region Gansu in traditionellen<br />

Höhlenwohnungen, die direkt in die<br />

terrassierten Hänge eines ausgedehnten<br />

200 Meter mächtigen Lössplateaus<br />

gegraben werden. Erhöhte<br />

Radonkonzentrationen und Lungenkrebsraten<br />

in dieser Region veranlasste<br />

die Forscher, die Innenraumkonzentrationen<br />

genauer zu analysieren.<br />

■ Radon und Thoron gasen aus dem<br />

Gesteinsmaterial aus. Die ebenfalls<br />

Dicht an der Wand ist die Thoronkonzentration<br />

am größten. Da nach einer<br />

knappen Minute jedoch die Hälfte<br />

des Isotops zerfallen ist, werden vor<br />

allem seine Töchterprodukte von den<br />

Höhlenbewohnern eingeatmet.<br />

Grafik: Jochen Tschiersch<br />

radioaktiven Töchterprodukte, die<br />

beim nachfolgenden Zerfall entstehen,<br />

binden an Staubpartikel und werden<br />

so eingeatmet. „Diffusion, Zerfallsketten<br />

und Partikelbindung sind<br />

jedoch bei beiden Substanzen unterschiedlich,<br />

so dass nicht automatisch<br />

von Radon auf die Thoron-Verteilung<br />

im Raum und damit auf die relevante<br />

Inhalationsdosis geschlossen werden<br />

kann“, erklärt Tschiersch.<br />

■ Im Gegensatz zu Radon mit 3,8 Tagen<br />

hat Thoron eine deutlich kürzere<br />

Halbwertzeit von lediglich 56 Sekunden,<br />

so dass kaum Zeit für eine relevante<br />

Diffusion in die Raumluft bleibt.<br />

Die üblichen Messgeräte – passiv arbeitende<br />

Dosimeter – berücksichtigen<br />

daher bisher hauptsächlich die Radonemission.<br />

Zudem lassen in industrialisierten<br />

Wohnbauten schon geringe<br />

Diffusionsbarrieren wie ein Verputz mit<br />

Anstrich oder Tapeten den Thoronaustritt<br />

auf ein Minimum schrumpfen und<br />

machen ihn so scheinbar bedeutungslos.<br />

■ Unter den einfachen Wohnbedingungen<br />

der Höhlenappartements ist<br />

dies jedoch völlig anders. „Um die<br />

tatsächliche Strahlenbelastung zu erfassen,<br />

wollen wir ein geeignetes<br />

Raummodell und verbesserte Messmethoden<br />

entwickeln“, so Tschiersch.<br />

■ Neben einer vom Wandabstand abhängigen<br />

Thoronkonzentration ermittelten<br />

die Forscher deshalb die potentielle<br />

Alphaenergie-Konzentration (PA-<br />

EC) der Töchterprodukte. PAEC ist die<br />

eigentlich relevante Basis für Dosisberechnungen,<br />

weil sie die deponierte<br />

Energie der Zerfallsprodukte berücksichtigt.<br />

„Und diese ist für die Thoron-<br />

Zerfallsprodukte fast 14-mal höher als<br />

für die Radon-Folgesubstanzen pro<br />

Zerfall der jeweiligen Mutternuklide“,<br />

erklärt Tschiersch.<br />

■ Auch wenn Thoron selbst also insgesamt<br />

weniger Zeit für die Diffusion<br />

in den Innenraum bleibt, tragen seine<br />

Töchterprodukte so massiv zur inhalativen<br />

Strahlendosis bei, dass Thoron<br />

die Bewohner ähnlich stark belastet<br />

wie Radon; jedenfalls in den Höhlenwohnungen<br />

in Gansu.<br />

■ Thoron sollte deshalb sehr wohl bei<br />

der inhalativen Dosis einberechnet<br />

und auch beim Messen mit passiven<br />

Dosimetern berücksichtigt werden.<br />

■ Weitere Detail- und Dosisstudien in<br />

Form von Feld- und Laborversuchen,<br />

die wiederum Grundlage für epidemiologische<br />

Fall-Kontrollstudien bilden<br />

könnten, sollen bald folgen.<br />

■ Gefahr Thoron, so fern und doch so<br />

nah? Nicht nur in Gansu kennt man<br />

traditionelle Bauweisen: Vielleicht wäre<br />

es sinnvoll, auch in Deutschland<br />

Fachwerkhäuser mit Lehmmauerwerk<br />

oder neue Raumklimatrends wie atmungsaktiven<br />

Natursteinputz kritisch<br />

zu überprüfen.<br />

■ Susanne Stoll<br />

Literatur:<br />

J. Tschiersch, M. Müsch: Radon Exposure in<br />

Homes: Is the Contribution of 220Rn (Thoron) to<br />

Dose Always Negligible? Proceedings of the 9th International<br />

Conference on Health Effects of Incorporated<br />

Radionuclides Emphasis on Radium, Thorium,<br />

Uranium and their Daughter Products. (HEIR<br />

2004) Nov 29-Dec 1 (2004) Neuherberg, Germany.<br />

GSF-Bericht 06/05, Institut für Strahlenschutz.


Gesund statt strahlend<br />

Pflanzen mit verringerter Radionuklid-Aufnahme gesucht<br />

Neben Nährstoffen können<br />

Pflanzen auch instabile<br />

Atome, die radioaktiven<br />

Zerfall zeigen, aus der Umwelt<br />

aufnehmen. Wenn diese Radionuklide<br />

in die Nahrungskette des<br />

Menschen gelangen, können sie<br />

schädigen – wie von Nuklearunfällen<br />

bekannt ist. Doch gibt es innerartliche<br />

Unterschiede: Manche<br />

Individuen einer Art nehmen weniger<br />

instabile Atome auf als andere.<br />

Die dafür verantwortlichen<br />

Gene zu finden, ist das Ziel der Arbeitsgruppe<br />

Radioökologie am<br />

GSF-Institut für Strahlenschutz.<br />

Deren Leiterin, PD Dr. Katharina<br />

Schneider, kam vor eineinhalb<br />

Jahren an die GSF und fühlt sich<br />

hier bestens integriert: „Ich wurde<br />

sehr unterstützt – sowohl materiell,<br />

aber auch durch den fachlichen<br />

Austausch mit Kollegen. Das<br />

hat mir beim Aufbau meines neuen<br />

Arbeitsgebiets geholfen: über<br />

einen genetischen Ansatz die Voraussetzung<br />

zu schaffen, Nutzpflanzen<br />

mit vermindertem Gehalt an<br />

Radionukliden zu züchten.“<br />

■ Im Moment laufen Versuche mit<br />

radioaktiven Caesium (Cs)- und<br />

Strontium (Sr)-Isotopen. Beide<br />

Radionuklide waren hauptsächlich<br />

für die Kontamination nach dem<br />

Unglück in Tschernobyl verantwortlich.<br />

Als Modellsysteme wurden<br />

zunächst Ackerschmalwand<br />

und Bäckerhefe im Labor etabliert,<br />

zwei genetisch gut charakterisierte<br />

Organismen mit vollständig sequenziertem<br />

Erbgut. Erste Versuche<br />

mit verschiedenen Wildtyp-<br />

Hefestämmen zeigten: Bei gleichen<br />

Bedingungen nahmen die<br />

Stämme unterschiedlich viele<br />

Radionuklide auf. Nun will man<br />

wissen, welche der insgesamt<br />

6 000 Hefegene dafür verantwortlich<br />

ist.<br />

■ Für 4 600 dieser Erbanlagen gibt<br />

es lebensfähige Mutanten, in denen<br />

jeweils genau ein Gen ausgeschaltet<br />

ist. „Die nehmen wir alle<br />

einzeln unter die Lupe“, erklärt<br />

Schneider und präsentiert ihr<br />

wichtigstes Hilfsmittel: ein automatisches<br />

Gamma-Spektrometer<br />

zum Nachweis der Gammastrahlung,<br />

die die eingesetzten Radionuklide<br />

aussenden. „Mit diesem<br />

Gerät können wir bis zu 1 000 Proben<br />

per Knopfdruck über Nacht<br />

analysieren.“<br />

Damit die Ackerschmalwand-Pflänzchen<br />

nach zehn Tagen unbeschadet<br />

in caesiumhaltiges Medium gesetzt<br />

werden können, werden sie auf einem<br />

Agarpfropfen in unten offenen<br />

Eppendorf-Hütchen herangezogen.<br />

Foto: Michael van den Heuvel<br />

Zunächst zeigten die Forscher mithilfe<br />

der genetisch gut charakterisierten<br />

Hefe, dass verschiedene<br />

Wildtyp-Stämme bei gleichen Bedingungen<br />

unterschiedlich viele Radionuklide<br />

aufnehmen.<br />

Foto: Katharina Schneider<br />

Dass sich bestimmte Sorten besser<br />

für verseuchte Böden eignen als andere,<br />

haben Feldversuche gezeigt.<br />

Hier in Pettenbrunn stellten die Forscher<br />

anhand des Caesium- und<br />

Strontiumgehalts in Boden und Winterweizen<br />

fest, welche Sorten mehr<br />

und welche weniger Radioaktivität<br />

aufnehmen.<br />

Foto: Wolfgang Schultz<br />

■ Das Erbgut der Ackerschmalwand<br />

ist mit 25 000 Genen zu groß<br />

für systematische Tests an Mutanten,<br />

die in einzelnen Genen defekt<br />

sind. Hier machen sich die Wissenschaftler<br />

die natürliche Vielfalt in<br />

Form verschiedener Ökotypen zunutze,<br />

die sich im Lauf der Zeit an<br />

unterschiedliche geographische<br />

Regionen angepasst haben. <strong>Eine</strong><br />

Doktorarbeit läuft derzeit über die<br />

Analyse von 96 unterschiedlichen<br />

Linien, die in Flüssigmedium angezogen<br />

werden. Die auf einem<br />

Agarpfropfen in unten offenen Eppendorf-Hütchen<br />

herangezogenen<br />

Pflänzchen werden am zehnten Tag<br />

nach der Aussaat in Cs-haltiges<br />

Medium gesetzt, nach weiteren<br />

zehn Tagen werden Blätter jedes<br />

Ökotyps separat geerntet und im<br />

Gammaspektrometer vermessen.<br />

Die Pflanzen mit der höchsten und<br />

der schwächsten Radionuklid-Aufnahme<br />

repräsentieren die Extreme,<br />

von deren gemeinsamer Nachkommenschaft<br />

die größtmögliche Variabilität<br />

zu erwarten ist. Dann soll<br />

die Beziehung zwischen der Vererbung<br />

verschiedener Abschnitte des<br />

Erbguts und der Radionuklidaufnahme<br />

in individuellen F2-Pflanzen,<br />

also in der Enkelgeneration,<br />

untersucht werden, um die Genorte<br />

zu finden, die das Aufnahmeverhalten<br />

für Radionuklide steuern.<br />

■ Dass diese Grundlagenforschung<br />

auch praktisch relevant ist, haben<br />

die Forscher bereits an 28 Winterweizensorten<br />

auf drei bayerischen<br />

Standorten mit sehr geringen Mengen<br />

an Radiocäsium und -strontium<br />

bewiesen: Sie fanden Sorten,<br />

die besonders wenig aufnehmen<br />

und sich damit für den Anbau auf<br />

belasteten Böden anbieten – etwa<br />

in der noch immer verseuchten Region<br />

um Tschernobyl. Auf kontaminiertem<br />

Gelände in Russland betreut<br />

Schneider derzeit ein Projekt,<br />

in dem unter 20 Maissorten nach<br />

geeigneten Pflanzen gesucht wird:<br />

„So gelangen wir vom Modell in<br />

die Praxis, um schließlich die<br />

Strahlenbelastung über die Nahrungskette<br />

zu mindern.“<br />

■ Sibylle Kettembeil<br />

Literatur:<br />

W. Schimmack et al.: Soil-to-grain transfer of<br />

fallout 137Cs for 28 winter wheat cultivars as observed<br />

by field experiments. Radiation and Environmental<br />

Biophysics 42 (2004) 275-284.


Neutronendetektor auf der Zugspitze<br />

misst kosmische Strahlung<br />

Beeinflussen<br />

Strahlen aus<br />

dem All unser<br />

Klima? GSF-Wissenschaftler<br />

wollen diese<br />

Frage zusammen<br />

mit dem meteorologischen<br />

Institut der<br />

Ludwig-Maximilians<br />

Universität <strong>München</strong><br />

beantworten. Das<br />

hierfür errichtete Labor<br />

der Umweltforschungsstation<br />

(UFS)<br />

Schneefernerhaus<br />

nahm Anfang Oktober<br />

seinen Betrieb<br />

auf. Gefördert wird<br />

das Projekt im Rahmen<br />

der Klimaforschung<br />

vom BayerischenStaatsministerium<br />

für Umwelt, Gesundheit<br />

und Verbraucherschutz.<br />

■ Die Erde ist einem ständigen<br />

Bombardement von energiereichen<br />

Teilchen aus dem Weltall ausgesetzt.<br />

Das Magnetfeld der Sonne<br />

schirmt diese Teilchen teilweise ab,<br />

so dass deren Intensität auf der Erde<br />

vom 11-jährigen Sonnenflecken-<br />

Zyklus, der ein Maß für die Sonnenaktivität<br />

darstellt, abhängt. Auch<br />

unsere Atmosphäre schützt vor kosmischen<br />

Strahlen. Dabei entstehen<br />

allerdings auch neue Teilchen, die<br />

als Sekundärstrahlung bezeichnet<br />

werden. „Weil sich die physikalischen<br />

und chemischen Eigenschaften<br />

der Erdatmosphäre in den letzten<br />

Jahren teilweise erheblich gewandelt<br />

haben – so ist der CO 2 -Gehalt<br />

seit Beginn der industriellen<br />

Revolution stark angestiegen – ist<br />

zu erwarten, dass sich auch die<br />

Wechselwirkungen der kosmischen<br />

Strahlung mit der Atmosphäre bereits<br />

verändert haben oder dies in<br />

Zukunft tun werden“, erklärt Dr.<br />

Werner Rühm vom Institut für<br />

Strahlenschutz. Denkbar ist etwa,<br />

dass Strahlungspartikel beim Aufprall<br />

auf Atmosphärengase Kondensationskeime<br />

erzeugen, die verstärkt<br />

Wolken bilden.<br />

Dünne Luft umgibt<br />

die UmweltforschungsstationSchneefernerhaus<br />

auf<br />

der Zugspitze<br />

(oben). Ein idealer<br />

Standort für<br />

das neue Labor<br />

(unten), um das<br />

Zusammenspiel zwischen kosmischer<br />

Strahlung und Atmosphäre<br />

zu untersuchen. Fotos: Vladimir Mares<br />

■ Die UFS in 2 650 Metern Höhe ist<br />

ein idealer Standort, um dieses Gefüge<br />

zu untersuchen: Weil die Dichte<br />

der Luft hier geringer als im Tal ist,<br />

schwächt die Atmosphäre kosmische<br />

Strahlen weniger stark ab; es<br />

kann genauer gemessen werden.<br />

Zudem erfassen Forscher auf der<br />

UFS bereits umfangreiche luftphysikalische<br />

und -chemische Daten.<br />

„Erstmals können die vom Deutschen<br />

Wetterdienst und dem Umweltbundesamt<br />

im Rahmen des<br />

‚Global Atmosphere Watch’-Programms<br />

routinemäßig erhobenen<br />

meteorologischen Parameter wie<br />

Lufttemperatur,<br />

Niederschlagsmenge,<br />

relative Luftfeuchte<br />

und Sonnenscheindauer<br />

mit den von<br />

uns gemessenen kosmischen<br />

Strahlen verknüpft<br />

und so deren<br />

Einfluss auf die Atmosphäre<br />

untersucht<br />

werden“, sagt Rühm.<br />

■ Gemessen wird die<br />

Strahlung mit Hilfe<br />

eines Vielkugelspektrometers.<br />

Dieses besteht<br />

aus 16 mit 3 He-<br />

Gas gefüllten Detektoren,<br />

die von<br />

weißen Polyethylenkugeln<br />

verschiedener<br />

Durchmesser umgeben<br />

sind. Da die Detektoren<br />

nur auf langsame<br />

Neutronen mit<br />

niedriger Energie reagieren,<br />

werden energiereichere,<br />

also schnellere Neutronen<br />

mit Hilfe der Polyethylenkugeln<br />

vor dem Messen<br />

abgebremst. Je größer die<br />

Kugeln sind, umso energiereichere<br />

Teilchen bremsen<br />

sie ab. Durch Kombination<br />

der Messergebnisse der<br />

verschiedenen Kugeln kann<br />

das Energiespektrum der einfallenden<br />

Neutronen über einen weiten Bereich<br />

von etwa einem Milli-Elektronenvolt<br />

bis zehn Giga-Elektronenvolt rekonstruiert<br />

werden.<br />

■ Damit das so gewonnene Neutronenspektrum<br />

nicht durch umgebende<br />

Materialien – besonders durch Wasserstoff<br />

– verfälscht wird, hat das Labor<br />

ein Spitzdach mit einem Neigungswinkel<br />

von 64 Grad. „Schnee<br />

kann deshalb die Ergebnisse nicht beeinflussen;<br />

er rutscht sofort ab“, so<br />

Rühm.<br />

■ Monika Gödde<br />

Literatur:<br />

H. Svensmark, E. Friis-Christensen: Variation of<br />

cosmic ray flux and global cloud coverage – a missing<br />

link in solar-climate relationships. Journal of<br />

Atmospheric and Solar-Terrestrial Physics 59<br />

(1997) 1225-1232.

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