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Neue Szene Augsburg 2015-06

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de

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35<br />

Die Lüge von Kind<br />

und Karriere<br />

Kinder und Karriere schließen sich nicht aus. So lautet das Credo<br />

der Erfolgsgesellschaft. Die Wahrheit sieht oft ganz anders aus.<br />

Eine Betrachtung. Von Marcus Ertle<br />

Freunden, zum Klavierunterricht?<br />

Alles geklärt? Sehr gut, jetzt kann<br />

eigentlich nichts mehr passieren.<br />

Außer man verschläft, außer man überzieht<br />

ein bisschen im Büro, außer man telefoniert etwas<br />

zu lange, außer man geht doch noch zu diesem wichtigen<br />

Abendtermin, außer das Kind wird krank, außer<br />

die Erzieherinnen in der Kita streiken, außer das Auto<br />

macht schlapp, außer man vergisst den Hausschlüssel<br />

irgendwo, außer der Zug verspätet sich, außer man<br />

will mal spontan ins Kino, außer man will mal doch<br />

eher für sich alleine sein. In einer perfekten Welt, gibt<br />

es kein außer, alles läuft exakt so wie geplant. Man<br />

könnte diese Welt auch Lüge nennen.<br />

Aber unsere Eltern haben uns doch auch großgezogen<br />

ohne dabei wahnsinnig zu werden, oder einen<br />

Zeitkollaps zu erleiden! Könnte man jetzt einwerfen.<br />

Bei der Erwiderung darauf müsste man, will man<br />

nicht in die Political-Correctness-Falle tappen, sehr,<br />

sehr vorsichtig sein. Aber versuchen wir’s trotzdem<br />

einfach mal.<br />

Unsere Eltern (sofern sie heute um die 60 sind und<br />

weder einem besonders gehobenen noch einem besonders<br />

prekären Milieu entstammten) lebten in einer<br />

anderen Welt. Sie lebten sehr oft in der Welt, in der<br />

nur einer der beiden Elternteile Karriere machte, oder<br />

sich beruflich erfolgreich selbst verwirklichte, meist<br />

war dieser Elternteil der Vater und wenn er beruflich<br />

erfolgreich war, musste die Mutter zumindest keiner<br />

Vollzeitbeschäftigung nachgehen, sie war dann, Vorsicht,<br />

ganz schlimmer Hassbegriff: Hausfrau.<br />

Dass dieses Wort heute eine Art Schimpfwort ist, zumindest<br />

aber mit einer gewissen Verächtlichkeit ausgesprochen<br />

wird, hat etwas mit der Überforderung<br />

vieler jüngerer Eltern zu tun. Hausfrau zu sein, sich<br />

also nur um die Kinder zu kümmern, und das länger<br />

als die ersten paar Monate nach der Geburt wird<br />

im öffentlichen Diskurs mit Scheitern gleichgesetzt.<br />

Scheitern im Bereich der Selbstverwirklichung. Denn<br />

wer sich nur um die Erziehung der Kinder kümmert,<br />

kann sich, nach Logik der Kinder+Karriere-Ideologie,<br />

unmöglich selbst verwirklichen und deswegen eigentlich<br />

nicht für voll genommen werden. Würde<br />

man anerkennen, dass es ein Vollzeitjob ist, Kinder<br />

großzuziehen, könnte man diese Logik eigentlich<br />

nicht aufrechterhalten, außer eben zwei voll Berufstätige<br />

mit anspruchsvollen Jobs können sich diesen<br />

Vollzeitjob perfekt aufteilen ohne dabei Kinder oder<br />

Job zu vernachlässigen. Oder man verdient genug,<br />

um andere Leute dafür zu bezahlen, dass sie einen<br />

Großteil der elterlichen Aufgaben übernehmen, oder<br />

man hat perfekte Großeltern, die fit und nah und willig<br />

sind. Aber all das ist nicht die Regel.<br />

Zur Qual wird es allerdings, wenn sich zwischen dem<br />

propagierten Ideal und der Lebenswirklichkeit eine<br />

Kluft auftut, die so groß ist, dass sie sich nur durch<br />

Lüge oder Perfektion überdecken lässt. Beides ist<br />

nicht gesund. Aber was ist die Alternative? Keine<br />

Kinder kriegen? Und wenn man doch welche will, erst<br />

mit Anfang 40, nachdem man beruflich etabliert ist?<br />

Für einen Mann ist das eher machbar, bei der Frau<br />

kommen irgendwann die Grenzen der Biologie ins<br />

Spiel. Sich halt doch irgendwie durchwurschteln? Soll<br />

der Mann oder die Frau auf die Karriere verzichten?<br />

Oder gleich beide? Aber wer finanziert dann den erwünschten<br />

Lebensstandart? Vielleicht ist die ehrlichste<br />

Antwort, dass es keine ideale Lösung gibt. Egal,<br />

wofür oder wogegen man sich entscheidet, man kann<br />

immer scheitern, man kann auch immer Erfolg haben.<br />

Aber sind wir wirklich frei in unserer Entscheidung?<br />

Sind wir Rabeneltern, wenn wir die Erziehung und<br />

Betreuung unserer Kinder an andere delegieren? Sind<br />

wir primitiv und gestrig, wenn es der Frau genügt<br />

Mutter zu sein und nicht auch noch Berufstätige?<br />

Die Wahrheit ist: Solange wir uns an verlogenen Idealen<br />

orientieren, sind wir nicht frei.

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