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Neue Szene Augsburg 2015-06

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de

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Zoom<br />

37<br />

Wir entkommen den Vorwürfen<br />

nicht. Wir sind<br />

konsumgeil. Und produzieren<br />

dadurch eine ganze<br />

Menge Müll. Lebensmittel,<br />

Klamotten, Verpackungen, Technikkram, Möbel.<br />

Wir schmeißen quasi um uns mit Müll. Aber ich<br />

möchte hier nicht den Moralapostel spielen und<br />

zum Containern anstiften (was aber durchaus eine<br />

Überlegung wert wäre.) Vielmehr verfolgt mich<br />

eine ganz bestimmte Frage: Wie lassen sich dieser<br />

Verschwendungsdrang und der immer mehr aufkommende<br />

Hang zum Alten vereinbaren? Warum<br />

zum Teufel so ein Mix aus Alt und Neu?<br />

mmen im<br />

funktionierenden Radios und Kaffeemaschinen<br />

auch eine ganze Reihe alter, guterhaltener<br />

Möbel. Fast wie aus Omas gepflegtem Wohnzimmer.<br />

Da kommt das Zeug ja schließlich auch her.<br />

Möbel mit Geschichte. Doch was ist eigentlich<br />

mit deinen alten Möbeln? Du musst doch zuvor<br />

auch irgendwo gewohnt haben? „Ach, das war eh<br />

bloß Schrott von Ikea und gefällt mir nicht mehr<br />

wirklich.“ Ah ja, verstehe. Dann eben einfach weg<br />

damit. Irgendjemand wird das Zeug schon gebrauchen<br />

können. Ist das überhaupt so? Wo landen<br />

die vielen „Malms“, „Expedits“ und „Billys“? Aus<br />

dem Fenster fliegen hoffentlich nur die Weihnachtsbäume.<br />

llten Paradies!<br />

Ein Student ist neu in der Stadt und bezieht eine Der Retro-Trend schwappt in den Innenbereich<br />

WG. Möbel? Ab zu Ikea. Das schwedische Einrichtungshaus<br />

generiert nach eigenen Angaben allein zigerjahre sind längst wieder out, „Industrial“ ist<br />

über und schafft Trends zum Umfallen. Die Fünf-<br />

in Deutschland über vier Milliarden Euro Umsatz im der neue Shit. Bauhausähnliche Produkte schaffen<br />

Jahr. Das sind fast 15 Prozent des Gesamtumsatzes Rekordergebnisse auf Ebay und die Flohmärkte<br />

von Ikea. Moment. Vier Milliarden Euro? Das wären erleben schon seit geraumer Zeit einen zweiten<br />

dann knapp 58 Millionen verkaufte „Expedit“- Frühling. Es ist soweit: Der Stil hat versagt, Möbel<br />

Regale. Zugegebenermaßen sind die Dinger ja nicht werden jetzt nach Saisontrend gekauft. Wir wechseln<br />

unsere Kommoden wie T-Shirts, muss ja bloß<br />

auf Beständigkeit spezialisiert, aber wenn ich mir<br />

diesen Riesenberg an wackeligen Kastenregalen bis zum nächsten Umzug halten. Kein persönlicher<br />

vorstelle, wird mir mulmig.<br />

Bezug, keine Liebe fürs Detail. Was zählt, ist, was<br />

Neben dem „Gelb-Blau Köttbullar 1943 e.V.“ gibt uns der nächste Berliner Einrichtungsblog vorgibt,<br />

es aber derzeit eine weitere, immer mehr an nicht mehr, was uns unsere Eltern vielleicht einmal<br />

Beliebtheit gewinnende Anlaufstelle. Die Schar an weitergeben wollten: den großen Traum vom<br />

Junggesellen teilt sich mittlerweile in zwei Hälften. Eigenheim mit eigener, selbst erarbeiteter Einrichtung.<br />

Und das für länger als zwei Jahre.<br />

Ikea-Hassern bleibt nicht viel mehr, als ins Sozialkaufhaus<br />

zu fahren, wenn Mutti ihre Lieblingskommode<br />

nicht mitgeben möchte und das Geld mal Wir sind also angekommen. Im Billigmöbelparadies,<br />

wieder knapp ist.<br />

in dem sich nahezu jeder das leisten kann, was<br />

ihm gefällt, um es im nächsten Moment wieder<br />

Nun gut. Wer wenig Geld hat, rennt also zu loszuwerden. Im Himmel der Schnickschnack-Muttis<br />

Caritas & Co. Wer hier einkauft, findet nebst und in der Hölle des Schreiners.<br />

unzähligen Klamotten, Geschirr und halbwegs Dass Hochglanzoberflächen nicht mehr das Nonplusultra<br />

sind, stört mich nicht. Aber wenn schon<br />

Möbel mit Charakter, dann doch bitte mit meinem<br />

eigenen! Ganz nach dem Motto: Zeig mir dein<br />

Zimmer und ich sage dir, wer du bist! Wir suchen<br />

Kanten, weil wir sie selbst nicht mehr haben. Und<br />

dann kaufen wir sie uns eben.<br />

Aber jetzt mal Tacheles<br />

Uns fehlt der Mut zur Beständigkeit. Dabei sind<br />

wir ja so nachhaltig! Die Expo lockt Millionen<br />

Schaulustige nach Mailand zum Thema „Nachhaltigkeit,<br />

Energie- und Umweltmanagement“, selbst<br />

Discounter sind voller „Bio-Lebensmittel“ und die<br />

coolen Kids gehen mit Jutetasche und nicht mit<br />

der Plastiktüte zum Einkaufen. Und das ist unser<br />

Schein: Während das halbe Leben sich nach nachhaltigen<br />

und umweltschonenden Kriterien richtet,<br />

ist materialistischer Konsum verschwenderischer<br />

denn je.<br />

In einem kürzlich erschienenen Interview im<br />

Spiegel spricht die Psychotherapeutin Kirsten von<br />

Sydow über die Sexualität der modernen Frau. Um<br />

die Bedürfnisse einer glücklichen Beziehung zu<br />

decken, also ein gesundes Sexleben und Geborgenheit,<br />

greift sie auf die Möglichkeit einer „seriellen<br />

Monogamie“ zurück. Eine erfüllte Beziehung über<br />

fünf bis sechs Jahre und dann eben die nächste.<br />

Leben wir vielleicht in einer „seriellen Möbelmonogamie“?<br />

Das Schlimme ist: Der Kauf geschichtsträchtiger<br />

Möbel wird gesellschaftlich honoriert und gilt als<br />

nostalgisch wertvoll. Magazine und Zeitschriften<br />

raten zum „Upcyceln“ alter Möbel und zu „Do-It-<br />

Yourself“-Produkten mit „Vintage-Charme“. Wah!<br />

Ihr verlogenen, charakterlosen Gurus!<br />

Ihr kauft euch doch bloß die Geschichte, die ihr<br />

selbst nicht erlebt! Dabei müssen wir unserem Hab<br />

und Gut seinen nostalgischen Wert ja erst beifügen<br />

durch unsere eigene, ja, auch über Jahre dauernde,<br />

Geschichte!<br />

Aber ganz ehrlich: Is doch völlig wurscht. Wir<br />

haben die Möglichkeit, das zu kaufen, was uns<br />

geschmacklich am besten gefällt, also machen<br />

wir‘s auch. Sei‘s drum. Es verbindet ja schließlich<br />

nicht jeder mit seinem Nachtkästchen die große<br />

Liebe.<br />

Meine Geschichte ist zwar noch nicht lang, aber<br />

dafür ist meine Laptoptastatur in den letzten drei<br />

Jahren ganz schön abgenutzt worden. Vielleicht<br />

zählt das ja auch als „nostalgisch wertvoll“.

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