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„Politikverdrossenheit, Vertrauensverlust der Wähler, sinkende Wahlbeteiligung und nachlassende Bereitschaft<br />
zum politischen Engagement“ um „die Demokratie in einer Krise“[29]:<br />
„Der Politikwissenschaftler Colin Crouch widmete sich […] auf einer Konferenz der Politischen Akademie<br />
in Berlin der Frage, ob Deutschland auf dem Weg in die ´Postdemokratie´ sei. Nach Crouchs Definition<br />
der ´Postdemokratie´ sind die Instutionen der parlamentarischen Demokratie formal gesehen<br />
vollkommen intakt, aber im Innern wird der demokatische Prozess stetig ausgehöhlt. Der Einfluß privilegierter<br />
Eliten auf die Politik steigt, die Interessen großer Wirtschaftsungternehmen treten in den Vordergrund.<br />
Parteien transformieren sich in Apparate zum Stimmenfang. Mediale Inszenierung ist wichtiger<br />
als Inhalt, charismatische Persönlichkeiten ersetzen Programmatik. Die Bevölkerung fühlt sich zunehmend<br />
nicht mehr durch die Parteien repräsentiert, sondern sieht die kleinen, zivilgesellchaftlichen<br />
Gruppen als ihre Interessenvertreter.“<br />
Abgesehn von der sowohl logischen als auch empirischen Unmöglichkeit, daß „die Bevölkerung […] die<br />
kleinen, zivilgesellschaftlichen Gruppen als ihre Interessenvertreter“ ansieht – zitierte Kernaussagen sind<br />
zwar nicht grundfalsch, auszeichnen sich aber vor allem durch nachhaltig-wissenschaftliche Oberflächlichkeit<br />
und gesellschaftliche Ignoranz. Da weder hier noch sonstwo Nachhilfe in Form „gratiser Privatarbeit“<br />
(Karl Marx) gegeben wird – ausreichen zur Begründung dieser Kritik wenige Stichworte … etwa<br />
diese:<br />
Bereits Ende der 1950 Jahre wurde die „Politik der Massengesellschaft“ politiksoziologisch kritisiert, Anfang<br />
der 1960er Jahre war von „catch all parties“ und in Deutschland von „Allerweltsparteien“ die öffentliche<br />
Rede, 1967 wurde in (West-) Deutschland unterm Stichwort „Transformation der Demokratie“ (Johannes<br />
Agnoli) die Rückbildung oder „Involution“ demokratischer Staatsorgane kritisiert. Anfang der<br />
1980er Jahre schließlich wurde auch sozialwissenschaftlich die Übermacht großer “corporative actors“<br />
(James Coleman) als strukturbestimmendes Moment der Machtverschiebung zuungunsten der einzelnen<br />
und ihrer demokratischen Teilhabemöglichkeiten öffentlich an- und ausgesprochen.<br />
Zur speziellen Crouch-Ignoranz der zunächst bundes-, seit zwanzig Jahren ganzdeutschen Verhältnisse<br />
kann auf eigene Studien und Fachveröffentlichungen verwiesen werden: etwa die sich schon in den<br />
1980er Jahren hierzulande andeutende defizitäre „Politik von unten“ als fehlende „basisdemokratische<br />
Erneuerung“[30] des gesamten politisch-institutionellen Systems. Verwiesen werden kann auch auf an<br />
der von Rudolf Wildenmann (1921-1993) geleiteten Forschungsstelle für gesellschaftliche Entwicklung<br />
(Research Unit for Societal Development) 1989/91 erarbeitete Publikationen aus dem damaligen Arbeitsfeld<br />
zeitdiagnostischer politischer Soziologie: etwa auf die in kritischer Rezeption der Individualisierungsthese<br />
(die in Ulrich Becks 1986 erschienenem soziologischen Besteller „Risikogesellschaft“ als „Arbeitsmarkt-<br />
Individualisierung“ beschrieben wurde), vor allem aber auf die in Auseinandersetzung mit der rechtssozialdemokratisch-gouvernementalen<br />
„late modern age“-Ideologie von Baron Anthony Giddens[31] entwickelte<br />
Grundthese vom doppelten demokratischen Defizit im gegenwärtigen Deutschland: einmal gäbe es in<br />
den „neuen“ Mittelschichten „erweiterte Ansprüche auf aktive politische Teilhabe (Partizipationsansprüche)“;<br />
zum anderen wären innerhalb „alter“ Arbeitergruppen „erweiterte Ansprüche auf politische<br />
Vertretung (Repräsentationsansprüche)“ erkennbar. Beide Aspekte bildeten als „basale demokratische<br />
Mängellagen“ ein (als DDD-Syndrom bezeichnetes) grundlegendes soziopolitisches Defizit[32].<br />
Es bedarf weder hier noch andernorts eines weiteren gesonderten, aufwändig argumentierenden Nachweises,<br />
daß einer so eindimensional-ignorantische Oberflächenpolitologie wie der von Crouch propagierten<br />
„Postdemokratie“ das, was durchaus als sinnhaftes soziales Handeln aufscheinen kann – Nichtwählen<br />
– wissenschaftlich unzugänglich sein und bleiben muß[33].<br />
IV.<br />
Die öffentlich-beredt vorgetragenen Meinungen & Behauptungen, Einlassungen & Thesen von Florida<br />
und Crouch erinnerten mich an Hinweise des österreichischen Wissenschaftstheoretikers Paul